magenDie Redaktion hat gebacken.
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magenDie Redaktion hat gebacken.
Titelfoto: Benjamin Rennicke Dreck ist, was das Leben übrig lässt. Die letzte Verwandlung von „heiß geliebt“ zu „weg damit“ oder immer schon das Letzte. Deshalb verstecken, verbrennen, vernichten wir ihn. Vergangene Abenteuer, verzehrtes Glück, verdaute Geheimnisse und leere Hüllen – alles kommt in die Tonne. Auf dem Sammelplatz für Ungeliebtes will man keine Schnüffler. Hier stapelt sich, was vergessen werden soll. Aber nicht nur die Fliegen wissen: Dreck ist eine Frage der Perspektive. Also ist die facette ausgeschwärmt und eingetaucht und hat dabei so manchen Schatz geborgen. Über dreißig Autoren, Fotografen und Zeichner steckten ihre Nasen in den Dreck und fanden skandalöse Geschäfte, gequälte Tiere, eine Stadt im Smog und verschimmelte Kunst. Sie entdeckten Models auf der Müllhalde, einen wunderlich sauberen Bahnhof, verworfene Utopien, verstaubte Skurrilitäten, den DosenpfandMinister und einen Journalisten, der schon immer gern im Schmutz wühlte. In der Gosse steckte Glanz, in der Musik alte Töne. Dreck wurde zum Styling, zum Leckerbissen, zu Poesie und alles zusammen recycelten wir zur neuen facette. Nach Geld und Liebe, kommt uns jetzt der Schmutz ins Heft. Und weil das Toben im Dreck den größten Spaß macht, können Sie sich hier auf eine gepflegte Schlammschlacht freuen. Aber nicht vergessen: Editorial Immer sauber bleiben, die facette 3 inhalt 7 Cartoon von Pedro Stoichita 8 Manifest der Saubermänner Ein Plädoyer für den globalen Hausputz 12Fotos von Marie Goetze Aus der Gosse 16Sechsmal Müll, sechsmal versteckt Vegetarier sind Mörder!20Die Flucht aus der Hölle Hühnerstall Dreck und weg 27Kabinettstückchen Die Möglichkeit einer Insel 28Interview mit Jürgen Trittin Ein schlimmes Spiel 30Mehdorns sterile Kulisse gibt Dreck keine Chance Bahnhof der Eitelkeiten 36Sechsmal Business, sechsmal skandalös Drecksgeschäfte 40Der „homo hygienicus“ und sein Zubehör Die Entdeckung der Reinlichkeit 44Interview mit Günter Wallraff Wallraffen 47Drei Minuten Sport In großen Buchstaben48Ein Lied von julius Harte Wahrheit Hollywood50Der facette-Triptipp: Los Angeles Ungefragt und leise52Interview mit Christoph Janke und einem nachtaktiven Sprayer Po-dol-ski! 4 inhalt 57Berlin ist auch nicht alles Fashiondeponie58Modefotos von Benjamin Rennecke Punk’s not dead 62William T. Vollmanns Roman Huren für Gloria Gosse, Glanz und Gloria 64Der Teufel trägt Prada, zumindest auf der Leinwand Wenn die Wölfin heult66Die Wolfmother stecken im Glamrock Außen hui, innen pfui 68Dieter Roths wucherndes Museum Das Schimmelreich 70Das anonyme Genie Banksy im Internet Digitale Hauswand 72Der facette-Warentest: Klobürste Bürsten Battle 74von Kati Rickenbach Die Verfolgungsjagd78Ein Gedicht von Nico Woche Comic 80Die Redaktion hat gebacken Dreck geht durch den Magen 84Schürzenträger Auf ’s Kreuz gelegt86Das Rätsel mit schmutzigen Fragen Impressum77die facette Bastelecke 5 cartoon von Pedro Stoichita 7 manifest der saubermänner von Malte C. Daniels Illustration: Philipp Steinbrenner Das neue Jahrtausend ist schon fast sieben. Und was tut es? Es macht immer noch in die Windeln. Visionen? Fehlanzeige! Hier ein Vorschlag: erst mal saubermachen. Manifest der Saubermänner Ein Schmutzfink geht um in der Welt, und überall hinterlässt er seine Spur. Wo wir auch hinschauen, hinter jeder Ecke lauert der Dreck. Er breitet sich aus, er schmuddelt durch unsere Straßen, unsere Wälder und unser Internet. Selbst in unseren Gedanken hockt er und gammelt vergnüglich vor sich hin. Er schimmelt nicht nur in Schlachthöfen oder lässt sich über unsere Gemüsebeete spritzen, er erscheint auch in der Trefferliste bei Google und schwebt durch die Atmosphäre. Man kann da nicht einfach mal durchwischen und alles blitzt und blinkt. Bringt man etwas Dreckiges mit etwas Sauberem zusammen, wird in der Regel danach beides dreckig. Mist. Bei solchen Aussichten lockt natürlich der Seitenwechsel. Wie viel attraktiver scheint 10 es, mit Massenverschmutzungswaffen der Sauberkeitsempfindung den Krieg zu erklären, anstatt täglich den treuseligen Sisyphusdienst zu leisten, die schmutzige Wirklichkeit unter den Teppich zu kehren und die Grundpfeiler unserer sauberen Gesellschaft zu polieren? Aber selbst das reicht ja schon lange nicht mehr aus. Auf Dauer, so scheint es, wird die totale Verdreckung des Planeten und damit auch von allem, was auf ihm zu finden ist, nicht aufzuhalten sein. Aber die letzten weißgebliebenen Fähnchen zu schwenken und einfach aufzugeben, ist keine Lösung. Mitten in diese düstere Vision leuchtet plötzlich die Erkenntnis: Der Kampf geht verloren, weil wir noch keine Vision von globaler Sauberkeit entwickelt haben. Ein jeder kehrt hinter seiner eigenen Tür. Wir bitten die Gäste, die Schuhe auszuziehen, um den Dreck nicht hineinzutragen, und der Dreck aus der eigenen Wohnung wird in einem kurzsichtigen Verständnis von lokaler Sauberkeit nach draußen geschafft. Ein verhängnisvoller Kreislauf aus Putzen und Verschmutzen. So wird es draußen immer dreckiger. Das bringt auf die Dauer nichts. Denn der Schmutz bahnt sich über kurz oder lang seinen Weg in die sauberen vier Wände zurück. Viel konsequenter wäre es, wenn sich alle zusammen daran machen würden, auch draußen endlich einmal sauber zu machen. Und zwar ein- für allemal! Also frisch ans Werk: Ozeanboden wischen, Berge polieren und bitteschön auch im Wald staubsaugen. Der aufgefangene Dreck wird dann auf einer Karibikinsel Manifest der Saubermänner abgeladen oder gleich der Erde verwiesen. Danach müsste sich auch keiner mehr die Schuhe ausziehen, wenn er nach Hause kommt. Aber leider und insgeheim wissen wir: Das Leben selbst verbreitet den größten Dreck. Wir produzieren beschissene Serien, frönen lasterhaften Leidenschaften und verlieren zudem in jeder Sekunde hunderte Hautschuppen. Ganz zu schweigen von dem, was wir Mutter Erde sonst noch auf die Schultern laden. Daher sollten alle nicht-sauberen Wesen in Plastikfolie eingeschweißt werden. Das mag temporär zu Unannehmlichkeiten führen, doch auch in diesem Fall gilt der Slogan: Frage nicht, was die Sauberkeit für Dich tun kann, sondern frage, was Du für die Sauberkeit tun kannst. Nach der Endreinigung werden wir dann in unserer Umweltschutzverpackung über die Erde knistern und uns an eingeschweißten Schmetterlingen und sauber verpackten Bergziegen ergötzen. Die vollkommene Reinheit erahnen, die sich hinter dem PVC um unsere Körper schmiegt. Und dann uns selbst entsorgen, denn die Fortpflanzung kann man im Ganzkörperkondom erstmal vergessen. So geschieht es mit jedem Lebewesen, und am Ende gibt es nur noch das Plätschern des sauberen Wassers, die erfrischenden Stürme und ab und an das freudige Piepsen eines putzigen Chinchillas. Denn die fressen ihren eigenen Kot. Die sind ok. -f- 11 aus der gosse von Marie Götze dreck und weg Wirkliche Müllentsorgung gibt es nicht. Gesucht sind gute Verstecke. Gefunden haben wir sechs. Illustration: Harald Lustinger 16 Dreck und weg Giftmüllschmuggel Der Müll: Wenn Müll zu einer Gefahr für die Gesundheit wird, sprechen Abfallrechtler von „besonders überwachungsbedürftigen Abfällen“ – ein Hinweis, dass dieser Müll auch gerne mal verloren geht. Da können dann schnell 500 Tonnen Giftschlamm, gemixt aus Reinigungschemikalien und Ölrückständen, auf leisen Sohlen Europa verlassen. Das Versteck: Ein Krisenherd. In Amsterdam benötigt man 250.000 Euro für die Entsorgung von 500 Tonnen Giftmüll, im ohnehin schon verlorenen Westafrika nur ein paar einflussreiche Freunde. Logisch, dass dicht besiedelte Gebiete der Stadt Abidjan an der Elfenbeinküste jetzt besonders hoch im Dreck liegen. Das Gewissen: Bitte was? Hat man mit einer sowieso bösen Öltransportfirma kooperiert, bleibt der eigene Firmenname in der Berichterstattung unbefleckt. Die Quittung für sieben Todesfälle, 30.000 kranke Menschen und die nachhaltige biologische Zerstörung eines Landstrichs kassiert ein Regierungsmitglied, das von Demonstranten verprügelt wird. -fUrsula Feuersinger Spam mit! Der Müll: Digitale Dummschwätzer. Ominöse Spammer verbreiten aggressiv digitalen Dreck, der unsere virtuellen Briefkästen verstopft. Der alltägliche E-Müll kostet die Weltwirtschaft jährlich über 25 Milliarden Euro. Das Versteck: Moderne Kunst. Spam spielt ja am liebsten selbst Verstecken, indem er sich hinter den Namen anderer verbirgt. Am besten ihn also anders getarnt weiter verstecken, wie es www.spamrecycling.com anbietet. „Sehen sie zu, wie ihre Spammails zu Kunstwerken recycelt werden“, heißt es dort. Sendet man seine persönlichen Massenmails an spam@spamrecycling.com, tritt ein vorprogrammierter Zersetzungsalgorithmus in Kraft, der durch einige Parameter kontrollierbar ist. Das individuelle Spamkunstwerk kann man sich dann selbst zuschicken und damit den heimeligen Desktophintergrund verschönern. Das Gewissen: High-Tech sauber. Ist doch eh alles nur virtuell. Bezahlt wurde das Projekt von EnBW, die nach eigenen Angaben schon länger Müll in Energie umsetzt. Und apropos Gewissen: Recycling lebt vom Mitmachen! -fUrsula Feuersinger 17 Dreck und weg Mode-Recycling Der Müll: Alte Kleidung, früher heiß geliebt, jetzt lieblos in die hinterste Ecke der Kommode gestopft. Nur die Hoffnung auf bessere Zeiten bewahrt sie vor der schnöden Abfalltonne. Denn vielleicht erleben sie das gleiche Revival wie einst die Röhrenhose oder der Keilabsatz. Man will sich schließlich später keine Vorwürfe machen, dass man diesen Trend nicht rechtzeitig erkannt hätte und jetzt ein Monatsgehalt opfern muss. Also steht man vor dem überquellenden Kleiderschrank und die neue Saison naht. Das Versteck: Der Sitzsack. So simpel wie effizient bietet er genügend Stauraum für alle Kleidungsstücke, im Schwebezustand zwischen Müll und Moderne. Man benötigt nur etwas handwerkliches Geschick und ein großes Stück festen Stoff und sogleich erhält man eine gemütliche Sitzgelegenheit. Bei übermäßig vielen Klamotten empfehlen wir ein Sitzsofa. -fDas Gewissen: Weich und flauschig – wie der Sitzsack selbst. Franziska Bornefeld 18 Atommüll hinterm Mond Der Müll: Radioaktiver Abfall kann leider nicht einfach irgendwo abgestellt werden. Er strahlt und schadet jedem, der ihm zu nahe kommt – und das noch für einige zehntausend Jahre. Atommüll muss also auf eine Weise entsorgt werden, die sicherstellt, dass auch in ferner Zukunft kein Mensch mit ihm in Berührung kommt. Das Versteck: Der Weltraum. Mit einem beherzten Schuss ins All ballert man dieses Problem aus den Augen, aus dem Sinn. Dazu kann man auf herkömmliche Raketen setzen oder neue Techniken entwickeln, zum Beispiel riesige Schleudern, die ihn aus dem Gravitationsfeld der Erde heraus hinter den Mond, zum Mars oder gleich in die Sonne katapultieren. Das Gewissen: In jedem Fall strahlend. Ist der Müll erstmal im Weltraum verschwunden, schadet er tatsächlich niemandem mehr. Probleme bereitet nur der Weg dorthin. Beim Start einer Rakete kommt es regelmäßig zu Unfällen. Geriete der Atommüll auf diese Weise in die Atmosphäre, könnte er sich von dort über die ganze Erde verbreiten und gleich alles verseuchen. -fNikolas Schmidt-Voigt Dreck und weg Liebhaber lagern Der Müll: Alte Rendezvous. Wie viele Flirts braucht ein Mensch? Die Frage drängt sich auf, wenn man das Adressbuch seines Mobiltelefons durchschaut. Die schreckliche Verabredung von letzter Woche, die alte Sommerliebe – viele Nummern, die man ohne Not nie wieder wählen wird. Jetzt müllen sie nur noch das Telefonbuch zu. Das Versteck: Die Zaubertinte. Mit einem einzigen Knopfdruck löschen? Das wäre endgültig und nachher ist man vielleicht für immer allein. Daher braucht man ein diskretes Versteck: man nehme ein Fässchen Zaubertinte und ein geeignetes Blatt Papier und übertrage alle überflüssigen Nummern ins Unsichtbare. Das Gewissen: Befreit von emotionalem Ballast ist man wieder bereit für neue Schandtaten und neue Telefonnummern. Wenn dann doch mal die Einsamkeit droht, streut man Zaubersalz über das Blatt und die ehemals Überflüssigen sind wieder ganz nah. -fKristin Joachim Freunde verschrotten Der Müll: Alte Freundschaften. Erst zieht man um, dann wird man cool und dann nerven sie: die Freunde von früher, Überreste einer pickligen Jugend. Was tut man also, wenn das Moped schon lange verschrottet ist und jedes Dorffest gemieden wird, ihre ständigen Anrufe diesen Umstand aber strikt leugnen? Das Versteck: Neues Leben. Anders als kurze Flirts lassen sich alte Freunde nicht zeitweise in Zaubertinte ertränken. Hier hilft nur sich selbst verstecken, Spuren verwischen und in Deckung bleiben. Die drei Grundregeln lauten: neue Nummer, neue Frisur, neue Lieblingsbands. Und wird man doch einmal erkannt, wird gelogen bis sich die Balken biegen. Beliebte Alibis sind Auslandsreisen, Drogenabhängigkeit und ansteckende Krankheiten. Das Gewissen: Nervt nur. Bei jedem Kontakt mit der Vergangenheit piekst es einen. Wer alte Freunde verschrotten will, muss also entweder alles hinter sich lassen oder darf kein Gewissen haben. -fKatrin Knoppe 19 vegetarier sind mörder! von Philip Jaeger Fotos: Maqi, tierrechtsbilder.de 20 Wir ernähren uns von Menstruationsprodukten, Drüsensekreten, Erbrochenem und Leichen. Wir essen das, was die Tiere ausscheiden und manchmal essen wir auch die Tiere selbst. Dafür nehmen wir sie in Haft, quälen und töten sie. Das erinnert Achim Stößer an Inquisition, Sklaverei und Faschismus. Und dagegen, meint er, lohnt es sich zu kämpfen. 21 Vegetarier sind Mörder! Als Leichenfresser könnte man denken, es sei schwer, mit Achim Stößer ins Gespräch zu kommen. Leichenfresser sind für ihn Menschen, die Fleisch essen. Aber Achim Stößer ist nicht nur überzeugter Veganer, sondern auch Pragmatiker. Schließlich geht es um eine große Sache: Gerechtigkeit für jedes Individuum. Und weil er dabei Öffentlichkeit braucht, wird hier nicht missioniert, sondern informiert. Fotos dürfen trotzdem nur digital geschossen werden. Analoge Bilder enthalten Gelatine. Anders gesagt: Knochen toter Tiere. Achim Stößer ist Gründer von Maqi, einer Initiative für Tierrechte und gegen 22 Speziesismus, gegen die Diskriminierung zielter Täuschung könnten wir mit soviel von Individuen aufgrund ihrer Artenzu- Unrecht leben. gehörigkeit. Also beginnt sein Kampf bei In der Werbung lebt jede Kuh auf einer der Ausbeutung der Honigbiene und geht Almwiese und jedes Huhn auf einem idylweiter bis zur Ungleichbehandlung nach lischen Kleinbauernhof. Aber egal, was Geschlechter und Hautfarbe. Ein weites wir träumen, die Realität ist industrialiFeld, mag man nun denken. „Nur konse- sierte Qual. „Wir lügen uns jeden Bissen quent“, findet Achim Stößer: „Wer Skla- die Kehle runter.“ verei verurteilt, darf das Gefangenhalten Der Hühnerdieb so genannter Nutztiere nicht gut heißen. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Wenn sich Achim Stößer und seine FreunLeid von Menschen und dem der anderen de von Maqi in der Nacht auf den Weg Tiere?“ Es herrsche ein logischer Wider- zu einer Hühnerfabrik machen, dann geht spruch zwischen Anti-Rassismus und dem es ihnen nicht um blinden Ökoterror. Es sonntäglichen Frühstücksei. Nur dank ge- geht darum, ein paar Hühner zu befreien und vor allem den Leichenfressern die Augen zu öffnen. Auf der nächtlichen Fahrt zu einer Aufzuchtsanlage für Hühner ist die Stimmung wenig angespannt, es herrscht professionelle Routine. Die Anlage ist nicht bewacht, die Tür ist offen. Dahinter liegt die Hühnerhölle: Links und rechts vom schmalen Gang leben tausende Tiere auf ein paar Metern, strecken ihre Hälse durch die Gitter. Wir befinden uns in einer Volierenhaltung. Diese feierte die rot-grüne Regierung als großen Erfolg für den Tierschutz. Statt 50 kommen nun 20 Tiere auf einen Quadratmeter. Das Gesetz wurde inzwischen aber wieder aufgeschoben, zu Gunsten der herkömmlichen Käfighaltung. Maqi befreit nur so viele Tiere, wie später an Tierfreunde weiter vermittelt werden können. Heute Nacht sind das zwei Küken. Den Tieren wurden ihre Tastorgane, die Schnabelspitzen abgeschnitten, weil in dieser Enge die Entwicklung eines normalen Sozialverhaltens unmöglich wird. Das führt zu Federpicken und Kannibalismus. In den Eierproduktionsanlagen legen die Hühner häufig blutverschmierte Eier ohne Schale. Die Eindringlinge machen Fotos von dem Elend. Dann verschwinden sie wieder. Angst vor Bestrafung haben die Aktivisten nicht. Die geschädigten Betreiber fürchten negative Publicity und schweigen lieber. Oft bemerken sie das Fehlen von ein paar Tieren nicht. Maqi bleibt nicht anonym. Keine andere Initiative dieser Art geht so offensiv mit ihrer Arbeit um. Sie zeigen die Bilder im Internet, verteilen sie an Journalisten, präsentieren in Fußgängerzonen Ferkel, deren Leichen sie in Mülltonnen von Aufzuchtsanlagen gefun23 den haben. Das alles macht Achim Stößer zu einem der bekanntesten Tierrechtsaktivisten der Republik. Er war bereits Gast in einer Talkshow zum Thema „Ich klaue alles, was ich kriegen kann“. Er war der Hühnerdieb. Ein radikaler Guru? Stößer ist dafür bekannt, nahezu alles und jeden, auch andere Aktivisten, zu kritisieren. „Oft ist das nur cooler Lifestyle“, wenn sie sich mit dem Image des Tierrechtlers schmücken und trotzdem „Tier24 rechtsverletzer, zum Beispiel Vegetarier, in ihren Reihen dulden.“ Denn für Stößer ist klar: „Vegetarier sind Mörder.“ Wer Tiere befreit und trotzdem Tierprodukte isst, schade der Sache mehr, als ihr zu nutzen: „Denn auch für den Konsum von Menstruationsprodukten (Eier), Drüsensekreten (Milch) und Erbrochenem (Honig) werden Tiere umgebracht. Allein für den Eierverbrauch der Vegetarier in Deutschland werden jährlich acht Millionen männliche Küken und ebenso viele Hennen getötet.“ Deswegen teilt Stößer aus. Maqi betreibt zahlreiche Internetseiten gegen Vegetarier, gegen „Pseudo-Tierrechtler“, gegen Sexismus, Speziesismus und den „religiösen Wahn“. Dafür muss er aber auch ordentlich einstecken. Besonders aus der Tierrechtsszene werden immer wieder Vorwürfe gegen Maqi und ihren „radikalen Guru“ Stößer laut. Manch einer sieht die Gruppe als Sekte, weil sie ständig in Konflikt mit Angehörigen, anderen Gruppierungen und den Behörden läge. Weil dort eine autoritäre Lehre herrsche. Das alles sind aber wohl eher Symptome ihres Vegetarier sind Mörder! Dogmatismus und ihrer Besserwisserei. Eine Sekte ist Maqi nicht. In Internetforen schwingt er dann gegen seine Kritiker auch mal die historische Keule: „Das sind Goebbels-Methoden.“ Die Sklavenkuh Vor solchen Vergleichen schreckt Achim Stößer nicht zurück. Immer wieder zieht er Parallelen zwischen Nutztierhaltung und Sklaverei, zwischen Legebatterien und Konzentrationslagern, zwischen Hühnerbefreiung und DDR-Fluchthilfe. Dass sich bei solchen Analogien nicht nur dem Historiker die Nackenhaare aufstellen, sieht Stößer gelassen: „Vieles, was früher als Unrecht galt, ist heute eine ethische Selbstverständlichkeit. Wir müssen unsere heutigen Verbrechen als solche erkennen und stoppen.“ Rechtfertigt er sich für diese Vergleiche, zitiert er Adorno: „Auschwitz beginnt da, wo jemand im Schlachthof steht und denkt, es sind ja nur Tiere.“ Seine Radikalität basiert auf einer simplen Annahme: „Menschen sind Tiere wie andere auch.“ Er sagt: „Deshalb kämpft Maqi konsequent für die Abschaffung anstatt einer bloßen Reform der Tierausbeutung. So wie die Gegner der Sklaverei nicht für leichtere Ketten und sanftere Folter eintraten, sondern für deren Ende.“ Wir sollen den Sklaven im Steak erkennen. -f- 25 26 Kabinettstückchen von Christoph Schmaus die Möglichkeit einer Insel Womit schmücken ungewaschene Sklaven ihre Kleider? Aus welchem Material sind die Ketten der kinderfressenden Mörder gefertigt und auch die der sonst noch üblichen Schwerverbrecher? Woraus bestehen die Nachttöpfe, in die sich der nächtliche Urin scheppernd ergießt? Aus Gold. Aus nichts als purem Gold. Und wo befinden wir uns überhaupt, dass wir es wagen, dem sonst so finanzstarken Edelmetall eine so schäbige Verwendung zuzuschreiben? Auf Utopia. Wohlgemerkt „auf“, nicht „in“ Utopia – wir verbringen unseren Urlaub ja auch „auf“ und nicht „in“ Mallorca. Von der sagenumwobenen Insel ist also die Rede. Vom frühsozialistischen Paradies, wie es der Engländer Thomas Morus im 16. Jahrhundert beschrieb. Von der Mutter aller gesellschaftlicher Idealvorstellungen. Von Utopia jetzt, wohlgemerkt, nicht von Malle. Hier geht einiges. Genaugenommen geht hier eigentlich alles. Alles, was das politische Herz begehrt: Ganztagsschule, Arbeitslosenquote null Prozent, Vollbeschäftigung quasi. Gold ist öde, und „Staatsdefizit“, das Wort kennen die da unten nicht einmal. Da unten? Ja, das ist das Problem. Kein Mensch weiß, wo sich dieses Streber-Eiland in den Wassermassen der Weltmeere versteckt hält. Totale Abschottung, vermutlich alles Globalisierungsgegner. Ansonsten hätte der Bundestag wohl schnurstracks der deutschen Marine den Marschbefehl erteilt (wie marschieren Schiffe eigentlich?), um Utopia zu finden. Aber über die bundesrepublikanischen Matrosen wäre dort sowieso nur die Nase gerümpft worden. Sie segeln schließlich unter dieser Flagge, genau, Sie wissen schon: Schwarz, Rot – Nachttopfgold. Oje. Aber es gibt ja noch diese andere Insel, Malle eben. Die ist mit dem Billigflieger gar nicht zu verfehlen und schon längst an deutsche Farben gewöhnt. Siebzehntes Bundesland und so, Sie wissen schon. Deshalb hier jetzt ein Vorschlag zwecks Verwirklichung politischer Wunschträume: Warum nicht einfach alles, was man sich bisher hierzulande nicht getraut hat, und das ist einiges, warum nicht einfach dort mal ausprobieren? Was längst auf dem Müllhaufen der unverwirklichten politischen Konzepte vor sich hin gammelt wie bayerisches Qualitätsfleisch, das könnte in der politischen Wiederaufbereitungsanlage Mallorca zu realpolitischem Leben erweckt werden. Wir gehen nur nicht weiter zurück als ´45, eh klar. Sonst ist alles erlaubt. Die Insel ist dafür geradezu prädestiniert. Los geht’s: Das Sachzwang-Korsett und die parteifarbenen Hüllen munter abgestreift und ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner mal so richtig die polit-aktivistische Sau ´raus gelassen! -f27 ein schlimmes Spiel Sieben Jahre lang war er Mister Umwelt. Dann kamen die Neuwahlen. Wir haben Jürgen Trittin gefragt, was er als Minister gegen die Verdreckung des Planeten getan hat und ob die Politik der Welt noch eine Chance gibt. Seit knapp einem Jahr sind Sie nicht mehr Bundesumweltminister. Vermissen Sie Ihren alten Job? Mir macht mein neuer Job als Koordinator unserer internationalen Politik Spaß, und an den alten Job habe ich gute Erinnerungen. Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit als Minister zurückblicken, was waren Ihre wichtigsten Projekte? Was ist Ihnen gelungen? Wir Grünen haben in Deutschland eine umfassende Energiewende eingeleitet. Altkraftwerke, ob mit Atom oder Kohle betrieben, werden vom Netz genommen. Mit unserem Gesetz für erneuerbare Energien und mit dem Emissionshandel haben wir außerdem einen Boom in der modernen Energietechnik ausgelöst. Deutschland ist heute Markt- und Technologieführer bei Windenergie und Fotovoltaik. Wir haben das Land und Europa zu einem Vorreiter beim internationalen Klimaschutz gemacht und das Kyotoprotokoll in Kraft gesetzt. Uns ist es gelungen, den Natur- und Hochwasserschutz zu modernisieren. Außerdem haben wir bewiesen, dass sich Politik nicht von großen Konzernen erpressen lassen muss – und das Dosenpfand durchgesetzt. 28 Ein schlimmes Spiel Gibt es auch Projekte, an denen Sie noch stärker hätten arbeiten wollen? Wir werden 2020 ein Viertel des Stroms erneuerbar erzeugen – dasselbe müsste dann auch für ein Viertel unserer Wärme, ein Viertel unseres Treibstoffs und ein Viertel der Rohstoffe für die Chemieindustrie gelten. Wer ist Ihrer Meinung nach der größte Umweltverschmutzer? Es gibt nicht den einen großen Verschmutzer. Es gibt aber das größte umweltpolitische Problem: Das ist der Klimawandel. Dafür müssen die Treibhausgase gesenkt werden – in der Industrie, im Verkehr und in den privaten Haushalten. Wir müssen ihren globalen Ausstoß bis 2050 halbiert haben. Und wir müssen Moore, Tundren und Wälder erhalten, damit aus diesen Kohlenstoffsenken nicht Treibhausgasquellen werden. Drängt die Große Koalition die Umweltpolitik auf die Oppositionsbank? Sie ist in diesen Fragen fast vollständig in einer Selbstblockade zwischen CDU und SPD verfangen. Es gibt noch kein Zurück hinter Rot-Grün – aber auch nichts darüber hinaus. Wie empfinden Sie die Diskussion über den Ausstieg aus dem Ausstieg? Zynisch. Die Stromkonzerne haben immer langfristige Berechenbarkeit gefordert und kündigen nun den Atomkonsens auf, der genau dies sicherstellt. Unverhohlen drohen sie mit der Erpressung des Gesetzgebers. Wer Laufzeiten von alten und störanfälligen Anlagen verlängert, spielt ein schlimmes Spiel mit der Sicherheit der Bevölkerung. Von der Umweltpolitik als Leitpolitik ist nicht mehr oft die Rede. Wird sich das wieder ändern? Sie können heute in den USA beobachten, wie aufgrund der weltweiten Verknappung aller Ressourcen nach neuen Strategien gefragt wird, die weg vom Öl führen und hin zu Einsparungen und Effizienz, zu mehr erneuerbaren Technologien. Dies wird zu einer Frage globaler Wettbewerbsfähigkeit. Moderne Umweltpolitik ist die Industriepolitik von morgen. -fDie Fragen stellte Christoph Schmaus 29 bahnhof der eitelkeiten 30 von Lars Gaede Fotos: Sandra Kühnapfel Hunderttausende Menschen besuchen täglich den Berliner Hauptbahnhof. Dennoch wirkt er in seiner Sauberkeit wie eine auf Hochglanz polierte Kulisse. Der Bahnhof als schmuddeliger Begegnungsort sozialer Gegensätze hat ausgedient. 31 Bahnhof der Eitelkeiten Selbst fünf Monate nach seiner pompösen sich dem Besucher erst auf den zweiten Eröffnung haben sich die Besucher noch Blick: Er ist komplett und ausnahmslos nicht an den Berliner Hauptbahnhof ge- sauber. Geradezu steril. Aseptisch. wöhnt. Sie eilen nicht hektisch zu ihren Zügen. Sie bleiben stehen. Schlendern. Keine Spuren Betrachten. Ein ergrauter Herr und sein Durchschnittlich 300.000 Besucher solEnkel legen die Köpfe tief in ihre Nacken len es pro Tag sein, eine ganze Stadt. Und und verfolgen die schwindelerregende Sta- dennoch: Es liegt kein Papier auf dem tik des Glasdaches. Drei Mädchen im vier- Boden. Kein Kaugummi. Keine Zigaretten der fünf Geschosse hängen sich über ten-Stummel. Man findet kein einziges die Holzbalustrade und planen ihre Ein- Graffiti, auch keine Schmiererei. Keine kaufsroute aus der Vogelperspektive. Wie Scheibe ist zerkratzt. Es gibt nicht einmal die Panorama-Aufzüge in ihren gläsernen Fingerabdrücke darauf. Man findet keine Röhren auf und ab schweben, finden sie liegengelassene Zeitung auf der Sitzbank. „echt krass, wie bei Star Wars.“ Keinen fallengelassenen Eisstiel. Keine Tatsächlich, der Prestige-Bau wirkt und leergetrunkene Cola-Dosen. Keine Spuckglänzt durch seine architektonischen Su- reste. Keine heruntergefallenen Pommes. perlative. Doch nicht nur. Ein ganz anderer Auch keine Ketchup-Flecken. Schon gar Superlativ des Hauptbahnhofs erschließt keine abgerissene Fahrkarte. Nichts. Die 32 Bahnhof der Eitelkeiten Entdeckung einer leeren Beck`s-Flasche gerät zum Triumph. Nur steht sie draußen. Auf den Stufen vor dem Bahnhof. Würde eine außerirdische Macht alle Menschen im Hauptbahnhof schlagartig entführen, bliebe dort nicht eine Spur ihrer Existenz. Nur ein fremdartiges auf Hochglanz poliertes Objekt im Niemandsland – beinahe selbst wie ein gestrandetes Raumschiff. Es ist, als hätte die Bahn dem Dreck den Krieg erklärt. Und tatsächlich hat sie das. Auf jeder Etage und auf jedem Gleis entdeckt man die Reinigungskräfte beim Putzen. 52 sind es insgesamt, direkt bei der Bahn beschäftigt und rund um die Uhr im Kampf gegen den Dreck. Unauffällig schieben sie ihre „Servicewagen“ an den Besuchern vorbei, bewaffnet mit allen erdenklichen Putzutensilien von Fleeceschrubber bis Scheuerbürste, von Handfeger bis Glasreiniger. Einer von ihnen ist Thomas, 20 Jahre alt. Eigentlich heißt er anders, seinen wirklichen Namen möchte er aber lieber nicht verraten. Im Hauptbahnhof macht er eine Lehre zum Gebäudereiniger. „Jeder einzelne Fleck des Bahnhofs wird am Tag einmal gründlich geputzt“, sagt er in einer kurzen Pause vor dem Bahnhof und zieht kräftig an seiner PallMall, „auf jeden Fall in der Nacht.“ Spätestens dann bringt die Putztruppe ihre schweren Geschütze zum Einsatz. Diese nennen sich Scheuersaugautomaten, Aufsitzmaschinen, Fahrtreppenreinigungsautomaten, oder auch Wasser- und Trockensauger. Selbst für die Reinigung der Blindenleitsysteme gibt es spezielle Bürstenwalzmaschinen. „Graffiti werden sofort weggewischt“, sagt Thomas, „oder notfalls übermalt“. Zerkratzte Scheiben 33 Bahnhof der Eitelkeiten werden umgehend ausgewechselt. Auch die Toiletten glänzen wie in einem MeisterProper-Spot. Für seine 80 Cent bekommt der Kunde nicht nur ein mit weißen Lilien geschmücktes Klo-Foyer - inklusive Kiosk -, sondern auch eine stets frisch gewischte Sitzfläche. „Außer, jemand kann es nicht lange genug halten“, wie eine der Toilettenfrauen sagt. Auch sie sind rund um Uhr vor Ort, an jedem Tag der Woche. Das Ikea-Prinzip In seiner makellosen Sterilität erinnert der Hauptbahnhof an ein modernes Einkaufszentrum. Und im Grunde ist er das auch: eine Shopping-Mall mit Bahnanschluss. Achtzig Geschäfte teilen sich die 15.000 qm Ladenfläche, mehr als zwei Fußballfelder. Jack Johnson, der Troubadour der Kaufhausmusik, rieselt aus den Ladenzeilen der immer gleichen Drogerie-, Bäckerei-, Mode-, Schuh-, Fastfood-, Papierwarenketten. Ladenschlussgesetze gelten nicht. 34 Die Kunden werden frei Haus geliefert. Im 90-Sekunden-Takt spuckt ein Zug sie aus - und es herrscht das Ikea-Prinzip: Raus geht es nur an den Produkten vorbei. Lautlos gleitend – auf einer der 54 Rolltreppen, dem ultimativen Fortbewegungsmittel für die Kurzstrecke in der Shoppingsphäre. Kein Schmutz und kein Dreck trüben das Bild des perfekten Einkaufsparadieses. Und auch nicht der Anblick von Menschen ganz ohne Kaufkraft. Sie kommen in dem Bild nicht vor. Das Klischee des Bahnhofs als sozialer Schmelztiegel, als Begegnungsstätte von Menschen verschiedenster Couleur von wohlhabenden Pendlern, nichtshabenden Obdachlosen, ausländischen Touristengruppen, Punks, Straßenmusikern, fliegenden Händlern, gestrandeten Ausreißern, gar als krimineller Umschlagplatz für Sex und Drogen – weiter entfernt könnte der Hauptbahnhof davon nicht sein. Er ist das exakte Ge- Bahnhof der Eitelkeiten genteil. Hier kann man vieles kaufen, Obdachlosenzeitungen gehören nicht dazu. Auf die Frage, ob es Menschen gibt, die im Gebäude nicht geduldet werden, sagt der junge Mann im Büro der Bahnsicherheit nur: „Sorry, kein Kommentar“ – und lächelt etwas unsicher. Die befragten Polizisten verweisen auf das Hausrecht der Bahn. Ein Mitarbeiter der Bahnhofsmission erklärt, der Hauptbahnhof sei ohnehin „kein Ort für Obdachlose. Die fühlen sich hier nicht wohl.“ Sie blieben lieber am Bahnhof Zoo, dort gäbe es eine regelmäßige Essensausgabe, „eine seit Jahren gewachsene Infrastruktur.“ selbst ist nur noch ein müdes Abbild seiner quirligen Vergangenheit. Er wirkt verlassen, auch von den Reinigungsbataillonen der Bahn. Dreck muss man nicht suchen, er ist allgegenwärtig. Burgerverpackungen und Bierdosen säumen die Fußgängerunterführung, es riecht nach Urin. Am Hauptbahnhof wäre das unvorstellbar. Befragt man dort den Gebäudereiniger Thomas, was das Ekligste ist, was er je hat putzen müssen, denkt er kurz nach und sagt: „Unsere Personaltoiletten, eindeutig.“ -f- Tristesse am Zoo Dort, am Bahnhof Zoo, ist nicht mehr viel, wie es einmal war. Seit der Hauptbahnhof ihm den Rang als Fernbahnhof abgelaufen hat, geht es den umliegenden Geschäften und Hotels schlecht. Mit den ICEs bleiben auch die Kunden weg. Der Bahnhof 35 drecks geschäfte Bei derArbeit macht man sich manchmal die Hände schmutzig. Die sechs schmierigsten Deals der letzten Jahre finden sich hier. von Felix Dembski Illustration: Anna Niedhart 36 Drecks Geschäfte Banco Ambrosiano Echo-Affäre Sachverhalt: Als die Mailänder Bank Banco Ambrosiano, an der auch der Vatikan beteiligt war, 1982 zusammenbricht, kommt ein weitreichendes Tarnfirmennetzwerk ans Licht, über das anscheinend Waffen-, Devisen- und Drogengeschäfte in Südamerika abgewickelt wurden. Ihr Generaldirektor Calvi taucht unter. Sachverhalt: Externe Prüfer suchen 1998 in den Büchern der EU-Hilfsorganisation „ECHO“ nach verschwundenen 2,4 Millionen Euro. Sie stoßen dabei auf ein System aus Inkompetenz und Unwissen innerhalb der gesamten Kommission. Sie kommen zu dem Schluß, dass die Kommissare jegliche Kontrolle über Gelder und Verwaltung verloren haben. Folgen: In einem außergerichtlichen Vergleich zahlt der Vatikan 240 Millionen Dollar an die Gläubiger der Banco Ambrosiano. Calvi wird Wochen später erhängt an der Londoner Blackfriars Bridge gefunden, die Hosentaschen voller Ziegelsteine. Seine Sekretärin stürzt am selben Tag aus einem Fenster der Bank zu Tode. Der für die Bank zuständige Kardinal Marcinkus kann zeitweilig wegen eines italienischen Haftbefehls den Vatikanstaat nicht mehr verlassen. Folgen: Die Kommission unter Jaques Santer tritt 1999 geschlossen zurück. Santiago Gomez-Reino, Vorsitzender von ECHO, wird freigesprochen. Der Tippgeber, EU-Beamter Paul van Buitenen, wird suspendiert und seine Bezüge werden halbiert. Er gründet eine eigene Partei und ist heute Mitglied des Europäischen Parlaments. 37 Drecks Geschäfte Flowtex Kölner Müllskandal Sachverhalt: Der ehemalige Gebrauchtwagenhändler Manfred „Big Manni“ Schmider erleichtert von 1996 bis 1999 diverse deutsche Leasingbanken um 1,6 Milliarden DM. Er verkauft ihnen angeblich auf seinem Betriebsgelände stehende Tunnelbohrmaschinen, um sie sofort in Raten zurückzuleasen. Trotz anonymer Anzeigen aus dem Jahr 1996 bleibt das Schneeballsystem unentdeckt, wohl auch weil Schmider als Musterunternehmer und –steuerzahler gilt. Sachverhalt: Im Jahr 2001 sticht die Kölner Staatsanwaltschaft in ein Wespennest: Über Jahre hinweg hatte der Müllunternehmer Hellmut Trienekens mit gestückelten Spenden die Parteienlandschaft gepflegt, kommunale Entscheidungsträger mit üppigen Beraterverträgen versorgt und beim Bau von Müllverbrennungsanlagen Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe gezahlt. Folgen: Der Schwindel fliegt 1999 auf, und Schmider wird ein Jahr später zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Unter ungeklärten Umständen gelingt es ihm, aus der Untersuchungshaft zu entfliehen – allerdings nur, um in einem Luxusrestaurant essen zu gehen. 38 Folgen: Trienekens wird 2004 wegen Steuerhinterziehung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 10 Millionen Euro verurteilt. Der Kölner SPD-Stadtrat Rüther wird freigesprochen, da er nach Einschätzung des Gerichts nicht die für eine Verurteilung notwendige Eigenschaft als „Amtsträger“ besitzt. Drecks Geschäfte Enron E.ON Ruhrgas Fusion Sachverhalt: Den Finanzhexern des US-Energiehändlers Enron gelingt es, den Börsenwert des eigentlich hoch defizitären Unternehmens im Dezember 2000 auf über 60 Milliarden Dollar zu treiben. Enron ist die siebtgrößte Firma der USA. Als ihr System aus Scheinfirmen und –buchungen ans Licht kommt, muss die Firma ein knappes Jahr später Insolvenz anmelden. Sachverhalt: Das Kartellamt untersagt 2002 eine Übernahme der Ruhrgas AG durch den weltgrößten privaten Energiekonzern E.ON. Dieser bittet den damaligen Wirtschaftsminister und ehemaligen Energie-Manager Werner Müller um eine Ausnahmeerlaubnis. Da Müller sich für befangen hält, genehmigt die Fusion sein Staatssekretär und Schröder-Vertraute Alfred Tacke. Folgen: Da der Pensionsfonds für die Enron-Mitarbeiter seine Gelder primär in Enron-Aktien angelegt hatte, verlieren diese beinahe ihre gesamte Altersvorsorge. Mehrere hochrangige Manager werden zu Haftstrafen verurteilt. Der Ex-CEO und BushVertraute Kenneth „Kenny Boy“ Lay stirbt im Sommer 2006 in Haft. Folgen: Die Konkurrenten der E.ON AG ziehen ihre Klage gegen die Erlaubnis einen Tag vor der Urteilsverkündung zurück. Müller ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender der RAG, deren größter Anteilseigner die E.ON AG ist. Tacke arbeitet seit 2004 als Vorstandsvorsitzender der RAG-Tochter Steag. Ex-Kanzler Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender des Pipeline Joint-Ventures NEGP, an dem E.ON ebenfalls beteiligt ist. -f- 39 40 die entdeckung der reinlichkeit Wie oft wechselte man damals seine Wäsche? Putzte man sich überhaupt die Zähne und womit wischte man sich den Hintern ab? Die historischen Quellen schweigen sich aus. Deshalb soll hier eine Geschichte der Dinge geschrieben werden, die den Menschen erst zum „homo hygienicus“ machen: Flohfalle, Zahnbürste, Feuerklosett. von Kaspar Renner Illustration: Philipp Steinbrenner 41 Die Entdeckung der Reinlichkeit Im Mittelalter gab es keine Zahnbürsten, sondern nur sogenannte „Zähnereißer“. Sie ließen ihre Zangen auf Jahrmärkten kreisen, begleitet von Musik, Witzen und Zaubertricks. Viele europäische Herrscherfamilien ließen sich prophylaktisch gleich mal das halbe Gebiss rausnehmen – es gibt keinen einzigen Staufer oder Hohenzoller, der auf dem Familienportrait auch nur annähernd lächeln würde. Mundwasser kannte man damals zwar auch schon, es hatte aber einen eher spirituellen Sinn: Um 1150 beschreibt Großmystikerin Hildegard von Bingen, wie sie ihren Mund mit Rosenwasser spült, um den Heiligen Geist in gebotener Reinheit empfangen zu können. Nach der gleichen Logik sprenkelt man die Kirchen mit Weihwasser. Wasser im Mund Zu einer hygienischen Angelegenheit wird der Mund erst 1893 mit der Entwicklung von „Odol“. Hintergrund ist die Identifikation der Mikroben als Krankheitserreger 42 durch Louis Pasteur. Fortan gilt die Glei- dann zu fett, um wieder herauszuhüpfen. chung: „Sauberkeit = relative Mikroben- Der Rückenkratzer gehört zur Gattung freiheit“. In zeitgenössischen Kampagnen der Gegenstände, die nur eine einzige zeigt man die unsichtbaren Viecherhorden Funktion erfüllen. Queen Elizabeth soll als Luftschiffe, Zeppeline und Flieger, die ein besonders schönes Exemplar besessen unsere Körperöffnungen attackieren. Karl haben, ein elfenbeinernes Händchen mit August Lingners Mundwasser ist so etwas schön langen Nägeln. wie das perfekte Schutzplasma. Noch vor Puder im Gesicht dem ersten Weltkrieg gehen Nylon-Zahnbürsten in Serie. Die Entwicklungsspi- Dass diese Geräte um 1700 en vogue warale dreht sich nun immer schneller, bis ren, erklärt sich aus einer physiologischen Dr. Best 1985 einen Geistesblitz hat: die Vorstellung, die damals durch die Salons Schwingkopftechnologie! wandelte. Das Wasser stand im Ruf, ein Aber wir wollen hier keine bloße Fort- gefährlicher Porenöffner zu sein. Nur die schrittsgeschichte schreiben. Es lohnt ein „trockene Toilette“ galt als gesund. So Blick auf die vielen schönen Utensilien, verpanzerte sich die Adelsgesellschaft mit die man noch zur Zeit Ludwigs XIV. ver- einer Schicht aus Puder, Schweiß und Parwendete. Die Flohfalle etwa ist ein kleines, füm. Das Wasser war auf ewig dazu verkäfigartiges Gehäuse, das mit einer Mi- dammt, im Springbrunnen zu zirkulieren. schung aus Honig, Blut und Harz gefüllt Die Wäsche hingegen wurde regelmäßig ist. Die Damen steckten es sich unter den gewechselt. Der weiße Kragen war so etwas Rock respektive unter die Perücke. Flö- wie eine nach außen gekrempelte Insignie he schlüpften durch die kleinen Löcher der Sauberkeit. Deshalb zeremonialisierte ins Gehäuse, fraßen sich voll, und waren Ludwig XIV. den Akt des Hemdchenrei- Die Entdeckung der Reinlichkeit chens. Wenn im Barock vom „Putz“ die Rede war, dann bezog sich das aufs Herausputzen. Apparate, die Wasser über den Körper gießen, entwickelten sich erst im 19. Jahrhundert. Revolutionär war der Duschkopf, den man in den Volksbadeanstalten einsetzte. Erste Experimente mit der neuen Technik wurden im Gefängnis von Rouen durchgeführt. 1857 folgte das 33. Linienregiment in Marseille. Ein Offizier notierte: „Auf diese Weise kann man innerhalb von zwei Wochen das ganze Regiment (1300 Männer) für einen Centime pro Kopf waschen.“ Das hat Foucault zu weitschweifigen Reflexionen über die Disziplin der abgezirkelten Duscharchitektur angeregt. Alles mal wieder ein einziges Panopticum. Feuer unterm Hintern Die Erkenntnis, dass Wasser, das zufließt, auch irgendwie abfließen sollte, machte die Römer zu den größten Technikern der Kanalisation: Um 600 v. Chr. errichtete Tarquinius Priscus die „Cloaca Maxima“, die direkt in den Tiber mündete und von Kriegsgefangenen und Häftlingen gewartet wurde. Vergleichbare Kloprojekte kamen erst wieder in der Renaissance auf. Leonardo da Vinci entwarf neben Flugmaschinen auch eine belüftete Drehtoilette. Vollends überschlugen sich die Ingenieursfantasien dann um 1892. Ein Mann – eine Vision: das Feuerklosett. Der Verbrennungsofen dieser Konstruktion, den man am besten im Keller unterbrachte, bestand aus einer mit Kohle betriebenen Feuerungsanlage und zwei sich drehenden Walzen, auf welche die Fäkalien fielen und verbrannten: „Die Drehung der Walzen erfolgt beim Öffnen und Schließen der zum Klosett führenden Tür vermittels eines Drahtseiles, das an der Tür befestigt ist“. Letztendlich entschied man sich dann doch fürs Wasserklosett. Zähneputzen, duschen, scheißen – fehlt eine letzte Kulturtechnik: die Rasur. Be- reits im Hochmittelalter rasierte man sich aus Gottesfurcht. Um vom Laienbruder zum geweihten Priestermönch aufzusteigen, musste man den Bart opfern. Ähnlich zufällig fand dann im 20. Jahrhundert die Hygiene zu ihrem Gerät: Der „Gillette“-Sicherheitsapparat hatte nur deshalb so großen Erfolg, weil die amerikanische Armee ihn brauchte. Die Gasmasken des Ersten Weltkriegs schlossen nur direkt auf der Haut. Die Kriegsheimkehrer machten die Feldsitten dann zur gesellschaftlichen Norm – oder eben: Hygiene. Der Rasierapparat sei der vorläufige Endpunkt dieser Historie. Die Geschichte der Hygieneartikel ließe sich natürlich noch fortschreiben: Eine kleine Drogerie-Exkursion (besser als jede Hygiene-Ausstellung) hat ergeben, dass es schon wieder rund hundert neue Artikel gibt. Vielleicht werden diese Dinge den Historikern der Zukunft ähnlich skurril erscheinen wie uns Flohfalle und Feuerklosett. -f43 wallraffen Die Stasi sah ihn als Anarchisten, der BND als Nestbeschmutzer. Günter Wallraff selbst nennt sich einen Dreckaufwühler und was er dabei zutage förderte, erschreckte die Republik. Hallo Herr Wallraff, bei dem Thema Dreck muss ich sofort an Sie denken. Das glaube ich Ihnen. Nicht beleidigt? Nein, ich habe immer im Dreck gewühlt. Im Amerikanischen gibt es dafür sogar einen Ehrentitel: Muckrake, Dreckaufwühler. Und was hat das mit Ehre zu tun? Wer sich nicht mit dem Schmutz einer Epoche auseinandersetzt, der gehört selbst zum Schmutz. Die so genannten feinen Leute haben oft den meisten Dreck am Stecken. Da müsste noch viel mehr Dreck aufgewirbelt werden. Als Journalist und Buchautor haben Sie bei denen oft für viel Wirbel gesorgt. Heute gibt es in Schweden und Norwegen sogar ein Wort für Ihre Arbeit des investigativen Journalismus: wallraffen. Das stimmt. Ähnlich wie bei Röntgen das medizinische Durchleuchten von seinem Namen abgeleitet wurde, bezeichnet „wallraffa“ das gesellschaftliche Durchleuchten. Ich kriege alle paar Wochen Belege, wer da mal wieder gewallrafft hat. 44 Wallraffen Ihre Reportagen sind weltbekannt. Als Leiharbeiter Ali haben Sie in den 80er Jahren erschreckende Zustände bei Thyssen aufgedeckt. Thyssen war eine mörderische, menschenruinierende Gesundheitsvernichtungsanlage. Etliche meiner früheren Kollegen sind an Lungenkrankheiten und Krebs gestorben. Ich selbst habe da meine Bronchien und Knochen ruiniert. Heute ist Thyssen einer der größten Stahlkonzerne… …gebaut auf den Rücken der modernen Sklaven, der Leiharbeiter. Wo wir früher sechs bis acht Mark bekommen haben, schuften heute osteuropäische Leiharbeiter schon für zwei Euro die Stunde. Es gibt Berufe, bei denen man sich anders schmutzig macht. Bei der Bild-Zeitung waren Sie der Journalist Hans Esser. Das war meine größte Schmutzrolle. Der Dreck bei Thyssen war zwar gesundheitsruinierend, aber geistig behielt man dort wenigstens seine Identität. Bei Bild hingegen war es Selbstverleugnung. Man musste diesem ganzen Lügenwahn Nahrung verschaffen. Ich traf da auf eine feixende und total abgebrühte Gang. Die setzte sich über alles hinweg, verachtete andere und lebte ihre Vorurteile auf Kosten von Schwächeren aus. Die Schlagzeilen standen meist schon vorher fest. Es war eine professionelle Fälscherwerkstatt, ein Zentralorgan des Rufmordes, die ich da erlebte und überführen konnte. Wofür steht Bild heute? Das könnte man auch über MC Donalds sagen. Für publizistische Umweltverschmutzung. Da ist die Schmutzzulage ganz groß. Genau. Bei denen ist aber nicht nur der Fraß der letzte Dreck. Ich fühlte mich dort nicht als Arbeiter in einer Firma, sondern eher wie das Mitglied einer Sekte. Jeder musste sich von dem anderen absetzen. Der eine wurde Mitarbeiter des Monats, der andere wurde gemobbt. 45 Wallraffen IIhre Reportagen dokumentierten meistens das Innenleben großer Firmen. Wieso konzentrierten Sie ihre journalistische Arbeit nicht auf die Politik? Die Betriebe sind die Hinterhöfe und gleichzeitig die Trainingsräume und Hochburgen unserer Gesellschaft. Die 68er haben viel Sauerstoff in die Demokratie gepumpt, gerade was Minderheitenrechte angeht. Aber in den Betrieben lassen die Menschen oft alles mit sich machen – aus Angst vor Arbeitslosigkeit und weil da vieles im Dunkeln geschieht. Wie bewerten Sie den Journalismus heute? Er ist angepasster und es gibt mehr Kampagnenjournalismus. Leider muss man sagen, ist Bild in Deutschland heute oft tonangebend: Zur Stimmungsmache vor dem Irakkrieg die Angst vor Anthrax, dann aus Pharmainteresse die Vogelgrippe und heute die Kofferbomber. In diesem Fall riecht es gerade zu danach, dass diese Dilettanten instrumentalisiert wurden, um den Geheimdiensten noch mehr Kompetenzen zu ermöglichen und die Bürgerrechte weiter einzuschränken. Die Panikmache funktioniert ausgezeichnet. Was sind Ihre Tipps für junge Journalisten? Suchen Sie sich einen Zweitberuf, um nicht abhängig zu werden. Spezialisieren Sie sich auf einem Gebiet und steigen Sie auch in die Niederungen herab, um nicht von den elitären Kreisen vereinnahmt zu werden. Man darf seine ursprünglichen Ziele nicht verraten. Sie laufen am Sonntag den Köln-Marathon. Was ist da Ihr Ziel? Früher lief ich in 2 Stunden 50. Nach den Thyssen-Giftstäuben hoffe ich auf eine entspannte Zeit unter 4 Stunden 15. -f- Die Fragen stellte Philip Jaeger. 46 3 Minuten Sport mit Philip Jaeger po-dol-ski! Dreck ist so unnütz wie lackierte Stoßstangen und alkoholfreies Bier. Er ist da, aber keiner weiß etwas mit ihm anzufangen. In dieses Sinnvakuum fällt plötzlich ein Satz des Philosophen Heinrich Nüsse: „Entwickelt heißt jener Teil der Welt, wo der Dreck ein Problem geworden ist.“ Und weil sich aus klugen Sprüchen auch manchmal was Kluges basteln lässt, basteln wir in diesem Fall - ein Zivilisationsbarometer. Umso negativer die Probanden auf Mist reagieren, desto höher ist die Stufe der Entwicklung. Wir testen das neue Messgerät und packen Dreck auf den Operationstisch, in den Hauseingang, zum Bäcker – kein Applaus. Ist bei uns also alles durch und durch zivilisiert, eine Hochkultur der reinlichen Form? Nein. Denn mitten in unserem Leben finden wir einen Ort, da gilt Dreck noch als das, was er mal war. Als Zeichen der ehrlichen Arbeit, des heldenhaften Kampfes, der Freude am Toben. Herzlich Willkommen im letzten Schlupfloch der Barbaren, im Lande des Sports. Der Dreck-o-mat kann einpacken. Hier finden wir Oliver Bierhoff. Er berichtet, er sei sehr reinlich und ein guter Fußballer, der früher mal viele Tore schoss, einmal sogar ein goldenes. Trotzdem ist zu beobachten, dass er nur von ein paar Schwiegermüttern und Werbemenschen angehimmelt wird. Der Befund ist eindeutig: Die Herzen der Südkurve fliegen an ihm vorbei, weil er schon immer das war, was er heute ist – ein Saubermann, Manager und Schnösel. Was ihm fehlt, ist Dreck am Trikot und im Auftritt. Anders bei Prinz Poldi. Ein ganzes Fanvolk huldigt ihm in Sprechchören, weil er so schießt, wie er redet, wie er heißt: Po-dol-ski! Das klingt nach Kawumm, nach schmissigen Sprüchen und Sportskanone. Da bleibt kein Trikot weiß. In dieser Welt bestehen Helden also nicht aus Reichtum, Schönheit und Bildung. Aus Schweiß, Schlamm und Herzblut, daraus sind die Sieger geformt. Egal ob beim Fußball, Rugby, Prügeln und dem Rest, überall schreit und brüllt es: „Quäl dich, du Sau!“, „Scheiß Millionäre!“, „Wir wollen euch kämpfen sehen!“. Zwar gibt es auch hier Grüppchen, bei denen Sauberkeit geschätzt und martialische Rufe verpönt sind, aber wer würde Dressurreiten und Golf schon als Sport bezeichnen? Am Ende der Expedition ist klar, Dreck ist nicht sinnlos, sondern sexy. Er ist das Styling der Helden. -f- 47 in grossen buchstaben Komposition: julius es ziehen wolken auf gen doch es ist dämmerlicht egal als wir in großen irgendwer wartet mich 48 es ist egal und wir gehen raus es ist so egal buchstaben deine schminke verläuft im re- denn dein lächeln glänzt im feierabend- auf die wagen schrieben irgendwo auf dich und irgendwo wartet irgendwer auf denn wir können nicht länger warten und deine haut scheint im parkplatz- laternenlicht als wir in großen buchstaben auf die wagen schrieben: Solo: Mundharmonika d B C dd »wasch mich ich bin dreckig« auf dem weg zurück aus er »wasch mich und alles was von heut‘ nacht. du bringst mich nach hause diesem abend bleibt: nachdem wir in großen ich bin dreckig« und ich steig schon eine straße früher der asphalt scheint im glanz deiner rücklicht- buchstaben auf die wagen schrieben: heut‘ nacht. Wer keine Noten lesen kann, hört sich das Lied auf www.diefacette.net an, oder auf CD: Im Frühjahr erscheint bei urbanprovince das Debut. 49 der facette-triptipp: los angeles harte wahrheit hollywood von Philip Jaeger 50 Harte Wahrheit Hollywood Das passiert mir immer öfter: Ich erinnere mich an eine Reise, etwa an Rom, an den Circus Maximus, das spektakuläre Wagenrennen damals, und langsam dämmert es mir – stopp, das war nicht ich, das war Charlton Heston. Ähnlich ist es bei meinen Abenteuern in der Karibik, in Las Vegas, auf dem Mond. Immer wieder zerplatzen Urlaubsanekdoten an der harten Wahrheit Hollywood. Ärgerlich, denn Zwischenrufe à la „das ist doch die Geschichte von Ben Hur!“ können das Interesse der Zuhörer hinterrücks erdolchen, wie damals der Brutus den Caesar – aber das ist eine andere Geschichte. Los Angeles – Ursprung und Ende vieler Träumereien. Zur Entzauberung daher einige fantasielose Fakten vorneweg: 1. Die meisten Menschen leben hier nicht vom Film, sondern vom Krieg. Die größten Arbeitgeber sind Militär- und Luftfahrtunternehmen. 2. Es gibt so viele Autos pro Kopf, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die wenigsten sind schwarze Stretchlimousinen, die meisten sandfarbene Toyota Charisma. Und 3. in Los Angeles gibt es mehr Smog als Stars. An einem Sommertag wiegt der Dreck in der Luft mehr, als alle in LA lebenden Oscarpreisträger zusammen. Auf ein Kilo Star kommen dann mehrere Kilo krebserregende Partikel. Derart aufgeklärt lässt sich alles tiptop enttarnen. Vor der Wahrheitskur hätte ich vielleicht noch Uma Thurman zu sehen geglaubt. Jetzt sitzen langbeinige Blondinen mit gebastelten Nasen in der mondänen Sky-Bar am Sunset Boulevard oder im pittoresken Le Pain Quotidien an der Melrose Avenue und zwitschern sinnfrei in ihre vergoldeten Nokias, während die männlichen Exemplare in gemieteten Luxuslimousinen über den Hollywood Boulevard prollen. Tinseltown, Glitzerstädtchen, nennen das dann die, die es besser wissen. Es funkelt und Punkt. Aber was ist mit dem sensationellen Getty Museum, über der Stadt thronend, wie die Kommandozentrale des bösen Dr. No? Touristisch völlig überlaufen. Der blubbernden Teersee von La Brea mit seinen Dinos, die seit Jahrtausenden auf ihr Comeback warten? Riecht nach Schwefel und Ölkatastrophe. Der Financial District, seine einsamen Hochhäuser, seine menschenleere Science-Fiction? Kulturlose Moderne. Und der heldenhafte Terminator-Gouverneur, der in den Universal Studios gegen Roboterkiller und in der Politik für Kyoto kämpft? Alles nur Show. So kann man durch die berühmteste Kulisse der Welt streifen und hinter jeder pompösen Fassade eine nüchterne Erklärung finden, das Gegenteil von Entertainment. Deshalb: Schnitt! Das macht man anders. Offensichtlich gibt es keine schlechtere Methode, dem Geist der Stadt auf die Schliche zu kommen, als mit harten Fakten vorneweg. Der angesagte LA-Triptipp lautet: Augen auf und rein. Mutige Träumer gucken, dicke Limousinen anhupen, im Pazifik surfen, dem weißen Hai ausweichen und von Pam gerettet werden. Klingt lässig, macht Spaß und am Ende hat man was zu erzählen. Also noch schnell hoch auf die Hollywood Hills. Einen versöhnlichen Blick werfen auf diese halbwahre Stadt mit den verrückten Yoga-Übungen und den muskulösen Feuerwehrmännern. Das Highlight bewundern: den einzigartigen rosagrünen Sonnenuntergang. Und nicht fragen, wer hier Regie führt. Unter uns – ein solches Schauspiel inszeniert nur der Smog. -f51 ungefragt und leise Fotos: ueberdose.de 52 Ungefragt und leise Schmierereien, die das Stadtbild verschandeln und sinnloses Gekritzel: Graffiti bekommt von allen Seiten einen drüber. Florian Renner (26)*, der nachts loszieht, weil er saubere Fassaden nicht erträgt und Christoph Janke (27), Macher von ueberdose.de, einem Archiv für Graffiti und Street Art in Berlin, erklären hier ihre Motivation. Warum machst du Graffitis, Florian? F: Mit fünfzehn wollte ich cool sein und habe aber nur ein Graffiti abgemalt und gar nicht verstanden, was das sollte. Bis heute hat es keinen direkten Sinn, was ich male. Wie in der Kunst. Und warum machst du das in der Öffentlichkeit? F: Wo denn sonst? Außerdem gibt es so die Kommunikation in der Szene, die Kritik der anderen Maler. C: Es geht nicht um Provokation, sondern um die Aktion selbst und die Weiterentwicklung der Crews. Wie die UT-Crew um Yps, Ehsone und Roger in den letzten Monaten das Stadtbild geprägt hat, das ist unglaublich. Für Außenstehende bleibt das aber alles anonym. C: Für die Leute, die das nicht lesen können, gibt es Street Art mit hübschen Klebebildchen. F: Das ist die Rückkehr zur figurativen Malerei! Die konservative Wende in der Graffitibewegung. Graffiti hat eine andere Abstraktionsebene. 53 Ungefragt und leise Du sprichst von „sauber“ – woher Dein Bedürfnis nach Dreck? F: Mich interessieren die Spuren, die da nicht hingehören, wenn die glatte, langweilige Architektur aufgebrochen wird. Für Anyone z.B. ist Graffiti nicht Kunst sondern Zerstörung, Anti-Style und Dreck. Das ist die Punkhaltung. Trotzdem wirft er keine Scheiben ein. Ist Graffiti Dreck? C: Das ist eine Frage der Einstellung. Ich empfinde die leere Wand als Dreck. F: Für mich ist Graffiti Dreck. Alle Gesellschaften haben Reinlichkeitskulte. Je autoritärer die Gesellschaft, desto reiner will sie sein. Da verdrecke ich aber lieber. Warum arbeitet ihr mit Buchstaben und Sprache? C: Man erwartet von Buchstaben immer gleich eine Bedeutung, und da stehen aber nur comichafte Namen, die keiner versteht. Dieser Widerspruch nervt die Leute. F: Es ist die Sinnenttäuschung. Es bedeutet nichts, es hat „nur“ einen ästhetischen Sinn. Aber wir brauchen etwas, um die Welt zu strukturieren. Das ist das Alphabet. Als Maler breche ich dieses Gesetz, wenn ich es anwende. Es ist der Reiz zwischen Freiheit und Gesetz. Das kann man sich auch in der Berliner Gemäldegalerie anschauen: Gotische Maler haben Schriftbänder in ihren Bildern selbst zu Bildern gemacht. 54 Ungefragt und leise Ihr brecht aber auch ganz konkret Gesetze – Graffiti ist oft illegal. F: Für Menschen wie Karl Henning von nofitti sind Maler nur kindliche Rebellen. Das spielt beim Einstieg auch oft eine Rolle, aber für mich steht das kreative Moment inzwischen klar im Vordergrund. C: Die scheinbar negative Voraussetzung ist durchaus positiv: Maler unter Zeitdruck und mit Handschwitze malen erfahrungsgemäß die besten Styles. Man kann sich nur auf sein Gefühl, die Übung und Erfahrung verlassen. Die Illegalität ist im Prinzip egal, es passiert einfach trotzdem, ungefragt und leise. Oft werden Sprayer mit Hunden verglichen, die ihr Revier abstecken. Stimmt der Vergleich? F: Das trifft es gar nicht. Es ist nicht exklusiv. Es geht darum, Leere zu gestalten. C: Und Maler bewegen und orientieren sich in der Stadt nicht über Straßennamen, wir kennen die Pieces, Tags und Bomben in Berlin. Das ist eine andere Wahrnehmung. Wir haben uns einen eigenen Erinnerungsraum geschaffen. Eure Lieblingsfarbe? F: Blau und Rot. C: Panther Pink ist gut dreckig. -fDie Fragen stellte Onno Berger *Name geändert 55 Berlin ist auch nicht alles für Onno Berger punk’s not dead Lichterketten, Tische, Stühle auf der Straße. Johlendes Jungvolk in alkoholisierter Abi-Laune. Elternlose Kinder laufen umher und Hunde streunen durch die Straßen. Kneipe an Restaurant an Café. Wir sind in Friedrichshain, Simon-Dach Kiez. Die Ausgehmeile für Brandenburg. Längst sind die Szenezeiten vorbei, die Schlesische Straße liegt eben auf der anderen Seite der Spree, der Mob sucht Friedrichshain heim. Aus dem Umland fallen, besonders am Wochenende, Heerscharen von Jugendlichen ein. Alteingesessene Friedrichshainer und zugezogenes Studentenpack sind das nicht gewohnt. Aber es passt. Denn die alte Leier von den Widersprüchen im Leben trifft in diesem Kiez mal wirklich zu. Hier passt nämlich nichts. Aus dem Blumenladen ist eine Sushi-Bar geworden. Der Besitzer, ein Kurde, hat nicht gewechselt. Sushi läuft nur besser. Aber nicht so gut wie die Thai-Küche. An jeder Ecke wird aus Eimern Glutamat in die Soßen geschüttet. Hier bekommt jeder seinen Fraß, den er in seinem Hippness-Hype auf Low-Level verdient. Hier hat man noch kein Geld für Lebensqualität. Das hier ist nicht Prenzlauer Berg. Hier gibt es Skins, die Shisha rauchen. Man glaubt es kaum. Genauso wie Sand als Bodenbelag in Bars. Darin wird mit den Sneakers gescharrt und ein Duft von frischgewaschenen Haaren und Axe- Deo liegt in der Luft. Billig ist auch das Angebot: Alle Cocktails vier Euro. Teurer war wohl der neu angelegte Boxhagener Platz. Neuer Rasen, neuer Spielplatz – neuer Zaun drumrum. Ist aber auch egal, nach einem Sommer haben wir wieder Steppe auf dem Platz und der Zaun kann höchstens als Kampfhundearena am Sonntagnachmittag fungieren: Wer ein Gebiss hat, zeigt sich hier mit seinem Herrchen. Aber man gibt sich irrsinnig Mühe. Auf dem Stückchen Sand, das die Bäume auf dem Bürgersteig umgibt, werden Beete angelegt. Eine Mutter zu ihrem Kind: „Das ist doch nicht wahr, Maike! Meine einzige Rose – einfach ausgegraben!“ Huch – wir leben in einer Stadt! Aber hier lebt jeder wohl seine eigene Welt. Vorsichtshalber lässt der Schawarma-Laden an der Südseite vom Boxhagener Platz die Zeiger der Wanduhr andersherum laufen. Das Schönste sind eigentlich die Hundescheißbeutelständer. Der größte Witz dabei: Die werden auch noch benutzt! Und von wem? Na klar, wie kann es anders sein, denke ich an einem Morgen, als ich eine Frau mit zerrissenen Netzstrumpfhosen und einem schicken Iro ihre Töle angiften höre. „Man – schon das zweite Mal!“ Lässig zieht sie daraufhin eine Hundescheißbeutelplastiktüte aus der Jackentasche, greift sich die Wurst und läuft zur nächsten Mülltonne. Punk’s not dead. Friedrichshain sucks? Denkste. -f57 fashiondeponie Fotos: Benjamin Rennicke www.benjaminrennicke.de Hair & Make-Up: Fränze Habicht Styling & Fashion: Flagshipstore www.flagshipstore-berlin.de Models: Fränze, Lenny, Xarah gosse, glanz und gloria William T. Vollmann kennt in seinem Roman ,Huren für Gloria’ kein Feigenblatt „Haben Sie sich jemals die Hand einer alten Straßenhure angesehen? Dreckige schlaffe Falten, die so tief sind wie Schnitte, die Fingerspitzen verschwielt und abgeblättert…“ Zitat Ende – halt, noch nicht, es geht noch weiter, das ist wichtig: „Diese Hand hat schwer gearbeitet, Fremden Liebe zu geben oder das zu geben, was Fremde Liebe nennen oder was Fremde anstelle von Liebe wollen – nein, es ist Liebe, denn Arbeit ist Liebe, egal was oder wie.“ Was passiert in diesen Zeilen, im ganzen Buch, was geht hier vor sich? Antwort: Ungeheuerliches. Huren für Gloria heißt das Werk von William T. Vollmann, in den USA ist es bereits vor knapp 15 Jahren erschienen, und 62 Gosse, Glanz und Gloria nun endlich, endlich auch auf Deutsch. Ein übermenschliches Buch ist das, denn es bringt zwei Dinge zusammen: Den größten Dreck und die höchste Herrlichkeit. Gewalt und Liebe. Hass und Zärtlichkeit. Tod und Leben. Vernichtung und Erlösung. Ungelogen. Dabei erscheint die Story auf den ersten Blick simpel. Ein durchgeknallter Vietnamveteran säuft und fickt sich durch den Straßenstrich von San Franciscos Rotlichtviertel Tenderloin. Er ist auf der Suche nach Gloria, man weiß nicht, ob sie tatsächlich seine ehemalige Geliebte oder sein reines Hirngespinst ist. Aber das ist auch egal. Sie ist nicht da und er findet sie trotzdem. In fabulierten Gesprächen mit sich selbst und bei den Straßenhuren. Deren Körper werden für ihn zu Glorias Körper. Ihre Kindheitserinnerungen, für die er ebenso ehrlich bezahlt wie für den Analverkehr, werden zu Glorias Erinnerungen. Ihre Locken, abrasiert, gekauft und zur Perücke geknüpft, werden zu Glorias Haarpracht. Aus all diesen materiellen und geistigen Einzelteilen setzt Jimmy, so heißt er, seine große Liebe zusammen. Was heißt hier, er setzt sie zusammen? Er erschafft sie, nach dem Ebenbild der Nutten dieser Stadt. Das ist das Ungeheuerliche, dass hier ein Schöpfungsakt gezeigt wird, hier im tiefsten Sumpf der Gesellschaft. Und des Autors literarische Produktion ist nicht weniger eng geknüpft an die direkte Begegnung mit „dem Milieu“ – wie wir in unserer durch und durch soziologisierten Sprache zu sagen pflegen. Zum Glück spricht Vollmann anders, er spricht den Slang, er nimmt kein Feigenblatt vor den Mund, er wählt Vokabeln, die nur in literarischer Form zu ertragen sind. Selbst das nicht immer. Schließlich lässt er wirkliche Prostituierte in seinem Roman zu Wort kommen. Er hat vor Ort recherchiert, O- Töne gesammelt und nun in einem beinahe dokumentarischen Stil alles hingeworfen, auf dass es große Literatur werde. Und es wurde. Denn Vollmann beschränkt sich nicht nur aufs Berichten. Er schafft sich für sein Thema eine eigene Grammatik, die Grammatik der Gosse. Immer wieder nehmen die Sätze kein Ende, wie das Elend vor Ort. Sie haben keinen und doch zig Erzähler. Immer wieder verheddern sie sich in den brutalsten Ausdrücken, wieder und wieder versuchen sie klar zu sehen. Und manchmal, da schaffen sie es. Sie zeigen das Leiden so echt, dass das Lesen zwangsläufig zum Mitleiden wird. Und durch diese Verbindung, ja, da beginnt der ganze Schmutz zu strahlen. Und die Hure nimmt dich an die Hand. -fChristoph Schmaus William T. Vollmann Huren für Gloria. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006 200 Seiten. 17,80 Euro 63 aussen hui, innen pfui ‚Der Teufel trägt Prada’ klärt über die dreckigen Seiten der schicken Modebranche auf Der Teufel trägt Prada USA 2006, 110 Minuten Regie David Frankel Darsteller Meryl Streep, Anne Hathaway, Emily Blunt seit 13. Oktober 2006 im Kino 64 „That’s all“ - mit dieser lakonisch hingehauchten Bemerkung beschließt Miranda Priestly (Meryl Streep), Chefredakteurin des weltweit führenden Modemagazins „Runway“, für gewöhnlich die minutenlangen Befehlskaskaden an ihre Assistentinnen. Ihre Neue ist die ehrgeizige Collegeabgängerin Andy Sachs (Anne Hathaway), die ziemlich nichtsahnend in die schickste Branche der Welt stolpert. Auf den ersten Blick könnten die Lebenswelten der beiden Protagonistinnen von Der Teufel trägt Prada kaum unterschiedlicher sein. Während Andy in einem heruntergekommenen Appartment mit ihrem unrasierten Freund wohnt und sich von Fast Food und Bier ernährt, strahlt das Büro ihrer Chefin Miranda vor antiseptischer Sauberkeit, und superschlanke „Fashion-Diven“ klappern auf ihren Pfennigabsätzen durch die Flure. Andy sieht sich gezwungen, eine radikale Veränderung zu durchlaufen, wenn sie Erfolg haben will. Ihr Privatleben muss dabei offenbar auf der Strecke bleiben: Freunde, Familie, Außen hui, innen pfui Freizeit – alles gerät in den Hintergrund. Bestimmt wird Andy Sachs’ Leben zunehmend von einem „Miranda“-blinkenden Handydisplay. Der Teufel trägt Prada basiert auf dem gleichnamigen Roman von Lauren Weisberger über ihre Erfahrungen mit der amerikanischen „Vogue“-Redaktion und ihrer Chefin Anna Wintour. Mit der Oscar-Gewinnerin Meryl Streep und Anne Hathaway, bekannt durch „Brokeback Mountain“, ist dem Regisseur David Frankel neben Gastauftritten von Gisèle Bündchen, Valentino und Heidi Klum die perfekte Besetzung für diesen Film gelungen. Insbesondere die graugefärbte Streep überzeugt durch ihre Kälte und Gnadenlosigkeit. Trotz gelegentlich aufblitzenden menschlichen Zügen ist sie die tyrannische Herrscherin der Modewelt. Mit schnellen Schnitten schafft es Frankel, das hektische Leben in New York glaubhaft wiederzugeben und gleichzeitig die Faszination der Modewelt schreiend komisch zu transportieren, auch wenn der Film gelegentlich ins Klischeehafte abzurutschen droht. Der Teufel trägt Prada ist aber vor allem eine Bestandsaufnahme der heutigen Arbeitswelt. Andy Sachs verkörpert eine Vertreterin der neuen Klasse des Prekariats (auch als „Generation Praktikum“ betitelt), welche sich in schwebenden Arbeitsverhältnissen despotischen Vorgesetzten ausgeliefert sieht, um auch nur den Hauch einer Chance für das spätere Arbeitsleben zu erhalten. Dabei kann eine Erkältung das Ende aller Assistententräume bedeu- ten, was Andys Kollegin Emily (Emily Blunt) am eigenen Leib erfährt: Prompt schreit Miranda, die Chefin, nach „antibacterials!“ und schlägt Andy die begehrte Reisebegleitung für die Pariser Modewochen zu. Emily ist nun wieder dazu degradiert, Mirandas Handtasche und Mantel zu empfangen, welche allmorgendlich auf ihren Schreibtisch geknallt werden. Andy hingegen sieht sich hier zum ersten Mal gezwungen, auf Kosten anderer Erfolg zu haben. Zum Schluss bleibt die Frage: Kann gerade eine junge Frau nie Karriere machen, ohne unter Anwendung mieser Methoden zum kaltblütigen Karriereweib zu mutieren, Freunde und Beziehung zu verlieren? Miranda Priestly zumindest lässt die Zuschauer mit dieser Frage zurück. -fFranziska Bornefeld, Christoph Willmitzer 65 wenn die wölfin heult ‚Wolfmother‘ stecken im Glamrock. Dass Outfit und Output manchmal weit auseinander liegen, beweisen Wolfmother. Das sind drei Knaben aus Sydney: Andrew Stockdale, Chris Ross, Myles Heskett. Einer braun, zwei schwarz gelockt, mit Streifenshirts, engen Hosen und Chucks an den Füßen. Und gar hübsch anzuschauen, wie sie sich abmühen an ihren Instrumenten. Wenn man’s nicht wüsste, man würde wieder auf eine dieser The-Combos aus UK tippen. Aber dann kommt die Musik. Und der Zuhörer fragt sich: Auch wenn sie aus Australien kommt – geht das, dass eine Band in diesen Monaten unseres Jahrtausends noch solche Töne produziert? Eine neue Hardrockbewegung sei hier schwer im Kommen, schwärmen Intro und NME. Lange Schlangen vor dem Londoner Koko schon im Mai, zweimal Platin für ihr Debüt Wolfmother auf dem Heimatkontinent. Die Band hält Vergleichen mit Led Zeppelin und Black Sabbath, die Stimme von Frontmann Stockdale mit der eines frühen Ozzy Osbourne stand. 66 Wenn die Wölfin heult Und man muss schon zugeben, die machen das gar nicht schlecht. Da wurde im Studio in L.A. aufgenommen und genau das weggelassen, was keiner braucht, was nur stört, und am Ende steht nichts weiter als roher, ungestümer Rock’n’Roll, der einen bei Konzerten immer so schön zum Schwitzen bringt. Aber anders als bei Gitarrenrockbands der jüngsten Zeit ist da noch ein bisschen mehr. Das bisschen Mehr, das einen sofort anspringt, wenn man die Platte in den Händen hält und die Play-Taste gedrückt hat: Mythos. Die auf dem Albumcover abgebildete, grimmig dreinblickende halbnackte, einer griechischen Göttersage entsprungene Dame könnte man so als Airbrushbild auch auf der Kühlerhaube eines Trucks finden. Die Lyrics erzählen von Gnomen, Hexen, Adlern und Einhörnern. Und über die Frage hinaus, ob wir wirklich ein Glamrock-Revival brauchen, bleibt eines offen: Meinen die das ernst? Ja, offensichtlich tun sie das. Das ist derbe, dreckig, agressiv, das geht auf die Zwölf, das ist einfach Rockmusik. Als organic jam-based rock der 70er bezeichnet denn auch Chris Ross die Musik der Band. Musik, die entsteht, wenn frei von Pomp und großen Melodien einfach nur geknüppelt wird. Kanada hat keine Kultur, hat der kanadische Musiker Gonzales in einem Radio Eins-Interview gesagt. Das sei ein Grund dafür, dass die Musikszene so dynamisch, innovativ und frei von den Einflüssen, wie sie in Europa vorherrschen, agieren kann. Von Australien kann man getrost dasselbe behaupten. Die Geschichtslosigkeit des Staates – zerrissen zwischen patriotischen Gefühlen für die alte Kolonialmacht Britannien und einem von den USA inspirierten Lifestyle – bringt nicht ohne Grund eine Band wie Wolfmother hervor. Die brauchbaren Elemente von allen Hard- und Stonerrockcombos der vergangenen Jahrzehnte klauben sie zusammen, schmeißen sie in einen Topf, schütteln und rotzen sie dem Zuhörer wieder auf die Füße. Queens of the Stone Age meets AC/DC meets Marc Bolan. Wer keine Scheu hat, sich schmutzig zu machen, bei einem Konzert in eine Prügelei zu geraten oder einfach mal wieder ausgiebig Luftgitarre spielen will, dem seien Wolfmother ans Herz gelegt. Wen allerdings Slayer-Riffs und Highway-to-hell-sound-a-like-Gekreische noch nie hinter dem Ofen vorgelockt haben, der kann auch diese Jugendbewegung furchtlos ignorieren. -fKatrin Knoppe Wolfmother Wolfmother Juni 2006 Interscope 67 das schimmelreich Dieter Roths wucherndes Museum und was davon übrig blieb SSeit der Zeit beuysscher Fettecken und Piero Manzonis eingemachten Fäkalien aus Eigenproduktion ist der Konsument der schönen Künste mit Werken aus ekelhaften Materien vertraut und mit der Tatsache, dass diese zerfallen. Für das Beseitigen von Kunstwerken aus organischen Materialien braucht es keine übereifrige Reinigungskraft, wie diejenige, die unter Einsatz von hocheffizienten Fettlösern Beuys’ Fettecke einfach wegwischte. Abseits von solcherlei Anekdoten ächzen Kuratoren unter den Anforderungen, welche die Konservierung von Kunstwerken aus kurzlebigen Materialien an sie stellt. Der Zerfall selbst ist aber Kunst. Das zumindest zeigen die Werke des 1998 gestorbenen Dieter Roth. Bei ihnen sind Zersetzungsprozesse nicht ein zu vermeidendes 68 Problem, sondern Teil des Werkes. Das zeigt Roths Anfang der 90er Jahre eingerichtetes Schimmelmuseum. Von dem Sammler Philipp Buse erbat Roth sich ein verfallenes Gebäude, das eigentlich einem geplanten Roth-Museum weichen sollte. Die angeschimmelten Räume waren ideal für Roths Idee einer verrottenden Kunst. Entsprechendes hatte er bereits in Ver- Das Schimmelreich wesungsobjekten, wie dem aus Käse und Joghurt gefertigten Schimmelhaufen von 1968 gezeigt. Das Schimmelmuseum wurde schließlich mehr als ein unauffälliger Museumsraum. Eine Zucker- und eine Schokoladenküche wurden eingerichtet, in denen Roth die meisten der ausgestellten Stücke erst herstellte. Bis ins Obergeschoss ragte beispielsweise der Selbstturm aus Schokolade, der langsam unter seiner eigenen Last zusammensank. Vorgänge des Zerfalls ließen sich auch an den benachbarten Obstfenstern beobachten, in denen verschiedene Obstsorten zwischen Glasscheiben vergammelten. Im Obergeschoss brachte Roth Rahmen auf den schimmelnden Wänden des Hauses an, und malte deren Zwischenräume mit grauer Farbe aus. So entstanden Schimmelbilder, die Roth in Ruhe wuchern ließ. Wendet der Betrachter sich nicht sofort schaudernd ab, so kann er im Museum mehr finden, als ein Gesamtkunstwerk des Ekels. Schimmelnde und zerfallende Kunstwerke geben einen Hinweis darauf, dass die Medien der Bildenden Kunst im Allgemeinen zur schönen Ewigkeit ungeeignet sind. Die übliche Konservierung erscheint als das panische Aufrechterhalten einer Ästhetik der Makellosigkeit, die der Einrichtung der materiellen Welt nun einmal widerstrebt – und man fragt sich, ob es denn nicht vielleicht schöner sei, dass eben alles zerfällt. Zu besichtigen war das Schimmelmuseum zwischen 1998 und 2001. Anfang 2004 wurde es abgerissen, was nach wie vor umstritten ist. Dieter Roth selbst allerdings hatte sich noch zu Lebzeiten klar für den Abriss ausgesprochen. Nach seiner Definition von Kunst als „Kucken und Kacken“ war eben auch der Abriss des Hauses nur ein weiterer jener Verdauungsprozesse, denen Roth einen beachtlichen Teil seiner künstlerischen Arbeit gewidmet hatte. Eine bisher fehlende Dokumentation über das Haus ist seitens der Dieter Roth Foundation geplant. Was bleibt, ist der virtuelle Rundgang durch das Museum im Netz oder gesicherte Teile des Schimmelmuseums zu besichtigen. Auf das Kleben unter den Schuhen und den Geruch des schimmelnden Hauses allerdings muss man verzichten, oder Entsprechendes im heimischen Keller nachholen. -fBjörn Märtin Dieter Roth Museum Abteistraße 57 20149 Hamburg www.dieter-roth-museum.de 69 digitale hauswand Die Webgemeinde pflegt das Werk eines anonymen Genies Das Internet ist die ideale Ausstellungsfläche für die illegale Kunst von Banksy. Tausende Anhänger dokumentieren sie auf Fotoportalen wie flickr.com. Mit neuartigen Funktionen wie Geotagging verknüpfen sie die digitale wieder mit der realen Welt und kreieren einen globalen Wegweiser für alle, die sich für die meist kurzlebigen Werke des Briten begeistern. Denn einen echten Banksy findet man meist nur dort, wo er eigentlich nicht willkommen ist. Disneyland ist so ein Ort. Alles ist groß, rund und süß. Die Big-Thunder-MountainAchterbahn rast durch eine Lollipop-Inszenierung des amerikanischen Westens mit allem was dazu gehört: Canyons, Minen, Klapperschlangen. Am 10. September dieses Jahres konnten die Besucher dort eine weitere bunte Ikone des American Way bestaunen. Zwischen Kakteen und Felsen stand ein Mann im orangefarben leuchtenden Overall, gefesselt an Händen und Füßen, einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt. Banksy hatte wieder zugeschlagen. Mitten im entrückten Kinderparadies für Jung und Alt stand Digitale Hauswand die lebensgroße Puppe eines Guantanamo-Häftlings. Immer wieder gelingt es dem gefeierten Graffiti-Artist, seine Werke an Orten zu platzieren, die versuchen, ihre saubere Inszenierung vor jedem Kommentar zu schützen. An der Wand im Elefantengehege des Bristol Zoo waren eines Tages die Reflexionen der Dickhäuter in einer riesigen Gedankenblase zu lesen: „Keeper smells. Boring! Boring! Boring!“ Seine Ratten, Affen und knutschenden Bobbys bevölkern seit Jahren die Häuserwände von Großstädten wie London, Los Angeles oder Berlin. All das findet selten den Segen der Gesetzeshüter, weshalb Banksys Werke meist nur eine geringe Halbwertzeit besitzen. Seine Fans versehen daher ihre bei flickr.com veröffentlichten Fotos mit einem sogenannten Geotag. Hierbei wird der Ort der Aufnahme auf einer Satellitenkarte vermerkt. So entsteht über die Zeit ein Weltatlas der aktuellen und wieder verschwundenen Arbeiten. Längst haben Banksys verschönerte Ölschinken vom Flohmarkt sogar ihren Weg in die großen Museen dieser Welt gefunden. Sie wurden nur nie bestellt. Es bedarf anscheinend nur eines falschen Barts und eines Trenchcoats, um die eigenen Werke im Louvre, dem Museum of Modern Art oder dem Brooklyn Museum ungefragt auszustellen. Dort hängen sie Stunden, manchmal Tage unentdeckt. Das British Museum nahm „seinen“ Banksy dann sogar in die ständige Sammlung auf. Acht Tage blieb unentdeckt, dass in der Abteilung Höhlenmalerei ein Stein an der Wand hing, der neben einem primitiven Büffel einen Menschen zeigte, der einen Einkaufswagen schiebt. „Der Urmensch geht zum Markt“ bezeichnet die angebrachte Plakette das Exponat. Sogar dort, wo die Demarkationslinie zwischen dem sauberen Westen und der stinkenden Dritten Welt nicht brutaler und chirurgischer sein könnte, hat der immer noch anonyme Künstler seine Spuren hinterlassen. Im Jahr 2005 bemalte er an sechs Stellen die palästinensische Seite der Grenzmauer im Westjordanland. Durch gemalte Löcher blickt man jetzt auf verstörend kitschiges Berg- und Südseepanorama. Vielleicht das einzige Werk, von dem zu hoffen ist, dass es eines Tages nur noch im Internet zu bewundern ist. -fFelix Dembski www.banksy.co.uk www.flickr.com bürsten battle Von Christian Sammer und Christina Lazai Wenn es auf dem stillen Örtchen dicke kommt, hilft nur eins: die Klobürste. die facette testet drei Spurenvernichter. Die drei Testbürsten unterschieden sich maßgeblich in Preis und Design. Wie es aber um Reinigungskraft, Handling, Abnutzung und schließlich auch der Verschmutzung der Bürsten selbst bestellt war, konnte nur im Versuch herausgefunden werden. Aus Rücksicht auf die allgemeine Befindlichkeit wurde zur Verschmutzung des WCs nur lactosefreier Schokopudding verwendet. Das teuerste Modell, die Bürste Toq der hessischen Designfirma Koziol, trat an gegen die Ein-Euro Bürste Viren aus dem Möbelhaus IKEA und die Durchschnittsbürste deutscher Duschbäder, die WC-Bürstengarnitur mit Randreiniger vom Hersteller Rival. Bewertet wurden sie in einzelnen Kategorien nach Punkten. Nach einem Gewichtungsschlüssel wurde die Gesamtnote ermittelt. Im Test schnitten die Bürsten von Gut + bis Gut - ab, zeigten aber spezifische Stärken und Schwächen: Modell Preis Koziol: Toq Ikea: Viren Rival: WC-Bürstengarnitur 28,75 € 1€ 3,99 € Kriterien Gewichtung 20,5 20,5 23 Design 20% 18,5 16,5 14,5 Preis 20% 10,5 20 17,5 Handhabung 10% 9,5 8 7 Abnutzung 10% 9,5 8 6,5 Dreckaufnahme 10% 9,5 9,5 7 Aufbewahrung 5% 4,5 3,5 3 82,5 = 2 86 = 2+ 78,5 = 2- Gesamt 72 Punkte insgesamt 100 möglich Reinigung 25% Der Reinigungsspezialist: Rival WC-Bürstengarnitur Die Kreative: Koziol Toq Der Allrounder: IKEA Viren Diese Bürste kann alles und hat kaum Nachteile. Sie reinigt gut, steht sicher und gerade im Aufbewahrungsbehälter, braucht nur wenig Platz, kann leicht herausgenommen und verstaut werden und liegt dabei noch griffig in der Hand. Besonders der günstige Preis macht kleinere Mängel, wie das frühe Aufsplittern der Borsten und das Spritzwasser, das beim Aufnehmen oder Ablegen leicht über den kleinen Standfuß tropfen kann, wieder wett. Sie besticht vor allem durch ihre solide Verarbeitung und ihr pfiffiges Design. Der große Standbehälter nimmt jeden Tropfen auf, konnte jedoch die lange Bürste während der Testzeit niemals gerade halten. Bei der Reinigung überzeugte sie vollkommen. Weder splitterten die Borsten am Kopf, welcher für knappe vier Euro separat ausgetauscht werden kann, noch nahm sie irgendwelchen Schmutz auf. Aber hervorragende Handhabung und bestechende Schönheit haben ihren Preis: Mit 28,75 Euro ist Toq für eine Klobürste eindeutig zu teuer. Mit dieser Bürste holt man sich den Durchschnitt ans Klo. Sie hängt leicht wacklig in dem sonst stabilen Ständer, der aber bei hohem Wasserstand undicht wird. Verschmutzte und leicht splitternde weiße Borsten sind durch dessen zu große Öffnung immer sichtbar. Aber in Sachen Reinigung überzeugt das Modell, nicht zuletzt durch den seitlich angebrachten Randreiniger. Beim Test konnte die WCBürstengarnitur nicht nur das Fäkalimitat problemlos entfernen, sondern förderte sogar noch alten Schmutz aus dem Wasserkanal zu Tage. Als Fazit bleibt damit eine banale, aber wichtige Erkenntnis: Welche Bürste die richtige ist, hängt von den mitgebrachten Erwartungen und Wünschen ab. -f73 von Kati Rickenbach Impressum Wühlischstraße 20 10245 Berlin www.diefacette.net redaktion@diefacette.net +49 (0)30 / 41 999 540 Chefredaktion: Onno Berger, Philip Jaeger, Christoph Schmaus Cheflayout: Markus Schuster Finanzen: Nikolas Schmidt-Voigt Autorinnen: Franziska Bornefeld, Malte C. Daniels, Felix Dembski, Ursula Feuersinger, Lars Gaede, Kristin Joachim, Katrin Knoppe, Christina Lazai, Björn Märtin, Kaspar Renner, Christian Sammer, Nikolas Schmidt-Voigt, Christoph Willmitzer, Nico Woche Schlussredaktion: Anna-Mareike Krause Lektorat: Michael Jaeger, Christian Sammer Fotografinnen: Marie Goetze, Benjamin Rennicke, Sandra Kühnapfel Illustrationen: Ursula Feuersinger, Harald Lustinger, Anna Niedhart, Philipp Steinbrenner, Carolin Steinat, Pedro Stoichita, Franziska Vogl, Zonenkinder collective Cartoon: Pedro Stoichita Comic: Kati Rickenbach Komposition: Julius Kowarz Bastelecke: Klara Schneider Flyerlayout facette-Party: Wolfgang Steinbauer Homepage: Alexander Bethke Druck: QuickPrinter GmbH, Hauptstraße 53, 51491 Overath 77 78 79 dreck geht durch den magen Zutaten (ca. 30 Stück): 100 g Marzipanrohmasse 100 g gemahlene Haselnüsse 100 g gemahlene Mandeln 100 g Löffelbiskuit 100 g Orangeat 30 g Mehl 150 ml Sahne Zitronen und Orangenschale Oblaten Gewürzmischung: 35 g Zimt 9 g Nelken 2 g Koriander 3 g Ingwer 1 g Kardamom 2 g Muskatnuss 2 g Fenchel 2 g Anis 1 g Kümmel 2 g Piment 80 Die Redaktion hat gebacken. Aufgepasst hat Onno Berger. Dreck geht durch den Magen Mannheim ist eine schöne Stadt. Schön langweilig. Hier rollte der erste MercedesBenz, liegt ein bedeutender Binnenhafen und Gerhard Mayer-Vorfelder sowie Steffi Graf gehören zu den Söhnen und Töchtern Mannheims. Das macht es aber nicht besser: Das Bild der Stadt bleibt betrüblich spröde. Dabei waren badischer Erfindergeist und Humor noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine fruchtbare Paarung eingegangen – wie die folgende Geschichte zeigt. Herr von Jagemann, ein Stadtamtsvor- stand, verbot 1822 den Bürgern der Großherzoglichen Hauptstadt von Baden, jeglichen Kot auf die Straße zu werfen. Wer trotzdem seine Geschäfte in die Öffentlichkeit trug, wurde mit einem Bußgeld von zwei Reichstalern bestraft. Ein Zuckerbäcker bewies daraufhin Fäkalhumor: Er kreierte ein unansehnliches aber ausgezeichnetes Gebäck und legte es als „Mannemer Dreck“ ins Schaufenster. Natürlich ist das Rezept ein Geheimnis. Die Konditorei Herrdegen in Mannheim hütet es noch heute. Wir probieren es trotzdem. Marzipanrohmasse, gemahlene Haselnüsse und Mandeln, zerbröselter Löffelbiskuit, feingehacktes Orangeat, ein wenig Mehl und Sahne werden mit ein bisschen geriebener Zitronen- und Orangenschale zu einem Teig geknetet. Lebkuchengewürz sollte da auch schon drinnen sein. Lebkuchengewürz? Handelt es sich hier um ein getarntes Weihnachtsgebäck? Nein, Mannheimer würden widersprechen: „Mannemer Dreck“ kennt keine Saison. Und damit entspricht es ganz nebenbei dem globalisierten Konsumentenwunsch, 81 Dreck geht durch den Magen alles immer und überall zu bekommen. Einziges Problem – trotz des großartigen Lebkuchenangebots Anfang September in hiesigen Supermärkten ist die Gewürzmischung oft erst zur realen Weihnachtszeit auf dem Markt. Schade für den Backkomfort. Allerdings ein Glücksfall für die eigene Erfahrung (Wow! Was ich alles kann!). Denn man mischt sich das Aroma einfach selber. Nelken, Koriander, Kardamom, Ingwer, Fenchel, Anis, Muskatnuss und Zimt – hört sich nach viel an, steht aber 82 meistens trotzdem in der heimischen Gewürzsammlung herum. Alles gemahlen und gemischt. Erstaunlich wie aus diesem Gewürz-GAU auf einmal der typische Duft entsteht. Jetzt kann man auch ganz entspannt Eiweiß mit einer Prise Salz als Versicherung für die Festigkeit, und Zucker steif schlagen. Nussteig und Eischnee müssen jetzt vorsichtig gemischt werden. Entweder man drückt das Ganze nun durch eine Spritztüte oder löffelt das Zeug auf die bereit gelegten Oblaten. Bei 200 Grad reichen zehn Minuten im Ofen. Danach abkühlen lassen. Überzogen mit einer Schokoglasur bekommt der Dreck seine typische Farbe. Gleichzeitig wird der aromatische Geschmack konserviert, der hervorbricht, sobald man reinbeißt. Der Geschmack macht es, zumindest für Mannheimer, zu einem hervorragenden Dauergebäck. Zur Kaffeezeit natürlich, wobei ja noch zu Wenigen bekannt ist, dass zu süßer Schokolade unbedingt Rotwein getrunken werden muss. -f- schürzenträger Im ewigen Kampf gegen den Dreck, hat die Sauberkeit zwei alte Gefährten: Reiniger und Schürze. Für den einen braucht man eine Alchemistenküche, für die andere die facette. Denken.Kochen.Basteln. – und trotzdem sauber bleiben. von Klara Schneider und Franziska Vogl Models: Hannes und Klara 84 Schürtzenträger Müllsack mit Gaffatapestreifen direkt an die Kleidung kleben. Waschlappen als Tasche und Stoffstreifen zum Umbinden auf und an ein Stück Bettlaken tackern. Schnürsenkel mit Sicherheitsnadeln an ein Geschirrhandtuch stecken. -f85 Auf‘s Kreuz gelegt Das große Rätsel mit den dreckigen Fragen. 1. auf Utopia ist er aus Gold 2. kann auch Kunst sein 3. Rotlichtviertel 4. als solches kann Pudding fungieren 5. hat man eine Schürze, braucht man keine 6. Bahnchef 7. DB-Putzutensilie 8. kann man nicht am Lehrter kaufen 9. Sohn Mannheims 10. Abk. Sohn Mannheims 11. Wow!, kann man auch selber mischen 12. passt zu süßer Schokolade 13. Zutat Nummer eins 14. trägt der Teufel 15. neue Klasse 16. klappern durch die Modewelt 17. findet man auf Kühlerhauben 18. kann man furchtlos ignorieren 19. harte Wahrheit 20. Glitzerstädtchen 21. leuchtet einzigartig rosagrün 22. Berufsgruppe um 1200 23. Hildegard von Bingen gurgelt damit 24. Geistesblitz von Dr. Best 25. steckt sich die Dame unter den Rock 26. Ingenieursfantasie 27. Tierrechtlerisch für Kuhmilch 28. Tierrechtlerisch für Honig 29. Enrons amerikanische Geldmagier 30. sticht gern ins Wespennest Ilustration: Pedro Stoichita 86 Das Lösungswort unter www.diefacette.net/preis eingeben und sich überraschen lassen.