Der Körper als Ort des Grauens bei Cindy Sherman
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Der Körper als Ort des Grauens bei Cindy Sherman
Universität zu Köln Philosophische Fakultät – Kunsthistorisches Institut Magisterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister Artium (M.A.) Der Körper als Ort des Grauens bei Cindy Sherman Vorgelegt von: Stefanie Schrank Themenstellerin: Prof. Dr. Ursula Anna Frohne Köln 2010. ERKLÄRUNG Hiermit versichere ich, dass ich diese Magisterarbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen meiner Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht, dasselbe gilt für Abbildungen. Diese Arbeit hat in dieser oder einer ähnlichen Form noch nicht im Rahmen einer anderen Prüfung vorgelegen. Köln, 24.11.2010 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung: Die Angst vor dem versehrten Körper 1.1. Angst und Schrecken in der Kunst 1 3 1.2. Wirklichkeit und Wahrnehmung: Zur Konstruktion von Körper und Identität 5 2. Forschungsstand: Chronologie der Horror Fiction 9 2.1. Neue Zeit, neuer Schrecken 12 2.2. Wechselwirkung Welt – Körper – Horror 16 3. Das Prinzip der Doppelung 19 3.1. Es-ist-so-gewesen vs. Was,-das-soll-dagewesen-sein? 20 3.2. Körper, Bilder, Abbilder: Mediale Körperreflexionen 23 3.3. Prothesenkörper und künstliche Menschen 26 4. Der Körper als Ort des Grauens 4.1. Motive des Horrors: Monster und Mischwesen 4.1.1. Monströse Möglichkeiten 28 30 30 4.1.2. Der Mensch mit dem Stierkopf, der Mensch mit den Vogelfüßen: Hybridität 4.2. Threatening and impure: Angst und Ekel 32 36 4.2.1. Angst und der unheimliche Körper 37 4.2.2. Der menschliche Körper: Topographie des Ekels 38 4.2.2.1. Abjektion, Abgrenzung, Ausscheidung, Ausschluss 41 4.2.2.2. Disasters und Disgust: Surface vs. Secret 43 4.3. Die Maske: Auge, Nase, Mund. Formlosigkeit und Formnehmung 49 4.3.1. Corpus quasi vas? Die Haut als Gefäß 51 4.3.2. Die Maske als Bild: Anwesend vs. Abwesend 52 4.3.3. Fear of the unknown: Benennung und Sichtbarmachung der Angst 54 4.4. Analogie Monster – Frau: The Monstrous-Feminine 55 4.4.1. Konstruktion der Alten Dame: Alter, Sexualität und Weiblichkeit 56 4.4.2. Der monströse Mutterleib 5. Schluss 60 63 6. Abbildungen 66 7. Abbildungsverzeichnis 74 8. Lektüreverzeichnis 75 1. Einführung: Die Angst vor dem versehrten Körper Dennoch bleibt ein großes Thema, uralt, ewig, neu, Gegenstand der Bilder aller Zeiten: der Mensch, die menschliche Figur. Von ihm ist gesagt, daß er das Maß aller Dinge sei...1 Der Körper des Menschen ist seine Hülle, der Schutz seines Innersten, ob es sich rein physisch um Organe, Blut, Knochen usw. handelt, die er zusammenhält und einschließt oder um metaphysische Konzepte wie z.B. die Seele. Menschliche Selbsterfahrung befindet sich immer in Balance zwischen „Körper, den ich habe“ und „Leib, der ich bin“2 - der Mensch hat nicht nur einen Körper, er ist auch sein Körper, sein Selbst scheint ihm untrennbar sowohl an die körperlich verortete wie auch biologische Situation seines Körpers gekoppelt. Mittels seines Körpers erlebt der Mensch sich selbst in der Welt: „Der eigene Leib ist in der Welt, wie das Herz im Organismus.“3 Gerade in Zeiten von Wohlstand und Frieden - losgelöst von den existenziellen Bedrohungen der Menschheit wie Hunger, Seuchen, Krieg, Unterdrückung, und nach der sexuellen Befreiung – scheinen Menschen in ihrem Nachdenken über das Konzept Körper wenig so sehr zu fürchten wie die Störung der eigenen physischen Intaktheit und Autarkie: nicht das abstrakte Ende der Welt sondern ganz konkret einen Defekt in der eigenen körperlichen Existenz, sei es durch Fremdeinwirkung, Gewalt oder das nachlassende Funktionieren des Körpers im Alter oder durch Krankheit. Westliche, kulturell bedingte Körperwahrnehmungen sind von Vorstellungen wie Ganzheit, Abgeschlossenheit und Individualität geprägt; der Körper eines Menschen ist eben weitaus mehr als Hülle oder Werkzeug, sondern ein durch Gestaltung und Performanz sichtbar gemachter Ausdruck seiner Identität in der Welt. Im Bruch mit diesen Konzeptionen wie beispielsweise in Abbildungen vom „Hervortreten des Körperinneren ist somit immer auch eine Gefährdung des kulturell fixierten Körperbildes impliziert.“4 Kulturerzeugnisse, die das Bedürfnis nach Intaktheit verhandeln und verletzen, finden sich besonders im Horrorgenre, gerade das moderne Horrorfilm-Subgenre des Slasher- oder Splattermovies schlachtet wortwörtlich die Thematik des zerstörten Körpers aus: „In splatter movies, mutilation is the message“ heißt es bei John McCarty in Anlehnung an Marshall 1 Oskar Schlemmer zitiert nach Armin Zweite im Vorwort zu Müller-Tamm, Pia und Sykora, Katharina (Hg.): Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne, Köln: Oktagon 1999, 13. 2 Marcel, Gabriel: „Leibliche Begegnung. Notizen aus einem gemeinsamen Gedankengang”, in: Petzold, Hilarion (Hg.): Leiblichkeit. Philosophische, gesellschaftliche und therapeutische Perspektiven, Paderborn: Junfermann 1985, 16. 3 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), Berlin: de Gruyter 1976, 239. 4 Shelton, Catherine: Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm, Bielefeld: transcript Verlag 2008, 344. 1 McLuhan,5 dessen Idee von der Erweiterung des Menschen durch die Medien, den „medialen Prothesen des menschlichen Körpers [...] gefärbt [ist] von gewalttätigen Phantasmagorien der Verstümmelung“.6 Ähnliche Mechanismen zur Erzeugung von Horror benutzt Cindy Sherman in ihren Serien zwischen 1985-1999, in denen sie Körperteil- und Puppenarrangements inszeniert und fotografisch festhält. Körper werden zerstückelt, kombiniert, ergänzt, auseinandergenommen, falsch zusammensetzt, geöffnet, invadiert, umgestülpt. Von Anfang an spielt in Cindy Shermans Werk der Körper, insbesondere der weibliche, die Hauptrolle und eröffnet Fragen nach Identität, Sichtweisen und Klischees, dem Wechsel zwischen Erscheinung und Wirklichkeit und einem daraus folgendem Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters. Doch die Protagonistinnen dieser früheren Inszenierungen befinden sich nicht in einer körperbedrohenden Gefahr, selbst im Fall von Ausnahmen (vgl. z.B. Abb. 1 und 2), die Reaktionen auf Gewalt und Schrecken andeuten, findet hier die Bedrohung in der dem Betrachter gezeigten Situation auf einem anderen, psychologischen Level statt bzw. stellt sich die Frage, ob es sich nicht sogar um eine Bedrohung durch den Betrachter handelt. Der Einsatz offensichtlich künstlicher Körperteile (über Verkleidungstechniken und -mittel wie z.B. Perücken hinaus) – Prothesen und Puppen – kann als Verstärkung der Frage nach Körper und menschlicher Identität gesehen werden: offensichtlich sind beide, Körper und Identität, nicht länger intakt, ihre Ganzheit ist zerfallen, einer Zerstückelung anheimgefallen. Sie sind (an den falschen Stellen) offen, zerrissen; und genau diese Idee vom Körper als privatem und heiligem Ort des Menschen, der ge- und zerstört wird, ist angsteinflößend, abschreckend, verstörend. Ausgehend von einem Interesse an Einsatz und Funktionsweisen von zeitgenössischem Horror bietet Cindy Sherman mit ihren körperthematischen Fotografien die Möglichkeit, eine besondere Art von Grauen zu untersuchen und daran wiederum ihr Werk und sein Wirkungsfeld zu spiegeln: Die Angst vor dem versehrten Körper. Vor diesem Hintergrund liegt meiner Arbeit die These zugrunde, dass die fotografischen Serien von Cindy Sherman zwischen 1985-1999 den menschlichen Körper als Ort des Grauens konzeptualisieren. Unter Bezugnahme auf verschiedene Ansätze der Erforschung von Horror sowie auf die vor allem 5 vgl. „The medium is the message“ bei McLuhan, Marshall: Understanding Media: The Extensions of Man (1964), Cambridge: MIT Press 1994, 7. Siehe außerdem McCarty, John: Splatter Movies. Breaking the Last Taboo on the Screen, New York: St Martin’s Press 1984, 1. 6 aus dem Vorwort der Herausgeber, vgl. Köhne, Julia u.a. (Hg): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin: Bertz & Fischer 2005, 12. 2 „seit den 1980er Jahren expandierende Körperdebatte“7 in Kulturwissenschaften, Medizin und Kunst soll eben dieser Zusammenhang von Körper und Horror in Cindy Shermans Werk herausgestellt und untersucht werden: Charakteristika, die ich als klassifizierend für den grauenhaften Körper verstehe, werde ich im Rahmen meiner Analysen ausgewählter Bildbeispiele erläutern; dabei soll aufgezeigt werden, wie Cindy Sherman Körperkonzepten Gestalt verleiht und sich eine Materialisierung von Theorien und Ideen vollzieht – am und im Bild des menschlichen, meist weiblichen Körpers. Nachdem zunächst ein Überblick über Funktions- und Wirkungsweisen von künstlich erzeugtem Grauen gegeben und ostentative Künstlichkeit als wichtiger Faktor innerhalb von Cindy Shermans Werk herausgestellt wird, erläutert Kapitel 2 die Verschränkung von Wirklichkeit, Körperlichkeit und Horrorerzeugnissen. Kapitel 3 zeigt mit dem Prinzip der Doppelung den Zusammenhang von künstlichen Körpern und dem Medium der Fotografie auf, innerhalb dieses Themenkomplexes wird deutlich, wie in Bildern von Körpern unterschiedliche Körperbilder und -vorstellungen in Erscheinung treten. Im vierten Teil der Arbeit werde ich den Hauptmerkmalen nachgehen, die ich für den Körper als Ort des Grauens in seinen unterschiedlichen Ausformungen als maßgeblich bestimmt habe: Hybridität, Ekel, Maskenhaftigkeit sowie das Monströs-Feminine; anhand von Einzelwerken aus Cindy Shermans entsprechenden Serien sollen Konzepte wie das Monströse, Unreinheit, Abjektion, Othering, Dichotomien wie Innen vs. Außen und Schwangerschaft als monströse Eigenschaft, und deren Verbildlichung in Shermans Werk aufgezeigt werden. 1.1. Angst und Schrecken in der Kunst Denn von Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z.B. Darstellung von möglichst unansehnlichen Tieren und von 8 Leichen. Horror kann philosophische, existenzielle, ästhetische und politische Dimensionen annehmen, es muss jedoch zwischen einem natural horror9 und dem Zustand des künstlich erzeugten arthorror, den Kunstprodukte auslösen können, unterschieden werden – es geht dabei um Darstellungen und ihre Wirkung, nicht die Erscheinungen selbst. Auch Cindy Sherman nimmt diese Differenzierung vor: 7 vgl. Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 10. Aristoteles: Poetik, Ditzingen: Reclam 1994, 4. 9 vgl. Carroll, Noël: The Philosophy of Horror or Paradoxes of the Heart, London & New York: Routledge 1990, 12: „I am horrified by the prospect of ecological disaster.” als Beispiel für natural horror. Siehe dazu ebenso die Kategorie des „Monströsen” bei Günther Anders, der damit das Unvorstellbare durch Menschenhand – den Holocaust und die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki – bezeichnet oder Klaus Bohrers Ästhetik des Schreckens (München 1978) zum Verhältnis Terror, Welt und Kunst. 8 3 „In horror stories or in fairy tales, the fascination with the morbid is also, at least for me, a way to prepare for the unthinkable [...] That’s why it’s very important for me to show the artificiality of it all, because the real horrors of the world are unmatchable, and they’re too profound. It’s much easier to absorb – to be entertained by it, but also to let it affect you 10 psychologically – if it’s done in a fake, humorous, artificial way.“ Es ist Menschen eigen, ihre Ängste bildlich nachzustellen und festzuhalten, vgl. beispielsweise so frühe Zeugnisse wie die Höhlenmalerei, „almost as if they believed that art could control present and future anxiety.“11 Die Verarbeitung und Abbildung von angsterregendem Zeitgeschehen kann auch ein Versuch der geistigen Bewältigung zeitrelevanter Ängste und individueller Beunruhigungen sein (vgl. Kap. 2), beispielsweise die Untergangsvisionen der „pinturas negras“ des spanischen Malers Francisco de Goya (1746-1828), die roh-klaffenden Fleischbilder von Francis Bacon12 (1909-1992), oder verschiedene Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie Futurismus, Surrealismus oder Expressionismus, die GroßstadtApokalypse und Kriegstrauma thematisieren. Immer wieder verhandeln Kunst- und Kulturkritik die Frage nach der Wirkung von Kunst13 und dabei nicht zuletzt das Potential der abbildenden Darstellung von Schrecklichem, Bösem und Monströsem. In Aristoteles’ Regelwerk zur Poetik sind im Zuschauer ausgelöste Angst und Schrecken die beabsichtigte Wirkung (in diesem Fall: der hohen Kunst, der Tragödie), mit denen ein veränderter Bewusstseinszustand des Rezipienten erreicht werden kann: Indem sich der Zuschauer dem Verlauf der Handlung aussetzt, durchlebt er mit den Protagonisten deren Schicksal und kann nach dem tragischen Ende gereinigt von Affekten den Aufführungsort verlassen, d.h. die Anteilnahme an Negativ-Ereignissen und -Gefühlen hat eine Katharsis zur Folge. Winfried Menninghaus stellt in seiner Studie zum Ekel von 1999 fest: „Unangenehme Empfindungen sind also in dem Maß an sich selbst ‚angenehm’ und lustverschaffend, wie sie ‚leidenschaftlich’ und stark sind“; er beobachtet am Menschen einen „Hunger nach starken Empfindungen“.14 Die Einschätzung des Menschen als von den realen Schrecken der Welt 10 Cindy Sherman zitiert nach Cruz, Amada: „Movies, Monstrosities, and Masks: Twenty Years of Cindy Sherman“, in Cindy Sherman: Retrospective, London & New York: Thames & Hudson 1997, 8. 11 Twitchell, James B.: Dreadful Pleasures. An Anatomy of Modern Horror, New York: Oxford University Press 1985, 4. 12 Vgl. Francis Bacon: „My work is a reflection of my life!“, in der Dokumentation Francis Bacon – Bacon’s Arena (Adam Low, 2007). 13 siehe z.B. Freedberg, David: Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago: University of Chicago Press 1989, oder Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft (2001), München: Fink 2002. 14 Menninghaus, Winfried: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, 17. Diese Doppelbedeutung des „lustvollen Erleben des Grausigen“ ist im Horror schon etymologisch angelegt: „Im Griechischen bedeutet das Wort [Horror] Angst und Furcht; im Lateinischen meint es bereits die 4 abgestumpft hat notwendig eine Sensationalisierung der Kunst zu Folge.15 Ähnliches ist bei Susan Sontag zu finden: „Für das Böse gilt dasselbe wie für die Pornographie. Die Schockwirkung fotografierter Greueltaten läßt bei wiederholter Betrachtung nach, genau wie die Überraschung und Verwirrung, mit denen man den ersten pornographischen Film betrachtet, nachlassen, sobald man sich weitere ansieht.“16 Gerade modernen (Massen-) Medien wird oftmals ein Steigerungsimperativ zugeschrieben, der aus dem Wechselspiel von Gewöhnung einerseits erwächst, die andererseits eine Intensivierung der Affekte bedingt. Für Walter Benjamin ermöglichen durch das Medium Film ausgelöste „Chocks“ „eine Anpassung der Menschen an die sie bedrohenden Gefahren“17, und auch wenn Benjamin sich zunächst in erster Linie auf technische Eigenschaften des Mediums wie die schnelle Bildfolge, den filmischen Cut, das „Stürzen und Steigen, [...] Unterbrechen und Isolieren, [...] Dehnen und Raffen des Ablaufs, [...] Vergrößern und [...] Verkleinern“18 bezieht, kann die Vorbereitung auf die „echte Welt“, das Sich-Wappnen durch die Betrachtung von Kunst gleichzeitig genauso von Bild-Inhalten ausgehen. Cindy Sherman selbst formuliert, Benjamin entprechend: „Ich interessiere mich für Horrorfilme und unheimliche Dinge. [...] Die Schreckgeschichten bereiten einen psychisch auf das Schlimmste vor, das einem zustoßen könnte. Und es gibt dennoch die eigene Sicherheit [...]“19 – vergleichbar dem Effekt eines „terrifying ride on a rollercoaster, because you feel scared, but you know you’re all safe because it’s all fake“20. 1.2. Wirklichkeit und Wahrnehmung: Zur Konstruktion von Körper und Identität Der Begriff fake – gefälscht, unecht – liefert ein wichtiges Stichwort für die Untersuchung von Shermans gesamten Oeuvre;21 „wenn es eine thematische Konstante im Werk von Cindy ganze Bandbreite von Entsetzen und Grausen über Wonneschauer bis hin zur heiligen Scheu.“ In: Baumann, Hans D.: Horror. Die Lust am Grauen, Weinheim, Basel: Beltz 1989, 29. 15 Siehe bereits in den „Gedanken zum Roman“ (1799/1800) des Marquis des Sade, in ders.: Ausgewählte Werke Bd. 5, Frankfurt a.M.: Fischer 1972. 16 Sontag, Susan: Über Fotografie (1980), Frankfurt a.M.: Fischer 2003, 26. 17 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie (1963), Frankfurt a.M.: Surkamp 1977, 39: „Der Film ist die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende Kunstform. Das Bedürfnis, sich Chockwirkungen auszusetzen, ist eine Anpassung der Menschen an die sie bedrohenden Gefahren. Der Film entspricht tiefgreifenden Veränderungen des Apperzeptionsapparates – Veränderungen, wie sie im Maßstab der Privatexistenz jeder Passant im Großstadtverkehr, wie sie im geschichtlichen Maßstab jeder heutige Staatsbürger erlebt.“ 18 Ebd., 36. 19 Weiss, Christina: Gespräch mit Cindy Sherman, in: Monopol, Magazin für Kunst und Leben, Nr. 7/ 2007, 32. 20 Sherman in Cindy Sherman, ARTE Kultur-Reportage, 2006 (http://www.arte.tv/de/suche/1212204.html). 21 „Ja, es geht meistens um ‚fake’ in meinen Fotos . Und vielleicht beziehen sie sich auch auf die Verlogenheit der fotografischen Illusionen, die in der Werbung und in den Zeitschriften aus kommerziellen, politischen oder aus welchen Gründen auch immer mehr oder weniger geschickt kaschiert werden.“ In: Dickhoff, Wilfried und Neven Du Mont, Gisela (Hg.): Cindy Sherman im Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1995, 59. Viel gegenständlicher noch spielt der fake für die Gewinnung ihrer Bildmotive eine Rolle: zu den künstlichen Körperteilen und Prothesen vgl. Kap. 3.3. 5 Sherman gibt, ist es der ‚fake’ in allem.“22 Es existiert kein Bild innerhalb ihres Werks, das nicht Konzepte von Künstlichkeit, Inszenierung und Simulation verhandelt: „She has succeeded quite conclusively in bringing photography into the realm of fiction.“23 Erste öffentliche Aufmerksamkeit wird Cindy Sherman mit den kleinformatigen, schwarzweißen „Untitled Film Stills“ zuteil, für die sie sich zwischen 1977 und 1980 auf insgesamt 70 Fotografien in jeweils unterschiedlichen Verkleidungen und Settings wie in einer Filmszene inszeniert. Die einzige von Sherman selbst betitelte Serie nimmt, ihrem Namen entsprechend, auf Filmstandbilder Bezug, wie sie z.B. in Schaukästen vor Kinos aushängen. Obwohl die „Untitled Film Stills“ sich durchaus an die genuine Bildästhetik einzelner Regisseure anlehnen – „we are constantely forced to recognize a visual style (often you could name the director) simultaneously with a type of femininity“24 – und sich teilweise mehr oder weniger direkt auf einen bestimmten Film beziehen, nennt Rosalind Krauss sie Kopien ohne Original.25 Es handelt sich, wie bei den „History Portraits“, eher um eine Erinnerung, die heraufbeschworen wird, als um die konkrete Reproduktion einer Vorlage.26 Für eine solche Kopie ohne Original, ein Bild, das seine Verbindung zum „realen“ Referenten verloren hat, benutzt Jean Baudrillard den Terminus des „Simulacrum“27. Bei seiner Untersuchung des Einflusses von bildproduzierenden Massenmedien auf die menschliche Wahrnehmung von Realität und Welt stellt er fest: „Die Realität geht im Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen, vorzugsweise auf der Grundlage eines anderen reproduktiven Mediums – Werbung, Photo etc. – und von Medium zu Medium verflüchtigt sich das Reale.“28 Dieses „Reale“, ursprünglich definiert als „das, wovon man eine äquivalente Reproduktion herstellen kann“, 22 Ebd., 10. Criqui, Jean-Pierre: „The Lady Vanishes“, in: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris: Edition Flammarion 2006, 271. 24 Williamson, Judith: „A Piece of the Action. Images of ‚Woman’ in the Photography of Cindy Sherman“ in dies.: Consuming Passions. The Dynamics of Popular Culture, London & New York: Marion Boyars 1986, 92. 25 Vgl. Krauss, Rosalind: „Cindy Sherman: Untitled” (1993), in: Burton, Johanna (Hg.): Cindy Sherman, Cambridge: MIT Press 2006 (October Files 6), 98: „The condition of Sherman’s work in the Stills – and part of their point, we could say – is the simulacral nature of what they contain, its condition of being a copy without an original.” 26 Vgl. Loreck, Hanne: Geschlechterfiguren und Körpermodelle: Cindy Sherman, München: Verlag Silke Schreiber 2002, 149, zu den „History Portraits“: „Im Falle dieser Vorbildlichkeit mag es sich – so Cindy Sherman über ihr Verhältnis zu den Objekten der Kunstgeschichte – um eine jener unscharfen Erinnerungen an berühmte Kunstwerke handeln.“ Später „erinnert” sich Sherman auf dieselbe Art an Einzelkunstwerke (z.B. Edouard Manets Olympia, 1863, oder Max Ernsts die anatomie, 1921, vgl Abb. 9, 5 und 6), surrealistische Fotografie, Pornografie, Horrorfilme usw. 27 von lat. simulacrum, Bild, Abbild, Spiegel-, Traum-, Trugbild. Der Begriff geht zurück bis zu Platon, der damit eine falsche, schlechte Kopie des Göttlichen, Wahren bezeichnete. Nach Baudrillard umfasst der Prozess der „Simulation“ den gesamten Komplex von Abbild und Repräsentation und stellt die Repräsentation selbst als Simulacrum heraus. Siehe Baudrillard, Jean: Selected Writings, Cambridge: Polity 2001, 173f. 28 Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod (1976), Berlin: Matthes & Seitz 2005, 113f. (Hervorhebung SS: z.B. vom Film zum Filmstandbild zu Shermans inszenierten Fotografien) 23 6 verschwindet zunehmend und ist – und hier wird die Beziehung zu Cindy Sherman deutlich, besonders im Zusammenhang mit den Fotografien der Puppen- und Prothesenarrangements – „am Ende [...] nicht nur das was reproduziert werden kann, sondern das, was immer schon reproduziert ist.“29 Mit den nächsten Serien30 – allesamt in größerem Format und in Farbe – entfernt Cindy Sherman sich von den bildkonstituierenden Kulissen und Accessoires der Filmstills, der Lichteinsatz wird theatralischer, die Bildauschnitte enger. Sie vertieft ihr Spiel mit dem Ausdruck unterschiedlicher Gefühle31 wie Einsamkeit, Erschöpfung oder Angst und führt die „manipulative Macht der Kamera“ vor.32 Mitte der 1980er Jahre beginnt sie mit den „Fairy Tales“ und „Disaster Pictures“ eine weitere, den Arbeiten schon immer immanente Facette33 deutlicher offenzulegen: Das Unheimliche, Zwielichtige, Verstörende zeigt sich nun unverstellter und angriffslustiger. Die Kunsttheoretikerin Silvia Eiblmayr beschreibt diese kontinuierliche Entwicklung der „vertrauten, oft biederen und in vermeintlich historische Distanz gerückten“ Bildwelten der „Untitled Film Stills“ zu einer Auflösung des Bildes als einen „destruktiven Prozess“, den Cindy Sherman am eigenen Abbild sichtbar werden lasse: „[Sie] verwandelt sich schließlich in eine monströse oder groteske Figur, die dem Betrachter das Destruktive jener voyeuristischen und fetischisierenden Repräsentationsstruktur rückspiegelt, innerhalb derer die heutigen Alltagsmythen produziert werden.“ 34 Ähnlich formuliert Elisabeth Bronfen in ihrer Abhandlung zur Hysterie: „In den späteren Arbeiten dreht Sherman die Oberflächenschönheit nach innen, um die Mutabilität, den zersetzten, versehrten Körper darzustellen, die Monstrosität, die jedem ästhetisch kohärenten Bild innewohnt und es stützt, aber von der idealisierenden 35 Vollkommenheit verdeckt bleiben soll.“ 29 Ebd., 116. „Rear Screen Projections“ (1980), „Centerfolds/Horizontals“ (1981), „Pink Robes“ (1982), verschiedene Auftragsarbeiten im Rahmen der Fashionfotografie 31 „[I]ch [sehe] meine Fotos oft als personifizierte Bilder spezifischer Gefühle, die sich selbst ‚porträtieren’.“ Dickhoff: Cindy Sherman, 16. 32 „Mittels Lichtregie und Kameraführung und vor allem durch die Pose“ inszeniert sie Klischeebilder, „die sich im Gestus des Dokumentarischen“ präsentieren. (Vgl. Abb. 3) Vgl. Eiblmayr, Silvia: Die Frau als Bild: Der weibliche Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Berlin: Reimer 1993, 193. 33 „The visitor [to a Cindy Sherman retrospective] who reaches the final images and then returns, reversing the order, finds that with the hindsight of what was to come, the early images are transformed. [...] Once the process of bodily disintegration is established in later work, the early, innocent, images acquire a retrospective uncanniness.“ in: Mulvey, Laura: „Cosmetics and Abjection”, in: Fetishism and Curiosity, Bloomington & Indianapolis: Indiana University Press 1996, 67. 34 Eiblmayr: Die Frau als Bild, 191f. 35 im Kapitel „Jenseits der Hysterie: Cindy Shermans Privattheater des Grauens“, in: Bronfen, Elisabeth: Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne, Berlin: Volk und Welt 1998, 766. 30 7 Ob in den „Untitled Film Stills“ und den nachfolgenden Serien, den „History Portraits“ (1988-1990), „Hollywood/Hampton Types“ (2000-2002), „Clowns“ (2003-2004) oder den aktuellen „Society Ladies/Art collectors“ (2008-2009), stets ist das als-ob, die Inszenierung und die Dekonstruktion bzw. das Aufzeigen der Gemachtheit von Wirklichkeit und Wahrnehmung den Fotografien inhärent.36 Cindy Sherman untersucht die Art und Weise, wie „effective contemporary image-makers“37 den menschlichen Körper zeigen – Massenmedien wie Film, Fernsehen und Zeitschriften, Werbung, Pornografie (aber auch nicht-kontemporäre Quellen wie Märchen, Porträtmalerei und surrealistische Fotografie) und thematisiert diese Bilder: „Das Zitieren ist eine ‚postmoderne’ Strategie oder sogar die postmoderne ästhetische Strategie. [...] Das Zitieren dient jedoch nicht dem Autoritätsbeweis, sondern vielmehr der ‚dekonstruktiven Verdoppelung’ (nach Hal Foster), d.h. weder die Anführung eines ‚Originals’ 38 ist das Ziel noch die ‚getreue’ Wiedergabe des Zitierten.“ Die Künstlerin kommt darin ihrer eigenen Formulierung nach, etwas erschaffen zu wollen, auf das sich jeder beziehen kann,39 denn: Kein Mensch ist ohne Körper, „[d]em eigenen Körper entkommt im Leben keiner“40 und die dringlichste Sorge und größte Beschäftigung findet der Mensch in seiner eigenen, möglichst idealen Körperlichkeit, besonders wenn er sie in Gefahr wähnt (vgl. Kap. 4). So eröffnet Cindy Sherman eine Diskussion (an der sie selbst sich verbal nur marginal beteiligt) bzw. stellt Zeichenhaftigkeit, Materialität und damit verbunden die Authentizität von Körpern und Körperbildern in Frage. Die Werkgruppe, die bei meiner Untersuchung vom Körper als Ort des Grauens im Fokus stehen soll, entsteht zwischen 1985 und 1999.41 Es handelt sich dabei um Fotografien, die (mit 36 Allein weil es sich um deutlich als fiktiv bestimmbare Portraits und Szenen, um Fakes handelt (Perücken, falsche Nasen usw., seit einiger Zeit auch „Doppelportraits“ und digital eingesetzte und bearbeitete Hintergründe), deren künstliche Elemente aber ohne Zweifel nicht einfach wie „schlecht vertuscht“ wirken, sondern in ihrer Künstlichkeit eine eigene Wirklichkeit eröffnen. „The image is seen less as the interlocutor in theatrical spectacle than as a conversation about the nature of image perception itself.” Vgl. Qualls, Larry: „Performance/Photography”, in Performing Art Journal, Vol. 17, No. 1/Januar 1995, 34. 37 Cruz: Movies, Monstrosities, and Masks, 1. 38 Zimmermann, Anja: Skandalöse Bilder – skandalöse Körper. Abject Art vom Surrealismus bis zu den Culture Wars, Berlin: Reimer 2001, 207f. 39 „I wanted to make something which people could relate to without having read a book about it first.” Zitiert nach Mulvey: Cosmetics and abjection, 65. 40 Heinrichs, Hans-Jürgen (Hg.): Der Körper und seine Sprachen, Frankfurt a.M.: Qumram 1984, aus der Einleitung dess., 8. 41 Von den „Fairy Tales“ (1985), „Disasters“ (1986-1989), „Civil War“ (1991), „Sex Pictures“ (1992), „Horror and Surrealist Pictures“ (1994-1996) und „Masks“ (1994-1996) zu den Broken Dolls (1999). Selbst in den Fashion-Fotografien der 1990er Jahre, Auftragsarbeiten für unterschiedliche Designer (u.a. Comme des Garçons), lässt sich ihre zunehmend ans Licht tretende Hingezogenheit zum Morbiden, Düsteren ablesen, so kommen auch hier künstliche Modelle (vgl. die Kannibalismus-Andeutung in Untitled #302, Abb. 4) und die Technik der „gespenstischen“ Doppelbelichtung, die sie in den „Horror and Surrealist Pictures“ gerne verwendet, zum Einsatz. Außerdem ensteht 1997 ihr Horrorfilm Office Killer. 8 wenigen Ausnahmen) nicht mehr den Körper der Künstlerin selbst zeigen, sondern mit künstlichen Körperteilen und Prothesen arbeiten und genau diese erhöhte Artifizialität des vor der Kamera situierten Bildmotivs einsetzen – mitunter verstärkt von einer Manipulation durch fotografische Techniken42 – um auf der einen Seite Horror abzubilden und auszulösen, gleichzeitig jedoch so ostentativ wie möglich auf das Künstliche dieser Grauensabbildungen hinzuweisen. Mit ihrer Arbeitsweise, aus offensichtlich künstlichen Körperteilen und imaterialien offensichtlich unvollständige Menschenarrangements für die Kamera zu inszenieren und zu fotografieren, reizt Sherman alle denkbaren Möglichkeiten aus, die „fictional basis of her work“43 auf den ersten Blick sichtbar zu machen, was dem Betrachter dann im zweiten Schritt erlaubt, nachzuvollziehen, wie und nach welchen Mechanismen diese Art von Körper-Darstellung (als ekelhafter, zerstückelter, zerstörter, Horror-Körper usw.) wirkt. Motivik und die Art des Heranzoomens, die Ausschnitthaftigkeit, erinnern nach Simon Taylor an sogenannte Splatter-, Slasher- und Meat-Movies.44 Im folgenden Kapitel soll zunächst der Hintergrund für den Komplex Horror, Fiktion und Welt erläutert werden, vor dem ich dann den Horror bei Cindy Sherman im Speziellen analysieren möchte. 2. Forschungsstand: Chronologie der Horror Fiction Zur selben Zeit, in der die Friedhöfe hinter die Stadtgrenzen verlegt wurden, in der die Toten – durch die Institutionalisierung von Leichenschauhäusern, pathologischen Instituten und Kliniken – zunehmend unsichtbar gemacht wurden, entwickelten sich die Gothic Novels, der 45 Kult um Totenmasken und Leichenfotografien. Horror beschäftigt sich mit Phänomenen, die Menschen verdrängen, ausgrenzen: buchstäblich hinter eine Grenze verlegen (wie die Friedhofs- oder Stadtmauer, geschlossene Türen, der Keller etc. – die Grenze kann aber abstrakter auch aus Make-up, Kleidung oder Verhaltenskonventionen bestehen), um davon unbehelligt zu bleiben und ihre Existenz zu vergessen, so gut es geht. Weil er selbst sie aber unsichtbar gemacht hat, ahnt der Mensch, dass er sich nicht gänzlich in Sicherheit wiegen kann, denn jedes bewusste „aus den Augen, 42 Vgl. Qualls: Performance/Photography, 27: Techniken wie „multiple exposure, superimposition, altered film, scratched negatives, and darkroom developing strategies”, die Qualls als „no-longer trendy” bezeichnet, woraus er schließt: „This is work analyzing the various histories of photography.“ Immer nimmt Cindy Sherman Bezug auf etwas aus der Wirklichkeit – ob Geschichte oder Gegenwart –, was sie sich zu eigen macht und in ihren eigenen Kosmos überträgt. 43 Criqui: The Lady Vanishes, 272. 44 Taylor, Simon: „The Phobic Object: Abjection in Contemporary Art“, in: Abject Art. Repulsion and Desire in American Art (Ausstellungskatalog), New York: Whitney Museum of American Art 1993, 62. 45 Aus dem Vorwort von Thomas Macho in Köhne: Splatter Movies, 7. 9 aus dem Sinn“ weiß eben um diese herbeigeführte Dynamik. Deshalb suchen sie ihn im Horror heim, die (un)toten, weggesperrten, verdrängten, andersartigen, unheimlichen Körper. Es kann der Gegenstand von Horror sein, diese Elemente zu thematisieren und ans Licht zu bringen, sei es allein um Schrecken auszulösen, oder eben um damit auf die Tatsache, dass etwas verborgen wird, hinzuweisen. Eine ebenfalls wichtige Triebfeder stellen die spezifischen Ängste, Sorgen und Themen einer Gesellschaft in ihrer Zeit dar, die in Horrormotiven und -narrationen thematisiert werden. Entsprechend lässt sich die bei Sigrid Schade verkürzt dargestellte These des Ausstellungskatalogs „Anxious Visions. Surrealist Art“ (1990) lesen, dass die formalen Experimente der Surrealisten – insbesondere die „Deformation“ des naturalistischen Körperbildes – nicht „individuellen Phantasmen“ zu verdanken seien, „sondern den realen Kriegserfahrungen der Künstler und den tatsächlichen Greueln entsprächen.“46 Ähnlich spricht Tom Savini, Kriegsfotograf und Make-Up-Artist unzähliger amerikanischer Horrorfilmproduktionen, davon, wie der Filter seiner Kamera Eindrücke des Vietnamkriegs abstrahiert und ästhetisiert, die so zur Vorlage für seine gestalterische Arbeit werden können: „You have to turn off your emotions, when you see this stuff. I had a slight advantage because looking through a camera at this stuff was a separation from me, between me and the hideous [...] there was arms laying on the ground that exploded from grenades off Vietcong and I am almost stepping on one. But to me, through the camera - it was a special effect. That was a 47 study for me: I was actually able to look at bone and blood and placement and geography.“ Das Thema der Verwundung und der Öffnung des Körpers ist aber keines, das erst seit der Moderne oder sogar erst seit dem modernen Film bearbeitet wird, schon im Alten Testament, in antiken Mythen, Homers Odyssee oder François Rabelais’ Romanen um die Riesen Gargantua und Pantagruel aus dem 16. Jahrhundert spielen Kastration, Zerteilung und Verschlingung eine Rolle, „der menschliche Körper [muss] immer mit seiner Zerschneidung und gewaltsamen Öffnung rechnen.“48 Als eigenes Genre kommt Horror im späten 18., frühen 19. Jahrhundert mit der britischen Gothic Novel und dem deutschen Schauerroman auf und entwickelt sich medienübergreifend weiter: “The cross-art, cross media genre of horror takes its title from the emotion it characteristically or rather ideally promotes; this emotion constitutes the identifying mark of 46 siehe Schade, Sigrid: „’Der Spuk ist durchschaut!’ Rück-Sichten auf Darstellbarkeit von Kubin bis zur Abject Art“, in: Sturm, Martin u.a. (Hg.): Phantasma und Phantome. Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz: Residenz Verlag 1995, 67. 47 Tom Savini in: The American Nightmare. A Celebration of Films from Hollywood’s Golden Age of Fright (Adam Simon, 2005) 48 Meteling, Arno: „Wundfabrikation. Pornografische Techniken des Splatterfilms“, auf auf f-lm.de (OnlineFilmmagazin), <http://www.f-lm.de/2003/01/01/wundfabrikation> , 2003. 10 horror.”49. Bereits in Klassikern des Schauerromans wie Frankenstein or The Modern Prometheus (1818) von Mary Shelley, Bram Stokers Dracula (1897) oder The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson (1886)50 zeichnet sich thematisch die Relevanz des menschlichen Körpers ab, vom künstlichen Teile-Monster über den Untoten bis zur gespaltenen Persönlichkeit, die sich auch optisch verselbständigt und im Erscheinungsbild des Körpers Ausdruck findet: „(D)as im späten 18. Jahrhundert erfundene Unheimliche [war] die erste Manifestation eines Unbehagens, das in Gestalt unserer eigenen postmodernen Kulturkrankheit fortbesteht. Symptomatisch hierfür ist unser Unbehagen am Körper und seinen Unwegbarkeiten und, damit 51 einhergehend, unser Verlangen nach Simulacren und Phantomen.“ Im Gegensatz zum gotischen Zweig des Genres, der das Fantastische und Grausame in eine – durch zeitliche, ständische oder örtliche Differenz – als weit genug von der eigenen Lebenswirklichkeit entfernt gekennzeichnete Welt ansiedelt, ist der moderne Horror ein Horror inmitten der Moderne, der jederzeit jeden treffen kann, der keine Bewegung in seine Richtung benötigt, weil er schon da ist: im Alltag, in der zeitgenössischen Wirklichkeit, im Menschen selbst.52 Um ihre beabsichtigte Wirkung zu erzielen, nehmen Kunsterzeugnisse, die sich mit Horror beschäftigen, als kollektive Albträume Bezug auf reale Angstfantasien der jeweiligen Gesellschaft in ihrer bestimmten Situation; d.h. in der gleichen Weise, wie sich die Formen der Verunsicherung, Fragestellung und Bedrohung, das Nachdenken über Angst und Möglichkeiten der Angstbewältigung im Lauf der Jahrhunderte wandeln, verändern sich auch die Ausdrucksgestalten, Themen und Symbole, die solche Ängste materialisieren.53 So ist z.B. 49 Carroll: Philosophy of Horror, 14, vgl. dazu auch: „Im Gegensatz zu den Gattungsbegriffen ‚Science Fiction’ oder ‚Fantasy’ bezeichnet ‚Horror’ [...] den Effekt des Produkts, ‚wie bei Pornographie und Witz – was nicht erregt, zum Lachen reizt oder erschreckt, fällt durch.’“ In: Dath, Dietmar: „Hausse in der Hölle. Horror ist das Genre der Stunde“ (FAZ, 16.4.2003, S. 44), zitiert nach Meteling: Monster, 22. 50 Diese werden später wiederholt verfilmt: „As with most popular fiction, it has been horror fiction’s translation into other media that has guaranteed its survival.“ Bloom, Clive in seinem Vorwort zu ders. (Hg): Creepers. British Horror and Fantasy in the Twentieth Century, London: Pluto Press 1993. 51 Bronfen: Das verknotete Subjekt, 645. 52 Neben bzw. anstelle von mythischen oder animalischen Halbwesen tritt der Mensch als Monster auf, der zumeist nicht als solches geboren, sondern von äußeren Umständen in sein monsterhaftes Verhalten getrieben wird, paradigmatisch dargestellt in Alfred Hitchcocks Psycho (1960): „Originally, horror films concentrated on vampires, werevolves, and Frankenstein's monster. These were horrors no one could really believe in. [...] But the trend toward realism began in earnest with Psycho. The exploits of seemingly nice, normal men and women who happened to have an axe up their sleeve became the plots, depicted in gory detail, of mainstream horror films. This shift seemed to say, ‚This could happen to you.’“ Siehe Schoell, William: Stay Out of the Shower. 25 Years of Shocker Films Beginning with "Psycho", New York: Dembner Books 1985, 72. 53 Vgl. Phillips, Kendall R.: Projected Fears. Horror Films and American Culture, Westport: Praeger 2005, S.197f: „The successful, groundbreaking horror film tells us a great deal about the culture that reacts to it, about its fears and dreams, its anxieties and aspirations. Read in this way, the horror film is an important barometer for the national mood and an important cultural space into which citizens may retreat to engage and examine the tendencies in their culture. [...] the things that we fear, and the ways that we express this fear, tell a great deal about us.” 11 der Horrorfilm als kulturelles Artefakt – genau wie auch Cindy Shermans KörpergrauenFotografien – „untrennbar mit dem gesellschaftlichen und historischen Kontext“ seiner Entstehung und Erscheinung verknüpft, und zwar auch als ästhetisches und semiotisches System, „d.h. mit den Rede- und Repräsentationsformen, Wahrnehmungs- und Denkweisen und den Symbol- und Metaphernbildungen, die innerhalb eines solchen Kontexts zirkulieren und ihn gleichzeitig herstellen“54 – nie thesen- und theoriefrei, sondern immer schon ein Reflexionsraum und in seiner Zeit verortet. 2.1. Neue Zeit, neuer Schrecken Auf welche Weise schlägt sich die Fähigkeit im postmodernen Horror nieder, allgemeine gesellschaftliche Ängste und Beunruhigungen in seine Ikonografie von Schrecken und Elend aufzunehmen und zu thematisieren,55 und umgekehrt, worauf lässt die enorme Menge an Horrorproduktionen seit den 1980er Jahren bei genauerer Betrachtung ihrer Motive und Funktionsweisen schließen? Auch für Überlegungen zu Cindy Shermans body horrorFotografien ab Anfang der 1980er Jahre, die ich in engem Zusammenhang mit dem HorrorTrend dieser Zeit sehe, spielt diese Fragestellung eine Rolle. Der aktuell andauernde Horror-Zyklus fällt mit der Postmoderne zusammen: Beide artikulieren eine Angst oder Sorge in Hinblick auf kulturelle Kategorien und Phänomene, beide zeigen den Menschen in erster Linie als antastbar und verletzlich, beide blicken – oftmals nostalgisch – zurück.56 Gerade Horrorkunstwerke scheinen das reaktionär-repressive Klima der Zeit und das Lebensgefühl in den USA unter Präsident Ronald Reagan (1980-1988, danach bis 1993 54 Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 12. Carroll: Philosophy of Horror, 207. 56 Kennzeichnend für die 1980er Jahre und die Postmoderne ist aber nicht die Rückkehr von bestimmten Stilen, sondern deren Aufsplitterung in Pasticheverfahren und ein Emulieren von eigentlich überkommenen Formen, so Kulturtheoretiker Frederic Jameson in Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham: Duke University Press 1991. Das ganze 20. Jahrhundert über, so Laura Mulvey (Cosmetics and Abjection, 66) wächst der Druck gegen eine Trennung von Kunsttheorie und –ausübung wie auch zwischen high und low culture, zu der auch Horrorfiktion gezählt wird, so Cindy Sherman über ihren Horrorfilm Office Killer (1997): „[V]on Horrorfilmen erwartet man sowieso nicht allzu viel. [...] Je mehr Geld in einen Film dieses Genres gesteckt wird, desto weniger möchte man ihn als Horrorfilm bezeichnet sehen. [...] Zum Beispiel ‚Das Schweigen der Lämmer’ lief unter ‚Thriller’ oder ‚Alien’ unter ‚Science Fiction.’“ (vgl. Dickhoff: Cindy Sherman, 69/70) Die Aufhebung dieser Unterscheidung ist ein wichtiger Faktor der Postmoderne: Erzeugnisse und damit auch Bilder der Populärwie der Hoch-Kultur stehen gleichberechtigt und –bedeutend nebeneinander. Auch die Fotografie war lange als „Kunst zweiter Klasse“ angesehen worden: „Abgesehen davon, daß zu der Zeit, als ich anfing, diese Fotos zu machen, Fotografie nicht als ‚hohe Kunst’ ernstgenommen wurde, schien mir B-Klassigkeit ein Weg zu sein, Kunst zu machen, die das, was als hohe Kunst galt, nicht mehr allzu ernst nimmt. Und ich glaube, das ist ein Punkt, den einige Künstler Anfang der 80er Jahre gemeinsam hatten, zum Beispiel die, die bei Metro Pictures ausstellten.“ (Ebd., 24) 55 12 weitergeführt von seinem vorherigen Vizepräsident George Bush) treffend einzufangen.57 Um den „Diskurs um personale, strukturelle und kulturelle Gewalt in den USA [...] ästhetisch zu führen“ scheint die „Wundästhetik [...] der einzig angemessene und moderne Modus.“58 Die immer radikaler werdende Bildästhetik, die die „Hölle der Conditio Humana“59 zu erfassen versucht, hängt auch mit Entwicklungen in der Filmtechnik zusammen, die zu Darstellungen in beinahe unerträglicher graphischer Deutlichkeit in der Lage sind. Reagans Präsidentschaft vollendet Amerikas Rückwendung zu traditionell-konservativen Institutionen wie Familie, Heim, Nation und Religion. Für den als „Culture Wars“ bezeichneten Konflikt zwischen traditionsverpflichteten Vertretern konservativ-christlicher Werte und einer weltoffeneren, fortschrittlichen Haltung in polarisierenden Themen wie Abtreibung, Immigration oder Homosexualität macht der amerikanische Soziologe James Davison Hunter fünf Fronten aus, an denen diese Gefechte ausgetragen werden: Familie, Bildungswesen, Medien, Gesetzgebung und Politik.60 Auch kontemporäre Kunst dient der konservativen Rechten als politisches Kampfthema, entweder wird sie als obszön und pornografisch verurteilt oder als Hype abgetan, verlacht und damit als Verschwendung von Steuergeldern entlarvt – in jedem Fall gilt sie als familien-, religions- und Amerika-feindlich.61 Im Spannungsfeld von Kunstzensur, Pornografieverbot und anderen Einschränkungen von persönlichen Freiheiten entsteht eine signifikante Gegenkultur von Kunst- und Künstlerbewegungen, kritischen Diskursführungen, neuen medien- und kulturtheoretischen Ansätzen; Gender Studies und feministische Kritik gewinnen an Bedeutung. Nach eigener 57 „In its adaptability and capacity for accommodating a range of cultural values [...], modern horror is probably equaled among American film genres only by the western from the late 1940s to the mid 1950s.” (Vgl. Waller, Gregory A. (Hg.): American Horrors. Essays on the Modern American Horror Film, Chicago: University of Illinois Press 1987, 1.) 58 Köhne: Splatter Movies,12. 59 Meteling: Monster, 60. 60 vgl. Hunter, James Davison: Culture Wars: The Struggle to Define America, New York: Basic Books 1991. 61 Eine neue Ära der Intoleranz gegenüber durchaus etablierten Künstlern leitet die Debatte um die großformatige Fotografie Piss Christ (1987, erstmals ausgestellt 1989) des NEA (National Endowment for the Arts) geförderten Künstlers Andres Serrano ein, die ein Kruzifix in einer trüben, leicht sprudelnden Flüssigkeit abbildet. Vor allem aufgrund des Titels wird Serrano u.a. von Reverend Donald Wildmon, dem Direktor der American Familiy Association, „religious bigotry“ (Hal Foster in ders. u.a.: Art Since 1900. modernism, antimodernism, postmodernism, London: Thames & Hudson 2004, 609) vorgeworfen; der New Yorker Abgeordnete D’Amato fordert vor dem Kongress die Abbschaffung staatlicher Kunstförderung in den USA (Zimmermann: Skandalöse Körper, 13). 1989 veranlasst Senator Jesse Helms „neue Richtlinien für die Vergabe von staatlichen Geldern an das NEA“ (ebd.,158), eine anti-obscenity clause wird in die NEA-Verträge aufgenommen, die „dissemination, promotion, or production of obscene or indecent materials denigrating a particular religion“ (Jensen, Helle Bering: „The cultural Politics of Controvesial Art” in Insight 1989, 8. Zitiert nach Zimmermann, ebd.) verbietet. Zeitgleich gerät eine Wanderausstellung des Fotografen Robert Mapplethorpes (1947-89), die u.a. Darstellungen von homosexuellen Aktivitäten beinhaltet, in Schwierigkeiten, Shows werden abgesagt, Museumsdirektoren, die die Fotografien zeigen, für das Verbreiten von Obszönitäten angeklagt. 13 Aussage entstehen Cindy Shermans „Sex Pictures“ (1992) als Reaktion auf die staatliche Bildzensur der Culture Wars der frühen 1990er Jahre – „meine Werke spiegeln nur das wider, was in der Welt passiert“:62 „I definitely acknowledged the fact that I was influenced not only by Jeff Koons's show but by the whole NEA censorship problem. [...] I thought I might as well really try to pull out all the stops and just make something that directly deals with sexuality and censorship without 63 compromising my values.“ Ihre expliziten Fotografien mit den eindeutig Pornografie imitierenden Posen machen sich über konventionelle Konzepte von Obszönität und Zensur lustig und sind in ihrer Artifizialität darüber erhaben.64 Der menschliche, speziell der weibliche Körper steht von nun an vermehrt im Blickfeld der künstlerischen und diskursiven Auseinandersetzung, er wird als Vehikel eingesetzt, den Verlust von körperlicher Identität und Grenzen mittels Bildern von Tod, Zerstückelung und Zerstörung auszudrücken. Gerade ein kulturelles und politisches Klima der Unsicherheit und Machtlosigkeit lässt die Verseuchung und Zersetzung des Körpers zu einem signifikanten Sinnbild für den Zusammenbruch moralisch-gesellschaftlicher Richtlinien und Werte werden.65 Dass der „Diskurs über den Körper, den ganzen, den zerstückelten, den heilen und den kranken [...] offensiv auf den Gesellschaftskörper“ ausgeweitet wird, ist kein neues Phänomen, sondern wird bereits im 19. Jahrhundert eingeführt: „Der kranke Gesellschaftskörper des ‚nervösen Zeitalter’ verlange nach entsprechenden Diagnosen. [...] Übertragen auf Bilder hieß das, einer heilen Gesellschaft haben nur heile Bilder zu entsprechen: mit Rückgriff auf klassizistische, naturalistische Formen und 66 Remythologisierungen.“ Analog dazu lässt sich die Tendenz in der zeitgenössischen bildenden Kunst verstehen, den menschlichen Körper in Abbildungen zu zerstückeln und zerstören, vgl. dazu Kap. 3.2. Die 62 Schipprack, Annette im Gespräch mit Cindy Sherman, Focus 4/1997, 91. Lichtenstein, Therese im Gespräch mit Cindy Sherman, Journal of Contemporary Art, <http://www.jcaonline.com/sherman.html>, 1992. 64 Vgl. Cruz: Movies, Monstrosities, and Masks, 12: „Rather than having sex, these figures proudly show their sex.” 65 Betterton, Rosemary: An Intimate Distance. Woman, Artist and the Body, London & New York: Routledge 1996, 132. Um nur einige Beispiel aufzuführen: Judith Butler etabliert die Idee vom Geschlecht als kultureller Konstruktion, Michel Foucault beschäftigt sich mit dem pathologischen Körper in Machtverhältnissen, Julia Kristeva prägt den Begriff des Abjekten, Verworfenen. MedientheoretikerInnen und FilmwissenschaftlerInnen analysieren Strukturen des Sehens, so formuliert Laura Mulvey das Phänomen des „männlichen Blicks“; Sex, Macht, die Möglichkeiten erweiterter Körper und female monstrosity werden u.a. bei Linda Wiliams, Donna Haraway und Barbara Creed thematisiert. 66 vgl. Schade, Siegrid: „Der Mythos des ‚Ganzen Körpers’. Das Fragmentarische in der Kunst des 20. Jahrhunderts als Dekonstruktion bürgerlicher Totalitätskonzepte“ in Barta, Ilsebill (Hg.) u.a.: Frauen, Bilder, Männer, Mythen. Kunsthistorische Beiträge, Berlin: Reimer 1987, 254f. 63 14 sehr vereinfachte Umkehrung der Gleichung käme zu dem Ergebnis, dass Bilder des anderen, ungeschönten Körpers in all seinen feucht-flüssigen, genitalen, skatologischen Facetten in Bildern aller Art, Performances und Skulpturen einer fragmentierten, kaputten, un-heil(voll)en Gesellschaft entsprechen. Mit der Zunahme an Horrorproduktionen findet ebenso eine steigende akademische Auseinandersetzung mit Horror statt, wichtig ist auch hier der Körper als Forschungsschwerpunkt, ebenfalls oftmals zugespitzt auf den weiblichen Körper.67 Die zunehmend drastischen und graphischen Gewaltdarstellungen zeigen den menschlichen Körper aufgeplatzt, auseinandergerissen, sich verwandelnd und auflösend, verstümmelt, seziert, von innen zerfressen, kurz: die ganz physische Zerstörung des Körpers in unterschiedlichen Spielarten: „Statt der inzwischen domestizierten Monster des klassischen Horrorfilms [...], die in den 30er bis 60er Jahren die Grenzen und Integrität des singulären und geschlossenen Körpers infrage gestellt haben, wird der groteske und bis zur völligen Deformation entgrenzte Körper eingesetzt. Er schuldet der Literatur des 19. Jahrhunderts wenig, der kulturellen Realität und 68 dem Realen des Mediums Film um so mehr.“ Umso passender erscheint mir in diesem Zusammenhang Shermans wiederholte Erklärung, sie habe keine „Hochkunst“ erschaffen wollen sondern etwas, das aussieht wie aus einem Film,69 sowie das oftmals angeführte Zitat, das Vorhaben sei gewesen, „something out of the culture“ zu verarbeiten und sie (die culture) zugleich nicht allzu ernst zu nehmen.70 Zunächst vor allem in sichtbarerem Zusammenhang mit den „Untitled Film Stills“, trifft diese Vorgabe bei näherer Betrachtung auf ihre gesamtes Werk zu. Gerade die Serien ab Mitte der 1980er Jahre sind im Rahmen der entsprechenden Entwicklungen des neuen filmischen Horrors zu betrachten, seiner spezifischen neuen Bildsprache und seines oftmals feministischen Diskurses. Wie zuvor in den „Untitled Film Stills“, die sich in ihrer Bildsprache an Filmen der 50er Jahre, B- und Exploitation-Movies orientieren, behandelt 67 So untersucht z.B. Barbara Creed unter Bezugnahme auf psychoanalytische Parameter von Freud über Lacan bis zu Kristeva in ihrer Studie zu Alien (Ridley Scott, 1979) die „Mutter als Monster“, Filmwissenschaftlerin Carol Clover prägt in Men, Women and Chain Saws den Begriff des final girl und analysiert Frauendarstellungen als passive Opfer vs. aktive Handlungsträgerinnen in Horrorzusammenhängen, und Genderforscherin Judith Halberstam beschäftigt sich mit „bodies that splatter, Queers and Chain Saws“. 68 Köhne: Splatter Movies, 12. 69 hier zitiert nach dem Cindy Sherman-Porträt der PBS Fernsehserie art:21 – Art in the Twenty-first Century, Staffel 5/ Episode 9 (Thema: Transformation) von 2009: „ [...] I wanted it to look like anybody would understand it because it looks like it’s from a movie.“ 70 zitiert nach Mulvey: Cosmetics and Abjection, 65. 15 Cindy Sherman auch hier in ihrer Bezugnahme auf den Horrorfilm eine Form der Massenkultur, die Weiblichkeit ambivalent darstellt.71 2.2. Wechselwirkung Welt – Körper – Horror Wenn Cindy Sherman Plastik-Körper zerlegt und neu arrangiert, im Schutt verschwinden lässt, Inneres nach außen kehrt und Monströses offen zeigt, kann das durchaus als Kommentar zu einer Kultur verstanden werden, deren technische Möglichkeiten tradierte Körperkonzepte zunehmend erschüttern72 – sei es bezüglich des Eingriffs am Körper selbst, Bedingungen des Körpers in einer technisierten Welt oder in Bezug auf Körper-Abbildungen und deren Manipulation –, und für die Körperkontrolle als Statuszeichen73 gilt: „An analogy can be drawn between these pictures of excess and revolt and our contemporary condition of violent and apparent chaos. While the body politics is under attack, we are obsessed with our individual physique and its fitness.“74 Der Gedanke der Wechselbeziehung von zeitgenössischem Horror und dem Konzept der Postmoderne wird umso nachvollziehbarer in Vergegenwärtigung der Tatsache, dass beide sich “on the heels of the evident collapse of Pax Americana”75 herausbilden, also im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch einer vorherrschenden Ordnung stehen: “The horror genre with its anxiety over the instability of cultural norms and postmodernist relativisms of every shade, along with their mutual penchants for nostalgia, arise at just that point in history when the international order set in place at the end of the Second World War seems to have fallen into unnerving disarray.”76 Parallel dazu nimmt auch Cindy Sherman althergebrachte, konventionell westliche bzw. amerikanische Konzepte unter die Lupe, lässt sie auseinanderfallen und setzt sie neu 71 Vgl. auch den pornografischen Film: der Zusammenhang zwischen den „detaillierten ‚perversen’ Komposition(en)“ der „Sex Pictures“ und der sonst verdeckten „Anordnung ‚wirklicher’ (weiblicher) Körper im Porno“ ist schnell hergestellt, vgl. Heiser, Jörg: „Cindy Sherman. Vom Kopf auf die Füße auf den Kopf“ in Texte zur Kunst, August 1995. Jahrgang/Nr. 19, 58. 72 „The proliferation of bodily fragments and degraded materials in contemporary art represents, on the one hand, the exteriorization of all interiority in the contemporary world; in the present-day postmodern age, we are ‚bodies without organs’, ‚desiring machines’, or ‚cyborgs.’“ Vgl. Taylor: The Phobic Object, 80. 73 „(T)he minimalization of physical gestures and the increased sense of privacy attached to certain bodily functions have become gauges of social status.“ Siehe Finkelstein, Joanne: The Fashioned Self, Philadelphia: Temple University Press 1991, 52. 74 Cruz: Movies, Monstrosities, and Masks, 10. 75 Carroll: Philosophy of Horror, 212. Pax Americana bezeichnet die Zeit des Friedens insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, die auf dem Fundament der US-amerikanischen Vormachtstellung in der westlichen Welt fußte, aber darüberhinaus auch den amerikanisch-imperialistischen Anspruch auf eine Gültigkeit von "amerikanischen Werten". 76 Ebd., siehe auch Seeßlen: Horror, 32: „Und hier schließt sich der Kreis zwischen dem persönlichen und dem historischen Empfinden, der die zyklische Bewegung des Genres selbst fortsetzt: es boomt wo ein [...] Modernisierungsschub vollendet scheint und der Blick sich darauf richtet, was mit ihm gewonnen und was mit ihm verloren wurde. Horror entsteht an der Schnittstelle zwischen Erneuerung und Nostalgie, Fortschritt und Rückblick.“ 16 zusammen – der menschliche Körper kann dabei als architektonische Metapher für die Gesellschaft als Ganzes stehen77 oder als ästhetisches Zeichen auf bestimmte Sachverhalte verweisen. Untitled #312 (Abb. 10) von 1994 (154,9 x 105,4 cm, in einer Auflage von sechs Abzügen, Abb. 10) aus der Reihe “Horror and Surrealist Pictures” zeigt ein hochformatiges Familienporträt – Vater, Mutter, Kind: die Triade der Kernfamilie, inszeniert vor bildfüllenden seidig-schimmernden Textilien, ähnlich den Hintergrundarrangements in provinziellen Fotoateliers oder aber atmosphärischen Kulissen in Small-Budget-Erotikproduktionen. Der Familienfotografie liegt eine soziale Funktion inne: als „index or proof of family unity, and, at the same time, an instrument or tool to effect that unity.“78 Die Kamera ist kein rein passives Instrument, das die gegebene familiäre Einheit dokumentiert, sondern oftmals (Mit-) Begründer dieser identitätsstiftenden Ganzheit der Familie; das Familienporträt kann als Werkzeug fungieren, das diese Einheit bestätigt bzw. überhaupt erst herstellt.79 „Photography itself“, so Pierre Bourdieu, „is most frequently nothing but the reproduction of the image that a group produces of its own integration.“80 In Bezug auf die hier abgebildete Familie kann von einer familiären Einheit keine Rede sein. Während der großköpfige Vater mit den bunt lackierten Krallennägeln zwar als einziger aufrecht steht – wie oftmals Joseph in klassischen Abbildungen der Heiligen Familie, wenn er sich beschützend über Maria und das Jesuskind beugt oder leicht erhöht im Hintergrund befindet81 – kehrt er sich dabei jedoch von seiner Familie ab, als wolle er nach hinten rechts aus dem Bild verschwinden, und sieht statt Frau und Kind den Betrachter an. Auch seine im Verhältnis zu den beiden anderen Figuren geringe Größe, die Unschärfe und fehlende direkte Beleuchtung der Figur marginalisieren ihn. „Perhaps the most influential family image in our culture has been that of the Madonna and child; father was absent long before he had to hold the camera.“82 Auch in Untitled # 312 bleibt der Vater trotz eigentlicher Anwesenheit eine (wörtliche) Randerscheinung. 77 Vgl. Finkelstein: The Fashioned Self , 52. Pierre Bourdieus Un art moyen, Paris 1965, zitiert nach Krauss: „A Note on Photography and the Simulacral”, October, Heft 31, 1984, 56. 79 Ebd.: “Its place is within the ritualized cult of domesticity, and it is trained on those moments that are sacred within that cult: weddings, christenings, anniversaries, and so forth.” 80 Bourdieu: Un art moyen, 48. 81 vgl. z.B. Raffael: Die Heilige Familie mit dem Lamm (1507) oder Die Heilige Familie mit dem kleinen Johannes (1513/14). 82 Williamson: Family, education, photography, in dies.: Consuming Passions, 117. 78 17 Die weiblich besetzte Figur hat aufgrund der dunklen Augenmaske keine Möglichkeit zu blicken. In einer erotischen (oder gebärenden?) Haltung liegt sie im vorderen Bildmittelgrund mit angewinkelten, leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken, den Kopf erhoben, den Oberkörper auf die Armen gestützt. Als horizontale Größe nimmt sie die komplette untere Bildhälfte ein, hat aber durch ihre Haltung mit dem leicht aufgerichteten Oberkörper, der von links oben, wo sich der Kopf befindet, nach vorne rechts unten, zum Gesäß, verläuft, auch eine diagonale Achse, die sich im rechten Unterschenkel wiederholt und eine Gegenbewegung (von unten links nach oben rechts) im rechten Oberarm hat. Sowohl der rechte Ellenbogen wie auch ein Großteil der Beine werden vom Bildrand abgeschnitten: Die Figur sprengt das Format. Ihr Gesicht ist aus Fragmenten zusammengesetzt, der Mund beinhaltet zu viele Zähne, die Brüste sind unterschiedlichen Materials, ihr Geschlechtsteil löst sich vom Körper, klappt nach außen weg: Ihr Geschlecht sprengt die Figur. Vor ihrem Bauch, an ihre Seite gelehnt sitzt die kleinste Figur, eine „Mißgeburt aus Prothesenteilen“83, ebenfalls zerstückelt und falsch zusammengesetzt, mit überpräsentem Penisteil, das einem Gummisauger für Kleinkinder ähnelt. Der angesetzte Griff an den Oberschenkel der Mutter hat nichts kindlich-vertrauensvolles, sonden wirkt lüstern. Die monströse, grotesk entstellte Familie ist außerdem nackt, nicht nur ein für Familienfotografien unüblicher Sachverhalt (allenfalls das Kind, d.h. das Jesuskind, wird unbekleidet abgebildet), er löst im Werkkontext, unter dem Aspekt der Ähnlichkeit zu den „Sex Pictures“, zugleich Befremdlichkeit und Unbehagen aus. Oder zeigt Untitled #312 gar nicht wirklich eine Familie? Zeigt die Fotografie nicht eher konventionelle Sehgewohnheiten auf, derer sich der Betrachter bewusst werden und sich idealerweise von ihnen lösen kann? „Indem Sherman uns zum eigenen Erinnern und Phantasieren auffordert, und zwar durch die Inszenierung stereotyper Figuren – aus dem Weiblichkeits-, Märchen- oder Horrorbildrepertoire –, stellt sie uns auch vor die Frage, ob die angeregten Phantasien authentisch oder nur Klischees sind, ob wir als Betrachter ebenso sehr das Kompositum eines Spiels des Simulacrums sind wie die dargestellten Mischkörper oder ob wir aufgrund des 84 Betrachtens zu dem uns eigenen Einbildungsbereich gelangen.“ Das Vater-Mutter-Kind-Schema ist erlernt: Findet also aufgrund von eingeübten Sehmechanismen eine automatische De- und Reduktion statt, nämlich von der vorliegenden – eine weiblich, eine männlich und eine kindlich besetzte Figur beinhaltende – Szenerie zum konventionellen Konzept der Kernfamilie? „Unserm Auge fällt es bequemer, auf einen gegebenen Anlass hin ein schon öfter erzeugtes Bild wieder zu erzeugen, als das Abweichende 83 84 Käufer: Die Obsession der Puppe, 245. Bronfen: Das verknotete Subjekt, 752. 18 und Neue eines Eindrucks bei sich festzuhalten.“85 Cindy Sherman formuliert den Wunsch nach einer Bildbetrachtung „(m)it offenen Augen und offenem Geist.“86 Dabei gibt sie dem Betrachter „just enough information to imply something by setting up the ‚action’ [...] What’s going on is simply what’s in front of you, and the question remains: What do you see?” Ihre Fotografien lösen ein Nachdenken über eigene Empfindungen, nicht die von Sherman aus.87 Der Verweis auf die Überkommenheit der kollektiv gehegten Fantasie eines Familienzusammenhalts und konventionellen Formen von Familienstrukturen scheint gegeben,88 gleichzeitig ist der parodistische Charakter offensichtlich, wie auch die Kunsthistorikerin Elizabeth A.T. Smith feststellt: „Although Sherman’s works succeed in vividly invoking a myriad of terrors, however, they are never really terrifying; their burlesque presence is too potent.”89 In der Zuspitzung und Überzeichnung offenbart sich eine Ironie, die den Betrachter gleichzeitig zurückschrecken und schmunzeln lässt.90 In Kapitel 2 wurde deutlich, wie sich Zeitgeschehen und Zeitgeist in Kulturerzeugnisse einschreiben, dass Horror diesbezüglich besonders gut in der Lage ist, Ängste, Unsicherheiten und gesellschaftliche Fragen zu thematisieren, und inwieweit der menschliche Körper und seine Zerstörung dabei als Trägermaterial dienen, bestimmte Vorstellungen zu verdeutlichen und zu transportieren. 3. Das Prinzip der Doppelung Genau wie die Protagonisten aus Untitled #312 nicht „echt“ sind – es handelt sich um Plastikpuppen – , ist auch der unförmig-faltenreich drapierte, monochrom grüne und blaue Hinter- und Untergrund, dessen Farbgebung Assoziationen von Wiese und Himmel evoziert, bloßer Ersatz für die „wirkliche“ Welt, ein künstlich geschaffener Bildraum: Die gesamte 85 Friedrich Nietzsche, zitiert nach Crary, Jonathan: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert (1990), Dresden, Basel: Verlag der Kunst dt. 1996, 103. 86 Weiss im Gespräch mit Cindy Sherman, 32. 87 Morris, Catherine: The Essential Cindy Sherman, New York: Abrams 1999, 12. In diesem Zusammenhang bezeichnet Morris Shermans Fotografien auch als „Rorschachs for the end of the 20th century.“ 88 Vgl. Cindy Sherman: „Ich fände es schön, wenn meine Arbeiten auf eine eher subversive Art und Weise politisch funktionieren würden. Das heißt, ein Foto, das als Einspruch gegen falsche, künstliche Wirklichkeiten funktioniert, ist für mich ein politisches Foto. Dabei geht es nicht darum, dem Publikum eine Botschaft einzuhämmern.“ In: Dickhoff: Cindy Sherman, 61. 89 Smith, Elizabeth A.T.: „The Sleep of Reason Produces Monsters“, in: Cindy Sherman: Retrospective (Ausstellungskatalog), New York: Thames & Hudson 1997, 28. 90 Käufer: Die Obsession der Puppe, 244. Siehe dazu auch Cindy Sherman in Dickhoff: Cindy Sherman, 61: „Während ich dem Betrachter mit meiner Art von Groteske ins Gesicht springe, versuche ich gleichzeitig, diesen Schockeffekt mit Humor wieder etwas zurückzunehmen. [...] Ich möchte, daß meine Fotos auch auf dieser Ebene subversiv funktionieren.“ 19 Szene ist ein Double. Im vorliegenden Kapitel greife ich mit dem Prinzip der Doppelung einen wichtigen Parameter von sowohl Fotografie als auch Puppe auf und werde darstellen, wie Cindy Sherman die Künstlichkeit nutzt, die beiden inneliegt, um aus Körperwahrnehmungen und -bildern Bilder von Körpern zu entwickeln. „Auf der Suche nach dem echten Körper treffen wir nur auf seinen Stellvertreter,“91 und zwar in doppelter Hinsicht: Der Stellvertreter des menschlichen Körpers – die Puppe als Doppelgänger des Menschen – erfährt nämlich in seiner fotografischen Abbildung eine weitere Stufe der Stellvertretung und Repräsentation. „Nicht zufällig spielte die Fotografie in der Kunst der Postmoderne eine zentrale Rolle, denn Fotografie ist von vornherein schon ein ‚Zitat’ dessen, was ‚da’ war. Nie jedoch kann endgültig geklärt werden, ob das Zitierte einfach nur wiederholt und damit ‚verdoppelt’ wird oder eine 92 Dekonstruktion vorgefundener Bedeutung stattfindet.“ Cindy Shermans Arbeiten gelten durchgängig als paradigmatisch für den Einsatz einer Fotografie, die postmoderne Strategien der Simulation erforscht; die Gemachtheit des Artefakts oder Subjekts wird dabei durch seine Repräsentation vorgeführt statt verschleiert. Die Fotografie als Medium der Verdoppelung bzw. der fotografische Abzug als Spur des Wirklichen stellt ein Surrogat der vorfotografischen Wirklichkeit dar.93 Der Zusammenhang von Puppe und Fotografie besteht in der Form ihrer parallelen Wirklichkeitsersatzleistung, ihren repräsentativen und mimetischen Qualitäten, ihrer Eigenschaft, gleichzeitig eine An- und Abwesenheit, Verlebendigung und Mortifizierung zu verkörpern.94 3.1. Es-ist-so-gewesen vs. Was,-das-soll-dagewesen-sein? And the one thing I’ve always known is that the camera lies. 95 Erst der fotografische Akt ist es, der Cindy Shermans künstlerische Arbeit vervollständigt, ihre skulpturalen Arrangements bleiben nicht bestehen, nachdem sie auf fotografisches Papier gebannt wurden. Stattdessen werden die Körperkomposita wieder in Teile zerlegt, die dann neu eingesetzt und kombiniert werden können. Diese Vorgehensart verweist auf zwei Ureigenschaften der Fotografie: Serialität und Reproduzierbarkeit – das Werk der Künstlerin besteht nicht in einer originalen Skulptur sondern in der potentiell unendlichen Reproduktion 91 Käufer: Die Obsession der Puppe, 10. Zimmermann: Skandalöse Körper, 249. 93 Wilfried Dickhoff formuliert in ders.: Cindy Sherman, 25: „Jede Kopie besteht daher als Vexierbild: Sie kann dem Original bis aufs Haar gleichen und doch bleibt eine Differenz bestehen.“ 94 Cindy Sherman zitiert nach Sykora, Katharina: Unheimliche Paarungen. Androidenfaszination und Geschlecht in der Fotografie, Köln: Walther König 1999, 9. 95 Sherman im Gespräch mit Gerald Marzorati: „Imitation of Life“, zitiert nach Criqui: The Lady Vanishes, 276. 92 20 von etwas, das außerhalb eben dieser Abbildung nicht existiert, sondern sich wiederholt in andere, ähnliche Gebilde und deren Reproduktionen aufgelöst hat. Nach einem indexikalischen Verständnis des Mediums ist – im Vergleich zu einer beispielsweise malerischen Darstellung – für die Fotografie die notwendige Anwesenheit des Abzubildenden bzw. Abgebildeten ausschlaggebend, auf das die Fotografie wiederum verweist: Das vor dem Kameraobjektiv situierte Objekt bewirkt einen optisch-chemischen Abdruck, indem es Licht reflektiert, das wiederum durch die Kameralinse auf den fotografischen Film fällt; eine Art „Berührung zwischen Referenten und Bild entsteht“96 – in der Fotografie lässt sich „nicht leugnen, daß die Sache dagewesen ist.“ Die Referenz stellt nach Roland Barthes somit das fotografische Grundprinzip dar – entsprechend verbinden sich in der Gewissheit des Barthes’schen „Es-ist-so-gewesen“ in der Fotografie Realität und Vergangenheit.97 In Shermans Inszenierungen der „erstaunlichsten, surrealen Plastikdinge und Maskeraden“ vor der Kamera ist, so Hanne Loreck in ihrer Cindy Sherman-Untersuchung, jedoch nicht das Entscheidende, „daß diese da gewesen sind, [...] sondern daß diese für die prekäre Konstruktion einer ‚möglicherweise reale(n) Sache’ stehen: für Körper und Gesichter im Geschlechterzusammenhang.“98 Analog zur Vorstellung von kulturell, diskursiv oder performativ konstruierten bzw. produzierten Geschlechterkategorien lässt sich bezüglich Cindy Shermans Fotografien fragen, „welche Bilder mit welchen Mitteln und nach welchen Gesetzen eingebildet wurden und was den Effekt von Abbildlichkeit und damit von Wirklichkeit hergestellt hat.“99 Es handelt sich also weniger um einen indexikalischen Abdruck der Realität als vielmehr um eine verschlüsselte Konstruktion, die „Realitätseffekte“100 hervorbringt, um einen doppelten Verweis auf Inhalte außerhalb, für die sowohl Puppe als auch Fotografie stehen. 96 Käufer: Die Obsession der Puppe, 26. Vgl. hier auch Rosalind Krauss: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände (1998), München: Fink 2009) und Philippe Dubois: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv (1990), Amsterdam und Dresden: Verlag der Kunst 1998, beide bezeichen diesen vorausgesetzten physischen Kontakt von Zeichen und Bezeichnetem, die obligate Existenz des Vorfotografischen, als Index der Fotografie. 97 Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie (1980), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, 86f. Vgl. dazu: „Horror ist die Vergegenwärtigung von Verdrängtem, Gefürchtetem, Vergangenem, Horror ist das Gegenwärtige.“ Bei Penner, Jonathan u.a.: „Was ist Horror?“ in: dies. (Hg.): Horror Cinema, Köln: Taschen 2008, 9. 98 Loreck, Hanne: Geschlechterfiguren und Körpermodelle: Cindy Sherman, München: Verlag Silke Schreiber 2002, 37. 99 Ebd., 38. 100 „We are surrounded not by reality but by the reality effect, the product of simulation and signs.” Vgl. Krauss: Photography and the Simulacral, 63. 21 Im Fall von Untitled #312 beispielsweise lässt sich zwar nicht leugnen, dass die Fotografin zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort Puppenteile zu einer Gruppe von drei menschenähnlichen Körpern aufgebaut haben muss, um sie zu fotografieren, dennoch existiert dieses Arrangement nicht nur nicht länger außerhalb der Fotografie, es war auch von Beginn an ein Kompositum, das etwas Reales nur imitiert hat. Das fotografische Bild wird demnach als simulacres Bild101 verstanden, d.h. als eine Repräsentation ohne garantierten Referenten in der Welt (vgl. Kap. 1.2), siehe dazu Baudrillard: „Die Intensität des Bildes verhält sich entsprechend dem Grad der Negierung des Realen, der Erfindung einer anderen Szene. [...] Das fotografische Bild ist das reinste überhaupt, da es weder Zeit noch Bewegung simuliert und es bei der strengsten Irrealität bewenden läßt. Alle anderen Formen (Kino, Video, computergenerierte Bilder) sind lediglich abgeschwächte 102 Formen des reinen Bildes und seines Bruchs mit dem Realen.“ Fotografie verwandelt die vorfotografische Welt in ein oberflächengetreues Abbild, in Fall von Untitled #312 gleich doppelt: in das Abbild (Familienporträt) eines Abbildes (Puppen statt menschlicher Familie) – als Kopie, die überdies eine ähnlich strukturierte Kopie beinhaltet, dekonstruiert sie das System von Modell und Kopie, Original und Täuschung, Replikationen ersten oder zweiten Grades.103 Dementsprechend ist Cindy Shermans Werken „weniger mit der melancholischen Kategorie das-ist-da-gewesen“ zu begegnen, sie inszenieren eher ein „Das-könnte-da-sein“ oder ein „Was,-das-soll-dagewesen-sein?“, wodurch ihr ontologischer Status in Frage gestellt wird.104 Loreck schlägt vor, im Zusammenhang mit dem Medium der Fotografie auf die Termini Spur oder Abdruck zu verzichten, sondern stattdessen unter Berücksichtigung des PlastischRäumlichen von Abguß, Schablone oder Model zu sprechen.105 Wenn nun aber diesem Abguss ein weiterer Abguss zugrunde liegt, das Model selbst das Modell eines Modells ist, verdoppelt sich die Verunsicherung. 101 Vgl. Vogel, Fritz Franz: The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005, Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2006, 21: „Jede Fotografie bezeugt das Festhalten einer vorhandenen Wirklichkeit als ein Simulakrum.“ 102 Baudrillard, Jean: Die Intelligenz des Bösen, Wien: Passagen Verlag 2006, 84. 103 Bezüglich der „Untitled Film Stills” bemerkt Rosalind Krauss in Photography and the Simulacral, 59: „The practice of the multiple [...] has been taken to undermine the very distinction between original and copy [...] the images reproduce what is already a copy – that is, the various stock personae that are generated by Hollywood scenarios, TV soap operas [...] and slick advertising.” 104 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 291. Vgl. auch Mulvey: Cosmetics and Abjection, 67: „Her representations of femininity were not a sign of regression, but a re-representation, a making strange.” 105 Loreck, ebd. 22 3.2. Körper, Bilder, Abbilder: Mediale Körperreflexionen What is the nature of the transition, in the postmodern image universe, that seems to go in one move from everything-is-representation to the body-as-horror? From the proposition that what is real is the simulacrum to the collapse of the simulacrum in a Sadeian meltdown? From the Untitled Film Stills to Cindy Sherman’s present take on the body as house of horrors and 106 house of wax? Geschichts- und Literaturwissenschaft, Kunst-, Kultur- und Medizingeschichte, Diskursanalyse, Geschlechtertheorie und Anthropologie beschäftigen sich spätestens seit Mitte der 1970er Jahre mit den sich wandelnden Konzeptionen und Repräsentationen des menschlichen Körpers,107 zunehmend werden im Zuge dessen auch Bedingungen und Politik der Repräsentation mitthematisiert. Vor allem in zeitgenössischen Kunsterzeugnissen lässt sich eine Tendenz zu Destruktion und Auflösung des Körpers feststellen: „In Bildern von Avantgarde-Künstlern seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Ganzheitsphantasmen als bürgerliche Totalitätskonzepte einer radikalen Kritik unterzogen. Der Körper im Bild wurde – ebenso wie das Medium Bild – zum Schauplatz von Verletzungen. Der Umstand, daß diese Angriffe sich überdurchschnittlich oft gegen das Bild des weiblichen Körpers richteten, wird (..) vor allem damit erklärt, daß Weiblichkeit 108 traditionell für das Medium Bild stehe.“ Die Zerstörung des Körpers wird demnach strukturell gleichgesetzt mit der Zerstörung des Bildes und umgekehrt.109 Wenn Cindy Sherman also traditionelle Körperbilder (und damit auch -auffassungen) wörtlich auseinandernimmt, kann das in Verbindung mit ihrer abwehrenden Haltung gegenüber einem überholten, exklusiven Kunstverständnis gesehen werden: „I didn’t want to make what looked like art in terms of painting. I thought: No, I want to make something that looks mass produced, I didn’t want it to have anything to do with art theory and I wanted it to look like anybody would understand it“110, womit sie gleichzeitig eingeht auf Kontext und Umstände der Repräsentation in einer bilderüberbordenen Zeit – massenmedial erzeugte Bilder als Grundlage für etwas, zu dem Menschen Bezug haben.111 106 Bryson, Norman: „House of Wax“, in: Burton, Johanna (Hg.): Cindy Sherman, Cambridge: MIT Press 2006 (October Files 6), 84. 107 Krüger-Fürhoff, Irmela Marei: Der versehrte Körper. Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals, Göttingen: Wallstein Verlag 2001, 7. 108 Frietsch, Elke: „Corpus quasi vas. Ein Motiv im historisch-medialen Wandel“, in: von Falkenhausen, Susanne u.a. (Hg.): Medien der Kunst. Geschlecht, Metapher, Code, Marburg: Jonas Verlag 2004, 237. 109 Eiblmayr: Die Frau als Bild, 9; vgl. auch ebd., 204: „Indem diese Künstlerinnen durch die Verknüpfung des weiblichen Körpers mit der materiellen, ästhetischen Struktur des Kunstwerks den weiblichen Bildstatus sichtbar machen, bringen sie ein subversives Moment ein, das sich gegen das System der Repräsentation selbst richtet.“ 110 Cindy Sherman im art:21-Portrait (2009). 111 Der Einfluss von bilderzeugenden Massenmedien wie Fernsehen, Film, Nachrichten, Zeitschriften, Werbung usw. wird wichtiger als „the fine-arts triumvirate“ von Originalität, Original und mystisch-genialem Ursprung des Kunstwerks. Vgl. Foster: Art Since 1900, 581. Siehe auch Eiblmayr: Die Frau als Bild, 189: „Die bildproduzierenden Medien Photographie, Illustrierte, Werbung, Film und Fernsehen vereinnahmen den Körper in zunehmendem Maße und unterwerfen ihn einem Abstraktionsprozess.“ 23 In Darstellungen versehrter Körper zeigt sich nicht nur „das prekäre Gegenstück zum kulturund medizingeschichtliche(n) Konzept des homo clausus“, sie lassen sich gleichzeitig auch als „Korrektiv der Rede vom ‚ganzen Menschen’ verstehen“,112 so stellt Dietmar Kamper fest: „Körper sind immer zerstückelte Körper. Ein ganzer Körper ist ein Bild.“113 Der ganze Körper also nicht naturgegeben, sondern etwas Konstruiertes,114 dementsprechend arbeitet auch Cindy Sherman mit ihrer Puppenteile-Sammlung, wenn sie medizinische Prothesen oder anatomische Übungsmodelle akquiriert, die naturgemäß als Einzelteile geliefert werden;115 sie konstruiert additiv neue Gebilde aus Teilen, die eben zuvor nicht als originärer, heiler Körper, sondern auf unterschiedliche Einheiten verteilt oder völlig zusammenhangslos existiert haben. Aus einem bestimmten Armpaar oder Oberkörper, die selbst schon Darstellungen des echten Körpers sind (vgl. Kap. 3.1), wird so die abstraktere Idee von Armen und Oberkörpern: „Sie haben die Funktion von Zeichen. Sie werden kombiniert wie die Glieder eines Satzes. [...] Der Körper, der aus einzelnen Morphemen zusammengesetzt wird, ist ein semantisches Konstrukt.“116 Untitled #264 (Abb. 9) z.B. zeigt zweifelsohne eine weibliche Figur – obwohl der komplette Rumpf fehlt, einfach ausgelassen wurde, und schimmernder Seidenstoff nur notdürftigen Ersatz bietet: Beine, Brüste, Geschlechtsteil, Hand und Kopf entsprechen der Idee eines weiblichen Körpers, als Zeichen verweisen sie darauf und sind signifikant genug, die fehlenden Teile für die Imagination des Betrachters mitzuzeigen. Die Einzelteile fügen sich zu einer „mit Licht und Farbe komponierten, ‚schönen’ Bildeinheit“ zusammen: Nicht nur ein Körper, auch ein Bild entsteht.117 In 1997 veröffentlichten Aufzeichnungen fragt sich Cindy Sherman: „What could I possibly do when I want to stop using myself and don’t want ‚other people’ in the photos?“ und listet folgende Möglichkeiten auf: „Dummies, photos of other people in the photo, parts of the body 112 Krüger: Der versehrte Körper, 10. Kamper, Dietmar: „Schwarze Sonne. Das Realphantasma und die Phantome der Wirklichkeit“, in: Sturm, Martin u.a. (Hg.): Phantasma und Phantome, 105. 114 Schade: Der Mythos des ‚Ganzen Körpers’, 249. Schon Renaissance-Künstler wie Leonardo da Vinci und Michelangelo nehmen für ihre Bilder anatomische Studien an toten Körpern vor, tatsächlich scheint die Vielteiligkeit der Vereinheitlichung vorauszugehen. Vgl. Leonardo da Vinci: „Es sind mehr als zehn Kadaver notwendig, um einen Körper zu zeichnen“, zitiert nach Sykora: Unheimliche Paarungen, 31. 115 „Übrigens werden die teuren Prothesen, die aus dem Labor kommen, in Koffern transportiert, als ob man mit ihnen verreisen wollte, und wenn du die Koffer öffnest, hast du ein perfektes, schön goldfarbenes Display vor dir.“ Jocks, Heinz-Herbert im Gespräch mit Cindy Sherman, Kunstforum international, Bd.133, 1996, 233. Vgl außerdem: „The best one was this catalogue of anatomical body parts. (...) You name it: they have it. They have sections of arms that you can just practice injecting; or hands. There's this thing called a cut-up hand that you can practice cutting and suturing up.“ Sherman im Gespräch mit Lichtenstein, 1992. 116 Lüdeking, Karlheinz: „Vom konstruierten zum liquiden Körper“, in: Müller-Tamm, Pia und Sykora, Katharina (Hg.): Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne, Köln: Oktagon 1999, 224. 117 „(E)s geht um die Kunst, ein ‚Bild zu stellen’“, vgl. Eiblmayr: Die Frau als Bild, 192f . 113 24 (no face), shadows, empty (no people at all) scenes, wear masks, blur the face.“118 Bezeichnenderweise beinhalten ihre Überlegungen ausschließlich Motive, denen ein (Rest-) Bezug zu einem menschlichen Bildpersonal anhaftet (statt sich beispielsweise NaturLandschaften zuzuwenden) bzw. die sie zumindest entsprechend umsetzt, beispielweise Untitled #168 (Abb. 12): eine „empty scene“, die gerade deshalb umso leerer erscheint, weil verschiedene Bildbestandteile (die wie am Körper getragen arrangierte Kleidung und der Sand, der Körperformen – Beine, Hände, Kopf – imitiert), auf den menschlichen Körper verweisen, ohne dass er wirklich präsent ist. Ähnlich installieren die „Vomit Pictures“ und „molding food“-Bilder die Voraussetzung einer menschlichen Anwesenheit, Nahrungsmittel und Details wie zerbrochenes Geschirr und Besteck beziehen sich auf mehr oder weniger häusliche Situationen, die sich ohne Menschen nicht denken lassen. Sherman setzt, um ihr künstlerisches Anliegen ästhetisch zu formulieren, das Konzept des Menschen bzw. des menschlichen Körpers – genau wie im technischen Sinn das fotografische Papier – als Trägermedium ein; sie erklärt dazu, „dass ich mich noch nie in abstrakten Formen ausdrücken konnte.“119 Auf der einen Seite natürlich-biologisches Fleisch bzw. Stellvertreter dafür (die Materialität der Kunststoffkörper erlaubt dabei ein intensiveres Hinsehen, weil sie weniger zur Debatte steht als die von echten Menschenkörpern120), auf der anderen kulturell, diskursiv oder perfomativ erzeugtes Konstrukt – der Einsatz des Körpers, der bestimmte Inhalte transportiert, ist hier seinem Einsatz im Horrorfilm vergleichbar. Auch im Horrorfilm werden, ganz bildlich durch tatsächliche Zerstückelung und infolgedessen im übertragenen Sinne, die Konturen eines tradierten Körperbildes rissig, das den Körper als intakt, integer und fest umrissen, mit einer ebenso klar und eindeutig konturierten Identität, zeigt.121 118 in: Cindy Sherman: Retrospective, New York: Thames & Hudson 1997, 163. Jocks im Gespräch mit Cindy Sherman, 235. Vgl. dazu Smith: The Sleep of Reason Produces Monsters, 24: „Perhaps for Sherman, as for so many other artists and intellectuals of our own time, the body is the central locus of significant ideas, issues, and images, yet the meanings we attach to its representation as fragmented, decayed, imperfect, and artificial are drastically different from those of earlier times.” 120 Cindy Sherman im Gespräch mit Lichtenstein über Reaktionen auf die „Sex Pictures“: „I think they [die Ausstellungsbesucher] were so embarrassed by just glancing at it that they couldn't continue looking at it closely enough to see that it was fake. They just saw the pink and the shapes and said, ‚Oh my God! That's what it is!’ They just assumed it's real rather than studying it and saying, ‚There's a square hole in there — of course it's not real.’“ 121 vgl. Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 13. 119 25 3.3. Prothesenkörper und künstliche Menschen Der Kunst-Körper verweist immer auf zweierlei: auf eine Vision vom Menschen und auf seinen 122 Konstruktionscharakter, auf seine mediale Bedingtheit. Während künstliche Menschen in bildender Kunst, Literatur und Film auf der einen Seite als selbsterschaffenes Ebenbild des Menschen und damit als Ausdruck seiner Schöpfergottartigen Gestaltungsmacht gelten, werden ihnen gleichzeitig „bis heute Spuren magischer, animistischer Kraft“ zugeschrieben, „die in den Kunstfiguren als eigenständige Macht lebendig zu werden droht.“123 In beiden Fällen spielt ihre Fähigkeit zur Täuschung eine wichtige Rolle, das Double und seine – beispielsweise fotografische – Inszenierung müssen gelungen sein, um den Betrachter von der Echtheit und damit Lebendigkeit seines (abgebildeten) Gegenübers zu überzeugen. Unterschiedliche Zeiten bringen unterschiedliche Menschenbilder hervor und innerhalb dieser unterschiedliche künstliche Menschen, die unterschiedliche Ansprüche erfüllen – so steht die Automate des frühen 20. Jahrhunderts den Androiden und Cyborgs des neuen Jahrtausends gegenüber. Dass Cindy Sherman für ihre Körperskulpturen auf medizinische Dummies und Prothesen zurückgreift, die realistisch und lebensnah gestaltet sind, und sie trotz der Möglichkeiten, die das Verfahren der fotografischen Inszenierung mit sich bringt, als offensichtlich künstliche Abbilder preisgibt, lässt deutlich werden, dass die Erzeugung einer Zeuxis’schen idealen körperlichen Vollkommenheit aus Teilen unterschiedlicher Herkunft124 nicht ihr Anliegen ist. Ihre Fotografien von künstlichen Körpern und Körperteilen besitzen nicht die Eigenschaft, das Auge des Betrachters hinsichtlich ihrer Echtheit zu verunsichern oder zu täuschen. In ihren anthropomorphen Gestalten verschränken sich im Einsatz von Prothesenkörpern „Verletzbarkeit und Maskerade, Vollkommenheit und Monstrosität“125 – was in der Prothese mitschwingt ist nämlich auch der Gedanke, dass wir „Regeneration“ statt „Wiedergeburt“ brauchen, und wenn ein Nachwachsen von Organen, „das, so Donna Haraway, die Menschen von den Molchen lernen können“126 noch nicht möglich ist, so scheint 122 Müller-Tamm und Sykora: Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne, 66f. Sykora: Unheimliche Paarungen, 7. 124 Derselbe Zeuxis, der in einem seiner Gemälde Weintrauben so naturgetreu abgebildet haben soll, dass Vögel danach pickten und Menschen nach ihnen griffen, benutzt nämlich zur Erzeugung eines Idealbilds weiblicher Schönheit die schönsten Teile unterschiedlicher Frauen und setzt sie zu einer perfekten weiblichen Kunstfigur zusammen – so entsteht eine Nachbildung, eine Kopie, die ihrem „Original“ sogar noch überlegen ist. Der Mythos des griechischen Malers (400 v. Chr.) wird in der antiken Frage nach der Rangordnung der Künste oft zitiert, die sich auch immer wieder mit der Schaffung des perfekten Kunstmenschen beschäftigt. Vgl. ebd., 8. 125 Bronfen: Das verknotete Subjekt, 753. 126 Robnik, Drehli: „Der Körper ist OK. Die Splatter Movies und ihr Nachlaß“, in: Felix, Jürgen (Hg.): Unter die Haut. Signaturen des Selbst im Kino der Körper, St. Augustin: Gardez! Verlag 1998, 267. 123 26 die Prothese der nächstbeste Schritt auf dem Weg zum neuen, erweiterten Menschen: Der zusammengesetzte, monströse Körper hat so sowohl abscheulich-schreckliches wie auch utopisches Potential.127 In der vorliegenden Familieninszenierung Untitled #312 macht Cindy Sherman keinerlei Bemühungen, die Künstlichkeit zu verbergen, auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass es sich um Plastik-Körper, nicht um Menschen aus Fleisch und Blut handelt, die durch grob aufgesteckte Einzelteile ergänzt oder erweitert werden, so trägt die stehende Figur einen zu großen, ihren Hals verschluckenden Kopf, die Gesichter der liegenden Figur in Bildmitte und mittelgrund und der kleinen Figur vorne scheinen aus ursprünglich nicht kompatiblen Teilen zusammengesetzt, die kleine Figur trägt außerdem eine Art Brustpanzer und aufsteckbare Arm-, Bein-, und Penisteile und hat keine einheitliche, geschlossene Körperform. Bewegliche Gelenke und Schrauben sind auffällig sichtbar. Was in der klassischen Fotocollage unter Benutzung entwickelter Positive oder in der Fotomontage in jedem Fall nach Betätigung des Auslösers vorgenommen wird – nämlich ein Zusammensetzen von Bildbestandteilen, die ursprünglich nicht in dieser Kombination von der Kamera erfasst wurden – findet hier vor dem Objektiv statt, in einer Art und Weise jedoch, die keine Illusion von Einheit erzeugt, die, statt erschreckende Glaubwürdigkeit zu inszenieren, ihre künstliche Anordnung bereitwillig offenlegt, dazu Cindy Sherman: „Ich will keine Illusionen schaffen, die Schein als Wirklichkeit verkaufen. Der potenzierte ‚fake’ soll als solcher durchschaubar und sichtbar bleiben in meinen Fotos.“128 Durch die Dekonstruktion des gesamten Corpus der Kernfamilie sowie der einzelnen Körper der Familienmitglieder erschafft Cindy Sherman ein irritierend dystopisches Familien-Modell, das im selben Moment amüsiert und verstört und darin befreiend wirken kann – eine Dynamik, die ebenfalls den Horrorfilm begleitet, gerade wenn er besonders graphische, übertriebene Darstellungen von Zerstörung und Gewalt einsetzt. Nachdem sich nun gezeigt hat, wie sich mittels der Eigenschaften von Doppelung und Künstlichkeit Bilder von Körpern auf ihre inhärenten Körperbilder untersuchen lassen, wird im nächsten Kapitel das Bild des grauenhaften Körpers im Mittelpunkt stehen. 127 vgl. Ingebretsen, Edward J.: At stake. Monsters and the Rhetoric of Fear in Public Culture, Chicago & London: University of Chicago Press 2001, xvi. Donna Haraway spricht in diesem Zusammenhang von „monströsen Versprechen“, aus denen sich positive Alternativen ergeben können, vgl. Kap. 4.1.1. 128 vgl. Dickhoff: Cindy Sherman, 58/59. 27 4. Der Körper als Ort des Grauens This omnipresent cult of the body is extraordinary. It is the only object on which everyone is made to concentrate, not as a source of pleasure, but as an object of frantic concern, in the obsessive fear of failure or substandard performance, a sign and an anticipation of death, that death to which no one can any longer give a meaning, but which everyone knows has at all times to be prevented. The body is cherished in the perverse certainty of its uselessness, in the 129 total certainty of its non-resurrection. Für die Zusammenhänge von Körperwahn und Körperhorror bzw. den daraus resultierenden Vorstellungen und Körperbildern ist es aufschlussreich zu beobachten, wie sich Attribute des Monströsen in einer durch Medizin, Wissenschaft und Technik rationalisierten und bis ins kleinste Detail erfassten, erklär- und manipulierbaren Welt verschieben: Neue Möglichkeiten des gestaltenden Eingreifens, Technologien wie Genmanipulation, Klonen, Xenotransplantation, kosmetische Eingriffe, Hormonbehandlungen, Prothesen usw. verändern und erweitern das Konzept Körper mit all seinen Einschränkungen und Schwächen, bringen aber auch neue Ängste und Fragestellungen mit sich. Im Folgenden soll die Konzeptualisierung des menschlichen Körpers als Ort des Grauens bei Cindy Sherman nachvollzogen werden, in meinen Bildanalysen werde ich überprüfen, wie dessen Merkmale und Konzepte, insbesondere Hybridität, Ekel, Unreinheit, Abjektion, Othering, Dichotomien wie Innen vs. Außen und das monströse Weibliche Gestalt annehmen. Es ist ein eigentlich verborgener Körper, den Cindy Sherman zeigt und ausstellt, genau wie im Horrorfilm vollzieht sich ein „Prozess der Sichtbarmachung“130: Was Bilder für gewöhnlich übergehen – denn „die Abweichung vom Normalmass [sic] verschwindet aus unserem sichtbaren Alltag oder wird wenigstens geächtet“,131 so in Untitled #250 (Abb. 17) Kot, haarige Geschlechtsteile, Sexualität im Alter – ist offen sichtbar, ist hier Bildgegenstand. „The world is so drawn towards beauty that I became interested in things that are normally considered grotesque or ugly, seeing them as more fascinating than beautiful.“132 Vom monströsen Körper der Vergangenheit (wie er z.B. in Anatomie-Vorführungen, Vaudeville-Kuriositätenkabinetten oder dem Grand Guignol-Horrortheater präsentiert wurde) 129 Baudrillard, Jean: America (1986), London & New York: Verso 1999, 35. Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 80. 131 Vogel: The Cindy Shermans, 430. 132 Cindy Sherman 1996, zitiert nach Morris: The Essential Cindy Sherman, 79. 130 28 bis zum neuen Fleisch133, „vom Naturalienkabinett zur Embryologie“134 – der menschliche Standard-Körper scheint durchgängig in Frage gestellt worden, seine Konzeption instabil gewesen zu sein; es handelt sich um einen Körper, der durchgängig Wartung und Nachrüstung benötigt, um die allzeit präsente Gefahr einer Störung, eines Zusammenbruchs abzuwehren.135 Cindy Sherman benutzt (medizinische) Puppen und Prothesen, die einerseits (wie das HorrorMonster, vgl. Kap. 4.1.1) auf die menschliche Verletzlichkeit verweisen (weil Prothesen in der Medizin Ersatz für defekte, echte Teile des Körpers darstellen), andererseits auf den Zwang zu Modifikation und Verbesserung – ein wichtiger Aspekt der Prothese ist in diesem Zusammenhang das Aufbrechen der Grenzen zwischen Körper-eigen und Körper-fremd, zwischen Selbst und Nicht-selbst und die damit verbundene utopische Erweiterung des schadhaften, schwachen Menschenkörpers durch technische Fremdteile (in Kapitel 3.3 wurde bereits das utopische Potential des Prothesenkörpers behandelt). Und drittens sind die künstlichen Teile Zeichen, "Doubles" ohne eigene Identität, die nur vortäuschen, ein Körperteil zu sein. Vergleichbar der Leistung des Horror-Genres, durch das das Grauen ein Gesicht und das Chaos eine Form erhält, lassen Shermans Fotografien etwas Gestalt annehmen, sich manifestieren, das die zeitgenössische US-amerikanische Gesellschaft beschäftigt: Die intensive Beschäftigung mit und Sorge um den Körper. Cindy Sherman entwickelt ein Gegenbild und vielleicht sogar ein Korrektiv zum gesunden, schönen, modernen Körper: „Die vom Künstler entworfenen Sprachen der Körper sprengen die tägliche Einengung unseres Blicks auf den therapie- und gestaltungsbedürftigen, auf den verratenen und den verkauften, den zerredeten und totgefilmten Körper.“136 Eigentlich unbemerkt und dem Menschen nicht durchgängig bewusst präsent, beinahe ein abwesender Körper, drängt er sich ins menschliche Bewusstsein, sobald die geringste Störung auftritt – ob Krankheit, Verletzung oder andersartige Beschädigung der Ganzheit, auch im Bezug zu wie auch immer transportierten Idealbildern – und die so angenehme Unbehelligtheit geht verloren: Der Körper macht sich bemerkbar, wird wahrgenommen und als anderer Körper erfahren.137 133 Vgl. „Long live the new flesh!“ aus Videodrome (David Cronenberg, 1983) oder Seeßlen: Horror, 27: „In der Weltformel des Horror zerbricht das ‚neue Fleisch’ in einen Teil, der nicht leben kann und einen, der nicht sterben will.“ 134 Hagner, Michael: „Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. Wandlungen des Monströsen und die Ordnung des Lebens“, in: ders. (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten (1995), Göttingen: Wallstein Verlag 2005, 73. 135 Vgl. Shildrick: Embodying the Monster, 55. 136 Heinrichs: Der Körper und seine Sprachen, 9. 137 Shildrick: Embodying the Monster, 49. 29 4.1. Motive des Horrors: Monster und Mischwesen Wesen, die man nicht klassifizieren konnte, nannte man früher „monströs“; das heißt: als „monstra“ hatten Wesen gegolten, die, obwohl sie kein „Wesen“ hatten, doch da-waren und, 138 der Frage, was sie seien, ins Gesicht lachend, ihr Unwesen trieben. Eine wichtige Insignie des Horrors stellt das Monster dar, im weitesten Sinne ein Wesen, das nicht in vertraute Schemata, z.B. menschlicher Physiognomie, passt. Monster in Horrordarstellungen und -narrationen funktionieren nach anderen Regeln als etwa in Märchen oder Mythen: „the [horror] monster is an extraordinary character in our ordinary world, whereas in fairy tales and the like the monster is an ordinary creature in an extraordinary world.”139 Wie außergewöhnlich ist das Monster wirklich? Obwohl es der „äußeren” Welt zugeordnet und benutzt wird, um in Abgrenzung zu ihm eine Norm – und das Monströse wiederum im vergleichenden Blick zur Norm – zu bestimmen, steht es stets auch für das Andere unter und in den Menschen. Im Monster können sich die undichten Stellen, Irregularitäten und die Verletzlichkeit des eigenen körperlichen Seins spiegeln. Sie sind zunächst weder gut noch schlecht, sind weder innen noch außen, nicht das Selbst noch das abgegrenzte Andere: Monster sind regelwidrig und grenzüberschreitend.140 Auch im Verhältnis zum kulturellen Konzept von Natur sind Monster unnatürlich. Sie passen nicht nur in kein Schema, sie verletzen das Schema und sind deshalb sowohl physisch wie auch kognitiv eine Bedrohung: „[M]onsters are in a certain sense challenges to the foundations of a culture's way of thinking."141 4.1.1. Monströse Möglichkeiten Monsters are meaning machines. They can represent gender, race, nationality, class, and 142 sexuality in one body. Als Phänomen der Alterität und Differenz lässt sich das Monströse begrifflich vor allem ex negativo fassen, ohne dass ihm notwendig eigene Wesensmerkmale zugeschrieben werden143, 138 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen Bd.I. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (1956), München: C.H. Beck 22002, 254. 139 Carroll: Philosophy of Horror, 16. 140 Monster befinden sich nicht nur durchgängig an einer Grenze sondern gleichzeitig auf beiden Seiten dieser Grenze, vgl. Shildrick: ebd., 4. 141 Carroll, Philosophy of Horror, 43. 142 Halberstam, Judith: Skin Shows. Gothic Horror and the Technology of Monsters, Durham und London: Duke University Press 1995, 21. 143 Overthun, Rasmus: „Das Monströse und das Normale. Konstellationen einer Ästhetik des Monströsen“, in: Geisenhanslüke, Achim und Mein, Georg (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen, Bielefeld: transcript Verlag 2009, 47. 30 denn eigentlich entzieht es sich jeder Beschreibung.144 Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, in seiner Andersartigkeit auf etwas außerhalb seiner selbst hinzuweisen: Etymologisch leitet sich der lateinische Terminus monstrum von lat. monere ab, was „ermahnen, warnen, erinnern, raten, anweisen“ bedeutet und bildet einen lexikalischen Zusammenhang mit monstrare: zeigen, hinweisen, lehren.145 Monster können als „zeichenhafte Gestalten“ nicht nur auf vergangene und (noch mehr) auf zukünftige Ereignisse verweisen146, sondern auch Ängsten Ausdruck und eben eine Gestalt verleihen (wie in Kap. 2 bereits als Leistung von Horrorfiktion generell aufgezeigt). Dass diese Gestalt in vielen Fällen deutlich Bezug auf die menschliche Form nimmt, macht sie umso bedrohlicher und die Darstellung der Ängste umso treffender; das Monster – in uns und aus uns heraus projiziert – funktioniert als „construction of our own fantasies, hopes and fears”147, Gunther Gebhard spricht vom „Zeichencharakter des Monsters,“ aber auch vom Monster als „Analysekategorie, die Einsichten über Stigmatisierungsprozesse und Exklusionsbewegungen ermöglicht.“148 „So wie die lateinische Etymologie das Monstrum mit Omen und Wunder verbindet, diese mirakulöse Erscheinung als Warnung vor einem zukünftigen, unausweichlichen, bedrohlichen Ereignis verstand, so ist in Shermans Verzerrungen des Selbst eine Unstetheit als 149 Hauptmerkmal eingebaut.“ In zeitgenössischen Horrortexten handelt es sich z.B. häufig um artifizielle, im Labor produzierte Wesen – vom klassischen Frankenstein-Monster über Strahlenmutanten bis hin zum bionischen, technisch ergänztem Körper. Die feministische Gesellschaftstheoretikerin und Biologin Donna Haraway greift in diesem Zusammenhang, vor allem bezüglich der (weiblichen) Cyborg, auf den Begriff des Hybriden zurück; indem die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, Natur und Kultur verschwimmt, entstehen hybride Figuren und Positionen, die in der Lage sein können, zwischen den Bereichen zu vermitteln150 (vgl. Kap. 4.1.2.). Allerdings können auch Menschen ohne körperliche Abweichung zu Monstern umgedeutet werden. Je ähnlicher das Horror-Monster der eigenen Erscheinung, desto schwieriger ist es, sich abzugrenzen: 144 „Der monströse Körper ist phänomenal Fleisch gewordene Differenz.“, ebd., 54/55. Vgl. Georges, Heinrich: Ausführliches Lateinische-Deutschess Handwörterbuch Bd.2 (1916), Darmstadt: WBG 1998, 998 (Artikel Monstrum). 146 Vorwort von Michael Hagner in ders.: Der falsche Körper, 7. Hagner verweist auf den antiken Sprachgebrauch von monstra für als Warn- oder Wunder-Zeichen interpretierte Fabelwesen. 147 Wisker, Gina: Horror Fiction. An Introduction, New York/London: Continuum Books 2005, 219. 148 Einleitung der Herausgeber in: Gebhard, Gunther u.a. (Hg.): Von Monstern und Menschen. Begegnungen der anderen Art in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Bielefeld: transcript Verlag 2009, 18 und 25. 149 Bronfen: Das verknotete Subjekt, 751. 150 Vgl. „A Cyborg Manifesto“ in Haraway, Donna: Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature, London & New York: Routledge 1991, 149f. 145 31 „So long as the monstrous remains the absolute other in its corporeal difference it poses few problems; in other words it is so distanced in its difference that it can clearly be put into an oppositional category of not-me. Once, however, it begins to resemble those of us who lay claim to the primary term of identity, or to reflect back aspects of ourselves that are 151 repressed.“ Sein unbestimmter und mehr noch, unbestimmbarer Status – nicht ganz dem eigenen Selbst entsprechend, nicht vollständig als „das Andere“ abzugrenzen – entfaltet dann eine umso beunruhigendere Wirkung, und umso eindringlicher erfüllt das Monster seine zeigende Aufgabe. Betroffen ist nicht mehr alleine der Status derjeniger Körper, die als monströs bezeichnet werden, sondern „the being in the body of us all.“152 Analog dazu formuliert Cindy Sherman in Bezug auf ihre Fotografie: „I’m trying to make other people recognize something of themselves rather than me.“153 In dieser Funktion dem Monster ähnlich, zeigen die Fotografien Grenzen auf, die eine Gesellschaft um sich zieht, um ein Innerhalb und ein Außerhalb festzulegen und finden Ausdruck für das anderweitig Unkommunizierbare, Unvermittelbare. 154 Was Siegfried Kracauer 1940 über das Grauen im Film schreibt, kann für Horrorfiktion allgemein und ganz im Besonderen für Shermans Horror-Fotografien gelten: „Die Erscheinung des Entsetzlichen“ wird angestrahlt, etwas „dem wir sonst im Dunklen begegnen", das "in Wirklichkeit" unvorstellbar ist, wird zum „Schauobjekt.“ Die „jähe Entblößung des Grauenvollen“ wirkt dabei zunächst als Sensation.155 Das Monster – und mit ihm menschliche Ängste und Fantasien – wird sichtbar. 4.1.2. Der Mensch mit dem Stierkopf, der Mensch mit den Vogelfüßen: Hybridität Das Monster ist [...] im wesentlichen ein Mischwesen. Es ist das Mischwesen zweier Bereiche, des menschlichen und des animalischen: Der Mensch mit dem Stierkopf, der Mensch mit den Vogelfüßen – lauter Monster. Es ist ein Mischgebilde aus zwei Arten, ein Mixtum zweier Arten: das Schwein mit dem Schafskopf ist ein Monster. Es ist eine Mischung aus zwei Individuen: Wer zwei Köpfe und einen Leib, zwei Leiber und einen Kopf hat, ist ein Monster. Es ist die Mischung aus zwei Geschlechtern: Wer zugleich Mann und Weib ist, ist ein Monster. Es ist die Mischung aus Leben und Tod [...] Schließlich ist es eine Mischung aus verschiedenen Formen: Etwas, das weder Beine noch Arme hat, wie eine Schlange, ist ein Monster. Folglich überschreitet es die natürlichen Grenzen, die Klassifikationen, die Kategorientafeln und das 156 Gesetz als Tafel: Genau darum geht es in der Monstrosität. 151 Shildrick: Embodying the Monster, 2/3. Ebd., 3. 153 Halbreich, Kathy: „Culture and Commentary. An Eighties Perspective” (1990), in: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Basel: Edition Cantz, Kunsthalle Basel 1991, 108. 154 Haraway: Simians, Cyborgs, and Women, 180: "Monsters have always defined the limits of community in Western imaginations." 155 Kracauer, Siegfried: Kino, Essays, Studien, Glossen zum Film, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974, 26/27. 156 Foucault, Michel: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974-1975), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, 86/87. 152 32 Oftmals ist das Monster also ein Hybrid (vgl. Kap. 4.1.1), seine „nicht klassifizierbare, anormale, ungewöhnliche und zumeist abstoßende Gestalt“157 ist Voraussetzung für seinen Status als Zwischenwesen in der Grauzone des Menschlichen und Nicht-Menschlichen, Animalischen, bzw. des Weiblichen und Männlichen, Mechanischen und Organischen, Lebendigen und Toten. Mit dem Wandel der Gestalt geht in den meisten Fällen ein Verlust an menschlichen bzw. das Menschliche konstituierenden Eigenschaften einher, im Falle des Tiermenschen z.B. das Zurückbleiben von Selbstreflexion und Vernunftbegabung hinter Trieben und Affekten. Die Farbfotografie Untitled #140 (Abb. 11) aus dem Jahr 1985 (184,2 x 124,6 cm, Auflage von sechs Abzügen) lässt sich einer Phase der Veränderung in Cindy Shermans Werk zuordnen, von den Serien, in denen sie ausschließlich selbst als Modell auftritt, im Übergang zu Bildern, aus denen ihr eigener Körper (mit marginalen Ausnahmen) komplett verschwunden ist. Die Fotografien aus der als „Fairy Tales“158 bezeichneten Serie (1985) beschäftigen sich mit dem noch-(real-)menschlichen Körper, der aber zunehmend einer Transformation zum nichtmehr-menschlichen, künstlich ergänzten unterliegt, so z.B. in der vorliegenden Abbildung: Die hochformatige Fotografie zeigt Kopf, Hals und Hände einer am Boden liegenden Figur, verkörpert von Cindy Sherman, deren Gesicht anstelle von (der menschlichen Physiognomie entsprechend) Nase und Mund eine Art Halbmaske in Form eines Schweinsrüssels ziert. Das Wesen liegt auf seiner linken Seite in der feuchten Erde – kleine Steine, Zweige und Blätter deuten zusätzlich auf eine Szenerie im Freien hin; der Körper außerhalb des linken Bildrandes kann in horizontaler Position zum Betrachter, vielleicht leicht gekrümmt, weitergedacht werden, der wiederum aus einer Aufsicht auf das Motiv herunterblickt. Zwar handelt es sich um ein Hochformat, jedoch impliziert die Position der Figur (horizontal ausgestreckt liegend) eine dem Querformat eigene, passive Verletzlichkeit oder Ergebenheit in ihre Situation, vergleichbar der Wirkung der „Horizontals“.159 Im Gegensatz zu den „Untitled Film Stills“ (die nicht größer als ca. 21 x 24 cm werden) sind Shermans spätere Serien, so auch Untitled #140, von überwältigender Überlebensgröße (vergleichbar einer Nahaufnahme auf der 157 Hagner: Der falsche Körper, 7. Der Titel nimmt eher Bezug auf die phantastische, unheimliche und verstörende Ästhetik der Bilder, weniger auf das Märchen als Gute-Nacht-Geschichte, in dessen Narration das Monster als legitimer Protagonist in einer märchenhaften Umgebung auftritt: die Formel des „Es war einmal“ wird hier nicht als vorausgreifend schützend an den Beginn gestellt. Auch Cindy Shermans „Bilderbuch“ Fitcher’s Bird (1992) nach einem grausamen Gebrüder Grimm-Märchen thematisiert anschaulich Zerstückelung, Maskerade und Geschlechterperformanz. 159 wie Rosalind Krauss die „Centerfolds“ „wegen der Dominanz der horizontalen ‚Achse der Entsublimierung’ nennt.“ Vgl. Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 170. Vgl. auch: „[T]he vulnerability of the character [is] implied through the use of the horizontal format.“ Cruz: Movies, Monstrosities, and Masks, 7. 158 33 Kinoleinwand), die das Auge zwingt, die Oberfläche abzutasten, „searching for a specific shape or pattern that might offer some formal reassurance against the disturbing content.“ Die Schnauze in Richtung des unteren Bildrands und den Blick leicht abwesend zum Betrachter gewendet, scheint sich das Schweinswesen mit seiner rechten Hand etwas in den Mund zu legen, das in Farbigkeit und Material dem Untergrund gleicht. Die Hände sind als eindeutig menschlich bestimmbar, im Sinne von nicht-künstlich und nicht-animalisch – genau wie Auge und Ohr; auch die kurz gelockte Perücke muss als zwar künstliches, aber menschliches Accessoire verstanden werden. Hände, Stirn und Wangen sind mit einem Schmutzfilm überzogen, das Gesicht glänzt feucht-klebrig, die rosafarbene Haut wirkt in der fahlen Beleuchtung gräulich, fast leichenartig starr. Der starke Hell-Dunkel-Kontrast (es handelt sich um eine nächtliche Impression) verstärkt die unheimliche Qualität der Szenerie; die Lichtquelle befindet sich links oben außerhalb der Bildbegrenzung, der Kopf der Figur wird von hinten angestrahlt, so dass alles vor ihrem Gesicht im Schatten liegt. Lichtreflexe sitzen in einer Weise auf den blonden Locken und auf dem Erdboden, dass die Strukturen sich ähnlich werden und die Figur mit ihrer Umgebung eine Einheit zu bilden scheint: „Color, lighting, and the texture of the figures make them merge visually into their settings. The camera angle now looks down onto the ground where the figures lie lifeless or, perhaps, trapped in their own materiality.“160 Bei dieser Materialität der Umgebung, die auch die Materialität, also Beschaffenheit der Figur bestimmt, handelt es sich um Erde, ein organisches Material, im vorliegenden Kontext mit Schmutz zu assoziieren, dennoch bringt das Schweinswesen Gesicht und Mund damit in Kontakt: Es befindet sich, so lässt sich schließen, in seinem Element. Auch optisch, ähnlich der Strategie der tierischen Mimikry, passt sich die Figur an ihre Umgebung an: „(A)n organism that, yielding to the force of this space’s generalized gaze, loses its own organic boundaries and merges with its surroundings in an almost psychotic act of imitation. Making itself into a kind of shapeless camouflage, this mimetic subject now becomes a 161 formless part of the ‚picture’ of space in general.“ Der verwandelte Mensch nimmt also die Verhaltensweisen des Tieres, des Schweins an, er ist den physischen Bedürfnissen – hier vor allem dem Fresstrieb und der Affinität zu Schmutz – ausgeliefert. Der Figur in der Fotografie steht das Ausgeliefertsein in den Blick aus den schweinsartig hellen Augen geschrieben, weiter oben war bereits von der „Ergebenheit in die Situation“ die Rede, ähnlich formulieren Theodor Adorno und Max Horkheimer zum Komplex Mensch und Tier: „In einen Tierleib gebannt zu sein, gilt als Verdammnis. [...] Die 160 161 vgl. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 71. Krauss: Art Since 1900, 633. 34 stumme Wildheit im Blick des Tieres zeugt von demselben Grauen, das die Menschen in solcher Verwandlung fürchten.“ 162 Die Vorstellung, was der Mensch ist, findet nämlich ihren Ausdruck in der Unterscheidung zum Tier. Hier jedoch ist diese Unterscheidung nicht möglich, die Figur ist ein Mischwesen und wird in eine Instinkt- und Triebbestimmtheit zurückgeführt, weshalb sie sich animalisch im Schmutz suhlt. Indem die Grenzen zwischen Körper und Welt durch die Erde, die unter, auf und im Mund der Figur lokalisiert werden kann, aufgehoben werden, vermischen sich Körper und Außenwelt, Mensch, Tier und organisches Material. Die wesentliche Unbestimmbarkeit von Figur – halb Mensch, halb Schwein – und Situation verleiht der Fotografie eine verstörende Qualität und verhindert eine klare Ausgangsbestimmung.163 Dass tradierte Vorstellungen eines Körperbildes hier nicht länger anwendbar sind und dem Betrachter gleichzeitig keinerlei Möglichkeit gegeben wird, im Bildkontext einen Anhaltspunkt auszumachen,164 hat Irritation und Beunruhigung zur Folge, weil Prinzipien des intakten, unversehrten Körpers durch Öffnung und Zerlegung dieser (Ab-) Geschlossenheit zerstört werden. Stattdessen zeigt Sherman den unheimlichen, mysteriösen, den grotesken Körper des Mischwesens: eine Grenzfigur, in der als unvereinbar gedachte, kulturelle Kategorien zusammenfallen, eine „Gattung, für die wir noch keinen Namen haben“165, die dementsprechend nicht in vorhandene Raster eingeordnet werden kann. Bestehende Körperkonzeptionen befinden sich bezüglich des abgebildeten, gemischten Körpers bzw. Kopfes in Untitled #140 in einer Krise oder sind gar aufgelöst: „Der groteske Körper [...] überschreitet seine Grenzen. Er betont diejenigen Körperteile, die entweder für die äußere Welt geöffnet sind, d.h. durch die die Welt in den Körper eindringen oder aus ihm heraustreten kann, oder mit denen er selbst in die Welt vordringt, also die Öffnungen, die Wölbungen, die Verzweigungen und Auswüchse: der aufgesperrte Mund, die 166 Scheide, die Brüste, der Phallus, der dicke Bauch, die Nase.“ 162 Adorno, Theodor W. und Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1947/1969), 12004, 262ff. 163 „Surrounding mise en scènes had gradually vanished as though Sherman was denying the viewer any distraction or mitigation from the figures themselves as they gradually became more and more grotesque. Around 1985, settings make a comeback in the photographs, but diffused into textures. Natural elements, pebbles, sand, or soil, for instance, develop expressive and threatening connotations.“ vgl. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 71. 164 Mit Kontext meine ich hier auf der einen Seite den Zusammenhang und die Einbettung in die Fotoreihe, die zwar einen grob thematischen, jedoch keinen narrativen Rahmen bildet, und den Kontext der Figur im Bild selbst, der aufgrund des engen Ausschnitts kaum konstituierende Informationen liefern kann, außer der Tatsache, dass Schmutz die Umgebung bildet. Der Betrachter ist ganz auf die Inszenierung des Schweinswesens zurückgeworfen. 165 vgl. Gebhard: Von Monstern und Menschen, 10: „Exemplarisch Derrida, der schreibt, das ‚Monstrum’ sei ‚etwas, das zum ersten Mal auftaucht und folglich noch nicht erkannt oder wiedererkannt werden’ könne.“ 166 Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur (1941/1965), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987, 76. 35 Die Betonung der grotesken Körperkonzeption liegt dementsprechend auf Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Sex, Leben bzw. Geburt und Tod und der Verknotung all dieser Tätigkeiten und Zustände. Auch in Cindy Shermans Schweinswesen mit seiner auffälligen Schnauze, Öffnung und Auswuchs zugleich, vereinen sich Nahrung und Schmutz (oder gar Exkrement), Tier und Mensch, Figur und Umgebung: „Alle diese Ausstülpungen und Öffnungen zeichnen sich dadurch aus, dass an ihnen die Grenze zwischen zwei Körpern oder Körper und Welt überwunden wird.“167 Als grundlegender Unterschied zwischen grotesken und ekelhaften bis unheimlichen Körpern auf wirkungsästhetischer Ebene kann die Reaktion des Lachens gegenüber einem Gefühl der Abscheu, Bedrohung und Abwehr ausgemacht werden – der in Untitled #140 vorliegende Körper ist aber als beides inszeniert, als grotesk und ekelhaft: Die Einheit des Körpers als klar umrissene Entität besteht nicht länger, wenn sich seine Grenzen öffnen – sehr bildlich verkörpert in der Schweinsschnauze mit ihren Nasenlöchern und dem großen Maul – und er sich mit seiner Umgebung vermischt (Erde bzw. Schmutz befindet sich auf dem Boden wie auch im Mund und überziehen die Haut). So unterliegt der menschliche Körper „vom Kopf bis zu den Füßen“ einer solchen „Topo- und Chronographie des ‚Ekels’. Taediogene Zonen und ekelhafte Zeiten sind die strategischen Einsatzstellen seiner Konstruktion.“168 Schon in dieser Serie und besonders mit Untitled #140 beginnt Cindy Sherman mit einer Ausdrücklichkeit und Wörtlichkeit zu spielen, die den Körper als Ort des Grauens, als Oberfläche, unter bzw. vielmehr Projektionsfläche, auf der ein tiefer Schrecken stattfinden kann, inszeniert. 4.2. Threatening and impure: Angst und Ekel Das Monster gilt als bedrohlich und unrein („threatening and impure”169), es löst gleichzeitig so extreme Affekte wie Angst und Ekel aus. Analog dazu spielen auch Cindy Shermans körperbezogene Horrordarstellungen mit der Empfindung des Ekels, der wie Horror (vgl. Kap. 2) ein Modus der ästhetischen Wahrnehmung ist, also ein „Affekt infolge der Darstellung einer spezifischen Körperlichkeit“170, außerdem ein, wie Winfried Menninghaus in seiner umfassenden Studie über Ekel herausstellt, elementares Gefühl und „allgemeines [...] distinktives menschliches Reaktionsmuster“171 – genau wie das Gefühl der Angst, das zu den existenziellen Erfahrungen des Menschen gehört. Die Dynamik der Verdrängung formt jeden 167 Ebd., 358. Menninghaus: Ekel, 15. 169 Carroll: Philosophy of Horror, 28. 170 Vgl. Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 27. 171 Vgl. Menninghaus: Ekel, 9. 168 36 beliebigen Affekt in Angst um, Angst ist demnach etwas eigentlich verborgenes, das aber wieder auftaucht, Verdrängtes, das zurückkehrt (dieses Wieder-Auftauchen kann auch einen sehr somatischen Aspekt haben, vgl. Kap. 4.2.2.2, wie im Fachterminus des „Cinéma Vomitif“ verdeutlicht).172 In ihrer Eigenschaft als „Erregungssteigerungskunst“173 mit dem Pornofilm vergleichbar, zielen Horrorerzeugnisse, vor allem blutrünstige, sehr graphische wie der Splatterfilm, auf gerade diese körperlichen Reaktionen ab. 4.2.1. Angst und der unheimliche Körper Eine der fundamentalen Ursachen für Angst liegt in der fragilen Balance zwischen Körper und Selbst, die unter geringsten Störungen zusammenzubrechen droht; es ist die Angst, dass die identitätsstiftende Vertrautheit mit dem Körper durch Transformations- oder Zerfallsprozesse zersetzt wird. Aus dem Gleichgewicht geratene Horrorkörper wandeln sich, bekommen Teile, die ihnen nicht zustehen oder missen fundamentale Eigenschaften. Das Erkennen einer solchen Anomalie ruft für gewöhnlich Angst hervor174, denn diese anderen Körper sind zwar einerseits als Körper zu bewerten, die Transformationen und Veränderungen unterworfen sind, aber dennoch als eigene Körper inszeniert und wahrgenommen werden. Hierin liegt der Ursprung des Unheimlichen begründet (vgl. auch die Ähnlichkeit des Monsters mit dem Menschen selbst Kap 4.1), es „liegt [...] im eigenen Leib verortet, es stammt aus ihm selbst.“175 Die sorgsam gepflegte Körperoberfläche des „smooth glossy body” der Fashionmodels, „polished by photography” scheint sich in Cindy Shermans Fotografien zunehmend aufzulösen, darunter kommt der angsterregende, unbehagliche und unheimliche Körper zum Vorschein.176 Etwas, das schon immer da war oder dessen Existenz zumindest angelegt war, beginnt ans Tageslicht zu treten. Indem die Kategorien Fremd und Vertraut zusammenfallen und sich im Horrorkörper treffen, werden Umstände geschaffen, unter denen sich eben das Vertraute zu einem Nicht-längerVertrauten wandelt und infolgedessen unheimlich wird.177 Diese Dichotomisierung von Vertrautem und Fremden, Selbst und dem Anderen, Heimlichem (von Heim, heimisch) und Un-Heimlichem ist für die Horrorwirkung zentral. So auch im Falle des Tiermenschen (der 172 Freud, Sigmund: Das Unheimliche (1947), in: Gesammelte Werke, Bd. 12, hg. Anna Freud, Frankfurt a. M.: Fischer 1986, 254. 173 Meteling: Wundfabrikation, f-lm.de. 174 Darauf folgt Unterdrückung oder Meidung, vgl. Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu (1966), Frankfurt a.M.: Surkamp 1988, 16. 175 Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 40. 176 Vgl. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 72. 177 Freud: Das Unheimliche, 231: Das Unheimliche als „jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht.“ 37 vor allem im Horrorfilm Opfer spektakulärer Verwandlungsszenen wird, so z.B. bei der Transformation in Bestien mit Reißzähnen, Klauen und Fell und weniger in ein auf den ersten Blick vergleichsweise harmloses Hausschwein): „Dass an dem nicht vollständig transformierten Leib der ehemalige Körper noch erkannt werden kann, macht seine Unheimlichkeit aus.“178 Angst hat als Empfindung sowohl eine körperliche Reaktion zur Folge wie auch kognitive Dimensionen: Eine durch den Verstand gewonnene Einsicht versetzt den Erkennenden in physische Erregung und löst die Emotion Angst aus. In Shermans Serien ab Mitte der 1980er Jahre, die in den „Fairy Tales“ ihren Anfang finden, manifestieren sich Furcht und Schrecken: „Sherman seems to have moved from suggesting the presence of a hidden otherness to representing its inhabitants.“179 Gehörnt, beschnauzt, mythologischen Hybriden gleich, scheinen diese Figuren das Unbewusste oder Verdrängte zu personifizieren und irrationale Ängste und Albträume zu verkörpern und auszulösen. Anschaulich beschreibt Amanda Cruz die Wirkung dieser Bilder und unterstellt den Figuren eine Art Gewalttätigkeit, die sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung entwickelt haben; sie formuliert: „(I)t is as if we harbored a secret self, an immersed, repressed side [...] of which we live in fear because it could, at any time, burst from us accountably and, [...] instantly propel us beyond the boundaries of the acceptable.“ 180 Körper und Selbst, die doch eigentlich eng zusammengehören: „Our bodies, ourselves; bodies are maps of power and identity“,181 wie von Donna Haraway beschrieben, geraten aus dem Gleichgewicht, trennen sich voneinander oder infizieren sich aneinander: Die Figur aus Untitled # 140 hat sich an ihrer eigenen Schwein-haftigkeit infiziert. 4.2.2 Der menschliche Körper: Topographie des Ekels Ich glaube, es gibt für den Menschen nichts Wichtigeres als zu erkennen, daß er dem, was ihn 182 am meisten ekelt, [...] eng verbunden, ja ausgeliefert ist. Ekel kann als Gegenstand der Ästhetik, der Anthropologie, der Psychoanalyse und Zivilisationstheorie diskutiert werden. Seine grundlegenden Merkmale sind nach 178 Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 40/41. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 71. 180 „These creatures are violent as a result of their mistreatment by society”, vgl. Cruz: Movies, Monstrosities, and Masks, 10. 181 Haraway, Donna: Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature. London & New York: Routledge 1991, 180. 182 Georges Bataille zitiert nach Menninghaus: Ekel, 485. 179 38 Menninghaus einerseits die Abwehr einer tatsächlichen, also unmittelbar physisch präsenten Gegebenheit, andererseits die Anziehung, die solche Phänomene ausüben und die mal unterbewusst, mal als offen empfundene Faszination erlebt werden.183 Genau diese Dynamik von Abgestoßen- und Angezogen-Sein spielt im Horror allgemein und auch in Julia Kristevas Konzept des „Abjekten“ eine Rolle, auf das weiter unten eingegangen werden wird. In Kapitel 4.1.2 wurde gezeigt, dass die Unbestimmbarkeit des Physischen zu einer Krise des Physischen führt, in der herrschende Körperordnungen und -konzepte ihre Gültigkeit verlieren. Unbestimmbarkeiten und Zwischenstadien unterschiedlicher Form lösen Unsicherheit aus, bestätigt auch Jean-Paul Sartre in seinen Überlegungen zum Klebrigen, das weder als fest noch als flüssig einzustufen ist, das „zu Weiche“, „Feuchte“, „Diffuse“ und „Lauwarme“184 – das Formlose. Formlosigkeit kann sich als Symbol für Anfangs- und Wachstumszustände eignen, aber auch Symptom für Ver- oder Zerfall sein.185 So erscheinen z.B. Körpersekrete wie Schleim oder Eiter ekelhaft, weil sie gleichbedeutend mit bzw. als Teil von Fäulnis oder Zersetzung verstanden werden. Unterschiedliche körperliche Erscheinungsformen und Symptome sind kulturell als ekelhaft kodiert, so z.B. Insignien von körperlichem Verfall und Alter, also Falten, Verwachsungen, zunehmende Formlosigkeit oder (unkontrollierbare) Körperflüssigkeiten – Tränen ausgenommen – und natürlich der tote und der Verwesung preisgegebene Körper. Ein Nebenprodukt von Verwesung und Fäulnis bzw. ihrer spezifischen Substanzen ist ekelhafter Geruch, so bestimmt Aurel Kolnai in Der Ekel (1929) den Geruchssinn als Stammsitz des Ekels.186 Kann Ekel ohne wahrnehmbaren Geruch generiert werden? Ruft die drastische und plastische Darstellung allein den Geruchssinn auf? Cindy Shermans „Disgust Pictures“ (198689), vgl. Abb. 13-15 und Kap. 4.2.2.2, zeigen u.a. Erbrochenes, Verschimmeltes, Maden, Insekten, Schleim und breiartige Massen in leuchtenden Farben und Großansicht, die Bilder weisen eine Fülle an Merkmalen auf, die das Ekelhafte auszeichnen: Formlosigkeit und Ungestalt, Auflösung und eine klebrig-feuchte Textur. Bei intensiver Betrachtung entfalten die abgebildeten Materien eine sehr körperliche Wirkung, weil Auge und Geist die pastellfarbenfrohen Kompositionen zwar aus der Weite zunächst abstrakt-malerisch wahrnehmen, dann aber beginnen, den Inhalt als Zeichen zu lesen und in etwas zu übersetzen, 183 Ebd., 13/14. Der Begriff des Klebrigen bei Jean-Paul Sartre in “Das Sein und das Nichts” (1943) nach Douglas: Reinheit und Gefährdung, 56. Vgl. außerdem Menninghaus: Ekel, 512. 185 Douglas: Reinheit und Gefährdung, 209. 186 Nach Menninghaus: Ekel, 28ff. 184 39 das der eigene Körper kennt.187 Ein tatsächlich somatischer Effekt stellt sich besonders dann ein, wenn durch Erweiterung, Überschreitung oder Verletzung Körpergrenzen zum Thema werden, hier z.B. in der Art der Auflösung von Organischem in einen beinahe „vorindividuellen Lebenszustand“188 bzw. in der neuen Lebensform des Schimmelpilzes, die sich ergibt, oder das aus dem inneren Bereich des Körpers hervorgetretenen Erbrochenen. Auch Untitled # 140 muss mit olfaktorischer Assoziation gedacht werden, denn Schweine und ihre Umgebung – Fäkalien bzw. Mist – haben einen ihnen eigenen Geruch, der für gewöhnlich als Gestank empfunden wird, umso unangenehmer ist die Vorstellung des Wühlens im Mist mit geöffneten Augen, Nasenlöchern und Mund.189 Große Körperöffnungen werden im klassizistischen Körperideal als ekelhaft und hässlich empfunden: „Die Gestalt muß so aussehen, als ob sie kein Körperinneres habe; oder anders, sie muß so aussehen, daß jeder Gedanke an ein Körperinneres suspendiert wird.“190 Denn ein „Körperinneres“ hat immer mit der körperlichen Banalität des Essen- und Ausscheiden-Müssens zu tun, mit Sekreten und Substanzen, mit nicht vollständig kontrollierbaren Vorgängen, Trieben, die Mensch und Tier vereinen. Dementsprechend werden die Öffnungen des Körpers oftmals verkleinert und stilisiert dargestellt, wie mit einem Schleier oder Nebel überzogen, der alle Materialität oder Porosität der Hautfläche abschattiert191, beispielsweise in der Werbefotografie – aktuelle Vorstellungen von körperlicher Schönheit entsprechen in ihrer Unversehrtheit der glatten Haut, klaren Konturiertheit und athletischen Form geradezu einem klassisch-antiken Idealtypus. Im Kontrast zu einer solchen „Idealisierung“ der Öffnungen, Ein- und Ausgänge des menschlichen Körpers steht die amorphe, feuchte, schmutzig-schmierige Körperlichkeit der Figur aus Untitled #140. 187 „Automatische“ körperliche Reaktionen wie Gänsehaut, Tränen, Lachen und sexuelle Erregung sind zwar augenscheinlich reine Reflexe, aber doch kulturell vermittelt. Vgl. Williams, Linda: Hard Core, Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films (1989), Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld 1995, 28. 188 Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 37. 189 vgl. hierzu auch Menninghaus: Ekel, 365, zum Ekelhaften bei Franz Kafka: „Neben Ratten, Mäusen, Würmern und Mistkäfern gehört auch das Schwein zu den mehrfach auftretenden Chiffren in Kafkas Bestiarium ‚ekelhafter Tiere’ (BF 196). ‚Unrettbar schweinisch’ ist das Schwein, so Kafka, weil es mit seinem ‚MaulGesicht’ – einem ‚Menschengesicht, bei dem die Unterlippe über das Kinn hinunter, die Oberlippe, unbeschadet der Augen und Nasenlöcher, bis zur Stirn hinaufgestülpt ist’ – ‚tatsächlich in der Erde (wühlt). [...] Man sollte doch meinen, um irgendeine Feststellung vorzunehmen, genüge es, wenn man das Fragliche mit dem Fuß betastet oder dazu riecht oder im Notfall es in der Nähe beschnuppert – nein, das alles genügt ihm nicht, vielmehr das Schwein hält sich damit gar nicht auf, sondern fährt gleich und kräftig mit dem Maul hinein, und ist es in etwas Ekelhaftes hineingefahren – rings um mich liegen die Ablagerungen meiner Freunde, der Ziegen und Gänse – schnauft es vor Glück.’ (B 176)“ 190 Menninghaus: Ekel, 85. 191 Ebd., 76 ff. 40 4.2.2.1. Abjektion, Abgrenzung, Ausscheidung, Ausschluss In seiner Ästhetik des Hässlichen (1853) bestimmt Karl Rosenkranz „(d)as Ekelhafte als ein Product der Natur, Schweiß, Schleim, Koth, Geschwüre u. dgl.“, als „ein Todtes, was der Organismus von sich ausscheidet und damit der Verwesung übergibt.“192 Mit dem Sachverhalt des Ausgeschiedenen, das eben durch die Ausscheidung nicht mehr zu seinem ursprünglichen, davor gültigen System gehört, beschäftigt sich Julia Kristeva in ihrer Studie über das Abjekte, die 1982 in englischer Übersetzung erschien: The Powers of Horror. An Essay on Abjection (Pouvoirs de l'horreur. Essai sur l'abjection, 1980). Die Termini abjection und abject leiten sich von lat. abicere, ab-, wegwerfen mit dem Partizip abiectus (weggeworfen) ab und bezeichnen dementsprechend etwas, das ausgestoßen, verworfen, ausgeschlossen193 ist bzw. den Vorgang dieser Verwerfung, der Abjektes produziert. Substanzen wie Erbrochenes oder Speichel beispielweise werden durch Ausspeien aus dem Betriebssystem des Körper herausgelöst, zu dem sie gehören und innerhalb dessen Grenzen ihnen – als verdaute Nahrung im Magen bzw. als Speicheldrüsen-Sekret in der Mundhöhle – nichts Verwerfliches anhaftet. Erst wenn sie sicht- und damit als abjekt wahrnehmbar werden, widersprechen sie der eigentlichen Organisation des Körpers und entfalten so eine unheimliche oder ekelerregende Wirkung, ein gleichzeitig somatisches und symbolisches Gefühl. Das Abjekte ist zwar hinter eine Grenze, also aus einem System wie dem Körper verbannt, hat aber dennoch starken Einfluss auf eben diesen Körper, dem es nicht länger innewohnt, allerdings auch nicht vollständig abgekoppelt von ihm existiert.194 Erbrochenes, etwa wie in den „Vomit Pictures“ (vgl. Kap 4.2.2.2) wird weniger als eigenständiges Material (wie noch die Nahrung vor deren Aufnahme) empfunden, sondern vielmehr als „nicht mehr in mir, nicht mehr Ich“. Das Gefühl der abjection ist zwar nicht direkt und explizit als Ekel identifiziert, wird aber von Anfang an mit Ekel in Zusammenhang gebracht: „Apprehensive, desire turns aside; sickened, it rejects.” Weiter beschreibt Kristeva: (…) These body fluids, this defilement, this shit are what life withstands, hardly and with difficulty, on the part of death. (…) If dung signifies the other side of the border, the place where I am not and which permits me to be, the corpse, the most sickening of wastes, is a 195 border that has encroached upon everything.“ 192 Karl Rosenkranz zitiert nach Menninghaus, ebd., 205. „It takes on the form of the exclusion of a substance.”, vgl. Kristeva: An Essay on Abjection, 17. 194 Vgl. Kristeva: An Essay on Abjection, 2: „And yet, from its place of banishment, the abject does not cease challenging its master.” 195 Ebd., 1ff . 193 41 Untitled #140 bildet ein Wesen, halb Schwein, halb Mensch ab, das auf der Erde, im Schmutz liegt – im „dung“, der die andere Seite der Grenze bedeutet. Schmutz ist „Materie am falschen Ort“, hier der Schmutz des Bodens, der sich als Schmutzfilm über die Haut bis in den Mund der Figur zieht. Um einen Ort aber als falsch und damit eine Substanz als Schmutz zu bestimmen, muss im Vorfeld ein Regelsystem installiert werden; und parallel zum Aussortieren desjenigen, das nicht ins System passt, wird dann wiederum eine Ordnung entwickelt und gefestigt.196 Da unterschiedliche gesellschaftliche (individuelle und soziale) Gruppierungen unterschiedlichen Systemen folgen und unterschiedliche Ordnungsgrenzen errichten, sind Reinheit und Unreinheit also kulturell und historisch bestimmt. Cindy Sherman benutzt etablierte zeitgenössisch-westliche Systeme für ihr Spiel mit Gewohnheiten und deren Brechung, beispielsweise in Untitled #120 (1983, Abb.7) aus einer der Fashion-Serien: Die esoterisch-sektenhaft wirkende Figur ganz in weiß mit turbanartiger Kopfbedeckung, vor ebenfalls hellem Hintergrund in helles Licht getaucht, trägt an ihrer linken Hand ein Pflaster (vgl. Detailansicht Abb. 8). Eine dunkle Stelle, vermutlich Blut, schimmert durch seine helle Oberfläche. Im Vordergrund der betont weißen Fotografie löst das Pflaster eine abstoßende Wirkung aus, es hat im Rahmen dieses Bildes nichts verloren und ist Materie am falschen Ort. Was ist das für eine Verletzung? Verbirgt das Pflaster eine entzündete, sich ausbreitende, gar ansteckende Wunde?197 Das Phänomen Krankheit als Anlass zu sozialem Ausschluss gehört zum komplexen Gebilde der Abjektion, auch dienen Krankheiten häufig dazu, kulturelle Ängste gleichzeitig zu projizieren und auszulösen, wie etwa in Bildern von Verunreinigung und Verfall. Ein wichtiges Symptom der Abjektion ist außerdem das Othering, das Festlegen eines Anderen: ein Mechanismus, mit dem das Subjekt etwas im Gegensatz zu sich selbst und umgekehrt, sich selbst in Abgrenzung zu diesem Anderen außerhalb seiner selbst definiert. „Getting rid of things that are not our self, destroying or rejecting these – making them the ‚Other’ – the disgusting, terrifying stuff of horror.”198 196 Unreines muss also an sich nicht schmutzig oder ekelerregend sein sondern ist etwas, das Unterscheidungskategorien innerhalb eines gegebenen symbolischen Systems verschwimmen lässt, vgl. Douglas: Reinheit und Gefährdung, 12: 197 Seit Entdeckung der Krankheit Aids Anfang der 1980er Jahre haben offene Wunden eine neue Bedrohlichkeit, vgl. auch Foster: Art Since 1900, 646: „When we look back on such art of the early 90s, and wonder at its many figures of damaged psyches and wounded bodies, we must remember that this was a time of great anger and despair about a persistent AIDS crisis and a routed welfare state, about invasive disease and pervasive poverty.” 198 Wisker: Horror Fiction, 225. 42 Menninghaus stellt fest, dass seit Anfang der 1980er Jahre „das Abjekt(e)“ zum Leitbegriff eines „theoretisch ambitionierten und zugleich politisch aufgeladenen Diskurses“ wurde: „Alle kulturellen Regeln mußten aus der Perspektive dessen gelesen werden, was sie diskriminieren; dieses Andere, das sie nicht integrieren können oder wollen, ist dann ihr jeweiliges Abjekt – ob es sich dabei um Frauen, Homosexuelle, ethnische Minoritäten, AIDS199 Kranke oder eben anstößige Kunstwerke handelt.“ 4.2.2.2. Disasters und Disgust: Surface vs. Secret Gesellschaftlich oder kulturell unterdrückte Phänomene – Tod, Störungen, Auflösung Krankheiten – kehren als materielle Manifestationen zurück – Leichen, Erbrochenes, kaputte und kranke Körper – und erinnern auf sinnlich wahrnehmbare Art an sich selbst und ihre (misslungene) Auslagerung und Tabuisierung. In Shermans Bildserien ab 1985, die auf die Fetischisierungen von Weiblichkeit der früheren Arbeiten verzichten bzw. in denen sich der Winkel der Fetischisierung ändert, stellt Laura Mulvey die Begegnung mit dem abjekten Inneren des weiblichen Körpers fest.200 Anstelle des Körperäußeren zeigen beispielsweise die „Vomit Pictures“ aus der „Disasters“ Reihe aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre das Innere, das für gewöhnlich unsichtbar bleibt, und können als konkrete bildliche Darstellung des Konzepts des Abjekten nach Kristeva gelesen werden: Was bleibt, sind ekelhafte Spuren des im Bild abwesenden Menschen (der allenfalls als verschwindende Größe zu sehen ist, so z.B. als Reflektion in einer Sonnenbrille vgl. Abb. 14 oder als Finger in der Bildecke, fast „außerhalb“ des Bildes vgl. Abb. 15), „sexual detritus“, faulendes Essen, Erbrochenes, Schleim, (Mentruations-)Blut, Haare. „These traces represent the end of the road, the secret stuff of bodily fluids that the cosmetic is designed to conceal. The topography of exterior/interior is exhausted.“201 Diese Dichotomie von Innen und Außen, die bereits an unterschiedlichen Stellen im Text zur Sprache kam, soll im Folgenden im Zentrum der Analyse stehen. Untitled #182 (1987, 228 x 152 cm, Auflage von sechs Abzügen, Abb. 15) zeigt im Hochformat flächendeckend und bildfüllend bunte Massen und Substanzen, die an Erbrochenes, Blut, Zerkautes und Verdautes erinnern, „[d]ie süßliche Farbigkeit [...] ist die von gewöhnlicher Schminkfarbe, von fahl hautfarbenem Make-up, rosa Puder, türkisgrünem Lidschatten oder knallrotem Lippenstift.“202 Eingebettet in diesen breiig-pastosen Film sind 199 Menninghaus: Ekel, 517. Vgl. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 74. 201 Ebd., 71. 202 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 202. 200 43 Bruchstücke von weißem Geschirr, in erster Linie Tellerscherben, in der unteren Bildhälfte einige Klumpen aus hellbraunem, festeren Material, außerdem im unteren Bilddrittel in der Mitte ein silberner Löffel, dessen Kelle vom unteren Bildrand angeschnitten wird, während der Griff leicht diagonal nach links oben zeigt. Die Oberfläche des Gemischs ist, besonders in der rechten Bildhälfte, von dichtem pelzig-weißen Schimmel überzogen. Eine gleichmäßig verteilte Schärfe nimmt den gesamten Bildinhalt, der zu allen vier Seiten hin beschnitten wird, sich also imaginär unendlich fortsetzt, in den Fokus. In die obere rechte Bildecke ragen die verschmierten Fingerspitzen einer menschlichen Hand, die einen dunklen Schlagschatten nach unten werfen – die Quelle des beinahe unnatürlich hellen Lichts befindet sich außerhalb des Bildkaders oben rechts. Weitere, jedoch unbestimmt bleibende Objekte, die sich „oberhalb“ des Bildes zwischen Lichtquelle und Motiv befinden, werfen schwarze Schatten auf die Szenerie, vor allem in die linke Bildmitte, und zerteilen die Fotografie diagonal von oben rechts nach unten links in ein helleres und ein dunkleres Dreieck (weißer Schimmelpelz vs. schwarzer Schatten). Es könnte sich dabei um eine Kamera auf einem Stativ handeln, deren Schatten sich für den Betrachter wie auf den Kopf gestellt abzeichnet. Durch die Lichtregie wirkt das (beinahe) verlassene Schlachtfeld „geradezu malerisch[en] und ästhetisiert[en]“203 – aus formal unbegrenzten sowie zerbrochenen „Teilen“ wird ein Ganzes, die Summe einer abstrakt komponierten Bildeinheit, wieder wird „ein Bild gestellt“ (vgl. Kap. 3.2), jedoch anders als bei der Entstehung von Körperbildern aus an anatomischen Vorgaben orientierten Arrangements aus Körperteilen: „Hier liegt eine ‚vermittelnde Grenze’ zwischen Innen und Außen, zwischen den Medien Malerei und Photographie, denn diese ‚verunreinigenden’, ‚abjekten’ photographischen Verfahren könnte man mit Shermans ‚Ekelbildern’ in Verbindung bringen, in denen das sogenannte Körperinnere, das Erbrochene, der Kot, das Blut (oder Apfelmus, geschmolzene und in Haufenform erstarrte Schokolade, Himbeersirup usf.?) nach außen gekehrt zu sein 204 scheinen, eine, wie Mulvey sagt, von den Farben her ‚malerische’ Oberfläche bildend [...]“ Es ist dieser Oberflächeneffekt bzw. zunächst einmal Flächeneffekt, durch den die „malerische“ Wirkung entsteht; Untitled #182 wirkt wie um 90° hoch- und dem Betrachter entgegengeklappt, der dadurch eine komplette Aufsicht hat. Es gibt keine Tiefendimension, nur Fläche, dem abstrakten Expressionismus vergleichbar, beispielsweise in Jackson Pollocks Drip Paintings, die auch in der Horizontalen entstehen, bevor sie aufgerichtet und -gehängt werden können. So spricht Cindy Sherman im Zusammenhang mit dieser Bilderreihe von sich als „Malerin, die ein abstraktes Ergebnis an der Wand haben wollte und dabei erkennbare Dinge benutzt. Auch habe ich mit dem Gedanken gespielt, viele schöne Farben auszuwählen, 203 204 Eiblmayr: Die Frau als Bild, 193. Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 191. 44 die dann in Beziehung zu angeschimmeltem Essen, geronnenem Blut, zerbrochenen Glasstücken etc. gebracht werden.“205 Carla Schulz-Hoffmann bezeichnet die durch die „Loslösung aus einem anekdotisch beschreibendem Umfeld und de[n] ohne Rücksicht auf das dargestellte Bewegungsmotiv oder die Geste angesetzte[n] Bildausschnitt“ herbeigeführte Oberfläche gar als „Botschaft“ des Fotos.206 Was allerdings diese Oberfläche bildet ist etwas, das erst an die Oberfläche, ein Innen, das nach außen gelangen muss. Um welche Körpersekrete und -ausscheidungen es sich auch handelt, sie sind mit dem Privaten, Verborgenen, naturgegeben Inneren verbunden, ihre offene und öffentliche Existenz außerhalb der Körperhülle weist nicht nur auf eine mögliche Verletzung des Körpers hin, auf Körperzustände der Öffnung oder Krankheit (wie z.B. Bulimie, Durchfall, Menstruation), sondern verletzt auch das psychophysische und gesellschaftliche Tabu der rational verordneten Körpergrenzen, die nicht eingehalten werden (s.o. zur Abjektion). Judith Butler konstatiert in Bezug auf Mary Douglas’ anthropologische Studie zu Verunreinigung und Tabu, „daß die Schranke des Körpers niemals bloß durch etwas Materielles gebildet wird, sondern daß die Oberfläche des Körpers: die Haut, systematisch durch Tabus und antizipierte Übertretungen bezeichnet wird; tatsächlich werden die Begrenzungen des Körpers in Douglas’ 207 Analyse zu den Schranken des Gesellschaftlichen per se.“ Der „Ablauf zwischen Nahrungsaufnahme, Verdauung und Entsorgung aller Arten von Resten“ soll eigentlich „geregelt und gesittet, maßvoll und diskret“208 vonstatten gehen, in vorliegender Fotografie aber ist etwas geschehen: „Das, was da zu sehen ist, läßt auf eine gewalttätige Szene schließen“209 – genauer wird Cindy Sherman nicht, und eindeutiger gibt auch die Fotografie selbst keine Auskunft, die „Seite des Signifikats bleibt offen.“210 Was wahrgenommen werden kann, ist ein Prozess der Auflösung und Ent-Körperlichung – trotzdem diese sich sehr körperlich materialisiert, ein Körper, der entrinnt, der Teil der Textur (und damit, s.o.: Bild) wird. Diese fluide Qualität besitzt der Körper nur, wenn die Trennung zwischen Außen und Innen, Hülle und Inhalt, „surface and secret“211 aufgehoben ist, was sowohl einen Verlust an Körperkontrolle wie auch die Angst vor körperlicher Auflösung zur 205 Jocks im Gespräch mit Cindy Sherman, 243. Schulz-Hoffmann, Carla: „Cindy Sherman – Kommentare zur hehren Kunst und zum banalen Leben“, in: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Basel 1991, 30. 207 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, 194. 208 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 201. 209 Sherman weiter: „Auf den ersten Blick sieht man eine anlockende verführerische und scheinbar abstrakte Szenerie, und sobald man sich etwas mehr auf das Foto einläßt, realisiert man Desaster, Zerstörung und alle möglichen Unheil evozierenden, aber doch undeutlich bleibenden Bedeutungen.“ In: Dickhoff: Cindy Sherman, 53. 210 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 200. 211 Mulvey: „A Phantasmagoria Of The Female Body“, in: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris 2006, 301. 206 45 Folge hat. In Untitled #175 (Abb. 14) „schrumpft die in ihren Posen, Gesten und der Mimik so vertraut erscheinende Darstellerin der ‚Film Stills’ und der Folgeserien auf ein Portrait in Brillengröße.“212 Das kleine ausschnitthafte Spiegelbild eines Gesichts – eine unvollständige, gar fragmentierte Reflexion des Selbst – inmitten eines Chaos aus Erbrochenem und Essensresten, verstärkt den Horror, sich selbst aufgelöst zu sehen Die Spannung zwischen der äußeren, körperlichen Erscheinung und ihrem Innenleben tritt in dieser Bildhaftigkeit und Deutlichkeit nur in den „Vomit Pictures“ auf, ist aber ein wiederkehrendes Thema bei Cindy Sherman: Über die „Clowns“ (2003-2004), deren berufseigene fröhlich-bunte Erscheinung mittels Schminke, Perücken und Kleidung erzeugt wird, fragt sie sich: „‚Ist dieser Mensch ein Kinderschänder, ist er so einsam, dass er glaubt, nur Kinder können ihn lieben, ist er ein Alkoholiker?’ Man fängt einfach an, sich Gedanken zu machen und in ihre Augen zu schauen und tiefer hinein in ihre Charaktere, hinter dem Makeup.“213 Tiefer hinein, hinter die äußere Fassade schauen, die allzu leicht bröckelt und dann ein Inneres preisgibt, das im Widerspruch zu dem steht, was nach außen zu verkörpern versucht wird – die stark geschminkten, z.T. operiert wirkenden „Society Ladies“ (2008-2009) in standesgemäßer Garderobe und Setting, so Cindy Sherman, „sehen kalt aus, manche scheinen Angst zu haben, manche verstecken sich hinter einer Fassade des Glücks. Hinter einer Konvention. (…) Diese Damen wissen, wie man sich benimmt. (…) Sie versuchen Haltung zu bewahren, aber irgendwie dringen ihnen die Furcht und der Schmerz 214 aus jeder Pore.” Etwas dringt „aus jeder Pore” von innen nach außen – indem sie die Metapher realisiert, gelangt Cindy Sherman weg vom schönen Schein der äußeren Erscheinung zu den körpereigenen Flüssigkeiten und Abfällen, gleichzeitig auch vom psychischen zum physischen Inneren, das formlos und schleimig ist. Was in den „Vomit Pictures“ aufscheint, ist eine düstere Vision, möglicherweise die Kehrseite von Schönheitskult und Körperidealen, die diametral den retuschierten und suggestiven Darstellungen gegenübersteht, denen man tagtäglich ausgesetzt ist, besonders natürlich in der Werbung. Shermans Bilder erwecken den Anschein, als sei dieser monströse Aspekt des Körpers immer da (gewesen), dabei allenfalls versteckt hinter schönem Schein und (fotografischer) Illusion.215 212 vgl. Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 169/170: „Es ist bemerkenswert, daß sich Cindy Shermans Verschwinden aus dem Bild über ein Bild im Bild ankündigt, also über eine die vielgesuchte Authentizität der Darstellerin ironisierende Bilddoppelung.“ 213 Weiss im Gespräch mit Cindy Sherman, 32. 214 Liebs, Holger im Gespräch mit Cindy Sherman, Süddeutsche Zeitung, <http://wwwsueddeutsche.de/thema/Cindy_Sherman>, 2009. 215 Durand, Régis: „Introduction“, in Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris 2006, 254. 46 Wie in 4.2.2 bereits angeführt, zeigen Glättung und Stilisierung der Körperoberfläche – dem klassizistischen Ideal oder zeitgenössischen Hochglanz-Standards der Bildbearbeitung entsprechend – die Haut als undurchdringbar, die somit verhindert, dass die Fülle des Körperinneren, das Ekelhafte schlechthin, sichtbar wird – zur Haut als Grenze in die andere Richtung, also als Hülle und Schutz gegen ein Eindringen des Außen, vgl. Kap. 4.3. Gerade der weibliche Körper mit all den Maßnahmen zur Verschönerung, die ihm zur Verfügung stehen, zeigt den Gegensatz von schillernder Oberfläche und verborgenem Verfall auf216, wenn die Oberfläche graduell zu kollabieren droht, der „dünne Schleier der Illusion und Erscheinungen“ das darunterliegende Monströse nicht mehr ausreichend kaschiert oder sogar ganz fällt und das Bild sich als solches offenbart. Hinter der kosmetischen Fassade kann nichts anderes als eine monströse Anderartigkeit vorgestellt werden, ein beschädigtes Inneres, verwundet durch das Trauma der phantasmatischen Kastration217 (vgl. Kap.4.4). Von den frühen Kirchenvätern bis zum modernen Horrorfilm – die „wahre” Natur der Frau ruft immer gleichermaßen Begierde und Abscheu (”desire and disgust”) hervor.218 Weibliche physische Schönheit gilt als Container für das enthaltene korrupte Material, so erläutert Winfried Menninghaus (nach Kant, Lessing, Herder u.a.) die Ambivalenz des weiblichen Ideals: Die Schönheit des weiblichen Ideal-Körpers müsse nur deshalb so schön und „täuschend” sein, weil sie einen „gleichermaßen weiblichen Abgrund von Häßlichkeit und Ekel“ zu verdecken habe,219 ähnlich scheinen Illustrierte zu argumentieren, wenn sie vermeintlich entlarvende Fotos von zügellos essenden, orangenhäutigen, ohne Make-Up kaum wiedererkennbaren Prominenten (v.a. Frauen) zeigen, was wiederum eine Haltung ist, die sich schon im 10. Jahrhundert bei Abbot Odo von Cluny finden läßt: „The beauty of women is only skin deep. If men could only see what is beneath the flesh and penetrate below the surface with eyes like the Boetian lynx, they would be nauseated just to look at women, for all this feminine charms is nothing but phlegm, blood, humours, gall.“220 Ich werde in Kapitel 4.4 genauer auf den Aspekt der monströsen Andersartigkeit der Frau eingehen. Zu Untitled #175 (1987, 120,7 x 181,6 cm, Auflage von sechs Abzügen, Abb. 14) erläutert Cindy Sherman: „Das ist das mit den Torten und Süßigkeiten. [...] Ich wollte ein extrem süßes 216 „The use of the female body as a metaphor for division between surface allure and concealed decay.” Vgl. Mulvey: Cosmetics and Abjection, 72. 217 Krauss: ’Informe’ without Conclusion, in: October, Heft 78, 1996, 93. 218 Vgl. Betterton: An Intimate Distance, 130. 219 Menninghaus: Ekel, 157. 220 Abbot Odo von Cluny (10. Jhd.), zitiert nach Warner, Marina: Monuments and Maidens: The Allegory of the Female Form, London: Weidenfeld & Nicolson 1983, 251. 47 Bild machen, ein Bild, das so zuckersüß ist, daß es umschlägt in diesen ‚overkill von Süße.’“221 Zu süß, zu schön, zu viel – Menninghaus spricht dem Schönen „extreme[n] Gegenwerte“ zu: Er formuliert „das Schöne als Vomitiv“, und bezieht sich u.a. auf Immanuel Kants „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen,“ bei dem „nichts so sehr verekelt als lauter Süßigkeit,“222 abermals ein Angezogen- und Abgestoßensein zugleich, ein Oszillieren zwischen ästhetischem Gefallen und Ekel. Ein Aspekt, der mir im Zusammenhang damit in Untitled #182 außerdem wichtig erscheint, ist das im Schimmel angelegte Vergehen von Zeit, in diesem Zusammenhang bemerkt Cindy Sherman über das Medium der Fotografie: „Eine Fotografie hat diese irgendwie hartnäckige, insistierende Qualität. [...] Jedes Foto steht für sich wie jedes andere Bild, aber darüber hinaus steht es in Beziehung zur Zeit. Man kann das Vergehen der Zeit sehen.“223 Das Material der „Vomit“- und „Molding Food Pictures“, die aufgenommene Nahrung, hat über einen Zeitraum hinweg mehrere Stufen zurückgelegt: in den Körper, auf unterschiedlichen Wegen aus dem Körper, bis sich auf dem bereits transformierten Material schließlich Schimmelkulturen bilden. Die Zersetzung von organischem, körpereigenen Material und die dazu notwendige Dauer betonen in ihrem Verweis auf das Altern als menschliches Vergehen bis zur Leiche als letzte Konsequenz wiederum die abjekte Qualität dieser Fotografien. Für einen Großteil der Schimmelbilder, die innerhalb der „Disgust“-Bilder die „Molding Foods“-Serie (Untitled#234-#239, 1987/90, 228 x 152 cm) bilden, ist Untitled #182 von 1987 die Ausgangsfotografie, durch Ausschnittbildung und Vergrößerung224 entstehen knapp vier Jahre später weitere Bilder, die demnach noch näher heranzoomen als es Untitled #182 schon tut, da sie sich in den Größen entsprechen. Hanne Loreck beschreibt die Wirkung dieser Großformate als „überwältigend in der seriellen Ansammlung“ – der Betrachter kann ob der Nahansicht den Abstand zum Abgebildeten nicht selbst regulieren, er ist wie im Bild. Größe und „Signifikanten der Perspektive“, die bei Cindy Sherman aufgrund des benutzen Mediums der Fotografie vorgegeben ist, anders als bei räumlich-skulpturalen Werken (zur fotografischen Inszenierung der Puppenobjekte vgl. Kap. 3.1), organisieren das Verhältnis von innerhalb vs. außerhalb des Bildes.225 Auch Untitled #175 setzt ein Spiel mit der Perspektive ein, hier löst ein perspektivischer Trick eine unklare Körperposition aus (allerdings nicht des 221 Dickhoff: Cindy Sherman, 52. Menninghaus: Ekel, 40 und 42. 223 Dickhoff: Cindy Sherman, 56. 224 Vgl. dazu „Cropping is the only form of manipulation.“ Cindy Sherman zitiert nach Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 126. 225 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 204/205. Im Gegensatz dazu stehen die kleinen Formate der „Film Stills“, „die den Eindruck machen, diese Frau könne man in die Tasche stecken.“ 222 48 Betrachters) und spielt mit dem Innerhalb und Außerhalb des Körpers im Verhältnis zum Bild: Die Figur im Bild ist eine Spiegelung, sie befindet sich eigentlich außerhalb der abgebildeten Szenerie.) Es gibt „keinen Hintergrund, keinen Horizont“ – nur Fläche. Mit ihrer aufdringlichen Nähe, die keinen „Sicherheitsabstand“ zulässt, rücken die abstoßenden Szenerien dem Betrachter auf den Leib.226 Ähnlich bildfüllend überwältigend ist die Serie der Maskenportraits, um die es im nächsten Kapitel gehen soll. 4.3. Die Maske: Auge, Nase, Mund. Formlosigkeit und Formnehmung Ich hatte nie Masken gesehen vorher, aber ich sah sofort ein, daß es Masken geben müsse.227 In der sechs Arbeiten umfassenden Reihe Untitled #314 A-F setzt Cindy Sherman zerschnittene Masken zu grauenerregenden Gebilden neu zusammen, deren rote „Hautlappigkeit“ sowohl Außen- wie auch Innen-Ansichten von Gesichtern implizieren. Die Fotografien gehören zur Serie „Masks“, die zwischen 1994 und 1996 entsteht und den Fokus auf das menschliche Gesicht legt; teilweise sind die Gesichter echt, aber so inszeniert, dass sie wie Masken wirken (z.B. Untitled #323), oder es sind tatsächlich Masken, die dennoch auf unheimliche Weise aus dem Bild herausblicken,228 mitunter ist dabei auch nahegelegt, dass sich unter den künstlichen Schichten nach wie vor eine menschliche Anwesenheit befindet. Die querformatige Farbfotografie Untitled #314F (76,2 x 111,8 cm, Auflage von sechs Abzügen, Abb. 16) zeigt in Nahansicht und ausschnitthaft ein an die menschliche Physiognomie angelehntes Gesicht, das deformiert, zerrissen, in sich zusammengesunken ist, platt wie eine ausgebreitete Orangenschale. Auch hier begrenzt der Bildrand auf allen vier Seiten das Motiv, weshalb es keine „eigene“ Form hat, sondern sich dem Rechteck der Fotografie unterwirft und umso mehr wie eine Fotocollage wirkt. Das Gesicht füllt die ganze Fläche des Bildes, das in seiner Größe wiederum unsere Sehfeld komplett ausfüllt, vgl. Kap. 4.2.2.2. Den Bildmittelpunkt bildet die Nase, das Nasenbein zeichnet beinahe die Bilddiagonale von oben links nach unten rechts nach, der "Kopf" ist also etwas schräg gelegt; in der unteren rechten Bildhälfte, im Verhältnis zur Position der Nase nach rechts verschoben, befindet sich, beinahe horizontal, der leicht geöffnete Mund mit einer ausgeprägten oberen Zahnreihe und 226 Ebd., 209 . Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, 30. 228 In ihren Blicken Gilbert Stuart’s Washington oder der Mona Lisa vergleichbar, vgl. Jones, Amelia: „Tracing the Subject with Cindy Sherman“, in: Cindy Sherman: Retrospective (Ausstellungskatalog), New York 1997, 47. 227 49 gegeneinander versetzten, faltig-fleischigen Lippen. Das Auge im oberen rechten Bildviertel ist gelb, der linke fein veraderte Augapfel mit roter Iris quillt aus seiner Aughöhle hervor, die sich genau auf der horizontalen Bildmittelachse in der linken Bildhälfte befindet. Die verengten Pupillen (kleine Pupillen in gelber oder roter Iris haben eine animalisch-bestialische Wirkung und sind im Horror oftmals ein Signifikant des Monsters, z.B. bei Vampiren) sehen ihr Gegenüber – den Betrachter – an, wenn auch der Blick aus dem linken Auge ein wenig nach außen wegrutscht, wie das ganze „Gesicht“ verrutscht, zerflossen scheint, ein Eindruck, der verstärkt wird durch die Diagonal-Position der Maske. Selten sterben Opfer im Horrorfilm sauber und schnell, übertriebene Close-up-Einstellungen (wie auch in Untitled #314A-F) von klaffenden Mäulern, blutverschmierten Lippen, schmerzverzerrten Gesichtern und den Wunden, die durch Messer, Sägen, Äxte oder andere scharfe Gerätschaften zugefügt werden, sind ein wichtiger Bestandteil des Vergnügen ihres Publikums. Wenngleich die Haut das sichtbarste Organ darstellt und gerade in ihrer Versehrung als naheliegendes, treffendes Zeichen für den Körper eingesetzt wird, taucht sie, der Untersuchung „Pictures of the Body” von Kunsthistoriker James Elkins zufolge, nur marginal in der kunstgeschichtlichen Literatur auf, fast wie eine Leerstelle, als hätte sie keinerlei Funktion, als die Fläche zu bilden, auf der der Blick des Betrachters den dargestellten Körper trifft.229 Ideale der klassischen Antike „zeigen uns eine Haut, die nicht angespannt, sondern sanft gezogen ist über ein gesundes Fleisch, welches dieselbe ohne schwülstige Ausdehnung füllet, und bei allen Beugungen der fleischigen Teile der Richtung derselben vereinigt folget.“230 „Unterbrochenheit“ als Gegenteil zu Ganzheit soll nicht gezeigt werden, so zitiert Menninghaus u.a. Winckelmann: „Die Form der wahren Schönheit hat nichtunterbrochene Theile.“ Falten, Runzeln, Warzen und Knorpel wurden bereits in Kapitel 4.2.2 als das Ekelhafte schlechthin benannt, sind aber „nur die geringsten ‚widerlichen’ Bedrohungen für die ununterbrochene Hautlinie.“231 Die Körperoberfläche – die „Hautlinie“ – in Untitled #314F ist nicht allein unterbrochen: Von einer durchgängigen, undurchdringlichen und geschlossenen Linie kann bei weitem nicht mehr die Rede sein, sie ist komplett zerstört und steht damit im Kontrast zur westlichen Vorstellung der symbolischen und ästhetischen Einheit des individuellen Körpers. Zusätzlich wirkt die "Haut" der Maske durch die Farbgebung – ein eitriger Gelbstich und verschiedene Rotnuancen – und die glänzende Oberfläche sowohl des 229 Elkins, James: Pictures of the Body. Pain and Metamorphosis, Standford: Standford University Press 1999, 36. 230 Menninghaus: Ekel, 78. 231 Siehe Menninghaus: Ekel, 82. 50 Motivs als auch der Fotografie entzündet, offen, wundenhaft, fast als habe man sie umgestülpt, als sei das eigentlich Innere nach Außen gewendet. 4.3.1. Corpus quasi vas? Die Haut als Gefäß Neben ihrer ambivalenten Doppelfunktion als Sinnesorgan und als Schutzhülle, die das Körperinnere (Fleisch, Organe, Sekrete usw.) umgibt, dient die Haut dem Menschen als Grenze zu einem Körperaußen und damit auch zu anderen Körpern. In Folge dieser Abgrenzung des eigenen Körpers zum außenliegenden Anderen vollzieht sich die Subjektkonstituierung: Haut in ihrer Funktionsweise als Hülle232 und Grenze stellt ein Mittel für den Menschen dar, sich seiner selbst als Individuum gewahr zu werden und diese körperliche Identität in der Trennung zum Anderen zu fixieren; so z.B. der Kulturtheoretiker Michail Bachtin über die undurchdringliche und glatte Fassade des Körpers: „Die glatte Oberfläche, die Körperebene erlangt zentrale Bedeutung als Grenze des mit anderen Körpern und der Welt nicht verschmelzenden Individuums“233 (vgl. die Ausführungen zum geöffneten Körper in Kapitel 4.1.2). Haut kommuniziert zwischen dem Körper und der Welt um ihn herum und dient in ihrer Eigenschaft, eine semipermeable Membran zu sein, als Vermittler, als interface zwischen den beiden Bereichen. Haut kommuniziert aber auch, indem sie körperliche und Gemüts-Zustände in der Außenwelt repräsentiert. Auf der Haut schreiben sich also Vorgänge und Veränderungen des Körperinneren ein: „The soul, the mind, and the passions rise to the surface in boils, blushes, and rashes.”234 Was bedeuten diese Überlegungen für die vorliegende Abbildung der zerrissenen Maske? Diese Fläche, die "identitätsstiftende Oberfläche"235 des Körpers ist zerstört, in absoluter Zuspitzung: Es handelt sich um die Oberfläche des Gesichts, das die stärksten individuellen Merkmale und Zeichen – ob Alter, Gesundheitszustand, seelische Verfassung, Geschlechtszuordnung, sogar bestimmte Charaktereigenschaften – und natürlich mit den Augen sprichwörtlich den Zugang, das Fenster zur Seele aufweist. Glotzende Augen, Nase und der zu röcheln scheinende Mund sind die Merkmale, auf die das "Gesicht" reduziert ist und die es als solches erkennbar machen; die übrigen Bestandteile sind wie zerschnitten, geschmolzen und lose wieder geflickt. Dieser Eindruck der Hitze wird durch die „höllenfeuerartige“ Farbigkeit und die Beleuchtung noch verstärkt, die hell glänzende 232 „Corpus quasi vas est aut aliquod animi receptaculum.“ (Der Körper ist gleichsam ein Gefäß oder eine Art Behälter für die Seele), vgl. Cicero, Gespräche in Tusculum, zitiert nach Frietsch: Corpus quasi vas, 230. 233 Vgl. Bachtin: Rabelais und seine Welt, 361. 234 Elkins: Pictures of the Body, 43 und 47. 235 Shelton: Unheimliche Inskriptionen, 343. 51 Reflexionen auf größeren Partien und kleine Fältchen und tiefdunkle Schatten an Schnittstellen und Überlagerungen der „Gewebe“ setzt – die Maske scheint zu glühen. Die Wangen liegen, dicken roten Tränensäcken ähnlich, unter den Augen mit den geschwollenen Lidern, dazwischen wuchert die unförmige Nase; collagenhaft sind verschiedene Ebenen „Haut“ unterschiedlichen Materials und unterschiedlicher Textur übereinander geschichtet.236 Durch die hier vorliegende Überlagerung von Innen und Außen, indem das Gesicht sichtbar aus einzelnen Teilen in vorder- und rückseitiger Ansicht, Fetzen eines einstmals Ganzen, gebildet wird, verstärkt sich das Motiv des Inneren, das sich nach Außen (d.h., auf der Haut) abbildet: Es bleibt in dieser Fotografie jedoch formlos, wir erkennen nicht, wer oder was sich hier offenbart. Dieses Moment erfährt eine Doppelung durch den genuinen Charakter der abgebildeten Maske in Kombination mit den typischen Eigenschaften einer Maske: Auf der einen Seite ergibt sich durch die geöffnete, narbenartig-rohe Bildlichkeit die Assoziation der Enthäutung, ein Akt der Folter, der nicht nur lebens-, sondern auch identitätsvernichtend ist. Ohne die Haut mit ihren persönlichen Kennzeichen, die das darunter liegende in Form hält, ist der Mensch nicht wiedererkennbar. Die Auflösung von körperlichen Abgrenzungen stellt auch gleichzeitig eine der Identität dar, die durch solche Grenzen konstituiert wird (und gerade dieser Verlust der eigenen Identität ist – im Wort-Sinn – für gewöhnlich die (temporär) beabsichtigte Wirkung einer Maske). Wenn der Körper geöffnet wird und Inneres nach Außen tritt, zerfällt seine Ordnung. Andererseits besitzt eine Maske weder ein metaphysisches, psychisches, menschliches Innen, das sichtbar werden kann noch ein rein körperliches wie Knochen, Knorpel, Gewebe, Blut; sie ist nur Fläche. 4.3.2. Die Maske als Bild: Anwesend vs. Abwesend Die Maske präsentiert sich also als Fläche, als Bild, das sichtbar macht, was eigentlich abwesend ist. In Film und Fotografie erhält sie schon deshalb immer etwas Doppelbödiges, weil die mediale Vermittlung einer solchen Abbildung selbst aus jedem Gesicht eine Maske macht.237 236 Die Art der Flicken-Maske erinnert an Leatherface, den Protagonisten des Slasherfilms The Texas Chainsaw Massacre (1974), der seine Opfer häutet und sich aus ihrer Haut ein zweites Gesicht näht. Cindy Sherman bezeichnet diesen Film als ihren „Lieblinghorrorfilm aller Zeiten. [...] Das ist ein absolut brillianter Film.“ (in Dickhoff: Cindy Sherman, 70) Das Motiv der Haut-Maske, vielfach fiktionalisiert z.B. in Psycho (1960) oder Silence of the Lambs (1991) geht auf den Serienmörder Edward Gein zurück, bei dessen Verhaftung 1957 eine enthauptete, ausgeweidete Frauenleiche sowie zahlreiche aus Menschenhaut hergestellte Kleidungsstücke und Accessoires in seinem Haus entdeckt wurden. „Mit diesem Verbrechen und seinen sexuellen Implikationen war eine rational nicht mehr zu erfassende Grenze überschritten.“ Kaufmann, Anette: „Blut-Bilder“, in: Felix: Unter die Haut, 193. 237 Seeßlen: Horror, 82. 52 Den Bild-Aspekt des Maske stellt auch Hans Belting im Zusammenhang mit der Totenmaske heraus: „So bringt die Maske auf ein und derselben Oberfläche die Verhüllung ebenso zustande wie die Enthüllung als Bild [siehe Kap 3.2: Fotografie und Frau als Bild vs. im Bild]. Wie das Bild lebt die Maske von einer Abwesenheit, die sie durch eine stellvertretende Anwesenheit ersetzt.“ Belting beschreibt die Toten-Maske als Sinnbild für den Körper, das mit den sozialen Zeichen des lebendigen Körpers ausgestattet ist.238 Shermans Maske nimmt auf das Anwesende im Abwesenden Bezug und lässt die Maske – die eigentlich keine Augen und somit keinen eigenen Blick besitzt, sondern auf die Augen des Menschen dahinter angewiesen ist – aus der Fläche des Bildes blicken: Augen bzw. der Blick, Blickerfahrung, konstituieren für den Betrachter eine Art Beseelung. Das starrende Augenpaar tritt in eine Beziehung, in einen Blickaustausch mit seinem Gegenüber, dem Betrachter – gehört es zu einem Wesen hinter der Maske oder zur Maske selbst? „It can no longer be removed to reveal the living face beneath. As in so many fantastical stories, the mask has assumed an identity of its own, and brought the living flesh under its controlling power.”239 Im modernen Horrorfilm ist die Maske, die mit dem Träger darunter eins wird und zu einem Antlitz des Bösen verschmilzt, ein gängiges Motiv. Wesen und Erscheinung werden gleichgesetzt; in einer ähnlichen Weise, wie die autoritäre Rolle oftmals den Menschen in ihr verdeckt, der so zu einem Typus wie Polizist, Richter, Mutter wird, negiert der Horrorfilm den Menschen hinter der Maske. Die Maske dient also als Legitimation dieser Rolle, die wiederum ihre Funktion bildlich materialisiert. 240 Die Maske verdeckt den Blick auf das, was dahinter liegt, es ist nicht erkennbar, wer uns gegenüber steht; das löst ein Gefühl der Beunruhigung und des Unbehangens aus. So schreibt H.P. Lovecraft in seinen Anmerkungen zum „Supernatural Horror in Literature“, dass „uncertainty and danger [...] always closely allied“ sind: „The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown.“241 238 Belting: Bild-Anthropologie, 150ff. Durand: Introduction, 262. 240 Seeßlen: Horror, 80. Vgl. auch wie erwähnt The Texas Chainsaw Massacre (man sieht Leatherface nie ohne Maske), Michael Myers weiße (unbesetzt und leer wirkende) Maske in Halloween (1978), die Hockeymaske aus Friday 13th (eingesetzt ab Teil 3 von 1982) – diese Masken stehen ikonisch für die Gräueltaten der Menschen dahinter und somit für das ihnen innewohnende Böse. In seiner Slasher-Trilogie Scream (1996-2000) spielt Regisseur Wes Craven mit genau diesem Phänomen und lässt unterschiedliche Individuen unter der immergleichen Maske (die der Figur aus Edvard Munchs Der Schrei (1893) nachempfunden ist) morden, es gibt also nicht einmal mehr eine ursprüngliches Individuum unter der Maske. 241 Lovecraft, H.P.: Supernatural Horror in Literature (1927), New York: Dover Publications 1973, 12 und 14. 239 53 4.3.3. Fear of the unknown: Benennung und Sichtbarmachung der Angst Auf der fast monochromen Rotfläche des Gesichts wirken die schwarzen Elemente in Untitled #314F umso stärker – die Pupillen, ein Nasenloch, der unbestimmte Hintergrund „hinter“ der Maske, und besonders auffällig: die Öffnung des Mundes. Der Mund stellt ein wichtiges Motiv des Horrors dar: Er verschlingt, beißt, küsst; kurz: er ist ein Instrument der Vereinnahmung. Neben der klassischen Metapher der erotisch-gewalttätigen Vereinigung, die der Biss des Vampirs und dessen in die Haut geschlagene Zähne (Kuss und Penetration) versinnbildlichen, ist die neue, Mund-bezogene Metapher des Horrors das Fressen und Verschlingen: Nahrungsaufnahme hat ihre Unschuld verloren und ihre Neutralität eingebüßt (vgl. Kapitel 4.2.2). Die längliche schwarze Öffnung mit den roten Lippenwülsten evoziert außerdem die Assoziation des weiblichen Geschlechtsorgans. Im Gesicht löst diese Vorstellung aufgrund ihrer Widernatürlichkeit eine Spannung aus: Das sonst Verborgene, Intime (intimus lat.: Innerstes) – die „dark and hidden depths of the vagina“242 – wird ausgestellt und auf den ersten Blick, nämlich den ins Gesicht, sichtbar gemacht. Innerhalb der Architektur des Körpers sprengt die Vagina, weil sie sich nicht am zu erwartenden, anatomisch korrekten Ort befindet, sondern auf der originalen Position des Munds, die räumlich konstituierte Ordnung –diese Gefährdung oder Zerstörung des räumlich geordneten Systems von Körper und damit auch Selbst löst ihrerseits ein Gefühl von Grauen, Irritation und Ekel aus. Cindy Sherman vervollständigt den ‚Höllenschlund’ durch die auffällige, verfärbte obere Zahnreihe und lässt ihn zur vagina dentata, zur bezahnten Vagina werden – ein Motiv, das besonders in der psychoanalytischen Theorie im Zusammenhang mit der männlichen Kastrationsangst von Bedeutung ist. Bemerkenswert und durchweg charakteristisch für Cindy Shermans Werk ist auch hier die Offensichtlichkeit, die skurrile Überzeichnung in der Abbildung: Nicht allein die Deplatzierung des weiblichen Geschlechtsteils bzw. die Modellierung einer vaginalen Form durch Lippenfragmente, besonders die Bezahnung macht deutlich, worauf hier Bezug genommen wird. Position und die Ausstattung mit Zähnen lassen also den Mund erkennen, während die bildnerische Beschaffenheit deutlich auf das weibliche Genital hinweisen: Zusammengesetzt ergibt sich daraus Cindy Shermans Vorstellung der vagina dentata. Die beinahe cartoonhaft überzogene Ausstellung dieses vorstell- und damit visualisierbaren Zeichens der männlichen Kastrationsangst hat eine Art doppelte 242 Vgl. Creed: The Monstrous-Feminine, 106. 54 Sichtbarmachung zur Folge. Cindy Sherman übersetzt ins Bildhafte, wie psychische und physische Angst- und Trauma-Konzepte als Horror-Monstrositäten Form annehmen können – dem Akt des Bezeichnens selbst kommt die Bedeutung zu, eine Möglichkeit zur Greifbarmachung zu sein, „[d]ie Bezeichnung bannt, zumindest partiell, den Schrecken, der nicht aus der Schrecklichkeit des Monsters, sondern aus der Schrecklichkeit des Unbenannten/ des Unbenennbaren entsteht.“243 Entsprechend schreibt auch Michel Foucault dem Monster das „Prinzip der Erkennbarkeit” zu, obwohl es sich an einer Grenze befindet und diese auslotet, wenn es im Spannungsfeld zwischen Unmöglichem und Verbotenem oszilliert.244 4.4. Analogie Monster – Frau: The Monstrous-Feminine In diesem Sinn kann man sagen, daß das Monster das große Modell aller kleinen Abweichungen ist.245 Monster und Frau, so Linda Williams, sind innerhalb der patriarchalen Strukturen des Sehens beide als „biological freaks“ – als Abweichung – konstruiert, deren Körper eine beängstigende und bedrohliche Form von Sexualität repräsentieren und in Folge dessen eine Bedrohung für die doch nicht unverwundbare männliche Machtstellung darstellen246. Das Monströs-Feminine begründet einen komplexen Stereotypen, der von Barbara Creed in ihrer psychoanalytischen Studie zu Weiblichkeitsdarstellungen im Horrorfilm auf eine überschaubare Zahl an unterschiedlichen Figuren heruntergebrochen werden kann: Die Frau als archaische Mutter, monströser Mutterleib, Vampirin, besessenes Monster, femme castratice, Hexe und kastrierende Mutter.247 Die Frau löst Ängste aus, indem sie von Natur aus als kastriert, verstümmelt und mangelhaft gesehen wird oder aber als nicht-kastrierbares Wesen, dem dieser grausige Schaden nicht zugefügt werden kann. Susan Lurie zufolge besteht das wahre Trauma des männlichen Kindes – entgegen dem Freudschen Kastrationskomplex – nicht darin, dass seine Mutter kastriert wurde, sondern in der Tatsache, dass sie es gerade nicht ist: Augenscheinlich ist sie nicht in einer Weise verstümmelt, wie er selbst es wäre, würde ihm der Penis genommen.248 Die männliche Angst vor der Frau kann sowohl eine psychische wie auch direkte körperliche Kastration beinhalten: „Castration can refer to symbolic castration (loss of the mother’s body, 243 Gebhard (Einleitung): Von Monstern und Menschen, 22. Foucault: Die Anormalen, 78. 245 Ebd. 246 Vgl. Williams, Linda: „When the woman looks” (1984) zitiert nach Creed: The Monstrous-Feminine, 6. 247 Vgl. Creed: The Monstrous-Feminine, 151. 248 Vgl. Lurie, Susan: "Pornography and the Dread of Women: The Male Sexual Dilemma." In: Lederer, Laura (Hg.): Take Back the Night, London: Morrow 1980, S. 159 ff. 244 55 breast, loss of identity) which is experienced by both female and male, or it can refer to genital castration.”249 Diesen beiden divergierenden Sichtweisen – die Frau als kastrierter Mann vs. die Frau als unkastrierbar – entspricht die Wahrnehmung des Monsterkörpers als missgebildet, denn wie im Zusammenhang mit dem transformierten, sich verändernden Körper bereits in Kap. 4.2.1 aufgezeigt, fehlt dem Horrorkörper entweder etwas, oder er hat etwas zu viel. Aufgrund dieser Differenz des zu viel oder zu wenig, das sich bezogen auf die Frau im Verhältnis zum männlichen Körper bemisst, ähnelt das Monster (in den Augen des traumatisierten Mannes) der Frau: „eine biologische Mißgeburt [...], die genau dort eine erschreckende Potenz erahnen lassen, wo der normale Mann einen Mangel feststellen würde.“250 Hierin liegt nach Williams die Analogie zwischen Monster und Frau begründet. Gleichzeitig Bedrohung und Versprechen, verkörpern beide als Zeichen der Differenz diejenigen Dinge, die für ein geordnetes Leben in eingeschränkten patriarchalischen Bahnen eine Störung darstellen. Alles, was von der Norm des weißen, heterosexuellen, gesunden Mannes abweicht und anders erscheint, muss außerhalb der Grenzen des Ordnungsgemäßen, des herrschenden Regelsystems angesiedelt werden: „[I]n black people, in foreigners, in animals, in the congenitally disabled, and in women.“ 251 4.4.1. Konstruktion der Alten Dame: Alter, Sexualität und Weiblichkeit Who would be pregnant, or indeed, a woman, if this is what it entails?252 Die Fotografie Untitled #250 aus dem Jahr 1992 aus der Reihe der „Sex Pictures“ (127 x 190,5 cm, Auflage von sechs Abzügen, Abb. 17) zeigt ein weibliches, vierteiliges Körperfragment in einer klassisch erotischen, sich dem Betrachter anbietenden „Venus“Pose253 (eine Liegeposition, die letztlich der Gebärhaltung ähnelt, vgl. s.o. die weibliche Figur aus Untitled #312) auf der Bilddiagonalen von unten links nach rechts oben ausgestreckt und auf ein Bett aus brünettem Haar gebettet (es scheint sich um mehrere Perücken zu handeln, die in dieser Häufung wie Skalps wirken). Die Figur, „ein Zwitterwesen, das eine alte Frau zu 249 Creed: The Monstrous-Feminine, 107. Williams, Linda: „Wenn sie hinschaut“, in: Frauen und Film, Heft 49 (Thema: Horror), 1990, 7. 251 Shildrick: Embodying the Monster, 5. 252 Ussher, Jane M.: Managing the Monstrous Feminine. Regulating the Reproductive Body, London & New York: Routledge 2006, 87. 253 Vgl. z.B. Giorgione, Schlummernde Venus, ca. 1510, Francisco de Goya, Nackte Maya, ca. 1803, Edouard Manet, Olympia, 1863. 250 56 nennen lediglich die Verständigung erleichterte“254, ist aus Einzelteilen puzzleartig zusammengefügt: Die Mitte (auch Bildmitte) bildet eine Oberkörper-„Schale“ mit großen Brüsten, sehr präsenten, dunkelroten Brustwarzen, und einem gewölbten, wie schwangeren Bauch (der große Nabel verstärkt diesen Eindruck), aber seitlich wird die Körperform nicht zusammengeführt, es gibt keine Seite, keinen Rücken: Der Oberkörper ist nicht geschlossen sondern vielmehr ein konvexes Schild. Dieses Oberkörper-Teil liegt lose auf einem Unterkörper-Teil (aus einem anderem Material, Färbung und Machart unterscheiden sich leicht vom Oberkörper) auf. Die Beine sind in kurzen stumpenhaften Ansätzen angedeutet, dazwischen präsentiert die Figur stark behaart und mit roten, weit geöffneten Schamlippen ihre Vagina. „In traditionellen Darstellungen des weiblichen Aktes wird das Geschlecht entweder verdeckt oder nur angedeutet. [...] Da das Schamhaar als eine Form der Bedeckung gilt, hinter der etwas verborgen ist, wird auf seine anstößige Darstellung verzichtet,“ so Birgit Käufer in ihren Ausführungen zu den Aktdarstellungen bei Cindy Sherman.255 Hier jedoch befindet sich das weibliche Geschlecht, das in der schematischen Vereinfachung einer angeschnittenen Kugel ähnelt, beinahe frontal dargestellt im Bildvordergrund, und wird durch seine Größe, die auffällige Farbgebung und den dichten Haarwuchs – zusätzlich betont durch die Haarmasse der Perücken – offen in Szene gesetzt (vgl. auch andere frontale Genitaldarstellungen bei Cindy Sherman z.B. Untitled #264, Abb. 9). Haare bestehen zu großen Teilen aus abgestorbenen Körperzellen und sind damit ein „Abfallprodukt“ des Körpers. Wie bereits aufgezeigt, steht ein Empfinden von Unreinheit im Zusammenhang damit, dass kulturelle Parameter und Kategorien verletzt werden – genau wie Spucke, Blut, Finger- und Fußnägel usw. außerhalb des Körpersystems, so existieren auch vom Körper entfernte Haare in einer Art Zwischenzustand zwischen den kategorischen Gegensätzen Ich vs. Nicht-Ich, Innen vs. Außen, lebendig vs. tot. Gerade in einer haarphobischen Gesellschaft wie der amerikanischen mit ihrem Wahn, jedes Körperhaar zu entfernen,256 ist die Vorstellung, auf Haare gebettet zu sein, daher abstoßend und unangenehm, besonders wenn es sich um Fremdhaar handelt, Abfallprodukt eines anderen Körpers, mit dem die eigene nackte Haut in Berührung kommt. Aus der weit geöffneten Vagina des Plasikunterleibs hinaus (oder hinein, eine Bewegung ist nicht auszumachen) schiebt sich eine dunkelbraune Wurstkette aus Kunststoff, mit drei Penisgroßen Kettengliedern, die auf der Oberseite leicht eingeschnitten oder aufgeplatzt wirken. Die Kugelgelenkarme sind so positioniert, dass sich die Schultergelenke unter der 254 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 144. Vgl. Kapitel „naked truth“ in: Käufer: Obsession der Puppe, 236. 256 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 163. 255 57 Oberköperhülle ungefähr auf Höhe der Brüste befinden und die Hände unter dem Kopf zusammengelegt sind. Der Kopf selbst besteht aus einer Maske, die wie gelassen abwartend in die Kamera und damit direkt zum Betrachter blickt; es handelt sich aber nicht um ein schönes, jugendliches Anlitz, das die aufreizende Inszenierung komplettiert, stattdessen ist das Gesicht faltig, das weißliche, zerzauste lange Haar breitet sich in Verlängerung der Körperrichtung nach oben rechts diagonal ins Bild aus. Das Puppenteil-Arrangement ist durch Brüste, Bauch und Geschlechtsteil als Frau, und genauer: durch die Wesensbestimmung anhand des Gesichts als alte Frau angelegt. Abbildungen von entblößter alternder Weiblichkeit bzw. überhaupt jede Form der Zusammenführung von Körperlichkeit, Sexualität und hohem (weiblichen) Alter machen aus einer alten Frau „an object of fascination (or disgust), threatening again to evoke the fear of the feminine, of the devouring, powerful Medusa who is sexual outside the control of men.“257 Die alte Frau steht also aufgrund ihres Zustands als eben solche außerhalb der (sexuellen) Kontrolle durch den Mann – ihr Körper folgt Regeln, die nicht länger die einer wie auch immer gearteten, vornehmlich männlichen Autorität sind, sondern ihrer eigenen Natur entsprechen, die sich auf ihren Körper einschreibt; indem ihre sexuelle Tätigkeiten ohne reproduktive Konsequenzen bleiben, erlangen Körper und Selbst eine neue Stufe der sexuellen Freiheit. 258 Durch eben diese Eigenermächtigung scheint dem Weiblichen auch hier etwas Unheimliches, Bedrohliches anzuhaften;259 dazu passt das Bild der alten Frau als Hexe, als die sie oftmals repräsentiert wird. Menninghaus stellt fest, dass in nahezu allen von ihm untersuchten Ekel-Diskursen das Ekelhafte die Merkmale des weiblichen Geschlechts und hohen Alters aufweist, was das patriarchalische System kultureller Repräsentation mit dem Begriff der vetula, der „ekelhaften alten Frau“ erfasst: „Sie ist der Inbegriff alles Tabuierten: abstoßender Haut- und Formdefekte, ekelhafter Ausscheidungen und sogar sexueller Praktiken – ein obszöner, verwesender Leichnam schon zu Lebzeiten.“260 Besonders unter dem Aspekt der Fruchtbarkeit und Reproduktivität ist der alternde weibliche Körper (in westlichen Gesellschaften) der Inbegriff dessen, was ausgeschlossen werden muss, nicht existieren oder zumindest nicht gesehen werden darf. Er hat keinerlei erlösende Qualitäten von Jugend oder mütterlicher Femininität 257 Ussher: Managing the Monstrous Feminine, 126. Frueh, Joanna: „Visible Difference. Women Artists and Aging“, in: dies. u.a. (Hg.): New Feminist Criticism. Art, Identity, Action, New York: IconEditions 1994, 266. 259 vgl. Williams: Wenn sie hinschaut, 9: „In Bezug auf den männlichen Blick ist der Unterschied zwischen einem Objekt des Begehrens und einem Objekt des Grauens nicht groß. [...] Bei einer bestimmten Sorte Horrorfilm kann dieser Unterschied lediglich durch das Alter des weiblichen Stars bestimmt sein. Bette Davis und Joan Crawford, die als zu alt galten, um Schauobjekte zu sein, hielten sich als Horrorobjekte in Filmen wie Whatever Happened to Baby Jane? und Hush Hush Sweet Charlotte.” 260 Menninghaus: Ekel, 16. 258 58 aufzuweisen, um das „Unheimliche“ der Schwangerschaft aufzuweichen, die ihn vor der vollständigen Exklusion aus der akzeptierten herrschenden Ordnung bewahren – was bleibt ist allein das Ekelhafte, Abstoßende oder Lächerlich-Groteske. Diesen Topos der monströsen Mutter werde ich im nächsten Kapitel ausführlicher behandeln. Die unterschiedlichen Konzepte des Körpergrauens, die bislang erläutert wurden, scheinen sich in der schwangeren alten Frau aus Untitled #250 zu treffen und zu komplettieren. Cindy Shermans Aktfotografie spielt der Schreckensvorstellung, dem großen Tabu zu und treibt es auf die Spitze; nicht nur ist der dargestellte weibliche Körper alles andere als komplett, er ist obendrein alt – zumindest das Gesicht ist mit unterschiedlichen denkbaren Merkmalen des Alters ausgestattet: Tiefe Furchen ziehen sich über die gesamte Oberfläche, besonders um Mund, Augenhöhlen und auf der Stirn, außerdem unterstreichen Warzen, ein zurückweichender Haaransatz, starke weiße Augenbrauen und schmale Lippen die greisenhafte Erscheinung. Zusätzlich finden diverse andere als ekelhaft konnotierte Symptome einen Ausdruck, so z.B. die Öffnung bzw. das fehlende Geschlossensein und damit Vermischung des Körpers mit seiner Umgebung (vgl. Kap. 4.2.2.1), das Bett aus Haaren (abjekter „Körperabfall“, vgl. Kap. 4.2.2.1), die behaarte, fleischrote Geschlechtsöffnung und nicht zuletzt die gleichzeitig phallische und stark an Exkremente erinnernde Wurst-Kette: „Sichtbare oder zu große Körperöffnungen, austretende Körperflüssisgkeiten (Nasenschleim, Eiter, Blut) und Alter werden als ‚ekelhaft’ auf den ästhetischen Kriminalindex gesetzt. [...] Die positiven Regeln des ‚ästhetischen’ Körpers – der schlank-elastische Kontur ohne Fettansätze, tadellose jugendliche Festigkeit und ununterbrochene, falten- und öffnungslose Linienführung der Haut, Entfernung der Körperbehaarung, Zupfen der Augenbrauen zu einem feinen Strich, flacher Bauch, eher ‚sparsamer’ Po usw. – sind ebenso viele 261 Ekelvermeidungsregeln [...]“ Keines dieser Merkmale lässt Cindy Sherman aus, um explizit und zielsicher gegen sie zu verstoßen. Indem die Figur in Untitled #250 so umfassend all das verkörpert und aufweist, was in Ekel- und Körperdiskursen als verabscheuenswürdig gilt, enthüllt sie die Mechanismen der Ausgrenzung: Über das erste Auflachen oder Zurückschrecken hinaus bewirkt die Fotografie im Betrachter eine Auseinandersetzung mit genau diesen Mechanismen und entlarvt die Ursachen für bestimmte Dynamiken, Verhaltensmuster und Regeln des Schönen und Hässlichen in der Körperdebatte als vom Menschen (genauer: Mann) gemacht und lächerlich. Die Künstlichkeit der anorganischen Materialien hilft dem Betrachter, die rein oberflächinhaltliche Motivebene zu verlassen und eine mögliche tiefere Bedeutung zu erfassen (so spricht auch Rosalind Krauss von der Notwendigkeit, „under the hood“ von Cindy Shermans 261 Ebd. 59 Fotografien zu blicken262). Die Möglichkeiten des Mediums zur realistischen Illusion wären durchaus gegeben, doch es geht nicht um den perfekten Schein eines naturgetreu zusammengesetzten Prothesenkörpers, im Gegenteil: In seiner Unvollkommenheit wird sichtbar, dass das, was dem Betrachter vorgesetzt wird, keine echte Schreckensabbildung ist – schließlich zeigt die Fotografie nicht wirklich eine alte Frau mit Beinstummeln in pornografischer Pose, die Exkrementartiges gebiert! – sondern die betont künstliche Konstruktion eines weiblichen Körpers, der, indem er „Ängste und Begierden in somatische Manifestationen verwandelt“,263 zu einem Zeichen für die Konstruktion von Geschlechteridentitäten wird: „Unbehagen erfüllt den Betrachter angesichts der grotesken und irritierend rohen Inszenierung von Morphe und Psyche [...] Angesichts der Figur der ‚alten Frau’ auf dem haarigen Perückenlager ist deutlich, daß ein Kanon von Normalität hinter jeder Vorstellung von Sexualität lauert. [...] Denn was macht Cindy Sherman anderes, als das Geschlecht unter Verwendung aller legitimerweise sexuell besetzten Körperformationen wie Brüste, Penis, 264 Vagina, Hoden zu inszenieren.“ 4.4.2. Der monströse Mutterleib Mit der Fruchtbarkeit des weiblichen Körpers, die den Menschen daran erinnert, ein Teil der Natur zu sein, droht die Grenze zwischen Mensch und Tier, zivilisiert und unzivilisert zu verwischen. Darüber hinaus kristallisieren sich in der Körperlichkeit des sich verändernden schwangeren Körpers, dem Akt der Geburt, Fruchtwasser, Plazenta und Blut, den darauf folgenden hormonalen Veränderungen und dem Stillen zahlreiche abjekte Merkmale; Jane Ussher, Psychologin und Körperforscherin, zeigt auf, wie sich diese Phänomene in der Behauptung treffen, dass der tatsächlich groteske Körper der einer schwangeren, gebärenden Frau ist.265 Ein wiederkehrendes Horrormotiv ist deshalb die Mutter und mit ihr verbunden das Trauma der Geburt. Oftmals benutzen Horrordarstellungen und -narrationen die Figur der Mutter und ihre Beziehungsgeflechte als „Matrix“, als „psychologisches Unterfutter“266, um sich davon ausgehend zu entfalten; aber nicht nur konzeptuell-psychologisch, sondern auch ganz greifbar materiell kann der Körper der Mutter als Ort für Horror dienen, denn es bleibt bis zum Vorgang der Geburt verborgen, wer oder was sich im Mutterleib befindet, wer in den body 262 Vgl. Krauss: Cindy Sherman: Untitled, 101. Vgl. Bronfen: Das verknotete Subjekt,16. 264 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 146. 265 Ussher: Managing the Monstrous Feminine, 86/87. 266 Brauerhoch, Annette: „Mutter-Monster, Monster-Mutter. Vom Horror der Weiblichkeit und monströser Mütterlichkeit im Horrorfilm und seinen Theorien“, in: Koch, Gertrud; Schlüpmann, Heide (Hg.): Frauen und Film, Heft 49 (Thema: Horror), Dezember 1990, 21. 263 60 space eingedrungen ist (Alien (Ridley Scott, 1979), Village of the Damned (Wolf Rilla, 1960), Rosemary’s Baby (Roman Polanski, 1968)), von dort aus Unheil anrichtet (Who could kill a child? (Narciso Ibáñez Serrador, 1976)) oder Schaden erleidet (Alien) und in welcher Verbindung Mutter und Kind wirklich stehen. Im vorherigen Kapitel wurde bereits gezeigt, dass die weibliche Fähigkeit zu Fortpflanzung und Gebären durch Geschichte und Kulturen hinweg Faszination und Angst auslösen kann. Der schwangere Körper wird als gefährlich und verunreinigt erachtet, als der Fleisch gewordener Mythos des Monströs-Femininen.267 Barbara Creed macht in Geburt, Verführung und Kastration drei Urphantasien aus, die benutzt werden, um Horror zu konstruieren, ihre Inszenierungen als schrecklich und abstoßend stehen in engem Zusammenhang mit der Darstellung einer wie auch immer gearteten Mütterlichkeit.268 Exemplarisch für den Themenkomplex der monströsen Mutter scheint mir die Fotografie Untitled #250. Gegenläufig zur Vorstellung des reinen, jungfräulich-asexuellen Mutterideals des Christentums, dessen Leib zwar die Frucht trägt, aber keusch, unberührt und intakt bleibt, inszeniert Cindy Sherman das widernatürliche und abartige Geburtsszenario einer ‚schwangeren Alten’. In der schwangeren Alten oder der alten Schwangeren werden nach grotesker Konzeption der verdrehten Welt Leben bzw. Geburt und Tod zusammengebracht, ebenso verweist das Vermischen von Vagina und Anus auf die groteske Umkehrung, Kontrast und Krise: Geburt und Tod (in der Gestalt des „schwangeren Todes“), Segnung und Verfluchung, Jugend und Alter, Oben und Unten, Gesicht und Gesäß, Torheit und Weisheit.269 Alles scheint durcheinander geraten in Untitled #250, „ privat und öffentlich (wird) ebenso radikal verwischt wie die Trennung zwischen Anus und Phallus, zwischen Herauskommen und Hineinlassen. Zugleich erscheint, im Widerspruch zu den Zeichen des Alters, noch immer der Mund mit der Vagina und der Kot mit dem Penis 270 verwechselt.“ Aus künstlichen Körperteilen zusammengesetzt präsentiert die Figur den Akt der Geburt – ein Vorgang, den zu zeigen oder als Außenstehender mitzuerleben außerhalb von medizinischem Interesse stark tabuisiert ist – ebenso wie Fäkalien und der Vorgang ihrer Ausscheidung. Die vorliegende Fotografie bricht dieses Tabu mit einem runzeligen Lächeln, ähnlich dem modus operandi von Horrorfilmen, die mit sterbenden, gequälten, zer- und verfallenden Körpern das 267 Ussher, Managing the Monstrous Feminine, 1. Vgl. Creed: The Monstrous-Feminine, 153. Siehe auch ebd.: „Like the primal phantasies, horror narratives are particularly concerned with origins: origin of the subject; origin of desire; origin of sexual difference.” 269 nach Menninghaus: Ekel, 139. So tauchen bei Bachtin „eigenartige(n) Figuren von schwangeren Alten“ auf, „an denen die Häßlichkeit des Alters und die Kennzeichen der Schwangerschaft grotesk hervorgehoben sind. Diese schwangeren Alten lachen.“ 270 Loreck: Geschlechterfiguren und Körpermodelle, 145. 268 61 ins Zentrum rücken, was sonst gerade nicht gezeigt werden soll. Es handelt sich um eine besondere Niederkunft: Was hier ausgeworfen wird271 ist nicht neues Leben, sondern ein minderwertiges Abfallprodukt in Serie (nämlich in Form einer Kette). Die Verknüpfung von Frau und Verunreinigung bezieht sich besonders auf Material aus zwei Kategorien: „excremental, which threatens identity from the outside; and menstrual, which threatens from within“272 und damit wiederum besonders auf die Mutter, deren Autorität die ursprünglichsten, archaischen Grenzen des „clean and proper self“ reguliert, besonders anale und orale Bedürfnisse: Nahrung (noch nicht Teil des Körpers) wird mit dem Mund aufgenommen, Fäkalien (nicht mehr Teil des Körpers) durch den Anus ausgeschieden. Diese Grenzen zwischen Körper und Außenwelt werden zu Beginn von der Mutter kontrolliert.273 Die Figur der gebärenden Alten vergegenständlicht sowohl das Andere, zu Verwerfende, das im Mutterleib residiert bzw. das der Mutterleib in sich einfaltet – „a structure within the body, a non-assimilable alien, a monster, a tumor, a cancer that the listening devices of the unconscious do not hear“274 – wie auch das verworfene Andere, das dieser mütterliche Körper darstellt. Den Sachverhalt des Nicht-Selbst und Nicht-Anderen bestätigt die Lesart der Wurstkette als „pervertierte Variante der ‚Nabelschnur’.“275 Gerade während der Schwangerschaft und Geburt besteht eine Ambiguität von Subjekt- und Objekt-Positionen – Schwangerschaft als „institutionalized psychosis”; nach Kristeva ist die schwangere Frau oder Mutter die Inkarnation des gespaltenen Subjekts: „Am I me or it? [...] Pregnancy (…) is the only place where this psychosis is socially acceptable.”276 Auffällig ist auch hier wieder das Fehlen von narrativen Bildinformationen. Die Konzentration liegt ganz auf dem Körper-Kompositum, wodurch die einzelnen Elemente fast schematisch auflistbar Verweise beinhalten: Alter, Schwangerschaft, Haar, Exkrement. Sogar der Körper ist eben darauf reduziert – auf Beine oder einen Rücken, die in Bezug auf das Vorgeführte keine Rolle spielen würden, wurde verzichtet. Auf diese Weise werden Symptome und Ursprünge von Körpergrauen in skurriler Übertreibung zu einem Arrangement zusammengeführt – fast angehäuft – und in Frage gestellt; Untitled #250 zeigt, abermals in Überlebensgröße und auf einem organischen Präsentierteller – eine Methode sowohl der Pornografie als auch der Horrors, vgl. die Nahaufnahme des Money Shots bzw. Wound Shots – 271 oder eingesogen, diese Möglichkeit kann im Zusammenhang mit der vagina dentata gedacht werden, vgl. Kap. 4.3.3. 272 Barbara Creed bezieht sich hier auf Kristeva, vgl. Creed: The Monstrous-Feminine, 12. 273 Oliver, Kelly: Reading Kristeva: Unraveling the double-bind, Bloomington & Indianapolis: Indiana University Press 1993, 57. 274 Kristeva: An Essay on Abjection, 11. 275 Käufer: Die Obsession der Puppe, 237. 276 Oliver: Reading Kristeva, 66. 62 Körperkonzepte, Fleisch bzw. Plastik gewordene Metaphern und Modelle. Abermals ist ihre spezielle Qualität der beinahe liebevolle Humor, den auch diese Inszenierung aufweist, bloßgestellt werden einzig überkommene, phallozentrische Ideen von Körper und Natur, und auf der anderen Seite abstrakte kulturelle und diskursive Konstrukte, deren Verdinglichung ihre Theoriehaftigkeit sichtbar werden lässt. 5. Schluss Über seinen Körper positioniert sich der Mensch in der Welt und in seiner Zeit; auch Körpervorstellungen und –konzepte sind immer zeithistorisch verortet. Meiner Untersuchung, wie Cindy Sherman in Fotografien aus dem untersuchten Zeitraum von 1985-1999 mit der bildhaften Materialisierung von konstitutiven Merkmalen, die den menschlichen Körper als grauenhaft bestimmen, arbeitet, liegt deshalb eine zeit- wie auch werkkontextbezogene Einführung zugrunde. Im zweiten Teil der Arbeit ließ sich nachweisen, dass ab den 1980er Jahren und somit im Entstehungszeitraum der ausgewählten Arbeiten und Serien eine neue und veränderte Beschäftigung mit dem menschlichen, vor allem weiblichen Körper aufkommt, die wiederum an Zeitgeschehen und die spezifischen Eigenarten der Zeit geknüpft ist. Aus zeitkontextspezifischen Fragestellungen gehen unterschiedliche Körperbilder hervor; diese diversen Vorstellungen und Theorien schreiben sich in Kulturerzeugnisse ein, bewusst und un(ter)bewusst.277 Um Ängste und Ungewissheiten zu materialisieren, zeigen sich Produkte des Horrorgenres als besonders geeignet, da Angst und Beunruhigung sein Hauptthema sind. Ich habe mich verstärkt auf den Horrorfilm als Referenzgröße gestützt, weil Cindy Sherman sich immer wieder auf das Medium Film (und Fernsehen) bezieht, sei es motivisch wie in den „Untitled Film Stills“, in Äußerungen in Interviews, etwa: „Film has always been more influential to me than the art world. When I was a kid I watched TV pretty much all the time“,278 aber auch mittels filmspezifischer Signifikanten wie dem Cinemascope der 277 Cindy Shermans konstruierte Körper entstehen vor oder gerade zu Beginn einer Zeit, die aufgrund von fortschreitenden Erkenntnissen und Möglichkeiten in Medizin und Biotechnologie ihrerseits neue, veränderte, erweiterte Fragen auf- und darin Körperbilder entwirft. Konstruiertheit, Neufigurationen und Variabilität verlagern sich zunehmend in virtuelle Dimensionen, den oben behandelten Dichotomien und Konzepten von Geschlechteridentität, Selbst, Geburt, Mutter, Körpergrenzen usw. kommt eine neue Bedeutung zu. Auf die Fomnehmung dieses digitalen, fluiden Körpers samt seiner Theorien in der Kunst kann ich an dieser Stelle nur verweisen (vgl. z.B. Volkart, Yvonne: Fluide Subjekte. Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst, Bielefeld: transcript Verlag 2006) er soll hier aber zur Veranschaulichung dienen, dass Körper und Körpervorstellungen immer zeithistorisch eingebunden sind. Cindy Shermans Fotografien thematisieren eine bestimmte zeitbezogene Auseinandersetzung mit tradierten Körperbildern und –gegenvorschlägen. 278 Cindy Sherman im art:21-Portrait (2009). 63 „Centerfolds“, filmischer Beleuchtung, einer bestimmten Art der filmischen Ausschnitthaftigkeit bzw. Fokussierung, Inszenierungen, die dem „Money Shot“ des Pornofilms ähneln oder Großaufnahmen wie in den „Civil War“-Bildern, die ganz nah an den Ort des Verbrechens, die Wunde, an die Details von verletzten Körpern heranzoomen. Enstprechend der im zeitgenössischen Horror oftmals üblichen Reduzierung des Menschen zu literally mere meat279, bloßem Fleisch, präsentiert Cindy Sherman dem Betrachter bloße (Plastik)Teile.280 Die Zeichenhaftigkeit und Materialität dieser künstlichen Körper in Bild-, insbesondere Fotografie-Zusammenhängen wurde in Kapitel 3 auf Möglichkeiten und Wirkung untersucht, dabei hat sich gezeigt, dass Künstlichkeit – fake und Simulation – den Körperformulierungen von Cindy Sherman dienlich ist: Sie lässt eine theoretisch-distanzierte Beschäftigung mit Konzepten zu, die den Körper als versehrt, nicht-intakt, un-heil darstellen. Die Zerstörung des Körpers wird mit der Zerstörung des Bildes verbunden, infolgedessen können überholte, tradierte (Körper-)Bilder aufgebrochen werden und als überkommen entlarvt werden, wie am Beispiel des Familienportraits Untitled #312 dargelegt; gleichzeitig wurde dabei auch klar, dass in Zerstückelung, Neu-Zusammensetzung und Ersatzteilen wie der Prothese ein zugleich abscheuliches wie utopisches Potential liegt. Als Charakteristika des grauenhaften Körpers habe ich in Kapitel 4 Hybridität, Ekel, Maskenhaftigkeit und das Monströs-Feminine ausgemacht, die in Cindy Shermans Fotografien auftauchen. Kap. 4.1. installiert den menschlichen Körper in seiner Möglichkeit, monströs und andersartig zu sein und setzt sich mit dem Monster als transformierten Mischwesen auseinander, in dem sich Menschliches und Animalisches, Mechanisches und Organisches, Lebendiges und Totes usw. vermengen können. Diese Hybridität, einerseits Gewinn und Erweiterung wie etwa bei Donna Haraways Cyborg, lässt das Monster bezüglich bestehender Kategorien unbestimmbar und damit furchterregend werden, es wird als anders empfunden und muss verstoßen, ausgeschlossen werden, um die Norm (die ein weißer, heterosexueller, männlicher Standard ist) zu wahren. Kap. 4.2. greift in diesem Zusammenhang Konzepte wie Abjektion, Unreinheit, Othering, das Formlose und die Dichotomien Innen und Außen, Fremd und Vertraut auf. 279 Carroll: Philosophy of Horror, 211. Beispielhaft spielt Shermans Film Office Killer, der klassische Horrormotive und -narration verarbeitet, mit dem Körper und seinen Teilen in ihrer wörtlichen Instrument-haftigkeit, wenn die Protagonistin z.B. einen abgetrennten Zeigefinger als Zeiger für eine Küchenuhr einsetzt – ihr wird u.a. von Cruz (Movies, Monstrosities, and Masks, 15) eine Ähnlichkeit zur Künstlerin selbst zugesprochen: “She rearranges some of the people.“ 280 64 In Kap. 4.3. habe ich anhand des Konzepts der Maske erläutert, inwiefern die Zerstörung der Oberfläche des Körpers sowie seiner gesamt-räumlichen Organisation die Vorstellung der symbolischen und ästhetischen körperlichen Einheit (zer)stört. Im Zusammenhang mit der Maske wurde außerdem detaillierter auf Innere vs. Äußere Form und infolgedessen Selbst vs. Anderes, Anwesend vs. Abwesend eingegangen; abschließend habe ich am Beispiel des Mythos von der vagina dentata verdeutlicht, auf welche Art Cindy Sherman psychischen und physischen Konzepten von Angst, Ekel und Grauen eine gegenständlich-sichtbare Form verleiht. In Kapitel 4.4. laufen all die Konzepte, sämtliche Eigenschaften und Ideen, die in den vorherigen Kapiteln ausgeführt wurden, im Monströs-Femininen zusammen. Monster und Frau teilen die Fähigkeit, “a unique blend of fascination and horror“281 auszulösen, die Nähe von Abscheu und Begierde wird nirgends so deutlich wie in Horrorinszenierungen des weiblichen Körpers. Im Phantasma der ekelhaften alten Frau bündeln sich schließlich alle Abweichungsmodelle und Dichotomien, nehmen all die Konzepte und Fragestellungen, Ängste wie auch Utopien, Gestalt an: So wird im klaren, offenen Blick der Figur in Untitled #250 und dem amüsierten Zug um ihre Mundwinkel die befreiende Wirkung einer solchen Verbildlichung deutlich, weil sich die Merkmale des grauenhaften Körpers in ihrer Materialisierung als komisch erweisen und an Gültigkeit verlieren. Gerade in der Summierung der Merkmale des monströsen, schrecklichen, grauenhaften Körpers – sowohl über die Serien verteilt als auch in Einzelbeispielen wie Untitled #250 –, die Cindy Sherman in eine fotografisch inszenierte Bildwelt aus Puppenteil- und Prothesenkörper-Komposita übersetzt, zeigt sich deutlich, wie eingangs in meiner These formuliert, dass die Werke aus dem untersuchten Zeitraum von 1985-1999 auf gleichzeitig verstörende wie belustigende Weise den menschlich-weiblichen Körper als Ort des Grauens konzeptualisieren. 281 Braidotti, Rosi: Nomadic Subjects, New York: Columbia University Press 1994, 81, zitiert nach Ussher: Managing the Monstrous Feminine, 1. 65 6. Abbildungen Abb. 1: Untitled Film Still #30, 1979, 20,3 x 25,4 cm. Abb. 2: Untitled #92, 1981, 61 x 121,9 cm. 66 Abb. 3: Untitled #97, 1982, 114,3 x 76,2 cm. Abb. 4: Untitled #302, 1994, 172 x 114,3 cm. Abb. 5: Untitled #261, 1992, 172,7 x 114,4 cm. Abb. 6: Max Ernst, die anatomie, 1921, 23,7 x 17,2 cm. 67 Abb. 7: Untitled #120, 1983, 85,1 x 51,4 cm. Abb. 8: Detailansicht Pflaster. Abb. 9: Untitled #264, 1992, 127 x 190,5 cm. 68 Abb. 10: Untitled #312, 1994, 154,9 x 105,4 cm. 69 Abb. 11: Untitled #140, 1985, 184,2 x 124,6 cm. 70 Abb. 12: Untitled #168, 1987, 215,9 x 152,4 cm. Abb. 13: Untitled #234, 1987/90, 228 x 152 cm. Abb. 14: Untitled #175, 1987, 120,7 x 181,6 cm. 71 Abb. 15: Untitled #182, 1987, 228 x 152 cm. 72 Abb. 16: Untitled #314F, 1994, 76,2 x 111,8 cm. Abb. 17: Untitled #250, 1992, 127 x 190,5 cm. 73 7. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Cindy Sherman, Untitled Film Still #30, 1979, Fotografie, 20,3 x 25,4 cm. In: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris: Edition Flammarion 2006. Abb. 2: Cindy Sherman, Untitled #92, 1981, Fotografie, 61 x 121,9 cm. In: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris: Edition Flammarion 2006. Abb. 3: Cindy Sherman, Untitled #97, 1982, Fotografie, 114,3 x 76,2 cm. In: Cindy Sherman (Ausstellungskatalog), Paris: Edition Flammarion 2006. Abb. 4: Cindy Sherman, Untitled #302, 1994, Fotografie, 172 x 114,3 cm. In: Cindy Sherman. Retrospective (Ausstellungskatalog), New York: Thames & Hudson 1997. Abb. 5: Cindy Sherman, Untitled #261, 1992, Fotografie, 172,7 x 114,4 cm. In: Zimmermann, Anja: Skandalöse Bilder - skandalöse Körper, Berlin: Reimer 2001. Abb. 6: Max Ernst, die anatomie, 1921, Collage, 23,7 x 17,2 cm. In: Max Ernst, Die Retrospektive, Ostfildern: DuMont Reiseverlag 1999. Abb. 7: Cindy Sherman, Untitled #120, 1983, Fotografie, 85,1 x 51,4 cm. In: Cindy Sherman. Retrospective (Ausstellungskatalog), New York: Thames & Hudson 1997. Abb. 8: Detailansicht Pflaster, Ausschnitt von SS, Angaben s. Abb. 7. Abb. 9: Cindy Sherman, Untitled #264, 1992, Fotografie, 127 x 190,5 cm. In: Cindy Sherman. Retrospective (Ausstellungskatalog), New York: Thames & Hudson 1997. Abb. 10: Cindy Sherman, Untitled #312, 1994, Fotografie, 154,9 x 105,4 cm. 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