gesandet - Die Welt

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gesandet - Die Welt
JUNI 2015
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Juni 2015
GESANDET
Freiheit,
sei die
meine!
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CONDE NAST ARCHIVE/CORBIS
ugegeben, wir haben
ein Faible für die Schätze aus dem Condé Nast
Archiv. Nicht, dass es
nicht auch heute großartige Fotografen und Stylisten
gäbe (bitte überzeugen Sie sich
gleich ab Seite 28). Doch schwingt
bei den alten Fotos wie dieser
Aufnahme vom Januar 1968 etwas mit, das kein noch so begabter Bildkünstler rekonstruieren kann: nämlich die Zeit selbst. Aufgenommen vor der Küste der brasilianischen Insel Itaparica, trägt das damalige Supermodel Veruschka einen Look, den wir immer
wieder genauso anziehen würden. Okay – den Metallgürtel vielleicht etwas schmaler. Aber nicht der Déjà-vu-Effekt ist entscheidend,
der holt uns in der Mode ohnehin ständig ein. Der Grund, warum wir solche Aufnahmen wohlig gern ansehen, ist die Stimmung, die
wir hineininterpretieren können. Nun war 1968 aus politischer Sicht nicht gerade ein Wohlfühljahr, aber in der Erinnerung werden
Kampf und Protest überlagert von einem positiven Grundton, der uns abhandengekommen zu sein scheint: Nämlich der Glaube daran, dass die Zukunft gut wird. Und deshalb möchten wir Sie gern mit diesem optimistischen Bild in den Sommer begleiten. Let the
sunshine in! Oder tauchen Sie ab. Wo immer Ihr Seelenort ist. Wir haben es doch so gut. Bleiben Sie zuversichtlich!
AUF DEM COVER: Model Katrin trägt einen Mantel von Hermès. Darunter ein Kleid von Wunderkind
ALBER ELBAZ 1961 war der Computer als überlebenswichtiger Bestandteil eines jeden Haushalts noch Zukunftsmusik. Es war auch das Jahr,
in dem Alber Elbaz geboren wurde. Der Modedesigner und Chef von Lanvin kam in Marokko zur Welt und wuchs später in
Israel auf. In New York fand er seine Profession. Seine Wegbegleiter? Papier und Stifte. Auf der jährlichen Condé Nast International Luxury Conference teilte er in einem Vortrag seine Gedanken über den Einfluss des schlauen, aber emotionslosen Computers auf die Mode mit. Der begnadete
Redner braucht keinen Teleprompter. Und Papier und Stift legt Alber Elbaz nur skeptisch beiseite: „Heute gucke ich auf den Bildschirm und entscheide so, was gutes und was schlechtes Design ist. Aber nicht alles, was am Bildschirm toll aussieht, sieht auch in Wirklichkeit gut aus.“ Seite 24
KARL LAGERFELD Ein fester, weißer Umschlag mit feinem silbrigen Rand und Schnörkelwelle, die Initialen KL elegant auf der Rückseite in
COVER: KRISTIAN SCHULLER, DIESE SEITE: GETTY IMAGES (2), MARIO TESTINO
Silber-Stahlstich graviert. Die Adresse ist mit großzügiger Schrift geschrieben. Vom Chef selbst. So sieht es aus, wenn
man Post von Karl Lagerfeld bekommt. Aus gutem Grund trägt die sehenswerte Ausstellung „Karl Lagerfeld. Modemethode“ in der Bundeskunsthalle Bonn (bis 13. September) den Untertitel: From paper to paper. Seine Liebe zum Papier hält ewig. Im Umschlag stecken eine Mappe, darin eine
Illustration und drei Seiten mit handschriftlichen Anmerkungen. Als wäre die Tatsache, dass der Tausendmacher sich die Zeit nimmt, extra für uns
eine Illustration als Bühne für die Paris-Salzburg-Kollektion von Chanel anzufertigen, nicht schon kostbar genug, ist diese noble Art, in der er sie
schickt, ein Schatz für sich. Viel zu selten heute. Aber dass Karl Lagerfeld einzigartig ist, ahnen wir ja schon lange. Seite 26
MASSIMO RODARI Gute Reportage-Fotografen erkennt man daran, dass sie sich unsichtbar machen können: Menschen sind nun einmal
am authentischsten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Massimo Rodari beherrscht diese Technik perfekt. Für uns
reiste er nach Neapel, um eine Reportage über die Schneiderszene ins Bild zu setzen. Im urbanen Dickicht kam dem gebürtigen Tessiner seine Gabe wieder sehr zugute. Er hält die Stadt am Vesuv für einen der spannendsten Orte, die er kennengelernt hat. Der Mythos fasziniert ihn immer neu,
da wollte er ganz eintauchen. Rodari benutzte übrigens eine Leica M6 – in alter analoger Manier. Als er sich bei Kitons CEO Antonio de Matteis
entschuldigen wollte, dass das Einlegen des Films etwas dauern würde, meinte der nur: „Was gut werden will, braucht seine Zeit!“ So verhält es sich
auch bei einem guten neapolitanischen Anzug. Und Rodari wusste: Er hatte die richtige Idee für den Ort gehabt. Ab Seite 50
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger.
Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Stylistin in New York: Nadia Rath. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Tölke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver
Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb, Emina Hodzic
Bildbearbeitung:Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Kerstin Schmidt, Felix Steinert, Tom Uecker
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de)
Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 13. September 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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ICON
JUNI 2015
AUSGEWÄHLT
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NU N WIRD’S SOM MER
Unsere Lifestyle-Experten sind schon
im Ferienmodus. Und wir folgen ihnen
natürlich nur zu gern
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D RESSCODE D’AZUR
Icona ist so frei – und trägt die Farben
von Himmel und Meer
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ELBAZ’ EINSICH TEN
Was macht Mode begehrenswert?
Alber Elbaz, Kreativdirektor von
Lanvin, denkt den Luxus der Zukunft
Wüste, wohin das Auge blickt. Im unserem Shooting mit Fotograf Kristian Schuller kombinieren wir passend dazu weiße Mode mit roten Akzenten. Katrin trägt ein Kleid von Lela
Rose und Schuhe von Sonia Rykiel. Mehr davon gibt es ab Seite 28
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PARIS -SALZBURG -CHANEL
Karl Lagerfeld illustrierte für uns seine
aktuelle „Métiers d’Art“-Kollektion –
eine kultivierte Collage
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M ANCH E MÖ GEN’S H EISS
Kristian Schuller fotografierte kühne
Kleider in der Dünenlandschaft der
„White Sands“ in New Mexico
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BOD ENH AFTU NG
In diesem Sommer müssen Sie nicht
hoch hinaus – die schönsten flachen
Alternativen aus dem Schuhregal
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BLAU M ACHEN
Spannen Sie ruhig mal richtig aus –
diese Produkte sind dabei
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D ENKM ALP FLEGE
Giorgio Armani hat Mailand und sich
ein Museum geschenkt. Wir haben
derweil seine Jubiläumskollektion
fotografiert. Für den Maestro selbst
gilt: Nach dem Fest ist vor der Show
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SARTORIA NAP OLI
Nirgendwo gibt es Sommeranzüge wie
am Fuß des Vesuvs – eine Reise zu den
heißesten Schneidern des Planeten
KRISTIAN SCHULLER(2)
MODE
Sand als schönstes Accessoire im White
Sands Nationalpark.
Alles andere kommt von Louis Vuitton
Sittsame Sitzgelegenheit:
Outdoor-Sessel „Wabi“ von
Francesco Rota für Paola
Lenti. Über iconist.de
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DIE LEGENDE
UNTER DEN IKONEN.
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KOSMETIK
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SO RIECHT EXTRAVAGANZ
Alexander Vreeland, Enkel der legendären
Journalistin, erzählt Uschka Pittroff, warum
er seiner Großmutter eine Duftlinie widmet
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A B A N DEN STRAND
Alles, was Sie für den Sommerurlaub brauchen. Die Kosmetik-Neuheiten
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STIEFEL VOLL
Marina Sersale hat mit „Eau d’Italie“ Parfüms kreiert, die den olfaktorischen Reichtum eines ganzen Landes einfangen
GESCHICHTEN
ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER; ILLUSTRATION: ICON
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NEW YOR K IM TI EGEL
Es war einmal im East Village eine Apotheke – nun ist Kiehl’s ein weltweites Kosmetikunternehmen: Susanne Opalka
erzählt die Geschichte
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GLO BA L D IA RY
Kunst in Oslo, Segeln vor Sardinien, relaxen
auf Mykonos – man kann’s schlechter haben
als die Absenderinnen unserer Postkarten
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VIVA TOSKANA
Auf der Suche nach Erholung? Ab in die
„Tenuta della Rose“. Pronto!
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DER BAUPLAN
Goldschmiedearbeiten in Perfektion. Wir
schauten dabei zu, wie die symbolischen
Anhänger von Dodo entstehen
Man in suit: Luca Rubinacci, in dritter
Generation Inhaber der berühmten
Schneiderei in Neapel, modelt gern selbst.
Mehr ab Seite 50
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M EH R FÜ R’S M EER
Bevor Sie an die Küste aufbrechen, fanden
wir schon meerchenhafte Produkte.
Plus: Unsere Kosmetik-Experten verraten
ihre Sommer-Lieblinge
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Sommer? Kann kommen. Die Espadrilles
von Pucci warten schon
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STILISTEN
SOPHIE CARRE(3)
CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen).
UNSERE LIFESTYLEWEISEN ERZÄHLEN VON IHREM LIEBSTEN PLATZ IM SOMMER
Zwei Monate für Dior
Von 100 auf null. So lautet unser Motto nach der Pariser Fashionweek. Weshalb es viele Leute paradox
finden, dass wir dafür ausgerechnet Ibiza aufsuchen. Als würde man in den irren Berliner Club „Berghain“
gehen, um einen besinnlichen Abend zu verbringen. Sprich: unmöglich. Natürlich gibt es das HippieJetset-Rave-Ibiza mit den üblichen verdächtigen Orten: „Amnesia“, „Privilege“, „Pacha“, „Ushuaia“ und „Café del Mar“. Und ja, manchmal will man auch genau das. Aber die Insel kann auch
anders. Ibiza jenseits des Hypes ist wenig touristisch, unaufgeregt und wunderschön. Unübertroffen ist zum Beispiel der spektakuläre Sonnenuntergang mit Blick auf Es Vedrà – einem Felsen vor der Westküste im Restaurant „Cala d’Hort“. Ist dieser wohl magische Platz doch der
einzige Ort, wo man den inseltypischen Weißwein Pescador trinken kann, ohne es anderntags
zu bereuen. Nicht-Esoteriker wie wir schreiben das der fantastischen Paella zu. Und apropos
Essen: Die Ex-Buden „Es Xarcu“ und „Ses Boques“ im Süden lieben wir für ihren Fisch in SalzJohnny Talbot &
Adrian Runhof
kruste. Direkt am Strand gelegen sind sie das ideale Ziel für einen Bootsausflug. Doch wohin,
wenn man seine neuen Robinson-les-Bains- und Frescobal-Carioca-Badeshorts einweihen will?
Designer-Duo des
Münchner ModelaWir empfehlen Punta Galera. Der ehemalige Steinbruch ist zwar nur kraxelnd über Fels und
bels Talbot Runhof
Stein zu erreichen, aber man wird mit glasklarem Wasser und terrassenförmigen Klippen direkt
überm Meer belohnt. Während Cooper seine Reflexe an den blitzschnellen Eidechsen vergeblich testet, erfreuen sich seine Herrchen am Anblick braun gebrannter Surfertypen. Auch wenn unser
Lieblings-Sommeroutfit eigentlich in weißen Hosen und Bottega-Veneta-Sandalen zum wahlweise Lacoste-Shirt (Adrian) oder All-Saints-Hemd (Johnny) besteht: Auf Ibiza hat man die seltene Gelegenheit, uns
öffentlich im Sportdress zu sehen. Und zwar beim Biken. Nein, wir reden nicht von schillernden Trikots in
Remmidemmi-Farben, sondern von zweckentfremdeten Lululemon-Yoga-Klamotten. Unser Ziel? Abschalten. Unser Weg? Mitten durch Weinberge, Mandelhaine, winzige Ortschaften und dann hoch auf
den Sa Talaia. Für die Mittagspause empfehlen wir Santa Agnès. Hier gibt es dienstags und donnerstags
direkt neben der Kirche eine Paella, für die wir gerne einen Gang zulegen. Für alle Nichtpfadfinder: Im
Landesinneren gibt es ein perfekt erschlossenes Radweg-Netz mit Beschilderung.
Anschmiegsam: Die
neue „Key“-Bag von Jil
Sander – die View Bag
www.chanel.com
IZIBIZI IBIZA
Wie schafft es Purist Raf Simons, in Rekordzeit seine erste Haute-CoutureKollektion zu entwerfen? Nicht in den Riesenfußstapfen bei Christian Dior
zu versinken, vielmehr sofort seinen eigenen New Look zu prägen? Nichts
geht ohne Emotionen: Stress, Druck, Freudentränen, Humor, Erleichterung.
Der ungeschönte Blick hinter die Kulissen, der Film „Dior und ich“ von
Frédéric Tcheng kommt am 9. Juli ins Kino.
A B J U N I I N V I E L E N FA R B E N
U N D VA R I A N T E N
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DER CHANEL MOMENT
Guten Flug
LAURENT CHÉHÈRE / COURTESY LUMIERE BROTHERS CENTER FOR PHOTOGRAPHY
Manchmal, wenn die Gassen in Paris
zu eng werden und der Lärm zu laut,
möchte manch einer fliehen. Einfach
mit dem Zirkus durchbrennen.
Laurent Chéhère tut genau dies in
seiner Ausstellung „Airy Worlds“,
er lässt Behausungen fliegen. Wohin
die Reise in Wohnwagen und
Jugendstilbauten mitsamt ihrer
Bewohner geht, ist ungewiss. Bis
21. Juni lädt die Galerie „The Lumiere
Brothers Center for Photography“
in Moskau zum Abheben ein.
KÖNIGLICH
Ich bin Saison-Nomadin. Ich liebe die Sonne, und
wenn man aus Deutschland kommt, muss man dieser
bekanntermaßen oft hinterherreisen. Andererseits
gibt es wohl kaum ein schöneres Land als unseres,
wenn sie dann mal scheint. Im Sommer
verlasse ich meine Herzensheimat Bayern daher nur, wenn es wirklich richtig düster aussieht, und bei schönem Wetter trifft man mich dann gern mal auf der Fraueninsel an. So nennen wir „Einheimischen“ jedenfalls Frauenchiemsee, die zweitgrößte der drei Inselchen im Chiemsee. Die oberbayerische Gemeinde Chiemsee
ist auch die kleinste politische Gemeinde Bayerns, um im Zwergenmodus zu bleiben. Auf dem 15,5 Hektar großen, autofreien Areal wohnen etwa 300 tiefenentspannte Bayern. Über sie wacht das Kloster Frauenwörth und übernachten kann
Ala Zander
man – wenn man Glück hat und ein Zimmer bekommt – bei einem der beiden InInhaberin der
PR-Agentur
selwirte. Tagsüber döst man auf einem Elektrobötchen mit Liegefläche auf dem
Stilart
endlos scheinenden und mit der Alpenkulisse verschmelzenden „bayerischen
Meer“. Das Wasser ist moosgrün, und wenn ich mit Blick auf die Kampenwand hineinspringe,
dann fühle ich mich wie die Königin des Sees. Abends sitzt man unter den alten, riesigen Bäumen des Gasthofs „Zur Linde“ und freut sich, wenn der letzte Dampfer mit lärmenden Tagestouristen abgelegt hat und Stille einkehrt. Bei einem kühlen Bier genieße ich, klar, Zanderwürfel in Knoblauch-Öl und warte drauf, dass einer seine Ziehharmonika auspackt. Das war’s zwar
dann mit der Stille – aber die Nacht wird unvergesslich.
Kunterbuntes zur
Expo in Mailand: Lucy
+ Jorge Orta haben
für ZegnArt 500 Teller
gestaltet
ÜBER FONDOAMBIENTE.IT
WO DAS ZUHAUSE
GLÜCK IST
Giuseppe
Santoni
CEO von Santoni
aus Mailand
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TRENDBAROMETER
VON WOLFGANG
JOOP
Herr Haka
Die Mode spricht ja nicht mehr zu uns,
seit wir eine digitale Gesellschaft geworden sind. Die Berlinerin Britta Thie, die
sich vom Model zur digitalen Künstlerin
entwickelt hat, Gesichter quasi täglich
verflüssigt, um sie dann wieder neu darzustellen, hat das ganz gut erkannt. Die
Botschaft: Kommunikation ist heute eine
andauernde Werbekampagne. Die Welt
ist ein täglich neu produziertes Moodboard geworden, es gibt auch keinen Tipp
mehr, der einen ganzen Sommer anhielte.
Also ist meiner: Folgen Sie Ihrer Laune!
Frau Dob
Wo geht die Reise nur hin? Deshalb ist es so wichtig, einen Ort zu
haben, der ein Zuhause ist, der tröstet und beruhigt. Und was man
trägt, sollte sich der Landschaft anpassen. Du hast mir doch erzählt, dass du nicht wusstest, was du für den längeren New-YorkTrip demnächst einpacken sollst, weil du so lange nicht mehr dort
warst. Bleib bloß bei deiner Idee: „Ich pack’ den Koffer erst dort!“
Als Kind verbrachte ich die Sommerferien in Civitanova, einer kleinen Stadt an der Adriaküste. Vor ein paar Jahren habe ich mir dort ein
Haus gekauft. Ich wollte schon immer direkt am Meer leben. Meine Frau und ich laden gerne Freunde ein und dann bereiten wir alle gemeinsam das Essen zu. Kürzlich habe ich extra ein großes Sofa gekauft und es in die Mitte des Wohnzimmers gestellt. Auch die Veranda
ist ein wunderbar geselliger Platz. In Civitanova lebe ich ungefähr vier Monate, das restliche Jahr verbringe ich zwischen Corridonia, dem
Hauptsitz unseres Unternehmens, Mailand und St. Moritz, unserem Winterdomizil. Ein kurzer Sprung ins Wasser nach einem langen Arbeitstag und dann Dinner mit Blick auf das Meer – welch Entspannung. Ganz nah sind schöne Strände, Beachclubs, lange Radwege und
hervorragende, ursprüngliche Fischrestaurants. Eines meiner liebsten ist „Clandestino Susci Bar“. Es wird von dem Koch Moreno Cedroni
geführt, der italienische Zutaten und Lebensart mit japanischen Einflüssen verbindet. Auch die Lage ist toll, mitten auf einem kleinen
Felsen, direkt an der Küste bei Ancona. Ja, Civitanova möge immer der glückliche Zufluchtsort für meine Familie und mich bleiben.
Marsch,
Marsch!
CATHLEEN NAUNDORF
Je zwei Tiere jeder Art
sollten sich auf dem
sicheren Boot Noahs
einfinden. Die Fotografin Cathleen Naundorf rettet in ihren
Arbeiten bevorzugt
die hohe Schneiderkunst, unter anderem
von Dior, Chanel und
Valentino. Pärchen
gibt es hier nicht, sondern Unikate, aber
gerade die wollen ja auch bewahrt werden. Die
Ausstellung „Noah’s Ark“ ist noch bis 19. Juni in
der Londoner Hamiltons Gallery zu sehen.
BLIESWOOD
VERLÄSST SEIN
TERRAIN
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In einem Gespräch mit dem Philosophen Wilhelm Schmid über Inspiration, Ideen, den Heiligen Geist und die schöpferische Kraft der Sexualität sagt er: „Wenn der Kopf zu stark beteiligt
ist, also das bewusste ‚Ich‘, wird das nichts. Schalte ich aber den Kopf aus, kann sich Sinnlichkeit
entfalten.“
JA! Und ja, dies gilt gleichsam und umso mehr
für die Kunst. Moderne Kunst scheint den Kopf,
das Kognitive so sehr ins Zentrum des Schaffens
zu setzen, dass nicht nur die Sinnlichkeit, sondern sogar für den geübten Betrachter der Sinn
abhanden kommt. So sehr bemühen sich die
Kunst-Konstrukteure den Kopf zu zelebrieren,
dieses intellektuelle „ES“, dass man nicht umhin
kommt zu glauben, sie fürchten die Sinnlichkeit,
die aber unser Bindeglied zur Kunst, dem Werk
ist. Denn wo wir nicht mehr „begreifen“, erfühlen
und bewundern können, verliert das meiste Gemachte und Erdachte den Sinn. Und nichts ist
schlimmer als Sinnlosigkeit. Es ist ein körperlich
spürbarer Verlust, eines der schmerzlichsten Gefühle, das Menschen haben können. Wann, und vor
allem WARUM passierte es, so fragt sich der
Florentine
Kunstliebhaber in mir, dass sich Sinn und SinnlichJoop
keit so sehr trennten, die Kunst so abstrakt wurde,
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so konzeptuell durchdacht, so entkoppelt von den
und Autorin
Kunstsuchenden und kunsthungrigen Seelen, die
in Berlin
einfach nur bedacht, miteinbezogen sein wollen.
Die Sehnsucht nach Sinnlichkeit treibt, nein spült
sie quasi durch die Ausstellungen der Künstler, die sich noch
wagen, sinnlich zu sein in ihren Werken. Die uns mit erregenden
Farben und begreifbaren Formen, geliebten und verehrten Motiven begeistern. Frauen machen das ja öfter. Vielleicht einer
der Gründe, warum das Zitat von Baselitz sich mir so eingebrannt hat, dass „Frauen einfach nicht malen können“. Im allgemeinen Kunstverständnis mag das sogar stimmen, denn Frauen
machen einfach viel zu oft viel zu sinnliche Kunst. Immer diese
vielen Farben, so viele Schichten, so ungebremste Leidenschaft, so wahnsinnig erregend und immer malen sie Menschen, Portraits und irgendwann doch Kinder und Landschaften, so sehr haften sie an der Fleischlichkeit, statt sie
zu überwinden. Dann noch diese eindimensionale
Frauenthematik der Unterdrückung und/oder weibliche Weltanschauung, kaum eine schafft es so ins MoMA. Da erinnere ich mich (nicht ohne Wonne) an den
scheinbar schlimmsten Kritikpunkt an meiner Malerei
während meines Studiums. Da war von „vordergründiger Sexualität“ die Rede und ich müsse (mich?) „da“
mehr zurücknehmen – ich zitiere nur. Möge doch endlich wieder gelten: Kopf zu und Sinne auf! Möge die
Sinnlichkeit den Sinn wieder mit dem Über-„Ich“ vereinen, die sprachlose Bewunderung Einzug halten in
den Hallen der Künste, auf dass wir wieder Mensch
sein dürfen und es wieder ein Lustwandeln sei, was uns
erwartet, wenn wir den documenta-Jutebeutel umschnallen, beim Betrachten der Exponate.
GETTY IMAGES
Sinn und
Sinnlichkeit
FLORENTINE JOOP
Ich war – wo ich nie war – an nur einem Tag.
Morgens: In der Oase der Winde – St.
Peter Ording, „Beach Motel“ (Long Island
Touch, Hunde-Paradies, „Jever“-Suite mit
privatem Bier-Zapfhahn). Tipps: Strandbar
54, Axels Strandhütte, Schnupperkurs
Strandsegeln. Abends: Florenz, „Villa Medici“ – Penthouse-Blick. Von der friesischen,
endlosen Nordsee ins rätselhafte Manhattan der Renaissance. Augen und Herz
lernen das Staunen neu
– raus aus der LuxusKomfortzone des Geliebten. Ich war hundert
Mal in New York, Venedig, London, im „Sansibar“ und „Borchardt“.
Herz, Kehle, Konto
waren es gefühlte
David Blieswood
tausend Mal. Aber
Connaisseur aus Hamburg
vielleicht betäuben
wir durch Wiederholungen unsere Glückssensoren. Also:
Brechen Sie aus aus Ihrer Routine! (Sylt
sinkt nicht!) Lebensgefühl: Vespa statt
Range Rover! Ich war noch niemals in Afrika – und noch nie im „Motel One“ oder in
Birkenstock-Schuhen. Wer zum ersten Mal
mit der Bahn vom Flughafen Orly nach
Paris reinfährt, entdeckt Frankreich neu.
Wochenendreisen ohne Koffer? Es befreit!
Und EasyJet ist die neue Businessclass der
Frei-Flieger. Von Berlin nach Hamburg
entschleunige ich im Budapest-IC. Ohne
Rimowa-Manager, mit Zapf-Bier und Gulasch. Fährt 30 Minuten länger, aber
schenkt Lebenszeit. Das Unbekannte ist
das neue New. Hab’ mir jetzt eine schwarze
Apple-Watch bestellt – arme, gute Rolex!
HOW TO ART – TEIL IV:
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Bravo Prada
CAPRI, AMORE MIO
Kaum ein italienisches Modelabel ist weltweit so stilprägend
wie das Haus Prada. Ein eigener
Lifestyle-Kosmos, seit 1978 inspiriert von Miuccia Prada, der
Enkelin des Firmengründers.
Der Bildband „Pradasphere“
fasst die gleichnamige Ausstellung zusammen und erzählt mit
großformatigen Fotos und Texten von der Geschichte, dem
Look und den Gestaltern.
Erschienen im White Star Verlag
WURST UND WEIN
Ferragamo
feiert 150 Jahre
Heimat Florenz
mit einer
Ausstellung
„ A PA L A C E A N D T H E
CITY“ MUSEO
F E R R A G A M O, F L O R E N Z
20
siggi-spiegelburg.de æ LEIHMODE: Im
„Hôtel Particulier Montmartre“ können
sich Gäste bis 28. Juni von Videdressing
einkleiden lassen. Größe nennen,
schon hängt die Abendgarderobe im
Schrank(23 Avenue Junot
in Paris) æ SCHICKE
BÄSSE: MCM gibt eine
limitierte Kollektion der Beats by Dr.
Dre Kopfhörer im
cognacfarbenen Design heraus, über
mcmworldwide.com
Ein Besuch auf einem Weingut ist schon etwas Feines. Natur, Erholung, hoffentlich köstlicher Wein – schöne Aussicht in jeder Hinsicht. Noch feiner ist es natürlich, ein Weingut zu besitzen. Die
Prominenz weiß das und hat sich einige jener himmlischen Orte
gesichert. Dann steht auf der fertigen Flasche zum Beispiel „Barrymore Pinot Grigio“ oder Sting schickt eine Kostprobe „Sister
Moon“ rüber. Und wer würde nicht gern mal mit Günther Jauch
anstoßen? Ja, es ist einfach, das Winzerleben lieb zu gewinnen.
Mein (nach Sylt natürlich) Lieblingssommerort liegt übrigens auch
auf einem Weingut. Bei Robert Weil in Kiedrich. Keine Sorge, den
Ort muss man nicht kennen, aber gesehen sollte man ihn trotzdem
haben. Die Gemeinde liegt im Rheingau, grün, gotisch, mit Fachwerkhäusern. In einer etwas üppigeren Variante
jener Gebäude ist seit 1867 das Weingut von Robert Weil beheimatet. Der war wiederum auch ein Quereinsteiger
und verdiente sein Geld ursprünglich als Professor für Deutsch an der Pariser Sorbonne. Heute führt sein Urenkel, Wilhelm Weil, die Geschäfte und lädt gelegentlich auf einen hauseigenen Riesling. Mein Favorit ist der
„Turmberg“, trocken mit Auszügen von Aprikose, Kräutern und Zitrusfrüchten. Passt perfekt zu asiatischer Küche.
Bei den Weils gehört es allerdings zum guten Ton, abends den Grill auf der Terrasse anzuschmeißen. Dann gibt
es Bratwurst zum Riesling. Was für Querdenker. Köstlich.
Herbert Seckler
Kultwirt vom
Sylter „Sansibar“
MARTIN LENGEMANN
Der Sommer beginnt für mich immer mit dem ersten Juniwochenende. Auf Capri. Viele denken dabei gleich an ein Klischee,
an Fotos von Jackie O., die in den kleinen Gassen von Paparazzi verfolgt wird. An Gianni Agnelli, Milliardärsyachten und die ganze italienische Flamboyance. Auch ich war voreingenommen und hatte mehrere Einladungen von Freunden immer ausgeschlagen. Zu viel Bling, zu touristisch, zu
Pflicht-Kleidung: Tod’s hat
hektisch. Bis ich vor fünf Jahren zum ersten Mal doch ein Juniwochenende auf
in diesem Sommer ein
der Insel im Golf von Neapel verbrachte.
limitiertes Capri-Paar
An einem frühen, grauen, regnerischen Berliner Morgen flog ich nach Neapel
entworfen. Wo man es
kaufen kann? Ab Juni –
und saß um 13 Uhr bereits im „La Fontelina Beach Club“ mit Blick auf die Faraglioni
Felsen und das blaue Mittelmeer. Linguini con frutti di mare, Limoncello, Sonne, klar, nur auf der Insel
(Piazza Umberto I)
Meer, Entspannung in Sekunden. Meine Bekehrung war augenblicklich! Ich habe mehrere Leidenschaften: Schwimmen, gutes Essen, lange Spaziergänge, die Natur, Lektüre, Architektur ... Jeder Tag ist hier ausgefüllt. Umso mehr, da ich ein Frühaufsteher bin. Das erste
morgendliche Bad im Meer, lesen, lange Spaziergänge zur Villa Malaparte, die Via Krupp entEmmanuel
UND SONST NOCH
lang, zur Tiberius Villa, atemberaubende Aussichten. Ein Aperitif am Abend auf der Terrasse
de Bayser
DARF EINER MEHR SEIN: Die fröhlichen
des „Quisisana“ ist ein tägliches Muss. Der Heimweg durch die winzigen Gassen bestätigt imMitbesitzer
mer
wieder:
Man
kann
vom
Jetset
sagen,
was
man
will,
sicher
ist,
dass
er
schönste
Ferienorte
Kunststoffarmreifen
von Siggi Spiegelvon The Corner
und exquisite Plätze entdeckt hat.
Berlin
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Tanzanite“ von Boucheron
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Neue Welle: OPILack „This Color’s
Making Waves“
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Crop-Bluse von Asos
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Nocturne“ von Isabey
Für Blumenkinder: WildlederBeuteltasche von Miu Miu
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Love, Peace und
Chanel: Der Nagellack
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von Alfred Wilm im Jahre 1906 entdeckten Flugzeugaluminium gebaut. 1950 präsentierte
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des geringen Gewichts – eine Pionierleistung in der Branche.
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K
önnen Computer irgendwann uns Designer ersetzen? Ich habe
befreundete Künstler,
Architekten und Autoren gefragt, wie und
womit sie anfangen. Alle gaben mir dieselbe
Antwort: „Mit einem Stift und einem Blatt Papier“. – „Warum nicht mit einem Computer?“,
fragte ich sie. Vielleicht, weil Computer zu genau sind, keine Zweifel kennen. Keine Intuition. Schöpferische Prozesse beginnen mit einer Idee, aber auch mit vielen Zweifeln. Und
manchmal auch mit vielen Ängsten. Computer haben keine Intuition.
Gestern früh tippte ich in meinen Computer
die Frage: „Wie ist das Wetter in Florenz?“ Die
Antwort lautete: „24 Grad“. Dann fragte ich:
„Liebst du mich?“ Und die Antwort war: „Woran erkenne ich das?“ Computer sind so: Hirne ohne Herzen. Bei Maschinen gibt es immer
ein System; wir leben in einer Welt voller Systeme. Wir können uns anpassen, aber wir können auch versuchen, das System an unsere Bedürfnisse anzupassen. Kürzlich machten wir
in Dubai eine Modeschau in sehr intimem
Rahmen, gefolgt von einem Gespräch. Das
sind Augenblicke, die ich liebe. Wir sprachen
über Mode, Ernährung, Kalorienzählen, Botox
und Haarverlängerungen. Und wie immer
wurd mir dieselbe Frage gestellt: Warum gibt
es in den Geschäften keine größeren Größen?
Eine der Damen erzählte, dass viele andere
Modehäuser sie mit einem Privatjet abholten
und ihr eine Maniküre und einen Friseur
schickten – und die ganze Präsentation exklusiv für sie sei. Sie ist eine Prinzessin. Wir aber
hätten keinen Jet geschickt und auch keine
Stylisten, und sie habe sich die Show gemeinsam mit anderen Kundinnen ansehen müssen.
Das Erste, was mir dazu einfiel, war das Beratungsunternehmen, das eine New Yorker
Freundin kürzlich gegründet hat: „Es geht da-
Wir
brauchen
Träume!
Alber Elbaz ist der
hochgeschätzte Designer
von Lanvin, ein begnadeter
Redner und Komödiant.
Bei der Luxus-Konferenz
von Suzy Menkes und
Condé Nast in Florenz
sprach er gewohnt lustig
über ein ernstes Thema.
Hier ein Auszug
24
rum, den Leuten beizubringen, wieder in kleineren Dimensionen zu denken.“
Wir haben das Event in Dubai auf unsere Art
gemacht. Es war keine Penthouse-Party im 99.
Stockwerk mit Blick auf Wüste und Meer. Es
war eine Gartenparty unter freiem Himmel
mit viel Körperwärme. Es war echt heiß. Wir
hatten 200 Kundinnen eingeladen, es kamen
400 – und sie brachten ihre Ehemänner mit.
In drei Stunden habe ich 387 Selfies aufgenommen: mit den Damen, mit den Damen
und ihren Ehemännern, dann mit den Damen
und ihren Freundinnen. Es nahm kein Ende,
aber es war toll. Danach traf ich den CEO von
Van Cleef und sagte: „Nicolas, ist dir klar, dass
von 60 Kundinnen, die wir in Dubai getroffen
haben, 45 Schmuck von Van Cleef trugen?“
Und er sagte: „Nun, dann müssen wir die restlichen 15 auch noch kriegen.“ Ich fand, dass die
Antwort sehr typisch ist für einen CEO.
Designer haben es zurzeit nicht leicht. Sie sollen eine Idee haben, inspiriert sein und dann
den Taschenrechner rausholen. Doch wir
brauchen Träume, eine Vision. Wir müssen
wissen, wovon die Menschen morgen träumen. Als ich vor vielen Jahren anfing, ging es
in den Gesprächen über Design darum, ob es
gut oder schlecht oder schön ist. Heute sprechen wir von „intelligentem Design“.
Vor drei Tagen flog ich nach Paris. Die Stewardess erklärte, dass sie jetzt „intelligente Sitze“
in der ersten Klasse hätten. Meine Güte! Die
hatten drei Tasten an der linken Seite, auf der
rechten gab es einen abnehmbaren Bildschirm, und die Stewardess sagte: „Sie brauchen nur zu navigieren.“ Und ich dachte bei
mir: Ich bin aber kein Navigator! Der Pilot soll
uns einfach sicher nach Paris fliegen, und ich
möchte hier nur sitzen, ein Buch lesen und
meine Füße hochlegen. Als ich zum achten
Mal die Stewardess um Unterstützung bitten
musste, dachte ich: Lass es lieber, sonst ist
dein Ruf dahin. Also tat ich einfach, was der
Sitz von mir wollte.
Vor etwa einem Jahr arbeitete Iris van Herpen
bei mir im Atelier und verwendete einen intelligenten Stoff. Alle waren total begeistert,
weil es ein Hightech-Material war und eine
Innovation. Es war nicht besonders teuer – eigentlich war es sehr, sehr günstig –, aber es
war ein schönes Material. Im Endergebnis
kostete das fertige Kleid doppelt so viel wie
üblich, denn wir mussten alles per Hand nähen. Die herkömmliche Nähmaschine hat den
Stoff völlig zerfetzt. Außerdem musste die Näherin Gummihandschuhe tragen. Sie sagte,
dass sich der Stoff wie menschliches Haar verhalte und sie ihn nicht richtig festhalten könne. Wir brauchten fünf Tage, um ein Stück fertigzustellen, für das wir normalerweise zwei
Tage gebraucht hätten. Nicht jede Innovation
funktioniert tatsächlich. Manchmal ist das Ergebnis enttäuschend, aber es ist wichtig, Teil
dieses kreativen Prozesses zu sein – an die
Möglichkeiten von Innovation zu glauben und
weiterzuexperimentieren.
Bei Azzedine Alaïa war ich in Paris zu einer
Party anlässlich des iWatch-Launches eingeladen. Er veranstaltet die besten Dinner-Partys
in ganz Paris. Alle haben Spaß und sind glücklich; das Essen ist großartig. Ich kam zu spät –
viel, viel zu spät. Und ich sah die ganzen Vertreter unserer Branche da sitzen, hatte eine
Außenperspektive auf den Raum, weil ich
nicht an einem Platz saß. Unsere Branche, die
Modebranche, wirkte ein bisschen müde, verwirrt, gestresst und nervös. Aber die anderen,
die Jungs von Apple, Mann, sahen die sexy,
glamourös und gut aus! Die hatten Spaß! Auf
dem Weg nach Hause musste ich weiter darüber nachdenken: Wie ist es dazu gekommen,
dass die Technologie der Mode den GlamourRang abgelaufen hat?
Wir Modeleute können Gefühle erschaffen,
und zwar mit ganz einfachen Mitteln: Wir
brauchen nur Stoff, eine Näherin, Nadel und
Faden, ein wenig Liebe und Zeit. Wir leben
heute in einer sehr bildbezogenen Welt. Es ist
die Welt von Instagram und Facebook. Jeder
muss fotogen sein. Wenn ich heute am Anfang
meiner Karriere stünde, dann hätte ich ganz
sicher keine Karriere vor mir! Ich meine, seht
mich an: Kein bisschen fotogen! Jedes Foto,
das wir aufnehmen, posten wir. Und wir sehen
nicht, wir hören nicht zu, sondern wir denken.
Früher habe ich designt und mir dann mein
Design angesehen und meinen eigenen Augen getraut. Heute gucke ich auf den Bildschirm und entscheide so, was gutes und was
schlechtes Design ist. Aber nicht alles, was am
Bildschirm toll aussieht, sieht auch in Wirklichkeit gut aus.
In der Modebranche produzieren wir heute
acht oder noch mehr Kollektionen pro Jahr,
aber das Prinzip selbst bleibt unverändert.
Wir sollten keine Angst vor Veränderungen
haben, sondern furchtlos unsere Tradition in
Ehren halten. Und vielleicht besteht unsere
Aufgabe als Designer heute darin, Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Innovation zu
verbinden. Und wenn wir intelligente Produkte schaffen, sollten wir darauf achten, dass
sie ein bisschen weniger verkopft, ein bisschen weniger kalt sind. Denn wir Menschen
treffen Kaufentscheidungen zwar in unseren
Köpfen, doch wir lassen uns dabei meistens
von unseren Herzen leiten.
Wir brauchen mehr Schönheit, mehr Gefühl,
mehr Zusammenarbeit, mehr Körperwärme.
Und vielleicht müssen wir einander einfach
ein wenig mehr lieben.
ILLUSTRATION: ICON
ESSAY
MÉTIERS D’ART
Das muss man erst
einmal können:
Eine Couture-Kollektion
auf Tracht aufzubauen,
ohne dass es kitschig
wird. Karl Lagerfeld
ist das mit der
„Paris-Salzburg“Hommage an die
Chanel-Ateliers
gelungen. Jetzt ist sie
erhältlich. Allein
die Ohrschützer
aus Haarschnecken!
Kollektion, die
er im Dezember
im Schloss
Leopoldskron
zeigte, deshalb so
besonders gelungen.
Uns hat sie zu dieser
Collage inspiriert.
Wir baten Karl
Lagerfeld, uns
dafür den Rahmen
vorzugeben.
ZEICHNUNG: KARL LAGERFELD, FOTOS: CHANEL, GETTY IMAGES, WIRIMAGES,DPA,DPA/PA,AKG, GOURMET CONNECTION; MONTAGE: ICON
Als Kind war Karl
Lagerfeld mit seinen
Eltern häufiger in
Salzburg, wurde bei
Lanz in kleine
Janker und
Lederhose
gekleidet. Eine
glückliche
Zeit war das.
Womöglich
ist diese
27
FOTOGRAF: KRISTIAN SCHULLER
S T Y L I N G : N A D I A R AT H ;
M O D E L : K AT R I N T H O R M A N N C / O S U P R E M E M A N A G E M E N T;
HAARE & MAKE-UP: FUMIAKI NAKAGAWA C / O THE WALL GROUP; FOTO-ASSISTENZ:
LENNART ETSIWAH; STYLING ASSISTENZ: JANELLE OLSEN; PRODUKTION: ISABEL SCHARENBERG;
R E Q U I S I T E & S Z E N E N : P E G G Y S C H U L L E R ; P R O D U K T I O N S A U F S I C H T: R I C H G I L L ;
PRODUKTIONS ASSISTENZ: KRISTINE FAMBROUGH; CASTING: ANDREA DEANESI;
VIELEN DANK AN ITO-MOVERS.DE
D I E W Ü S T E
B L Ü H T
NICHTS STEHT IN GRÖSSEREM KONTRAST ZUR ZIVILIS ATION
A L S D I E S T E P P E. D E S W EG E N W I R K T D E S I G N H I E R B E SO N D E R S G U T.
WIR SIND NACH NEW MEXICO GEFAHREN, IN DIE WHITE SANDS.
UND UNSERE SOMMERMODE LEBTE RICHTIG AUF
28
Etuikleid mit Rüschen
von Sport Max
Sportliches Maxi-Kleid mit kurzen Ärmeln und asymmetrischen Netzeinsätzen. Alles von Alexander Wang
Katrin trägt ein schlichtes Etuikleid von Calvin Klein. Besonderes Detail: die Metallringe an den Trägern
32
Kleid von Ralph Lauren und Schuhe von Tory Burch
33
Sweater: Michael Kors. Hose: Schiaparelli. Schuhe: Santoni
Rechte Seite: Katrin trägt ein Spitzenkleid von Rochas. Darunter ein Petticoatkleid
und einen Faltenrock von Brunello Cucinelli. Ohrringe: Jenny Packham. Schuhe: Salvatore Ferragamo
34
Langes Kleid mit aufgenähten Blättern von Giambatista Valli. Top: Jason Wu. Schuhe: Giorgio Armani
Oben: Transparenter Rock mit Lochmuster von Talbot Runhof und Schuhe von Steiger for Akris
Unten: Kleid von Christian Dior. Shorts: Jil Sander. Gürtel: Dior. Sandalen: Cos. Armreif: Cornelia Webb
Rechte Seite: Wir sehen Rot, wo eigentlich alles Weiß ist. Bolero-Jacke mit aufgenähten Pailletten von Burberry. Kleid, Armreifen, Kette und Gürtel: Chanel
38
Kleid aus Rippenstrick mit Keileinsätzen aus Netz von Ferragamo und Schuhe von Hugo Boss
Eigentlich gibt es keinen Ort, der weiter entfernt von der Mode wäre als eine Wüste. Wo es ums Überleben geht,
kann sich der Mensch kaum darüber Gedanken machen, ob sein Erscheinungsbild zeitgemäß ist.
Gerade deswegen faszinieren große Roben als Ausdruck der Zivilisation in den kargen Sandlandschaften ganz
besonders. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Also machten sich Fotograf Kristian Schuller und die Stylistin
Nadia Rath und ihr Team auf in den Südwesten der USA. Dorthin, wo noch keine Touristenhorden die Natur mit
ihren Augen aufgefressen haben, weil es tatsächlich sehr ursprünglich zugeht. Und wir denken: Selten sind die
Gegensätze besser eingefangen, selten die Schönheit der menschlichen Kreativität und die Gefahren der Natur
besser inszeniert worden. Auch wenn Sie mit den Kleidern natürlich genauso gut in der Großstadt aussehen.
40
Jumpsuit aus Spitze mit Glitzerknöpfen von Emanuel Ungaro. Schuhe: Bottega Veneta. Ohrringe: Dolce & Gabbana
41
11
1
3
1
8
5
14
4
4
2
7
12
6
FERNWEH
9
Eingebläut
5
15
2
Sie ist altbewährt und wirkt trotzdem immer wieder neu und
frisch: Die Kombination aus Weiß und Blau. Eine sommerliche
Auswahl für die schönste Jahreszeit
13
10
7
9
8
3
10
FUSSLÄUFIG
Flachgelegt
In diesem Sommer wird es uns nicht leicht
gemacht: spitze Mules, klobige Clogs oder bis
zum Knie geschnürte Römersandalen?
6
Machen nicht immer die Beine schön.
Dafür hält sich ein Trend, der bestens zu
1. Blaue Stunde: Uhr von
Dior. 2. Ferien-Feeling:
Badeanzug von Orlebar
Brown. 3. Musterhafte
Beine: Jeans von Paige
Denim 4. Fishing for
Compliments? Ja! HaiKette von Cada. 5. Himmlisches Design: Das CropTop von Each x Other
gibt’s bei reyerlooks.com.
6. Nimm zwei: Two-ToneTasche von Prada. 7.
Azzurro! Brille von Lui
Jo. 8. Musterschülerin:
Ensemble von Hugo
Boss. 9. Einfach Spitze!
Kleid von Valentino. 10.
Blaupause: Rock und Top
von Tory Burch. 11. Feuer
und Flamme für die
Kerze von Hermès. 12.
Ganz und gar nicht kleinkariert: Outfit von Oscar
de la Renta. 13. Comfort
Zone: Shorts und Top aus
weichem Jersey von
Bottega Veneta
13
12
warmem Wetter passt: flache Schuhe.
16
1. Der charmante Hippie-Look kommt aus dem Hause Etro. 2. Glamour pur: Strass-Sandalen von Fendi. 3. Lassen Sie sich ruhig einwickeln: Schnürsandalen von Stuart Weitzman. 4. Go for Gold: Flats von Hugo by Hugo Boss. 5. Die zarteste Versuchung kommt von
Salvatore Ferragamo. 6. Nietlich! Rockige Riemensandale von Christian Louboutin.
7. Graphic Novelty: Gemustertes findet sich bei Louis Vuitton. 8. Fröhlich durch den Sommer: Schuhe von Tory Burch. 9. Feinstes Blattwerk gibt’s von Charlotte Olympia.
10. Simple Sinnlichkeit: Sandale von Sergio Rossi. 11. Schick gewickelt: Zehensandale von
Santoni. 12. Edelfeder: Schuhe von Brunello Cucinelli. 13. Safari auf dem Zebrastreifen
gibt’s bei Jimmy Choo. 14. Einfach fesselnd: Sandalen von Chanel. 15. Romantik darf gern
mal platt sein: Flats mit Schnörkeln von Unützer. 16. Kleine Kunstwerke: Die Sandalen
„Cara Frida“ von Rupert Sanderson gibt es über Stylebop.com
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Eine Auswahl der schönsten Modelle der Saison
11
43
GEBURTSTAG
Der
Meilenstein
Seit 40 Jahren versorgt Giorgio
Armani die Welt mit Eleganz. Nie
DAVIDE LOVATTI; ARMANI(2)
ließ er sich beirren. Zum Jubiläum
hat er sich und seiner Heimat
Mailand nun ein Museum geschenkt
Sein Stil: Der Designer mit einem
Model im Museum „Armani/Silos“,
oben die erste Etage. Unten das Treppenhaus im neuen Mailänder Store
G
44
anz zum Schluss, nach
etwa zweieinhalb Stunden, in denen Giorgio
Armani eine kleine
Gruppe von Journalisten durch alle Etagen
seines neuen Museums
geführt und viel erzählt
hatte, von den Looks, vom Gebäude, von den
Anfängen, von seiner Art zu arbeiten, ja, von
seinen Gefühlen, wir dann mit ihm über die
Strasse in sein „Teatro“ gewandert waren und
in den extra für diesen Abend neu aufgebauten Sesseln Platz genommen hatten, während
er davor stand wie ein Zeremonienmeister
und er wieder ausführlich erklärt hatte, wie
die Jubiläums-Show und die Videoinstallation und die Musik aufgebaut sein würden und
er über die Hollywood-Freunde, Aufregung
und sein bevorzugt zurückgezogenes Leben
im Privaten gesprochen hatte und dass er ja
schließlich über 80 sei, da drängte sich die
Frage irgendwie auf: War es das jetzt?
Für einen Moment stutzte er. Und sagte dann,
lächelnd und kopfschüttelnd zugleich: „Würde ich jetzt hier so zu Ihnen sprechen, wenn es
das Ende wäre?“ Zugegeben, eine komische
Frage. Nicht nur, weil Giorgio Armani so alterslos ist wie Karl Lagerfeld, blendend aussieht und hellwach ist sondern weil er auch
genauso wenig wegzudenken ist aus dem Modekosmos. Armani ist Armani, wer ihn je ersetzen könnte? Die Antwort ist unausgespro-
chen klar: keiner. Und so denkt auch keiner
lange darüber nach, am wenigsten er selbst.
Er hat alles selbst aufgebaut, alles gehört ihm,
das ganze weltweite Imperium, nie hat er sich
von Moden beirren lassen in seinem Stilempfinden, und es gibt wahrscheinlich Nichts im
Unternehmen, das er nicht weiß. Giorgio Armani hat diese Aura, die Menschen mit den
Augenbrauen steuern zu können.
Er ist kleiner, als man wahrscheinlich denkt.
Und lustiger. Und ja, auch er hat eine Katze,
Angel, die stets daheim auf ihn wartet.
Schwarz, flauschig, unbekannt. Er isst lieber
mit ihr, als dass er Gäste hat. Der Gegenentwurf zu Lagerfelds Choupette, allerdings nur
zufällig, dabei gleichermaßen vom Besitzer
geliebt. Was man sonst mit dem Namen Giorgio Armani verbindet, entspricht der Erwartung. Seine persönliche Eleganz, seine Perfektion, seine Nähe zu Hollywood, die unbedingte Ästhetik, das Strahlen-können auf Kameraklick. All das war zu besichtigen, als er den 40.
Geburtstag seines Unternehmens feierte. Passenderweise am Vorabend der Expo-Eröff-
nung, einem anderen Jahrhundert-Ereignis
in Mailand. Angereist waren Gäste aus aller
Welt – und auch Italiens Ministerpräsident
Matteo Renzi machte mit Frau und Tochter
seine Aufwartung. Armani gehöre zum „Kapital
Italiens“. Er meinte es
nicht monetär. Gut abgeschirmte
HollywoodStars sprechen nicht
gern bei solchen Events,
aber die Anwesenheit in
der ersten Reihe sprach
ohnehin für sich. Cate
Blanchett, Leonardo DiCaprio, Hillary Swank,
Pierce Brosnan, Glenn
Close, Tina Turner und
natürlich Sophia Loren
und Claudia Cardinale.
Unter anderem. Alles
auch Kunden. Nur Richard Gere konnte nicht
kommen. Mit dem Film
„American Gigolo“ hatte
dessen wie Armanis Karriere abgehoben, seither
galt der Italiener als der
Erfinder des CelebrityDressings.
Doch es wäre albern, ihn
darauf zu reduzieren. Das
wird spätestens klar,
wenn man vor dem imposanten Betonklotz an
der Via Bergognone steht, gleich gegenüber
vom Teatro Armani, wo die Schauen stattfinden, und den Büros. Der Klotz war mal ein Getreidesilo, vor ein paar Jahren hat Armani den
45.000 Quadratmeter großen Brocken gekauft und ihn in Vorbereitung auf das Jubiläum in ein Museum verwandelt, das über drei
Etagen in Stoff, Bild und Technik von einer
Karriere erzählt, die zum Kulturerbe Italiens
gehört. „Armani Silos“. Den Namen hat er bewusst behalten. Mode sei schließlich Futter
für die Seele. Es ist aber kein Museum im historisierenden Sinn. „Es ist ein Platz, den ich
meiner Stadt schenke und wo ich meine Arbeit und Träume versammelt habe.“ Wo gern
auch junge Designer gesehen sind. „Haben sie
keine Angst vor Kopien?“ Die blauen Augen
blitzen auf. „Wieso? Ich habe nichts zu verbergen.“ Es sind ja alles seine Originale.
Im September kommt das große Buch. Es war
zum Jubiläum nicht fertig, jedenfalls nicht
perfekt. Er bleibt sich halt immer treu. Und
IG
die nächste Kollektion wartet schon.
GEBURTSTAGSSTRECKE
G
Elegant, was sonst
Gäbe es einen Geigerzähler für Macht und Einfluss in der Mode, hier in der Via Borgonuvo 11 in
Mailands Innenstadt würde das Gerät vermutlich heiß laufen. Von einem historischen Palazzo in dieser
schmalen Seitenstraße lenkt Giorgio Armani bis heute die weltweiten Geschicke seines Imperiums.
Wenn er es wollte, könnte er inzwischen vermutlich aus einer eigens entworfenen Skyline heraus agieren. Stattdessen herrscht auch im Hauptsitz genau jene Art von dezenter Eleganz, die sich seit vierzig
Jahren durch die Kollektionen seines Labels zieht. Kein Element drängt sich in den Vordergrund – und
doch ist jedes Detail und das Zusammenspiel der Formen ein Ausdruck von stilistischer Überlegenheit.
Wenn also Armani anlässlich seines Jubiläums eine „New Normal“-Kollektion herausbringt, so sagt das
sehr viel darüber aus, wie hoch die Messlatte für „Normalität“ im Hause Armani hängt. Und welches
Frauenbild damit verbunden wird: Denn in der Mode wollen Frauen vieles sein – meistens nur nicht
„normal“. Die Frau, die sich traditionell für Armani interessiert, ist so wenig Heimchen am Herd wie
Show-Off-Girl. Die Teppiche, auf denen sie spazieren geht, sind selten rot. Eher geht es um die
Auslegeware in ihrem Büro. Sie arbeitet hart, ihre Silhouette ist weich geblieben.
In Armanis „New Normal“-Kollektion bilden warme Beige- und Cognactöne einen eleganten Kontrast
zu kühlerem Grün und Blau. Ähnliche Farbkombinationen finden sich auch im Armani-Hauptsitz wieder, im Terrazzoboden, an den Wänden und den Fensterläden. Fast wirkt es, als hätte der Designer die
Kollektion aus dem Sandstein herausgeschnitten, als hätte er Stein in Stoff verwandelt.
Signore Armani, der auch privat in der selben Straße wohnt, ist unzählige Male über den Hof und durch
die Räume gelaufen. Er ist Teil dieses Settings, er hat es verinnerlicht: „Die Kollektion ist die Essenz
meines Stils, entworfen für moderne Frauen, die pragmatisch sind, feminin und aktiv.“
Wenn das die neue Normalität ist, wären wir gern dabei.
Durch und durch Armani: Model Roberta im
Innenhof des Palazzos in der Via Borgonuovo
Seit vierzig Jahren macht Giorgio
Armani Mode, seinem ganz eigenen
Stil ist er immer treu geblieben. Den
beliebtesten Looks hat er eine Jubiläums-Kollektion gewidmet, die jetzt in
die Geschäfte kommt. Wir haben sie
in Mailand fotografiert, im Hauptquartier, quasi beim Chef zuhause
FOTO: WOLFGANG POHN;
STYLING & PRODUKTION: DANIEL SARTORE;
HAARE & MAKE-UP: FRANCO CHESSA
C/O WM MANAGEMENT MILANO;
MODEL: ROBERTA CARDENIO
C/O WHY NOT MODELS MILANO
FOTOASSISTENZ: MARKUS KLOIBER;
BILDBEARBEITUNG: MALKASTEN
47
„ Eleganz ist das Gegenteil von
Exhibitionismus. Sie ist heute rational,
bequem, innovativ in der Fertigung und
kommt ohne unnötige Extravaganz aus.”
GIORGIO ARMANI
48
ARCHIVI FOTOGRAFICI GAROLLA
Der Firmengründer grüßt in
Öl, der CEO reißt Witze, und
der Nachwuchs hat eine
eigene Schule: So geht’s zu
beim Global Player Kiton
Nennt mich einfach Stylomat: Der Regisseur Vittorio De Sica steckt sich im Vittoria-Tunnel eine Filterlose an – selbstredend im Maßmantel von Rubinacci
Nimm die Hände: Zuschnitt und Nähte
werden bei Kiton nicht den Maschinen
überlassen – und Maradona schaut zu
MASSARBEIT
Der Schneid
Neapels
Nichts kleidet den Mann im Sommer wie ein Anzug aus der Stadt am
Fuß des Vesuvs. Aber wie ist es um die Schneiderei dort bestellt?
Philip Cassier (Text) und Massimo Rodari (Fotos) begaben sich auf die
Suche. Sie fanden mehr, als sie vorher zu hoffen gewagt hatten
P
50
ünktlich, als im Konferenzraum die ganz alltägliche
Langeweile auszubrechen
droht, dreht der Unternehmensgründer die Situation.
Seit einer knappen halben
Stunde hängt Kitons Besuch
aus Deutschland nun schon beschäftigungslos
am langen, dunklen Holztisch herum; der
CEO des exklusiven Herrenlabels ist im Gespräch, der dritte Espresso ist getrunken, da
vernehmen die Ohren ein Surren. Augenpaare richten sich au die Tür – und da kommt er
in seinem elektrischen Rollstuhl herein: Ciro
Paone, das graue Haar sauber aus der Stirn gekämmt, eine dicke Hornbrille auf der Nase, einen makellosen grauen Flanell-Zweireiher
mit breitem Revers am Körper. Seit ihn ein
Schlaganfall traf, ist Kitons Übervater teilweise gelähmt, er kann kaum mehr sprechen.
Und doch reicht nun ein Blick in die Runde,
dass alle ausschließlich auf ihn achten; ihn begrüßen, ihm die Hand schütteln wollen – oder
küssen.
Nichts davon geschieht aus Mitleid. In Paones
Heimat Neapel mag der Begriff padrino oft
genug Herren vorbehalten sein, die in den Geschäftsbereichen Mord, Drogen, Glücksspiel,
Erpressung und Prostitution Erfolge feiern –
aber nicht, wie er, mit hochwertigen Herrenanzügen. Doch es ist auch bei ihm unvorstellbar, dass je etwas passiert, das nicht exakt in
seinem Sinne wäre. In weniger als 50 Jahren
stampfte Paone sein weltumspannendes Lifestyle-Imperium buchstäblich aus dem Boden.
Ein Mann aus dem Reich der unbegrenzten
Ambitionen, herrisch und bescheiden zugleich, der jede bequeme Durchschnittlichkeit um sich herum jedes Mal vorantrieb, immer neuen Zielen entgegen. Er kommt noch
regelmäßig in sein Hauptquartier mit Lichthof, Holzvertäfelungen und kleinen Altären,
die hier Krippen heißen. Die Hälfte der mittlerweile mehr als 700 Mitarbeiter hat Paone
in Neapel stationiert, er kennt sie alle, von der
Näherin bis zum Koch. Zweimal muss dieser
Pate nun ansetzen, sein Gesicht verzieht sich,
erst dann bekommt er ein Wort heraus: „mangiare“. Augenblicklich setzt sich alles in Bewegung zur Kantine. Dort wird der Mann, der am
Eingang in Öl gemalt grüßt, im schlichten
Ambiente mit der offenen Küche im Kreis der
engsten Mitarbeiter weiße Bohnensuppe zu
sich nehmen und Pasta mit Tomatensoße. Alles marktfrisch, versteht sich, und zum
Schluss umarmt Paone seinen Neffen, den
CEO Antonio De Matteis. Ein Wink: Die Tafel
ist aufgehoben.
Überall auf der Welt gehört mehr zur Mode als
das Wissen um Schnitte und Verarbeitung.
Doch wer in Neapel überleben will, muss im
Zwischenmenschlichen ein Genie sein. „Ein
Paradies, bewohnt von Dämonen“, so fasste
Goethe die Seele der Stadt Ende des 18. Jahrhunderts zusammen. Viel weiter sind sie seither nicht gekommen. Vielleicht liegt es daran,
dass sie in der Nähe des Vesuvs leben: Der Vulkanausbruch, die ultimative Katastrophe, ist
gefühlt jederzeit möglich. Vielleicht liegt es
auch daran, dass in dieser Stadt, seit die alten
Griechen sie gründeten, so ziemlich jeder mal
vorbeigeschaut hat, der über ein Weltreich
herrschte: Römer, Spanier, Engländer, Amerikaner. Durchsetzen konnte sich keiner hier,
wo der Blick aufs Mittelmeer übermenschlich
schön werden kann. Neapel steht auf einem
ausgehöhlten Fundament. Man brauchte die
Steine zum Wiederaufbau nach den Bombardements im Zweiten Weltkrieg, die Alliierten
kamen über diese Stadt ins Land.
Wer an so einem Ort lebt, der glaubt an Gott,
an Schutzheilige und notfalls an Fußballer, an
Vernunft und geschriebene Regeln glaubt er
nicht. Viele Neapolitaner schwören, das Chaos
auf ihren Straßen entstehe nur, wenn die Polizei auftauche. Hier kann sich auch niemand
hinter angelsächsischer Ironie verstecken –
das eine zu sagen und das andere zu meinen,
dafür fehlt der Platz in den engen Gassen,
wenn alle mal wieder kollektiv im Rausch
sind oder am Abgrund taumeln. Als im Januar
Pino Daniele starb, der dieses Leben in seinen
Liedern mit seiner Mischung aus Blues, Rock
und Belcanto besang, zogen Zehntausende
weinend durch die Straßen. Alles ist persönlich: Unmöglich, einen Kaffee abzulehnen –
und weil jeder einen anbietet, rennt man bald
selbst wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch
durch diese Millionenstadt, die wächst und
wächst. Du und ich, mein Freund, mein Feind,
es gibt kein Entrinnen. Und so überhäufen sie
einander mit Zuneigung oder bringen sich
um, und so sitzen sie im Garten Eden und versinken im Müll.
Für Schneider ist das wie gemacht. Kaum ein
Gegenstand ist persönlicher als ein Anzug, der
der eigenen Anatomie folgt, kaum jemand
lernt seine Kunden so genau kennen wie dieser Berufsstand; Schneider dürfen ihre Klienten sogar berühren. Da wundert es nicht, dass
Kitons Antonio De Matteis beim Besuch in der
großen Produktionshalle am Rand der Stadt
stets von der Individualität seiner Produkte
spricht. Die Angestellten arbeiten unter den
Neonröhren so nah an den Methoden eines
Ateliers, wie es geht. Der Zuschnitt, die Nähte,
Dinge wie Knopflöcher: So viel wie möglich
fertigen sie per Hand. Je filigraner es wird,
desto eher sind Frauen am Werk, sie haben
weichere Hände. Auf einem Stück Vikunja hat
Enzo Grassia mit Schneiderkreide die Teile eines Jacketts aufgezeichnet, es wird zu einem
12.000-Euro-Anzug gehören. Er schneidet
nach den Maßen des Kunden – das bedeutet,
die Musterschablonen aus Packpapier hat er
vorher angepasst. Die Augen hinter der dicken Brille zu Schlitzen zusammengekniffen,
handhabt er das Monster von Schere fast beiläufig: „Ich darf nicht nachdenken, sonst werde ich nervös“, sagt der 41-Jährige, dessen Vater bereits Schneider war. Hinter ihm an der
Wand grüßen die Heilige Jungfrau und Diego
Maradona: Die eine behütet alle, der andere
beglich auf dem Fußballplatz einige Rechnungen mit dem Norden – persönlich selbstredend, in seiner Mannschaft gab es sonst keinen herausragenden Spieler. Daneben steht
De Matteis, zwinkert schalkhaft mit seinen
braunen Augen und reißt auf Neapolitanisch
einen Witz. Nur wer hier aufwuchs, wird ihn
verstehen.
Mehr als 20.000 Anzüge entstehen jedes Jahr
auf diese Art. Das neapolitanische Jackett ist
für seine besonders weiche Verarbeitung und
viele Stiche bekannt: Das Revers, die aufgesetzten Seitentaschen und die bootsförmige
Brusttasche werden doppelt umstochen, die
Der Marmor ist echt – und der Hund
heißt wie das Unternehmen
Schulter ist ungepolstert, sodass am Ärmelansatz Knitterfalten zu sehen sind. Was sie hier
nähen, ist der Gegenentwurf zur englischen
Schule. Wo sie in London mit Steifleinen-Einlagen und Wattierungen eine Struktur schaffen, die den Mann buchstäblich ausrüstet,
dreht sich in Neapel alles um Leichtig- und
Geschmeidigkeit. Wenn man Weihnachten
auf der Terrasse feiern kann, braucht man keine Rüstung, so simpel ist das. „Der englische
Anzug trägt seinen Besitzer, bei uns trägt der
Besitzer den Anzug“, sagen sie in Süditalien.
3
Bei Kiton ist man inzwischen darauf
51
Gründer Gennaro
Rubinacci wacht an der
Wand, sein Sohn Mariano
nimmt einen Auftrag an, in
der Werkstatt über dem
Showroom arbeiten rund
40 Schneider – und das
Unternehmen gilt weltweit
als Inbegriff des
neapolitanischen Stils
Mariano Rubinacci kümmert
sich um die Stores in Neapel
und London – doch auch in
Mailand und Tokio ist man
mit Geschäften vertreten
Bei dem Blick arbeitet es sich gut: Chefschneider Andrea Covone begann als Junge, Chef Mariano Rubinacci
zeigt die gekräuselte neapolitanische Schulter – und für
besondere Stoffe haben sie einen Tresor
52
3 angewiesen, nicht zu neapolitanisch zu
wirken, sie verkaufen ja weltweit. Weich und
fließend sind die Stücke zwar – aber doppelten Umstich an Revers und Taschen beispielsweise wird man vergeblich suchen. Speziell in
England mögen manche in den traditionellen
Schneidereien das Label trotzdem nicht sonderlich. Man hört, Kitons Anzüge hätten für
die beachtlichen Preise – ab 5000 Euro geht
es aufwärts – zu wenig Innenleben. Das kommentiert hier selbstredend niemand. Aber unausgesprochen steht die Frage im Raum: Liebe Engländer, wenn ihr so schlau seid und wir
so blöd – warum macht dann unser Store in
London-Mayfair gute Erlöse, während von
euch bei uns nichts zu sehen ist?
Doch auch so große Erfolge sind für Kiton
längst nicht mehr genug. Unendliche Ambitionen brauchen ständig Futter: Geschichten
von den edelsten Stoffen, dem besten Service,
von Hemden, bei denen jedes Knopfloch per
Hand genäht wird, von Sportswear, von einer
Schneiderschule, in der 20 Nachwuchskräfte
das Handwerk erlernen; von handgemachten
Schuhen, einer eigenen Weberei und auch
von einer Damenkollektion. Für sie zeichnet
Maria Giovanna Paone verantwortlich, die
Tochter des Gründers. Im Mittelpunkt steht –
wie könnte es anders sein – das Jackett.
Die Paones tragen den Namen der Stadt damit
in jeden Winkel des Planeten. Das respektiert
in Neapel jeder. Doch lässt sich behaupten,
dass diese Marke nie ein Schneiderbetrieb im
klassischen Sinn war. Ein Kiton-Anzug
kommt zum Kunden, beim Schneider kommt
der Kunde zum Anzug. So definiert beispielsweise Mariano Rubinacci den Unterschied
zwischen Konfektion und dem, was sein Haus
tut. Von den Maßschneidern der Stadt ist Rubinacci der berühmteste – und das vermutlich, seit Marianos Vater Gennaro das Atelier
1932 gründete. Es könnte daran liegen, dass
Gennaro nicht etwa Schneider war, sondern
der Spross einer Familie aus dem Seidengeschäft. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stand Neapel in Sachen Genusssucht, Dekadenz und Schwelgerei Paris oder London in
nichts nach; etliche Klubs, Salons und um die
400 Schneidereien sind Beleg genug.
Unter den Reichen war Gennaro Rubinacci,
oder „Bebe“, wie sie ihn riefen, der eleganteste. Obwohl er nie nach London kam, studierte
er besessen den Stil der englischen Dandys,
damals das Maß aller Dinge. Seine Bekannten
– und er hatte viele – holten dementsprechend in Stilfragen seinen Rat ein. Bis er erkannte, dass er sie doch am besten in einem
eigenen Laden empfangen sollte; mehr als
Hobby denn als Einnahmequelle, ein reines
Geschäft wäre ihm zu profan gewesen. London House taufte er sein Unternehmen, immer dem Sehnsuchtsort nach.
Und sie kamen. Die Einheimischen ohnehin,
die Ausländer notfalls mit ihrer Yacht übers
Meer – und wo sie gerade da waren, bestellten
sie gern gleich mal 100 Anzüge. 50 für den
Sommer und 50 für den Winter, denn bei Rubinacci beherrschten und beherrschen sie
beides: das leichte, nur halb gefütterte Jackett
für den Sonnenschein und den schweren
Tweed für die kalten Tage. So gewaltig war der
Ruf des London House, dass selbst der Zweite
Weltkrieg ihn nicht zerstören konnte. Als
Gennaro Rubinacci 1961 unerwartet starb, hinterließ er Mariano ein prosperierendes Unternehmen. Heute liegt das helle Geschäft mit
der Werkstatt darüber in einem Palazzo im
Zentrum der Stadt, ganz in der Nähe zu den
großen Hotels mit Meerblick. Aus der Zeit
Gennaros stammt der Brauch, das Etikett mit
den Buchstaben „LH“ für London House in
den Rücken einzunähen. Dort also, wo es niemand sehen kann, ein alter englischer Brauch.
Mariano Rubinaccis Gesicht allerdings bekommt hinter der runden Brille einen leicht
grüblerischen Zug, wenn er an seine Anfänge
denkt. Er ist nicht ganz so der Typ padrino wie
Ciro Paone, aber man merkt, dass er sich bereits als junger Mann Respekt verschaffen
musste: Gerade 18 Jahre war er alt, als sein Vater starb. Die Schneider witterten die Gelegenheit, nun unter der Hand Anzüge aus dem
Atelier günstiger zu verkaufen und das Geld
für sich zu behalten. Dazu kam bald die Konfektion auf, reine Maßschneiderei war kaum
mehr einträglich genug.
Mariano Rubinacci musste schnell reagieren.
Was er tat, erzählt viel über ihn: Er beschloss,
sich zuerst London anzusehen, die Stadt, die
sein Vater nicht kannte. Ohne ein Wort Englisch zu sprechen, setzte er sich in die BritishAirways-Maschine. Deshalb verpasste er die
Ansage, dass der Flughafen wegen schlechten
Wetters geschlossen sei und man nach Manchester umgeleitet werde. Erst nachdem dort
der dritte Taxifahrer nichts mit der Adresse
des Hotels am Leicester Square anfangen
konnte, fand er jemanden, der ihn in einen
Zug setzte. In London angekommen, entdeckte Rubinacci auf der Savile Row viel Traditionspflege und in Soho den Sound der neuen
Zeit. Derart inspiriert, ging es zurück. Seither
hat er das Unternehmen immer wieder neu
ausgerichtet, bis es als Sinnbild für den leichten Anzug aus Neapel galt.
„Man muss begreifen, dass es ein Geschäft ist,
in dem es keine Perfektion gibt und in dem
Zeit keine Rolle spielen darf“, sagt Mariano
Rubinacci vor dem großen Spiegel im Anproberaum. Ein Kunde bringt gerade einen Frack
aus dem Jahr 1937 vorbei, er möchte das Stück
gern restaurieren lassen. Das ist selbstredend
kein Problem. Rubinacci fährt mit leiser Stimme fort, er könne nicht sagen, wie viel Arbeit
ein Anzug mache. Also bestimmt mehr als 50
Stunden (bei Kiton sind es 25); aber die Änderungswünsche der Kunden bei den Anproben
gingen sehr weit auseinander, es lasse sich also nicht präzise kalkulieren. Ein RubinacciStück entsteht ganz traditionell: Den Kunden
vermessen, ein Muster des Körpers in Pappe
und den Stoff per Hand schneiden, alles
vorläufig zusammennähen, erste Anprobe,
auseinandernehmen, ändern, wieder zusammennähen, zweite Anprobe, wieder ändern,
erst dann alles mit der Hand fertig nähen und
letztmalig bügeln.
Rubinaccis Zuschneider Andrea Covone, ein
73-Jähriger mit eisgrauem Haarkranz, erläutert, Perfektion sei gar nicht erwünscht: „Maschinen arbeiten perfekt. Das ist immer
gleich. Wir wollen etwas Unverwechselbares
schaffen.“ Wobei dem Unperfekten aber überaus enge Grenzen gesetzt sind: Mariano Rubinacci nennt seinen Chefschneider sicher
nicht umsonst einen „Folterknecht“. Was passiert, wenn man vor diesem Typen mit einem
verpfuschten Teil auftaucht, das möchte man
sicher nicht erleben – speziell hier, wo ja alles
so persönlich zugeht. Rubinaccis Ansatz aber
scheint zu funktionieren: Längst ist er nicht
nur in Neapel, sondern auch in Mailand, Tokio
und London mit eigenen Geschäften vertreten, seine Angestellten reisen mit Schrankkoffern voller Maßkleidung zu Kunden in alle
Welt. Sohn Luca, er betreibt das Geschäft in
Mailand, repräsentiert die nächste Generation: 20.000 Follower hat er bei Instagram, sein
Lifestyle-Blog gehört zu den weltweit prominentesten – und er hat eine kleine Kollektion
initiiert. Die Anzüge, ebenfalls im Atelier gefertigt, sind ab 2500 Euro zu haben, für die
Hälfte eines Stücks nach Maß also. Bebe Rubinacci hätte das wohl gefallen.
Mit Blick auf die beträchtlichen Preise seines
Unternehmens bemerkte Ciro Paone
einmal,
niemand
müsse viel Geld ausgeben, um gut angezogen zu sein. Tatsächlich
bemerkt
man auf den Straßen
die hohe Dichte herausragend gekleideter Männer. Unmöglich können die
alle genügend Geld
für Kiton oder Rubinacci haben – auch
3
ein Label wie
Dieses Lachen kann man nicht nachmachen: Maurizio Marinella mag Roller
– und seine handgemachten Krawatten mag jeder stilbewusste Mann
53
Er kennt sie alle: Gianluca Migliarotti (o.) drehte einen Film über die Schneider
Neapels – er empfiehlt Ware aus den Ateliers Formosa (u.) und Pirozzi (r.)
3 Cesare Attolini wäre hier noch zu nennen. Wie das geht? Ein
ausgezeichneter Ort,
es herauszufinden, ist
der Krawattenladen
von Maurizio Marinella. Sicher kein Geheimtipp, denn obwohl der Eingang an der Promenade leicht zu übersehen ist, führt Marinella
die Geschäfte in dritter Generation und feierte 2014 hundertjähriges Bestehen. Er arbeitete
auch schon für Herren mit Nachnamen wie
Clinton, Bush und Berlusconi. Doch wenn es
um faire Preise geht, ist er konkurrenzlos: Seine Seidenkrawatten können einen verschnittenen Anzug passabel aussehen lassen – und
sie kosten, von Frauenhand nach Maß gefertigt, um die 100 Euro.
Gratis gibt’s eine Behandlung, als gehöre man
zur Familie. Marinella ist ein Mann, der prinzipiell 20 Worte für seinen Kunden hat, wo drei
reichen würden – und doch ist keines zu viel.
Vor Weihnachten, wenn sie auf der Promenade Schlange stehen, schafft der leicht korpulente Mann mit der Halbglatze heiße Schokolade aus dem Café nebenan heran. Für seine
Angestellten kommt jeden Tag ein Koch, damit alle zu Mittag essen können. Wenn du einen Arzt brauchst oder einen Schneider, dann
frag ihn einfach, sagen seine Angestellten, einige sind schon seit Jahrzehnten bei ihm.
Marinella wird einen zu Nunzio Pirozzi schicken. Dessen Atelier ist das Gegenteil jedes
Flagshipstores: Man rumpelt mit einem antiken Holzfahrstuhl hinauf in den vierten Stock,
klingelt – dann wartet der Chef hinter einer
alten Holztür. Er ist schon über 70, trägt
Schnurrbart und legt sofort los: Unbedingt
möchte er vorführen, wie man einen Anzug
auch ohne Schnittmuster in Packpapier konstruieren kann. Winkelmaß und Schneiderkreide rasen unter seinen manikürten Hän-
den über den Stoff, wobei er ununterbrochen
redet. Wie so viele seiner Generation fing Pirozzi bereits als Kind an – „ohne Leidenschaft
bist du verloren“. Stunde um Stunde mit Nadel und Faden, bis die Augen zufielen. Bei seiner Stoffauswahl erlebt der Kunde, wie schon
bei Rubinacci, eine Überraschung: Die meisten Fabrikate kommen aus England und
Schottland. Italienische Ware, sagt Pirozzi, sei
eher für die Verarbeitung durch Maschinen
gewebt. Britische Wolle habe dagegen genug
Stand für die Hände – und „tutto fatto a mano“, das ist nun mal das Glaubensbekenntnis,
wie jede Naht beweist.
In Maestro Pirozzis Werkstatt ist der 75-jährige Pasquale Jovine für die Hosen zuständig.
Man sieht in Neapel viel Personal, das jenseits
der Rentengrenze arbeitet. Wohl auch arbeiten muss, denn wer einen derart arbeitsintensiven Maßanzug für weniger als 2000 Euro
anbieten will wie Pirozzi, der kann keinen
Reichtum anhäufen und zahlt entsprechend.
Hinzu kommt, dass selbst Marinella und Pirozzi kaum mehr Nachwuchs finden. Noch so
ein neapolitanischer Widerspruch: Die Jugendarbeitslosigkeit ist horrend.
Pirozzis Situation kann man noch halbwegs
komfortabel nennen: Sein Sohn Domenico, er
absolvierte Kitons Schule, und seine Tochter
Giovanna arbeiten bei ihm. Außerdem ist die
21-jährige Raffaella zu ihm gekommen. Die
ersten Monate waren die härtesten: Nichts zu
können, kaum zu verdienen und ständig korrigiert zu werden, das muss man erst einmal
aushalten. Doch Raffaella hat sich entschieden durchzuhalten. Immerhin hat sie dann
am Ende der Ausbildung etwas gelernt, auf
das sie aufbauen kann, als Schneiderin oder
Designerin. Doch auf dem Vormarsch sind die
Schneider auch in Neapel nicht mehr.
Die Nachwuchskrise sorgt dafür, dass die Namen guter, bezahlbarer Spezialisten in den
Ateliers genauso gehandelt werden wie bei
den Kunden. Man kennt jemanden, der jemanden kennt, der wieder gehört hat ... Über
diese Umwege kann man beispielsweise in ei-
Kleiner Laden, ausgezeichnete Hemden: Ciro Paradisos Geschäft
gilt als sicherer Tipp für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis
Da ist was los, wenn
man bei Maestro
Pirozzi etwas anprobiert (l.).
Im Atelier arbeiten
Alt und Jung zusammen – doch
Nachwuchs zu
finden wird immer
schwieriger
nen kleinen, dunklen Laden an der Promenade finden, in dem ein Mann namens Ciro Paradiso handgenähte Maßhemden für weniger
als 100 Euro herstellt. Er bietet auch Blazer für
rund 600 Euro an, die er in der Region anfertigen lässt. Da fällt jeglicher Zuschlag für den
Namen des Hauses weg. Auf den günstigsten
Weg zum handgearbeiteten Anzug weist der
Regisseur Gianluca Migliarotti hin. Er, der den
Schneidern seiner Heimat mit einem eigenen
Film ein Denkmal setzte, stieß bei den Recherchen auf ein grausames Spiel, von dem
Kunden profitieren können. Wie überall auf
der Welt gehören Ausstände beim Schneider
unter den Reichen Neapels zum guten Ton:
„Seit wann muss man in dieser Stadt nun
schon den Typen bezahlen, der einem den Anzug macht?“, fragte ein Edelmann einst ehrlich überrascht, als Eintreiber vor seiner Tür
standen. So gut wie jedes Atelier hat deshalb
einen „Toten Kleiderschrank“: Hier bewahren
sie die Stücke auf, die nie ausgeliefert wurden.
Ein besonders gut gefülltes Exemplar findet
sich in der Sartoria Formosa, gelegen in einem Hinterhof. Und so ist aus diesem Frühling die Geschichte eines Fotografen und eines Journalisten aus Deutschland verbürgt,
die dort mit feuerroten Ohren vor dem Spiegel Anzug um Anzug anprobierten. Alle Farben waren zu finden, Checks, Nadel- und Kreidestreifen, dazu Stoffe wie Flanell, Kaschmir,
Kammgarngemische, Tweed, ein Garten Eden
zum Bruchteil des Ursprungspreises.
Bald fluchte der Journalist, die „dämlichen
Südländer“ seien einfach „zu doof“ dazu, über
eine Anatomie zu verfügen, die seiner so weit
entsprochen hätte, dass man ein Stück auf ihn
hätte abändern können. Der Fotograf aber zog
zufrieden grunzend ein graues Flanell-Jackett
hervor. Und spätestens beim Blick in den
Spiegel war klar: Womöglich sorgen die
Schneider in diesem Paradies, das von Dämonen bewohnt wird, persönlich dafür, dass Teufel wie Engel aussehen. Aber ohne sie wäre
dieser Ort nur eine Stadt.
Mitarbeit: Maria Stella Diana
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58
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Ein Herz für Meer: Kaufen Sie,
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Gutes. Klingt nach einer TraumKombi. La Mer hat zum diesjährigen World Oceans Day, der immer
am 8. Juni stattfindet, zum siebten
Mal in Folge einen limitierten und in
diesem Jahr besonders hübschen
Cremetiegel entworfen. Mit dem
Erlös unterstützt die Marke des
Estée Lauder Konzerns den Schutz
der Weltmeere. Meerchenhaft!
Basisarbeit: Damit die leichte Bräune (hoffentlich demnächst wieder ) besonders gut zur Geltung kommt, ist glatte
Haut wichtig. Peelings sind dafür das Mittel der Wahl. Aber
bitte nicht die, die mit kleinen (Plastik-)Kügelchen die Haut
an der Oberfläche aufkratzen. Enzympeelings sind die
sanftere Methode. Noch besser: die „Osmopeel Mask“ von
Matriskin. Sie reinigt gründlich aber fein und versorgt
gleichzeitig die Haut mit Nährstoffen. Über wheadon.de
Christina und
Steffi Renchen
Inhaberinnen der
Parfümerie „Akzente“
in Pfedelbach
SOMMERGRUSS
Der Sommer ist meine liebste
Jahreszeit, und als ParfümerieInhaberin weiß ich, wie wichtig
die richtigen Pflegeprodukte
gerade in diesen Monaten sind.
Auch wenn es nicht an den
Strand geht: Sonnenschutz ist
Pflicht. Ein Produkt, das seit
2008 zum Standard-(Sommer-)
Programm von Shiseido zählt, ist
die „Tanning Compact Foundation“. Ich benutze sie in Nuance
Bronze. Sie hat eine cremige
Textur und leichte Deckkraft,
LSF 6 (bei sehr empfindlicher
Haut empfehle ich, unbedingt
einen stärkeren Lichtschutzfaktor darunter aufzutragen).
Ohne Feuchtigkeit geht ja eh
gar nichts, da empfiehlt sich das
„Hydra Beauty Micro Sérum"
von Chanel mit Kamelienextrakten, die für Extrafrische sorgen.
Mein Lieblingssommerduft? Ist
auch von Chanel. „Chance Eau
Tendre". Riecht, wie er klingt.
Doris Gabriel
Inhaberin der Parfümerie „Gabriel“ in Berlin
GETTY, KIEHLS, MONTAGE: ICON
CONDE NAST ARCHIVE/CORBIS
Eigentlich ein ungewöhnliches Bild für 1959.
Wer suchte schon
Schatten damals? Braun
war die Wohlstandshaut. Die Tradition des
Einbuddelns ist bis heute ein Sandvergnügen.
Ehrlicherweise aber
selten so elegant. Wie
heiß es wohl war? Oder
hat Fotograf Richard
Rutledge schon damals
gewusst, was die Haut
am liebsten hat? Schatten! Knackig wird sie ja
trotzdem. Schöne Zeit!
MIT HUND MUFFIN
Glück gehabt! Nachdem die
getönte Tagescreme „The Reparative Skin Tint“ von La Mer
für ein Jahr aus den Regalen
verschwunden war, ist sie nun
zurück. Leicht abgeändert, mit
mehr Lichtschutzfaktor (LSF
30). Sie ist und bleibt unser
Sommer-Favorit. Denn sie lässt
uns frisch und nicht geschminkt
aussehen und hat mit 80 Euro
einen für La-Mer-Verhältnisse
angenehmen Preis. Liebling
Nummer zwei? „Soleil de Capri“
von Montale. Das Parfüm
kommt in einem Alu-Flakon
und ist so leicht, dass es in jedes
Reisegepäck passt. Und für
noch mehr Frische empfehlen
wir den Klassiker: das Terrakotta-Puder von Guerlain. In diesem Sommer in einer poppigbunten Puderdose.
ie Enttäuschung war herzzerreißend, ganz New
York, ach was die weltweite eingeschworene Fangemeinde schien konsterniert: Nach fast 150 Jahren
Unabhängigkeit mit dem
einen, einzigen, eigenständigen Store im East Village drohte eine Ära zu
Ende zu gehen. Die „New York Times“ brachte
gleich mehrere Artikel und zitierte die Inhaberin: „Es fühlt sich an, als ob ich mein Kind
für sein eigenes Wohlergehen zur Adoption
freigegeben hätte.“ Kiehl’s since 1851, diese
sehr kleine, dabei extrem populäre und genauso eigenwillige Firma, seit drei Generationen in Familienhand, mit der Gemeinde im
ehemaligen New Yorker „Kleindeutschland“
fest verwachsen: verkauft?! Doch es war kein
Verrat. „Wir konnten einfach die enorme
Nachfrage nicht mehr bewältigen“, sagt Cammie Cannella, die im Store an der Third Avenue, Ecke 13. Straße im obligatorischen weißen Laborkittel anfing und heute als Vice President of Global Education Development tätig
ist. Jamie Morse hatte 1988 die „Apotheke“
von ihrem Vater Aaron übernommen, erkannte, dass sie die Expansion allein nicht schaffen
würde und machte schließlich L’Oréal ein Angebot: „Wir werden euch alles beibringen,
was Kiehl’s ist, und ihr schafft die Infastruktur.“ Natürlich habe sie „ihnen das Versprechen abgenommen, loyal zu unseren Werten
zu stehen“, sprudelt es aus Cammie. Und so
kam es. Seit der Übernahme im Jahr 2000
wurden 400 Filialen in aller Welt eröffnet, der
Umsatz in etwa verfünffacht. „Alles andere ist
genauso geblieben“, versichert Cammie – und
für einen Moment sind hinter der unerschütterlichen Überzeugung das Erstaunen und die
Erleichterung über den Scoop erkennbar. „Alles andere“ meint die intensive Beratung, Verzicht auf klassische Werbung, Verpflichtung
gegenüber der Gemeinde, in der man ein Geschäft betreibt, regelmäßige karitative Aktionen, Stiftungen, unter anderem für die
Hautkrebsforschung an der Harvard Medical
School, die äußerst loyale Kundschaft (davon
sind – einmalig in der Branche – über 40
Prozent männlich) und die illustre Fangemeinde von berühmten Persönlichkeiten. Julianne Moore oder Meryl Streep zum Beispiel
sieht man in „ihrer“ Filiale im Meatpacking
District am Spice Market. „Wir bezahlen
sie nicht,“ stellt Cammie sofort voller
Stolz klar.
Doch was bei all dem Kult um die
Apotheke von 1851 noch weniger
bekannt ist: „Kiehl’s verfügt über
großes pharmazeutisches, kosmetisches und medizinisches Wissen.“ Das
sagt Dr. Adam Geyer, der mit seiner Tribeca
Park Dermatology zu den momentan angesagtesten Adressen Manhattans zählt, wenn
es um Verjüngung mit Lasern und Fillern
geht. „Die Wirksamkeit der Produkte bei absoluter Verträglichkeit ist meiner Erfahrung
nach einmalig.“ Schon immer persönlich
Kunde, empfahl er die Produkte auch seinen
Patienten. „Wir verkaufen sie nicht in der Praxis, und Kiehl’s stattet Dermatologen nicht
aus. Viele Jahre nachdem ich selbst in die Geschäfte gegangen war, Produkte und Broschüren besorgt hatte, kamen sie auf mich zu und
meinten: ‚Wenn du unsere Produkte so empfehlenswert findest, warum arbeiten wir nicht
enger zusammen.‘“ Die Legende geht, dass Er-
MARKENGESCHICHTE
Von
Wurzeln
und
Lösungen
Von einer kleinen Apotheke im
East Village zum Liebling
internationaler Dermatologen.
Susanne Opalka verfolgt den
eigenwilligen Weg von Kiehl’s.
Und zwar vor Ort in New York
Gibt es ohne
Rezept: Kosmetik
von Kiehl’s
bin Jamie Morse zur Behandlung bei Geyer
war und er ihr Kiehl’s Pflege empfahl.
Inzwischen gehört der renommierte Mediziner, auch Dozent für klinische Dermatologie
an der Columbia-Universität, zum internationalen Experten-Gremium, das die Firma in
diesem Jahr zum zehnjährigen Jubiläum der
Serie „Dermatologist Solutions“ (nur unzureichend mit „des Hautarztes Lösungen“ zu übersetzen) berief. Die einhellige Meinung der
Fachleute aus der Schweiz, den USA, aus Brasilien und Korea lautet: „Es ist keine Naturkosmetik, aber sie sind unglaublich gut darin, die
bestmöglichen natürlichen Inhaltsstoffe zu
finden.“ Dermatologe Adam Geyer betont:
„Kiehl’s hat eine große Kompetenz in der
Grundlagenforschung der gesunden Haut.“
Und sein Kollege Dr. Martin Kägi, Dermatologe und Immunologe aus Zürich, bestätigt:
„Die Produkte liefern beste Ergebnisse und
sind so verträglich, dass sie auch perfekt zu
den Behandlungen in der Praxis passen.“
Das gilt für das erste Produkt der Linie
„Powerful-Strength Line-Reducing Concentrate“, das trotz 10,5 Prozent reinen Vitamin Cs
selbst für empfindlichste Haut geeignet ist
und nach zehn Jahren auf dem Markt immer
noch als State of the Art gegen Falten gehandelt wird. Und es gilt auch für das neueste Mitglied: die „Iris Extract Activating Treatment
Essence“ – eine konzentrierte, kristallklare
Lotion, die die Haut aufnahmebereit für nachfolgende Wirkstoffe macht und den Wunsch
aller nicht mehr 20-Jährigen erfüllt: der Haut
den gewissen Glow, das Strahlen verleiht. Und
zwar von innen heraus. Hintergrund: Mit etwa 25 Jahren fängt die obere Hautschicht an, immer dicker zu werden; das heißt, sie besteht aus bis
zu 30 Zelllagen, junge Haut dagegen nur aus bis zu 15. „Wenn
man nun einfach ständig Produkte darauf verteilt, die die
Ausstrahlung verbessern sollen, hat das nicht wirklich einen Effekt. Man muss die Produkte dazu kriegen, in die
Haut zu penetrieren“, erklärt
Experte Geyer. „90 Prozent des
Lichts, das junge Haut reflektiert, kommt aus den unteren
Schichten.“ Ob das tatsächlich gelingt, wird jeder selbst beurteilen
müssen. Nach ein paar Tagen mit „Iris“
in New York, versuchte mich eine Nancy
am West Broadway von einer brandneuen Kosmetikmarke und deren Produkten zu überzeugen. Sie betrachtete
meine Haut, fragte, was ich gerade verwendete, setzte zu einem Vortrag an, um
dann ganz leise, aber bestimmt zu flüstern:
„Bleiben Sie dabei.“
Im November 2003 setzte Jamie Morse-Heidegger (verheiratet mit dem österreichischen
Ex-Skirennläufer Klaus Heidegger und Enkelin von Irving Morse, der 1921 John Kiehl die
Apotheke abkaufte) höchst persönlich einen
Birnbaum vor den Store im East Village. Genau an jener Straßenecke, die früher als „Pear
Tree Corner“ bekannt war. Schließlich hatte
bereits Peter Stuyvesant 1647 hier einen Birnbaum gepflanzt. Aus Holland importiert,
wuchs er dort 220 Jahre lang, trug stets reichlich Früchte und wurde als „ältestes Lebewesen in New York” verehrt. Bis ihm 1867 ein Unfall zweier Pferdekutschen den Garaus machte. Der neue Baum gedeiht prächtig.
59
INTERVIEW
„Opium“ von Yves Saint Laurent, am liebsten
aber klare, frische, markante Herrendüfte.
Und wie übersetzt sich das in Ihre Parfüms?
Es sind zurzeit sechs Düfte, weitere werden
folgen. Die Idee war es, den Esprit, die Originalität, die Opulenz und den Freigeist der Ikone Diana Vreeland einzufangen. Wir wählten
Namen, die von den Eigenheiten und dem unverwechselbaren Ausdruck meiner Großmutter inspiriert sind: das orientalische „Extravagance Russe“, die floralen „Absolutely Vital“,
„Perfectly Marvelous“, „Outrageously Vibrant“
und „Simply Divine“ sowie den Zitrusduft
„Smashingly Brilliant“.
Sie verwalten das Erbe Ihrer Großmutter, geben Bücher von ihr und über sie heraus sowie
die Filmdokumentation „The Eye Has to Travel“. Und nun Parfüms. Wie kommt das?
Viele Menschen haben eine große Leidenschaft für Mode, aber es gibt nicht viele Ikonen auf diesem Gebiet, die genial, verrückt
und wundervoll genug sind oder waren, um in
diesem Geschäft Zeichen zu setzen und so zur
Legende zu werden. Im Film gibt es Humphrey Bogart und Audrey Hepburn; derlei Lichtgestalten sind in der Mode rar. Doch meine
Großmutter ist eine von ihnen. Sie beeinfluss-
grafen, die Hervorragendes gestalten und hervorbringen. Ich glaube, das ist eine Temperamentssache. Das hat wenig mit Geld zu tun. Es
liegt im Naturell eines Menschen, ob er etwas
aus sich macht. Wäre meine Großmutter nicht
in der Mode erfolgreich gewesen, wäre sie es
vielleicht beim Film als Produzentin, im Internet oder als Kauffrau.
Eigentlich dürfte sie auch als Vorläuferin aller
Bloggerinnen gelten. Sie schickte fortwährend
berühmt gewordene und gefürchtete Memos
und Kommentare an ihre Mitarbeiter, Fotografen und Redakteure.
Meine Großmutter war absolut furchtlos. Sie
brach und änderte die Regeln nach Belieben –
bei allem, was sie tat. Wir haben jetzt ein Buch
mit genau diesen amüsanten Memos herausgegeben. Es heißt „Memos, The Vogue Years;
Diana Vreeland“ und ist im Rizzoli-Verlag erschienen.
Ihre Großmutter verehrte die japanische Kultur. Sie fand, dass jede Frau eine Geisha-Ausbildung machen sollte, da diese der Eleganz und
Grazie zuträglich sei.
Sie interpretierte die japanische Kultur auf ihre Art, in Anlehnung an das Kabuki-Theater
mit seinen übertrieben geschminkten Mas-
Jede Begegnung
mit ihr ist
erinnerungswürdig
RICHARD AVEDON
Der
Duft
der
Großmutter
Sie war nicht gerade eine typische Omi: Von 1936 bis 1972 prägte Diana Vreeland
„Harper’s Bazaar“, danach die amerikanische „Vogue“. Ihre Exzentrik
war legendär. Uschka Pittroff traf Enkel Alexander Vreeland, der ihren Esprit
nun mit einer Parfüm- und Duftkerzenkollektion wieder aufleben lässt
60
I
In ihrer Kolumne empfahl
Diana Vreeland Champagnerspülungen für glänzendes Blond. Als Chefredakteurin revolutionierte
sie die Welt der Mode und
der Fotografie. Legendär
sind auch ihre Bonmots
sowie ihr Führungsstil, gegen den selbst eine
Dame wie Anna Wintour eher wie ein Lämmchen auftreten soll. Und bei all dem roch Diana Vreeland stets gut. Selbst ihre Kissen ließ
sie olfaktorisch akupunktieren. Im Interview
erinnert sich ihr Enkel Alexander an jede Ma-
rotte seiner Großmutter, die sie erst zu der
Stil-Ikone machten, die sie war.
Welche Gerüche verbinden Sie mit Ihrer
Großmutter?
Sie war umgeben von Düften. In ihren Zimmern standen Blumen, hier, dort, da hinten, da
drüben, überall, außerdem jede Menge Potpourris. Wenn sie bei „Vogue“ aus dem Aufzug
stieg, wusste die gesamte Redaktion, dass sie
angekommen war; die Luft war von ihrem
Parfüm erfüllt. Überall brannten gleichzeitig
Duftkerzen und Räucherstäbchen. Ich erinnere mich, dass sie Chanel-Parfüms trug, auch
Ein Publikumsrenner.
Ja! Vor meiner Großmutter bestanden Modeausstellungen aus ein paar Kostümen des spanischen Hofes, brav und steif aufgereiht, ein
professorales und akademisches Thema. Das
interessierte nur Kuratoren und Kostümbildner. Heute ist es eine aufregende Show, Entertainment. Die Museen nehmen damit das
meiste Geld ein – und heute hat auch jedes
Museum eine Kostümabteilung. Aktuelle Beispiele: die Ausstellung über Jeanne Lanvin
oder die über Alexander McQueen in London.
Diana Vreeland ließ Hunderte von Orchideenpflanzen für ein Fotoshooting nach Alaska versenden. Sie wollte, dass ein Modefotograf in Indien weiße Tiger fotografiert, und schickte
Teams wochenlang an exotische Plätze. Wäre
dieser Ansatz heute noch möglich?
Absolut. Es gibt eine neue Generation von Modevisionären, sehr coole Stylisten und Foto-
War Ihnen klar, dass Ihre Großmutter recht
exzentrisch war, oder dachten Sie, alle Omas
seien so?
Nein, ich hatte ja sechs Großeltern und damit
drei Großmütter. Mir war schon bewusst, dass
sie ein außergewöhnlicher Charakter war.
Sie sind Kosmopolit, lebten auch in Europa.
Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich bin ein Berliner.
Ach so?
Ich verbrachte sechs Jahre meiner Kindheit in
Berlin und Bonn. Außerdem prägte mein Vater Frederick, der heute in Rom lebt, diesen
legendären Satz für John F. Kennedy und
coachte ihn, ihn auf Deutsch möglichst richtig
auszusprechen. Sie müssen wissen, JFK
sprach mit einem heftigen Bostoner Singsang-Akzent, sodass man sein Englisch kaum
verstand. Also: Meine Familie ist Deutschland
eng verbunden; sie bezeichnen sich als Berliner, somit ich mich auch.
Ihr Bruder Nicky wurde tibetanischer Mönch
an der Seite des Dalai Lama, Sie Geschäftsmann. Wie kam das?
Zunächst studierte ich Marketing mit Schwerpunkten wie „Achtsamkeit für Manager“; dann
ging ich zu Giorgio Armani und mein Bruder
wählte den spirituellen Weg. Er lebt abwechselnd in Südindien und New York, wo sein
heute 93-jähriger Lehrer zu Hause ist. Wir
sind unzertrennlich, telefonieren fast täglich.
Das größte Verdienst Ihrer Großmutter?
Sie konnte Menschen inspirieren. Ihr Anspruch war, dass jemand, der die „Vogue“ gelesen hatte oder aus einer ihrer Modeausstellungen kam, das Gefühl hatte, dass es sein Leben verändert hatte. Alles, was sie anfasste,
war mit großen Umbrüchen verbunden und
hatte die Qualität des Transzendenten.
ALEXANDER VREELAND
te die Bilderwelt des 20. Jahrhunderts und unsere Auffassung von Modefotografie. Als sie
für das Costume Institute des Metropolitan
Museum in New York Ausstellungen konzipierte, war sie die Erste, die die Achse zwischen Mode und Kunst formte, mit überraschenden Gemälden, bemalten Wänden in ungewöhnlichen Farben, Objekten, Lichteffekten und natürlich Düften. Die ließ sie einfach
durch die Klimaanlage blasen.
merte ich mich die letzten vier Jahre ihres Lebens um sie. Wir waren sehr eng.
ken. Man kann doch gar nicht genug Kabuki
sein. Das Leben in seiner Banalität zu erhöhen, der Fantasie freien Lauf zu lassen, verrückte Dinge jenseits der Norm zu tun, das ist
doch erst das wahre Vergnügen. Wir brauchen
mehr Grandes Dames wie sie, die aufregende
Sachen machen.
Sie hat sich die Ohrläppchen mit Rouge geschminkt, oder?
Die Ohrläppchen? Wenn es nur die gewesen
wären. Nein, gleich beide Ohrmuscheln! Einmal saß sie mit einem berühmten Mann im
Flugzeug. Die Stewardess flüsterte ihm zu:
„Erschrecken Sie bitte nicht, die Dame neben
Ihnen bemalt sich ihre Wangen gerade dick
mit Lippenstift.“
Wie eng waren Sie mit ihr? Hat sie mit Ihnen
gespielt, wie es Omas so tun?
Mit ihr konnte man jede Menge Spaß haben.
Sie hat mich in ihr Büro in New York eingeladen, zum Lunch oder zum Dinner mit ihren
Freunden. Ich bekam einen Burger, sie ihr geliebtes Erdnussbutter-Marmelade-Sandwich
und ein Glas Whisky, dazu filterlose Lucky
Strikes. Mein Vater war Diplomat. Großmutter besuchte uns auch in Marokko, wo wir einmal stationiert waren. Ich erinnere mich an
ausgedehnte Spaziergänge mit ihr. Jede Begegnung mit ihr ist erinnerungswürdig. Als
ich mit 30 Jahren nach New York zog, küm-
Sind wir hier wieder beim Spirituellen?
Neulich erzählte einer der Designer bei Burberry, sein ganzes Leben habe sich verändert,
nachdem er alte Ausgaben der „Vogue“ gelesen habe. Das hatte einen Gedankenprozess
bei ihm ausgelöst, und er ging in die Mode. Es
gibt eine Reihe von Menschen, die meine
Großmutter nie kennengelernt haben, aber
deren Leben durch sie beeinflusst wurde.
Diana Vreeland mit Enkel Alexander auf den Schultern,
Sohn Frederick, Enkel Nicholas und Schwiegertochter Betty
61
Gemeinsam machen wir dein Blond BLOND.
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Positano und die Amalfiküste; L’Eau
d’Italie ist Duft und Dachmarke zugleich; Marina Sersale und Ehemann
Sebastían Alvarez Murena (unten)
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anchmal reichen wenige Worte für die Bilderflut im Kopf. Marina Sersale lebt heute
in Rom, aber ihre
Kindheitserinnerungen an die langen
Sommer im Hotel ihrer Eltern in Positano in
den 60er- und 70er-Jahren weiß sie eindrücklich zu schildern: „Ich denke an wunderschöne Frauen in Abendkleidern und Männer im
Smoking, an das Gefühl von Sonne auf der
Haut, an den Geruch der mediterranen Sträucher und an heiße Terrakotta-Fliesen, über die
wir Kinder barfuß hüpften.“
Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Marina
Sersale und ihr Mann Sebastián Alvarez Murena diese Erinnerung mithilfe einer Parfumeurin in einen Duft übersetzten, bestehend
aus Bergamotte, Schwarzen Johannisbeerknospen, Moschus und Weihrauch, und unter
dem Namen „L’Eau d’Italie“ in Flakons füllten.
Was ursprünglich als einmalige Reminiszenz
an das fünfzigjährige Bestehen des Familienhotels gedacht war, ist inzwischen zu einer eigenen Marke mit kleiner Flagshipboutique in
Rom gewachsen. Unter Namen wie „Un Bateau pour Capri“ (Ein Schiff nach Capri) oder
„Jardin du Poète“ (Garten des Dichters) interpretiert L’Eau d’Italie die Sinneseindrücke
mythischer Orte Italiens neu – und bringt sie
als Eau de Toilette, Seife oder Duftkerze heraus. So erreicht auch geruchlich profanere
Weltgegenden ein Hauch aus dem Land, wo
die Zitronen blühen.
Marina Sersale war lange Zeit Dokumentarfilmemacherin, ihr argentinischer Mann Journalist. Vielleicht handeln die meisten der
L’Eau-d’Italie-Düfte deshalb nicht nur von der
verschwenderischen Schönheit der Natur des
Landes, sondern auch von den Geschichten,
die diese Üppigkeit scheinbar zwangsläufig
mit sich bringt. Marinas Vater zum Beispiel,
Paolo Sersale, war nach dem Zweiten Weltkrieg ein mittelloser Marquis aus dem Süden,
dessen Familienbesitz auf ein Sommerhaus in
Positano zusammengeschrumpft war. Außerdem war er der einzige Kommunist im Fischerdorf – und dessen Bürgermeister.
Der Schriftsteller John Steinbeck, der im Jahr
1953 im Magazin „Harper’s Bazaar“ eine Reisereportage über Positano veröffentlichte,
schrieb über den Vater: „Er ist ein starker, gutaussehender Mann in den Fünfzigern, der sich
wie ein Strandgutsammler kleidet und in seinem Job als Bürgermeister sehr hart arbeitet.“
Nebenher entpuppt sich der kommunistische
Adelige als ausgesprochen cleverer Geschäftsmann: Innerhalb kurzer Zeit avanciert das
Sommerhaus der Familie unter dem Namen
„La Sirenuse“ zu einem Firstclass-Hotel –
Steinbeck beschreibt es als „makellos und
cool“.
Marina Sersales Mutter stammte aus dem englischen Hochadel, wuchs in einem Schloss auf
und flog von der Universität „weil ihr Privatleben zu extravagant war“, wie die Tochter berichtet. Zusammen mit ihrem Mann, einem
englischen Offizier, verbrachte sie ihre Ferien
in dem Ort an der Amalfiküste und machte
dort ihrem extravaganten Ruf alle Ehre: Vier
Sommer hintereinander hatte sie eine Affäre
mit dem Bürgermeister. Schließlich verließ
sie ihren Mann und England, um in Positano
ein neues Leben anzufangen: „Keine der beiden Familien war begeistert“, so Marina Sersale, „es war für die Zeit äußerst skandalös.“
Zur Hochzeit im Jahr 1960 wurde die Braut in
der Kutsche in Decken gewickelt, um sie vor
den angereisten Paparazzi zu verbergen.
„Le Sirenuse“ avancierte derweil zum Treffpunkt für viele, die man heute zum klassischen Jetset zählt. Elizabeth Taylor, Balthazar
Getty oder Ronald Reagan stiegen in dem
Haus ab. Später kamen Pop- und Filmstars
wie Hugh Grant und Sienna Miller oder die
Musiker von U2 dazu. Einige von ihnen sind
die glamourösen Gestalten aus Marina Sersales Kindheit.
Auch heute gehört das Fünfsternehotel zu
den ersten Adressen für Kenner der Amalfiküste. Als Marina Sersale und ihr Mann L’Eau
D’Italie nach zweijähriger Recherche und
Komposition 2004 lancierten, glaubten sie
noch, es sei ein Liebhaberprojekt. Doch der
weltweite Erfolg des Dufts machte aus L’Eau
d’Italie schon bald eine Dachmarke. Schließlich ist Italien reich an Gerüchen und Geschichten, bei denen selbst dem abgebrühtesten Zyniker Herz und Nase aufgehen.
Neuester Zugang ist die gerade erschienene
Komposition „From Morn to Dusk“, eine beschwingte, italienische Interpretation von
Vanille mit Kopfnoten aus Maiglöckchen und
Bergamotte und Basisnoten aus Zedernholz
und Moschus. Längst geht es nicht mehr allein um physische Orte, sondern auch um die
Abbildung eines Lebensgefühls, das, um
Steinbeck zu paraphrasieren, dem Besucher
fast unwirklich erscheint, wenn man dort ist,
dafür fast schmerzhaft bewusst wird, wenn
man das Land längst verlassen hat. Aber auch
Städten wie Venedig und Siena wurden mit
„Baume du Doge“ und „Sienne l’Hiver“ bereits duftende Denkmäler gesetzt. Ob es demnächst auch eine Komposition aus gerösteten
Kaffeebohnen, Oregano, Sonnencreme und
Zweitakterkraftstoff geben wird? Die Nase, so
viel ist klar, hat in Italien fast noch mehr zu
Heike Blümner
tun als die Zunge.
65
SONNTAG, 31. MAI 2015
UNTERWEGS
Global Diary
Erinnern Sie sich an die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
Illustriert von Tim Dinter
SARDINIEN
Als Erstes heißt es: Schuhe aus, die „Kairós“ ist ein
Barfuß-Schiff und für die nächste Woche mein Zuhause. 38 Meter lang und 8,20 Meter breit, 568
Quadratmeter Segelfläche hat der Zweimastschoner. Sardiniens nördliche Inselwelt wird unser
Revier sein, von Bucht zu Bucht, heute hier, morgen dort. Blaugrüne Badebuchten, weiße Sandstrände, die besten Sicht- und Ankerplätze, romantisch anmutende, kleine Häfen. Tagsüber segeln und Zeit für Badestopps, nachts Ankern oder
am Kai eines interessanten Hafens festmachen. Nach
dem Frühstück bespricht der Kapitän mit uns Passagieren die Route, Bordsprache ist Englisch: „It depends on the
weather“, es hängt also vom Wetter ab. Bevor wir entlang der
Costa Smeralda in See stechen, sind alle Gegenstände in den Kabinen
zu sichern. Weder das Mobiltelefon noch die Zahnpastatube sollten während des Törns umherfliegen. Bis zu 10 Knoten ist die „Kairós“ schnell – ein
Knoten entspricht einer Seemeile, 1,852 Stundenkilometer. Mein spezieller
Platz ist nicht etwa im bequemen Deckchair, ich lege mich platt auf die
sonnenwarmen Teakholz-Planken. Mein Körper hebt und senkt sich mit
dem Schiffskörper, er ist so vertrauenerweckend, aus Stahl mit Mahagoni –
beglückend das Geräusch des Windes in den Segeln.
Durch die Reling sehe ich die sardische Küste, die luxuriösen Anwesen, die
geheimnisvollen Formen der Gallura, die der Wind über Jahrtausende in
die Steine geschnitten hat. Gelegentlich zieht eine Milliardärsyacht vorbei,
MYKONOS
66
Was ist eigentlich Luxus, fragt man
sich, während der holprigen Anfahrt vom Flughafen Mykonos
zum „San Giorgio“ im Süden der
Insel, einem Hotel in Bilderbuchlage direkt am Meer, das einen
mit seiner Einfachheit rumkriegt.
Diese Facette von Luxus hat hier
einen Namen – New Bohemian Luxury – und definitiv keinen monströsen Flachbildschirm auf dem Zimmer.
Genau genommen gar keinen Fernseher,
dafür einen schwarzen Acapulco Chair, der
schlichte Retroheld der 50er-Jahre. Und da steht man
nun auf der Terrasse seines Veranda-Zimmers, die weiße Hängematte
baumelt im Wind, Dattelpalmen rauschen, ein unverbauter Blick auf die
unverschämt blaue Ägais, und weiß in diesem einen Augenblick ganz genau: Luxus ist ein dummes Wort. Warum? Weil es vortäuscht, es würde einem etwas geboten, was man sich ergaunert hat. Während man eine Weile
vor sich hin philosophiert, das bereitgestellte Bastkörbchen (18 Euro, wer
es mit nach Hause nehmen möchte) für den Strand packt, entdeckt man
den Pool und lässt alles stehen und liegen. Weiche Luft ist Luxus, Schatten, wenn man ihn braucht, eine Lagune vor der Haustür. Inhaltlich, optisch und logistisch weit genug entfernt von Hotelburgen liegt das „San
Giorgio“, aber man muss schon wissen, dass Mykonos eine Partyinsel, keine Seniorenresidenz ist. Die Beats von den angrenzenden Beach-Clubs
sind manchmal hörbar. Dann wiederum: Pfff, lass sie alle tanzen, ich bleib
hier auf meinem Kingsize Sunbed liegen und bestelle noch eine hausgemachte Rosmarin-Limonade. Geschaffen haben das Haus mit 32 Zimmern Thomas Heyne und Mario Hertel vor etwas drei Jahren. Ihr neuestes
Projekt liegt nur ein paar Gehminuten entfernt am Strand: der „Scorpios
Beach Club“. Kein weiterer protzender Strandclub, sondern eher eine Design-Fischerhütte. Eine Art Dayclub, der wie eine Festung gegen das
Hässliche auf einem Hügel liegt. Hier gibt es Ruhe, Massagen auf den Terrassen, Ceviche im Restaurant, sanfte Musik und den wohl sagenhaftesten
Sonnenuntergang der Insel: eine raue Eleganz. Aber man soll ja nicht so
viele Adjektive verwenden. Das letzte also, versprochen: magisch.
Susanne Kaloff schuf sich im Ägaischen Meer eine neue Luxus-Definition
manche haben Hund und Hundesitter mit Beiboot dabei, für
Gassigänge an Land – kurios!
Bei Windstärke 6 auf der Beaufortskala kommt für die
Sailing-Vessel Tempo mit sanfter Schräglage auf,
Gischt spritzt. Festhalten, immer „eine Hand für sich
selbst und eine für das Schiff“, sagen die Profis, das
gilt auch für uns Genuss-Segler. Den Koch bewegt
der Seegang kaum. Er bereitet unter Deck die Gänge für das Abendessen vor – auf zwei Quadratmetern Kombüse, bei Rolling-Stones-Musik. Aus den
Zutaten, die er heute in La Maddalena eingekauft
hat, der Hauptinsel des gleichnamigen Archipels. Feine Weine und Champagner liegen längst gut gekühlt in
der kleinen Bar.
Herzlich ist das Miteinander auf begrenztem Raum, Gespräche mit Tiefgang entstehen, Alltags-„Knoten“ lösen sich erstaunlich schnell, sobald das Ufer außer Sichtweite gerät. Landgänge sind möglich, aber nicht zwingend. Will ich wirklich das feudale Nachtleben von Porto Cervo testen? Nein, ich möchte nur an Bord sein! Mit der Nase im Wind,
sogar nachts. Mache die große Sonnendeckmatratze zu meinem Lager.
Kann mich nicht müdesehen an dem übervollen, mediterranen Sternenhimmel. Weit oben am Großmast leuchten die Positionslampen, er ist insgesamt 35 Meter hoch. Lange noch schallt vom Ufer Stimmengewirr und
Musik herüber. Morgen Abend wird der Kapitän mit uns möglicherweise in
die Dunkelheit hineinsegeln. Lautlos, allein mittels astronomischer Navigation. Jedoch: „It depends on the weather!“
An Bord fühlt sich Uta Petersen immer wohler als an Land
OSLO
Hat man die norwegische Hauptstadt als
Kunstmetropole in Erinnerung? Eher
nicht. Umso erstaunlicher, dass Oslo
mit einer der bedeutendsten Ausstellungen von ganz Europa lockt:
Munch:Van Gogh. Nicht weniger erstaunlich das Stadtpanorama, wenn man mit Color Line von Kiel aus in den Hafen
einfährt. Im Osten erhebt sich
hinter dem neuen Opernhaus
die just fertiggestellte Skyline
namens Barcode. Wegen ihrer
pixelartigen Erscheinung so genannt. Kurz vorm Anlegen schweift
der Blick über das Viertel Tjuvholmen (Diebesinsel) mit Hochhaus-Architektur sowie dem ebenfalls neuen Astrup
Fearnley Museum von Renzo Piano, unter segelartigen Glasdächern die hochkarätige Modern Art Sammlung, vertreten
durch Künstler wie Jeff Koons, Anselm Kiefer, Andreas Gurski oder Damien Hirst. Daneben erhebt sich mit gläserner Front Design Hotel™ „The
Thief“ – der Name Reminiszenz an die Schmuddel-Historie des Quartiers,
der Inhalt so exquisit wie überwältigend. Mit dem Farbschema Schwarzgrau sorgt es für wohlig warme Stimmung. Und leitet das Auge auf die
kraftvollen Kunstwerke, die über das ganze Haus verteilt sind. Sie stammen
teils aus der Privatkollektion von Hotelier Petter Stordalen, teils vom Hotel
eigenem Kurator Sune Nordgren, ehemals Direktor des Nationalmuseums,
oder sind Leihgabe von nebenan. Wie Werke von Andy Warhol, Nikki de
Saint Phalle, Richard Prince, Sir Peter Blake oder Julian Opie. Die Zimmer
und Suiten sind mit Möbeln und Wohnaccessoires namhafter Manufakturen und Designern bestückt. Custom Made beispielsweise die wie ein Poncho gestylte Wolldecke von L&J für Røros Tweed. Auch die Küche macht
in puncto Qualität keine Ausnahme. Herr am Herd von „Fru K“ ist Johan
Laursen, der früher im Sterne-Restaurant Maaema kochte. Auf dem Bauernhof aufgewachsen, setzt er traditionelle Produkte von Land und Meer in
moderne Kreationen um. Und die rustikalen Kunstwerke auf dem Teller
sind zügig im Magen verschwunden, in meinen Augen indes verharrt die
„Balloon Venus“ von Jeff Koons.
Kiki Baron hatte Olso als dröge in Erinnerung und fuhr froh wieder ab
Viel zu entdecken: San Gimignano ist
20 Kilometer entfernt. Das Anwesen
(Mitte) und, ja, auch viel Pool: Am
Rande von Montaione liegt die „Tenuta delle Rose“ – ein (noch) nur
Stammgästen bekanntes Hideaway
Nächster Halt? Stille
Viel Landschaft, viel Kultur, viel Sonne: Ein kleines Refugium mitten
in der Toskana lädt zum Verweilen. Caroline Börger tat es. Zu kurz
E
twas abrupt kommt der Taxifahrer zum Stehen, der sich
auf der Strecke vom Flughafen Pisa her noch so zielsicher
durch die schmalen Straßen
der üppig grünen Landschaft
mit den typischen Zedern
schlängelte. Nur ein kleines
Schild am Straßenrand verweist auf die „Tenuta delle Rose“, das schmiedeeiserne Tor
steht weit offen. Er fährt die Kiesallee hinunter, vorbei an weitläufigen Wein- und Olivenhainen und stoppt schließlich ein paar Hundert Meter weiter an zwei Terrakotta-Töpfen.
Direkt neben der Rezeption. Buongiorno in
der Toskana. Beim Öffnen der Wagentür hört
man erst einmal – nichts, außer Vogelgezwitscher. Vergessen sind der Lärm im übervollen
Flieger, das Getöse der Großstadt Berlin. „Anhand des Fahrstils erkennen wir schon, wie
gestresst unsere Gäste sind. Je gestresster, desto schneller rasen sie die Allee hinunter,
manchmal sogar bis zum zum Weinkeller, wo
sie sich dann festfahren. Dann biete ich erst
mal ein Eis an, und dann ist alles gleich viel
besser“, sagt die Hausherrin und lacht. Wie
gut, dass die Autorin nicht selbst am Steuer
saß – der Fahrstil hätte sie entlarvt.
Dr. Susann Mehlhorn-Hagebusch, eine resolute Frau mit blonder Kurzhaarfrisur und einem
freundlichen Gesicht, begrüßt herzlich. Gemeinsam mit Ehemann Alfred hat die Heidelberger Internistin 2002 das 15 Hektar große
Landgut gekauft, die Region zwischen Flo-
renz, Siena und Pisa war ihnen über Ferienjahrzehnte vertraut geworden. Nun steht hier
ein Refugium. Für sich, aber auch für Gäste.
„Tenuta delle Rose“ genannt. Gutshaus zur Rose – doch nicht etwa, weil hier Rosen so sprießen, sondern „weil unser Familienwappen,
das wir auch als Logo benutzen, aus einem
Hang mit Rosenbusch besteht“. Die duftenden
Blumen, die überall auf dem Anwesen blühen,
hat das Ehepaar erst hierhergebracht.
„Gekauft haben wir damals einen heruntergekommenen Bauernhof“, erklärt die Gastgeberin. Nur ein altes Foto, das die Witwe des Vorbesitzers ihr schenkte, erinnert daran. Das
Einzige, was noch vom alten Hof stehen geblieben ist, ist das kleine Haus am Eingang der
Anlage. Das Ehepaar hatte es, lange bevor ihnen der Rest angeboten wurde, als Wochenendhaus erworben, und noch immer wohnen
sie dort. Der Bauer wurde krank und bevor er
verstarb, fragte er Alfred Hagebusch, ob er
den Hof nicht kaufen möge. Er wolle seine
Frau versorgen und hätte es am liebsten, dass
die deutsche Familie das Anwesen ersteht.
„Ich fragte ihn noch: Warum wir?“ – „Weil ich
es so will“, lautete die schlichte Antwort des
Bauers. Er wollte es in guten Händen wissen.
Doch zunächst wussten die Heidelberger gar
nicht, was sie mit dem Land am Rande von
Montaione, einer 3700-Seelen-Gemeinde, anfangen sollten. „Die Idee zur Tenuta wuchs
langsam, aber es musste nun auch Geld damit
verdient werden“, sagt die 63-Jährige, die von
den Einheimischen Susanna genannt wird
und wie ihr Mann perfekt
auf Italienisch parliert.
Aber der Zeitpunkt war ausgezeichnet. Die beiden Kinder waren aus dem Haus,
der Mann lebte und arbeitete damals
in einer Frankfurter Kanzlei – und sie
fuhr jeden Tag in ihre Praxis. „Irgendwann stellte ich mir die Frage: Mache
ich so weiter oder ziehe ich nach Italien?“ Sie
ging, lebt seither von März bis zum ersten Advent in der Toskana.
Im Oktober 2004 feierte man die Eröffnung,
die Renovierungsarbeiten hatten nur zwei
Jahre gedauert. „Zügig war das – nicht nur für
italienische Verhältnisse“, erzählt „Alfredo“
Hagebusch mit einem Augenzwinkern. Zehn
Apartments sind es geworden, die italienischen Handwerker wunderten sich: Der Platz
hätte doch auch für 14 gereicht. Die Neu-Hoteliers wollten es aber großzügig. „Wir haben
keinen klassischen Hotelbetrieb, daher muss
man in den Wohnungen kochen können –
vom Gasherd bis zu Töpfen und Geschirr ist
alles da. Wobei die meisten unserer Gäste
auch gern essen gehen“. Im Umkreis von fünf
Kilometern hat man dutzende Möglichkeiten.
Vom Gasthof bis zur Sterneküche. Oder man
bestellt Pizza im Ort. Selbstabholer. Gefrühstückt werden kann (auch das kein Muss) gemeinsam mit den anderen Gästen im „Il Granaio“, dort, wo früher der Kornspeicher stand
und wo man von der überdachten Terrasse aus
– selbst bei Regen – einen herrlichen Blick
über den Pool hat, für den die Hagebuschs 60
Olivenhaine umpflanzen ließen, und über die
Weinberge und Pappelwälder. Man fühlt sich
wie bei Freunden, sitzt bei der wöchentlichen
„Happy Hour“ gemeinsam am Brunnen auf
der Piazza, trinkt Campari Orange, kleine Pizzastücke werden gereicht, die Gäste erzählen
von ihren Ausflügen, oder die Gastgeber geben Tipps. Einer lautet: „Mieten Sie sich ein
Auto. Man muss viel umherfahren. Es gibt so
viel zu entdecken, fahrt mal nach Florenz oder
Siena, ins weniger touristische Certaldo oder
ans Meer.“ Oder man bleibt einfach am Pool,
wo dank der Hanglage selbst im Hochsommer
immer ein Lüftchen weht, und lauscht der
Stille. Bis ein Traktor auf dem Nachbarhügel
den Motor anschmeißt. Aber was bedeutet das
schon, verglichen zum Lärm der Stadt. Dolcefarniente. Basta.
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DIE ANHÄNGER
VON DODO
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin
Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen dabei zu
Als Dodo 1994 gegründet wurde, lag die kreative Herausforderung darin, ein Schmuckstück aus nur einem Gramm Gold zu fertigen – dafür mit symbolischem Wert angereichert. Das Motto der italienischen Schmuckmarke, die zu Pomellato gehört: „Jedes Dodo hat etwas zu sagen.“ So stehen die über 60
verschiedenen Anhänger unter anderem für Liebe, Freundschaft, Dankbarkeit. Vor elf Jahren wurde der erste Anhänger in Form eines Dodos, des bereits
im 17. Jahrhundert ausgestorbenen Riesenvogels, angefertigt. Er steht weltweit als ein Symbol für Naturschutz, und seine stille Botschaft lautet: „Ich bin
dein.“ Wir schauten im Mailänder Atelier dabei zu, wie Salamander („Halte mich warm“) und Fledermaus („Die Nacht ist noch jung“) von Hand gefertigt
werden. 1. Alles beginnt mit einem Mustermodell. Es wird in weiches Silikon gepresst. 2. Das Ergebnis ist eine Negativform, die nun mit flüssigem Wachs
ausgegossen werden kann. 3. Nach dem Erkalten wird es die exakt gleiche Form haben, wie das Mustermodell zu Anfang. Auf einen Plastikstab gesteckt, bilden die Geckos eine Art Wachsbäumchen. Das Gebilde wird anschließend mit Gips überzogen. Beim anschließenden Aushärten verflüssigt sich das Wachs
wieder, läuft heraus und schafft die finale Negativform. 4. & 5. In einem feuerfesten Gefäß wird der Goldbarren geschmolzen und läuft tröpfchenweise aus
einem Loch im Boden heraus. In einem Wasserbad kühlen sie aus und werden zu leicht portionierbaren Kugeln. In der richtigen Mischung aus Weiß- und
Gelbgold werden sie erneut eingeschmolzen. Das gewonnene flüssige 18-karätige-Gold wird in die Gipsform gegossen. Nach dem Auskühlen kann der
Gipsmantel rückstandslos entfernt werden. 6. Die Fledermaus wird mit der Anhängerschlaufe verschweißt. 7. Der Gecko wird per Hand mit grünen Tsavoriten verziert. Übrigens, der fertige Gecko ist rund 19 Millimeter klein. Gibt’s zum Beispiel im Flagshipstore in Düsseldorf.
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In voller Länge
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