Kleinwuchs – wann und wie behandeln?
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Kleinwuchs – wann und wie behandeln?
FOCUS WACHSTUMSSTÖRUNGEN Kleinwuchs – wann und wie behandeln? PÄDIATRIE: Frühzeitige Diagnose und rechtzeitiger Therapiebeginn sind wichtige Voraussetzungen, um Kindern mit einer Wachstumsstörung eine normale Endgröße im Erwachsenenalter zu ermöglichen. ZAHLREICHE FAKTOREN beeinflussen das Wachstum von Kindern. Neben einer ausgewogenen Ernährung spielen genetische Faktoren, chronische Erkrankungen, das soziokulturelle Umfeld und psychische Faktoren eine wichtige Rolle. Auf hormoneller Ebene sind es besonders die Schilddrüsenhormone und die Wachstumsfaktoren wie das Wachstumshormon (somatotropes Hormon, STH), der insulinähnliche Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) und sein Bindungsprotein 3 (IGFBP-3), die den normalen Wachstumsverlauf steuern. Von Kleinwuchs spricht man, wenn die aktuelle Körpergröße eines Kindes unterhalb der 3. Perzentile bezogen auf die Referenzkurven der Normalbevölkerung liegt. In Österreich kommen nach den Empfehlungen der Arbeitsgruppe für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde die Perzentilen der sogenannten Züricher Longitudinalstudie (Prader et al., Helv Paediatr Acta Suppl 1988 Jun; 52: 1–125) zur Anwendung. Dieser Grenzwert der 3. Perzentile entspricht einem Wert von ca. –2,0 Standardabweichungen (SDS = Standard Deviation Score). Einer eingehenden Abklärung durch einen auf dem Gebiet der pädiatrischen Endokrinologie ausgebildeten Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde sollten aber auch jene Kinder zugeführt werden, deren Wachstumsgeschwindigkeit berechnet auf das vorangegangene Jahr zu niedrig ist (d.h. Wachstumsgeschwindigkeit < 25. Perzentile) und die somit von ihrer Wachstumsperzentile nach unten abfallen. Abklärungsbedürftig sind auch jene Kinder, die im Perzentilenverlauf deutlich unterhalb ihres genetischen Zielbereiches wachsen, der sich aus der Größe der Eltern errechnet. DIFFERENZIALDIAGNOSTISCHE ABKLÄRUNG Die Differenzialdiagnose des Kleinwuchses umfasst zunächst primäre Wachstumsstörungen, d.h., dass die zugrunde liegende Pathologie im Skelettsystem selbst liegt. Dies kann entweder auf der Basis von genetischen Erkrankungen (Knochenstoffwechselstörungen, Skelettdysplasien, metabolischen Erkrankungen, verschiedenen Syndromen, Chromosomenaberrationen etc.) oder vorgeburtlichen (toxischen) Schädigungen (Nikotin, Alkohol, Medikamente etc.) entstehen. Klinisch charakterisiert sind diese Störungen durch eine mehr oder weniger ausgeprägte Dysproportion, typischerweise mit zu kurzen Extremitäten im Vergleich zum Oberkörper. 10 ÄRZTE KRONE 3/08 Bei den sekundären Wachstumsstörungen liegt die Ursache außerhalb des Skelettsystems, d.h. entweder auf hormoneller Ebene (STH, Schilddrüsenhormone) oder ist verursacht durch chronische Erkrankungen (Darm, Niere etc.), Störungen des HerzKreislauf-Systems, Mangelernährung oder Stoffwechselerkrankungen. Kinder mit sekundären Wachstumsstörungen weisen zumeist einen proportionierten Kleinwuchs auf. Ebenfalls ein proportionierter Habitus tritt bei Kindern mit einer konstitutionellen Verzögerung von Wachstum und Pubertät bzw. Kindern mit familiärem Kleinwuchs auf. Die beiden Letztgenannten stellen Normvarianten des Wachstums dar und bedürfen keiner spezifischen Therapie. Die Behandlung der Wachstumsstörung auf der Basis einer Hypothyreose erfolgt durch Gabe eines oralen Thyroxinpräparates. DIAGNOSE DES WACHSTUMSHORMONMANGELS Zur Diagnose des Wachstumshormonmangels sind zusätzlich zur exakten klinischen Untersuchung und Anamneseerhebung die Bestimmung der basalen Werte von IGF-1 und IGFBP-3 und die Ermittlung des Knochenalters anhand eines Handskelettröntgens links erforderlich. Vor Beginn einer Therapie mit rekombinantem Wachstumshormon (rhGH) muss die Diagnose durch 2 Wachstumshormonstimulationstests, die eine zu geringe Ausschüttung des endogenen Wachstumshormons bestätigen, gesichert werden. Darüber hinaus ist vor Beginn der Therapie eine bildgebende Darstellung der Hypophyse zu empfehlen. THERAPIE MIT REKOMBINANTEM HUMANEM WACHSTUMSHORMON Die Therapie des Wachstumshormonmangels erfolgt durch tägliche subkutane Injektionen von rhGH mit einem Pensystem, die überwiegend von den Kindern selbst durchgeführt werden. 1957 wurde erstmals ein Kleinwuchs erfolgreich mit humanem Wachstumshormon behandelt. Der Einsatz von humanem Wachstumshormon war jedoch aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit auf die Behandlung des Wachstumshormonmangels limitiert. 1985 wurde rekombinantes humanes Wachstumshormon (rhGH) eingeführt. Da es praktisch in unbegrenzten Mengen verfügbar ist, konnte es umfassend zur Behandlung des Kleinwuchses bei Kindern eingesetzt werden. Neben der „Hormonersatztherapie“ beim Wachstumshormonmangel wird rhGH in pharmakologischen (supraphysiologischen) Dosierungen auch zur Therapie von FOCUS WACHSTUMSSTÖRUNGEN THERAPIE DES „NICHTPATHOLOGISCHEN“ KLEINWUCHSES DISKUTIERT Im Juli 2003 erfolgte zusätzlich die Zulassung der rhGH-Therapie zur Verbesserung der Endlänge bei kleinwüchsigen präpubertären SGA-Kindern (Small for Gestational Age). Im gleichen Jahr wurde die Indikationsliste für rhGH in den USA um die Therapie von Kindern mit „idiopathic short stature“ (NVSS = Normal-Variant Short Stature) erweitert. Erstmalig wurde somit rhGH neben den pathologischen (extremen) Kleinwuchsformen offiziell zur Therapie eines „nichtpathologischen“ Kleinwuchses zugelassen. Eine diesbezügliche Zulassung in Europa ist derzeit Gegenstand zahlreicher fachlicher Diskussionen. Die Therapie mit rekombinantem Wachstumshormon ist in Österreich in folgenden Indikationen zugelassen: ● hypophysärer Minderwuchs ● Ullrich-Turner-Syndrom ● SGA-geborene Kinder > 4. Lebensjahr ● renaler Minderwuchs ● Prader-Willi-Syndrom Der optimale Zeitpunkt für einen Therapiebeginn bei Kindern mit hypophysärem Minderwuchs und Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom liegt etwa im 5. Lebensjahr, kann jedoch bei annäherndem Wachstumsstillstand bereits früher zu empfehlen sein. SGA-Kinder dürfen erst ab dem vollendeten 4. Lebensjahr behandelt werden, ein Behandlungsbeginn in der präpubertären Phase oder bei bereits eingetretener Pubertät wird nach internationaler Expertenmeinung nicht mehr empfohlen. Die Dauer der Therapie wird bei diesen drei Indikationen bis zum fast vollständigen Verschluss der Wachstumsfugen bzw. bis zu einem Absinken der jährlichen Wachstumsgeschwindigkeit auf einen Wert < 2 cm/Jahr empfohlen. Bei Kindern mit vollständigem Fehlen des Wachstumshormons sollte im Erwachsenenalter eine neuerliche Austestung und im Fall einer Bestätigung eine lebenslange Therapie mit Wachstumshormon erfolgen. HORMONTHERAPIE BEI SKELETALEN WACHSTUMSSTÖRUNGEN UNWIRKSAM Der überwiegende Teil der primären (skeletalen) Wachstumsstörungen spricht wenig bis gar nicht auf eine hormonelle 12 ÄRZTE KRONE 3/08 wachstumsfördernde Therapie an. Die Verbesserung der Endgröße bei diesen Kindern kann über eine Optimierung der Behandlung der zugrunde liegenden Stoffwechselstörung erfolgen. Bei massiv dysproportionierten Kindern (zu kurze Extremitäten) stellt die chirurgische Intervention (Verlängerungsosteotomie) im späten Jugendlichenalter bzw. jungen Erwachsenenalter eine sinnvolle und zielführende Therapieoption dar. In der Gruppe der primären Wachstumsstörungen wurden bisher die besten Therapieerfolge mit rekombinantem Wachstumshormon (rhGH) bei Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom (faktische oder funktionelle Monosomie Xp) erzielt. Werden die Mädchen ohne Therapie ca. 145 cm groß, so kann mit der Therapie eine Verbesserung um ca. +10–15 cm erzielt werden. Der möglichst frühzeitige Therapiebeginn, nach neueren Empfehlungen ebenfalls ab einem Alter von 4–5 Jahren, stellt einen der wichtigsten positiven Prädiktoren im Hinblick auf den Therapieerfolg dar und ermöglicht zudem einen „altersentsprechenden“ Beginn der Pubertätsinduktionstherapie. Aufgrund dieser Tatsache, der Heterogenität des äußeren Erscheinungsbildes dieser Mädchen (abhängig vom Genotyp) und des guten Ansprechens auf die Therapie mit rhGH ist klar das Recht jedes kleinwüchsigen Mädchens auf eine Chromosomenuntersuchung auf Vorliegen eines Ullrich-TurnerSyndroms zu fordern. Zusammenfassend sind die rechtzeitige Abklärung einer Wachstumsstörung durch einen pädiatrischen Endokrinologen und der frühzeitige Therapiebeginn, optimal meist im Alter von 4–5 Jahren, wichtige Voraussetzungen, um Kindern mit einer Wachstumsstörung eine normale Endgröße im Erwachsenenalter zu ermöglichen. Der Einsatz von rhGH außerhalb der anerkannten Indikationen sollte ausschließlich im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erfolgen. Der verantwortungsbewusste Einsatz von rhGH zur Therapie von Wachstumsstörungen sichert jenen Patienten die Möglichkeit zur Verbesserung der Endgröße, die wirklich von einer Therapie profitieren. © Sean Locke – istockphoto Wachstumsstörungen ohne nachgewiesenen Wachstumshormonmangel wie beispielsweise beim Ullrich-Turner-Syndrom, der chronischen Niereninsuffizienz und dem Prader-Willi-Syndrom erfolgreich angewendet. OA Dr. KLAUS KAPELARI, Leiter der AG Endokrinologie und Diabetologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinderund Jugendheilkunde, Univ.-Klinik für Kinderund Jugendheilkunde Innsbruck, klaus.kapelari@i-med.ac.at