Europe of Regions vs. Europe of Mosaics
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Europe of Regions vs. Europe of Mosaics
1 National Centre of Competence in Research (NCCR) Challenges to Democracy in the 21st Century Working Paper No. 11 Europe of Regions vs. Europe of Mosaics: re-scaling in einem peripheren Grenzraum Die Barents Euro-Arctic Region – eine Fallstudie Felix Strebel Projektmitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich strebel@ipz.uzh.ch Oktober 2007 2 Zusammenfassung Wie an peripherer Lage grenzüberschreitende Institutionen entstehen und wie der Institutionalisierungsprozess zu charakterisieren ist, steht im Zentrum des vorliegenden Working Papers. Anhand einer Einzelfallstudie über die Barents Euro-Arctic Region am nördlichsten Rand Europas wird der rescaling Prozess auf drei unterschiedlichen Prozessstufen untersucht. Die Resultate wurden mit dem gängigen bottom-up Konzept der Europäischen Union (Europe of Regions) und einem konkurrierenden top-down Konzept (Europe of Mosaics) anhand von zwei komplexen Wirkungsmodellen verglichen. Zusätzlich zur peripheren Lage der Region kommt hinzu, dass zwei der vier Anrainerstaaten nicht Mitglieder der Europäischen Union sind. Unterschiedliche Faktoren wie die starken Sozialstaaten und die sicherheitspolitische Lage haben dazu geführt, dass die grenzüberschreitende Region im Sinne von Europe of Mosaics stark von den nationalen Zentren aus gesteuert wird. Der Einbezug der Subregionen und die Schaffung einer Plattform auf dieser Ebene, die eine verstärkte regionale Integration ermöglichen, relativieren diesen theoretischen Ansatz jedoch. Keywords: Multi-level governance, re-scaling, Europe of Regions, Europe of Mosaics, pattern matching, Cross-border Cooperation Einleitung 3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung.......................................................................................................................... 1 2 Theoretischer Rahmen .................................................................................................... 3 2.1 Konkurrierende Ansätze.................................................................................................. 4 2.2 Peripherie als Rahmenbedingung – die Barents Region ................................................ 8 2.3 Analysemodell des re-scaling Prozesses...................................................................... 10 2.4 Hypothesen und Wirkungsmodelle ............................................................................... 10 3 Analytischer Teil ............................................................................................................ 13 3.1 Political Mobilisation...................................................................................................... 13 3.2 Governance Building..................................................................................................... 17 3.2.1 Institutionalisierte Zusammenarbeit .............................................................................. 17 3.2.2 Das Verhältnis zwischen den Councils ......................................................................... 19 3.2.3 Innerstaatliche Machtbalancen und Kompetenzverschiebungen .................................. 21 3.3 Strategic Unification ...................................................................................................... 24 4 Fazit ................................................................................................................................. 26 5 Quellenverzeichnis ........................................................................................................ 29 5.1 Bücher und Artikel......................................................................................................... 29 5.2 Interviews ...................................................................................................................... 32 Einleitung 1 1 Einleitung1 Der Diskurs von „Europe of Regions“ ist in der Europäischen Union seit geraumer Zeit, speziell bezüglich der Kohäsionspolitik, allgegenwärtig. Das Aufkommen von grenzüberschreitendem und transnationalem Regionalismus hat geholfen, eine Renaissance der regionalen Ebene als Element in wirtschaftlicher und politischer Steuerung hervorzurufen (Scott 2000: 105). Jährlich werden von der Europäischen Union sowie den Mitgliedern knapp zwei Milliarden Euro für regionale Förderungsprogramme bereitgestellt. Ein solcher Prozess sollte eine multiple Integration, Unterstützung für wirtschaftliches Networking, Policymaking mit regionaler Beteiligung und an der EU-Peripherie eine mögliche Unterstützung für Integrationsbemühungen auslösen und fördern. Die „new institutional spaces’ across borders“ in Europa haben viel zu tun mit dem Rückgang von Protektionismus, dem zunehmenden Neoliberalismus, dem Ende des kalten Krieges und politischen Zugeständnissen für regionale Integration. Geographische, ökonomische und weitere Ansätze beleuchten verschiedene Aspekte der neu entstehenden Skalen. Unterstützt wird die Regionenbildung in Europa durch das in den Maastrichter Verträgen festgehaltene Prinzip der Subsidiarität, welches auf die Stärkung der kleinsten Grösse im europäischen Kontext abzielt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht wird die Einteilung der Thematik von grenzüberschreitender Zusammenarbeit (englisch: Cross-border Cooperation/CBC) sehr unterschiedlich angegangen. Da in diesen neuen „institutional spaces“ internationale Politik, nationalstaatliche gate-keeper Ambitionen wie auch die vertikalen Kompetenzverteilungen in den einzelnen Staaten zusammentreffen, ist die gegenwärtige Forschung meist im Bereich von Multi-level Governance angesiedelt (z.B. Kohler-Koch 1998, Hooghe/Marks 2001). Daher ist eine strikte Trennung zwischen den Bereichen der Innenpolitik und den internationalen Beziehungen kaum möglich. Scott (2000) konzentriert sich bei der Regionenbildung vor allem auf Aspekte der formellen, respektive informellen Integration, während Leresche und Saez (2002) Grenzregionen anhand unterschiedlicher Regime-Typen untersuchen und klassifizieren. Eine Typologisierung grenzüberschreitender Zusammenarbeit wird von Perkmann (2003) vorgenommen. Er richtet dabei das Augenmerk vor allem auf (nicht-) zusammenhängende Territorien, kleine, resp. grosse Institutionen mit starker, resp. schwacher Intensität der Zusammenarbeit. Auch Netzwerkanalysen und Sabatiers (1993) Advocacy-Coalition-Ansatz sind mögliche Herangehensweisen, welche oft im Bezug auf die Formen der Governance bzw. der Steue- 1 Dieses Working Paper basiert auf einer Lizenziatsarbeit aus dem Jahr 2006, verfasst bei Prof. Daniel Kübler am Institut für Politikwissenschaften der Universität Zürich. Einleitung 2 rung in einem System mit horizontalem und vertikalem Charakter untersucht werden. Speziell in den älteren und aktiven Regionen in Europa existieren ganze Reihen von Fallstudien zu unterschiedlichen Themenfeldern, die jedoch oft deskriptiven Charakters sind. In der näheren Vergangenheit wurde die Debatte grenzüberschreitender Kooperation vorwiegend unter dem Stichwort Neoregionalismus geführt (Schmitt-Egner 2005: 26). Perkmann (2005) schlägt eine Verbindung der Untersuchung solcher Regionen mit der theoretischen rescaling Debatte vor (z.B. Jessop 2002): “The question of scale and, particularly, of re-scaling becomes relevant because shifting spatial boundaries and the government functions associated with them re-configure the social and productive bases of territorial entities and modify thereby […] the territorial communities as a whole.” (Perkmann 2005: 8) Periphere Grenzregionen suchen oft die Möglichkeit, mit Verbündeten eine neue Perspektive und eine gemeinsame Identität zu bilden. Zentrale Autoritäten können folglich dazu tendieren, die Abhängigkeit dieser Teile zum Zentrum zu stärken, da in der gegenwärtigen Entwicklung der EU und den offenen Grenzen der Prozess in Richtung Regionalisierung unaufhaltsam ist. Deutlich wird dabei auch, dass die grenzübergreifende Mehrebenenstruktur ihren Kern nach wie vor in den jeweiligen Staaten hat. Erfasst werden sollte der Prozess der Policy grenzüberschreitender Zusammenarbeit, da hinter einem re-scaling Prozess normalerweise eine explizite oder implizite Idee steckt. Die Forschungsfrage folgt also der Grundidee des „New Institutionalism“.2 Wie stark die Grenzregion durch föderalistische, resp. unitaristische Prämissen institutionalisiert wird, und sich dies auf den Entwicklungsprozess und die interne Struktur der Grenzregion auswirkt, ist daher die zentrale Frage. Die Arbeit sollte in erster Linie zu einem besseren Verständnis beitragen, nach welcher Theorie sich institutionelle Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an peripherer Lage herausbilden und gestalten. Durch die erneute Erweiterung und die Vertiefung der EU wird diese Thematik auch in Zukunft relevant sein. Der Ansatz von Europe of Regions wird im folgenden theoretischen Kapitel einem konkurrierenden Ansatz gegenüber gestellt. Anhand eines Analysemodells des re-scaling Prozesses von Perkmann wurde für jeden Ansatz ein Wirkungsmodell entwickelt und anschliessend einer Prüfung am Einzelfall der Barents Region unterzogen. Dem Analysemodell folgend wurde der Prozess anhand von drei Schritten analysiert und anschliessend mit Hilfe der Wirkungshypothesen dem passenden Modell zugeordnet. 2 Die Institution ist in diesem Zusammenhang dual zu verstehen. Sie stellt einerseits einen breiten Regelungsaspekt dar, der gesellschaftlich verbindliche Normen und Orientierungsanleitungen hervorbringt (vgl. Mayntz/ Scharpf 1995). Andererseits kann sich aber grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch konstitutionalisieren und durch den re-scaling Prozess zu einer politischen Einheit mit einzelnen Entscheidungs- und Umsetzungsmechanismen entwickeln (vgl. Blatter 2000: 37). Theoretischer Rahmen 2 3 Theoretischer Rahmen Da die Region von verschiedenen Disziplinen aus unterschiedlichen Blickwinkeln angegangen wird, sind konsistente transdisziplinäre Regionenkonzepte kaum zu finden. SchmittEgner definiert die Region unabhängig von ihrer internationalen, transnationalen oder subnationalen Gestalt als eine räumliche Teileinheit mittlerer Grössenordnung und intermediären Charakters, deren materielles Substrat das Territorium bildet (Schmitt-Egner 2005: 56).3 Eine grenzüberschreitende Region ist nach der Definition des Council of Europe eine Zusammenarbeit mit homogenen Funktionen und funktionalen Interdependenzen, mit einer inhärenten Geografie, Geschichte und gemeinsamer Kultur (Perkmann 2003: 156f.). Diese Definition kommt einer funktionalen Region sehr nahe, da sie klare empirische Kriterien beinhaltet. Im vorliegenden Working Paper wird vom Konzept der CBC ausgegangen. Diese wird im „Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ sehr breit definiert als „any concrete action designed to reinforce and foster neighbourly relations between territorial communities and authorities...“.4 Von der Theorie aus soll die bereits erwähnte re-scaling Diskussion angegangen werden. Zur Begriffsklärung der Skala schlägt Neil Brenner ein plurales Verständnis von Skala vor: „politics of scale“ bezieht sich auf die Umgestaltung von Hierarchien entlang und nicht innerhalb geografischer Einheiten im Prozess der Globalisierung (Brenner 2001: 600). Das heisst, dass „politics of scale“ auf die Veränderung der Verhältnisse zwischen geografischen Skalen und den Auswirkungen solcher Transformation auf die organisations- und steuerungsbezogene Skala verweist. Skalen sind daher einerseits fortlaufend regulationsbedürftig und zudem Arenen für soziale Konflikte und Zusammenarbeit. Sie sind immer auch Felder, die von gewissen Machtstrukturen dominiert werden. Die Veränderungen in Grenzregionen, also der re-scaling Prozess, bringt einen potentiellen Streit um Macht und Ressourcen mit sich. Aus empirischer Sicht ist CBC abhängig von der Lage einer Region, in Bezug auf das Setup und die soziale Basis, in einen institutionellen Kontext eingebettet. Die Institutionalisierung von CBC ist eher ein Phänomen jüngerer Zeit. Daraus lässt sich schliessen, dass Governance Institutionen von einer alten auf eine neue Ebene verschoben wurden oder sich neu formiert haben. Die meisten Beiträge in der Debatte fokussieren Aspekte der Kräfte, welche den re-scaling Prozess antreiben und die daraus entstehenden Konsequenzen (Perkmann 2005: 3). 3 Speziell für den Begriff der grenzüberschreitenden Region ist der Aspekt des Territoriums relevant, da er das Problem mit einschliesst, dass Grenzen historisch bedingt sind und nicht zwingend natürliche Räume definieren. 4 Madrider Abkommen, Vertrag Nr. 106 unter http://conventions.coe.int (Stand 21.08.06) Theoretischer Rahmen 2.1 4 Konkurrierende Ansätze Der seit den 1990er Jahren gegenwärtige „Neoregionalismus“ betont den Strukturwandel der EU im Mehrebenensystem und die Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung. Keating (1998: 72f.) unterstreicht dabei zwei Merkmale: die Region kann nicht mehr im Framework des alten Nationalstaates betrachtet werden, und sie wird vermehrt am internationalen Wettbewerb der Regionen teilnehmen. New Regionalism geht grundsätzlich von innerstaatlicher Umstrukturierung während den 1990er Jahren aus. Das Konzept kann jedoch auch gut für den CBC-Prozess übernommen werden. Die so entstehenden grenzüberschreitenden Netzwerke bewegen sich weg von den alten Hierarchien hin zu so genannten „spaces of flow“.5 Diese Entwicklung wird auch als Glocalisation bezeichnet (Swyngedouw 2004), ein Prozess, kombiniert aus Globalisierung und lokaler territorialer Rekonfiguration. Brenner (1998 in Perkmann 2005: 5) bezeichnet den Prozess aber als „highly conflictual“, denn er verkennt die Absichten des Nationalstaates, für den eine solche Entwicklung einen Interessenskonflikt und Souveränitätsverlust darstellen kann. Eine Gegenthese würde darauf hindeuten, dass sich gerade schlechter gestellte Subregionen durch re-scaling vermehrt dem Nationalstaat annähern und die CBC so mehr zu einer Kooperationsstrategie zwischen diesen beiden Ebenen wird, als dass eine in sich konsistente Region entsteht. Der Einfluss von EU Policies ist in beiden Herangehensweisen unterschiedlich einzuordnen. Europe of Regions: Dieser Ansatz, ausgehend vom Neo-Regionalismus, rückt die Region ins Zentrum, und stellt sie als Basiseinheit für Europa dar. Der Ansatz knüpft an den nationalen Regionalismus als politische Bewegung an und hebt ihn auf die europäische, resp. zwischenstaatliche Ebene (Schmitt-Egner 2005: 26). Der Prozess wird von bottom-up6 Einflüssen ausgelöst, was auch als Regionalismus bezeichnet wird (Grasse 2001: 81). Dies ist als eine vom Nationalstaat unabhängige Entwicklung zu verstehen, die der Theorie nach oft gerade in peripheren Grenzgebieten aufkommt. Ein Vorzeigebeispiel dafür sind die Regionen an der ehemaligen Grenze des Eisernen Vorhangs.7 Da solche Regionen gemeinsame Ressourcen, und vor allem eine gemeinsame Vergangenheit aufweisen, arbeitet man nun wieder vermehrt zusammen. Ziel ist es, sich unter anderem zusätzlichen Raum für politische Selbstbestimmung zu schaffen und dadurch eine gewisse Stärkung der Demokratie und Nähe zum Bürger zu erreichen. Vom Standpunkt der grenzüberschreitenden Interessen aus versucht die nationale Ebene dem Effort verstärkter subregionaler Verknüpfungen Gegensteuer zu geben und die Abhängigkeit der Region bezüglich der Ressourcenverteilung gegenüber dem eigenen Land zu fördern (deshalb auch Conflict Approach). Dagegen wird die 5 Allgemeine Tendenz der regionalistischen Sicht in Bezug auf die EU von Hierarchien zu Netzwerken und von „spaces of place“ zu „sapces of flow“ nach Castells (vgl. z.B. Blatter 2000). 6 Bottom-up sollte nicht zu eng gefasst werden, so werden hier auch Bestrebungen der regionalen und lokalen Regierungen als von unten angesehen. 7 Jessop (2002: 38) bezeichnet das erneute Prozess als „Resurgence of suppressed historical economic spaces“. Theoretischer Rahmen 5 Region das Ziel einer eigenen Ressourcenbasis verfolgen, um die Nachteile vis-à-vis der nationalen ökonomischen Zentren auszugleichen (ebd.: 80f.). Ebenfalls eine bottom-up Entwicklung unterstützt die EU durch die Idee der Dezentralisierung, die eine breitere Entscheidungsebene schafft und effizienter sein sollte (Veggeland 1993: 203). Explizit zeigt sich dies anhand der Gemeinschaftsinitiative Interreg, durch welche ein Transfer von Kapital in die Regionen stattfindet und einen dynamischen Effekt auslösen sollte.8 Ziel ist es, dass Kooperation auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stattfindet. Diese Voraussetzung muss aber idealtypisch mit weit reichenden Kompetenzen auf den tiefen Ebenen kombiniert sein. Solche Muster sind grundsätzlich in ausgeprägter Form nur in föderal resp. dezentral organisierten Systemen zu finden. “The different role of regions and regional policies in different countries give unequal starting points for new regional cooperation...“ (Käkönen 1996: 58). Netzwerkbildung von Subeinheiten erhält durch lokale Mitbestimmung oder mindestes durch direkte elektorale Vorgänge die nötige Legitimität. Beim Zusammentreffen unterschiedlicher Staatssysteme, wie dies in den meisten Grenzregionen der Fall ist, stellt sich die Frage des Einflusses der regionalen Administrationen in zentralistischen Systemen auf der nationalen Ebene. So haben beispielsweise in Frankreich gewisse Regionen und Departemente, meist durch persönliche Netzwerke stärkeren Einfluss in Paris. Daher lässt sich also nicht alleine von der staatsrechtlichen Konzeption einer Subregion auf deren Interessensdurchsetzungsvermögen schliessen. Aus diesen Entwicklungen bildet sich ein grenzüberschreitendes Modell, welches das vertikale Abhängigkeitsverhältnis in einem Staat durch eine interne wie auch externe horizontale Netzwerkstrategie tangiert. Die Signifikanz der Region als politischer Akteur nimmt daher auf Kosten der nationalen Administration zu. Das Mittel dazu wird oft mit „Paradiplomatie“ oder „Mikrodiplomatie“ umschrieben, die sich aus direkten Kontakten zwischen zwei oder mehr subnationalen Akteuren über die Grenzen hinweg ergeben.9 Dieses Vorgehen ermöglicht den Subeinheiten eine Erweiterung des Handlungsspielraums bei spezifisch regionalen Interessen (Nilson 1997: 422). Hier kommt ebenfalls der Staatsform eine zentrale Rolle zu. So verfügen die Subeinheiten in föderalen Staaten über Kompetenzen, die zum Abschliessen von Staatsverträgen reichen können. In zentraler organisierten Ländern beschränkt sich die Paradiplomatie indes vorwiegend auf informelle Aspekte. Wenn sich die kooperierenden Regionen auf ihre Zusammenarbeit verlassen können, dann kann das zur 8 Oft wird aber die Unterstützung der EU als „creating Europe’s regions from above“ angesehen (z.B. Blatter 2000: 33). Sieht man dadurch aber die Förderung der Region als Driver, ist dies wie erklärt auch als „bottomup“ zu verstehen. 9 Nach Duchacek (1990: 14-15) sind folgende Formen Ausdruck paradiplomatischer Verhältnisse: • Aufbau permanenter Einrichtungen auf der anderen Seite der Grenze • Medial unterstützte Auslandreisen von subnationalen Regierungsvertretern • Treffen subnationaler Akteure • Aufbau gemeinsamer Handelsräume • Teilnahme subnationaler Akteure an internationalen Konferenzen oder formellen diplomatischen Vertretungen der nationalen Regierungen im Ausland Theoretischer Rahmen 6 Folge haben, dass sich solche informellen paradiplomatischen Beziehungen formalisieren lassen und gewisse Aufgaben gemeinsam erledigt werden (Nilson 1997: 404). Wesentlich scheint, dass es sich beim aussenpolitischen Engagement der Subeinheiten nicht um Diplomatie im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um neu auftretende Akteure, welche die nationale Aussenpolitik nur zu einem gewissen Grad perforieren. Die ökonomischen Absichten hinter einer solchen Entwicklung zielen durch transnationale Allianzen auf verstärktes regionales Wachstum ab. Betont wird also eine horizontale Funktionalität des Gebietes welche sich schliesslich in politischen Institutionen widerspiegelt, welche in etwa dieselbe geografische Abdeckung aufweisen, um über die Grenzen hinaus zu arbeiten (Nilson 1997: 404f.). Dadurch bilden sich Regime, die nicht nur in ökonomischen Themenfeldern die dominierende Koordinationsform darstellen (vgl. Veggeland 1994), sondern sich möglicherweise auch auf andere Gebiete ausweiten. Eine souveräne regionale Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht mit den nationalen Plänen übereinstimmen muss. Unterstützt wird diese Entwicklung nach globalistischer Ansicht dadurch, dass die staatliche Fähigkeit zur Regulierung ökonomischer Tätigkeiten durch die Verschiebung von Skalen und zunehmender Kapitalmobilität geschwächt wird (vgl. Brenner 1999: 438). Europe of Mosaics: Das alternative Modell stellt die Abhängigkeit zwischen regionalem und nationalem Level in den Vordergrund (Nilson 1997: 403). Der Ansatz richtet sich gegen das Modell von Europe of Regions, da sich einerseits die Globalisierung nicht im prophezeiten Masse durchsetzte und andererseits die Regionen den europäischen Prozess nicht massgebend beeinflussen konnten (Schmitt-Egner 2005: 27). Ausgegangen wird also eher von einer top-down Initiative, das heisst von einer formellen Regionalisierung, welche durch die zentralen Autoritäten angestossen wird (Grasse 2001: 81). Eine Strategie zur Koordination des internationalen Drucks wird als gemeinsame Herausforderung für alle Ebenen betrachtet (auch Cooperation-approach), denn das Europe of Regions Szenario verkennt die Kraft der Nationalstaaten und die Widerstandsfähigkeit der politischen und bürokratischen Eliten. Andere integrationswissenschaftliche Einwände behaupten, dass sich Regionen generell in einer alliierten Position mit den Nationalstaaten gegenüber anderen Regionen befänden, und demnach die Transformationsprozesse zum „neuen“ Europa nicht die Unterwanderung des herkömmlichen Staates implizieren (Schmitt-Egner 2005: 27). Aus dieser Perspektive wird die regionale Strategie nicht primär zur Bildung transnationaler Allianzen angesehen um grösseren Handlungsspielraum zu kreieren, sondern als Koordinationsverbindung für staatszentrierte Aktivitäten auf regionaler Ebene. „In many cases of crossborder regions, the local or regional administrative units […] act as relays of national policy and are more oriented to their respective central states than to undermine de jure national sovereignty. National states act as pivots between international agencies and sub-national Theoretischer Rahmen 7 activities, because they provide legitimacy as the exclusive voice of territorially-bound population.” (Jessop 2002: 43) Die introvertierte Rolle gilt auch im Netzwerk, wobei die Institution als Koordinator der Ressourcen vertikal in Richtung nationale Ebene, und horizontal in Richtung Organisationen und private Akteure arbeitet. Dies ist vorwiegend in zentral organisierten Staaten der Fall, wo Subeinheiten über wenig Kompetenzen und Legitimität verfügen. Die Akteursebene ist auch daher ein zentraler Punkt, da Personen in den subnationalen Administrationen oft von der nationalen Regierung eingesetzt werden. Ist dies der Fall, dann orientiert sich die Region stark an den zentralstaatlichen Interessen und Zielen. Dieser Ansicht nach reagiert der Staat ebenfalls auf die sich verändernden globalwirtschaftlichen Interdependenzen, jedoch durch die Konstruktion neuer Formen nationaler sozioökonomischer Policies und nicht mit Kompetenzverschiebungen (vgl. Brenner 1998: 438). Die Funktionalität ist hier aber nicht primär horizontal zu verstehen, denn diese leidet an der starken Verbindung zu den nationalen administrativen Strukturen, die eine horizontale Integration erschweren. Regionalprogramme der Europäischen Union spielen auch für dieses Modell eine Rolle. Das Ziel, soziale und wirtschaftliche Zentren durch gemeinsame Entwicklungsstrategien zu schaffen, kommt der Vorstellung von Europe of Regions sehr nahe. Die Verteilung von Geldern wird von einem Steering Committee vorgenommen. Bei einer nationalstaatlich dominierenden Zusammensetzung dieses Committees steht daher weniger die Subsidiarität, als die Möglichkeit der Förderung peripherer Grenzgebiete im Zentrum. In Regionen, welche sicherheitspolitisch eine zentrale Rolle einnehmen, ist diese oft eine treibende Kraft für verstärkte Zusammenarbeit (Jessop 2002: 31). Da dies ein Thema von nationaler Bedeutung ist, übernimmt in solchen Situationen die staatlichen Ebenen weiterhin die zentrale Rolle. Subeinheiten in strategischer Lage können einzig durch den staatlichen Fokus versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen. Das Netzwerk schafft persönliche Kontakte für die Kommunikation in Krisenfällen, was auch als „soft-security“ umschrieben wird (Bailes 1999: 166f.). Die nationalen Regierungen versuchen nach diesem Modell so flexibel und unabhängig wie möglich zu bleiben, um auch in ihrer Regionalpolitik Anpassungen vornehmen zu können. Aus den beiden Ansätzen kann die Forschungsfrage wie folgt spezifiziert werden: Tendiert eine periphere Region und deren Subeinheiten durch den re-scaling Prozess dazu, die Verbindungen zu ihren zentralen Autoritäten zu fördern, oder stärkt die Möglichkeit, unabhängiger als Akteur aufzutreten? Beide Ansätze gehen also von einer unumgänglich aufkommenden Regionalisierung in Europa aus. Die Unterstützung und die Vorstellungen einer grenzüberschreitenden Region sehen jedoch grundlegend unterschiedlich aus. Um diese Punkte zu analysieren, wird ein Modell von Perkmann als heuristischer Leitfaden beigezogen. Theoretischer Rahmen 2.2 8 Peripherie als Rahmenbedingung – die Barents Region Der Begriff der Peripherie muss immer in einem geographischen Kontext im Verhältnis zu einem Zentrum betrachtet werden. Die implizit formulierten Nachteile sind in unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Sozialstruktur und Politik zu erkennen und werden oft durch eine räumliche Distanz verschärft. In ihrer renommierten Analyse von europäischen Peripherien charakterisieren Rokkan und Urwin periphere Regionen im Verhältnis zu den zentralen Gebieten des jeweiligen Landes als „geographical distant, culturally and economically dependent“ (Rokkan/Urwin 1983: 13). Für das vorliegende Konzept wurden Indikatoren nach Heintell (1999) verwendet: • Distanz: Räumlicher Aspekt im Sinne von Entfernung. Historisch betrachtet verliert diese Perspektive jedoch durch die zunehmende Mobilität ein Stück weit an Bedeutung. • Prozessuale Perspektive: Verdichtete Aktivitäten in Zentren (Anzahl der Internetanschlüsse, Krankenversorgung etc.) stehen einer geringeren Aktivitätsdichte in der Peripherie gegenüber. • Ökonomische Perspektive: Die Auswirkungen in diesem Bereich zeigen sich an Indikatoren wie dem Pro-Kopf-Einkommen, der Arbeitslosenquote und der Bevölkerungsgrösse. Die Untersuchung sollte anhand der peripheren Barents Region einen Beitrag zur Diskussion der europäischen Regionalpolitik leisten. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Region an der Barentssee stärker in Richtung Osten orientiert und 1993 wurde in Kirkenes offiziell die „Barents European Arctic Region“ (BEAR)10, mit Einbezug russischer Subregionen, gegründet. Die periphere Lage ist einerseits dadurch gekennzeichnet, dass die Region mit sehr harschen Klimaverhältnissen zu kämpfen hat und mit rund 0.3 Personen pro km2 zu den am dünnsten besiedelten Regionen Europas zählt. In der Region leben zudem rund 75% der Einwohner in urbanen Zentren. Speziell am vorliegenden Beispiel könnte die gegenwärtige Regionalisierungswelle die starken nordischen Zentralstaaten herausfordern, denn es ist davon auszugehen, dass in unitaristischen Staaten das Prinzip nationaler Souveränität und der Alleinvertretungsanspruch der nationalen Ebene bezüglich der Aussenpolitik deutlich stärker ausgeprägt ist als in Föderalstaaten (Blatter 2000: 62). Eine weitere Herausforderung stellt die Minderheitenproblematik dar, da sich die indigenen Gruppen (Sami, Nenets, Vepsians, Kvens) auch in Norden um mehr Unabhängigkeit über die Grenzen hinweg bemühen. In den meisten Teilen der Barents Region ist der Bevölkerungsrückgang klar ersichtlich. Die Bevölkerung wird älter, ist schlechter ausgebildet und durch ein männliches Übergewicht bezüglich der Geschlechter ungleich verteilt. Dadurch ist die ganze Barents Region zunehmend abhängig von staatlicher Unterstützung (Baldersheim 2005: 771f.). 10 Die Barents Region besteht aus den nördlichsten Teilen Norwegens, Schwedens, Finnlands und der Nordwestecke Russlands (siehe Karte) Theoretischer Rahmen 9 Barents Euro-Arctic Region mit urbanen Zentren Quelle: Barentsinfo.org Das nominale BIP pro Kopf aller Teilregionen ist dadurch auch markant tiefer als in den jeweiligen nationalen Zentren. Die Aussichten auf Erdöl und Erdgas in der Barentssee sind speziell für Norwegen und Russland viel versprechend. Da es sich beim Abbau der Ressourcen um grosse Staatsgeschäfte handelt, ist aber unklar, wie viel davon in der regionalen Wirtschaft hängen bleiben wird. Die Regionen am nördlichen Rand von Europa sind auf die ökonomischen Zentren im Süden ausgerichtet. Die Verkehrsverbindungen sind durch die weiten Distanzen und die tiefe Bevölkerungsdichte sehr schwach entwickelt. Der noch immer dominierende Zentralismus in Russland lässt die meisten Regionen neben dem urbanen Moskau und St. Petersburg als weit entfernt erscheinen. Die abgelegene Lage der Teilregionen ist in den nordischen Staaten zwar ebenfalls sichtbar, wird aber durch die staatliche Umverteilung gedämpft. Aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte kommt wenig intraregionaler Handel auf, da ein „Binnenmarkt“ kaum vorhanden ist. Dies stärkt die Nord-SüdAbhängigkeit bezüglich dem Güter- und Personenfluss (Wiberg 1995: 177). Alle Regionen liegen in ihren Ländern auf unterschiedliche Art und Weise an der Peripherie wie es die BEAR auch im europäischen Kontext ist. “Periphery – whether a problem or an opportunity – is a basic issue in the context of the Barents Region.” (Joenniemi 1994: 219) Die Rahmenbedingungen für die Untersuchung werden daher erfüllt. Theoretischer Rahmen 2.3 10 Analysemodell des re-scaling Prozesses Zentral in der re-scaling Debatte sind die Kräfte, die den Prozess und das Funktionieren der entstandenen Institutionen vorantreiben. Perkmann (2005: 10ff.) schlägt folgende drei Dimensionen zur Beurteilung vor: • Political Mobilisation beschreibt die Formation einer sozialen Basis, welche der Kreation oder Transformation der Region zu Grunde liegt. Es geht dabei um die „drivers“ für die Institutionalisierung und Förderung der Region, welche grob in zwei Dimensionen eingeteilt werden können: bottom-up und top-down. Primary Interests werden als die gemeinsamen zentralen Interessen der Driver verstanden. • Governance Building bezieht sich auf die aufkommende Konstellation politischer Interessen und koordiniert die Entscheidungsfindung. Governance muss in einem breiten Sinn als Institution verstanden werden, inklusive Austausch, Hierarchien und Heterarchien. „CBRs do not have ‘governments’ but rely on voluntary co-operation within a context of pragmatically defined and mutually recognised set of rules.“ (Perkmann 2005: 13) • Strategic Unification bezieht sich auf die Konstruktion der neuen Skalen als Einheit für politisch-territoriale Interventionen. Diese bilden im Idealfall eine Verbindung der strategischen Interventionen und streben gemeinsam soziale und wirtschaftliche Prozesse an, deren Wirkung die Region betreffen. Dieses Analysemodell nimmt folglich an, dass Political Mobilisation Government Building und Strategic Unification auslöst und beeinflusst. 2.4 Hypothesen und Wirkungsmodelle Um aus dem deduktiven Vorgehen den passenden theoretischen Ansatz für den vorliegenden Fall zu finden, wird der Methode des „pattern matching“ nach Robert Yin (2003: 116ff.) gefolgt. Diese Logik vergleicht den zu untersuchenden Fall mit den auf rivalisierenden Theorien basierenden Modellen. Die beiden Theorien bilden also jeweils die unabhängige Variable der Haupthypothesen, welche daher möglichst exklusiv sein sollten. Die erklärende Variable wird mehrere unterschiedliche Ausprägungen oder ein Set an Events beinhalten, die unterschiedlich gemessen werden. Die abhängige Variable, die Struktur der grenzüberschreitenden Region, ist für beide Hypothesen synonym. Ein Wirkungsmodell legt die aus der Theorie postulierten Zusammenhänge eines Falles oder einer Auswahl an Fällen dar und entwickelt Wirkungshypothesen, die als Leitlinien zum Abfragen des Gegenstandbereichs dienen. Hypothese 1 widerspiegelt den Europe of Regions Ansatz. H1: Die Struktur der peripheren grenzüberschreitenden Region wird durch regionalistische Einflüsse gestaltet Theoretischer Rahmen 11 Hypothese 2 widerspiegelt den Europe of Mosaics Ansatz. H2: Die Struktur der peripheren grenzüberschreitenden Region wird durch staatszentrierte Einflüsse gestaltet Der Fragestellung nach wird der Prozess der Institutionalisierung der Region untersucht. Da sich im Falle von grenzüberschreitenden Regionen diese aus Subregionen verschiedener Länder zusammensetzen, wird der vorliegende Fall den Ländern nach in Units (Subregionen) aufgeteilt und untersucht (nach Gerring 2005: 344). Eine Unit setzt sich folglich aus mehreren Verwaltungseinheiten zusammen, die untereinander auch Varianz aufweisen können, diese werden aber nicht systematisch im Detail verglichen. Bei gewissen Wirkungshypothesen wird der temporale Aspekt untersucht, während bei anderen die Situation in den einzelnen Units betrachtet wird. Obwohl es sich dabei um Inputs aus verschiedenen Ebenen handelt, steht für deren Auswirkungen die Region als Fall im Zentrum. Wirkungsmodell H1 - Europe of Regions Political Mobilisation Primary interests: regionenzentrierte Interessen, Schaffung politischer Transparenz, eigene Ressourcenbasis in der peripheren Lage Drivers: • Subnationale Einheiten • Private Akteure • Minoritäten Governance Building Horizontales Netzwerk ausgelegt auf regionale Schwerpunkte, verbunden mit privaten Akteuren, basierend auf Paradiplomatie Die formell institutionalisierte Zusammenarbeit entsteht bottum-up und wird von subnationaler Ebene dominiert Strategic Unification Regionales Konzept mit dem Ziel einer regionalen policy agency, um Probleme der Peripherie anzugehen Bereits bestehende subnationale Verknüpfungen Periphere Lage der Grenzregion EU-Regionalprogramme Subeinheiten mit eigenen Kompetenzen oder Einfluss subnationaler Akteure auf der nationalen Ebene Wirkungshypothesen H1 1.1 Wenn Grenzregionen peripheren Charakters sind, dann wurde bereits früher auf lokaler Ebene über die Grenzen hinweg zusammengearbeitet Theoretischer Rahmen 1.2 12 Wenn Grenzregionen peripheren Charakters sind, dann verfolgen subnationale Akteure nicht dieselben Interessen wie die Nationalstaaten 1.3 Bereits bestehende regionale/lokale Verknüpfung verstärkt eine Mobilisierung subnationaler Akteure für CBC 1.4 Wenn subnationale Akteure mit regionenzentrierten Interessen zusammentreffen, stärken diese das horizontale Netzwerk 1.5 Fällt das horizontale Netzwerk mit einer Konstellation von eigenständigen Subeinheiten zusammen, dann entsteht formelle Zusammenarbeit, basierend auf dem funktionalen Raum 1.6 Wenn EU-Regionalprogramme unabhängig von zentralen Autoritäten umgesetzt werden, fördern sie die regionale Integration 1.7 Eine subnational organisierte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zielt auf ein Konzept mit starken Kompetenzen, um die Problematik der Peripherie anzugehen Wirkungsmodell H2 - Europe of Mosaics Governance Building Primary interests: Die eigenen peripheren Regionen zu stärken und an sich zu binden, vorbeugen der Peripherie–Problematik, Bildung von soft-security Drivers: Staatliche Akteure Aufkommender Regionalismus in peripheren Lagen Sicherheitspolitisch relevante Region Political Mobilisation Positivie bi-/multilaterale aussenpolitische Stimmung Die formell institutionalisierte Zusammenarbeit entsteht topdown und wird daher von nationalstaatlicher Ebene dominiert Horizontales Netzwerk ausgelegt auf nationale Interessenvertretung. regionale/lokale Durchführung Starke Nationalstaaten, wenig föderale/dezentrale Kompetenzen EU-Regionalprogramme Strategic Unification Loses regionales Konzept, das auf die jeweils nationalen, resp, supranationalen Ziele ausgelegt ist und schwach institutiona–lisiert bleibt Analytischer Teil 13 Wirkungshypothesen H2 2.1 Aufkommender grenzüberschreitender Regionalismus in peripheren Gebieten, der auf starke Nationalstaaten trifft, provoziert nationalstaatliche Mobilisierung für CBC 2.2 Wenn eine Subregion sicherheitspolitisch eine Rolle spielt, dann streben nationalstaatliche Akteure eine Zusammenarbeit an 2.3 Wenn nationalstaatliche Akteure mit regionalpolitischen Interessen bezüglich der Grenzregion zusammentreffen, dann entsteht eine von der staatlichen Ebene dominierte Zusammenarbeit 2.4 Positive aussenpolitische Stimmung in der Region unterstützt die Entstehung von staatlich dominierter Zusammenarbeit 2.5 Da die Drivers der Mobilisierung staatszentriert handeln, werden keine weiteren Kompetenzen an tiefere Ebenen vergeben 2.6 Wenn eine Organisation von nationalen Interessen dominiert wird, dann sind regionale Akteure die Bindeglieder zu lokalen Aktivitäten 2.7 Wenn die Region in EU-Regionalprogramme aufgenommen wird, dann werden Projekte von Nationalstaaten gesteuert, um das System zu stützen 2.8 Wenn nationalstaatliche Kräfte in der CBC dominierend sind, dann entsteht ein schwaches regionales Konzept Um eine grundlegende Datenbasis aufzubauen, wurde mit Dokumenten gearbeitet. Um die Schwächen dieser „Source of Evidence“ anzugehen und Insider-Informationen direkt involvierter Personen zu erhalten, wurden zusätzlich leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt. Interviews wurden mit jeweils mindestens einem Experten aus jeder Subregion sowie der zentralen Autorität durchgeführt. Die Interviewpartner sind vorwiegend in leitenden Positionen der Administration oder in Stabsstellen der jeweiligen Ministerien tätig. 3 3.1 Analytischer Teil Political Mobilisation Aus historischer Perspektive wurde die Region an der Barentssee durch unterschiedliche Einflüsse geprägt. Die Samis, welche seit jeher in allen Teilen der Barents Region verteilt leben, verkörpern noch heute das wohl symbolisch am stärksten verbindende Element der grenzüberschreitenden Region. In der Barents Region führt die Identifikation gegenwärtig oft über den Pomor-Handel (Austausch zwischen Einwohnern der Archangelsk Region und Nordnorwegen Teil, entstanden im 17. Jahrhundert), welcher die Möglichkeit praktischer grenzüberschreitender Zusammenarbeit aufzeigt. Die Relevanz und der Wert, um damit die heutige Entwicklung zu erklären, muss aber als limitiert angesehen werden, auch wenn Analytischer Teil 14 dieser Hintergrund oft von Politikern als Legitimation verwendet wird (vgl. u.a. Bailes 1999, Svenson 1998). Das frühere Desinteresse der Hauptstädte und die Distanz zu den nördlichen Regionen zeigen sich u. a. daran, dass beispielsweise die nördlichen Grenzen zwischen den Staaten erst sehr spät festgelegt wurden. Da die Samis bereits ab 1956 im nordischen Raum mit dem Sami Council organisiert waren und die Minoritäten auf der russischen Seite 1991 im Council offiziell aufgenommen wurden, war der Drang nach stärkerer Institutionalisierung von dieser Seite her eher gering. In den ersten Entwürfen für die Konzeption der Region wurden die Minoritäten ausgeklammert und erst nach Protesten integriert. Dies scheint jedoch keine Reaktion auf die bereits vorhandenen paradiplomatischen Beziehungen zu sein. Als Kompromiss wurde die permanente Arbeitsgruppe der indigenen Völker mit einem beratenden Status eingesetzt. Wie oben erwähnt, gab es abgesehen von den Samis kein ausgeprägtes und über längere Zeit anhaltendes Zusammengehörigkeitsgefühl über alle vier Regionen. Folglich kann nicht von übergreifendem Regionalismus die Rede sein, welcher eine nationalstaatliche Mobilisierung hätte auslösen können (Hypothese 2.1). Gemeinsame Wirtschaftszonen und Handel gab es in der näheren Vergangenheit, abgesehen von der Holzindustrie, nur wenige. (Joenniemi 1999: 36) Grundsätzlich existierten zwei Arten von Kontakten zwischen nordischen und Russischen Regionen: einerseits waren dies Austauschprojekte in den Bereichen Sport und Kultur und andererseits Hilfsprogramme. Einzelne Austauschprojekte haben auch trotz des Kalten Krieges stattgefunden, wie jenes von Energiekraftwerken am Passvik Fluss zwischen Norwegen und Russland (gegenseitige Hilfe bei Personal- und Energieengpässen). Die Paradiplomatie in der Region war folglich zwischen den nordischen Staaten und Russland unter dem Strich nicht sonderlich intensiv. Nach der Wende starteten verschiedene Kooperationen die sich speziell in der Hochschulzusammenarbeit auszeichneten. Der Einfluss der Peripherie auf die frühere Zusammenarbeit muss jedoch trotzdem als gegeben betrachtet werden (Hypothese 1.1). Das frühere institutionelle Setup muss in einem breiten Kontext betrachtet werden, da dies eine Voraussetzung für fruchtbare Zusammenarbeit darstellt: „The North has been the site of some of the earliest and most innovative efforts to create international regimes or governance systems to solve international problems“ (Young 2004: 5). Die Anfänge lagen im Themenbereich der natürlichen Ressourcen und des Umweltschutzes.11 Mit dem Hintergrund der alliierten Unterstützung im Zweiten Weltkrieg war Norwegen 1949 ein Gründungsmitglied der NATO. Obwohl der Konflikt von allem Lokalen losgelöst war, gab es keinen Platz für alternatives, pluralistisches Denken und daher kaum Raum für lokale Anliegen. „It became one of the most militarized areas in the world with a high level of tension and strict lines of 11 u. a. Svalbard-Vertrag (1920), Abkommen zum Schutze der Eisbären (1973) Analytischer Teil 15 territorial demarcation.” (Joenniemi 1999: 38f.) In dieser Zeit und unter der Schirmherrschaft des 1952 gegründeten Nordic Council wurde 1967 die Nordkalotten-Zusammenarbeit formalisiert.12 Die Zusammenarbeit beschränkt sich auf rein lokale Interessen und Aktivitäten. Frühere Formen der CBC, meist paradiplomatischen Charakters, haben zwar eine gute Grundlage für die Mobilisierung zur verstärkten Institutionalisierung geschaffen, trotzdem ging eine Formalisierung der Zusammenarbeit im ganzen Barents-Kontext nicht von der regionalen Ebene aus (Hypothese 1.3). Das bereits bestehende internationale Setup wirkte aber unterstützend für die Kirkenes Deklaration und stellt für die engeren Zusammenarbeit eine gute Basis dar (Hypothese 2.4).13 Noch vor dem Fall der Sowjetunion legte Mikhail Gorbachev 1987 einen Grundstein für die zukünftige Kooperation. Im Zuge der Perestroika forderte er u.a. vermehrt die „Northern Sea“ Route freizugeben, eine nuklearfreie Zone zu schaffen und die mögliche Kooperation in der Ressourcenfrage der Barentssee zu klären (Gorbachev 1987). Es war der Fähigkeit des norwegischen Aussenministers Stoltenberg zu verdanken, nationale und internationale politische Agenden neu zu definieren (Young 1998: 43). Der top-down Mobilisierung folgte die Gründung eines ministerialen Councils und eines Councils der Regionen (Erläuterung in Kap. 3.2). Welche Themen und primären Interessen in den Ländern resp. den unterschiedlichen Ebenen dabei ausschlaggebend waren, wird in den folgenden Abschnitten erläutert. Aus heutiger Sicht des Aussenministeriums in Norwegen waren durch die Veränderungen in Russland 1993 drei Punkte, die in Wechselwirkung zu einander standen, zentral. Erstens sollte die regionale Integration den politischen Willen für eine gute Zusammenarbeit ausdrücken und dadurch auch den Frieden und die Stabilität fördern. Zweitens wollte man der Europäischen Union, mit welcher man anfangs der 90er Jahre in Verhandlungen war, und auch den Regionen zeigen, dass die nördliche Peripherie im Land integriert sein sollte. Drittens wollte man sich ein „window of opportunity“ nach Russland schaffen. „It is in our interest that not all the money is collected and spent in Moscow and St. Petersburg. It is in our interest to develop a market and a demand. The more equally you distribute wealth – the more stability it brings.“ Das Interesse der norwegischen Regionen war sehr präsent, da man sich ebenfalls einen Aufschwung erhoffte. Die Regierung Schwedens hatte durch die Veränderungen in der Sowjetunion die Vision einer Mediationsplattform. Eine Verschiebung der Idee der Umverteilung als traditionelle Regionalpolitik zu verstärkter regionaler Autonomie stand zu jener Zeit keineswegs zur Debatte. Da sich Schweden mit der Baltic Sea Region eher nach Süden ausgerichtete, war der Enthusiasmus gegenüber BEAR eher gering. Aus der Erfahrung in der Baltic Kooperation 12 13 Mitglieder: Subregionen über dem Polarkreis in Finnland, Schweden und Norwegen Nicht zuletzt war dies ein Grund dafür, dass sich Schweden und Finnland trotz unterschiedlicher Interessensausrichtungen nicht gegen die norwegische Initiative stellen konnten. Analytischer Teil 16 wurde die Idee im Aussenministerium jedoch nicht negativ aufgenommen. Die beiden Regionen sahen mit der Mobilisierung der Region die Chance verstärkter Kooperation, welche der Holzindustrie und dem Grubengeschäft helfen sollte. Die schwedischen Subregionen übten kaum Druck auf ihre Regierung aus und nahmen auch innerhalb des Landes eine eher passive Rolle ein (Young 1998: 157). Für Finnland kam die Mobilisierung zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit zum falschen Zeitpunkt. Die Finanzkrise der frühen 1990er Jahre war allgegenwärtig und das Interesse konzentrierte sich ebenfalls stark auf die Kooperation mit den baltischen Staaten (Young 1998: 154). Zudem war die Regierung in Helsinki eher skeptisch gegenüber der Idee der starken Einbindung regionaler Autoritäten. Finnland selbst hat die Zusammenarbeit mit Nordwestrussland mit Fokus auf den Umweltschutz bereits früher im Rovaniemi Prozess geregelt. Die Regionen selbst erhofften sich durch den Fokus auf den Norden bessere Bedingungen im Bereich der Wirtschaft, des Transports und Grenzverkehrs. Die federführende Person in Russland war der Aussenminister der Jelzin-Administration, Andrey Kozyrev. Auch ohne offizielle Dokumente wird angenommen, dass Jelzin die Kooperation unterstützte, da man sich davon eine bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit erhoffte. Von Anfang an war klar, dass man kaum über finanzielle Mittel zur Förderung der CBC verfügen würde. Trotzdem wird Russland mit seiner positiven Einstellung als Antriebskraft für die Barents Initiative angesehen. Nach dem Fall im Jahre 1991 mussten die Regionen vorerst um ihren Status innerhalb Russlands kämpfen. Die Wirtschaft und die Eliten erhofften sich mit der BEAR schnelle Investitionen seitens der drei reichen Nachbarn. Mit den Beitrittsverhandlungen der nordischen Staaten zu Beginn der 90er Jahre realisierte die Europäische Union, dass die nördliche Peripherie vermehrt ins Zentrum rücken wird.14 Mit der Erfahrung der Integration der baltischen Staaten hat die EU zudem gemerkt, dass die Förderung der Regionalisierung den europäischen Einfluss stärkt und so Grenzprobleme nicht direkt in die EU integriert werden (Masegosa 1998: 34f.). Trotz diesen Interessen lässt sich ihr Einfluss der EU als eher gering einschätzen. Zusammenfassend sind die unterschiedlichen Interessen zwischen den Ebenen vor 1993 bezüglich der Zusammenarbeit in der Barents Region nicht eindeutig zu eruierben: verschiedene intervenierende Variablen wurden jedoch ersichtlich. Zu erwähnen gilt es den Kalten Krieg und die schwache Ausprägung der föderalen Strukturen. Hierdurch entstanden kaum Möglichkeiten, die regionalen Interessen gegen denjenigen der nationalen Regierung zu formalisieren (Hypothese 1.2), während in den nordischen Staaten die soziale Umverteilung vom Zentrum hin zur Peripherie eine zusätzliche Abhängigkeit schuf. Auch wenn die 14 Die nördliche Politik der EU konzentrierte sich auf kleinere Projekte wie auf das Abfallproblem in St. Petersburg, was für die BEAR jedoch nicht von Nutzen war. Weiterführend zur Politik der EU in diesem Zusammenhang: Myrjor 2003. Analytischer Teil 17 regionalpolitischen Interessen in den Units unterschiedlich und nicht das wichtigste Element waren, können die Nationalstaaten als primäre Driver bezeichnet werden (Hypothese 2.3). Einige heikle Punkte in zwischenstaatlichen Angelegenheiten bleiben aufgrund der sicherheitspolitischen Relevanz der Region ausserhalb der Kooperation.15 Das BEAC sollte demnach eher eine Plattform für soft-security schaffen. Daher ist es wenig erstaunlich, dass die Schaffung eines Rahmens für die CBC von staatlicher Ebene ausging (Hypothese 2.2). Trotz der top-down Institutionalisierung ist das Hauptziel aber nicht - wie im Europe of Mosaics Modell - die Bindung der eigenen Peripherien. Wenn eine zurückbindende Wirkung der Regionen existiert, dann beschränkt sich diese Haltung auf die Aussenpolitik. Die Reaktion richtet sich nicht gegen aufkommenden Regionalismus, wie er von Europe of Regions proklamiert wird. Das Modell von Europe of Mosaics müsste im Bereich der politischen Mobilisierung in einer Weise angepasst oder ergänzt werden, dass Regionalismus in umverteilenden Sozialstaaten weniger in den peripheren Gebieten aufkommt, und sich daher die Mobilisierung nicht gegen einen solchen richtet. Vermehrt entstand bei der Erörterung der Interessen der Anschein einer alliierten Position der Regionen zu den zentralen Regierungen. 3.2 Governance Building “The structures created around the Barents Region are characterized by a duality between central and regional authorities. The overall arrangement is clearly multi-layered and rather complex.” (Joenniemi 1999: 25) In diesem Kapitel gilt es diese duale Struktur, welche durch die Machtverhältnisse und formellen wie auch informellen Gesetze der Zusammenarbeit geprägt wird, auf die Fragestellung hin zu untersuchen. 3.2.1 Institutionalisierte Zusammenarbeit Die Arbeitsgruppen des Barents Councils (BEAC) sind auf permanenter Basis tätig und vom Committee of Senior Officials (CSO) mandatiert. Die zehn Arbeitsgruppen konzentrieren sich auf regionale Themenfelder. Die Aufteilung der Arbeitsgruppen auf zwei Ebenen nimmt jedoch langsam ab und man verfolgt vermehrt eine gemeinsame Strategie wie von Personen auf beiden Ebenen bestätigt wurde: “We realised that we cannot have one policy on the central level and one on the regional level. The central level must still take many of the decisions.” Durch diesen eingeschlagenen Richtungswechsel ist noch unklar, ob damit die Effektivität zu Lasten des Einflusses der regionalen Ebene zunimmt, oder ob sich diese dadurch mehr Gehör verschaffen können. Gemachte Erfahrungen einzelner Arbeitsgruppen zeigen jedoch, dass die Arbeit sehr ausgeglichen ist. Entscheide werden im Konsens gefällt, während die Geldmittel meist von der nationalen Ebene verwaltet werden. Verglichen mit den 15 beispielsweise sind Fragen bezüglich der nuklearen Sicherheit sowie von Ressourcen wie Öl, Gas und Fisch nicht integriert, zumindest nicht offiziell, auch wenn die Themen am Rande und informell behandelt werden. Speziell die Grenzfrage, in einem ressourcenreichen Teil der Barentssee, ist durch unterschiedliche Ansichten bezüglich der Grenzfestlegung zwischen Norwegen und Russland weiterhin ungeklärt. Analytischer Teil 18 anderen Arbeitsgruppen liegt der Unterschied der bei Arbeitsgruppe der indigenen Völker neben ihrer operativen Tätigkeit darin, dass sie je einen Repräsentanten in beide Councils delegieren kann. Die Idee hinter der operativen Tätigkeit ist das Anheben des Lebensstandards der indigenen Bevölkerungsgruppen auf russischer Seite. Exkurs I: Die Organisation und Struktur der Barents Euro-Arctic Region Barents Euro-Arctic Council (BEAC) Das BEAC ist das Forum für zwischenstaatliche Kooperation in Themenfeldern, welche die ganze Barents Region und Bereiche von „high politics“ betreffen. Committee of Senior Officials of the Barents Euro-Arctic Council (CSO) Zwischen den Meetings des BEAC auf Aussenministerebene ist die Arbeit durch das Committee of Senior Officials (CSO) organisiert. Das CSO setzt sich aus Verwaltungsbeamten der Regierungen und der europäischen Kommission zusammen. Die Arbeitsgruppen berichten jährlich dem CSO, welches anschliessend auch die neuen Leitlinien und Programme bekannt gibt. Barents Regional Council (BRC) Das Barents Regional Council bringt 13 Regionen und einen Repräsentanten der indigenen Bevölkerung zusammen. Das Regional Council hat dieselbe Zielsetzung wie das BEAC: Förderung, Unterstützung und Weiterentwicklung der Barents Region. Das Gründungsprotokoll legt die Strukturen und das generelle Ziel der regionalen Kooperation fest. Die täglichen Geschäfte und die Treffen werden vom Regional Committee vorbereitet. Das Regional Committee besteht aus Beamten welche von jeder Region delegiert werden. Aktuel gibt es sechs Arbeitsgruppen in den Gebieten Informationstechnologie, Kommunikation, Kultur, Umwelt, Jugend und wirtschaftliche Kooperation. Zusammen mit der Arbeitsgruppe für „Indigenous Peoples“ (Samis, Nenets und Vepsians), welche einen beratenden Status zum BRC wie auch zum BEAC hat, gibt es vier gemeinsame Arbeitsgruppen (Gesundheit und Soziales; Bildung und Forschung; Energie; Informations- und Datenkooperation). Quelle: Offizielle Internetseite Barents Euro-Arctic Region Die Finanzierung der Council-Meetings ist Sache des jeweiligen Vorsitzes. Die Aufteilung der Kosten für Aktivitäten und Programme muss vorgängig abgeklärt werden. Ebenfalls auf regionaler Ebene wird das Budget von den Zentralregierungen getragen (Pettersen 2002: 95). Allgemein lässt sich sagen, dass bei der Finanzierung der Projekte, für welche vorwiegend die Staaten direkt oder indirekt über die Regionen verantwortlich sind,16 Norwegen klar den stärksten Zahler darstellt. In Finnland wird das Budget eher zugunsten des BEAC aufgestellt. Die Finanzierungsfrage ist in Russland (noch) kein Thema, doch gerät das Land zunehmend unter Druck, da es durch das wirtschaftliche Wachstum fähig wäre, zumindest einen gewissen Teil beizutragen. Um die finanzielle Unabhängigkeit der Regionen zu stärken, setzte sich Västerbotten 2003 stark für eine Teilnahme der BEAR am Interreg Programm der EU ein.17 Das Geld aus den Interreg- und Tacis-Töpfen18 ist praktisch die einzige 16 17 im Falle Norwegens wird dies durch das Barents Secretariat abgewickelt. Die Steuerung des Sekretariates übernehmen die drei nördlichsten Regionen. Die Finanzmittel sind dadurch primär in regionalen Händen, zudem stark institutionalisiert und nicht rein projektabhängig. Die russischen Regionen werden durch das ENP (European Neighbourhood Programme) eingeschlossen. Vorwiegend profitieren von den EU-Geldern private Firmen und Bildungsinstitute, die grenzüberschreitende Projekte verfolgen. Analytischer Teil 19 Quelle, die direkt der regionalen Kooperation zugute kommt, um die ökonomische und soziale Kohäsion über die Grenzen hinweg zu fördern. Im Falle von Interreg-Kolarctic ist der Begleitausschuss, der für die Vergabe von Unterstützungsgeldern an Projekte verantwortlich ist, entgegen den postulierten Erwartungen (Hypothese 2.7) regional geprägt. Die nationale Ebene gibt so durch die Stärkung der Regionen zu einem gewissen Grad wider erwarten (Hypothesen 1.6) Kompetenzen nach unten ab. Ängste auf den nationalen Ebenen, dass ihnen mit diesem Geldtransfer direkter Einfluss auf die regionale Ebene verloren geht, sind laut Aussagen dem norwegischen Aussenministerium nicht vorhanden: “Interreg money is not that important[...]. Even though Interreg is on the margin, it is focusing cross-border issues, and these issues are becoming more interesting for more people.” Bei der Gründung des Regional Councils 1993 wurde festgehalten, dass die Region mit dem Vorsitz des Regional Committees ein Sekretariat für die Förderung und Absicherung der laufenden Arbeit unterhalten soll. Entgegen der verbreiteten Annahme handelt es sich beim Barents Sekretariat in Kirkenes nicht um ein internationales Sekretariat, sondern um die Stabsstelle des ersten Amtsvorsitzes im BRC. Seit dieser Amtszeit unterstützt die Institution die norwegischen Vorsitze und sammelt und verwaltet das Geld für Projekte (Pettersen 2002: 30). Auf russischer Seite werden daraus verschiedene Informationsbüros unterhalten, welche die Projekte gemeinsam verfolgen und die Kontakte zu den Autoritäten pflegen.19 Obwohl das Sekretariat vorwiegend regionale Ziele verfolgt, stärkt es damit die Position von Norwegen in Russland und fördert das Wohlwollen, welches gerade bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich der natürlichen Ressourcen sehr hilfreich sein kann. Ein gemeinsames Sekretariat gibt es trotz Diskussionen bis anhin noch nicht. Funktionale Beziehungen über die Grenzen hinweg gilt es mit der Kirkenes Deklaration zwar auszubauen und zu fördern; ausschlaggebend für den Prozess zur formalen Institution waren diese aber nicht. Da die gegenwärtige BEAR folglich nicht natürlich bottom-up entstanden ist und nicht mit eigenständigen Subeinheiten zusammenfällt, nimmt des horizontalen Netzwerkes für den vorliegenden Fall keine zentrale Position ein (Hypothese 1.5). 3.2.2 Das Verhältnis zwischen den Councils Die regionale Ebene soll laut Kirkenes Deklaration eine führende operative Rolle mit Verantwortung für die Durchführung der Projekte auf regionaler Ebene einnehmen. Auch wenn das BRC eine eigene Agenda verfolgt, wird die übergreifende Agenda für die BEAR vom BEAC ausgearbeitet. Auf offizieller Ebene sind die Kompetenzen klar getrennt: zentrale politische 18 Wie Interreg ist Tacis (Technical Aid to the Commonwealth of Independent States) ein EU Kohäsionsprogramm. Tacis hat das Ziel, Demokratisierung in Zentral- und Osteuropa durch die Finanzierung von Projekten zu fördern. 19 Mit der finanziellen Unterstützung des norwegischen Sami Parlaments wurde ein Barents Indigenous Office in Murmansk aufgebaut, welches für die Umsetzung von Projekten und die Förderung der Partizipation der indigenen Völker im russischen Teil der Barents Region. Analytischer Teil 20 Entscheide sind auf der nationalen und die praktische Arbeit auf der regionalen Ebene angesiedelt. Innerhalb vom Tätigkeitsbereich des BRC entstehen kaum Konflikte, da keine Beschlüsse gefasst werden können, welche Gesetze tangieren oder bindenden Charakter erhalten. Weiterhin hat bei Konflikten zwischen den Ebenen, wie auch bei heiklen Themen, das BEAC durch die Finanzhoheit das letzte Wort. Die Auffassung der Unabhängigkeit, speziell des BRCs gegenüber dem BEAC, ist in den vier Ländern jedoch stark abweichend, und daher ist das agenda-setting in den Ländern und deren Regionen elementar. Die regionalen Administrationen in Norwegen fühlen sich in ihrer Arbeit sehr autonom, da sich die Vertreter unabhängig in den formalen Körperschaften einbringen können. Die nationale Ebene verfügt nicht über die Legitimität, sich in die Umsetzung regionaler Themen einzumischen. Eine allgemeine Strategie gegenüber den Councils wird laufend gemeinsam erarbeitet. In Schweden und Finnland gestalten die Aussenministerien mit Einbezug der relevanten nationalen Ministerien die Politik gegenüber dem BEAC. Die Regionen koordinieren daher ihre Politik zuerst mit dem Aussenministerium wie der finnische BRC Vertreter unterstreicht: „It is definitely useless to go the institutional-organisational way to the 13 members of the Regional Councils and all have their own opinion themselves. It is important to be in the same lane as our government“. Die Politik Russlands gegenüber den Körperschaften der BEAR wird vom Aussenministerium in Moskau festgelegt und dominiert, was durch die Ignoranz gegenüber den regionalen Autoritäten und deren Know-how zu einem eingeschränkten Blickwinkel führt. Die Regionen müssen versuchen, ihren Handlungsspielraum im BRC auszuschöpfen, um so das Geschehen mitzusteuern. Wie sich nun zeigt, ist die regionale Ebene der Zusammenarbeit das Bindeglied der staatlich gesteuerten Kooperation zu der physischen Region (Durchführung der Projekte) und hat einen relativ geringen Einfluss auf die richtungsweisende Politik (Hypothese 2.6). Allgemeine strategische Beschlüsse und die Politik gegenüber der EU20 werden auf dem Niveau des BEAC festgelegt, während sich das BRC - die operative Ebene - mit der Aufrechterhaltung eines starken interregionalen Netzwerkes befasst, wie dies auch im Modell von Europe of Mosaics vorgesehen ist. Die Schaffung eines regionalen Councils und die Strukturierung von Abläufen stellen jedoch gewisse Widersprüche gegenüber diesem Modell dar: so wurde die Region in einer Weise konstruiert, dass eine stärkere Integration erwünscht ist (Hypothese 1.4). Die Schaffung eines regionalen Councils stellt für eine grenzüberschreitende Kooperationsform zwar ein Novum dar, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Zügel der Zusammenarbeit weiterhin in den Händen der staatlichen Akteure bleiben. 20 Die Interessenvertretung durch Lobbying für ein starkes Northern-Dimension Programm der EU wird vorwiegend direkt von beiden EU-Mitgliedstaaten übernommen. Analytischer Teil 3.2.3 21 Innerstaatliche Machtbalancen und Kompetenzverschiebungen In der vergleichenden Politikwissenschaft werden die nordischen Staaten im Aggregat oft mit dem „Nordic Model of Government“ in Verbindung gebracht. Meist wird dieses Modell mit dem speziellen Typ liberaler Demokratie und einem starken Wohlfahrtsstaat charakterisiert (Arter 1999: 4). Den gegenüber steht Russland als sehr junge Präsidialrepublik. Trotz diesen institutionellen Voraussetzungen und ähnlichen Wirtschaftsstrukturen der nordischen Staaten lassen sich im Vergleich jedoch Unterschiede feststellen. „The Nordic states exhibit important lines of inter-regional variation. They may all be rabbits or stones à la Sartori, but there are a range of distinguishing features.“ (Arter 1999: 5) Lokal folgen die Staaten mit unterschiedlicher Ausprägung einerseits dem Prinzip von „local self-government based on the interdependence of locality to decide matters of importance“ (John 2001: 30) wie auch dem Prinzip, dass die lokale Politik ihre Interessen gegenüber der zentralen Ebene vertritt. Es zeigt sich aber, dass die finnischen und schwedischen Regionen weniger Erfahrung mit Kompetenzen auf subnationaler Ebene haben als die norwegische Seite (Bærenholdt 2002: 39).21 Russland ist im Vergleich ein Flickwerk regionaler Strukturen; bestehend aus Oblasts, Okrugs, Krays und unabhängigen Republiken auf ein und derselben Ebene. In allen Regionen hat es Vertretungen des Präsidenten und der Ministerien. Unter denselben Konstrukten existieren jedoch grosse Varianzen bezüglich Kompetenz und Autonomie. Allgemein fanden in den vier Ländern keine rechtlichen Verschiebungen von Kompetenzen zu den Regionen statt, die direkt auf die Erfahrungen der Barents-Zusammenarbeit zurückzuführen sind. Dies, obwohl man sich zu Beginn explizit für die vermehrte Transferierung von Verantwortung an die tieferen Einheiten ausgesprochen hat.22 Schlussendlich stellt sich die Frage, ob die Regionen den konkurrierenden Theorien nach eher autonom und unabhängig von den nationalen Zentren handeln können, oder ob sie durch den ganzen Barents Prozess nun mehr in ihre eigenen Länder integriert wurden. Bedeutende Schritte in Richtung der Stärkung der regionalen Regierungen fanden in Norwegen erst seit wenigen Jahren und im speziellen seit dem Amtsantritt von Premierminister Stoltenberg im Oktober 2005 statt. Die Thematik ist nun viel höher auf der Prioritätenliste der Regierung, nicht zuletzt wegen High-Politics Themen wie dem Grenzstreit mit Russland, den Ressourcen und den Statusfragen der Arktis. In Oslo herrscht nun vermehrt die Auffassung, dass viele Aufgaben die den Norden betreffen, von den nördlichen Administrationen besser beurteilt und gelöst werden können (Støre 2005). Der Finanzfluss an das Barents Sekretariat, gibt den Regionen zusätzlichen Spielraum für ihre Aussenpolitik. Kontakte zwischen den beiden Ebenen verlaufen im Rahmen von BEAR meist sehr konstruktiv und 21 Zusätzlich verfügen die peripheren Regierungsbezirke Norwegens im Repräsentantenhaus über mehr Mandate als die zentralen Bezirke im Osten (Baldersheim 2005: 764). 22 Eine Idee dahinter war, dass sich die Staaten so vermehrt um europäische Anliegen kümmern können. (Joenniemi 1999: 28) Analytischer Teil 22 direkt zwischen den regionalen Administrationen und dem Aussenministerium.23. Wohl nicht zuletzt wegen der starken Zentralisierung des norwegischen Finanzhaushaltes, hat man laut Aussenministerium nicht befürchtet, dass die Regionen zu grosse Unabhängigkeitsgelüste entwickeln würden: „That the region would grow too much together, I have never seen that as an issue – rather the problem that the region did not grow as […] deep together as expected. In fact, even if we loose control, it could be beneficial for the regions and the country.“ Die Entwicklung muss man daher als dual beschreiben: einerseits sind die Regionen in einem gewissen Masse eigenständiger geworden, und andererseits haben sie sich eine stärkere Stellung im nationalen Gefüge erarbeiten können. Aus regionaler Sicht wird die Machtbalance in Schweden immer vom Kampf um finanzielle Unterstützung geprägt. Die Barents-Zusammenarbeit hat sich jedoch auch auf staatlicher Ebene zunehmend etabliert, nicht zuletzt durch neu geschaffene „governmental hearing papers“. Die grenzüberschreitende regionale Kooperation hat aber auch in Stockholm stärkeres Interesse geweckt wodurch vermehrt Unterstützung gesprochen wurde. Da Russland speziell stark im Zentrum der Kooperation steht, zögert das Aussenministerium mit der Kompetenzverschiebung an die Regionen. Die regionale Vertretung Västerbottens sieht folgendes Dilemma als Grund dafür: “It is exclusive to work with Russia. Regional cooperation means involving municipalities and regions and from a diplomatic point of view this is not uncomplicated. To generalize: they tried to keep regional foreign policy as low as possible.” In den andern schwedischen Grenzregionen ist das „diplomatische“ Risiko in den Augen des Aussenministeriums einiges geringer. Die nördlichen peripheren Gebiete in Schweden stehen zudem klar hinter dem Konzept eines starken Staates, der viele Mittel für die Umverteilung aufwirft, während ökonomisch starke Gebiete nicht zuletzt deshalb verstärkt die Autonomie suchen.24 Auch ohne rechtliche Veränderungen im Mächtegleichgewicht zwischen den Ebenen haben Väster- und Norrbotten erreicht, dass sie vermehrt im Fokus Stockholms stehen. Zur Zeit der Kirkenes Deklaration wurde in Finnland eine Neuordnung der regionalen Einheiten durchgeführt, nach welchen die neuen Regionen in beschränktem Umfang internationale Fragen behandeln können. Die Barents-Zusammenarbeit hatte jedoch keinen direkten Einfluss darauf. Obwohl die drei Regionen im Rahmen der BEAR immer noch stark vom Aussenministerium abhängig sind und sich oft über mangelnde Unterstützung beklagen, hat sich die Kooperation zwischen den Ebenen in Finnland stark verbessert. Dies ist speziell im Vergleich mit anderen Policy Feldern und anderen Ministerien erkennbar. Die Regionen können sich vermehrt informell, mittels Lobbying, auf nationaler Ebene einbringen. Dafür 23 Das Aussenministerium bündelt die Inderessen in der Barents Group, welche verantwortlich für die interne Koordination auf nationaler Ebene ist. Früher gab es direkte Verbindungen zwischen den Regionen und den einzelnen Ministerien. 24 Ähnliche Phänomene sind beispielsweise in Deutschland und Italien zu beobachten. Analytischer Teil 23 zeichnen sich Leute aus, die sich stark mit der Barents-Zusammenarbeit identifizieren, sich über längere Zeit einsetzten und sich so neben den interregionalen Kanälen auch gute Verbindungen zum Aussenministerium verschaffen konnten. Aus dieser vertieften Einbindung der Regionen in das Policy-making des Aussenministeriums kann man ableiten, dass sich die finnischen Subregionen, trotz einer weiterhin stark zentralistischen Staatsführung, vermehrt auf nationaler Ebene einen Vorteil verschaffen konnten und somit stärker integriert sind. In der jungen Geschichte Russlands als Demokratie hat sich die föderalistische Struktur stark und unregelmässig entwickelt: “One of Putin’s first goals as president was to restore the primacy of the centre within the federal structure. […] The federal subjects have become more streamlined, reproducing the same political trends and patterns seen at the federal level.” (Brunstad 2004: 75f.) Im Sommer 2006 wurde von der Duma zudem ein Gesetz erlassen, nach welchem der Präsident einzelne regionale Gouverneure eigenständig entmachten darf (Troshkov 2006).25 Dies zeigt die Volatilität des russischen Systems auf, oder in Worten eines russischen Mitarbeiters des Barents Sekretariats: „It raises and falls all with the president. By the state everything is made in such a way to keep under control.“ Die Regionen in Nordwestrussland konnten sich, nur schon durch die Zugehörigkeit zum Barents Regional Council, grössere Möglichkeiten als andere Regionen erarbeiten, auch wenn ihr Handlungsspielraum weiterhin stark eingeschränkt ist. Im Falle der Verwaltung und Förderung von Ressourcen wie Gas und Öl wurden jedoch weiterhin keine Kompetenzen nach unten abgetreten: „the regional administrations will be left with power over sand and clay“ (Staalesen 2004). Die politischen Eliten in diesen Regionen konnten sich durch die BarentsZusammenarbeit einen breiteren Handlungsspielraum eröffnen, und dies in einer Zeit, in der die finanziellen Ressourcen aus Moskau immer kleiner wurden (Baev 1994: 180). Die Verbindungen zwischen den Ebenen konnten sich allgemein betrachtet im letzten Jahrzehnt trotz allem verbessern. Obwohl es auf Grund der Barents-Zusammenarbeit in keinem Land staatsrechtliche Kompetenzverschiebungen gab, konnten sich die beteiligten Regionen in den nordischen Ländern klare Vorteile verschaffen, speziell durch verstärkten Einfluss im Agenda-setting der Aussenministerien (Hypothese 2.5). Föderal ist das russische System noch zu volatil und zu hierarchisch, als dass tiefer liegende Ebenen den Einfluss in Moskau hätten vergrössern können. Es kann zusammengefasst werden, dass, obwohl verschiedene Faktoren wie Interreg und ein gewisser Spielraum das regionale Netzwerk stärken, die Ebene des BRCs als opera- 25 Im Falle von Nordwestrussland ist im speziellen die Region Nenets zu nennen, welche durch die Entdeckung von Erdölvorkommen an Status einbüsste, während Karelia durch „good-ruling“ von Moskau mit Privilegien belohnt wurde. Analytischer Teil 24 tive Einheit des BEACs folglich eher dem Modell von Europe of Mosaics entspricht. Die Regionen aller vier Länder stehen zwar in einem anhaltenden Kampf mit der staatlichen Ebene bezüglich der finanziellen Unterstützung, grundsätzlich jedoch lässt sich das Verhältnis zwischen den Regierungen und den Regionen eher als kooperativ denn als konfliktreich beschreiben. 3.3 Strategic Unification Durch die Dominanz des Europe of Mosaic Ansatzes in den beiden Vorkapiteln kann angenommen werden, dass die Staaten dem Modell nach für ein loses regionales Konzept, mit nationalen Zielen und schwachen Institutionen einstehen. Die Ideen und Visionen über die Zukunft der Barents Region gehen stark auseinander. Speziell gut ersichtlich wird dies an der Diskussion über ein internationales Sekretariat. Bis anhin konnte man sich noch nicht auf den Rahmen einigen, in dem dieses Sekretariat aufgebaut werden soll. Die unterschiedlichen Ansichten und Bedingungen zum Sekretariat, aber auch zu einer breiteren Zukunftsstrategie, werden in diesem Kapitel genauer erläutert. Die Regionen in Norwegen erhoffen sich durch den Schritt zu einem internationalen Barents Secretariat eine Stärkung der regionalen Ebene, und im Speziellen, dass die Regionen in Russland unabhängiger werden. Eine mögliche Selbstverwaltung der natürlichen Ressourcen könnte eine Folge daraus sein. Diese verstärkte Funktionalität der Region steht in der Stossrichtung des Aussenministeriums. Mit der Strategie der informellen Bindung auf staatlicher Ebene und multiplen Instrumenten erhofft sich Oslo, einen positiven Einfluss auf Russland ausüben zu können, und dadurch Vorteile für Norwegen und BEAR, zu erarbeiten. Die Zusammenarbeit soll aber mit klaren Zusicherungen aller Seiten gefestigt werden. Aus regionaler Sicht möchte man in Schweden klar die unternehmerischen Tätigkeiten mit Interreg fördern. Projekte, die auch ins Barents 2010-Programm (siehe unten) einfliessen, werden als wichtiger erachtet als ein internationales Sekretariat, welches man zwar grundsätzlich als unterstützenswert empfindet, an einer positiven Umsetzung aber weiterhin zweifelt. Man sieht das Risiko, dass durch die finanzielle Macht Norwegens primär die norwegische und die russische Seite profitieren würden. Die regionale Integration gilt es zwar zu fördern; der Höchstgrad an Formalisierung ist laut dem Aussenministerium jedoch erreicht: „You want to formalize the Barents Cooperation? Is it possible to formalize it even more?“ Durch die Dominanz der nationalen Ebene in Finnland sind die Ideen der zukünftigen Ausrichtung der BEAR sehr einheitlich. Gegenüber einem internationalen Sekretariat nahm man, ähnlich wie in Schweden, auf nationaler Ebene immer eine ablehnende Haltung ein. Der Grund dafür liegt bei der Passivität der Regionen, welche ein Sekretariat zwar überbrücken könnte, nach der finnischen Vertretung im BRC nicht aber die erwartet nachhaltige Effizienz brächte: „That is like starting from the wrong end of the problem! We see it like a Analytischer Teil 25 chain and the chain is as strong as the weakest link. The Norwegian answer is to strengthen the strongest link, […] it would be wise to do it vice versa.” Ähnlich wie in Schweden sollte in Zukunft die Zusammenarbeit speziell im Policy-Feld der Wirtschaft intensiviert werden, mit verstärktem Blick auf den russischen Ressourcenreichtum. Durch ihre klar negative Haltung gegenüber einem internationalen Sekretariat, aber mit ihrem Engagement für Barents 2010 und die Northern Dimensions, bezieht Finnland eindeutig Position für eine starke Region, die aber nicht auf bindenden Abkommen beruht. Über die Pläne für BEAR, welche in Russland resp. Moskau verfolgt werden, konnten kaum Erkenntnisse gewonnen werden. Das Verhalten des Aussenministeriums in den letzten Jahren lässt eine eher passive Position erahnen, solange sich die russischen Regionen an Moskaus Regeln halten. Die nationale Ebene hat jedoch erklärt, einen klaren Weg zu suchen und Abläufe zu optimieren (z.B. bezüglich ausländischen Investitionen, Grenzformalitäten etc.). Eine aktivere Kooperation erhoffen sich die Regionen in Russland speziell hinsichtlich der Finanzierung von Projekten. Durch den fehlenden Finanzfluss aus Moskau sind die Regionen stark auf die norwegische Unterstützung angewiesen, um aktiv an Projekten partizipieren zu können. Das Aussenministerium und im speziellen die Regionen in Russland unterstützen die Idee eines internationalen Sekretariates, obwohl man sich zur finanziellen Beteiligung in Russland nicht in der Lage sieht. Die beiden Councils als Foren für den Austausch werden von allen Parteien unterstützt und sollen weiterhin eine gute Basis zur Förderung von Soft-Security schaffen. Barents 2010 ist ein Programm, welches vom Interreg IIIB Programm „Baltic Sea“ finanziert wird. Der Steuerungsausschuss entspricht praktisch dem BRC. Die Idee dahinter ist die Entwicklung einer multilateralen Strategie und die Erarbeitung eines Action Plans für eine Fünfjahresperiode bis 2010 in Verbindung mit Mandaten der institutionalisierten regionalen Zusammenarbeit. Das Projekt ist auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet, ähnlich den schwedischen und finnischen Primärzielen: The overall objective of the Barents 2010 strategy is to generate economic growth and social development by a knowledge-driven and sustainable exploitation of the region’s natural resources and to make the Barents Region competitive...“ (Barents 2010: 1) Die Voraussetzungen, dass die Kooperation auf Freiwilligkeit basiert, werden von der Kirkenes Deklaration übernommen. Nach Young (2004: 140) ist eine übergreifende Strategie aber auch aus diesem Programm kaum ersichtlich. Da die Finanzierung extern geregelt werden konnte und das Programm keine weitere Formalisierung mit sich bringt, folgt es der Vorstellung einer zunehmend funktionalen Integration der Region. Durch die Finanzierung mit Interreg IIIB ist Barents 2010 nicht wie die meisten Projekte in der Region abhängig von norwegischer Unterstützung. Zukunftstendenzen: Die Pläne der ministerialer Ebene sind weniger transparent als jene der subnationalen, und so entsteht der Eindruck, dass auf Ebene des BEAC kaum Fazit 26 zusätzliche Formalisierung und Integration stattfinden wird (Hypothese 2.8). Eher kann die Kooperationsplattform dazu genutzt werden, um einen positiven Rahmen für die regionale Zusammenarbeit zu schaffen und um die Verbindungen der einzelnen Staaten zu Russland zu stärken, die speziell in der Energiefrage von Relevanz sein werden.26 Formale und bindende finanzielle Verpflichtungen, wie im Rahmen eines internationalen Sekretariates, was auch die indigenen Gruppen stärken würde, werden in näherer Zukunft trotz der Einigkeit im BRC kaum eingegangen. Die negative Haltung seitens von Schweden und Finnland und die finanzielle Zurückhaltung Russlands werden wohl weiterhin überwiegen. Die Meinungsunterschiede entstehen dadurch, da so die Kooperation noch immer sehr stark auf die norwegischen Prämissen fokussiert ist. Ein Gesamtkonzept, welches die Zielsetzung ausgeglichener auf alle Regionen richtet, läuft nun gegenwärtig mit Barents 2010. Die regionale Ebene scheint sich stark darauf zu konzentrieren, auch um die Peripherie-Problematik anzugehen (Hypothese 1.7). Die norwegischen Regionen werden durch die anhaltenden Diskussionen über das Sekretariat weiterhin stark bilateral mit Russland zusammenarbeiten, um das Ziel verstärkter Integration zu fördern. Die Funktionalität wird mit der BEAR in beiden Richtungen gefördert: einerseits zeigt sich dies mit dem regionalen Programm Barents 2010, und andererseits sind Mechanismen für die Förderung der Zusammenarbeit in den Mitgliedsstaaten am Entstehen. Die Policy der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, folgt grundlegend den Prämissen von Europe of Mosaics. Den regionalen Anliegen wird trotz staatlicher Dominanz Raum gelassen, da dadurch Legitimität und eine gute Basis geschaffen wird. Das Modell muss also auch in der Richtung angepasst werden, dass das Konzept explizit eher auf regionale Themen ausgelegt ist, implizit aber auf eine grosse Palette an Themen mit nationalem und internationalem Hintergrund abzielt. 4 Fazit Die BEAR ist in mancher Hinsicht ein Novum in der Gruppe europäischer Grenzregionen. Neben der enormen geographischen Abdeckung und dem Einbezug russischer Subregionen prägt der periphere Charakter die Rahmenbedingungen. Die Auswertung der Wirkungshypothesen hat gezeigt, dass der Prozess der Institutionalisierung dieser Grenzregion grundsätzlich dem Modell von Europe of Mosaics entspricht, da die Struktur der Region in erster Linie durch staatszentrierte Einflüsse gestaltet wird. Im Sinne dieses Modells herrscht zwischen den einzelnen Subeinheiten und den entsprechenden nationalen Autoritäten vorwiegend kooperatives Einvernehmen. 26 Gegenwärtig ist dies beim Kampf um die Werkverträge auf den Shtokman Feldern ersichtlich. Fazit 27 Speziell durch die Rahmenbedingungen der Peripherie müsste das Modell aber ergänzt werden. Das Argument, dass sich gerade in peripheren Gebieten Subregionen nach Partnern auf der andern Seite der Grenze umschauen und eine bottom-up Entwicklung einleiten, trifft wenn, dann nur am Rande zu. Die Distanzen sind zu gross und eine gemeinsame Identität kaum gegenwärtig, als dass die Subregionen selbst eine Mobilisierung hätten auslösen können. Zusätzlich wirkt in den nordischen Staaten eine soziale Umverteilung, welche speziell diese Gebiete stark unterstützt. Die peripheren Regionen profitieren eher durch die Gegebenheit, dass die CBC von nationalen Akteuren dominiert und finanziell unterstützt wird. Bei einer Beurteilung der Qualität der Zusammenarbeit würde der Faktor Peripherie sicherlich Auswirkungen haben, da die paradiplomatischen Netzwerke verglichen mit zentraleren Grenzregionen weit weniger ausgeprägt sind. Der Mobilisierung der Zusammenarbeit lag eine breite Palette von Themen zu Grunde, die jedoch mehrheitlich den übergreifenden Gedanken von Soft-Security trugen. Im Bereich des Governance Building ist die staatliche Dominanz in der ganzen Struktur ersichtlich. Gegenüber der theoretischen Annahme stärken aber die EU Regionalprogramme das horizontale regionale Netzwerk, da der staatliche Einfluss darin marginal ist. Obwohl dies nicht gegen das Konzept der staatlichen Dominanz spricht, erstaunt, dass auch gewisse Entscheidungskompetenzen nach unten gereicht wurden. Der Austausch und die Identität, welche dadurch gefördert resp. geschaffen werden, sprechen für eine regionale Entwicklung, welche dem Multilateralismus eine gute Grundlage bieten sollte. Wie dem Modell von Europe of Mosaics nach zu erwarten war, ist das regionale Programm eher lose konzipiert. Gegenüber dem Modell nehmen regionale Schwerpunkte aber zu, und so stehen die nationalen Regierungen den Projekten zur Unterstützung einer regionalen Ressourcenbasis positiv gegenüber. Der Schluss, dass der re-scaling Prozess der Barents-Initiative im Lichte von Europe of Mosaics einzig die Verbindung der Regionen zu den jeweiligen zentralen Autoritäten stärkt, wäre jedoch nicht korrekt. Die neue Skala der grenzüberschreitenden Barents Region steht in einem sehr frühen Stadium und kämpft vorwiegend mit den unterschiedlichen Machtstrukturen zwischen den Ebenen in den einzelnen Ländern. Auch die neuen Kompetenzen der Subregionen, hauptsächlich in low-politics Bereichen, sind speziell für die Regionen Russlands oder Finnlands bemerkenswert. Auch wenn das Hauptinteresse der Regierungen nicht primär in der Idee der Stärkung der eigenen peripheren Regionen zu suchen ist, gleicht die eher programmatische als regulatorische Ausprägung der Zusammenarbeit einem Mosaik, welches sich jedoch längerfristig durch die Zusammenarbeit auf der tieferen Ebene zu einer stärker integrierten Region entwickeln könnte. Der Entwicklungsprozess der Barents Region zeigt bezogen auf die spezifizierte Fragestellung, dass durch die Zweiebenenstruktur eine periphere Region, gleichzeitig autonomer auftreten kann und zudem in den Staaten verstärkt Fazit 28 integriert wird. Der Institutionalisierungsgrad ist nicht so hoch, als dass die Strukturen beider Ebenen bereits eine formalisierte und horizontal funktionale Institution hätten bilden können. Die Transformation der Skala entwickelt sich durch die Divergenz der Interessen, sehr langsam. So entspricht das Konzept vom BEAC eher einem lose gekoppelten Regime. Die nationalen Machtstrukturen, die den Policy-Prozess der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dominieren, werden wohl auch in der näheren Zukunft den prägenden Faktor für die Zusammenarbeit über die Grenzen des Hohen Nordens hinweg darstellen. Daher muss im Falle von Regionenbildung an einer Aussengrenze die EU das Konzept von Europe of Regions überdenken, da eine konsistente Policy, die einzig auf die Regionen abzielt, in solchen Skalen noch als unmöglich erscheint. Quellenverzeichnis 5 29 Quellenverzeichnis 5.1 Bücher und Artikel Arter, David (1999): Scandinavian Politics Today. Manchester: Manchester University Press. Baev, Pavel K. (1994): Russian Perspectives on the Barents Region. In: Stokke, Schram (Hrsg.): The Barents Region. Cooperation in Arctic Europe. Oslo: Prio and Sage. 175-186. Bailes, Alyson (1999): The Role of Subregional Cooperation in Post-Cold War Europe. 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Quellenverzeichnis Funktion Advisor Special Advisor on Indigenous Questions Administrative Manager Datum 21.6.06 21.6.06 Member of the Regional Commmittee 23.6.06 Nordland County Member of the Regional Commmittee, former chairman of the Regional Committee 29.6.06 Executive Committee for Northern Norway Director 27.6.06 Ministry of Foreign Affairs Special Advisor/Ambassador, Member of the CSO 13.7.06 County Administration of Västerbotten Director of International Relations, Member of the Regional Commmittee 15.8.06 Ministry for Regional Development, Former Assistant of the Swedish CSO Member 23.8.06 Russland Interviews Barents Secretariat in Karelia Director, former Advisor in the International Departement in the Administration of Murmansk Oblast 24.6.06 Finnland 5.2 32 Organisation Barents Secretariat, Kirkenes Council of Oulu Substitute Member, Member of the Barents Regional Committee 14.8.06 Schweden Norwegen Barents Secretariat, Kirkenes Barents Institute, Kirkenes Department of International Relations at the Troms County Council 22.6.06 Schriftliche Kontakte Bedriftskompetanse - Business development company - Troms North Calotte Council - Rovaniemi Secretariat for the Kolarctic Neighbourhood Programme/Interreg III A North - Rovaniemi Former Member of the mixed Health Working Group Secretary General Advisor