Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung
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Schweizerische Ärz tezeitung Bollet tino dei medici svizzeri 13 30. 3. 2011 Bulletin des médecins suisses Editorial 475 Snapshots aus Bundesbern FMH 477 Der Rauchstopp-Wettbewerb unterstützt die Tabakentwöhnung Neue T V-Ar z tserie 50 4 Dr. House muss gehen, dafür kommt Dr. Moser Begegnung mit Pierre -Yves Maillard 508 «Die therapeutische Freiheit ist sehr wichtig» «Zu guter Let z t» von Erhard Taverna Mann ist Mann Editores Medicorum Helveticorum Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch Organe officiel de la FMH et de FMH Services www.bullmed.ch Bollettino ufficiale della FMH e del FMH Services 514 I N H A LT FMH Briefe / Mitteilungen Editorial 475 Snapshots aus Bundesbern Ignazio Cassis 482 Briefe an die SÄZ Prävention 477 Der Rauchstopp-Wettbewerb unterstützt die Tabakentwöhnung Abhinay Agarwal Forschungsresultate bestätigen es: Ein Rauchstopp lohnt sich in jedem Lebensalter. Daher sollten Ärztinnen und 484 Facharztprüfung / Mitteilungen FMH Services 485 Seminare / Séminaires / Seminari 2011 FMH Services Ärzte den Rauchstopp-Wettbewerb nutzen, um Raucher zum Aufhören zu motivieren. Eine nationale «Rauchstopplinie» unterstützt sie dabei. Zentralvorstand 478 Zentralvorstandssitzung vom 27. Januar 2011 Beschlüsse zu folgenden Themen wurden gefasst: Q-Monitoring für ambulante Medizin, Fähigkeitsausweis 487 Die richtige Diagnose kann über Leben und Tod entscheiden FMH Consulting Services 488 Berufliche Vorsorge BVG FMH Insurance Services 489 Stellen und Praxen Praxislabor, Medical Board, Patientenverfügung FMH/ SAMW und HWS-Schleudertrauma-Fragebogen. 479 Personalien Organisationen der Ärzteschaft KHM 480 Fähigkeitsausweis Dosisintensives Röntgen KHM Aloys von Graffenried, José Orellano, Ueli Grüninger Tribüne Ethik 500 La place et le statut de l’éthique aujourd’hui Jean Martin «Traité de bioéthique», so lautet der Titel des Werks, das hier vorgestellt wird. Es umfasst 3 Bände mit 2100 Seiten, geschrieben von 120 Autoren aus vielen Wissenschaftsbereichen. Jean Martin gelingt es, auf 4 Seiten einen Überblick der wichtigsten Aspekte und Gedanken zu geben. Thema 504 Dr. House muss gehen, dafür kommt Dr. Moser EMH-Newsservice Erstmals wurden Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu Arztserien im Fernsehen veröffentlicht – sie sind alarmierend: Patienten, die sich häufig Arztserien anschauen, sind ängstlicher vor Operationen und unzufriedener mit der Visite. Eine neue Arztserie auf SF 1 soll Abhilfe schaffen. Das Fähigkeitsprogramm «Sachkunde für dosisintensives Röntgen KHM» wurde 2011 revidiert, um den Vorgaben der Strahlenschutzgesetzgebung und des Medizinalberufegesetzes Rechnung zu tragen. Der Beitrag informiert über die wichtigsten Neuerungen und die Bedingungen für den Erwerb des Fähigkeitsausweises. 507 Spectrum I N H A LT Horizonte Zu guter Letzt Begegnung mit … 508 «Die therapeutische Freiheit ist sehr wichtig» Daniel Lüthi In diesem Monat sprach Daniel Lüthi mit Pierre-Yves Maillard, Staatsrat und Gesundheitsdirektor des Kantons Waadt, Präsident der GDK. Im Gespräch diagnostizierte Maillard schwere Konstruktionsfehler des Gesundheitssystems. Es ging dabei um die Rolle des Staates, die Idee des «Service public», um Monopole als Chance – und auch um die eigene Gesundheit. 514 Mann ist Mann Erhard Taverna Streiflicht 511 Tims Handy Peter Marko Männer gelten als gesundheitlicher Sanierungsfall – schlechte Spermien, Weichmacher und Pestizide im Urin, Der Inhalt des Spielzeug-Arztkoffers seines Enkels liess den ehemaligen Landarzt stutzen: Was soll ein Mobiltelefon neben Spritzen und Verbandszeug? Anlass zu einem Rückblick auf eine Zeit ohne Alkoholprobleme und Raucherlunge. Doch der erste Männergesundheitsbericht gibt Anlass zur Hoffnung! Das starke Geschlecht ist sogar bei der Lebenserwartung auf dem Weg der Besserung. Natel, Navigationssystem und Google Earth. Im Berggebiet wäre es hilfreich gewesen … Anna IMPRESSUM Redaktion Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli (Chefredaktor) Dr. med. Werner Bauer Dr. med. Jacques de Haller (FMH) PD Dr. med. Jean Martin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA Prof. Dr. med. Hans Stalder Dr. med. Erhard Taverna lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH) Redaktion Ethik PD Dr. theol. Christina Aus der Au Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz Redaktion Medizingeschichte PD Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann PD Dr. rer. soc. Eberhard Wolff Redaktion Ökonomie Anna Sax, lic. oec. publ., MHA Redaktionssekretariat Margrit Neff Redaktion und Verlag EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56 E-Mail: redaktion.saez@emh.ch Internet: www.saez.ch, www.emh.ch Herausgeber FMH, Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, Postfach 170, 3000 Bern 15 Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12 E-Mail: info@fmh.ch Internet: www.fmh.ch Herstellung Schwabe AG, Muttenz Managing Editor Annette Eichholtz M.A. Marketing EMH Thomas Gierl M.A. Leiter Marketing und Kommunikation Tel. 061 467 85 49, Fax 061 467 85 56 E-Mail: tgierl@emh.ch Delegierte der Fachgesellschaften Allergologie und Immunologie: Prof. Dr. A. Bircher Allgemeinmedizin: Dr. B. Kissling Anästhesiologie und Reanimation: Prof. P. Ravussin Angiologie: Prof. B. Amann-Vesti Arbeitsmedizin: Dr. C. Pletscher Chirurgie: Prof. Dr. M. Decurtins Dermatologie und Venerologie: PD Dr. S. Lautenschlager Endokrinologie und Diabetologie: Prof. Dr. G.A. Spinas Gastroenterologie: Prof. Dr. W. Inauen Geriatrie: Dr. M. Conzelmann Gynäkologie und Geburtshilfe: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. W. Holzgreve Hämatologie: Dr. M. Zoppi Handchirurgie: PD Dr. L. Nagy Infektologie: Prof. Dr. W. Zimmerli Innere Medizin: Dr. W. Bauer Intensivmedizin: Dr. C. Jenni Kardiologie: Prof. Dr. C. Seiler Kiefer- und Gesichtschirurgie: Dr. C. Schotland Kinder- und Jugendpsychiatrie: Dr. R. Hotz Kinderchirurgie: Dr. M. Bittel Medizinische Genetik: Dr. D. Niedrist Neonatologie: Prof. Dr. H.-U. Bucher Nephrologie: Prof. Dr. J.-P. Guignard Neurochirurgie: Prof. Dr. H. Landolt Neurologie: Prof. Dr. H. Mattle Neuropädiatrie: Prof. Dr. J. Lütschg Neuroradiologie: Prof. Dr. W. Wichmann Redaktion Recht Fürsprecher Hanspeter Kuhn (FMH) Inserate Werbung Ariane Furrer, Assistentin Inserateregie Tel. 061 467 85 88, Fax 061 467 85 56 E-Mail: afurrer@emh.ch EMH Abonnemente EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG Abonnemente, Postfach, 4010 Basel Tel. 061 467 85 75, Fax 061 467 85 76 E-Mail: abo@emh.ch «Stellenmarkt/Immobilien/Diverses» Gisela Wagner, Inserateannahme Stellenmarkt Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56 E-Mail: stellenmarkt@emh.ch Jahresabonnement: CHF 320.–, zuzüglich Porto «Stellenvermittlung» FMH Consulting Services Stellenvermittlung Postfach 246, 6208 Oberkirch Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86 E-Mail: mail@fmhjob.ch Internet: www.fmhjob.ch Abonnemente FMH-Mitglieder FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15 Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12 Nuklearmedizin: Prof. Dr. J. Müller Onkologie: Prof. Dr. B. Pestalozzi Ophthalmologie: Dr. A. Franceschetti ORL, Hals- und Gesichtschirurgie: Prof. Dr. J.-P. Guyot Orthopädie: Dr. T. Böni Pädiatrie: Dr. R. Tabin Pathologie: Prof. Dr. G. Cathomas Pharmakologie und Toxikologie: Dr. M. Kondo-Oestreicher Pharmazeutische Medizin: Dr. P. Kleist Physikalische Medizin und Rehabilitation: Dr. M. Weber Plast.-Rekonstrukt. u. Ästhetische Chirurgie: Prof. Dr. P. Giovanoli Pneumologie: Prof. Dr. E. Russi © 2011 by EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, elektronische Wiedergabe und Übersetzung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Erscheint jeden Mittwoch ISSN 0036-7486 ISSN 1424-4004 (Elektronische Ausg.) Prävention und Gesundheitswesen: Dr. C. Junker Psychiatrie und Psychotherapie: Dr. G. Ebner Radiologie: Prof. Dr. B. Marincek Radioonkologie: Prof. Dr. D. M. Aebersold Rechtsmedizin: Prof. T. Krompecher Rheumatologie: Prof. Dr. M. Seitz Thorax-, Herz- und Gefässchirurgie: Prof. Dr. T. Carrel Tropen- und Reisemedizin: PD Dr. C. Hatz Urologie: PD Dr. T. Zellweger FMH Editorial Snapshots aus Bundesbern Das Parlament hätte die Managed-Care-Vorlage schon in der Wintersession 2010 verabschieden sollen. Aber die Politik nimmt sich Zeit: Es geht ja um eine wichtige Innovation des Gesundheitssystems! Am 3. März 2011 hat der Nationalrat – entgegen der Meinung des Ständerates – auf die Unabhängigkeit der integrierten Versorgungsnetze von den Krankenkassen beharrt und auf deren Verpflichtung, flächendeckend integrierte Versorgung anzubieten. Eine dritte Differenz betrifft das Quantum der Kostenbeteiligung inner- und ausserhalb der Netze (Prozent und Höchstbetrag): 10–20% will der Nationalrat, 5–15 % der Ständerat, und für 7,5–15 % spricht sich der Bundesrat aus. Das sind die wichtigsten Differenzen. Andere zentrale Eckwerte sind hingegen entschieden: die Verfeinerung des Risikostrukturausgleichs, das Prinzip der finanziellen Anreize (differenzierte Prämien und Kostenbeteiligung), die explizite Qualität, die Budgetmitverantwortung sowie die freie Vertragsbindung zwischen Versicherer und Ärztenetzen. Managed Care: Nationalrat hält an Unabhängigkeit der integrierten Versorgungsnetze von den Kranken kassen fest. Auch der erste Teil der 6. IV-Revision ist verabschiedet. Die vierte, fünfte und sechste Revision sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer zielen darauf, diese wichtige Sozialversicherung wieder ins Lot zu bringen und für die nächsten Generationen fit zu machen. Der Schleudertrauma-Verband wehrt sich aber gegen Leistungskürzungen und hat das Referendum beschlossen: Er sucht jetzt Allianzen. Weiter hat der wegleitende Entscheid vom 23. November 2010 (9C_334/2010) des Bundesgerichtes (BG) rege informelle Diskussionen ausgelöst. Neben der konkreten Fragestellung (Rückerstattung des Medikaments Myozyme® bei Morbus Pompe) hat das BG zu grundsätzlichen Fragen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von medizinischen Massnahmen, der Rationierung und der Grenzen der Finanzierbarkeit Stellung genommen. Dies auch mit einer Anspielung auf bisher auf politischer Ebene nicht festgelegte Kriterien für die Beurteilung der Kosten-Nutzen-Beziehung. Deshalb haben Nationalrätin Ruth Humbel eine Interpellation [1] und ich ein Postulat [2] eingereicht. Damit soll die Diskussion auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene stattfinden. Diskussionslos hat der Nationalrat ein Postulat seiner Gesundheitskommission betreffend der Verschreibung von Arzneimitteln durch Spitäler (siehe Geschäftsnummer 10.3669 auf www.parlament.ch, Cura Vista-Geschäftsdatenbank) überwiesen. Der Bundesrat wird somit beauftragt zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Spitäler verpflichtet werden können, beim Austritt der Patienten auf die Verordnung von «Marken» zu verzichten und stattdessen ausschliesslich die Wirkstoffe inklusive Dosierung, gale- Bundesgerichtsentscheid zu Kosten NutzenVerhältnis von medizinischen Massnahmen regt Diskussionen an. nische Form und Packungsgrösse zu verschreiben. Der Nationalrat hat weiter die vorgesehene Einführung des neuen Abrechnungssystems SwissDRG ab 1. Januar 2012 stillschweigend bestätigt und aufgrund einer Motion seiner Gesundheitskommission den Bundesrat beauftragt, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Ausund Weiterbildung von Ärzten sowie des gesamten Gesundheitspersonals sichergestellt und die Versorgungsqualität nicht verschlechtert wird [3]. Drei Parteien, die CVP, die FDP und die SVP, haben in den letzten Wochen zudem ihre Besorgnis betreffend der Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung ab 1. 1. 2012 in den Kantonen zum Ausdruck gebracht. Statt einer Spitalsteuerung auf Basis von Qualitäts- und Kostentransparenz praktizieren einige Kantone Strukturerhaltung und missachten somit den Willen des Gesetzgebers – so unser Fazit. Eine diesbezügliche Interpellation wurde eingereicht [4]. In der Sondersession (11. bis 14. April 2011) wird das Präventionsgesetz beraten: Spannende Diskussionen sind zu erwarten! A suivre! Dr. med. Ignazio Cassis Vizepräsident der FMH und Nationalrat Referenzen 1 11.3154: Bundesgerichtsurteil als Startschuss zur medizinischen Rationierung? 2 11.3218: Wie viel soll die Gesellschaft für ein Lebensjahr zahlen? 3 10.3882 Versorgungsqualität mit DRG. 4 11.3032 Spitalfinanzierung. Verändert sich alles, damit sich nichts verändert? Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 475 FMH Prävention Der Rauchstopp-Wettbewerb unterstützt die Tabakentwöhnung Erneut bestätigen Forschungsresultate, dass sich ein Rauchstopp in jedem Lebensalter lohnt. Der Rauchstopp-Wettbewerb zum Welttag ohne Tabak am 31. Mai ist eine günstige Gelegenheit, Raucherinnen und Raucher zum Aufhören zu motivieren. Abhinay Agarwal Projektmanager Rauchen beschleunigt auch den Rückgang der kognitiven Leistungsfähigkeit. Ein Forschungsteam der Universität Westaustralien untersuchte bei 332 älteren Personen die Wirkung des Rauchstopps auf die kognitive Funktion. 24 Monate nach dem Rauchstopp entsprachen die kognitiven Fähigkeiten denen von Nie-Rauchenden [1]. «Vom Gesichtspunkt der Gesundheit aus ist besonders das Ergebnis wichtig, dass chronische Raucherinnen und Raucher nach dem Aufhören weniger Gehirnzellen verloren und bessere intellektuelle Fähigkeiten bewahrten als Personen, die weiter rauchten», erklärte Forschungsleiter Osvaldo Almeida. Rauchpause einschalten Beim Rauchstopp-Wettbewerb können alle Raucher mitmachen, die vom 4. Juni bis zum 4. Juli 2011 rauchfrei bleiben. Eine Rauchpause von vier Wochen erhöht die Chancen für einen endgültigen Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit. Als Preise werden einmal 5000 und zehnmal 500 Franken verlost. Zudem offeriert die Krankenversicherung Assura eine Ferienwoche für zwei Personen. Raucherinnen und Raucher können sich online auf www.at-schweiz.ch oder schriftlich anmelden. Anmeldekarten können bei der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention auf www.at-schweiz.ch oder unter Nummer 031 599 10 20 kostenlos bestellt werden. Korrespondenz: Abhinay Agarwal Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Haslerstrasse 30 CH-3008 Bern Tel. 031 599 10 20 Fax 031 599 10 35 info@at-schweiz.ch Repräsentative Umfrage Das LINK Institut für Markt- und Sozialforschung in Luzern und Hans Krebs, Kommunikations- und Publikumsforschung in Zürich, befragten im Januar 2010 einen repräsentativen Querschnitt von 505 Teilnehmenden des Wettbewerbs 2009 im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention. – 64 Prozent hielten die einmonatige Rauchpause durch. 33 Prozent waren sechs Monate nach Ende des Wettbewerbs rauchfrei. Wer noch rauchte, hatte seit Beginn des Wettbewerbs die Anzahl Zigaretten deutlich verkleinert. – 62 Prozent der Befragten verwendeten ein oder mehrere Hilfsmittel zur Tabakentwöhnung, am häufigsten Medikamente: 25 Prozent nikotinhaltige Medikamente, 6 Prozent Vareniclin und 2 Pro- zent Buproprion. Ebenso fanden Bücher, Broschüren und Informationsschriften grossen Zuspruch. FMH als Partnerin Partnerorganisationen für den Rauchstopp-Wettbewerb sind die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, pharmaSuisse Schweizerischer Apothekerverband, die Schweizerische ZahnärzteGesellschaft, der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner und Swiss Dental Hygienists. Der Rauchstopp-Wettbewerb ist eine Aktion des Nationalen Rauchstopp-Programms zum Welttag ohne Tabak von Ende Mai. Die Trägerschaft bilden Krebsliga Schweiz, Schweizerische Herzstiftung und Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz. Finanziell unterstützt wird der Wettbewerb vom Tabakpräventionsfonds. Zuständig für die Umsetzung der Aktion in den Kantonen sind die kantonalen Krebsund Lungenligen, die Tabakpräventionsfachstellen sowie weitere Organisationen aus Prävention und Gesundheitsförderung. Literatur 1 Osvaldo P. Almeida et al. 24-Month effect of smoking cessation on cognitive function and brain structure in later life. In: NeuroImage Article in Press doi:10.1016/j.neuroimage.2011.01.063 www. sciencedirect.com/science/journal/10538119 Rauchstopplinie 0848 000 181 Fehlt die Zeit für ausführliche Beratungsgespräche, können Raucher und Raucherinnen an die nationale Rauchstopplinie verwiesen werden. Die Beraterinnen und Berater sind speziell ausgebildet und kennen sich in den wissenschaftlich geprüften Aufhörmethoden bestens aus. Auf Wunsch begleiten sie Raucherinnen und Raucher beim Aufhören mit bis zu vier Rückrufen. Für Deutsch, Französisch und Italienisch ist die Rauchstopplinie 0848 000 181 montags bis freitags von 11 bis 19 Uhr erreichbar (8 Rappen pro Minute ab Festnetz). Je eine eigene Nummer gibt es für Albanisch, Portugiesisch, Serbisch/Kroatisch/Bosnisch, Spanisch und Türkisch. Alle Telefonnummern stehen auf der Anmeldekarte. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 477 FMH Zentralvorstand Aus dem Protokoll Zentralvorstandssitzung vom 27. Januar 2011 Q-Monitoring ambulante Medizin CH – Der Zentralvorstand (ZV) der FMH stimmt der Weiterführung des Pilotprojektes «Q-Monitoring ambulante Medizin CH» für 2011 und 2012 zu. Hauptziel des Projekts ist das Sichtbarmachen der Bandbreite und Häufigkeit der bereits heute durchgeführten Qualitätsaktivitäten in der ambulant tätigen Ärzteschaft. Fähigkeitsausweis Praxislabor – Der ZV unterstützt ein Obligatorium des Fähigkeitsausweises Praxislabor (FAPL). Die Delegiertenversammlung der FMH soll ebenfalls darüber entscheiden. Der neurevidierte FAPL besteht künftig aus einem praktischen und einem E-Learning-Teil. Die Rezertifizierung erfolgt über die «Externe Qualitätskontrolle». Patientenverfügung FMH/SAMW – Die FMH ist mit der vorliegenden Überarbeitung der Patientenverfügung einverstanden und will sie gemeinsam mit der SAMW in allen drei Landessprachen zur Verfügung stellen. HWS-Schleudertrauma-Fragebogen – Der Zentralvorstand vertritt gegenüber dem Schweizerischen Versicherungsverband und der Suva die Meinung, dass der versicherungstechnische Teil des HWS-Schleudertrauma-Fragebogens ausschliesslich vom Patienten ausgefüllt und unterschrieben werden soll. Medical Board – Seit Anfang Jahr setzt sich die Trägerschaft des Medical Board aus der Gesundheitsdirektorenkonferenz, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und der FMH zusammen. Plötzlich selbst betroffen. Krisen treffen auch Ärztinnen und Ärzte. Lassen Sie sich helfen. Kontaktieren Sie ReMed. 24-Stunden-Hotline 0800 0 73633 0800 0 ReMed help@swiss-remed.ch www.swiss-remed.ch Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 478 FMH Personalien Todesfälle / Décès / Decessi Robert Tobler (1920), † 8. 1. 2011, Spécialiste en médecine générale, 1196 Gland Praxiseröffnung / Nouveaux cabinets médicaux / Nuovi studi medici GE Roxana Fanita Sessa, Spécialiste en psychiatrie et psychothérapie, 3, rue Ami-Lullin, 1207 Genève VD Thomas M. Chapuis, Spécialiste en médecine interne, 4, rue des Vergers, 1462 Yvonand ZH Akiko Tania Krähenmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Praxis Schlossberg, Schlossbergstrasse 3, 8408 Winterthur Ärztegesellschaft des Kantons Bern Ärztlicher Bezirksverein Bern Regio Zur Aufnahme als ordentliche Mitglieder haben sich angemeldet: Dr. med. Samuel Ernst, Facharzt für Innere Medizin FMH, Bernstrasse 12, 3303 Jegenstorf Dr. med. Alain Keller, Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, Münzgraben 6, 3011 Bern Dr. med. Mehtap Tatan, Fachärztin für Allgemeinmedizin FMH, Brunnmattstrasse 63, 3007 Bern Ärztegesellschaft des Kantons Luzern Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion Stadt hat sich angemeldet: Dr. med. Dorothea Lang, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Praxis ab 1.4.2011: Gerliswilerstrasse 53, 6020 Emmenbrücke Einsprachen sind innert 20 Tagen zu richten an das Sekretariat, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern, Fax 041 410 80 60. Zur Aufnahme als ordentliches Mitglied mit leitender Funktion hat sich angemeldet: PD Dr. med. Peter Wenaweser, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie FMH, Stv. Leiter, Invasive Kardiologie, Departement Herz und Gefässe, Inselspital, 3010 Bern Einsprachen gegen diese Vorhaben müssen innerhalb 14 Tagen seit dieser Veröffentlichung schriftlich und begründet beim Präsidenten des Ärztlichen Bezirksvereins Bern Regio eingereicht werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist entscheidet der Vorstand über die Aufnahme des Gesuches und über die allfälligen Einsprachen. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 479 KHM O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T Informationen des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) aus Anlass der Revision 2011 Fähigkeitsausweis Dosisintensives Röntgen KHM Aloys von Graffenried a, José Orellano b, Ueli Grüninger c a Bisheriger Präsident der Kommission «Dosisintensives Röntgen» KHM b Nachfolger von Aloys von Graffenried als Präsident der Kommission c Geschäftsführer Kollegium für Hausarztmedizin KHM Das seit dem 1. 1. 2001 bestehende Fähigkeitsprogramm «Sachkunde für dosisintensives Röntgen KHM» (neu: «Fähigkeitsausweis Dosisintensives Röntgen KHM») wurde revidiert, um den Vorgaben der Strahlenschutz gesetzgebung und des Medizinalberufegesetzes Rechnung zu tragen. Die Revision wurde durch die Geschäftsleitung des SIWF am 1. 1. 2011 in Kraft gesetzt. Dieser Artikel gibt einen Überblick über Inhalt und Erwerb des Fähig keitsausweises und fasst die wichtigsten Neuerungen zusammen. Detaillierte Informationen inkl. revidiertes Programm und Anmeldungsformular können von der Web site des Kollegiums für Hausarztmedizin heruntergeladen werden: www.kollegium.ch → Rubrik «Ausweise». Fähigkeitsausweis: wozu und für wen? Für die Durchführung von Röntgenaufnahmen des Achsenskelettes, Beckens und Abdomens ist der Fähigkeitsausweis (FA) «Dosisintensives Röntgen KHM» notwendig. Das Fähigkeitsprogramm zum Erwerb dieses FA richtet sich an alle Trägerinnen und Träger* der Weiterbildungstitel für Allgemeine Innere Medizin (inkl. die bisherigen Weiterbildungstitel Allgemeinmedizin und Innere Medizin), Pädiatrie, Neurologie, Medizinische Onkologie sowie (neu) praktischer Arzt. * Dieses Fähigkeitsprogramm gilt in gleichem Mass für Ärztinnen und Ärzte. Zur besseren Lesbarkeit werden im weiteren Text nur männliche Personenbezeichnungen verwendet. Korrespondenz: Ueli Grüninger Geschäftsführer KHM Landhausweg 26 CH-3007 Bern Tel. 031 370 06 71 Fax 031 370 06 79 ueli.grueninger@hin.ch Was sind die Voraussetzungen? 1. Eidgenössischer Weiterbildungstitel (oder anerkannter ausländischer Titel mit Äquivalenzbestätigung) für Allgemeine Innere Medizin, Pädiatrie, Neurologie, Medizinische Onkologie sowie praktischer Arzt; 2. Vom BAG anerkannte Ausbildung und erfolgreich abgelegte Prüfung in Strahlenschutz und Röntgentechnik [1] (vgl. Art. 18 Abs. 2 StSV [2] und Ziffer 2.1 des FA-Programms); 3. Absolvierte Weiterbildung gemäss Ziffer 3 bis 5 des Fähigkeitsprogramms «Dosisintensives Röntgen KHM» (siehe unten und www.kollegium.ch Rubrik Ausweise). und auch die Bilder von jeder 7. Untersuchung müssen einem Experten der Kommission «Dosisintensives Röntgen KHM» zur Überprüfung und für ein Feedback eingesandt werden (sogenannt formative Evaluation, anstelle einer Schlussprüfung). Hinweis: Wer seinen Facharzttitel vor dem 31. 12. 2002 erworben hat, profitiert von den Übergangsbestimmungen und erhält den Fähigkeitsausweis ohne praktische Untersuchungen (vgl. Abb. 1). Die wichtigsten Änderungen Neu richtet sich der Fähigkeitsausweis (FA) auch an Träger des Weiterbildungstitels «Praktischer Arzt» und wie bisher an jene mit Titel Allgemeinmedizin und Innere Medizin (neu zusammengefasst unter Allgemeine Innere Medizin), Pädiatrie, Neurologie und Medizinische Onkologie. Ohne den vom BAG anerkannten Strahlenschutzkurs mit bestandener Abschlussprüfung und ohne Anmeldung beim Sekretariat des KHM kann ab 1. 4. 2011 mit den radiologischen Untersuchungen nicht begonnen werden. Das bewährte Lehrmittel «Dosisintensives Röntgen KHM» auf CD wird nach Begleichung Abbildung 1 Vorgehen zum Erwerb des Fähigkeitsausweises Dosisinten sives Röntgen KHM. Was beinhaltet die Weiterbildung? Nach Einschreibung beim Sekretariat KHM führt jeder Bewerber insgesamt 50 Untersuchungen von HWS, BWS, LWS und Becken inkl. Abdomen durch, unter Anleitung und Kontrolle eines Weiterbildners (siehe Ziffer 5.2 des FA), mit dem die Indikationen, Röntgeneinstellungen und Befunde besprochen und festgehalten werden müssen. Alle 50 Befundblätter Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 480 O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T KHM der Gebühr für Evaluation und Ausweisverfahren zugesandt. Neu formuliert wurden die Inhalte mit theoretischen und praktischen Kenntnissen sowie die entsprechenden Lernziele. Die 50 dosisintensiven Untersuchungen des Abdomens, Achsenskelettes und Becken wurden flexibler definiert. Neu eingeführt ist das Führen eines Logbuches (die Gesamtheit der 50 Befundblätter). Auf den Befundblättern sind nun auch die vom BAG seit 15. 8. 2008 eingeführten diagnostischen Referenzwerte in der Radiologie (DRW) zu berechnen und ins Befundblatt einzutragen (vgl. Kasten). Neu eingeführt wurde schliesslich die formative Evaluation, bei der Röntgenbilder und Befundblatt von sieben der 50 Pflichtuntersuchungen (mit anonymisiertem Patientennamen) dem Experten der entsprechenden Fachgesellschaft zwingend für Überprüfung und Feedback zu übermitteln sind. Informationen und Anmeldung Über das Vorgehen für Anmeldung und den Gesamtablauf informieren die Abbildung 1 und die Website des Kollegiums für Hausarztmedizin www.kollegium.ch, Rubrik «Ausweise». Dort können auch der Integraltext des revidierten Fähigkeitsprogramms, Merkblätter, Anmeldeformular, Befundblätter (samt Beispiel) und Gebührenordnung eingesehen und heruntergeladen werden. Unser Dank bei der Realisierung dieser Revision geht an die Kollegen bzw. Mitarbeiter des SIWF, des VSAO, des BAG, der betroffenen Fachgesellschaften, und des KHM, ohne deren aktive Mitarbeit diese vorliegende Revision kaum zustande gekommen wäre. Adresse des Sekretariats: Geschäftsstelle KHM, Landhausweg 26, 3007 Bern, Tel. 031 370 06 70, Fax 031 370 06 79, E-Mail: khm@hin.ch. Literatur 1 Strahlenschutzkurse sind notwendig für jegliches Betreiben einer Röntgenanlage. Sie werden in einem neuen Lehrgang mit optionalem E-Learning angeboten: www.radioprotection.ch 2 Einzelheiten zur Strahlenschutzverordnung (StSV) finden sich unter www.admin.ch/ch/d/sr/814_501/ index.html 3 Merkblatt R-06-04 Diagnostische Referenzwerte (DRW) in der Radiologie des Bundesamts für Gesundheit, Abteilung Strahlenschutz. www.bag.admin.ch/themen/strahlung/02883/ 02885/02889/index.html?lang=de oder www.str-rad.ch → Rechtliche Grundlagen → Weisungen/Merkblätter → Röntgenanlagen → R-06-04 4 R-06-04 DRWCalc 4.0: Excel-Tool zur Ermittlung der Oberflächendosis am Patienteneintritt (Download als Excel-File von derselben Website wie Merkblatt R-06-04 Diagnostische Referenzwerte). 5 Siehe DRW-Berechnung auf der Rückseite des Befundblattes. 6 Auf derselben Seite (URL) auch Merkblatt R-06-04 Diagnostische Referenzwerte. Diagnostische Referenzwerte (DRW) Referenz: Dokument R-06-04md.pdf auf BAG-Website www.str-rad.ch [3]. Mit Datum vom 15.8.2008 wurden vom BAG dia gnostische Referenzwerte (DRW) in der Radiolo gie bekannt gegeben, die von der Webseite her untergeladen werden können. Für den Patienten in der Röntgendiagnostik exis tieren keine Dosisgrenzwerte. Die Anwendung der Grundsätze für die Rechtfertigung und die Optimierung gewährleistet einen angemessenen Schutz des Patienten. Seit 2008 verweist die Schweizer Gesetzgebung explizit auf die sog. Dia gnostischen Referenzwerte (DRW). Es handelt sich dabei um einen Untersuchungswert, der sich auf eine leicht messbare Grösse bezieht. Im Fall der Röntgenaufnahme ist die verwendete Grösse die Oberflächendosis am Patienteneintritt (OD, angegeben in mGy). Die DRW sollen die fachliche Beurteilung vervollständigen und sind eine Me thode zur Einschätzung der applizierten Patien tendosis im Vergleich zu anderen radiologisch tätigen Praxen und zu Röntgeninstituten. In jedem Röntgenbetrieb sollte die Situation der DRW periodisch überprüft werden. Zu diesem Zweck wird empfohlen, für jede Einstellung eine Schätzung der Oberflächendosis am Patienten eintritt (OD) durch eine Berechnung für einige Patienten von mittlerer Dicke vorzunehmen. An Hand eines einfachen Calculators [4] mit Eingabe von Generatortyp, Röhrenspannung (kV), Strom Zeitprodukt (mAs) und FokusOberflächendis tanz (m) kann die entsprechende Oberflächendo sis in mGy am Patienteneintritt ermittelt werden [5]. Wichtig ist dabei die richtige FokusFilmDis tanz, gemäss entsprechendem Abschnitt im Lehr mittel auf der CD. Eingabe erfolgt im Dezimalsys tem, das heisst mit Punkt und nicht Komma. Mit abnehmender FFD wird der DRW grösser und kann pathologisch werden. Die Werte können zur Dokumentation oder für Vergleichszwecke lokal gespeichert werden. Diese berechneten OD sind mit der vorgegebe nen Tabelle des BAG zu vergleichen. Auf dem Merkblatt der diagnostischen Referenzwerte (DRW) in der Radiologie [6] sind die Norm werte für Thorax, LWS, Becken und Schädel fest gehalten, die Sie mit Ihrer Anlage nicht über schreiten sollten. Das KHM empfiehlt monatlich je eine Bestimmung dieses Wertes sowohl im Nie derdosen als auch im dosisintensiven Bereich. Falls der Mittelwert der Oberflächendosis für eine gegebene Einstellung bei Standardpatien ten regelmässig den entsprechenden DRW über steigt, so ist die Arbeitstechnik und/oder die Röntgenanlage zu überprüfen mit dem Ziel, die applizierte Dosis auf angemessene Art zu opti mieren. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 481 BRIEFE redaktion.saez@emh.ch Briefe an die SÄZ SAGB / ASHM befürwortet das DRG-Moratorium Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft von Ärzten für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung SAGB / ASHM in einer Arbeitsgruppe mit möglichen Auswirkungen der für den 1. 1. 2012 geplanten Einführung der DRG auf die medizinische Versorgung geistig und mehrfach behinderter PatientInnen. Es handelt sich hier ja um einen schwierig standardisierbaren Bereich der Medizin, in dem viele verschiedene medizinische Fachdisziplinen tätig sind. Allerdings ist in jeder dieser durch eine bei der FMH akkreditierten Fachgesellschaft vertretenen Disziplinen die Zahl der behinderten PatientInnen jeweils nur sehr gering. So ist absehbar, dass die Belange der Behindertenmedizin im DRG-Prozess, der v. a. durch Anträge dieser Fachgesellschaften bei SwissDRG (bezüglich neuer DRG) bzw. BfS (bezüglich Prozeduren) gestaltet wird, zu kurz kommen. Bislang gelang es uns nicht, die FMH oder auch politische Kreise für diese Problematik zu sensibilisieren. Auch wenn von den DRG positive Impulse für das Gesundheitsund Spitalwesen ausgehen dürften, empfiehlt der Vorstand deshalb den SAGB-Mitgliedern, das DRG-Moratorium (www.drg-moratorium. ch) zu unterstützen. Es handelt sich um ein Aktionsbündnis mit gegenwärtig 3150 Unterzeichnenden aus dem Medizinalbereich, das aus verschiedenen Gründen einen Aufschub bzw. eine verlangsamte und gestaffelte Einführung der DRG zum Ziel hat. Als ein Grund für das Moratorium werden «schwierig standardisierbare Bereiche wie die Pädiatrie, seltene Krankheiten und die Behandlung von polymorbiden Patientinnen» genannt. Aus Sicht der Behindertenmedizin wird mit den DRG eine erschwerte postinterventionelle Betreubarkeit der PatientInnen im Akutbereich wie auch in der Rehabilitation erwartet. Vorstand SAGB: Dr. med. Felix Brem, Präsident Dr. de Haller kann nicht als FMH-Präsident zurücktreten, wir müssen ihm helfen, den Hut zu nehmen Liebe Kolleginnen und Kollegen FMH-Präsident de Haller und die Verbandsdelegierten müssen nach Hause geschickt werden, weil sich diese kleine Oligarchie unserer Standesorganisation bemächtigt hat und die FMH für private, einseitige, politische und z. T. unwürdige Ziele benützt. Vor allem aber, weil sie die Interessen der Ärzteschaft nicht wahrnimmt, sogar sie aktiv desavouiert. Es sei an die massive Kampagne von Kollege de Haller und Co. für die «Waffeninitiative» erinnert, obwohl die Basis dagegen war. Tausende von Kollegen und Kolleginnen haben gegen diese Initiative Stellung genommen, Hunderte Leserbriefe dagegen geschrieben. Sogar selbstfinanzierte Inserate von mutigen Ärzten dagegen sind publiziert worden. Nur Dr. de Haller und die kleine FMH-Oligarchie waren dafür. Der FMH-Präsident ist obendrein an Fernsehen und Radio so aufgetreten, als stehe die ganze FMH hinter ihm. Bei dieser Initiative ging es nicht darum, Suizide zu verhindern, sondern das Milizsystem in der Schweiz abzuschaffen. Und das hat mit Medizin nichts zu tun. Dr. de Haller benützte schon wieder die FMH für die politische Kampagne seiner Partei. Gegen diesen Vorwurf «rechtfertigte» sich der Präsident immer wieder mit dem gleichen Spruch: Es sei ein demokratischer Entscheid der Delegiertenversammlung gewesen. Aber es ist merkwürdig oder sogar suspekt, dass die Delegierten immer so stimmen, wie die Partei des Präsidenten will. Das war so bei der Abstimmung über die staatliche Drogenabgabe (2008), so auch bei der «Waffeninitiative». Nochmals, ehrlich gesagt ging es dem Vorstand der FMH bei der Waffeninitiative nicht um Mitmenschlichkeit oder Suizidprävention. Es war auch lächerlich, die «Waffeninitiative der GSoA» als Suizidprävention zu präsentieren. Um die Suizidrate wirkungsvoll zu verringern, muss man in erster Linie an der Prävention seriös, sachlich, nicht politisch ideologisch arbeiten. Ebenso bei der Drogenprävention. Denn je mehr Drogen vorhanden sind, desto mehr Drogensüchtige, desto mehr Elend und Suizide. Aber Dr. de Haller und seine Delegierten sind zwar gegen das Gewehr im Schrank, aber für die Drogen in der Hand der Jugend. Und damit auch für den Suizid auf Raten. Gewehr nein, Droge ja! – Das darf doch nicht die Präventionsauffassung eines FMH-Präsidenten sein! Das ist ein deutlicher Missbrauch des Präventionsbegriffs. Und ein Verrat am Eid des Hippokrates. Es ist an der Zeit, dass die FMH sich einerseits wieder den gesundheitspolitischen Themen widmet, anderseits wirklich die Interessen der Ärzteschaft vertritt. Und das kann unter der Präsidentschaft de Hallers nicht mehr möglich sein. Der FMH-Präsident und seine Entourage haben bereits so viel Schaden angerichtet, dass nur dessen Amtsenthebung noch retten kann, was noch zu retten ist. Da der Präsident und seine Gesinnungskollegen nicht vorhaben, ihren Stuhl freiwillig zu räumen, müssen wir sie halt wegschicken. Also brechen wir auf und nehmen das Ruder selbst an: die Hand. Ich schlage folgendes vor: Wir, die Basis, organisieren eine ausserordentliche Generalversammlung der FMH mit dem Traktandum: Adieu Dr. de Haller und Co. Wahl eines neuen Präsidenten und neuer Delegierter. Wer macht mit? Wir schaffen es! Dr. med. Angelo Cannova, Zürich Mit gleichen Ellen messen Offener Brief an Meier [1], Marugg [2, 3] und andere Mit grossem Befremden und Ärger nehme ich zur Kenntnis, was sich derzeit einige Kollegen in der SÄZ erlauben. Ungeniert wird der Rücktritt des FMH-Präsidenten gefordert, nur pauschal, weil er Kandidat der «falschen» Partei sei und eine Ideologie vertrete, hinter der viele FMH-Mitglieder nicht stehen. Ich möchte diese Kollegen daran erinnern, dass die FMH kein politischer Verein ist und schon gar nicht ein Appendix einer FDP oder SVP. Ebenfalls erinnere ich daran, dass der Vize-Präsident Ignazio Cassis nicht nur FDPNR ist, sondern auch klar mitgeteilt hat, dass er im Zweifelsfall immer die Meinung seiner Partei und nicht die der FMH vertreten werde [4]. Wo blieb da der Protest gegen Cassis, Gutzwiller usw., die ebenfalls politisch tätig Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 482 BRIEFE redaktion.saez@emh.ch sind, aber offenbar in der «richtigen» Partei? Ist es wirklich so einfach, dass nur «richtig» ist, was diesen Ärzten – früher einmal Kollegen – nahesteht? Ich jedenfalls bin nicht bereit, einen rechtsbürgerlichen FDP-SVP-Verein zu unterstützen. Auch wenn ich weder Mitglied der SP, nicht einmal deren ausschliessliche Sympathisantin bin, habe ich bisher akzeptiert, dass in der FMH verschiedene politische Strömungen existieren und gelebt werden. Und dies ist auch gut so. Falls einzelne Ärzte lautstark und egozentrisch der Meinung sind, die FMH sei ein rechtsbürgerlicher Verein und nicht mehr eine Standesorganisation für alle Ärzte, dann muss ich mir überlegen, ob ich mit meinen hohen Beiträgen eine solche FMH noch unterstützen will. Oder ist es evtl. besser, auszutreten und einen sozial-liberalen Gegenverein, der sich auch für die existentiellen, psychosozialen usw. Anliegen der Patienten einsetzt, zu gründen? Es ist einfach unglaublich, wie gewisse Ärzte alles daran setzen, die Ärzteschaft in egozentrischer Weise zu spalten. Es ist mehr als peinlich, wenn politische Grabenkämpfe von FMH-Führungsvertretern bereits in der Tagespresse ausgetragen werden. Möchte zum Schluss noch darauf hinweisen, dass gerade Grundversorger, welche die Sorgen der Patienten an der Basis tagtäglich erleben, häufig politisch Herrn de Haller sehr nahe stehen. Für die Zukunft der FMH (die es hoffentlich auch gibt) sehe ich nur zwei Lösungen: Entweder wir akzeptieren wie bis anhin, dass es in der FMH, wie in der Bevölkerung auch, verschiedene politische Strömungen gibt, oder wir spalten die FMH in je eine politisch links- und eine rechtsstehende Teil-Ärztevereinigung. Da kann jeder selber überlegen, was ihm wichtig ist. Dr. med. Denise Krebs, FMH Arbeitsmedizin und Psychosomatik SAPPM, Dietlikon 1 Meier-Gibbons F. Offener Brief an den Präsidenten der FMH: Jetzt reicht’s! Schweiz Ärztezeitung. 2011;92(9):315. 2 Marugg S. Offener Brief: Rücktrittsforderung an den Präsidenten der FMH. Schweiz Ärztezeitung. 2011;92(4):115. 3 Marugg S. Duplik zur Rücktrittsaufforderung. Schweiz Ärztezeitung. 2011;92(12):448. 4 Tages-Anzeiger. De Haller wird in der Ärzteschaft wegen SP-Kandidatur angegriffen (22. 2. 2011). – subordination de toutes nos prises de décisions thérapeutiques à la lumière de la génétique (pharmacogénétique par exemple) ou de la médecine translationnelle (biomarqueurs par exemple). L’actualité de l’Evidence-based Medicine J’ai lu avec un intérêt certain l’article de Steurer J [1] et les commentaires de Martin J [2]. Ces deux articles soulignent l’importance actuelle de l’Evidence-based Medicine (EBM), de ses limites (reconnues ou non), de ses difficultés (en particulier dans son application quotidienne) et de ses défis majeurs à venir. Cette importance de l’EBM est certainement aiguisée par un environnement de politique de santé instable, mouvant (SwissDRG, libre passage inter-cantonale) et parfois précaire (financement), ce qui tend à faire exacerber les qualités de l’EBM (par ses partisans) ou ses limites et défauts (par ses détracteurs). J’aimerai ici apporter le point de vue d’un praticien pratiquant et enseignant l’EBM de façon quotidienne. Certains détracteurs de l’EBM lui reprochent de ne plus prendre en compte la complexité du patient ni ses particularités (physio(patho) logiques, socioéconomiques, culturelles). Ceci n’est pas juste, ou ne devrait pas l’être. Dans sa définition première [3, 4] l’EBM a pour but d’augmenter la qualité et l’efficience des soins, en conjuguant l’expertise du clinicien (compétence, jugement, expérience, compassion), les données cliniques externes (études cliniques, méta-analyses), et les données particulières du patient (droits, préférences, croyances). Ce principe est, me semble-t-il, souvent oublié par les détracteurs de l’EBM (et parfois par les partisans de l’EBM!). Il faut également ici reconnaitre les limites et parfois même les excès de l’EBM, qui expliquent une certaine méfiance de la part du praticien: – une hétérogénéité exagérée des études incluses dans les méta-analyses, rendant parfois leurs conclusions douteuses; – l’élaboration et surtout l’application inconsidérée et irréfléchie de guidelines (régionales, nationales); – les difficultés méthodologiques de recherche de littérature [5]; – et surtout les difficultés d’implémentation dans le monde «réel» (changement de catégorie de patients, manque de temps/ d’intérêt de la part des médecins [6]). On oppose à l’EBM une médecine plus personnalisée (personalized medicine). J’en veux pour témoin un nombre croissant de publications [7] ou de congrès [8]. Une médecine personnalisée à l’excès comprendra tout autant de danger qu’une application inconsidérée de l’EBM et sera tout aussi incomplète que l’application aveugle de l’EBM: – réduction du patient uniquement à son patrimoine génétique; Comme souvent, la réponse se trouve au centre. Il faut appliquer l’EBM de façon réfléchie, en fonction de chaque patient, de chaque situation. L’EBM n’est pas un but en soi, mais un outil, à utiliser de la façon la plus idoine possible, avec beaucoup d’enthousiasme toujours, avec parcimonie parfois, avec courage quelques fois. En considérant le patient de façon globale, non seulement dans sa maladie mais également en fonction de ses particularités physio(patho)logiques, culturelles, socio-économiques, religieuses et autres, il n’y a aucun risque que l’EBM néglige l’aspect individuel de la personne. Une application réfléchie et pondérée de l’EBM permettra probablement, au contraire, une médecine plus économique et efficiente pour la collectivité (EBM, épidémiologie), et plus individualisée pour chaque patient (médecine «personnalisée»), en évitant ainsi que l’instrument de travail ne devienne carcan. C’est ainsi que l’EBM réunira à nouveau et sans difficulté ses partisans et opposants dans les années à venir, je l’espère [9, 10]. Dr François Cachat, Vevey Vous trouverez la littérature sur Internet sous www.bullmed.ch → Archives → 2011 → 13 Grundversorger und Gatekeeper sind nicht immer dasselbe – ein Vorschlag zur Güte Im Zusammenhang mit der Integrierten Versorgung ist immer wieder in z. T. verwirrlicher Weise von «Gatekeeper» und «Grundversorger» und deren Rollen in den entstehenden Integrierten Versorgungsnetzen die Rede. Noch ist einiges nicht wirklich klar, allgemeines Unbehagen wächst. Ängste bei gewissen Facharztgruppen vor Unterbeschäftigung wechseln ab mit Bedenken der GrundversorgerInnen, einem noch grösseren Patientenansturm als bisher entgegenzusteuern. Diese verschiedenartigen Ängste mögen v. a. daher rühren, dass die beiden Begriffe Gatekeeper und Grundversorger allzu oft kurzerhand gleichgesetzt werden, was weder einer standespolitischen Diskussion förderlich und erst recht nicht patientenzentriert ist. Ich möchte daher in aller Form dazu anregen, fortan die Begriffe wesentlich sorgfältiger zu verwenden, was durchaus von politischer Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 483 BRIEFE / MIttEIlungEn redaktion.saez@emh.ch Bedeutung sein kann. Es wird sich dann mit Bestimmtheit herausstellen, dass bei chronischer Schizophrenie, schwerer Persönlichkeitsstörung, juveniler Polyarthritis, kompliziert verlaufender Epilepsie oder MS, Mukoviszidose, Colitis ulcerosa und vielen anderen chronischen Leiden der jeweils zuständige Facharzt sinnvollerweise als Gatekeeper wirkt, hingegen nicht unbedingt auch als Grundversorger, jedenfalls dann nicht, wenn der betreffende Facharzt keine ausreichenden allgemeinmedizinischen Fähigkeiten und Infrastrukturen (mehr) hat. Ist aber der Facharzt Mitglied eines funktionierenden Integrierten Netzwerks zusammen mit tüchtigen Grundversorgern, steht einer entsprechend patientenzentrierten Arbeitsteilung nichts mehr im Wege: Der verantwortungsvolle Facharzt-Gatekeeper wird sobald nötig die bestgeeignete Grundversorgerin des Netzwerks einschalten. Es wäre dann nur noch an den Krankenversicherern und den sie vertretenden Parlamentariern, diesen häufig auftretenden Fall politisch in Gesetz oder Verordnung ausdrücklich zu regeln. Tatbeweis für diese Einsicht wäre anschliessend die Bereitschaft der Krankenversicherer, auch mit Fachärzten Netzwerkverträge als Gatekeeper abzuschliessen. Dies würde ein Stück dringend benötigte Klarheit und Praxisnähe schaffen. Es läge im Interesse sowohl der PatientInnen wie auch der GrundversorgerInnen wie auch etlicher Facharztgruppen. Dr. med. Peter Baumgartner, Burgdorf Mitteilungen Facharztprüfung Krebsliga Schweiz Facharztprüfung zur Erlangung des Facharzttitels für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Chirurgisches Basisexamen (1. Teil) Ort: Bern Datum: erster Samstag des Monats November 2011 Anmeldefrist: 31. August 2011 EBOPRAS-Examen (MC-Prüfung; Teil 2a) Ort: Datum: Brüssel (Belgien) – Crowne Plaza Europa Hotel 10. September 2011 Anmeldefrist: 30. Juni 2011 EBOPRAS-Examen (mündlich; Teil 2b) Ort: Mykonos (GR) und Marseille (FR) Datum: 2. Juni 2011 (Mykonos) 5. November 2011 (Marseille) Anmeldefrist: 19. März 2011 (Mykonos) 10. September 2011 (Marseille) Achtung: Teil 3 der Facharztprüfung (Operation) wurde seit 1. Januar 2009 aufgehoben! European Course in Plastic Surgery Ort: Marseille (FR) Datum: 2.–4. November 2011 Anmeldefrist: 15. Oktober 2011 Weitere Informationen finden Sie auf der Website des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen Kathrin Kramis-Aebischer neue Geschäftsführerin Dr. phil. Kathrin Kramis-Aebischer übernimmt per 1. September 2011 die Geschäftsführung der Krebsliga Schweiz mit Sitz in Bern. Die promovierte Psychologin und Psychotherapeutin tritt die Nachfolge von Marcelle Heller an, die die Krebsliga in den vergangenen zwei Jahren interimistisch geleitet hat. Recht Rappaz-Entscheid zum Fehlurteil des Jahres gekürt Die Jury der Juristenzeitung «plädoyer», bestehend aus den Proff. Regina Aebi-Müller, Brigitte Tag und Thomas Gächter, hat den Bundesgerichtsentscheid zur Zwangsernährung von Bernard Rappaz zum Fehlurteil des Jahres 2010 gekürt [1]. «plädoyer» berichtet: «Ein im Ergebnis haarsträubendes Urteil gab es 2010 nicht.» Doch «als besonders stossend stach die Begründung des Bundesgerichts im Urteil über die Zwangsernährung von Bernard Rappaz hervor, weshalb der Entscheid 6B_599/2010 vom 26. August 2010 zum ‹Fehlurteil 2010› gekürt wurde mit dem ausdrücklichen Vermerk: Ergebnis gut, Begründung schlecht.» Die Jurymitglieder argumentierten, dass urteilsfähige Menschen auch im Strafvollzug ein Selbstbestimmungsrecht haben. «Dass zudem das Standesrecht der Ärzte, das sich für die Neutralität der Ärzte beim Hungerstreik ausspreche, im Ergebnis für unbeachtlich erklärt wird, sei schon sehr speziell.» Auch im Strafvollzug habe man nicht die Pflicht, jemanden gegen seinen Willen am Leben zu halten. Die Jury war mit dem Ergebnis – kein Unterbruch des Strafvollzugs – einverstanden. Doch die Urteilsbegründung hätte sich gemäss Prof. Regina Aebi «nicht auf die Möglichkeit einer Zwangsernährung stützen sollen. Sie hätte Rappaz einfach das Recht zugestehen müssen, sterben zu dürfen.» (Zusammenfassung: Hanspeter Kuhn) 1 Stöckli C. Fehlurteil 2010: Entscheid zur Zwangsernährung. Plädoyer. 2011;(1):82. KPP Für parlamentarische Initiative Joder Eine von Nationalrat Rudolf Joder (SVP) lancierte Parlamentarische lnitiative will erreichen, dass die Leistungen der Gesundheits- und Krankenpflege in einen eigenverantwortlichen und einen mitverantwortlichen Bereich aufgeteilt werden.Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner sollen künftig in pfIegespezifischen Belangen eigenständig – ohne ärztliche Anordnung – und damit kosteneffektiver handeln können. Die Konferenz Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren Psychiatrischer Institutionen der Schweiz (KPP) unterstützt die Initiative von Nationalrat Rudolph Joder. Eine Anpassung des KVG, welche die unabhängigen Leistungen der Gesundheits- und Krankenpflege von Pflegefachpersonen definiert, ist nach Auffassung der KPP längst überfällig. Mit der Initiative werde eine Differenzierung von eigenständigen Zuständigkeitsbereichen und mitverantwortlichen Bereichen Wirklichkeit. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 484 FMH SERVICES Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation R e d a k t i o n e l l e Ve r a n t w o r t u n g : F M H S E R V I C E S Seminare / Séminaires / Seminari 2011 Praxiseröffnung/-übernahme Finanz- und Steuerplanung Themen Juristische Aspekte (Praxisbewilligung, Zulassung zur Sozialversicherung, Vertragswesen), Gesellschaftsformen / Ehe- und Erbrecht (Trennung Privat- vom Geschäftsvermögen, Ehegüterstand, Erbschaftsplanung), Praxiseinrichtung (Inneneinrichtung, Kostenberechnung), Praxisadministration (Leistungserfassungs- und Abrechnungssysteme), Unternehmensbewertung einer Arztpraxis (Berechnung und Beurteilung des Unternehmenswertes), Finanzierung der Arztpraxis (Businessplan, Kredite, Absicherungsmöglichkeiten), Versicherungen/Vorsorge/Vermögen (Personen- und Sachversicherungen, Vorsorgeplanung). Themen Finanzplanung (Businessplan, Buchhalterische Massnahmen vor Praxiseröffnung/-übernahme, Standardkontenplan für Ärzte, System der doppelten Buchhaltung, EDV-unterstützte Buchführungslösung), Steuern (Steueraspekte bei Eintritt in die Selbständigkeit, Steuerfallen und Steuerrisiken, optimierte Steuerplanung). Sponsoren Die Kosten werden durch diverse Sponsoren (siehe www.fmhservices.ch) gedeckt. Sponsoren Die Kosten werden durch diverse Sponsoren (siehe www.fmhservices.ch) gedeckt. Daten K11 Donnerstag, 7. April 2011 13.30–18.00 Uhr FMT Zürich K12 Donnerstag, 15. September 2011 13.30–18.00 Uhr Schmiedstube Bern Praxiscomputerworkshop Daten K02 Donnerstag, 14. April 2011 16.00–20.30 Uhr Hotel Walhalla St. Gallen K03 Donnerstag, 9. Juni 2011 9.00–16.30 Uhr Schmiedstube Bern Praxisübergabe Themen Juristische Aspekte (Praxisübergabevertrag, allg. Vertragswesen, Übergabe der Krankengeschichten), Unternehmensbewertung einer Arztpraxis (Berechnung Inventarwert und Goodwill als Verhandlungsbasis), Versicherungen/Vorsorge/Vermögen (Übergabe/Auflösung von Versicherungsverträgen, Pensions- und Finanzplanung), Steuern (Steueraspekte bei der Praxisübergabe, Optimierung der steuerlichen Auswirkungen, Liquidations- und Grundstückgewinnsteuer, Bestimmung des optimalen Übergabezeitpunktes). Sponsoren Die Kosten werden durch diverse Sponsoren (siehe www.fmhservices.ch) gedeckt. Daten K07 Donnerstag, 28. April 2011 16.00–20.30 Uhr Hotel Walhalla St. Gallen K08 Donnerstag, 16. Juni 2011 13.30–18.00 Uhr Schmiedstube Bern Inhalt Die Workshopteilnehmer/innen erhalten im 1. Teil eine Einführung in die Anforderungen an ein Praxisinformationssystem. Anhand einer modernen vernetzten Praxisinfrastruktur werden die Beurteilungskriterien für eine praxis- und zukunftstaugliche Softwarelösung dargestellt. Checklisten sollen die schnelle Orientierung unterstützen und bei der Beurteilung und Wahl des Produkts konkrete Hilfe bieten. In Zusammenarbeit mit der Kommission Informatics – eHealth der Hausärzte Schweiz werden die zentralen Elemente der elektronischen Krankengeschichte aufgezeigt. Ein Erfahrungsbericht eines EDV-Anwenders (Arzt) rundet den 1. Teil ab. Der 2. Teil umfasst die Präsentation von sechs Praxisadministrationssoftwarelösungen (Leistungserfassung, elektronisches Abrechnen unter Einbezug der TrustCenter, Agendaführung, Statistiken, Laborgeräteeinbindung, elektronische Krankengeschichte, Finanzbuchhaltungslösungen usw.). Ziel Die Teilnehmer/innen erhalten einen Anforderungskatalog, welcher ihnen erlaubt, ihre Vorstellungen für ein modernes Praxisinformationssystem besser zu formulieren und diese dem Softwarehersteller zu dessen Vorbereitung zu kommunizieren. Zudem erhalten sie einen ersten Überblick über führende Softwarelösungen. Daten K14 Donnerstag, 30. Juni 2011 9.30–16.30 Uhr BEA Bern Expo Bern K15 Donnerstag, 24. November 2011 9.30–16.30 Uhr Stadttheater Olten Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 485 FMH SERVICES Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation R e d a k t i o n e l l e Ve r a n t w o r t u n g : F M H S E R V I C E S Tarifwerk TARMED – Einführungskurs Themen Fakten (Gesetzliche und vertragliche Grundlagen), Struktur (Tarifbrowser, Grundstruktur des Tarifwerkes, Regelhierarchie, Leistungsblöcke, Leistungsgruppen), Generelle Interpretationen (Wichtigste generelle Interpretationen), Parameter einer Tarifposition (Alle Parameter einer Tarifposition), Tarifpositionen aus dem Kapitel 00 Grundleistungen (Diverse Tarifpositionen aus dem Kapitel 00 Grundleistungen), Praxislabor und Präsenzdiagnostik (Neue Analyseliste), Organisationen und Informationsquellen (www.tarmedsuisse.ch usw.). Kosten 200 CHF (inkl. Kursunterlagen). Daten K61 Dienstag, 24. Mai 2011 14.00–17.15 Uhr Hotel Arte Olten K62 Dienstag, 20. September 2011 14.00–17.15 Uhr Hotel Arte Olten Ouverture et reprise d’un cabinet médical Contenu Business plan (préparation du plan de financement et crédit d’exploitation, financement par la banque), Aménagement (implantation, projet et concept d’aménagement, choix du mobilier, budget), Estimation d’un cabinet (inventaire et goodwill), Administration d’un cabinet médical (dans le cabinet, par la banque), Assurances (toutes les assurances à l’intérieur et autour du cabinet), Passage du statut de salarié à celui d’indépendant et fiscalité. Annullierungsbedingungen / Conditions d’annulation / Condizioni d’annullamento Bei Abmeldungen oder Fernbleiben werden folgende Unkostenbeiträge erhoben: Un montant est perçu pour une absence ou une annulation. Il est de: Un importo verrà rimborsato in caso di assenza o annullamento. Esso sarà di: – 50 CHF pro Person ab 14 Tage vor Seminarbeginn / par personne dans les 15 jours avant le début du séminaire / per persona entro i 15 giorni prima dell’inizio del seminario; – 100 CHF pro Person ab 7 Tage vor Seminarbeginn oder Fernbleiben / par personne dans les 7 jours avant le début du séminaire / per persona entro i 7 giorni prima dell’inizio del seminario. Sponsors Les coûts sont pris en charge par divers sponsors (voir www.fmhservices.ch). Dates K21 Jeudi, 26 mai 2011 13.30–18.00 h Ramada Park Hôtel Genève K22 Jeudi, 1 septembre 2011 17.00–21.30 h World Trade Center Lausanne Remise d’un cabinet médical Dates K24 Jeudi, 5 mai 2011 17.00–21.30 h World Trade Center Lausanne K25 Jeudi, 17 novembre 2011 17.00–21.30 h Ramada Park Hôtel Genève Apertura e rilevamento di uno studio medico Contenuto Business plan (preparazione del piano di finanziamento e del credito d’esercizio, prestito bancario), Pianificazione (insediamento, progetto e pianificazione, scelta del mobilio, budget), Valutazione di uno studio medico (inventario e goodwill), Amministrazione di uno studio medico (interna allo studio, rapporti con la banca), Assicurazioni (tutte le assicurazioni necessarie interne ed esterne allo studio), Passaggio dallo stato di dipendente a quello di indipendente, fiscalità. Sponsor Diversi sponsor si fanno carico delle spese (si rimanda al sito www.fmhservices.ch). Date K51 Giovedì, 12 maggio 2011 dalle 14.00 alle 18.00 FMH Fiduciaria Services Chiasso K52 Mercoledì, 28 settembre 2011 FMH Fiduciaria dalle 14.00 alle 18.00 Services Chiasso Anmeldung und Auskunft / Inscription et information / Iscrizioni e informazioni www.fmhservices.ch oder FMH Consulting Services, Cornelia Steinmann, Burghöhe 1, 6208 Oberkirch, Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86. Hinweis / Remarques / Osservazioni Bei sämtlichen Seminaren, bei denen die Kosten teilweise oder gänzlich von Seminarsponsoren gedeckt werden, werden die Teilnehmeradressen den jeweiligen Sponsoren zur Verfügung gestellt. Les adresses des participants aux séminaires dont les coûts sont couverts en partie ou totalement par des sponsors sont communiquées aux sponsors concernés. Gli indirizzi dei partecipanti ai seminari, i cui costi sono coperti in parte o completamente da degli sponsor, vengono comunicati agli sponsor interessati. Contenu Aspects juridiques (autour du contrat de remise/reprise), Estimation d’inventaire et goodwill d’un cabinet, Assurances (prévoyance, assurances à l’intérieur et autour du cabinet), Conséquences fiscales d’une remise. Sponsors Les coûts sont pris en charge par divers sponsors (voir www.fmhservices.ch). Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 486 Die richtige Diagnose kann über Leben und Tod entscheiden. Auch wirtschaftlich! Machen Sie sich die tägliche Praxis einfacher. Verlassen Sie sich auf professionelle Unterstützung in • Praxisgründung • Praxisführung • Praxisübergabe/-übernahme • Praxisfinanzierungen und Finanzplanung • Persönliche Risiko- und Altersvorsorge • Praxis-, Sach- und Berufshaftpflichtversicherungen • Optimierte Steuerplanung • Nachfolgeplanung und -regelung • Unternehmenswertberechnungen/Praxisverkauf • Praxis- und Stellenvermittlung • Seminare zu Themen wie Praxiseröffnung/-übernahme, Praxisübergabe, Finanz- und Steuerplanung, EDV • Stellenmarkt unter www.fmhjob.ch • Praxismarkt unter www.fmhprax.ch • Factoring • Inkasso FMH Consulting Services Burghöhe 1 • Postfach 246 • 6208 Oberkirch Telefon 041 925 00 77 • Fax 041 921 05 86 mail@fmhconsulting.ch • www.fmhconsulting.ch FMH SERVICES Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation R e d a k t i o n e l l e Ve r a n t w o r t u n g : F M H S E R V I C E S Berufliche Vorsorge BVG n ermi ngst u g i Künd . 6. 2011 30 Vernachlässigen Sie nicht Ihr wichtigstes Altersvorsorgeinstrument! Obwohl der grösste Teil der privaten Vermögen bei einer Pensionskasse liegt, wird dieser Bereich oft vernachlässigt. Es lohnt sich, regelmässig zu überprüfen, welche Lösung am besten zu Ihnen passt. Nachfolgend sehen Sie eine Checkliste der wichtigsten Punkte, welche auf Sie abgestimmt werden sollten: Höhe der Sparbeiträge Je nach Vorsorgeplan können Sparbeiträge von bis zu 25 % des versicherten Einkommens vereinbart werden. Durch eine Erhöhung können Steuern gespart werden. Zudem werden neue Einkaufsmöglichkeiten geschaffen. Höhe der Risikoleistungen Einige möchten im Todesfall Ihre Familie absichern, andere benötigen eine höhere Rente bei Erwerbsunfähigkeit. Welche Bedürfnisse haben Sie? Verzinsung Grundsätzlich wird Ihr Vorsorgekapital zum BVG-Zinssatz von 2,00 % verzinst. Wie sieht es aber im überobligatorischen Bereich aus? Anlageform des Vorsorgekapitals Kennen Sie die Möglichkeiten einer renditeorientierten Anlage Ihres überobligatorischen Vorsorgeguthabens? Risiko- und Verwaltungskosten Wie hoch sind die Risiko- und Verwaltungskosten Ihrer Stiftung? Gibt es noch günstigere Lösungen? Umwandlungssatz Welcher Umwandlungssatz für die Rentenleistung wendet Ihre Stiftung an? Ist im überobligatorischen Bereich ein tieferer Satz vorgesehen? Einkaufsmöglichkeiten Verfügen Sie noch über Einkaufspotential? Wie kann dieses erhöht werden, und wann sind Einkäufe aus steuerlicher Sicht am interessantesten? Vermögensverteilung Kennen Sie die genaue Aufteilung Ihres Vermögens und wissen Sie, wie viel Prozent davon in der Pensionskasse sind? Handeln Sie heute Die meisten BVG-Anschlussverträge sind jeweils per Ende Juni auf Ende Jahr kündbar. Damit genügend Zeit zur Suche der für Sie optimalen Lösung bleibt, empfehlen wir Ihnen, sich jetzt beraten zu lassen. Zögern Sie deshalb nicht und senden Sie uns noch heute den untenstehenden Talon, damit der FMH Insurance Services-Berater aus Ihrer Region mit Ihnen Kontakt aufnehmen kann. Antworttalon Bitte einsenden oder per Fax an: 031 959 50 10 Vorname / Name Adresse PLZ / Ort Geburtsdatum Telefon Privat / Geschäft Beste Zeit für einen Anruf E-Mail-Adresse m Ich möchte meine berufliche Vorsorge BVG überprüfen lassen. Bitte rufen Sie mich für einen Termin an. m Ich interessiere mich auch noch für: m Krankenkasse m Säule 3a m Finanz-/Steuerplanung m m Pensionsplanung m Hausratversicherung m Berufshaftpflichtversicherung Roth Gygax & Partner AG n Koordinationsstelle Moosstrasse 2 n 3073 Gümligen Telefon 031 959 50 00 n Fax 031 959 50 10 mail@fmhinsurance.ch n www.fmhinsurance.ch Talon-Code: IN1311 / BVG " TRIBÜNE Ethik Réflexions à la lecture d’un nouveau traité français de bioéthique La place et le statut de l’éthique aujourd’hui Jean Martin jean.martin@saez.ch Le groupe hospitalier Assistance Publique-Hôpitaux de Paris (AP-HP, une des plus grandes entreprises hospitalières publiques dans le monde) a mis sur pied en 1995 un Espace éthique, animé avec dynamisme par Emmanuel Hirsch, qui est aussi professeur d’éthique médicale à la Faculté de médecine ParisSud 11. L’Espace éthique vient de publier un «Traité de bioéthique» [1], somme substantielle. Trois tomes avec des contributions de 170 auteurs – personnalités médicales, scientifiques, philosophiques, juridiques –, pour un total de 2100 pages. Titres des tomes: I) Fondements, principes, repères; II) Soigner la personne, évolutions, innovations thérapeutiques; III) Handicaps, vulnérabilités, situations extrêmes. Trois livres agréables à consulter, maniables, qui constituent une riche source d’informations et réflexions sur l’éventail de ce à quoi la bioéthique s’intéresse aujourd’hui. Ceci en présentant des positions diversifiées, tout en étant marquées par les «écoles» françaises dans les domaines considérés. Je les ai parcourus avec beaucoup d’intérêt. Il ne saurait ici être question de faire une recension rendant justice à l’ensemble. Ci-dessous extraits et commentaires sur des sujets qui ont particulièrement retenu mon attention. (pour plus, voir le site web de l’Espace éthique ou celui des Editions érès). L’éthique, mode ou nécessité? A-t-elle vocation de subversion? Tiré de l’introduction au tome II par Alain Cordier [2], ancien directeur général de l’AP-HP et membre du Comité consultatif national français d’éthique (CCNE): «Le risque existe de constater que le mot ‹éthique› devient parfois un luxe venant légitimer d’autres considérants moins glorieux, voire relève d’enjeux de pouvoir et de reconnaissance sociale. L’audace ne serait-elle pas alors de chercher à percevoir l’éthique comme subversion, de même que la maladie est une rupture qui dérange l’ordre établi? L’audace ne seraitelle pas d’entendre dans l’éthique comme une interpellation du mode même de penser et d’agir, du pouvoir et du savoir? Et si le questionnement éthique engageait, en réalité, un autrement de l’exercice médical et soignant?» Il convient de récuser «l’accusation d’obscurantisme, qu’une démarche scientiste oppose parfois au souci de réflexion éthique (…) En venir à l’éthique n’est ni nostalgie, ni vœux pieux, ni idéologie. Mais reconnaissons la sage prudence de l’opinion commune lorsqu’elle ressent intuitivement que l’abondance des connaissances provoque parfois l’abon- dance des problèmes.» Il s’agit d’avoir l’audace, dit-il, de découvrir que le malade met au jour quelque chose qui est autre que l’ontologie, que le seul souci de persévérer à être. «Lorsque mes pas m’ont conduit à être directeur général de l’Assistance publique-Hôpitaux de Paris, j’ai inlassablement répété que l’hôpital est lieu d’humanité, parce que l’homme couché y oblige l’homme debout (l’homme debout est l’obligé de l’autre couché).On a là une visée fondatrice, reconnaissant que la faiblesse s’impose à la force.» A propos des problèmes d’allocation des ressources au sein du système de santé en respectant des impératifs de justice et proportionnalité, problématique centrale et constante aujourd’hui: «Comparaison alors épouvantablement difficile mais sans évitement possible, que cette comparaison des malades, ‹comparaison des incomparables›. Lequel des patients passe avant tous les autres? Voilà pourquoi la gestion du système de santé relève pleinement de l’exigence éthique. Mieux dépenser ne se justifie que pour d’abord mieux soigner.» «Si l’on entend dans le mot ‹amour› la relation au malade et dans le mot ‹justice› la relation aux malades, alors on entrevoit avec Levinas que ‹la charité est impossible sans la justice, et que la justice se déforme sans la charité›.» Dans son chapitre [3], la médecin et anthropologue A-.M. Begué-Simon, tout en rappelant les positions de Hannah Arendt, Georges Canguilhem et Michel Foucault, fait écho à l’idée de l’éthique comme activité dérangeante: «Bref, le lieu de l’éthique est celui de la discussion et du débat avec la diversité des convictions qui se confrontent – et non d’emblée dans le consensus. Le lieu de l’éthique est celui de l’interrogation, de la dissidence.» L’homme dans son milieu NB: Quand je dis ici milieu – ou environnement –, je ne pense pas seulement à l’allemand Umwelt, mais bien à Mitwelt (le monde avec lequel, au sein duquel, nous vivons). Pour Alain Grimfeld, pédiatre, actuel président du Comité consultatif national français d’éthique [4], l’engagement doit se situer en fonction de trois éléments principaux: – La situation de l’espèce humaine dans l’ensemble du vivant; – la signification temporelle de ce qu’on appelle «l’échelle humaine» (et la prise de conscience de notre finitude); Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 500 TRIBÜNE Ethik aucun cas une remise en question des progrès, mais plutôt l’incitation forte à une évaluation pérenne des effets de ces pratiques.» En aucun cas une remise en question? Là, le notable médical et public qu’est le Prof. Grimfeld se protège de critiques qui pourront surgir – et pourraient dire qu’il donne indûment dans la «deep ecology». Mais il a raison de réfléchir aux conséquences à plus long terme des merveilles bio-médico-techniques qui fleurissent rapidement. J’ai dit ailleurs ma préoccupation en voyant comment nous nous habituons (je m’habitue) vite à des idées qui, dix ans plus tôt, suscitaient des réserves voire la réprobation [5]. Je souffre de la difficulté de tenir des positions, d’éviter de glisser de proche en proche vers le anything goes (tout et n’importe quoi est admissible). Ajoutez à cela l’élégance intellectuelle de certains bioéthiciens qui au plan international expliquent comment sont raisonnables voire attrayantes les positions hyper-objectivantes et techniciennes (souvent rationnelles, mais sont-elles raisonnables?), qui font bon marché de principes juridiques – ou moraux – établis jusqu’ici. Les données acquises par les neurosciences posent de nouveaux engagements éthiques. – le débat à instituer sur ces deux sujets, de manière pérenne. «Au cours des millénaires (depuis Homo sapiens), le magnifique outil qu’est la réflexion a conféré à l’espèce humaine sa situation particulière. Elle lui a permis de s’adapter à son environnement naturel, souvent hostile. Après ce stade de défense, la réflexion a conduit à considérer différemment notre milieu. L’homme augmenté – Transhumanisme Grimfeld évoque «l’accroissement des performances et de la durée de vie d’êtres humains, pour en faire des ‹hommes augmentés›. Il est prévisible que les enfants nés au début du XXIe siècle, dans les pays comme les nôtres, deviendront pour moitié d’entre eux des centenaires. Est-il souhaitable qu’une application des progrès de la science soit d’allonger constamment la «L’audace ne serait-elle pas alors de chercher à percevoir l’éthique comme subversion, de même que la maladie est une rupture qui dérange l’ordre établi?» Jean-Jacques Rousseau invitait à respecter la nature bienfaitrice (…). Avec Voltaire, le progrès, de plus en plus technique, est apparu comme la composante indispensable de la préservation de l’espèce humaine. Cependant, suivant Amartya Sen et Joseph Stiglitz, prix Nobel d’économie, cette notion de progrès, souvent confondue avec le développement économique et financier, demande à être reconsidérée (…) Nombreux maintenant sont les faits scientifiques démontrant que cette conception du splendide isolement de l’espèce humaine est fausse.» Plus loin, prise de position politiquement peu correcte, délicate: «Pour pallier certaines causes de stérilité ou d’anomalies, des techniques d’assistance médicale à la procréation ont été mises à disposition. Cela étant, n’introduisons-nous pas un ‹biais›, comme une dérive, aussi par rapport aux autres espèces vivantes, au nom d’une bienfaisance vis-à-vis de notre propre espèce? Ce questionnement n’est en durée de vie moyenne? Sommes-nous capables de contrôler en temps réel le rapport optimal entre jeunes et vieux, pour le maintien d’une société harmonieuse?» «Certains courants de pensée seraient favorables à quitter notre branche ontologique actuelle – celle qui porte l’espèce humaine – pour concevoir une nouvelle espèce de ‹transhumains› (…) Dans le domaine des sciences de la vie tout ce qui est réalisable ne doit pas être pour autant autorisable.» A propos de neurosciences Elles sont l’un des champs les plus stimulants de la biologie, réflexion et débat à leur sujet ont un caractère d’urgence. Grimfeld encore: «Parallèlement, les mécanismes biologiques supportant l’intelligence et le comportement ont continué à fasciner. Les données acquises posent de nouveaux engagements éthiques, notamment par la différenciation qu’elles Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 501 TRIBÜNE Ethik pourraient induire entre les individus et par des applications potentiellement intrusives.» La contribution du traité de bioéthique discuté ici sur ce thème spécifique est le fait d’Hervé Chneiweiss [6], directeur du laboratoire «Plasticité gliale» à l’université Paris Descartes. «Il résulte (des travaux récents) une nouvelle conception de certains de nos mécanismes de pensée comme de nos processus de décision, ainsi qu’une capacité jusqu’alors inconnue d’agir sur certains comportements sociaux.» Question fondamentale: «Quel est le statut des résultats obtenus en neurosciences? Pouvons-nous considérer qu’il ne s’agit que de connaissances, encore très embryonnaires, et qu’en cela elles ont essentiellement un caractère descriptif, utiles aux biologistes, parfois utiles aux médecins, mais sans conséquence au-delà? (…) Ayant comme objet d’étude cet organe qui permet notre relation au monde, autant notre perception du monde extérieur que notre capacité d’agir, l’analyse du fonctionnement du cerveau peut bouleverser notre conception de l’individu en mettant en évidence les mécanismes neurophysiologiques par lesquels l’homme est un agent moral, adopte ou non un comportement éthique.» Dans le meilleur des cas, dit-il, ces informations peuvent conduire à de meilleurs programmes d’éducation des enfants, aider à la récupération de fonctions altérées. Inversement, elles peuvent conduire à des tentatives de contrôle du comportement, inciter à certaines consommations par une publicité plus efficace, stigmatiser et exclure certains «déviants» ou malades considérés comme incurables. A l’interface de deux domaines où les choses vont vite: «Les avancées dans le domaine des nanotechnologies permettent d’envisager des prothèses neurales, au risque de nous transformer en une nouvelle espèce hybride, mi-homme mi-machine» (rappelons qu’on parle de cyborgs – cyber-organismes). Distinguo à retenir: «Il y a une éthique de la neurobiologie, qui considère la spécificité du questionnement éthique face aux connaissances acquises. Il y a une neurobiologie de l’éthique qui mettrait en évidence les mécanismes cérébraux qui conduisent aux comportements éthiques.» Neuroéthique, amélioration de l’homme et de ses comportements? Chneiweiss: «Le premier chapitre éthique en neurosciences, c’est analyser les conséquences de la constante recherche d’amélioration des performances dans des domaines variés (humeur, mémoire, sommeil, appétit, sexualité), tous aujourd’hui accessibles grâce à une gamme de psychotropes. Notons que parler d’amélioration d’un comportement, c’est accepter implicitement qu’il existe une normalité, avec son versant négatif – sa dégradation – et un versant positif – amélioration, intensification. C’est également reconnaître le caractère social de cette norme et donc Trois tomes avec des contributions de 170 auteurs – personnalités médicales, scientifiques, philosophiques, juridiques –, pour un total de 2100 pages. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 502 TRIBÜNE Ethik discuter du choix sociétal dans les applications des neurosciences.» Beau programme. La question éthique évidente posée par l’usage de ces méthodes (psychotropes mais aussi – dans l’histoire médicale – la psychochirurgie, la cure d’insuline, l’électrochoc) est de savoir sur quels préjugés sociaux et au profit de qui se fait le traitement. Il s’agit d’évaluer «les répercussions sociétales des avancées des neurosciences, de connaissances permettant d’observer et peut-être de prédire certains comportements. (Ce qui) remet en question des conceptions fondamentales de la personne, comme la notion d’intention ou de volonté personnelle, et peut modifier l’approche légale de la responsabilité individuelle*. Il est essentiel que nous nous interrogions sur les conséquences sociales possibles.» [7] processus évolutif dont nous avons hérité un équilibre fonctionnel? Par morale?». Comme le suggère «Le Meilleur des Mondes» de Aldous Huxley, la prise généralisée d’améliorateurs de la performance deviendrait une contrainte sociale. En général, ce Traité de bioéthique confirme qu’il y a chez nos voisins et collègues français une volonté de réflexion critique, de prise de recul par rapport aux enthousiasmes scientistes plus fréquents dans les pays anglo-saxons. Ces réserves peuvent donner l’impression de conservatisme, d’attachement à des doctrines en voie d’être dépassées, de crainte de briser des tabous. Certains de ces «tabous» méritent probablement d’être réexaminés, d’autres d’être fermement défendus. Dans tous les cas, il convient de donner attention à des positions insistant sur l’impor- «Certains de ces ‹tabous› méritent probablement d’être réexaminés, d’autres d’être fermement défendus.» * J’ai entendu en mai 2010 à Paris un (brillant) spécialiste des neurosciences. A l’issue de sa conférence, un auditeur demande ce qu’il pense du libre-arbitre. Réponse: «Je ne suis pas très à l’aise avec cette question… je ne vois pas comment le libre-arbitre peut exister.» A l’occasion de ses quarante ans d’existence, le Hastings Center, institution de bioéthique américaine, a présenté, notamment, l’évolution des idées et des pratiques (médicales, sociales) en rapport avec les comportements atypiques/indésirables [8]. Chneiweiss à cet égard: «La limite est floue entre le normal et le pathologique. Ce qui conduit à poser la question de la capacité de nos sociétés à définir et/ou à tolérer un quelconque trouble de l’humeur. Faut-il systématiquement traiter ces troubles? Quand faut-il traiter? Qui décide de traiter, et comment? (…) Ou bien, finalement, ne faudrait-il pas rendre la consommation de Prozac permanente et obligatoire pour tous?» (au nom du «right to pursue happiness» de la Déclaration d’indépendance des Etats-Unis?). This is the question: «Qui, honnêtement, ne souhaiterait pas être toujours de bonne humeur, avoir un corps d’athlète, une mémoire d’éléphant, et pouvoir consacrer sans fatigue sa nuit à des agapes sexuelles? Quelle sont les objections éthiques à une médication qui demain permettrait tout cela sans danger? Pourquoi ne pas succomber aux délices du libéralisme consumériste? Par prudence devant les dangers de l’usage au long cours? Par considération pour le lent tance de grands principes philosophiques et relatifs aux droits de l’être humain, sur la retenue et sur la «sagesse pratique». Références 1 Hirsch E. (dir. publ.) Traité de bioéthique (3 tomes). Toulouse: Editions érès; 2010. 2 Cordier A. La vocation médicale de l’homme, in-quiétude éthique et professions de santé. Dans: Hirsch E. op. cit. tome II. p. 13–35. 3 Begué-Simon AM. Anthropologie, médecine et éthique. In: Hirsch E. op. cit. tome II. p.62–73. 4 Grimfeld A. Pour un engagement éthique permanent. In: Hirsch E. op.cit. tome II. p. 457–463. 5 Martin J. Quo Vadis, éthique en biomédecine? Revue médicale suisse. 2007;3:1973–4. 6 Chneiweiss H. Neurosciences et neuroéthique. In: Hirsch E. op.cit. tome II. p. 493–506. 7 Martin J. Responsabilité individuelle et neurosciences. Bull Méd Suisses. 2009;90(10):402. 8 Martin J. Quarante ans de bioéthique – des éclairages du Hastings Center. Revue médicale suisse 2009:5:1952–3. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 503 TRIBÜNE Thema Der neue Fernseh-Arzt Dr. Moser (3. v. r.) und sein sympathisches Team sollen das angekratzte Arzt-Image verbessern. Arztserien im Schweizer Fernsehen Dr. House muss gehen, dafür kommt Dr. Moser EMH-Newsservice «Defibrillator!» – «Hilfe! Wir verlieren ihn!» – «Das blutende Aneurysma sofort in OP 8!» Viele Arztserien im Fernsehen kennen nur schicksalhafte Verläufe, keine langweilige Routine. Da der Normalfall nicht auftritt, bewegt sich der Fernsehdoktor nahezu ausschliesslich zwischen dramatisch verlaufenden Notfällen und lebensbedrohlichen Komplikationen. Nichtsdestotrotz begegnen wir in diesen Serien Ärzten, die kompetent, verständnisvoll und einfühlsam nicht nur medizinische, sondern auch private Probleme lösen und allgemeine Lebenshilfe leisten. Es erscheint selbstverständlich, dass sich der Chefarzt Zeit für eine Tasse Kaffee mit seinen nicht privat versicherten Patienten nimmt. sehen durchgeführt, und deren Ergebnisse sind alarmierend. Eine Studie der Fachhochschule Fulda an stationären Patienten eines Akutkrankenhauses konnte 2003 aufzeigen, dass der regelmässige Konsum von Krankenhausserien unrealistische Erwartungen weckt und somit die Unzufriedenheit von Patienten mit der ärztlichen und pflegerischen Betreuung fördert [1]. In einer weiteren deutschen Studie wurden Patienten vor der Durchführung eines elektiven chirurgischen Eingriffs zu ihren Fernsehgewohnheiten und ihrer Angst vor der Operation befragt. Die Ergebnisse waren eindeutig: Patienten, die sich häufig Arztserien anschauen, sind ängstlicher vor Operationen und unzufriedener mit der Visite [2]. © Kristin Dos Santos In den letzten Jahren wurden systematische Untersuchungen zum Einfluss von Arztserien im Fernsehen durchgeführt, und deren Ergebnisse sind alarmierend. Aus die Maus, Dr. House – ab Oktober wird der Schweizer Arzt Dr. Moser den verzerrten Darstellungen des medizinischen Alltags ein Ende machen. Diese Mischung aus Arztroman, Heimat- und Katastrophenfilm hat zwangsläufig Auswirkungen auf das Berufsbild in der Öffentlichkeit und die Arzt-PatientenBeziehung. Entsprechende Erfahrungen – aus Sicht der Ärzteschaft in erster Linie schlechte – reichen 25 Jahre zurück. Als in den 1980er Jahren «Die Schwarzwaldklinik» im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, sah sich die FMH zum ersten Mal zu einer Klarstellung genötigt; es war nicht hinnehmbar, dass Schweizer Patienten scharenweise ins Glottertal pilgerten, um sich bei Professor Brinkmann in Behandlung zu begeben. Ausserdem sollen sich nicht wenige Schweizer Ärzte dort beworben haben. Erstmals wissenschaftliche Studien zu Arztserien Doch erst in den letzten Jahren wurden systematische Untersuchungen zum Einfluss von Arztserien im Fern- Und gemäss einer im letzten Jahr veröffentlichten Untersuchung der University of Rhode Island in Kingston halten sich Studenten, die viele Sendungen mit medizinischen Inhalten sehen, für gesundheitlich besonders gefährdet [3]. Nicht nur die verzerrte Darstellung des medizinischen Alltags, sondern auch die schleichende Änderung des Arztbildes in den Medien schürt die Angst vor Krankheiten und medizinischen Eingriffen. Der charismatische Halbgott in Weiss mit Föhnfrisur musste teilweise dem überlasteten und frustrierten Medizintechnokraten weichen. Ein Beispiel für neue Arztbilder ist der arrogante, miesepetrige, tablettenabhängige Zyniker und Misanthrop Dr. House, der Patienten nur als störend empfindet und von dem sich daher niemand freiwillig behandeln lässt. Die Ambivalenz der vermittelten Arztbilder im Fernsehen trägt mit dazu bei, dass das Ansehen unse- Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 504 TRIBÜNE Thema res Berufsstandes weiter sinkt [4]. Ein falsches Arztbild wird aber auch durch den permanenten Kaffeekonsum der Fernsehärzte erzeugt, sei es unter Kollegen im Arztzimmer oder zusammen mit Patienten. Der Karriereschritt vom einfachen Kinderarzt Dr. Doug Ross zum Chef der Nespresso-Abteilung entspricht nicht der üblichen Arztlaufbahn. Die Realität ist eine andere: Ärzte finden oftmals nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen, geschweige denn ständig etwas zu trinken, und weisen eine schlechtere Flüssigkeitsbilanz als die von ihnen betreuten Patienten auf – so eine vor kurzem im British Medical Journal veröffentlichte Studie [5]. Patienten, die sich häufig Arztserien anschauen, sind ängstlicher vor Operationen und unzufriedener mit der Visite. Neben überzogenen Patientenerwartungen und -ängsten sowie der Entmythologisierung des Arztes sind die teilweise falschen, mitunter sogar gefährlichen Behandlungsmethoden der Fernsehärzte ein dritter Anlass zur Beunruhigung. Forscher von der Dalhousie University in Halifax haben über 300 Folgen verschiedener TV-Serien ausgewertet und vergangenes Jahr exemplarisch zeigen können, dass etwa die Hälfte der dargestellten epileptischen Anfälle unangemessen behandelt wurde [6]. Nicht einmal in einem Drittel der Fälle wurde leitliniengerecht gehandelt. Problematisch ist dabei, dass Laien, deren erste Hilfe im In welchem Schweizer Spital die neue Arzt-Serie gedreht wird, bleibt vorerst geheim. Notfall durchaus gefragt sein kann, ihr medizinisches Halbwissen aus einer Fernsehserie bezogen haben. Nicht nur die Schweizer Neurologen sind empört und besorgt; der Unwillen von Schweizer Ärztinnen und Ärzten über die gefährliche und einen ganzen Berufsstand diskriminierende Fernsehkost zieht sich durch alle Fachgesellschaften. Für die fatalen Auswirkungen von Arztserien gibt es heute ausreichende Evidenz – und somit stichhaltige Argumente für die FMH, um erneut aktiv zu werden und einen Vorstoss gegen die laufenden Arztserien im Fernsehen zu unternehmen. Als erste Massnahme wurde den Fachgesellschaften bereits letztes Jahr nahegelegt, keine FortbildungsCredits mehr für DVDs mit Staffeln von Emergency Room und Grey’s Anatomy zu vergeben (bisher war das gegen Vorlage einer entsprechenden Kaufquittung die gängige Praxis). Einen Durchbruch konnte die FMH nun in Verhandlungen mit den führenden Kabelnetzgesellschaften Cablecom und Swisscom erzielen, wobei Bundesrätin Doris Leuthard eine nicht unwesentliche Rolle als Vermittlerin gespielt hat: Einige Arztserien werden in der Schweiz ab dem 1. April 2011 nicht mehr ausgestrahlt, was konkret heisst, dass Dr. House zu Hause sowie die Tür zum Emergency Room für immer verschlossen bleibt und wir uns in aller Freundschaft von Dr. Heilmann und der Sachsenklinik verabschieden dürfen. Mit dem Alternativvorschlag der Schweizer Kabelnetzbetreiber, die freien Sendeplätze mit alten Folgen von Samuel Stutz’ Gesundheit Sprechstunde zu füllen, war die FMH allerdings nicht einverstanden – stattdessen hat der FMH-Zentralvorstand beschlossen, beim Schweizer Fernsehen SF eine eigene Produktion für eine Schweizer Arztserie in Auftrag zu geben. Diese wird ab Oktober zur besten Sendezeit, das heisst Samstagabend um 20.15 Uhr ausgestrahlt werden. Der vielversprechende Name der Serie lautet: «Dr. Beat Moser – der Arzt, der die Schweiz von innen kennt» – nicht zuletzt deswegen, weil Dr. Moser ein begnadeter Operateur und Endoskopiker sein soll. Zunächst sind 36 Folgen vorgesehen; acht davon sind bereits abgedreht und haben einen festen Sendetermin (siehe Kasten). FMH-Initiative gegen das angekratzte Arzt-Image Mit der Serie soll das angekratzte Arzt-Image in der Schweizer Öffentlichkeit aufpoliert werden und der Mythos vom allmächtigen und selbstlosen Helfer wieder auferstehen. Dr. Moser ist ein Sympathieträger, den Frauen wie Männer aller Altersklassen lieben und der somit imstande ist, das erodierte Vertrauen in Schweizer Ärztinnen und Ärzte wieder herzustellen. Und vor allem: Dr. Moser trinkt Beuteltee und verabscheut Kaffee, um mit diesem Klischee ein für alle Mal aufzuräumen. Im Gegensatz zum Strickmuster der Schwarzwaldklinik gibt es keine Doktorspiele in einer heilen Welt, im Gegenteil: Problemfelder wie lange Arbeits- Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 505 TRIBÜNE Thema Literatur 1 Witzel K, Hipp T, Kaminski C. Arztbild in den Medien. Dr. Stefan Frank hätte sich mehr Zeit genommen … Deutsches Ärzteblatt. 2003;100(45): A2933–4. 2 Witzel K, Kaminski C, Struve G, Koch HJ. Einfluss des Fernsehkonsums auf die Angst vor einer Operation. NeuroGeriatrie. 2008;5(2):57–61. Dr. Moser trinkt Beuteltee und verabscheut Kaffee, um mit diesem Klischee ein für alle Mal aufzuräumen. 3 Pressemitteilung der University of Rhode Island vom 30. September 2010. URI professor warns: TV viewing likely to make you fear sickness. www.uri.edu/news/ releases/?id=5513 zeiten, knappe Ressourcen, Ärztemangel, sinkende Einnahmen, DRG und Klinikschliessungen werden offen thematisiert. Ausserdem soll die Serie ein Instrument zur Aufklärung des breiten Publikums sein und dem Laien Grundkenntnisse in korrekten ErsteHilfe-Massnahmen vermitteln. Hintergrund der ersten 36 Folgen bilden die 36 beliebtesten Erkrankungen der Schweizer – damit kommt die FMH auch gesamtgesellschaftlichen Ansprüchen nach und fördert die Persönlichkeitsbildung in der Bevölkerung. Schliesslich unterscheiden wir uns oft nur durch unsere Krankheiten voneinander. Dass wie bei «Tag und Nacht», dem ersten Versuch einer Schweizer Arztserienproduktion, vorzeitig die Lichter ausgehen könnten, halten sowohl das SF als auch die FMH für unwahrscheinlich. Für hohe Einschaltquoten sollten allein schon die Darsteller (richtige Ärzte und Krankenschwestern und keine medizinische Laien-Spieltruppe) und die grandiosen Landschaftsaufnahmen sorgen. Der Anspruch ist hoch – und Gutes hat seinen Preis. Das hat auch die FMH erfahren müssen, denn die Produktionskosten der Serie überschreiten bei weitem das vorgesehene Budget. So bleibt ein kleiner Wermutstropfen für die Schweizer Ärzteschaft: Die FMH-Mitgliedsbeiträge werden im nächsten Jahr deutlich ansteigen. Aber was ist schon Geld gegenüber der Aussicht, für unsere Patienten ein zweiter Dr. Moser zu sein. 4 Krüger-Brand HE. Ärzteimage im Fernsehen. Abschied vom «Halbgott in Weiss». Deutsches Ärzteblatt 2003;100(45):A2928–31. 5 Solomon AW, Kirwan CJ, Alexander NDE et al. Urine output on an intensive care unit: case-control study. BMJ 2010;341:c6761 – doi:10.1136/bmj.c6761 6 News from the AAN Annual Meeting. First aid management of seizures in TV medical dramas: fusing fact with fiction. Neurology Today; 18 March 2010. Dr. Beat Moser – der Arzt, der die Schweiz von innen kennt Die ersten 8 Folgen in diesem Jahr:* 1. Oktober Schlucken, nicht kauen! 8. Oktober Wenn ein Schnitt daneben geht … 15. Oktober Blumen gehören nicht ins Krankenzimmer 22. Oktober Da kann man nichts machen! 29. Oktober Einatmen, ausatmen und nicht mehr atmen 5. November Doppelt genäht hält besser 12. November Wie geht es uns denn heute? 19. November Der Simulant von Zimmer 13 * SF 1, jeweils am Samstag von 20.15 Uhr–22.00 Uhr Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 506 TRIBÜNE Spectrum En un coup d’œil: matériel et projets scolaires sur l’alimentation Etes-vous à la recherche de matériel didactique ou d’idées pour développer dans votre école un projet consacré à l’alimentation? Les inventaires de matériel et de projets que la Société suisse de nutrition (SSN) a réalisés et établis pour chacune des trois régions linguistiques de la Suisse ont été entièrement actualisés et vous donnent un bref Erste Schweizer Patientenbefragung zu Plazebo Sowohl Patienten als auch Ärzte sind der Ansicht, dass der Glaube an die Wirksamkeit einer Therapie körperliche Beschwerden heilen hilft. Entsprechend aufgeschlossen sind sie gegenüber PlazeboTherapien. Zu diesem Resultat gelangt die Patientenbefragung der Ethikerin Margrit Fässler von der Universität Zürich. Erschienen ist sie in der aktuellen Ausgabe des British Journal of General Practice. Ein ebenfalls aufschlussreiches Studienergebnis: 72 Prozent der Patienten möchten unbedingt informiert werden, wenn ihr Arzt oder ihre Ärztin ein Medikament einzusetzen plant, dem eine unspezifische Wirkungsweise zugeschrieben wird. Die Ärzteschaft hingegen geht im Mittel davon aus, dass lediglich 33 Prozent der Patienten diesen Wunsch nach Information haben. (Universität Zürich) Nouvelle brochure pour les parents migrants aperçu de ce qui est disponible actuellement. Vous y trouverez un grand nombre de matériels didactiques, de jeux et de moyens pédagogiques auxiliaires ainsi que des projets concernant l’alimentation, classés par catégories d’âge, du jardin d’enfants à l’école professionnelle. Vous trouverez les inventaires complétés et mis à jour sur www. sge-ssn.ch à la rubrique «Info écoles → Matériel didactique». (SSN) Wer verdient den MS-Preis? Kennen Sie in Ihrem Umfeld eine Person oder eine Gruppe, die sich ganz besonders für Multiple Sklerose (MS) einsetzt? Dann nominieren Sie doch diese Person oder Gruppe für den MS-Preis 2011. Seit 2000 verleiht die MS-Gesellschaft jährlich den Schweizerischen MS-Preis. Zu den Preisträgern zählen MS-betroffene Personen, die durch ihre Art und Weise, wie sie mit MS leben, anderen Betroffenen und nicht Betroffenen Mut machen. Auszeichnungswürdig sind auch besondere Leistungen im Interesse von MS-Betroffenen und ihren Angehörigen. Honoriert werden können zudem herausragende Beiträge zur generellen Entwicklung der MS-Arbeit in der Schweiz. (Schweizerische MS-Gesellschaft) Patienten und auch Ärzte sind einer Therapie mit Plazebos gegenüber aufgeschlossen. La brochure contient des informations pratiques pour chaque âge de l’enfant. Chaque année, environ 20 000 enfants naissent en Suisse de parents étrangers. En raison de leur connaissance insuffisante de la langue, certains de ces parents ne sont pas assez informés de l’offre de prévention, de conseil et d’encouragement précoce disponible pour leurs enfants. C’est pourquoi Pro Juventute a lancé le guide pratique «Pro Juventute – Notre enfant» destiné aux parents d’enfants de 0 à 6 ans de langue étrangère. Il contient des informations pratiques pour chaque âge de l’enfant sur des thèmes comme les soins, l’alimentation, la santé ou le développement, ainsi que des conseils sur l’éducation et la formation. Pendant son année de lancement, Pro Juventute met le guide gratuitement à la disposition des services spécialisés. Il est également disponible sous www.projuven tute.ch (Pro Juventute) Wenn die Kindheit mit dem Tod endet Die Schweiz ist ein Entwicklungsland, wenn es um Sterbebegleitung bei Kindern und Jugendlichen geht. Das Psychologische Institut der Universität Zürich und das Kinderspital Zürich haben untersucht, welche Bedürfnisse die Eltern todkranker Kinder haben. Wie zufrieden Eltern mit der palliativen Betreuung sind, hängt laut der Onkologin Eva Bergsträsser im Wesentlichen vom Krankheitsverlauf ab. Bei einer Krebsdiagnose werden meist sofort medizinische Massnahmen eingeleitet, und die Eltern sind von Beginn an von Fachpersonen umgeben. Anders bei Kindern, die an einer langsam fortschreitenden Krankheit leiden, die nicht unmittelbar im Spital behandelt werden kann. Hier fühlen sich Eltern gemäss Studie oft allein ge- lassen. Werden sie hingegen von der Kinder-Spitex zu Hause begleitet, geht es ihnen häufig besser. (Universität Zürich) Eltern von todkranken Kindern sehnen sich nach Unterstützung und Ansprechpartnern. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 507 HORIZONTE Begegnung mit … … Pierre-Yves Maillard, Staatsrat und Gesundheitsdirektor des Kantons Waadt, Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK «Die therapeutische Freiheit ist sehr wichtig» Daniel Lüthi Text und Bilder danielluethi@gmx.ch Vollblutpolitiker sprechen wohl am liebsten über Politik. Bei Pierre-Yves Maillard ist es die Gesundheitspolitik. Wagen wir trotzdem den Versuch, beim Persönlichen zu beginnen. Die Herkunft zum Beispiel könnte als Hintergrund einer bemerkenswerten politischen Karriere eine Rolle spielen. Vollblutpolitiker Maillard wehrt sich nicht; am grossen Besprechungstisch im geräumigen Büro lehnt er sich genüsslich zurück und denkt mit spürbarer Wertschätzung an seine Wurzeln: «Mein Grossvater väterlicherseits war Maurer, der Grossvater mütterlicherseits Landwirt. Und weil ich handwerklich unbegabt war, schickte mich meine Mutter auf den Bauernhof ihrer Eltern jeweils in die Ferien.» Dort lernte der spätere Herr Staatsrat nicht nur Traktor fahren, sondern offenbar auch arbeiten. Und bei den Arbeitern – so auch beim Vater, der zuerst in einer Garage und dann als Schulhausabwart tätig war – kristallisierten sich für Pierre-Yves Maillard auch die Leitlinien seines späteren politischen Wirkens heraus: «Ja, meine sozialen Wurzeln sind die Basis für mein Engagement.» Womit wir bereits beim Lieblingsthema dieses Vollblutpolitikers angelangt sind. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 508 HORIZONTE Begegnung mit … Monopole als Chance «Die Idee des ‹Service public› ist für mich zentral, sie relativiert die Gesetze der Marktwirtschaft», sagt Maillard, und es wird bald einmal klar, dass jetzt ein längerer grundsatzpolitischer Diskurs folgen könnte, wie ihn der 43-Jährige wohl schon sehr oft geführt hat. Was meint er konkret? «Nehmen wir zum Beispiel die Post, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abdeckt. Sie ist auch dort wichtig, wo sie nicht rentiert.» Oder der Elektrizitätsmarkt, wo sich das Schweizer Volk 2002 in einer Abstimmung gegen mehr Wettbewerb aussprach, was Maillard als «sozialdemokratische Erfolgsgeschichte» bezeichnet. Oder die SBB: «Wir haben wahrscheinlich die besten Eisenbahnen der Welt», schreibt er euphorisch in seinem Buch, in dem es eigentlich um die heilungsbedürftigen Krankenkassen geht [1]. Pierre-Yves Maillard Pierre-Yves Maillard wurde 1968 in Lausanne geboren. Sein Studium schloss er als Sekundar- «Ja, meine sozialen Wurzeln sind die Basis für mein Engagement.» lehrer ab und unterrichtete dann Französisch, Geschichte und Geografie. Früh schon wurde er politisch aktiv: Mit 20 trat er der sozialdemokratischen Partei bei, mit 22 bereits wurde er Die verbindende Hauptaussage für alle erwähnten Themenbereiche ist die: Demokratisch kontrollierte Monopole können einer sozialen Ökonomie dienen, reine Marktwirtschaft und Neoliberalismus schaden ihr meistens. Bezogen auf die Gesundheitspolitik in diesem Land, heisst dies für Staatsrat Maillard: «Die Rolle des Staates bei der Planung und Regulierung muss gestärkt werden. Denn viele in diesem Markt haben auch im Sinn, möglichst viel Geld zu verdienen und möglichst viele Dividenden auszuzahlen.» Bezogen auf die Krankenkassen, die sich gegenseitig konkurrenzieren, bedeutet dies laut Maillard, dass der Rentabilitäts- den Solidaritätsgedanken verdrängt, und eine gewinnorientierte Risiko-Selektion eine asoziale Zweiklassenmedizin herbeiführt. Vehement verficht er deshalb weiterhin das Projekt «Einheitskrankenkasse», das im Parlament und beim Volk bisher keine Mehrheit fand. Aber Maillard ist ein Kämpfer, den Gegenwind eher beflügelt als lähmt. Eine welsche Zeitschrift betitelte ihn deshalb einmal als «Bulldozer». Er nimmt’s gelassen: «Ich bin halt keine Windfahne, die ihre Position dauernd wechselt. Das hat übrigens dazu geführt, dass ich bereits im Alter von 30 Jahren als ‹archaisch› bezeichnet wurde …» 1 Maillard PY. Soigner l’assurance maladie! Lausanne: Editions Favre; 2010. «Fehler im System» Zurück zur Schweizer Gesundheitspolitik: «Das heutige System hat schwerwiegende Konstruktionsfehler», sagt Maillard. Die Frage nach einem konkreten Beispiel beantwortet er mit einem Blick zurück auf die Jahre 2000 bis 2004, als er Regionalsekretär der Gewerkschaft SMUV für die Kantone Freiburg und Waadt war: «Wir betrieben damals eine kleine Krankenkasse. Sie Mitglied des Lausanner Stadtparlaments. 1999 bis 2004 war er Nationalrat, 2004 bis 2008 Vizepräsident der SP Schweiz. 2004 wurde Maillard in die siebenköpfige Waadtländer Kantonsregierung gewählt. Er siegte damals gegen den SVPVertreter Martin Chevallaz und ist als Staatsrat seither Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartementes. Pierre-Yves Maillard ist verheiratet und Vater von zwei Kindern (zwei- und dreieinhalbjährig). Er lebt mit seiner Familie in Renens bei Lausanne. hatte einen Deckungsgrad von 100 Prozent und die tiefsten Prämien im Grossraum Lausanne. Eine sehr, sehr gute Situation also für alle Seiten. Wir verdoppelten die Mitgliederzahl, die Reserve halbierte sich gleichzeitig, was immer noch komfortabel war. Jetzt beantragten wir beim zuständigen Bundesamt eine Prämienerhöhung von 5 Prozent. Alle anderen würden ihre Prämien um 10 Prozent erhöhen, lautete die Antwort, bei uns reiche dies nicht, weil wir sonst immer noch die billigsten seien – 17 Prozent mehr müssten wir verlangen. Unglaublich, oder? So sind viele kleine Kassen dann eben verschwunden.» Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 509 HORIZONTE Begegnung mit … Übrigens: Beinahe hätte bereits seine Ausbildung Maillard in den Themenbereich Gesundheit geführt. «Ich habe mir damals überlegt, Medizin zu studieren», erzählt er. Er habe sich dann dagegen entschieden, weil das Studium zu lange gedauert hätte: «Ich wollte möglichst schnell meine Eltern entlasten und finanziell unabhängig werden.» «Das heutige System hat schwerwiegende Konstruktionsfehler.» Marktwirtschaft bei Medizinern? Und woran denkt er heute, wenn er an die Medizin und die Mediziner denkt? «Ein absolut faszinierender und sinnvoller Beruf», schwärmt er, sieht sofort aber auch wieder Gefahren: «Heute noch verfügen die Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz über die Grundlagen, damit sie sich in erster Linie am Wohl ihrer Patientinnen und Patienten orientieren können. Neue Modelle könnten dazu führen, dass kommerzielle Überlegungen wichtiger werden.» Konkreter: «In einer Situation, wo 10 Prozent der Patienten 70 Prozent der Kosten generieren, und sich die Krankenkassen gleichzeitig konkurrenzieren, also sogenannt schlechte Risiken möglichst vermeiden wollen, ist ein durch die Kassen verwaltetes ManagedCare-System ein gefährliches, weil unsoziales Modell.» Einmal mehr also die klare Ablehnung von Wirtschaftsliberalismus in einem Bereich, wo es um Grundbedürfnisse der Bevölkerung geht. Beinahe erstaunlich deshalb, dass mit Blick auf die Mediziner doch noch ein liberaler Gedanke zu einer Schlüsselaussage wird: «Die therapeutische Freiheit ist sehr wichtig.» Gleichzeitig, betont Maillard, müsse bei Bedarf für alle Patientinnen und Patienten der Zugang zu allen notwendigen medizinischen Leistungen gewährleistet sein: «Wenn ich mir keinen Ferrari für 150 000 Franken leisten kann, lebe ich trotzdem gut. Wenn ich für den gleichen Betrag eine Krebstherapie brauche, muss ich sie bekommen können.» Und zwar unabhängig von den persönlichen finanziellen Verhältnissen: «Es ist einfach nicht richtig, dass der eine 2 Prozent seines Einkommens für Krankenkassen-Prämien bezahlt, und der andere für die gleichen Leistungen 20 Prozent.» Maillard – jetzt ganz Vertreter einer kantonalen Regierung – plädiert für eine möglichst starke Len- kung des Gesundheitssystems durch die Kantone, im stationären wie im ambulanten Bereich der Spitäler. In seinem Kanton Waadt jedenfalls habe sich dies bewährt: «2003 waren hier die Kosten noch 20 Prozent höher als im schweizerischen Durchschnitt, jetzt nur noch 10 Prozent. Spitex, Altersheime und der stationäre Sektor der Spitäler lagen damals kostenmässig 8 Prozent über dem Durchschnitt, heutzutage 5 Prozent darunter.» Eine andere Zahl aus seinem Bereich hingegen gibt Maillard zu denken: «Warum werden in der Waadt durchschnittlich rund 20 Prozent mehr Medikamente konsumiert als beispielsweise in Zürich? Und dies erst noch ohne Selbstdispensation in den Arztpraxen und obschon die Leute bei uns den Arzt weniger oft aufsuchen als in Deutschschweizer Kantonen?» Schulterzucken diesmal – und der Hinweis, dass er zum Thema eine Studie in Auftrag gegeben habe. «Die Rolle des Staates bei der Planung und Regulierung muss gestärkt werden.» Die Gesundheit des Gesundheitsdirektors Noch einmal der Versuch, vom übergeordneten Politischen zum naheliegenden Persönlichen zu kommen. Maillard wirkt müde. Deshalb die Frage an den Gesundheitsdirektor: «Und wie regulieren Sie Ihre persönliche Gesundheit?» Wiederum ist keine Absicht auszumachen, dass der Herr Staatsrat ausweichen oder verdrängen möchte. «Ich hatte das Glück, in jungen Jahren bereits mit ganzer Kraft Politik machen zu können. Heute ist das für mich aufwendiger. Mit zwei kleinen Kindern ist die Familie halt nicht bloss Erholung. Und so ist es zur Zeit wahrscheinlich schon so, dass ich mehr Energie verbrauche, als ich sollte. Aber ich bin ja noch jung.» Will heissen: Energie tanken steht nicht im Vordergrund. Zum Jassen beispielsweise reicht’s nicht mehr. Ab und zu Musik hören liegt noch drin: «Mein Lieblingsmusiker ist Bruce Springsteen.» Und was sind die nächsten Pläne dieses Mannes, der in jungen Jahren beruflich bereits so viel erreicht hat? Die Antwort deutet darauf hin, dass dies keine Frage ist, die Pierre-Yves Maillard momentan selber beschäftigt. Er zuckt die Schultern und sagt, ganz und gar untypisch unspezifisch: «Mal sehen.» Die nächste «Begegnung mit …» Am Ende jeden Monats stellt die Schweizerische Ärztezeitung eine Persönlichkeit vor, die sich im Gesundheitswesen engagiert. Im April schildert Daniel Lüthi seine Begegnung mit Dominic Huser: Assistenzarzt Chirurgie am Luzerner Kantonsspital in Sursee und wahrscheinlich jüngster Arzt in der Schweiz. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 510 Horizonte Streiflicht erinnerungen an eine zeit ohne navigationssystem, Google earth und Mobiltelefon tims Handy Peter Marko Nach mehr als zehn Jahren in der Forschung begann ich mit meiner klinischen Ausbildung. Ich wollte mich mit dem in vielerlei Hinsicht genauen Gegenteil zur Forschung beschäftigen: der Allgemein- oder noch lieber Familienmedizin. Eine Praxis auf dem Land schien mir dazu geeigneter zu sein als eine in einer Stadt. Es gab damals, Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, keine Vorgaben hierfür, keine Curricula, keine besondere Ausbildung. Generationen von Ärzten erwarben wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Gebiet durch Vertretungen. Nicht lange nachdem ich in einer chirurgischen Abteilung eines Landspitals zu arbeiten begonnen hatte, wollte ich meine Sommerferien zu solch einer Vertretung benützen. Ich fand eine Vertretung in einem Dorf am Vierwaldstättersee. Der Kollege wollte sich mit einem Monat Ferien in Skandinavien von der Überarbeitung und den Strapazen seiner überlaufenen Praxis erholen. Als ich mich vorstellte, zeigte er mir «kursorisch» das Dorf und sagte, dass oberhalb am Hang noch vereinzelte Bergbauern wohnten, die aber in der Regel gesund seien, und wenn nicht, so schmücke eine Wand in einem Zimmer seines geräumigen Hauses eine grosse Luftaufnahme der Gegend, auf der alle Häuser gut zu erkennen seien – ein Vorgänger des Google Earth. Die Arztgehilfin wisse, wer wo wohne. Er liess mir den Schlüssel vom älteren der zwei Praxisautos da und erklärte, was ich tun solle, wenn es seine Altersmucken bekäme. Es schien, dass er mehr meinen Fähigkeiten vertraute, mit Menschen umzugehen als mit Maschinen. eine Praxis auf dem Land schien mir für Allgemein- oder Familienmedizin geeigneter zu sein. Korrespondenz: Dr. med. Peter Marko Bruggwaldstrasse 39e CH-9009 St. Gallen p.marko@bluewin.ch Eigentlich war es unverantwortlich und frech von mir, aber der Kollege fand keinen Besseren, Erfahreneren für die harte Knochenarbeit. Seine Ferienpause diente auch den Patienten, da er sie nachher wieder frisch und fröhlich behandeln konnte, begründete und entschuldigte ich es mir. Und ich wollte so schnell und so viel lernen wie nur möglich. Der Notfalldienst war in der Gegend zwar schon damals organisiert, aber wegen der niedrigen Ärztedichte konnte die Entfernung zu einem Patienten über fünfzig Kilometer betragen, und daher, mehr wegen der Patienten als der Kollegen, verpflichtete ich mich, für «unsere» Patienten dauernd in Bereitschaft zu sein. Die zwei Arztgehilfinnen konnten sich dafür abwechseln. Kurz nach dem Mittagessen am ersten Samstag, ich weilte dort erst zwei Tage, rief eine Bäuerin an, die eben dort oben an dem Hang wohnte, dass sie unerträgliche Kopfschmerzen habe. Wir begaben uns in den Raum mit dem grossen Bild, und die Arztgehilfin zeigte mir, wohin und wie ich fahren sollte. Ich studierte die Krankengeschichte und erfuhr, dass die Bäuerin nicht so wie versprochen gesund wie eine Rübe sei, sondern unter anderem ab und zu unter Migräneanfällen leide – und noch wichtiger –, was Herr Doktor in solchen Fällen erfolgreich tat. Die Massnahmen, die ich bei dem störrischen Auto ergreifen sollte, waren dagegen nicht ganz einfach, und ich nahm an, bei einem solch dringenden Notfall würde ich sie schneller beheben, wenn mir mein zehnjähriger Sohn dabei hilft. Wir fuhren los und bald sollten wir am Ziel sein. Weit und breit war kein Haus zu sehen. So fuhren wir weiter bergaufwärts, bogen wie befohlen bei der nächsten Gelegenheit nach links und sahen zwei-, dreihundert Meter unten das Haus, das wir vom Bild schon kannten. Aber es war kein Zugang von der Strasse dazu zu erkennen. So fuhren wir wieder nach unten, bogen bei der nächsten Möglichkeit nach rechts – und sahen das besagte Haus zwei-, dreihundert Meter oberhalb von uns. Diesen Vorgang wiederholten wir noch zweimal, worauf wir verzweifelt beschlossen, zu unserer Basis zurückzukehren. Die Arztgehilfin bestätigte, dass wir richtig gefahren waren, aber, da sie selbst nie dort gewesen war, wusste sie nicht, wo der Haken sein könnte, hatte aber die erlösende Idee, dort anzurufen und darum zu bitten, dass uns jemand auf der Strasse erwarten solle. Wir fuhren erneut los, und in der Tat, auf der Strasse wartete ein Mädchen im Alter meines Sohnes, das uns den fast parallel zur Strasse versteckt abbiegenden schmalen Feldweg zeigte. Wir sind ihm sicherheitshalber zu Fuss gefolgt. Ich entschuldigte mich bei der Patientin, dass wir so spät kämen, und verabreichte ihr die angegebene Spritze. Erleichtert und doch auch stolz kehrten wir von meinem ersten ärztlichen Besuch nach Hause zurück. Ich lernte dabei etwas Wichtiges, Nützliches für meine Zukunft – im Zweifel soll bei neuen Besuchen, wenn möglich, jemand auf mich draussen auf der Strasse warten. Entsprechend meinen oben beschriebenen Wünschen hatte ich die erste Praxis in Zweisimmen im Berner Oberland. Daneben war ich Belegarzt und während meiner Wochenenddienste vertrat ich den Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 511 Horizonte Streiflicht medizinischen Chefarzt bei dessen Abwesenheit im Spital. Heute unvorstellbar. Das Gebiet erstreckte sich über gut fünfundzwanzig Kilometer. Viele Patienten wohnten in weit voneinander liegenden Häusern, hatten zum grossen Teil kein eigenes Auto, so dass Besuche unser tägliches Brot waren. Manche Patienten überschritten nie die Grenze des Tales, und so war für sie natürlich und selbstverständlich, dass jeder wissen sollte, wo sie lebten. Sie betrachteten auch den Weg Schnee getrampelter Pfad weiterführte. Da es so gut klappte, war ich guter Dinge. Nach fünfhundert Metern fand ich keine Abbiegung nach rechts, erst weiter, nach mehr als einem Kilometer, sah ich rechts ein Bauernhaus mit einem grossen Stall. Meine Schuhe hatte ich weder für den Weg noch für die Entfernung gewählt und ich begann, Feuchtigkeit zu spüren. Ich war froh, dass ich nicht zu den Häusern weiter oben musste, wo ich Lichter sah. Als ich das Haus erreichte, Dann solle ich den Wagen abstellen und ungefähr fünfhundert Meter weiter zu Fuss gehen, dann rechts abbiegen. aus der Sicht ihres Standpunktes, und wenn sie sagten, ich solle nach links abbiegen, war es von mir aus nach rechts. Auch die Entfernung schätzten sie nicht sehr zuverlässig. An einem späten Winternachmittag rief eine junge Mutter an, ihr kleiner Sohn sei nicht in Ordnung, habe Fieber, weine und greife sich oft an ein Ohr. Sie könne mit ihm nicht in die Praxis kommen, ob ich sie ausnahmsweise nicht besuchen könnte. Ich fragte, wie ich sie finde. Ich solle die Strasse fahren, so weit ich könne. Dann solle ich den Wagen dort abstellen und ungefähr fünfhundert Meter weiter zu Fuss gehen, dann rechts abbiegen. Zufällig war der nächste Patient erst nach sechs Uhr bestellt, so dass ich ihr sagte, sie habe Glück, ich führe gleich los. Ich packte im Rucksack ein, was ich für eine Mittelohrentzündung eines kleinen Kindes für nötig hielt. Ich kam zu der Stelle, wo ich den Wagen verlassen musste, da nur ein schmaler, von Menschen im Hier also wohnt die Patientin – doch wie kommt man mit dem Auto dorthin? fragte ich den Bauern im beleuchteten Stall, ob ich da richtig sei. Er zeigte auf die Häuser oben am Hang und sagte, dort müsse ich nach rechts in den Wald abbiegen und dann noch drei-, vierhundert Meter weiter. Es stimmte. Als ich in das «gelobte» Haus eintrat, untersuchte ich in Ruhe nicht nur den Knaben, sondern auch dessen Schwester, die inzwischen ähnliche Beschwerden hatte. Ob Bakterien oder «nur» Viren die Verursacher waren, bemühte ich mich, in Anbetracht der Umstände, nicht zu entscheiden, und ohne Zweifel und Gewissensbisse hinterliess ich für beide ein Antibiotikum, Ohrentropfen und Zäpfli gegen Schmerzen. Endlich konnte ich meine Frau anrufen und sagen, sie solle den Patienten nach Hause schicken, es dauere mindestens noch eine Stunde, bis ich nach Hause käme. Sie habe es schon längst getan, antwortete sie mir, rücksichtsvoll, ohne sich nach Gründen für meine Verspätung zu erkundigen. Als ich mich verabschiedete, fragte ich die Mutter ruhig, ob sie wirklich meine, es seien zu ihnen nur fünfhundert Meter. Sie fragte überrascht und überzeugend ehrlich zurück: «Stimmt es nicht?» Schon ein paar Jahre später wurden solche Besuche einfacher – man holte mich mit dem Motorschlitten ab. Wie man sieht, die Besuche waren ein Stück harter Arbeit, auch als ich die Gegend und die Patienten besser kannte. Einmal am Sonntagnachmittag wurde ich zu einer Frau gerufen. Sie wohnte nicht weit von der Praxis, und so nahm ich meinen Koffer und ging zu Fuss dorthin. Unten im Geschäft fand ich ihren Mann, der etwas ordnete und richtete. Ich fragte ihn, wo ich seine Frau finden könne, und er erklärte mir ruhig, ohne etwas zu fragen, in welchem Zimmer im ersten Stock sie sei. Dort lag in ihrem Bett, wegen Fieber und Müdigkeit vom Schlaf übermannt, eine schwerkranke Frau – dachte ich. Ich weckte sie sanft. Sie reagierte sehr überrascht, als ob sie einen Spuk und nicht den Dienstarzt vor sich hätte. Nicht nur um ihre vom Fieber bedingte Verwirrung zu prüfen, sondern auch, um die Situation zu klären, fragte ich sicherheitshalber, ob sie Frau P. sei. Sie sagte ja. Sie sei doch krank, wollte ich sie überzeugen. Nein, antwor- Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 512 Horizonte Streiflicht tete sie. Ich sei doch zu ihr gerufen worden. Vielleicht sollte ich zu ihrer Schwägerin, die aber anderswo wohne, erklärte sie mir. So war es auch. Das ist die Berner Natur: Wenn ich zu seiner Frau will, ist es meine Angelegenheit, in die er sich als Ehemann nicht einmischen möchte. Ich lernte davon wieder etwas Wichtiges. An manchen Wochenenden, zum Beispiel während der Grippesaison, musste ich mehr als dreissig Mal ausrücken und daneben noch die Patienten in der Praxis und im Spital betreuen. Jeden Besuch, tagsüber oder nachts, musste ich meiner Frau melden, damit sie mich erreichen konnte, falls sich etwas änderte: Ich musste sie in einem vierzig Kilometer entfernten Geschäft abholen. Das alles ging noch, aber der Empfang war in unserem Grenzgebiet zu Deutschland nicht überall gewährleistet. Swisscom wollte nicht, dass man auch nach und von Deutschland mit demselben Tarif wie in der Schweiz telefonieren konnte. Als ich zu einem Unfall in eine Fabrik musste, legte ich das Gerät neben mir ab und versorgte den Patienten. Überrascht war ich, als die Sekretärin in Eile kam und mir von meiner Frau etwas Dringendes, Wichtiges ausrichten liess. Sie konnte mich mit dem tragbaren Telefon nicht erreichen. Die Telefonfirma anerkannte mein Problem und war noch so anständig, dass ich die fast «Jeden Besuch, tagsüber oder nachts, musste ich meiner Frau melden, damit sie mich erreichen konnte, falls sich etwas änderte.» Entweder musste ich kurzfristig woanders als geplant hinfahren oder sogar dort, wo ich gerade war, überhaupt nicht erst anfangen, sondern stattdessen zu einem noch dringenderen Fall, manchmal ins Spital oder in die Praxis, fahren. Nicht selten hatte ich eine Liste von bis zu zehn Besuchen, die entsprechend der Landkarte in mühsamer «Denkarbeit» zusammengestellt und geordnet worden waren und die dann komplett über den Haufen geworfen wurde. Jetzt, wenn überhaupt noch nötig, organisieren es verschiedene Computerprogramme. Ende der Achtzigerjahre, inzwischen sind wir nach Romanshorn an den Bodensee gezügelt, kamen die ersten tragbaren Telefone. Mit den Erfahrungen aus Zweisimmen dachte ich doch, ich müsse diese neue Errungenschaft haben, sie werde uns das Leben noch zusätzlich erleichtern; obwohl hier eigentlich nicht mehr so schwierige Aufgaben auf mich warteten, da das Gebiet flach und kleiner war – ich brauchte Patienten ins Spital nur zu überweisen und nicht dort zu betreuen, hatte weniger Patienten, und das mit besseren Transportmöglichkeiten, dachte ich. Das tragbare Telefon war eine ziemlich grosse und schwere Kiste, viel schwerer als mein Notfallkoffer. tausend Franken, die ich bereits für das Gerät bezahlt hatte, zurückerhielt. Ich blieb aber skeptisch gegen weitere Verbesserungen dieser Geräte und benützte erst Jahre später ein Mobiltelefon, als ich nach Aufgabe der eigenen Praxis einen Kollegen vertrat. Bei allen Vorteilen gefiel mir nicht, dass ich während der Fahrten und bei Besuchen von nicht selten unnötigen, sogar sinnlosen Anrufen gestört wurde. Früher filtrierte meine Frau diese, und ich konnte ruhiger arbeiten. Die neue, junge Generation der Ärzte mit Handys, GPS, iPhones, iPods, iPads und wie alle diese Geräte heissen mögen, hat es in dieser Hinsicht einfacher, bequemer, leichter. Ich glaube, sie verzichtet gerne auf die Unsicherheiten, Überraschungen, Spannungen und Abenteuer, die wir bei unserer Arbeit hatten. Das alles und noch mehr kam mir in den Sinn, als Tim, mein zweieinhalbjähriger Enkel, einen kleinen Spielarztkoffer bekam. Nebst Stethoskop, Spritze, Verband, Fiebermesser, Reflexhammer und Otoskop lag dort wie selbstverständlich eine ziemlich grosse Attrappe eines, wie wir eben erfuhren, enorm wichtigen Gerätes – eines Handys! Wie schnell sich der Inhalt, die Ausrüstung von Ärztekoffern doch ändert. Und die Zeiten. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 513 ZU GUTER LETZT Mann ist Mann Der Männergesundheitsbericht zeigt es: Der Vorsprung der Frauen bei der Lebenserwartung nimmt ab. 1 Bardehle D, Stiehler M (Hrsg.). Erster Deutscher Männergesundheitsbericht. München: Zuckschwerdt. 2010; erhard.taverna@saez.ch Das waren noch Zeiten, als Männer Drachen bezwangen oder auf der Titanic die Rettungsboote den Frauen und Kindern überliessen. Das Bild der Helden und Ritter hat sich in der Dienstleistungsgesellschaft gründlich gewandelt. Das Mannsein ist in jedem Alter manifest schwieriger geworden. Das bisher starke Geschlecht leidet an Orientierungskrisen, schluckt Ritalin, mutiert zum jugendlichen Schläger, wählt später rechtspolitische Parteien, kämpft um das elterliche Sorgerecht und flüchtet in ein Väterhaus, wenn Femokratinnen und Linke wieder einmal zuschlagen. Dieser Eindruck entsteht, wenn man den täglichen Medienberichten glauben will. Schlechte Spermien, Weichmacher und Pestizide im Urin oder Wodkaleichen in der ehemaligen Sowjetunion; um die virile Gesundheit steht es schlecht. Die unterschiedliche Lebenserwartung der Geschlechter ist seit Jahrzehnten ein Forschungsthema. «Eine Krankheit namens Mann» titelte vor Jahren der Spiegel, der Mann, ein «beratungsresistenter Gesundheitsidiot» und ein «gesundheitlicher Sanierungsfall», unterstreichen andere Autoren. Lange erwartet, spricht «Der erste Deutsche Gesundheitsbericht» aus dem Jahr 2010 endlich Klartext [1]. Experten unterschiedlicher Lebensbereiche erörtern darin die Defizite der männerspezifischen Gesundheit und deren Förderung. Den 198-seitigen Pilotbericht ermöglicht haben die «Stiftung Männergesundheit» und die «Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit», unterstützt von der «Deutschen Krankenversicherung DKV». Zur Debatte stehen die unterschiedliche Arbeitsteilung und das traditionelle Leitbild von Männlichkeit. Soldatische Tugenden als Orientierungsmuster erfolgreicher Männer seien nicht mehr gefragt, und das historisch geprägte Schädigungsverhalten erfordere noch viel Erziehung. Frauen leben in Deutschland 5,3 Jahre länger; eine höhere Lebenserwartung erreichen sie nur noch in Norwegen, den Niederlanden, in Italien, Frankreich, Schweden, der Schweiz, Spanien und dem Vereinigten Königreich. Als erste Massnahme empfehlen Fachleute die Senkung der vorzeitigen Sterblichkeit, verursacht durch Lungenkrebs, ischämische Herzkrankheiten, Hypertonie, Krankheiten der Leber, Depressionen, Gewalt, Unfälle und Suizide. Für jede Altersgruppe werden Risiken und Probleme statistisch erfasst und kommentiert. Die Klosterforschung hat mittlerweile belegt, dass bei sehr ähnlichen Lebensbedingungen, Mönche und Nonnen eine fast gleiche Lebenserwar- tung haben. Der genetische Vorteil der Frauen macht aber nur ein Jahr an erhöhter Lebenserwartung aus, der grössere Unterschied wird auf kulturelle und soziale Ursachen zurückgeführt. Zum Beispiel auf Bedingungen am Arbeitsplatz, die ökonomisch forcierte Individualisierung, die Zwänge der Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Migrationshintergründe und die Geschlechterblindheit der Medizin. «Nicht nur durch die Entwicklung der PDE-5-Inhibitoren, sondern mehr noch durch die Gesundheitsstatistiken fiel auf, dass auch Männer spezifische Probleme haben, die Beachtung verdienen.» Männer seien mit ihren Problemen zu wenig im Blick, es fehle an validen Daten, an Forschung und an präventiven und kurativen Angeboten. «Eine spezifisch auf Männer bezogene Gesundheitsforschung und Praxis ist im Vergleich zu den Aktivitäten auf Frauenseite in der Schweiz nach wie vor die Ausnahme», stellte die schweizerische Gesundheitsstiftung RADIX schon 2005 fest. Es sei aber wichtig die gesundheitlichen Interessen von Männern und Frauen nicht gegeneinander auszuspielen. Die Vielfalt gelebter Männlichkeit und Weiblichkeit müsse im Alltag die gleichen Chancen haben. Das Bundesamt für Statistik hat die Sterblichkeit der Geburtsjahrgänge 1900 bis 2008 analysiert und daraus ein mathematisches Modell bis zum Jahr 2030 entwickelt. Alle drei Jahre hat die durchschnittliche Lebensdauer um ein Jahr zugenommen. Die Frauen sind Rekordhalterinnen, doch ihr Vorsprung zeigt im Laufe der Generationen eine abnehmende Tendenz. Die Männer holen ihren Rückstand allmählich auf, so dass ihr Gewinn an Lebensjahren seit über vierzig Geburtsjahrgängen jenen der Frauen übersteigt. «Vive la difference», vielleicht ist sie auch hier nicht so gross, wie es ein lukrativer, kosmetischer und pharmazeutisch-medizinischer Markt suggeriert. Mann ist Mann, besonders hierzulande, wo das Gewehr im Besenschrank die wacklige Identität des wehrhaften Familienvaters kräftigt. Allen männerbündlerischen Protestbewegungen und antifeministischen Demonstrationen zum Trotz: Das Patriarchat sitzt nach wie vor fest im Sattel. Der gesellschaftliche Wandel ist eine Tatsache, er verläuft aber viel komplexer, als es Gesundheitsberichte von Männern und Frauen zu erfassen vermögen. Dennoch ist ihre Wirkung nicht zu unterschätzen, besonders wenn Ärzte und Ärztinnen sie ernst nehmen. Erhard Taverna Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum 514 ANNA www.annahartmann.net Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2011;92: 13 Editores Medicorum Helveticorum