PDF zum - Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm eV

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PDF zum - Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm eV
Rundbrief des Ökumenischen
Arbeitskreises Enneagramm e.V.
41
Mai 2012
EnneaForum
Tun und Lassen
Das Enneagramm in aller Kürze
Das Enneagramm ist ein Erkenntnismodell, das Menschen auf ihrem Weg im Umgang mit sich selbst und mit anderen begleiten
will. Es geht um Selbsterkenntnis und – wo nötig – Umdenken, Veränderung, Umkehr.
In 9 „Typen“ werden Charakterzüge, Verhaltensweisen, Eigenschaften eines Persönlichkeitsmusters zusammengefasst, so dass man
von diesem „Typ“ aus an sich „arbeiten“ kann. Hier eine (sehr) kurze Zusammenfassung dieser Typen zur ersten Orientierung:
▶▶ Typ 1 – ReformerIn / PerfektionistIn
Die EINS will hoch hinaus. Mit dem, was ist, gibt sie sich
nicht so leicht zufrieden.
Verändern will sie sich, verändern will sie auch die Welt. Sie
neigt zum Perfektionismus.
Leben soll, so weit wie möglich, vollkommen sein. Geduld
ist nicht ihre Stärke.
Doch kann sie sich auch dahin verändern, dass sie vieles
sein läßt, wie es ist.
▶▶ Typ 2 – HelferIn / GeberIn
Die ZWEI möchte gebraucht werden. Für andere dazusein,
das ist für sie ihr Sinn.
Die Hilfe der anderen lehnt sie ab. Sie verschenkt ihre Kraft,
und verliert deshalb manchmal sich selbst.
Doch wenn sie lernt sich selbst zu lieben und sich eingesteht, dass auch sie einmal Zuwendung braucht, dann wird
nicht nur das Herz der anderen warm.
▶▶ Typ 3 – Erfolgsmensch / MacherIn / Statusmensch
Die DREI genießt es, bewundert zu werden, und dafür tut
sie viel.
Oft trägt sie Masken, hinter denen sie kaum noch sichtbar
ist. Es kann sein, dass sie sich mit Menschen oder Projekten
identifiziert, zu denen sie nur eine geringe innere Beziehung
hat, wenn sie ihr Erfolg versprechen.
Doch wenn sie sich zu sich selbst bekennt, ist und wirkt sie
klar wie quellfrisches Wasser
▶▶ Typ 4 – RomantikerIn / KünstlerIn / Individualist
Die VIER liebt das Besondere. Sie ist auch auf der Suche nach
dem besonderen Schatz. Die Welt ist ihr zu profan. Zugleich
aber sehnt sie sich danach, wie alle anderen in ihr Zuhause
zu sein.
Doch wenn sie einen Platz im Leben gefunden hat, wird
auch die „gewöhnliche“ Welt ein Ort für sie, an dem ihre
unruhige Seele Ruhe findet.
▶▶ Typ 6 – Loyale / MitstreiterIn
Die SECHS erweckt manchmal den Eindruck, als brauche
sie andere Menschen mehr als sich selbst. Sie geht in ihrer
Gemeinschaft auf, besonders dann, wenn sie ihr gleichgesonnen sind.
Doch wenn sie zu spüren beginnt, dass sie „mehr“ ist, als
eine unter anderen, richtet sie sich auf und geht auch ihren
eigenen Weg.
▶▶ Typ 7 – GlückssucherIn / Vielseitige / OptimistIn
Die SIEBEN sucht die Lust, die Freude, das Glück und findet
es oft auch. Und wenn sie es gefunden hat, jagt sie gleich
neuem nach.
Und wenn die Niederungen des Daseins wenig Glücksgründe herzugeben scheinen, schwingt sie sich auf und
sucht sie in den Wolken.
Doch wenn sie zu begreifen beginnt, dass auch das Dunkle
Leben ist, beginnt sie, das ganze Leben zu lieben.
▶▶ Typ 8 – Starke / FührerIn / KämpferIn
Die ACHT ist tief in ihrer eigenen Kraft verwurzelt. Sie
braucht Herausforderungen, um ihre Kraft zu spüren, und
sie braucht sie, um andere besser durchschauen zu können.
Kampf ist für sie Leben, Leben ist für sie Kampf.
Doch das verborgene Kind in ihr kennt und liebt auch das
zarte Spiel.
▶▶ Typ 9 –Ursprüngliche / VermittlerIn / Friedliebende /
BewahrerIn
Die NEUN gehört zu den „Stillen im Lande“. Sie fühlt sich in
ihrer eigenen, verborgenen Welt am wohlsten.
Die Welt, sie ist ihr oft lästig und lenkt sie nur ab von dem,
was sie in sich selbst erlebt.
Doch beginnt sie, sich der Welt zu öffnen, wird sie auch für
sie lebenswert.
▶▶ Typ 5 – BeobachterIn / DenkerIn / PhilosophIn
Die FÜNF braucht Abstand von dem, was ihr zu lebendig
erscheint. Sie bricht die Brücken ab, wenn andere ihr zu
nahe kommen.
Doch manchmal, wenn sie ihre Einsamkeit tief genug spürt,
wagt sie es, am lebendigen Leben teilzunehmen.
Impressum Herausgeber : Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm e.V. Vorsitzende : Doris Wetzig
Geschäftsstelle : Eveline Schmidt, Wehlstr. 23, 29221 Celle, Tel+Fax (0 51 41) 4 22 34, info@enneagramm.eu
Bankverbindung: Sparkasse Celle, BLZ 257 500 01, Kto 4 006 813, Internet : www.enneagramm.eu
Redaktion : Madeleine Dewald, Michael Schlierbach Layout : Michael Schlierbach, schlierbach@saccade.de, Mobil 0174-6331809
Druck : Rapp-Druck, Flintsbach, Auflage : 920 Probeexemplare und Vertrieb über die Geschäftsstelle.
Enneaforum erscheint halbjährlich (Mai/Nov). Beiträge und Termine bitte bis 1.3. bzw. 1.9. an die Redaktion.
Bildnachweis (jegliche Vervielfältigung nur mit vorheriger ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Rechteinhabers!):
Bilder: Titelseite, 7, 25, 35 © Michael Schlierbach; 5 © Alexander Potapov - Fotolia.com; 8f Péter Gudella, 11 Fotocrisis, 12f Dominator, 15
Iakov Filimonov, 18f Renars Jurkovskis, 21 Damrong, 22f Péter Gudella, 27 Alexander Orlov, 37 Tobias Machhaus, 39 Zvonimir Atletic, 40f
DimClaire, 43 Kuzma, 47 Jovan Nikolic, 48f Kzenon © 2012 Benutzung unter Lizenz von Shutterstock.com, 45 © Hartwig Kopp-Delaney
2 EnneaForum 41 – Mai 2012
Zu diesem EnneaForumsheft
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Tun und Lassen“ ist das Thema des vorliegenden Heftes.
Gerade beim Nachdenken über die eigene Persönlichkeit, über
die Sonnen- und Schattenseiten des eigenen Wesens und
der eingeübten Verhaltensmuster begegnet einem beides als
Herausforderung: Manches muss oder müsste man tun, anderes
lassen. Doch welches wann?
Alles zur rechten Zeit! Und die kann sehr individuell sein. Das
Bild des Gartens (die Titelseite zeigt den Klostergarten im
Kloster Neustift in Brixen) ist da ein sehr gutes Mittel zum
Nachdenken. Zum Gärtnern gehört Einfühlungsgabe, Erfahrung, Weisheit, offene Augen, manchmal Mühe, zu anderen
Zeiten Geduld und Enthaltsamkeit von der Arbeit.
Eine Weg-Aufgabe, kein Ein-für-allemal-Prinzip.
„Bloß keine langem Texte mehr!“ war eine Rückmeldung von
Mitgliedern zum EnneaForum. Wir haben uns bemüht!
Dennoch finden sich in diesem Heft zwei längere Beiträge, bei
denen wir der Meinung waren, dass sie es wert sind, hier in
voller Länge abgedruckt zu werden.
Zum Ausgleich und zur Auflockerung haben wir im Heft verteilt
Bilder zum Thema „Tun und Lassen“ eingestreut.
Die Bilder sollen einladen, sich Gedanken zu machen darüber:
Wo bin ich aktiv? Wo passiv? Könnte das anders herum manchmal besser sein? Wie halte ich es mit der Balance zwischen Tun
und Lassen?
Die Bilder laufen dabei als eigener Strang neben dem Text her
und müssen nicht unbedingt mit dem Text etwas zu tun haben.
Kleine Unterbrechungen des Textes und so eine Übung zum
„Tun und Lassen“.
Inhalt
3 Zu diesem EnneaForum
4 Liebe Mitglieder,
5 „Eine Feder bloß“ …
9 „Sein“ und „Werden“ – JETZT!
14 Vom Lassen im Tun und vom Tun im Lassen
16 Eine DREI im Gespräch mit einer VIER –
und umgekehrt
17 Das enneagrammatische Lied der Liebe
18 Das Enneagramm –
ein Modell, das P
­ rozesse beschreibt und ermöglicht
28 Enneagramm und Wissenschaft
38 Kontemplative Exerzitien im Haus Gries –
Ein Erfahrungsbericht
40 Ora et labora:
Integration von Spiritualität und Arbeitsalltag
42 Lesung aus dem Buch Kohelet
42 Über das Innehalten in der Enneagramm-Arbeit
44 Begegnung und Abschied
44 Station VII
45Auferstehung
46 Jesus im Spiegel des Enneagramms
50 Andreas Ebert zum 60.
52 Termine 2012
53TTT-Vorankündigung
54 Gesprächskreise und Enneagrammtrainer
Allen unseren Lesern wünschen wir einen gesegneten, schönen
Sommer mit Tun und Lassen in der rechten Abwechslung!
Madeleine Dewald und Michael Schlierbach
EnneaForum 41 3
Liebe Mitglieder,
27 neue Enneagramm-Trainerinnen und -Trainer
zertifiziert! Der Vorstand gratuliert den frisch zertifizierten Enneagrammtrainer/-innen zur erfolgreich abgeschlossenen Weiterbildung 2010-2011.
Die WEITERBILDUNG ENNEAGRAMMTRAINER-IN
des ÖAE, kurz WENT genannt, hat damit bis heute 107
Enneagramm-Trainer/-innen zertifiziert. Darauf sind wir
als ÖAE zu Recht stolz und freuen uns zusammen mit den
ausgebildeten Trainerinnen und Trainer. Sie alle haben in
der zweijährigen Weiterbildung einen guten und manchmal
sicherlich anstrengenden Weg beschritten.
Die aktuelle Ausbildung wäre nicht möglich gewesen ohne
das kompetente Leitungsteam bestehend aus JohannaJesse Göbel, die neben wesentlichen Kursblöcken für die
fachliche und konzeptionelle Ausführung verantwortlich zeichnet und unser Vorstandsmitglied Friedrich-Karl
Völkner, der neben den umfangreichen organisatorischen
Aufgaben die spirituelle Leitung des Kurses inne hat. Die
beiden werden auch den nächsten, bereits ausgebuchten
Kurs 2012–2013 leiten, der bei Drucklegung schon mitten
im ersten Kursteil steckte.
Fachlich und menschlich bereichert wurde die Weiterbildung durch den Gründer des ÖAE, Andreas Ebert, durch
Justine Krause, Pamela Michaelis und Arno Kohlhoff, die
jeweils eigene, wichtige Kursinhalte einbrachten.
Ich freue mich, dass ich das beeindruckende Ergebnis bei
der Zertifizierungsrunde miterleben durfte und gratuliere
im Namen des Vorstands sehr herzlich
Foto: Im Bild fehlen Dagmar Hamann und Christine Anliker
4 EnneaForum 41 – Mai 2012
Marie-Luise Abraham
Christine Anliker
Margrith Bucher
Stefan Bürkheimer
Wolfgang Deppe
Elisabeth Dorsch
Timo Egemann
Ute Fiuza
Christine Gesell
Eva Giersiepen
Dagmar Hamann
Kristina Huhnstock
Marianne Ils
Susanne Kamm-Huwer
Magdalene Le-Huu
Pater Ambrosius Leidinger
Dr. Roland Liebsch
Marianne Nitsche
Eva-Maria Postl
Doris Rath
Thomas Riso
Monika Sauer
Gabriele Schramm
Dr. Gabriele Schricker
Gertrud Stücklin
Iris Trost
Elfriede Völkner
Die Trainerinnen und Trainer können sich nun bei Interesse auch zu TTT-Angeboten für die Fortbildung anmelden.
Ich wünsche mir sehr, dass sie ihr Wissen weitertragen
werden. Als kleine Starthilfe hat jeder Absolvent ein großes
Seidentuch mit einem Enneagrammzeichen erhalten, das
dabei gute Dienste leisten kann.
Herzlich grüßt
Doris Wetzig
Vorsitzende
„Eine Feder bloß“ …
Adelheid Weller
Vor Jahreswechsel halte ich die Einladung zum Neujahrsempfang 2012 unserer Friedens-Kirchengemeinde Münster
in meiner Hand. Herr Pfarrer Hartmut Hawerkamp lässt
sich jedes Jahr mit seinem Presbyterium etwas ganz Besonderes einfallen. Inspirierende Wegzehrung in Rückblick
und Ausblick ins Hier und Jetzt gesprochen. Gespannt
öffne ich den Umschlag – es fällt eine flaumweiche Feder
schwebend heraus. Ich lese die ersten Gedanken aus der
Karte:
„Eine Feder bloß. Sie ist leicht, zart und weich.
Sie ermöglicht manchen Wesen das Fliegen.
Eine hauchzarte Berührung mit ihr hat nicht selten
Gänsehautfolgen.
Ein Ruhekissen voll von ihr entspannt ungemein.
Eine Feder bloß – beflügelnd – anregend – beruhigend.
Eine Feder bloß. Sie steht für diese kleinen Erfahrungen,
die auf leichte Weise beflügeln, anregen und doch ruhig
werden lassen.
Leichte Momente, zarte Augenblicke (die schnell vergehen):
z.B. die kleine Stille zwischendurch; ein unscheinbares
Wort, das einem den Tag rettet; das geschenkte Zutrauen,
das einer notgelandeten Seele Flügel verleiht;
ein Lächeln, das ein hartes Gesicht wieder weich werden
lässt.
Eine Feder bloß ……………………….“
Dazu eine Gebrauchsanleitung für einen federleichten
Augenblick:
Feder in die Hand nehmen, erspüren, die Haut entlang
führen, loslassen, mit dem Atem zum fliegen bringen
und segeln lassen bis zum Boden ………………. ganz leicht,
oder?
Im Spüren und Nachwirkenlassen dieser Gedanken und
Erfahrungen formt sich in mir eine Sehnsucht nach
mehr Leichtigkeit in meinem Leben. Spontan beschließe
ich: „Das wird mein Jahresmotto 2012!“ Mehr Leichtigkeit und damit auch Freude in mein Leben bringen. Das
fühlt sich richtig stimmig an! Allein der Gedanke beflügelt
und begleitet mich in die Fastengruppe „Sieben Wochen
anders“ hinein.
Die Chance, sieben Wochen, vielleicht ein Jahr lang
einmal anders zu leben. Aus Verkrampfungen und „Autopilot-Handlungen“ heraustreten, innehalten, mit allen
Sinnen wahrnehmen, was ist, das TUN und LASSEN aus
der Distanz neu entwickeln. Das heißt für mich, die Wahrnehmung von Körper, Gedanken, Gefühlen und Handlungen aus dem inneren Beobachter heraus anzuschauen.
Den Schlüssel der „Situativen Kompetenz“ bewusst in die
Hände zu nehmen. Die Chance, altbewährte Pfade einmal
von oben zu betrachten, die Schönheit der Nebenwege
und auch Umwege zu erkennen, es einmal auf andere
Weise anzugehen.
EnneaForum 41 5
Ein Leben mit mehr Leichtigkeit bedeutet im Enneagramm-Muster der VIER für mich eine tägliche Herausforderung.
Loslassen von zuviel Reflexion des Vergangenen, des
Kreisens um das verletzte Ich, verpasste Chancen, der
Scham des Nicht–Genügens im ständigen Vergleich mit
den angeblich Besseren, Schöneren, im Anschauen der
alten Kränkungen und Verletzungen.
Bei allen Verrenkungen, wichtige Situationen besonders
ästhetisch, ansprechend, individuell zu gestalten fühlt
sich Leben verkrampft und angespannt an. Da wird der
Entwicklungsweg hin zum MUSTER EINS wieder zu einer
Herausforderung, die alles andere als Leichtigkeit verheißt.
Da werde ich eher verkrampft, verbissen, komme nicht in
die gewünschte Leichtigkeit und Gelassenheit.
Lernen, das Schlichte, das Einfache als das wahrhaftig
Schöne anzusehen, ist dran. Annehmen dessen, was
ist: federleicht, in der Schwebe bleibend, sanft auf den
Boden gleiten und sich von dem nächsten Aufwind wieder
beschwingt tragen lassen.
Im letzten Drittel meines Lebens angekommen, gönne ich
mir bewusst einen Leitsatz Suzanne Zürchers, entnommen
aus ihrer Veröffentlichung „Neun Wege zur Ganzheit“, die
Spiritualität des Enneagramms (Herder 1995, S. 38/39):
handeln zu finden ist. Es erwächst aus dem Wissen darum,
dass wir in unserem Leben nicht Gott sein können.
Es ist die Wahrnehmung, dass alle uns möglichen Wege,
wenn wir sie auch bis zum Ende durchschreiten, uns nicht
zur Selbsterlösung führen werden.
Es gibt nichts, was wir unserem Leben hinzufügen können.
Ob und wie wir reifen, liegt nicht in unseren Händen und
hängt nicht von unserer Anstrengung ab und am wenigsten von den Täuschungen, die wir als überlebenswichtig
betrachtet haben. An diesem Punkt können wir uns allein
dem Fluss des Lebens überlassen, so wie er ist und nicht
wie wir ihn gerne hätten …
Wie fühlt sich dieses Über-lassen an, das aus der Notwendigkeit erwächst, unsere Wahrheit anzuerkennen? Es ist
der Schmerz, der uns ergreift, wenn wir uns darüber klar
werden und zugeben, welche unserer Bereiche wir nicht
annehmen und umarmen können.
Der zweite Lebensabschnitt bringt viel Schmerz mit sich.
Doch dieser Schmerz lässt in dem Maße nach, in dem wir
demütiger werden und einfach das anerkennen, was ist.“
„Die Anstrengung, sich nicht anzustrengen.
Aus Schwere in mehr Leichtigkeit hinein heißt in meinem
Leben, das Außergewöhnliche im gewöhnlichen All-tag zu
finden. In Druck, Enge, Krise mit Wahrnehmen der Körpersignale durchzuatmen und zu Gleichmut und Ge–lassenheit zu kommen.
Eine Lesefrucht aus Sandra Maitris Buch: „Der Weg zurück
zum Selbst“, advaita media 2009, hilft mir in meinem
Suchen weiter. Hier finde ich folgende Schätze für mein
Thema Leichtigkeit: „Gleichmut drückt emotionales Gleichgewicht auch unter Stress aus. Dieses Gleichgewicht ist nur
möglich, wenn wir uns selbst ganz und gar, mit gleichem
Mut, gleichem Geist und gleichem Herzen ertragen …
Gleichmut ist eine Offenheit unserem ganzen Wesen
gegenüber und bedeutet, nicht uns selbst abzuwerten und
im Stich zu lassen, sondern auf geistige Idealbilder zu verzichten. … Dem Geist Einhalt gebieten, bevor er in Extreme
verfällt … Gleichmut ist ein weiter, stiller, geistiger Raum,
eine strahlende Stille, die es uns erlaubt, vollkommen
präsent in wechselnden Erfahrungen zu sein …
Gelassenheit: … Realitäten lassen, wie sie sind, ohne Werturteile von gut und schlecht, ohne den Blick: was fehlt
hier?
Gleichmut entwickelt sich, wenn wir das Herz dem Leben
gegenüber offenbaren. …“ Emotionales Gleichgewicht
ausbalancieren setzt also voraus, die Abwertung mit dem
inneren Kritiker zu stoppen. Weniger auf geistige Idealbilder fixiert sein, Spannung in der Schwebehaltung stehen
lassen, Wohlbehagen im Lassen, im Sein einüben.
Leichter gesagt als getan! Wie oft stecke ich im vertrauten
Modus „Autopilot“, die alten Muster sagen wieder „Hallo,
da bin ich“. Auch in dem Ärger über das „schon wieder
in die Falle getappt“ darf ich in mehr Abstand und auch
Humor gelangen. Gar nicht so einfach, dieses sich Distanzieren vom alten EGO, den vertrauten Schutzzonen,
Die zweite Lebenshälfte ist eigentlich gar keine Aufgabe.
Es ist mehr der Verzicht auf die Pflicht, etwas aus unserem
Leben zu machen. Wenn es sich um eine Tat handelt, dann
um die Tat des Loslassens, um ein Tun, das noch hinter das
Nichtstun hinausgeht und jenseits der Entscheidung zu
6 EnneaForum 41 – Mai 2012
Ein Leben, federleicht – da stelle ich mir die Frage:
Was führt mich in die Lebendigkeit und Weite?
Was führt eher in Enge und Unfreiheit?
die sich wie eine Rindenborke um die Jahresringe gelegt
haben! Das Muster „mehr vom selben“ heilt und hilft nicht
weiter. Gott erwartet vielleicht gar nicht die vorgehaltenen
„Leistungskärtchen“, das sich Verbiegen und ständig verbessern wollen.
Der Weisheitslehrer Laotse im Tao Te King, der Frucht
taoistischer Mystik, beschreibt im 6. Jahrhundert vor
Besondere erreichen, das Spuren hinterlassen will, einmalig, wieder erkennbar.
Wie oft blieb ich im sich Anstrengen, den hochgesteckten
Zielen gerecht zu werden, auf der Strecke, überhörte Signale des Körpers, das es reicht, überforderte Mitarbeiter/
innen mit hehren Zielen und dem daraus resultierenden
Druck.
Christus im „Heiligen Buch vom Weg und der Tugend“:
„Das Schwere ist des Leichten Wurzelgrund; das Stille ist
des Ungestümen Herr.“ (Kapitel 26, 60) „Bleib ohne Tun –
nichts, das dann ungetan bliebe.“ (Kapitel 48, 111).
Schwer aushaltbare Sätze in einer Zeit der Effizienz, des
Immer schneller, immer weiter. Zeigt sich in der Nüchternheit des Alltags mit knappen Ressourcen doch manchmal
auch mehr Schein als echtes Sein. Hinter Hochglanzunternehmens-Leitbildern und Qualitätsstandards bleiben
hochgesteckte Ziele oftmals zurück. Auch besondere
Unternehmen haben ihre Zeit, ihr Stirb und Werde, ihr
Tun und Lassen.
Im Muster VIER mit dem beruflich gelebten Flügel DREI
gab es im Beruf auch in meiner Biografie als Teil einer
Organisation, eines Systems, die Tendenz, mitzumachen
im ständigen Streben nach Profilierung. Es galt, auf dem
Markt erkennbar zu sein, die Gestaltung des „Unterschieds,
der den Unterschied macht“. Die Individualität, das
Für mich stellt sich heute mehr denn je die Frage: Wie
bleibe ich, das System, in dem ich lebe, verbunden mit dem
Göttlichen, dem inneren Funken, ja, dem Atem des Heiligen Geistes? Vielleicht liegt auch im Bruchstückhaften, im
Unvollendeten eine besondere Würde, die es auszuhalten
und zu durchleben gilt. Wie schaffe ich es, dem Ruf meiner
Bestimmung vor Gott gerecht zu werden?
Alles ist „Windhauch“, heißt es im Buch Kohelet.
Alles ist „Windhauch!
Dem Schritt in den anderen Flügel der VIER, dem Muster
FÜNF, gewinne ich eine besondere Stärke ab. Eine Distanzierung, die klare Analyse dessen was ist, das Not–wendige tun, in Einfachheit, Schlichtheit, auch mit knappen
Ressourcen.
Ich erinnere eine Arbeitseinheit mit einer Enneagrammlehrerin im Parallelkurs der Ausbildung des ÖAE, die uns
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in die Grundhaltung des ZEN einführte. Die geforderte
klare Achtsamkeit hinterließ Spuren im Körpergedächtnis.
Geübt ist sie eine Pforte hin zu mehr Ge–lassenheit und
Freiheit. Die Sensibilität wird entwickelt, zu erspüren, was
gerade „dran ist“.
Jetzt nehme ich wieder das Geschenk der Feder in die
Hand, lasse sie mit meinem Atem tanzen und schweben
und schaue mir dieses Symbol der „Leichtigkeit des SEINS“
an. Flügelleicht erinnere ich mich an mein Jahresvorhaben
2012: hin zu mehr Leichtigkeit, Balance haltend zwischen
dem Wechsel der Situationen und Anforderungen des
Lebens.
Um den Kurs auf dem mühsamen Weg der LEICHTIGKEIT
beizubehalten, werde ich an meinem inneren Abgrenzungsschutz in schwierigen Situationen noch arbeiten. Nicht in
ständigen Reflexionsschleifen wie Lots Frau zurückschauen
und zur Salzsäule zu erstarren.
Silvia Strahm Bernet schreibt im Frauenkalender 2012, „Im
Wandel wachsen“, Schwabenverlag, den mich ansprechenden Satz: „Berührbar bleiben heißt manchmal: den Blick
abwenden. Nicht, um nichts zu tun, aber um das noch tun
zu können, was möglich ist, wie wenig es auch sei.“
So gestalte ich in kleinen Schritten täglich den Weg mit der
geschenkten Feder. Leicht, schwebend und doch tragfähig,
wenn es hilft, geerdet und mit notwendigem inneren und
äußeren Schutz die Wegstrecke mit ihren Unwägbarkeiten
zu gehen.
Mehr Einfachheit, Wesentlichkeit, Urvertrauen, das ein
Leben auf diesem Kosmos trägt und immer zum rechten
Zeitpunkt die richtigen Menschen an meiner Seite sind.
Und: „Alles hat seine Zeit“, auch im Tun und Lassen des
Alltags. Achtsam lernend, absichtslos, gemeinsam auf dem
Weg zu mehr Menschsein.
Entnommen: Ulrich Schaffer: „Wesentlich werden“, Herder
spektrum 2000, S.7
8 EnneaForum 41 – Mai 2012
Werden, was wir sind
Wenn wir uns nicht gefangen nehmen lassen
von dem, was uns ablenkt und zerstreut,
was uns nur streift,
was uns fremd ist
und als Versuchung zuwinkt,
sondern uns besinnen
auf unseren Kern,
auf den Kontinent,
den es in uns zu entdecken gibt,
dann wird deutlich, was wir wollen,
was unser Wesen blühen lässt
und ihm seinen Ausdruck erlaubt.
Dann spüren wir,
was in uns angelegt ist,
wie eine Gestalt,
wie ein Weg,
wie ein Gebet, das erhört werden will.
Dann finden wir Mut zum Leben,
zum eigenen Leben.
Dann wird aus uns,
was wir im Tiefsten sind.
„Sein“ und „Werden“ – JETZT!
Gedanken über Enneagramm-Arbeit im Kontext einer evolutionären Spiritualität
Hans Neidhardt
Was gibt es zu „tun“, was gilt es zu „lassen“ in der so
genannten „Arbeit an sich selbst“, in der so genannten
„spirituellen Entwicklung“? Wie kann das Enneagramm hier
hilfreich sein? Oder vielleicht auch schädlich? Und überhaupt: Was bedeutet eigentlich „Entwicklung“, wenn wir
doch das schon sind, was wir angeblich erst noch werden
sollen? Müssen wir mehr „an uns arbeiten“? Oder wäre es
nicht viel besser, etwas weniger bemüht und stattdessen
entspannter diese so genannte „Arbeit“ zu verrichten? Wie
findet das Bewusstsein in einen Zustand purer Präsenz1?
Oder führt all die so genannte „Arbeit“ letztlich in eine
besonders raffinierte Form von Unbewusstheit, so dass
man statt von „Transformation“ besser von „Trance-Forma-
1 Rohr, Richard: Pure Präsenz – Sehen lernen wie die Mystiker.
Claudius 2010
tion“2 sprechen sollte? Ich will versuchen, ein paar Antworten zu formulieren.
„Sein“
Seit Menschengedenken findet man in allen heiligen
Schriften Hinweise auf eine Dimension, die zwar erfahren
werden kann, die dem, der sie erfährt, aber die Sprache
verschlägt. Einfach, weil Worte oder Bilder diese Erfahrung
niemals vollständig wiedergeben können. Meister Eckhart spricht von der „Gottheit“, Johannes vom Kreuz von
„Nada“, andere sagen „Urgrund“ oder „die Stille hinter der
Stille“, im Buddhismus sagt man „Leere“ (formlos, zeitlos,
raumlos), im christlich-abendländischen Kontext ist die
Rede vom „ewigen Leben“ (jenseits von Zeit und Raum –
und nicht etwas, was „später“ vielleicht noch kommt). Im
Tao Te King lesen wir, dass das Tao über das man sprechen
kann, nicht das wahre Tao3 ist. Karlfried Graf Dürckheim
wählt für die Erfahrung dieser Dimension den Begriff
„Seinsfühlung“. Im Modell der „spiral dynamics“4, bei Ken
Wilber5 und auch bei Richard Rohr heißt das dann „nondual“. Und so weiter und so weiter. Die Erfahrung dieser
Dimension kann buchstäblich so umwerfend sein, dass
man kurz vor Damaskus vom hohen Ross fällt (Apg. 9,4)
oder wie das Säuseln eines leisen Windes, das den zornigen
Propheten aus seiner Depression herauslockt (1.Kön. 19,12).
Diese Erfahrung wird immer erlebt als ein Geschenk, als
eine Gnade. Auf dieser Ebene gibt es nichts zu tun und
nichts zu lassen. Kein Enneagramm, keine Psychologie,
keine spirituelle Praxis. Pure Gnade. Stille. Nada.
„Werden“
Jedoch: „Es gibt keine göttliche Gnade, die es dir ersparte,
zu werden …, denn der Mensch, siehst du, bedarf einer
langen Zeit für seine Geburt.“6 Wir leben nun mal in der
Dimension von Zeit und Raum und damit in der mannigfaltigen Erfahrung der Dualität. Ohne diese Dualität
gäbe es dieses Leben schlichtweg nicht – so wie die alten
Chinesen die polaren Lebens-Grundkräfte yin und yang
2 Wolinsky, Stephen: Das Tao des Chaos – Quantenbewusstsein
und das Enneagramm.
3 Watts, Alan: Der Lauf des Wassers. Suhrkamp 1983 („Wenn aber
das Tao einfach unvorstellbar ist, wozu haben wir das Wort und
warum soll man überhaupt etwas darüber sagen? Einfach deshalb, weil wir intuitiv wissen, dass es eine Dimension in uns selbst
und in der Natur gibt, die sich uns entzieht, weil sie zu nah, zu
allgemein und zu allumfassend ist, um als besonderer Gegenstand
herausgehoben zu werden.“ S.92)
4 Küstenmacher M. & W. und Haberer, T.: Gott 9.0. Gütersloher
Verlagshaus 2010
5 Wilber, Ken: Integrale Spiritualität, Kösel 2007
6 St.Exupéry, Antoine de: Die Stadt in der Wüste. Ullstein 1982,
S.97
EnneaForum 41 9
als Manifestationen des einen nicht nennbaren „Tao“ (oder
„Do“ im japanischen Kontext) ansehen. Oder im Hinduismus die Unterscheidung von Brahman Nirguna (das
Brahman ohne Eigenschaften) und Brahman Saguna (das
Brahman mit Eigenschaften – da kann man dann etwas
verehren, anbeten, Überzeugungen haben, um daran zu
glauben usw.). In der hinduistischen Philosophie sagt man,
dass aus dem Brahman ohne Eigenschaften drei Grundeigenschaften (Manifestationen oder Modifikationen des
Einen Ewigen) entspringen, nämlich SAT (Dasein), CIT
(Bewusstsein), ANANDA (Liebe, Glückseligkeit). Ich bin der
Ansicht, dass die christliche Trinitätslehre dem sehr nahe
kommt.
Niemand weiß letztlich, ob es wahr ist, dass das „Sein“ (die
absolute Wirklichkeit) aus sich heraus ins „Werden“ (ins
Relative und Relationale) drängt, aber ich persönlich mag
die Idee, dass die „Offenbarung“ (modern: „Manifestation“)
der Gottheit als Trinität in sich selbst ein dynamisches
Beziehungsgeschehen ist, das permanent konkretes Leben
ist. Und konkretes Leben in Zeit und Raum ist immer
ein Weiterleben, ein Vorwärtsleben. Das bedeutet, dass
„Schöpfung“ sich permanent JETZT ereignet. Alles ist ein
einziges Werden (zu dem auch das Vergehen gehört, denn
immer muss auch etwas aufhören, um Platz zu machen
für etwas Neues). Es gibt letztlich keine Trennung von
„Quelle“ (Sein, Urgrund, Gottheit, Tao, Brahman …) und
„Manifestation“. Auch hier gibt es im Grund nichts zu tun
und nichts zu lassen. Das Leben lebt und „ich“ bin dieses
Leben und „ich“ werde von diesem Leben gelebt. Es atmet
ein, es atmet aus – vom ersten bis zum letzten Atemzug.
Mein so genanntes „Ich“ hat meistens halt zusätzlich noch
etwas anderes zu tun, was in der relativen Dimension der
Existenz ja auch okay ist.
Evolutionäre Spiritualität
Was bedeutet nun „Evolutionäre Spiritualität“? Wir finden
diesen Begriff z.B. bei Annette Kaiser7, Alan Cohen, Ken
Wilber, Eckhart Tolle, Willgis Jäger und anderen.
Im Kern ist gemeint, dass „Sein“ und „Werden“ als nicht
zwei erfahren werden. Jede Entwicklung, jede Entfaltung
kommt aus dem Ruhen in der Stille, aus der Seinserfahrung und aus dem Fühlen des nächsten Lebensimpulses.
Den Impuls geschehen zu lassen ist dann schon ein aktives
Tun (aber irgendwie auch nicht – ein bißchen so, wie der
Surfer auf dem Brett steht, die Balance hält und sich von
der Welle und vom Wind bewegen lässt). In andere Konzepte gefasst findet sich diese Vorstellung vom Lebensprozess übrigens auch im Focusing, wenn wir sagen: der innere
Prozess hat eine inhärente Folgerichtigkeit, die wir
7 Kaiser, Annette: Im Kreis der Liebe leben – Mut zum wahren
Mensch-Sein. Aquamarin-Verlag 2008. (Ihren Vorträgen und vor
allem den persönlichen Begegnungen mit ihr in den letzten
beiden Jahren habe ich die allermeisten Impulse für diesen Aufsatz zu verdanken. Kontakt: www.villaunspunnen.ch)
10 EnneaForum 41 – Mai 2012
aber nicht von vorneherein erkennen können, sehr wohl
aber im Nachhinein8.
Absolute und relative Wirklichkeit sind untrennbar eins
und doch unterscheidbar. Und wer meint, dass das etwas
ganz Neues sei, der muss sich den Hinweis auf das Konzil
von Chalcedon (451 n.Chr.) gefallen lassen, das den erbitterten Streit über die göttliche oder menschliche Natur des
Jesus von Nazareth mit der wunderbar paradoxen Formel
„unvermischt und ungetrennt“ beendete.
Neu ist vielleicht, dass das unvermischte und ungetrennte
Sein/Werden JETZT nicht statisch (im Sinn eines Dogmas)
sondern höchst dynamisch aufgefasst wird. Der „evolutionäre Impuls“ wird unmittelbar erfahren und kann dann
auch „getan“ werden. Das Sich-Einschwingen in diesen Prozess hat eine transformierende Kraft. Ganz neu und frisch
von Moment zu Moment. Sein und Werden – untrennbar
eins. Genau jetzt.
Das Enneagramm
Von Eli Jaxon-Baer9 habe ich den Hinweis bekommen und
übernommen, die drei Zentren des Enneagramm-Modells
mit den drei ersten Eigenschaften des Brahman Saguna
in Verbindung zu bringen: SAT (Ich bin da. Ich bin der ich
bin.) – CIT (Ich bin bewusst. Ich erkenne. Ich nehme wahr)
– ANANDA (Ich bin Liebe, Freude, Wonne). Die grundlegende essentielle Erfahrung. Menschsein pur. Man kann
die so genannten Heiligen Ideen10 im Enneagramm gut als
Modifikationen dieser drei Grundeigenschaften auffassen.
Und man kann die neun Charaktermuster als Fehldeutungen der Wirklichkeit11 betrachten und als Versuche, in
dieser fehlgedeuteten Wirklichkeit zurechtzukommen.
Ganz knapp und plakativ: Sich nicht so machtlos fühlen
zu müssen, wie man sich insgeheim fühlt (die Muster 8, 9,
1), sich nicht so wertlos fühlen zu müssen, wie man sich
insgeheim fühlt (die Muster 2, 3, 4), sich nicht so schutzlos fühlen zu müssen, wie man sich insgeheim fühlt (die
Muster 5, 6, 7).
Wie finden wir denn am ehesten zurück zu der freien und
unmittelbaren Erfahrung des evolutionären Impulses?
Wie und was könnte eventuell auch ungünstig sein (die so
genannten „Risiken und Nebenwirkungen“ auf dem Bei8 „order of carying forward“ (Fortsetzungsordnung) – siehe z.B.
„Wiltschko, Johannes: Hilflosigkeit in Stärke verwandeln – Focusing
als Basis einer Metapsychotherapie Band I; Wiltschko, Johannes:
Ich spüre, also bin ich – Focusing als Basis einer Metapsychotherapie Band II. Ed.Octopus. Renn, Klaus: Dein Körper sagt dir, wer du
werden kannst. Herder 2006.
9 Jaxon-Bear, Eli: Das spirituelle Enneagramm. Goldmann 2003
(und persönliche Mitteilungen während eines Seminars in ZIST im
Jahr 1989)
10 Almaas, A.H.: Facetten der Einheit. Kamphausen 2004
11 Wolinsky, Stephen: Die Essenz der Quantenpsychologie –
durchschauen wer wir nicht sind. VAK-Verlag 2007. Er spricht
hier vom „falschen Kern“ (z.B. „Ich bin unzulänglich“), der sich
bildet, um sich einen Reim auf den Verlust der Einheitserfahrung
zu machen und der subtil als Verkrampfung oder Störung der
Aktivität des betroffenen Zentrums (Bauch – Herz – Kopf ) gespürt
werden kann.
EnneaForum 41 11
packzettel der Enneagramm-Arbeit)? Also nochmal: Was
wäre zu tun und was sollte man lieber „sein“ (!) lassen?
Die Befreiung der Energien der drei Zentren
Grundsätzlich gilt: Das in den Enneagramm-Mustern
angelegte Potential wird in den Momenten freier, in denen
das Charaktermuster weniger für Abwehrzwecke gebraucht
wird. Wenn keine Energie mehr in der Not-Lösung12
gebunden ist, findet eine „Transformation“ statt. Diese so
genannte Trans-Formation ist eigentlich eher eine „Befreiung“ oder auch ein „Wieder-Entdecken“ der essentiellen
Qualitäten des Kopf-, Herz- und Bauch-Zentrums. Also die
Erfahrung der Funktionsweise der Zentren in der Art, wie
sie wahrscheinlich ur-eigentlich gemeint sind. Jede-r von
uns kennt solche Momente:
Es entsteht (und vergeht nach einer Weile auch wieder):
Im Kopfzentrum: eine wache absichtslose nichtwertende
klar differenzierende gegenwartsbezogene Aufmerksamkeit, die sowohl rezeptiv („weiblich“) als auch aktiv und
zielgerichtet/fokussiert („männlich“) sein kann.
Im Herzzentrum: Mitgefühl in seinen persönlichen und
überpersönlichen Aspekten. Ungefiltertes Fühlen der dem
Leben innewohnenden Liebesschwingung, Freude und
Glückseligkeit. Und im Herzen der Impuls zu beherztem
Handeln.
Im Bauchzentrum: selbstverständliche kraftvolle AnWesenheit, würdevolle männliche und weibliche Sexualität,
direkt empfundenes „Ja“ und „Nein“, ganz im gegenwärtigen Moment verwurzelt sein und einverstanden sein
können mit der eigenen Herkunft und jeder möglichen
Zukunft.
Wenn wir mit diesen Potentialqualitäten der drei Zentren
verbunden bleiben, verfeinert sich manchmal die Grundenergie, und wir ahnen, „schmecken“, empfinden ganz
subtil das sat-cit-ananda als eins.
Was kann man dafür tun? Was sollte man lassen?
Inneres und äußeres Tun
Die Grundschritte der inneren Arbeit mit dem eigenen
Enneagramm-Muster sind so oft beschrieben worden, dass
ich mich kurz fassen kann:
Erstens: Die Musteraktivität wahrnehmen. Das heißt:
genau JETZT das Aufflackern der sog. „Leidenschaft“, also
Zorn, Stolz, Eitelkeit, Neid, Geiz usw. bemerken. Es ist hilfreich, zu wissen, woran ich den Beginn der Musteraktivität
bemerken kann.
Zweitens: Diesen aktuellen Zustand anerkennen, ohne
ihn als gut oder schlecht zu beurteilen und achtsam dabei
verweilen. Dieses „Anhalten der Maschine13“ kann man
üben, aber das ist vielleicht die schwierigste Stelle des
Prozesses. Denn in diesen Momenten kommt als Gedan12 Gallen Maria-Anne und Neidhardt, Hans: Das Enneagramm
unserer Beziehungen. Rowohlt 1994
13 Kurtz, Ron: Körperzentrierte Psychotherapie – die HakomiMethode. Synthesis 1985 („Der beschäftigte Geist erlaubt keinen
Zugang zu seinen Annahmen und Überzeugungen … du kannst
keine Leiter auseinandernehmen, wenn du in zehn Metern Höhe
auf ihr stehst.“ S.57f.)
12 EnneaForum 41 – Mai 2012
kenform (z.B. „die Welt ist ungerecht“), als klare Emotion
oder (häufiger) als leichte Veränderung der Stimmungslage
(z.B. angespannte Ärgerlichkeit), als subtiler Bewegungsimpuls (z.B. „gegen“ die Welt) die tiefere Not ansatzweise
ins Bewusstsein. Wir benötigen die Fähigkeit, an dieser
Stelle zu bleiben und das dort auftauchende Unbehagen zu
halten.
Drittens: In der durch das Anhalten entstandenen Lücke
sich mit Bewusstheit und Liebe der unbewusst aktivierten
inneren Not (Verletzlichkeit) zuwenden. Die achtsame
liebende Selbstzuwendung bringt das „Licht der Präsenz“
zu dem not-vollen Zustand, für den das Muster eine NotLösung sein will.
Viertens finden wir in dem Bereich „hinter“ oder „unter“
der Not Zugang zu jener inneren Sphäre des Seins, von
wo aus angemessen in der konkreten Situation gehandelt
werden kann oder auch nicht.
Das ist eine persönliche Praxis, durch die eine ohnehin nur
auf der Ebene der Vorstellungen und Konzepte bestehende
Konkurrenz zwischen „psychotherapeutischer“ und
„spiritueller“ innerer Arbeit überwunden wird.
Das ist im Prinzip alles.
Wenn wir von der Annahme ausgehen, dass die hilfreichen Qualitäten des sog. „Trostpunkts“, aber auch die
sog. „Tugenden“ und die „Heiligen Ideen“ als Potentiale
(Möglichkeiten) alle in uns sind, dann besteht die wichtigste Aktivität darin, immer wieder gute Bedingungen
herzustellen, damit diese „Samenkörner“ keimen und diese
„Pflänzchen“ einwurzeln und wachsen können. Der hier
in vier inneren Schritten skizzierte Prozess dient diesen
Bedingungen. Mit der Zeit wird es etwas leichter möglich,
das Aufflackern der Leidenschaft zu bemerken und als Hinweis auf und sogar als Hilfestellung für diesen Prozess zu
begreifen.
Der „innere Beobachter“ (ohne Absicht, ohne Wertung,
wach-aufmerksam registrierend) ist eine notwendige, aber
nach meiner Auffassung nicht hinreichende Bedingung
für diesen Entwicklungsvorgang. Zu gern wird nämlich die
Übung der Nicht-Identifikation missverstanden als Abtrennung (Dissoziation, Spaltung) von der konkreten inneren
Erfahrung. Damit bleibt dann die tiefere Not letztlich
unverstanden und unbearbeitet, das Charaktermuster wird
weiterhin für Abwehrzwecke benötigt, die Strategien der
Abwehr werden außerdem raffinierter (z.B. indem sie neues
„psychologisches“, auch „spirituelles“ Vokabular benutzen).
Ein Trance-Formations-Prozess ist im Gange.
Neben der Fähigkeit zur achtsamen Selbst-Beobachtung
brauchen wir zusätzlich die Fähigkeit zur verstehenden
Selbst-Zuwendung, um die innere Not auf gute Weise selbst
versorgen zu können. Andere Personen (Partner, Freunde,
Therapeuten) können das unterstützen, aber letztlich
liegt der verstehende Umgang mit den eigenen lebensgestaltenden Überzeugungen (z.B. „Ich bin fehlerhaft.“ „Ich
genüge nicht den Erwartungen.“ „Ich bin hier nicht sicher“
…), den daraus resultierenden Projektionen (z.B. „Die Welt
kritisiert mich.“ „Die Welt ist voller Erwartungen.“ „Die
Welt ist gefährlich.“) und den dadurch in Gang gesetzten
emotionalen Prozessen in der Selbst-Verantwortung.
Und nur was ich ganz genommen habe, kann ich auch
lassen. „Annehmen“ und „Loslassen“ sind nicht zwei. Es ist
ein und derselbe Vorgang.
Was gibt es zu tun, was gibt es zu lassen?
„Ich wusste, dass man durch die Trugbilder der Sprache
hindurch zu begreifen vermag, wenn man sich einschließt ins Schweigen der Liebe.“14
14 St-Exupéry, Antoine de: Die Stadt in der Wüste. Ullstein 1982,
S.34
EnneaForum 41 13
Vom Lassen im Tun und vom Tun im Lassen
Betrachtungen eines „Tat-Typs“
Johanna Jesse-Goebel
Vor einigen Wochen wurde ich kurzfristig gebeten, einen
Abend zum Thema: „Loslassen – Facetten eines Lebensthemas“ zu gestalten. Sprichwörtlich „wie die Jungfrau
zum Kinde gekommen“ dachte ich: „eigentlich nicht mein
Thema“, ließ aber die Thematik auf mich wirken. Irgendwann hatten wir uns – das Thema und ich – in guter Weise
angenähert und es ereignete sich ein lebendiger Abend
mit zahlreichen (Körper)-Übungen zum Thema Festhalten
– Loslassen und einem guten Rhythmus zwischen diesen
beiden Lebensdimensionen, der bei engagierten Gesprächen an runden Tischen ausklang. Zum Einläuten der
Gespräche am Ende des Abends fand ich bei Pierre Stutz
ein treffendes Bild:
Bei seinem Eintritt in ein „offenes Kloster“ bekam er den
Auftrag, die kleine Glocke zu läuten, die an den Beginn der
Stundengebete erinnerte. Pierre Stutz versuchte dieser
Aufgabe mit kraftvollem Ziehen nachzukommen, so emsig,
dass er bald erschöpft war. Aber die Glocke blieb stumm.
Als er schließlich nach mehrfachen erfolglosen Ziehversuchen völlig verkrampft das Seil los ließ, läutete die Glocke!
Ihr Gesetz lautet nämlich: ziehen – loslassen – läuten...
Den „stimmigen Rhythmus“ zwischen loslassen und festhalten, zwischen tun und lassen zu finden, und zwar immer
wieder neu, ist die eigentliche Herausforderung an uns –
treffend zusammengefasst im Läuteweg einer Glocke.
Wichtiger als vielfältige Inhalte, die man zum Thema
äußern könnte, erscheint mir, dass wir die Grundhaltung
der Wachsamkeit und Bewusstheit, konkretisiert in der
Beziehung zum „Inneren Beobachter“ – täglich neu – im
„Anfängergeist“ einüben. Wie kann das praktisch aussehen?
Wachsamkeit / Bewusstheit / „Inneren Beobachter“
trainieren heißt:
◆◆vor allem Gehen und Stehen – innehalten
◆◆ mit Gott und uns selbst ins Gespräch kommen
◆◆uns – freundlich(!) – hinterfragen, erlauben, bekräftigen
◆◆ anstatt uns unseren (typbedingten) Automatismen zu
überlassen.
Richard Rohr erwähnt in seinem 1999 erschienen Buch
„Wer loslässt wird gehalten“ den „Anfängergeist“ als unverzichtbares Element spirituellen Wachstums. Ich nenne
einige Merkmale:
◆◆ bereit sein, immer neu sehen zu lernen
◆◆ mich spüren lassen, was ich jetzt brauche
◆◆ mich für Veränderungen öffnen
◆◆ die „Fülle des Jetzt“ schmecken, das „Sakrament des
Augenblicks“ genießen und sagen: So wie es ist, ist es in
Ordnung.
Diese Grundhaltung hilft uns, die persönliche Berufung als
Typ XY zu finden und zu gestalten. Da uns das letzte Urteil
über unser Tun und Lassen nicht zusteht und wir davon
ausgehen dürfen, dass wir letztlich barmherzig beurteilt
werden, können wir auch mit unserem Versagen und dem
14 EnneaForum 41 – Mai 2012
Versagen anderer barmherzig umgehen. Eigentlich geht
es – wie schon Evagrius Ponticus, einer der Wüstenväter,
im 4. Jahrhundert feststellte – darum, dass wir unser Maß
finden, das für jeden Menschen – Typ/Flügeltyp/Subtyp –
anders aussieht.
Eine neue Entdeckung im – ebenfalls – 1999 erschienenen
Buch „Spirituelle Begleitung“ von Suzanne Zuercher war
für mich ihre Kategorisierung der 3 Grundenergien im
EN in Bezug auf die Herz- und Bauchtypen als „Tattypen“
(Herz) und „Gefühlstypen“ (Bauch). Endlich gab es konkrete Beschreibungen für Beobachtungen, die ich bis dahin
zwar intuitiv wahrgenommen hatte, aber nicht klar ausdrücken konnte. Im Fokus dieser Begriffe erschlossen sich mir
neue Dimensionen, die mein Verständnis für die Herz- und
Bauchtypen erweiterten und bereicherten. Mir wurde
deutlich, dass „Tattypen“ vor allem dann tätig werden,
wenn es um Beziehungsthemen geht – angetrieben von
der Grundmotivation „Ankommen“, die das – automatische – Verhalten der Herztypen existenziell beeinflusst.
Auch erschien mir die Neigung der „Gefühlstypen“, sich
spontan vom Gegenüber abzugrenzen verständlich, wenn
deren Grundmotivation „Aggression“ im Sinne einer
existenziellen territorialen Verteidigung wirksam wird.
Dass „Angst“ als Grundmotivation des Fluchtverhaltens
in Stresssituationen bei den Kopftypen überwiegend im
Kopf verortet ist, fand ich bestätigt.
Letztlich ist allen Typen gemeinsam, dass sie sich, sobald
ihr jeweiliges Grundthema angetriggert wird, – im Sinne
ihrer jeweiligen Überlebensstrategie – als Tätige oder
Untätige automatisch verhalten. Diese Automatik hat aber
einen Preis, der uns gerade nicht „automatisch“ bewusst
ist: Sie katapultiert uns zurück in die eigene Vergangenheit (überleben) und trübt unsere Wahrnehmung in der
aktuellen Situation, so dass wir uns häufig nicht angemessen verhalten, sondern so reagieren, wie wir „schon immer“
in vergleichbaren Situationen reagiert haben. Auf diese
Weise geraten wir in die immer gleiche, unbefriedigende
Handlungsschleife und hindern uns am eigenen Wachstum.
Sobald wir aber erwachen und – im oben ausgeführten
Sinne – „gegenwärtig“ werden, beginnen wir, uns – jenseits
von tun und lassen – zu entfalten.
Im folgenden werde ich eine klassische Stresssituation am
Beispiel von „Tattyp“ 4 skizzieren und Anregungen zum
Umgang damit geben. Damit möchte ich dazu einladen, die
jeweils eigene – typische – Herausforderung zum Thema zu
suchen und zu finden.
◆◆ Frau X erlebt eine Auseinandersetzung mit ihrer
Freundin Frau Y, die sie in ähnlicher Weise schon häufig
erlebt hat. Da ihr diese Freundschaft sehr wichtig ist,
ging sie bisher immer – nach kurzer Zeit – versöhnlich
auf Frau Y zu, indem sie ihr irgendeinen Gefallen tat.
◆◆ tätig werden in Richtung Stressverhalten: 2-erDynamik, um die Beziehung zu retten
◆◆ Dieses Mal verhält sie sich anders. Sie bleibt allein und
wird plötzlich von heftigen Verlassenheitsgefühlen
überfallen. Bald spürt sie den starken Wunsch, wieder
versöhnlich auf Frau Y zuzugehen, kann diesem aber
widerstehen.
◆◆ Konfrontation mit der Grundmotivation „Ankommen“ auf der existenziellen Ebene
◆◆ Nach einiger Zeit wird sie ruhiger und erinnert sich
an früher, als sie ein kleines Mädchen war … Und jetzt
weiß sie, was ihr gut tut und macht es sich gemütlich.
◆◆ mit sich selbst in Kontakt kommen und freundlich
mit sich umgehen
◆◆ Sie nimmt sich Zeit, den Konflikt mit ihrer Freundin
zu durchdenken und entdeckt Parallelen zu früheren
Erfahrungen.
◆◆ Situation analysieren, hinterfragen, klären
◆◆ Nach einigen Tagen bittet sie ihre Freundin um ein
Gespräch, das beiden gut gelingt.
◆◆ Freiraum gewonnen
◆◆ Einige Monate später kommt es wieder zu einem ähnlichen Streit.
◆◆ Grundmotivation getriggert
◆◆ Dieses Mal verfährt Frau X nach dem alten Muster und
kommt Frau Y entgegen, damit alles wieder gut wird.
◆◆ 4er-typisches Stressverhalten in 2er-Dynamik
◆◆ Jetzt aber ist es Frau Y, die ihre Freundin daran
erinnert, dass sie da noch etwas miteinander zu klären
haben, was ihnen auch bald gelingt.
◆◆ Freiraum gefestigt
◆◆ Bei einer späteren Begegnung überrascht Frau X ihre
Freundin mit einer Einladung zu …
◆◆ freies Tun – ohne Funktion/Hintergedanken/Manipulation, also Weiterentwicklung in 2-er-Dynamik
auf der tieferen Ebene
Ich fasse zusammen und gehe einen Schritt weiter:
◆◆ Als Tattyp 4 erfahre ich das Tunmüssen als Grenze,
Ausweichmanöver, Hinderungsgrund, mich dem Sein
zu überlassen.
◆◆ Auf einer tieferen Ebene der Selbstannahme finde ich
die Erlaubnis, mich genau so, wie ich bin – in dieser
Begrenztheit/ Unvollkommenheit – annehmen, wert
schätzen, entfalten zu dürfen.
◆◆ Das könnte heißen, dass sich mein Tun in dieser
Bewusstheit und in der Verbundenheit mit mir und dem
Geber meiner Gaben verändert.
◆◆ Die Veränderung besteht in einer Art „Lassen im Tun“
oder „Tun im Lassen“
◆◆ Impulse wahr nehmen und wieder los lassen
◆◆ Ideen kommen und wieder gehen lassen
◆◆ Lösungsmöglichkeiten (für ein Problem) durchspielen
◆◆ verschiedene Handlungsmöglichkeiten betrachten
ohne zu handeln
◆◆ Von außen ist schwer erkennbar, ob ich gerade tätig oder
lässig oder lässig tätig bin.
◆◆ Innen aber ist „der Bär“ los!
◆◆ Hat sich das Spielerische und die Leichtigkeit (7-er
Dynamik: „hidden line“) eingefunden?
◆◆ Über welchen Weg? – Kopf? Herz? Bauch?
◆◆ Bauchenergie verbindet sich mit dem Kopf und rahmt
das Herz.
◆◆ Ankommen müssen bei anderen – im Moment weit weg!
◆◆ Ich bin bei mir ANGEKOMMEN
◆◆ bin ICH
◆◆ BIN
und schließe mit einem Gedicht von Hanns Dieter Hüsch, in
dem er auf seine unnachahmliche Weise ausdrückt, dass er
„sein Ding“ gefunden hat:
Ich bin gekommen Euch zum Spaß
Und gehe hin wo Leides ist
Und Freude
Und wo beides ist
Zu lernen Mensch und Maß
(aus: Hanns Dieter Hüsch: „Ich möchte ein Clown sein“
tvd-Verlag, 2002)
EnneaForum 41 15
Eine DREI im Gespräch mit einer VIER – und umgekehrt
Liselotte Hartmann und Marie Barbara Hugentobler-Rudolf
Zu Beginn unseres individuellen Enneagramm-Lernprozesses meinten wir als Teil der HERZ-TYPEN vor allem rund
um GEFÜHLE zu zirkulieren. Wir haben ja viele davon,
kennen uns aus und genießen die Höhen und Tiefen der
GEFÜHLSBÄDER!
Nach vielschichtigen Studien und langjährigen Vertiefungen erkannten wir schließlich, dass die Energie der
Herztypen wenig mit Gefühlen, sondern viel mehr mit
TUN zu tun hat. Wir werden deshalb gerne als „TATMENSCHEN IN REINKULTUR“ wahrgenommen. Das war für die
Vier eine große Enttäuschung, denn sie lebte sehr intensiv
ihre Gefühlswelt und versteht damit andere Menschen
besonders gut. Die Drei konnte sich eher über ihre ErfolgsGeschichten damit identifizieren.
In diesem Sinn kommt uns die Herausforderung zur Thematik „TUN und LASSEN“ nach zu denken sehr gelegen.
Wir versuchen unsere jeweiligen Eigenheiten in einem Dialog zu hinterfragen. Da wir gegenseitig Flügel sind, ergeben
sich Ähnlichkeiten und doch bleibt uns vieles fremd oder
unerklärlich. Im Dialog nähern wir uns dem Thema und
freuen uns an den kleinen AHA-Erlebnissen und teilen sie
gerne mit Euch Lesern.
Die Vier: ja, ich neige dazu ins TUN zu gehen, besonders
dann, wenn es mir nicht gut geht. Unter Stress steht meine
Zweier-Energie im Vordergrund. Ich helfe über meine
Kräfte, seelsorgerlich oder tatkräftig. Plötzlich wird es zu
viel und ich falle in die Depression.
Die Drei: wenn du in der Depression sitzest, ist es gleichzeitig sehr wichtig, dass du hinaus gehst, Kontakt suchst
um dich vom Krankhaften zu lösen. Es könnte sein, dass
ohne diese Hilfe von außen du immer tiefer in die Isolation
fällst. Solche Vierer verlieren den Boden und der Weg zum
Suizid ist oft vorprogrammiert.
Die Vier: darum ist das Thema „Balance finden“ so wichtig.
Dem Inneren Freiraum geben und doch mit dem Außen
verbunden bleiben.
Die Drei: ohne diese Balance wird das Gegenüber einer
Vier oft überfordert. Herztypen können verstehen, aber für
Bauch- und Kopftypen bleibt vieles fremd. Sie können gut
zuhören, aber helfen?
Die Vier: das sind für mich meist schwierige Momente.
Den Weg zur Balance zu finden ist eine lebenslange Aufgabe. Man bewegt sich zwischen Himmel und Erde. Zu viel
vom Einen oder Anderen kann zu Engpässen führen.
Die Drei: darum bleibt das Thema: Hilfe holen ja, Hilfe
weitergeben ja, aber nicht ins Helfersyndrom verfallen. Da
wärst du überfordert.
16 EnneaForum 41 – Mai 2012
Die Vier: gut ist, wenn ich diese Situation wahrnehme.
Im Erschöpfungszustand muss ich eigentlich in die Ruhe
gehen. In der Meditation und im Spirituellen Kraft holen.
Nach intensiven Meditationszeiten wird es möglich den
Unterschied zu spüren zwischen dem TUN und LASSEN.
Dem TÄTIG SEIN und dem SEIN LASSEN.
Die Drei: für eine Drei ist TUN alles. Da stehen manchmal 3 bis 4 Projekte nebeneinander. Ich merkte gar nicht,
welchem Projekt ich keine Beachtung mehr schenken
konnte. Unter diesen Umständen musste ich delegieren,
weil ich nicht mehr weiter wusste! Dann ist der Ehrgeiz
gefragt, um ohne Imageschaden trotzdem zum guten
Gelingen beizutragen und sich im Erfolg zu sonnen.
Die Vier: wenn ich recht verstehe ist für dich das LOSLASSEN eine schwierige Sache. Delegieren ist nicht deine
Stärke!
Die Drei: ja, ich gebe doch nicht zu, dass mir etwas nicht
gelingt. Das ist mit ein Grund, warum ich mich als Drei
definiert habe. Nach außen zugeben eine Aufgabe nicht
zum Erfolg zu bringen kann eine Drei erst, wenn sie sich
auf den Weg macht.
Die Vier: Könnten wir uns jetzt Gedanken machen, was
es für uns beide heißt, sich „auf den Weg“ machen! Welche
Muster haben wir, die uns daran hindern? Und welche Entwicklungsschritte sind nötig für eine Wandlung?
Die Drei: schwierige Erlebnisse im Umfeld führen zum
Umdenken oder eine Krankheiten zwingt uns, neue Wege
für die Bewältigung zu finden.
Die Vier: das würde ich auch unterstützen. Einbrüche
sind da, um inne zu halten und nach zu denken, was eine
Krankheit, der Stellenverlust, ein Auseinanderbrechen
einer Beziehung sagen will. Einfach ist das allerdings nicht.
Die Drei: das Innehalten erinnert an das Gleichnis vom
Senfkorn. Es braucht viel Zeit zum Wachsen und bis der
Durchbruch sichtbar wird. Manchmal haben wir ein Brett
vor dem Kopf und sehen keinen Ausweg bis ein Schlüsselerlebnis uns die Augen öffnet.
Die Vier: wenn wir vom Weg und den einzelnen Schritten
reden, können wir uns Konkretes vorstellen? Für mich war
der Bezug zum Spirituellen seit frühester Jugendzeit eine
Hilfe. Dank dem Enneagramm wurde mir klar, wie Verdrängung oder die Falle zu Stolpersteinen wurden. Zum Glück
durfte ich erfahren, dass Spirituelles mich wie ein roter
Seidenfaden begleitet und durchgetragen hat.
Das enneagrammatische
Lied der Liebe
Hans Peter Niederhäuser
Die Drei: der Glaube war präsent, aber vermischt mit
Zweifel und Enttäuschung. Es war ein „Hin und Her“.
Heute bin ich ausgewogener und das „Warum“ hat sich
abgeschwächt.
Die Vier: das Wörtlein WARUM ist keine Hilfe. Wichtig
scheint mir, sich meditativ auf den neuen Tag einzustimmen, bewusst offen zu bleiben das TUN und LASSEN zu
unterscheiden. Eine Lebensaufgabe für uns Herztypen!!
Eine echte Herausforderung ist für uns, zu spüren, dass wir
wertvoll sind ohne aktiv zu sein, sondern einfach im SEIN
zu ruhen. Du ohne Erfolg erfolgreich Lösungen anzubieten,
und ich im stillen Schweigen ruhend dem Mitmenschen
zu begegnen. Unser Austausch hat Verbindendes möglich
gemacht ohne unsere Eigenart zu verstecken.
Wir wünschen allen Typen, dass sie auf ihre ureigene Art
die Balance finden zwischen TUN und LASSEN um die
innere Ruhe zu bewegen. Dir danke ich für das freundschaftliche Gespräch und den Lesern wünschen wir beide
viel Vergnügen
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Wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzte,
hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich ein nichts.
Paulus (1. Kor. 13, 2)
Wenn ich meinen vollen Einsatz gäbe, dass es im Kleinen
wie im Grossen auf dieser Welt besser und gerechter zu
und her ginge, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich
kleinlich und ärgerlich.
Denn Liebe heisst, auch eine Fünf gerade sein zu lassen.
Wenn ich immer freundlich wäre und allen, die es nötig
haben, meine Hilfe anböte, hätte aber die Liebe nicht, so
würde ich manipulativ und stolz.
Denn Liebe heisst, anderen mit leeren Händen zu begegnen.
Wenn ich jeden Konkurrenzkampf gewänne, stets erfolgreich wäre und Anerkennung bekäme, hätte aber die Liebe
nicht, so würde ich unecht und täuschend.
Denn Liebe heisst, hinten anstehen zu können.
Wenn ich in meiner Einzigartigkeit die Tiefen aller
Gefühle erlebte, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich
neidvoll und einsam.
Denn Liebe heisst, das Leben ganz gewöhnlich anzupacken.
Wenn ich ergründete, was die Welt im Innersten zusammenhält, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich habgierig
und einzelgängerisch.
Denn Liebe heisst, sich ohne die Sicherheit des Wissens auf
die Welt einzulassen.
Wenn ich mich an alle Regeln hielte und alle meine
Pflichten erfüllte, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich
misstrauisch und ängstlich.
Denn Liebe heisst, sich andern anzuvertrauen.
Wenn ich alles Glück der Welt gewänne, hätte aber die
Liebe nicht, so würde ich unersättlich und verantwortungslos.
Denn Liebe heisst, auch dem Schmerzvollen nicht auszuweichen.
Wenn ich über alles die Kontrolle hätte und meine Stärke
auslebte, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich schamlos
und hart.
Denn Liebe heisst, auch die zarte Seite des inneren Kindes
zu leben.
Wenn ich Frieden mit allen und unendliche Harmonie
fände, hätte aber die Liebe nicht, so würde ich träge und
stur.
Denn Liebe heisst, sich einzumischen und Stellung zu
nehmen.
Unsere Muster verführen uns zu einem Leben ohne Liebe.
Darum wünsche ich dir und mir jeden Tag neu ein Quäntchen Liebe
und den Glauben daran, dass es genug davon gibt.
EnneaForum 41 17
Das Enneagramm – ein Modell, das P
­ rozesse
Samuel Jakob
beschreibt und ermöglicht
In der reichhaltigen Nummer 40 des EnneaForums (Dank
an die Redaktion!) haben mich der Zwischenruf ‚SprachGewohnheiten‘ von Gotthard Fuhrmann und Maria-Anne
Gallens Beitrag ‚Die Persönlichkeit im spirituellen Kontext‘ angeregt, mich an der Diskussion zu beteiligen. Im
Folgenden äußere ich mich zu Fuhrmanns These: ‚Enneagramm-Arbeit ist Prozess-Arbeit!‘ sowie anschließend zu
Gallens Frage, ob eine grundlegende Veränderung von
Enneagramm-Mustern möglich ist und wie. Ich schöpfe
dabei aus inzwischen 22-jähriger Arbeit mit dem Enneagramm, und was wir, meine Partnerin Ruth Jakob-Gautschi
und ich, dazu gelernt haben.
Prozess- und Typenmodell
So einleuchtend Gotthard Fuhrmanns Appell erscheint,
nicht länger zwischen Prozess- und Typenmodell zu unterscheiden, so unrealistisch ist er in der Sache, stecken doch
mehr als nur eingeschliffene und unnötige Gewohnheiten
in diesem Sprachgebrauch: Das Prozessmodell aus der
Schule Gurdjieffs kennt das Typenmodell nicht, das Typenmodell aus der Schule Ichazos vermittelt umgekehrt sehr
wenig bis nichts vom Prozessmodell. Beide Modelle sind
(noch) nicht in ein einziges Modell integriert. In seinem
Kern ist das Enneagramm ein Erkenntnis-Modell, welches
Bewegungen in ihren Gesetzmäßigkeiten beschreibt. Da
unser westlich-griechisches Denken bis heute von Plato
geprägt ist, denken wir in Kategorien von Dingen und
statischen Zuständen. Dem Gurdjieffschen Prozess-Enneagramm kommt jedoch als Erkenntnismodell am ehesten die
Quantenphysik nahe. Auch nach über 60 Jahren Quantenphysik sind jedoch weite Teile der Wissenschaft nach wie
vor dem alten Modell verpflichtet, und wird die Realität als
Ding-Wirklichkeit anstatt Wirk-Wirklichkeit betrachtet.1
Das Enneagramm-Dreieck – Bindeglied zwischen den
Modellen
Üblicherweise wird mit dem Prozess-Modell der Prozess
der 9 Schritte im Uhrzeigersinn des Enneagramm-Kreises
gemeint – und Handlungsabläufe damit beschrieben. Was
bisher unbeachtet blieb, ist der Basis-Prozess, der diesem
Prozess zugrunde liegt: der Prozess entlang des Dreiecks
im Enneagramm-Symbol. Dieser Prozess beschreibt – angewandt auf die Psyche des Menschen, d.h. die 9 Typen (und
ihre 27 Subtypen) – je nach Drehrichtung beides: Sowohl
die Formation der Persönlichkeit (Gegenuhrzeigersinn) wie
die Transformation der Persönlichkeit (Uhrzeigersinn). Den
Hinweg in den Typ hinein, und den Rückweg aus dem Typ
heraus. Eine detaillierte Beschreibung beider Prozesse
ist im Text ‚Das Dreieck‘ auf unserer
9
Website www.ennegramm.ch zu finden.
6
18 EnneaForum 41 – Mai 2012
3
Die Formation der Persönlichkeit: Der Fall aus der
Einheit (Punkt 9) in die Dualität (Angst an Punkt 6) im
Prozess der Inkarnation führt, aus dieser „Not heraus, in
bestimmte Persönlichkeitsmuster“ (Maria-Anne Gallen).
Dies geschieht an Punkt 3: Hier erfolgt die Identifikation
mit erfolgreichen Überlebensstrategien und der Aufbau einer vom Ursprung getrennten Ich-Identität in der
Kindheit, die jedoch gleichzeitig ins Unbewusste sinkt.
Damit sind wir am Ende des Prozesses angelangt, wieder
an Punkt 9, jedoch nicht am Ausgangspunkt, sondern eine
‚Oktave tiefer‘, um einen Ausdruck des Prozess-Enneagramms zu verwenden. An diesem Ort der Unbewusstheit leben wir mit unseren Muster-Sets, die zusammen
den Typ bzw. die Subtypen-Mischung ausmachen. Diese
‚maschinenhafte’ Existenz2 an Punkt 9 kann im Typenmodell als Zustand der 9 (bzw. 27) Typen und ihrer Grundfixierungen präzise beschrieben werden. Genau hier, am
Punkt 9 als Zielpunkt dieses Prozesses, ist also der Ort des
Typen-Enneagramms im Prozess-Enneagramm.
Der Weg der Transformation beginnt ebenfalls hier, an
diesem Punkt 9. Er verläuft als ‚Rückweg‘ im Uhrzeigersinn entlang den Stationen des Dreiecks (näher skizziert
unten). Ohne dies hier weiter auszuführen wird ebenfalls
klar, weshalb die Typen 3, 6 und 9 im Enneagrammkreis
an diesen Punkten platziert sind, und welche Bedeutung
sie für alle Enneagramm-Typen haben: Die 6 identifiziert
sich mit der Angst (phobisch oder kontraphobisch), die 3
mit dem Prinzip der Identifikation (und damit der (Selbst-)
Täuschung) und die 9 mit der Trägheit ihrer unbewussten
Unbewusstheit (Selbstvergessenheit) – sie sind sozusagen
an diesen Stationen ‚hängengeblieben‘. Jeder Typ hat sich
auf seinem Weg der Transformation speziell mit diesen 3
Proto-Typen – worin Typ 9 sozusagen als Proto-Prototyp
fungiert – zu befassen.
Typenmodell – Spezialfall des Prozessmodells
So betrachtet, ist das Typenmodell bzw. sind die einzelnen
Typen des Enneagramms spezifische Zustände von Prozessen. Sie sind ‚gefrorene‘ Lebensenergie: erstarrt, und
trotzdem lebendig, so wie Glas zwar hart ist und dennoch
eine Flüssigkeit.
Seit uns Helen Palmer – fast in einer Nebenbemerkung
– 2001 auf das Dreieck aufmerksam gemacht hat, sind
wir daran, diese Zusammenhänge zu erforschen und aus
dieser Perspektive auch die Arbeit an sich selbst anzugehen.
Das konsequente Denken in den Prozess-Kategorien der
Quantenphysik (die dem Denken des Taoismus sehr nahe
kommt: das Tao Te King ist eine große Hilfe, die Logik
von Prozessen klarer zu verstehen) wirft ein neues Licht
auf das Typen-Enneagramm sowie die einzelnen Typen
in ihren Aspekten. Die Rekonstruktion und Beschreibung
der Typen als Prozesse wird noch einige Zeit in Anspruch
nehmen, ist jedoch außerordentlich faszinierend, da sie
neue und tiefere Einsichten ermöglicht. Eine davon sei
hier angetönt: Hameed Almaas beschreibt in seinem Buch
über die Heiligen Ideen des Enneagramms, was im Prozess
der Inkarnation an Station 6, wo die Psyche erstmals der
Angst begegnet und einen Teil ihres Ur-Vertrauens verliert,
passiert: Er beschreibt je 9 verschiedene Angsterfahrungen
(spezifische Schwierigkeiten), entsprechende Reaktionen
darauf sowie ‚Verblendungen‘ der Wirklichkeit als deren
Folge.3 Die Erstreaktion auf die existenzielle Angst ist
nichts anderes als eine Schonhaltung. Mit ihrer Hilfe wird
diese schlimme Erfahrung bewältigt, und vor allem eine
Disposition errichtet, um ihr in Zukunft nicht nochmals zu
begegnen. Almaas beschreibt damit den Kristallisationskern, um den herum sich schließlich die ganze Persönlichkeit als Enneagramm-Typ herausbildet: Die ‚spezifische
Reaktion‘ ist zwar ein Schutz, jedoch zugleich eine falsche
Lösung des Problems, die nur in der Wiederaufnahme der
an dieser Stelle verlorenen Beziehung zur Einheit (Gott)
liegen kann. Die erste Schutzhaltung ist also nur eine Verschlimmbesserung: sie zwingt zu einer zweiten, dritten
und vierten Folgereaktion, ein ganzer Domino-Effekt
entsteht, bis der ganze Typ ausgebildet ist, der immer
größere Teile des gesamten lebendigen Systems in seinen
Griff bekommt. Das volle Leben wird dadurch mehr oder
weniger beträchtlich eingeschränkt, mit entsprechenden
Kurz- und Langzeitschäden, für sich selbst und die Umwelt.
Dies genau so, wie wir aus der Medizin Spätfolgen von
Schonhaltungen kennen, bis schließlich eine Krankheit
oder eine chronische Schädigung an einem durch die
Folgen geschwächten Ort des Körpers auftritt. Die von
Naranjo beschriebenen ‚Seins-Verdunkelung‘ jedes Typs ist
nicht einfach ein plötzlicher Zustand. Die Entstehung und
die Aufrechterhaltung dieser Verdunkelung ist ein Prozess,
ein andauernder Prozess. Der ganze Aufbau der Persönlichkeit ist ein interaktiver Prozess auf allen Ebenen, die miteinander verbunden sind. In Stichworten wiedergegeben:
Herausbildung und Entwicklung (bzw. eben: Beeinträchtigung) der 3 Basis-Instinkte, woraus ein Ungleichgewicht im
Gebrauch der 3 Zentren und die Subtypen-Disposition entsteht, Entwicklung der emotionalen Dispositionen (Orga-
EnneaForum 41 19
nisation der sog. ‚Leidenschaften‘ bzw. ‚Wurzelsünden‘)
und schließlich die Ausformung der mentalen Fixierungen
(Denk- und Wahrnehmungsfilter, neuronale Programme).
Entwicklungspsychologisch geschieht das sowohl nacheinander als auch zugleich, in gegenseitig sich rückwirkend
beeinflussenden Wechselwirkungen, also in wechselseitig
sich unterstützenden Vertiefungs- und Verfestigungsprozessen. Schließlich ist davon sogar die Körperkonstitution
eines Menschen mitgeprägt, wie wir seit Wilhelm Reichs
‚Charakterpanzer‘ wissen: Die ‚schizoide‘ Körperstruktur
z.B. eines Typs 5 ist eine sehr andere Manifestation als die
‚weiblich-psychopathische‘ Körperstruktur z.B. eines Typs 2.
Der Typ – eine permanente Kreation
Insgesamt haben wir mit der ausgebildeten Persönlichkeit
einen ziemlich statischen Zustand vor uns, der jedoch von
Moment zu Moment kreiert wird. Durch komplex miteinander verbundenen Prozesse, die zum größten Teil aus
Gewohnheiten bestehen. Man sieht, wohin dieser Wahrnehmungsansatz führt: alle 9 Typen müssten umgeschrieben werden, als dynamische Vorgänge, welche statische
Zustände kreieren. Insgesamt müsste die ganze Bewegung:
die Formation des Typs und die Transformation des Typs,
auf diese Weise beschrieben werden. Und dies für alle 9
Typen bzw. 27 Subtypen. Ein noch langer Weg, bis es so
weit ist. (Unser Projekt, Typen- und Prozessmodell auf
diese Weise miteinander zu verbinden, bezeichnen wir als
‚Das Integrative Enneagramm‘).
Die statischen Zustände können sehr resistent sein, wie
Maria-Anne Gallen beschreibt. Sie sind uns zur zweiten
Natur geworden, wir definieren uns durch sie. Und es
bedarf meist langwieriger Arbeit, die – letztlich aus einem
ungelösten spirituellen Problem – entstandene Persönlichkeit vom angeborenen individuellen Wesenskern zu
unterscheiden. Auch ich bin diesbezüglich bescheidener
geworden. Gewisse Identifikationen, die eigentlich loszulassen wären, sitzen sehr tief. Sie stabilisieren Zustände,
die ohne sie heftig ins Wanken kommen würden, ja ganze
Lebenskonzepte zum Einsturz brächten. Das von Gotthard Fuhrmann als Missbrauch Empfundene „Wieder mal
typisch 1!“ oder „Ganz klar: Typ 4“, trifft jedoch oft genug
den Nagel ziemlich auf den Kopf. Die Grenze zum Missbrauch ist schmal (darüber wäre länger zu schreiben). Aber
in flagranti von jemandem konfrontiert zu werden mit
meiner Mechanik (oder Schublade), hat mich oft geweckt,
und mir etwas sichtbar gemacht, das ich mit meinen
blinden Flecken selbst nicht hinreichend erkennen konnte.
Das Typenmodell – eine narzisstische Kränkung
Insofern beinhaltet das Typenmodell in sich selbst zwangsläufig eine Kränkung: Es zeigt mir, wie viel meines Wahrnehmens und Verhaltens nicht frei, spontan und ganz ist,
sondern programmiert, begrenzt und behindert. Diese
Kränkung ist nach unserer Erfahrung ein wichtiger Grund,
dass sich Menschen gegen dieses Modell insgesamt wehren,
sich in keinem der 9 Typen (ganz) erkennen können/
wollen, oder sich mit einem Typ, der ihrem Ich-Ideal am
nächsten kommt, identifizieren, anstatt mit ihrem real
existierenden Enneagramm-Typ. Im letzteren Fall vertieft
20 EnneaForum 41 – Mai 2012
sich dadurch die eigene Blindheit, anstatt dass diese durch
Wahrheit über sich aufgehellt wird, ein etwas tragischer –
weil unbewusster – Missbrauch des Enneagramms: man
wähnt sich dabei ja als erwacht, da man jetzt mit dem
Enneagramm an sich selbst arbeitet. In Tat und Wahrheit
sind jedoch dadurch zentrale Kernpunkte der eigenen Persönlichkeit tiefer ins Unbewusste verdrängt worden.
Mit einem Typ oder einem typischen Verhaltensmuster
konfrontiert zu werden, ist in der Regel eine Beleidigung
des Egos. Uns damit zu verschonen, bringt uns jedoch
nicht weiter. Das ‚Wie‘ – wie das gesagt wird, und aus
welchen Motiven heraus – ist hier entscheidend. Und
natürlich kann der Prozess, zu erkennen, mit was man sich
identifiziert hat, auch dazu beitragen, diese Identifikation
zu vertiefen. Die Variante: „So bin ich halt!“ ist noch die
einfachste davon. Im Kern geht es ja bei der Persönlichkeitsentwicklung mit dem Enneagramm darum, sich von
verfestigen Identifikationen wieder zu lösen, zu des-identifizieren. Wobei wir nun bei den zentralen Fragen sind, die
Maria-Anne Gallen in ihrem Beitrag in den Raum stellt: „Ist
eine grundlegende Veränderung der eigenen Persönlichkeit
möglich? Was bedeutet eigentlich der vielbenutzte Begriff
‚Erlösung‘? Gibt es wirklich so etwas wie eine ‚metanoia’
(Umkehr) im Zusammenhang mit Persönlichkeitsmustern?“
Transformation des Typs möglich?
An diese Stelle ist nun nach dem ‚Hinweg‘ in den Typ auch
der ‚Rückweg‘ aus dem Typ, der Weg in die Freiheit, zu
skizzieren:
Die Transformation der ­Persönlichkeit wird im Prozess
des Dreiecks im Uhrzeigersinn auf9
gezeigt: Ausgangspunkt ist die Selbstvergessenheit an Punkt 9, in welcher
der ausgebildete Typ auf seinem
Hinweg gelandet ist. Als erstes sind
3
von hier aus die Identifikationen zu
6
erkennen: Einzelne Muster werden
bewusst, und nach und nach die Struktur ihrer Zusammenhänge (im Enneagramm betrachtet: Beobachtung/Erforschung des Typs, der Subtypen-Mischung, der darunterliegenden unbewussten ‚Abwehrmechanismen‘, etc.). Mit
diesen Einsichten über sich selbst an Punkt 3 (Ort der
Identifikation) angelangt, ist es jedoch noch nicht getan.
Die – weitaus schwierigeren – Schritte der konkreten DesIdentifikation stehen an: alte Gewohnheiten zu (unter-)
lassen, und aus der neu gewonnen Freiheit heraus neue
Verhaltensmöglichkeiten zu finden und im Alltag dann
auch anzuwenden! Um diesen Schritt zu vollziehen, muss
eine hinreichende Motivationsbasis da sein bzw. heranwachsen. Insbesondere gehört dazu, nicht nur den ‚Gewinn‘
eines Musters zu erkennen, sondern dem ‚Preis‘, den
andere und ich selbst dafür bezahlen, ehrlich in die Augen
zu schauen – und diesen auch in seinem vollen Ausmaß
zu fühlen. Bis ich mit dem Muster auch dessen Gewinn
loszulassen bereit bin, muss auf der andern Waagschale
genügend Gewicht sein. Dieser Erkenntnisprozess, der
zugleich ein Einfühlungsprozess ist, braucht oft Zeit; und
neutrale methodische Anleitung von außen. Ohne ein eige-
nes Erschrecken darüber, was die eigenen Muster anrichten
können, geschieht oft nichts damit, bleiben diese sozusagen ‚Kavaliersdelikte‘. Der Weg von Punkt 3 zurück zur
Einheit (mit Gott und mit sich als seinem eigenen Wesenskern) geht jedoch nochmals über die Station an Punkt 6:
die Angst. Es muss hinreichend Vertrauen nachwachsen,
um vertraute Gewohnheiten (und deren Gewinn) loszulassen und Neues, Ungewohntes zu wagen, d. h. den geforderten Preis für die Opferung des Gewinns eines Musters zu
bezahlen. Immerhin geht man dabei das Risiko ein, ohne
den Schutz des Typs und damit in Verwundbarkeit mit
altem Schmerz konfrontiert zu werden. An dieser Stelle ist
oft fachlich kompetente psychologische oder gar therapeutische Unterstützung angesagt, um den Schritt über diesen
Graben zu schaffen, d. h. die anstehenden Knöpfe zu
lösen.4 Der alte Schmerz muss sozusagen ‚geöffnet‘ werden,
damit Heilung und Wachstum – und dazu gehört auch die
Mobilisierung neuer Ressourcen – geschehen kann. An
diesem Ort geschieht auch die Versöhnung mit der eigenen
Geschichte, auch Vergebung und Selbstvergebung.
An Punkt 6 angelangt, wird an dieser Stelle auf neue
Weise – und zum Teil erstmals! – Selbstverantwortung
möglich und eingeübt. Dazu gehört im Kern, den Kontakt
mit der Inneren Führung, die auf dem Hinweg an Punkt 6
verloren ging, auf dem Rückweg zur Einheit (Punkt 9) zu
klären, neu aufzubauen, zu vertiefen und im Hinblick auf
den Stress des Alltags auch zu festigen, um nicht wieder
daraus herauszufallen. Schon diese Wegstrecke von Punkt
6 zu Punkt 9 ist ein veritabler Prozess für sich, im Kern
ein Prozess der ‚re-ligio‘: des sich wieder mit sich und dem
Ursprung Verbindens.
Was ist mit hartnäckigen Mustern?
An dieser Stelle ist nun festzustellen, dass es auch Muster
und Prägungen gibt, die sich nicht leicht auflösen lassen
oder gar nicht, sondern – evtl. sogar ein Leben lang –
bleiben, obschon wir immer die Hoffnung haben dürfen,
dass noch zu später Stunde Veränderungen möglich sind,
und seien es nur kleine Schritte. Ich bin in diesem Fall
aufgefordert, für verbleibende Muster ebenfalls Verantwortung zu übernehmen: Versuchungen zu erkennen und
ihnen entsprechend zu begegnen sowie die Wirkungen, die
von meinen Mustern ausgehen, künftig zu beachten und
die Verantwortung für diese Folgen voll zu übernehmen.
Auch dies ist ein nicht einfacher Prozess, da lange Zeit für
allerlei Unbill, die ich in die Welt setze, auch andere ‚mitverantwortlich‘ gemacht werden, die mir als Entschuldigung und Verharmlosung meiner selbst dienen. Es gilt hier,
jegliche Projektionen zurückzunehmen und nichts Eigenes
zu verdrängen. Bei hartnäckigen Mustern, die sich (bisher)
EnneaForum 41 21
nicht verändern ließen, bin ich also aufgefordert, angemessene flankierende Maßnahmen zu finden und diese sowohl
präventiv wie akut anzuwenden, um deren Schaden für
mich und Andere in Grenzen zu halten. (Muster sind selten
nur ‚negativ‘, sondern haben oft auch ‚positive‘ Seiten und
Effekte. An dieser Stelle geht es nur um die Negativität und
deren Nebenwirkungen.)5
Auf diesem Weg – der natürlich nicht als einmaliger Prozess
durchlaufen wird! –, kann man oberflächlicher oder auch
tiefer seine Muster erkennen, lösen und als erwachsener
Mensch Verantwortung dafür zu übernehmen, sofern und
solange sich diese als hartnäckig erweisen. Wieder angelangt an Punkt 9, ist ein Zyklus abgeschlossen. Zu einem
vollen Zyklus gehört: dass ein Muster erkannt, losgelassen
und durch neue Verhaltensweisen ersetzt ist, die auch den
Stresstest des Alltags bestanden haben – oder flankierende
Maßnahmen zu hartnäckigen Mustern installiert und im
Alltag auch angewendet werden. Dass diese Lösungen oft
erst Anfänge, Kompromisse oder Teillösungen darstellen,
ist die Regel. In aller Regel gehören also viele Zyklen und
viele Schritte dazu, bis ein Muster einigermaßen vollständig ausgeräumt ist und auch alle Ersatzstrategien, die sich
an deren Stelle nochmals installieren, ‚transformiert‘ sind.
Auch dazu wäre noch Einiges auszuführen.
Was hier – in beiden Drehrichtungen der Prozesse im
Dreieck – beschrieben wurde, kann so zusammengefasst
werden: Beide Prozesse werden mehrfach, vielfach, ja permanent durchlaufen. Ein Muster hat in der Regel einige
Schichten, die ‚abzutragen‘ sind. Rückfälle bedeuten oft,
dass ansteht, in einem weiteren Prozess tiefer zu gehen.
Zweitens: Beide Prozesse laufen gleichzeitig ab, zum Teil
bewusst, zu einem großen Teil unbewusst. Es ist Aufgabe
und Funktion des Inneren Beobachters, immer klarer zu
erkennen, in welchen Prozessen – und darin an welcher
Stelle – man sich im Hier und Jetzt gerade befindet, und
für welche Prozesse (Gegenuhrzeiger- oder Uhrzeigersinn)
man sich bewusst entscheidet. Sozusagen ‚in flagranti‘ im
Moment des Jetzt. Dies braucht viel Übung und Wachheit:
lange erkennt man die Dinge erst im Nachhinein, kommt
also zu spät, um hier bewusst zu steuern.
Transformation: Geschenk und Arbeit
Dass Transformation geschieht, ist jedes Mal ein Geschenk.
Vor allem, wenn diese tiefer geht. Nur wenige Menschen
sind bereit, freiwillig tiefer zu gehen, wenn es ans sogenannte ‚Eingemachte‘ geht. Das Leben selbst ist hier der
zentrale Lehrmeister, der zu Reifungsschritten einlädt.
Jedoch können auch Chancen, die Lebenskrisen uns
anbieten, ungenutzt verstreichen. Was von dieser Sicht
auf das Enneagramms jedoch klar wird: die EnneagrammTypen sind keine neutrale Psychologie, auch nicht zu
vergleichen mit anderen Typologien, die es in diesem Felde
gibt. Das Enneagramm ist, nebst einer ausgezeichneten
psychologischen Persönlichkeitsbeschreibung, im Kern
ein spirituelles Modell: es zeigt, dass die Persönlichkeit
ein Lösungsversuch auf ein eigentlich spirituelles Problem
darstellt. Und, weil dieser Lösungsversuch diesbezüglich
eine Verschlimmbesserung mit nachhaltigen Folgen ist,
eigentlich eine ‚Krankheit zum Tode‘ (Kierkegaard). Auch
22 EnneaForum 41 – Mai 2012
christliche Kreise scheinen mir diese Potenz des Enneagramms, welches immerhin von ‚Wurzelsünden‘ spricht,
oft zu verharmlosen. Es sind vor allem buddhistische und
sufistische Ansätze, die mir bewusst gemacht haben, wie
gravierend die ‚Getrennte Ich-Identität‘, die wir mit unserer
Persönlichkeit aufbauen und mit der wir durchs Leben
gehen, uns vom Leben, voneinander und im Kern von unserer göttlichen Quelle trennt. Die Bibel nennt das Sünde,
und da niemand in einer heilen Welt auf die Welt kommt,
kennt sie diese als ‚Erbsünde‘, die wir – seit Generationen
und notgedrungen – in unsere Persönlichkeitsstrukturen
mit integriert haben. Und damit auch künftigen Generationen weiterreichen. Musterarbeit im obigen Sinn ist deshalb
zugleich Friedensarbeit, die weit über mich als Individuum
hinaus für das ganze Kollektiv eine große Bedeutung hat.
Gerade im christlichen Milieu scheint mir oft das umfangreiche psychologische Potenzial des Enneagramms in seiner
theologischen Bedeutung bei weitem nicht ausgeschöpft.
Etwa, um die Abwehrmechanismen als Beispiel zu nehmen:
Sie waren in unseren frühen Kindheitstagen ein überlebensnotwendiger Schutz, eine Schonhaltung. Im Erwachsenenalter sind sie jedoch in 9 von 10 Fällen nur noch kontraproduktiv: sie täuschen – uns selbst und anderen – eine
falsche Wirklichkeit vor und sorgen oft genug in paradoxer
Weise dafür, dass das mit ihrer Hilfe zu Vermeidende erst
recht kreiert wird, und daraus permanent viel Missverständnis, Unheil, Konflikt und schließlich Zerwürfnis in die
Welt gesetzt wird. In vielen Fällen schützen sie kurzfristig
vor unangenehmen Gefühlen, haben uns jedoch gerade
dadurch – und alle Typen – zu partiell fühllosen Wesen
gemacht.6 Das Durcharbeiten der Muster bis auf deren
Grund (Almaas), das Heilen und Erziehen der deformierten
Instinkte (Almaas: animal soul, Pierrakos: Niederes Selbst),
welche unserem Subtypen-Verhalten zugrunde liegen, ist
oft mühsame und langwierige Kleinarbeit. Es macht uns
jedoch wieder zu fühlenden Wesen. So werden wir auch
wieder zu Mitgefühl fähig – erst so jedoch spüren wir auch
das volle Ausmaß der destruktiven Wirkungen unserer
Muster, was wiederum die Motivation fördert, Dinge in
und an uns zu verändern. Allerdings werden wir auf diesem
Weg auch wieder verwundbarer, sei dies im Hinblick auf
alte Wunden, die in dieser Offenheit leichter ‚angetriggert‘
werden können (jedoch, indem sie so ans Tageslicht
kommen, endlich auch Heilung erfahren können!), oder sei
dies im Hinblick auf neue Verwundungen, denen wir jedoch
als erwachsene Menschen jetzt anders begegnen können
als damals in unserer frühen Kindheit. Ich wünschte mir,
dass gerade in christlichen Kreisen die sorgfältige (tiefen-)
psychologische Arbeit an den eigenen Mustern ernster
genommen, und in ihrem Stellenwert als spirituelle Arbeit
gesehen und entsprechend gewichtet wird.
Spiritualität ohne Psychologie: Achtung Gefahr!
Maria-Anne Gallen weist auf das hervorragende Buch von
Jack Kornfield hin, das ich allen Enneagrammlehrenden
als Pflichtlektüre empfehlen möchte.7 Kornfield beschreibt
darin die Gefahr, eigene Muster spirituell zu überhöhen
anstatt diese psychologisch zu klären. Was diese dadurch
erst richtig gefährlich macht, kommen sie nun doch mit
EnneaForum 41 23
einem Heiligenschein daher! Er beschreibt, welche Formen
die drei Instinkte (Subtypen) annehmen, wenn sie nicht
gereinigt, sondern übergangen oder unterdrückt werden
(was auch im Christentum lange geschah). Und was dann
mit den drei Bereichen Geld, Sexualität und Macht/Prestige geschieht – und weshalb viele spirituelle Führer (von
Frauen ist hier weniger bekannt) in einem der drei Bereiche
unglaubwürdig sind und gar korrupt werden. Jeder
Einzelne steht in derselben Gefahr. Aus diesem Grund
wartet Claudio Naranjo mit der direkt spirituellen Arbeit,
und hat man sich als Enneagrammschüler bei ihm zuerst
mit einer ausführlichen Proto-Analyse: dem gründlichen
Durcharbeiten der eigenen Mustergeschichten zu befassen.
Ohne diese bodennahe Arbeit kommt es zu einer abgehobenen (Schein-)Spiritualität, welche – um es ziemlich
drastisch auf den Punkt zu bringen – bloß ‚Sahne auf die
Scheiße tischt‘, anstatt die darunterliegende ‚Scheiße‘
auszuräumen. Solche psychologische Arbeit an sich selbst
ist spirituelle Arbeit. Sie ist Umkehr, Schritt für Schritt
konkrete Metanoia. Dass sie gelingt, ist ein Geschenk. Was
wir selbst beitragen können ist, „dem Ego ein Stück Sterbehilfe zu leisten dabei“ (Naranjo).
Erlösung und Heiligung
Im christlichen Bereich wäre zu den Fragen von MariaAnne Gallen theologisch an Folgendes zu erinnern: sofern
mit ‚Erlösung‘ das Heil des Menschen gemeint ist, hat
dies mit dem Enneagramm nichts zu tun: Gottes Liebe
ist ein Geschenk an uns, wir müssen nichts dazu beitragen, um von ihm geliebt zu werden. Sie ist immer da, wo
auch immer wir in den Prozessen unseres Lebens (und des
Enneagramms) stehen. Es ist bloß die Frage, ob auch wir
‚Da‘ sind. Erlösung meint jedoch auch Anderes: Befreiung
aus Zwängen, vor allem dem Zwang, die eigene Selbstbehauptung auf Kosten Anderer zu realisieren. Und hier
sind wir wieder mitten in der Enneagramm-Arbeit: um
diese Freiheit geht es im Kern. Wie hier eigene Leistung
und Geschenk zusammenspielen, wurde oben skizziert: im
Kern ist solche Erlösung aus Prägung ebenfalls Geschenk;
der eigene Beitrag besteht darin, sich ihm zu öffnen, es
anzunehmen und mit dem eigenen Leben zu verwirklichen.
Beides ist ineinander verwoben: wie tief wir diese Erlösung
beanspruchen und anstreben, ist unsere Entscheidung –
auf diese werden wir jedoch schrittweise hingeführt. Und
hier – an dieser Stelle – setzt nun ein anderer Begriff aus
der christlichen Tradition ein, die ‚Heiligung‘: Es geht
hierbei nicht darum, einen Beitrag an die Erlösung zum
ewigen Heil zu schaffen, jedoch darum, auf das Geschenk
des Lebens und des Heils, d. h. auf die Liebe Gottes mit
dem eigenen Leben zu antworten. Und mit dem eigenen
Leben etwas vom Willen Gottes für diese Schöpfung
auszudrücken, ja zu manifestieren. Wie tief wir danach
streben, ein solcher Kanal für Gottes Licht in dieser Welt
zu sein und zu werden, hängt wiederum von uns selber
ab. In der Regel nehmen wir nur einen Bruchteil der uns
geschenkten Liebe in Anspruch und leben nicht annähernd
die Radikalität, wie sie uns gegeben ist.8 Hier öffnet sich
ein weites Feld, die eigene Persönlichkeit in solchen Dienst
zu stellen. Persönlichkeit und Typ sind dabei zugleich
24 EnneaForum 41 – Mai 2012
beides: Instrument und Behinderung. Behinderung genau
dort, wo überall sie als Krücke das an dieser Stelle fehlende
Vertrauen in Gott ersetzt. Wo immer noch die Angst statt
die Liebe in unserem Leben das Zepter führt. Kein anderes
Modell als das Enneagramm kann uns derart exakt und
subtil spiegeln, wo wir diesbezüglich stehen auf diesem
Weg mit Gott.
Auf die Arbeit mit dem Enneagramm übertragen, geht es
insgesamt um weit mehr als nur auf seinen EnneagrammTyp zu schauen, und dessen Hausaufgaben zu lösen. Es
geht darum, sich im ganzen Seelenspiegel, den das Enneagramm mit den 9 Grundstrukturen erfasst zu erkennen –
und die Fixierungen, mit denen wir uns identifiziert haben,
zu Gunsten eines Größeren, das damit überdeckt wurde,
zu öffnen. Das Enneagramm konkretisiert die Vision, dem
Ruf ‚Dein Wille geschehe, im Himmel so auf Erden‘ mit
dem eigenen Leben immer tiefer zu antworten. Insofern
unterstützen sich die beiden Wege bzw. Prozesse: der
menschliche der ‚Heiligung‘ und der göttliche der ‚Erlösung‘. Je tiefer ich die Liebe Gottes annehme (Selbstliebe)
und ausdrücke (Nächstenliebe), desto tiefer können sich
auch meine Abgründe zeigen: werden mir immer vollständiger die ins Unbewusste verdrängten unangenehmen
Wahrheiten über mich bewusst, und können dadurch
er-löst werden, durchlichtet. Und desto tiefer wiederum
zeigt sich auch das wunderbare, in mir angelegte Potenzial: mein angeborenes und – nun gereinigt – auch dasjenige, das im Umgang mit meinen Verletzungen, d. h. aus
meinen Mustern und deren Transformation gewachsen
ist. Vergessene und abgestorbene Zonen des Seins werden
immer umfassender und tiefer neu besiedelt, neu belebt.
Diese ‚Wiedergeburt‘ dient letztlich der ‚Geburt Gottes in
unserer Seele‘, wie es die Mystiker aller Zeiten und Religionen ausdrücken.9 Sie ist ein hoffentlich lebenslang sich
vertiefender Prozess, „der wohl bis zum letzten Atemzug
dauern wird“, wie Gotthard Fuhrmann treffend schreibt.
Prozesse der Wandlung
Es ist ein langer Weg, bis auf diese Weise immer klarer
• aus dem unerbittlich-rigiden Perfektionisten ein ‚Pionier‘,
• aus der manipulierenden Geberin eine ‚Sucherin‘,
• aus dem beifallsüchtigen Macher ein ‚Erbauer‘,
• aus der unglücklich-ausgestoßenen Individualistin eine
‚Erzählerin‘,
• aus dem von Leben abgeschnittenen Beobachter ein
‚Öffner‘,
• aus der misstrauischen Skeptikerin eine ‚Gärtnerin‘,
• aus dem sprunghaft-dreisten Optimierer ein ‚Überwinder‘,
• aus der überfahrenden Kämpferin eine ‚Erbarmerin‘,
• und aus dem träg-selbstvergessen Wartenden ein
‚Erschaffer‘ geworden ist,
um die Titel der transformierten Typen von Ingrid und
Kurt Bauer als Gegenpole zu den fixierten Typen aufzuführen.
Theologisch und psychologisch ist diese Auslegeordnung
nur eine Skizze, die vieles antönt, das gründlicher ausge-
EnneaForum 41 25
leuchtet werden müsste. Ich halte Transformation, auch
Tiefen-Transformation für möglich. Nicht machbar, aber
als Ziel unbedingt erstrebenswert, insbesondere für engagierte Christinnen und Christen. So hat sich mein Verständnis von Transformation sehr verändert, seit ich das
Enneagramm kenne. Einerseits bin auch ich bescheidener,
und vor allem bezüglich mir selber realistischer geworden. Wenn kleine Schritte auf diesem Weg gelingen, dafür
nachhaltig, ist das jedes Mal viel wert. Maria-Anne Gallen
endet ihren Artikel mit der Einsicht, dass das ehemalige
Gefängnis der Persönlichkeit nun durch diese Arbeit mit
Bewusstsein bewohnt wird, und damit aufhört, ein Gefängnis zu sein. Der von ihr zitierte Jack Kornfield beschreibt
diese Wahrheit mit einem schönen Bild: „Früher lebte ich
mit meiner Persönlichkeit in einer engen Garage, heute in
einer großen Halle“. Andererseits denke ich – auch gerade
mit diesem Bild – heute größer über die Möglichkeiten und
vor allem auch über die Wirkungen echter Transformation.
Was mir manchmal etwas zu denken gibt ist, dass Christinnen und Christen nicht mehr so recht daran zu glauben
scheinen. Und auch mit dem Enneagramm in der Hand sich
damit begnügen, bloß an der Oberfläche ihren Typ etwas
zu polieren. Es steckt mehr drin, und es geht um mehr!
Die Typen der Persönlichkeit sind nicht einfach Fehlkonstruktionen, die zu beseitigen sind. Sie sind jedoch unfertig, im Wachstum (stecken geblieben), und bedürfen der
Ergänzung und Entwicklung. Wofür vor allem das Leben
selber sorgt. Mit dem Enneagramm im Kopf und in der
Hand können wir da und dort sehen, wo unser Lebensprozess gerade steckt und einen gezielten Anstoß braucht, und
wie wir den in unser Leben integrieren können.
‚Vater-Unser‘ und Prozessmodell
Das Verstehen der Prozesse, die in der Figur des Enneagramm-Dreiecks gefasst sind, erfolgte schrittweise. Ich
schließe mit einem Ausblick: als ich anfing, das UnserVater-Gebet in dieser Dreiecks-Figur abschreitend zu beten,
wurde mir bald klar, dass diese Figur auch ein wichtiger
Schlüssel ist, die Logik der 3 mal 3 Bitten und Aussagen
dieses zentralen Gebets auf ganz neue Weise zu verstehen:
Die Berufung des Menschen in den ersten 3 Bitten, die
dieser auf seinem Hinweg in die Welt (Gegenuhrzeigersinn) jedoch vergisst. Der Rückweg (Umkehr) mit den
nächsten 3 Bitten durch die 3 Stationen im Uhrzeigersinn,
und was dabei konkret ansteht: Brot, Vergebung, Erlösung
vom Bösen. Um, wieder angelangt beim Ausgangspunkt 9,
nochmals von Neuem geboren zu werden; und den Weg in
diese Welt nochmals anders anzutreten bzw. anders weiter
zu gehen im Leben (wieder Gegenuhrzeigersinn). Und auf
diese Weise den letzten 3 Aussagen (Gottes Reich, Kraft
und Herrlichkeit) mit dem eigenen Leben zu dienen – und
auf diese Weise sein eigenes Selbst zu verwirklichen. Als
Weg einer lebenslang sich vertiefenden Umkehr zu Gott
und Hinkehr zur eigenen göttlichen Berufung, im jeweiligen Kairos des Jetzt. Die große Perspektive solch tiefer
Transformation blitzt im Zitat auf, das diesen Beitrag
abschließen soll:
26 EnneaForum 41 – Mai 2012
„Nur wenige Menschen wissen was Gott mit ihnen machen
würde, wenn sie sich vorbehaltlos seiner Führung
überließen.“
(Ignatius von Loyola)
1 Thomas S. Kuhn hat in „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ aufgezeigt, dass nicht rationale Einsicht, sondern erst das
Aussterben der alten Garde einem neuen Paradigma zum Durchbruch verhilft.
2 So die drastische Bezeichnung Gurdjieffs für diesen Zustand im
unbewussten ‚Schlaf‘ der Gewohnheiten.
3 Die Angst ist – nebst der Tatsache, dass sie die Hauptleidenschaft
von Typ 6 geworden ist – ein Grundexistenzial an der Wurzel aller
9 Typen: Jeder Typ muss sich mit allen 9 Leidenschaften (Rohr:
‚Wurzelsünden‘) befassen. Die Hauptleidenschaft des eigenen Typs
hat vor allem die Funktion, die andern 8 in Schach zu halten, und
damit auch unbewusst. Sobald die Hauptleidenschaft hinreichend
bewusst und bearbeitet ist, kommen die anderen Leidenschaften
ans Tageslicht, bei den verschiedenen Typen und Subtypen jedoch
verschieden geschichtet. Zuunterst – an der existenziellen Basis
– ist jedoch bei jedem Typ die ihm gemäße Form dieser Ur-Angst
zu finden, zu welcher der eigene Enneagramm-Typ die Antwort
geworden ist. (Angst ist hierbei die größte Polarität zur Liebe.)
4 Der Punkt 6 im Dreieck entspricht im 9er-Prozessmodell dem
Hiatus zwischen den Punkten 4 und 5, der Abgrund des Enneagramms.
5 An diese Stelle gehört der geniale Satz von Anselm Grün: „Was
du nicht verdrängst, musst du nicht projizieren“ sowie der Hinweis
auf die spirituelle Schule von Eva Pierrakos, die zwar nicht auf dem
Enneagramm basiert, aber der Arbeit mit dem eigenen Bösen
große – und methodisch sehr differenzierte – Aufmerksamkeit
schenkt. Exzerpte dazu sind auf unserer Website zu finden.
6 Die zentrale Bedeutung dieses Vorgangs – vor allem im Hinblick
auf das damit entstehende ‚Böse‘ – und wie die konkrete Arbeit
aussieht, wieder zu fühlenden Wesen zu werden – indem Abwehrmechanismen abgebaut werden – ist in Eva Pierrakos ‚Pfadarbeit‘
in großer Klarheit ausgearbeitet.
7 Der Titel ‚Das Tor des Erwachens‘ wurde in der Neuauflage
inzwischen dem englischen Original angenähert und lautet: ‚Nach
der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen: Wie
spirituelle Erfahrung das Leben verändert‘.
8 So etwa der katholische Theologe Eugen Biser, der für die Enneagrammarbeit noch zu entdecken wäre, erinnert er doch daran und
führt auch konkret aus, inwiefern die christliche Religion nicht
eine moralische, sondern eine therapeutische Religion ist. Nebst
seiner großen ‚Einweisung ins Christentum’ verweise ich auf seinen
Vortrag ‚Der Mensch unter dem Anspruch des bedingungslos
liebenden Gottes‘, als Download auf www.enneagramm.ch zu
finden.
9 Ein schöner Text, der die Balance von Bewusstsein (Wahrheit) und Selbstannahme (Liebe) beschreibt, ist die 3. Enzyklika
‚caritas in veritatis: Zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen
in Liebe und Wahrheit‘ von Papst Benedikt XVI. Diese SozialEnzyklika ist m. E. ein großes Geschenk einer spirituellen Fünf an
unsere Zeit. (Die ‚transformierte Fünf‘ zeigt sich insbesondere
an denjenigen Stellen, in welchen Benedikt ausführt, wie wir als
Menschen nicht isolierte Individuen sind, sondern tief aufeinander
bezogene soziale Wesen.)
EnneaForum 41 27
Enneagramm und Wissenschaft
Das Enneagramm und die Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun. Von Sabine Gramm
Teil 3: In diesem Teil wird nun die konkrete Gegenüberstellung des Enneagramm und der Differentiellen Kommunikationspsychologie erfolgen.
Der helfende Stil3
Differentielle Kommunikationspsychologie
Der Begründer ist der 1944 in Soltau geborene DiplomPsychologe Professor Dr. Friedemann Schulz von Thun. Er
ist 2010 vom Hochschuldienst der Universität Hamburg
in den offiziellen Ruhestand emeritiert und kümmert sich
seither vornehmlich um sein Institut für Kommunikation
www.schulz-von-thun.de. Seit Anfang der 80er Jahre hat
er 14 Bücher zum Thema Kommunikation veröffentlicht,
davon sind 11 zu Bestsellern geworden und teilweise in
bis zu 8 Sprachen übersetzt. Zudem ist er bei 15 Büchern
Mitautor bzw. Herausgeber, hat 10 Vorworte zu anderen
Büchern geschrieben und 61 Zeitschriftenartikel veröffentlicht (Stand 2010). Er gilt als der derzeit bedeutendste
lebende Kommunikationswissenschaftler im deutschsprachigen Raum. Seine herausragende Leistung besteht unter
anderem darin, tiefenpsychologisch-komplexes zwischenmenschliches Verhalten klar zu analysieren, anhand von
selbst erdachten Modellen gekonnt zu visualisieren und
auf verständliche Art und Weise erklären zu können.
Neben seinem bekanntesten Modell, dem Kommunikationsquadrat hat er unter anderem den Teufelskreis, das
Situationsmodell und das Innere Team entwickelt sowie
das Riemann-Thomann-Kreuz und das Wertequadrat nach
Helwig publik gemacht. Die hier zu behandelnden acht
Kommunikationsstile der Differentiellen Kommunikationspsychologie hat er in seinem 1989 erschienenen Buch
„Miteinander Reden 2“ veröffentlicht.
Grundlage hierfür sind die Individualpsychologie und
Charakterologie nach Alfred Adler, die 4 Angstformen
nach Riemann, die Analytischen Persönlichkeitstheorien
nach Reich, die Transaktionsanalyse von Berne sowie seine
praktische Erfahrung als Trainer und Kommunikationstherapeut. Diese kommunikativen Phänotypen sind gemäß
seinen eigenen Worten folgendermaßen entstanden: „Was
mir wiederholt begegnet und sich als Ausgangspunkt für
persönliche Weiterentwicklung eignet.“1
Dieser phänomenologische Ansatz betrachtet den Menschen und sein Kommunikationsverhalten in teilweise
übersteigerter Dramatisierung, wodurch die Essenz deutlicher zutage tritt als im gewöhnlichen Umgang mit Menschen. Seine acht Kommunikationsstile sind im Folgenden
alle in der von ihm präsentierten Reihenfolge aufgezeigt.
Der bedürftig-abhängige Stil2
zielt darauf ab, sich selbst als hilflos
oder überfordert darzustellen und gibt
dem anderen das Gefühl, dieser müsse
für ihn einspringen, helfen, entscheiden und verantworten – sonst wäre
alles verloren.
28 EnneaForum 41 – Mai 2012
ist als geduldiger Zuhörer und Ratgeber allzeit bereit sich souverän für Schwache und
Hilflose einzusetzen, auch über die eigenen
Erschöpfungsgrenzen hinaus, braucht
selbst niemand.
Der selbst-lose Stil4
erspürt die Wünsche und Nöte von anderen und dient ihnen aufopferungsvoll und
unterwürfig (Hilfe „von unten“), fühlt sich
selbst bedeutungs- und wertlos, übergeht
sich selbst.
Der aggressiv-entwertende Stil5
ist anderen gegenüber feindselig und
behandelt sie „von oben herab“, neigt zu
Provokation, Demütigung und Erniedrigung Einzelner und ganzer Gruppen.
Der sich beweisende Stil6
ist darum bemüht, sich selbst ins rechte
Licht zu setzen durch Imponier- und
Fassadentechniken, will sich nach
außen hin vollkommener geben als ihm
innerlich zumute ist.
Der bestimmende-kontrollierende Stil7
will die Dinge und die Menschen so
lenken und korrigieren, dass sie unter
seiner Kontrolle bleiben und dadurch
ihren rechten Fortgang nehmen; hasst
Unberechenbarkeit, Chaos und Ohnmacht.
Der sich distanzierende Stil8
hat eine unsichtbare Wand um sich, die
dafür sorgt, dass ihm niemand zu nahe
kommt, kommuniziert förmlich und
unpersönlich, gibt sich reserviert und
zeigt keine Gefühle.
Der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil9
genießt es, von Publikum umringt zu
sein und dies durch zur Schau gestellte
Emotionalität in seinen Bann zu
ziehen, bringt das eigene Selbst zur
Aufführung, zur Unterhaltung aller.
Kritisch anzumerken ist hier, dass die Kommunikationsstile nicht durchgängig negativ (oder positiv) bezeichnet
werden, was sich besonders bei dem helfenden Charakter
zeigt: Konsequenterweise müsste hier vom co-abhängigen Charakter gesprochen werden in der Übertreibung
von Helfen. „Sich distanzierend“, „Sich beweisend“ und
„Bestimmend-kontrollierend“ sind in Abgrenzung zu
beispielsweise „aggressiv-entwertend“ als eher neutrale
Begrifflichkeiten einzuordnen, die erst durch zusätzliche
Attribute in die Bereiche von Tugend oder Untugend einordenbar sind. Schulz von Thun geht davon aus, dass alles
in jedem steckt und doch auch jeder „bevorzugte Muster
der Kontaktgestaltung, einhergehend mit bestimmten
Vermeidungsmustern“10 lebt. Damit schließt er von der
äußeren Realität des Sinneneindrucks auf innerpsychische
Zusammenhänge. Er stellt jeweils zwei Charaktere einander gegenüber, die sich in Teufelskreisen verfangen können.
Die Paarungen sehen folgendermaßen aus, wobei ich mir
erlaubt habe, die Negativnamen ins Positive zu übersetzen
und dem einzigen positiven Namen (helfend) eine negative
Entsprechung hinzuzufügen.
Die Einordnung erfolgt über die Wahrnehmung der Kommunikation des Gegenüber, also das, was er von sich gibt,
von sich zeigt. Dabei ist das Koordinatensystem der vier
seelischen Himmelsrichtungen nach Riemann/Thomann
eine wertvolle Hilfe. Während einer Vorlesung bei Schulz
von Thun am 20.11.2006 an der Universität in Hamburg
konnte ich durch seine lebendige Präsentation der vier
seelischen Himmelsrichtungen erkennen, dass sich seine
acht Kommunikationsstile der Differentiellen Kommunikationspsychologie in diese vier Grundstrebungen
nach Riemann/Thomann übertragen lassen. Sie ergeben
ein in sich geschlossenes und meiner Erkenntnis nach in
sich stimmiges System. Im Rahmen einer Hausarbeit hatte
ich als Psychologiestudentin die Gelegenheit Schulz von
Thun diese Erkenntnisse im Einzelnen darzulegen. Sein
Kommentar erfolgte mittels eines persönlichen Schreibens
am 20. Juni 2007 an mich: „Sie kommen dabei zu interessanten Erkenntnissen, denen ich im Großen und Ganzen
zustimme“.
Allein den Selbstlosen Stil hätte er lieber auf der NäheSeite gesehen, da er ihn als beziehungsorientiert ansieht.
Meiner Meinung nach entspricht dieser Charakter dem 6-er
Typus des Enneagramm und dient somit Menschen nicht
aus persönlicher Näher heraus, sondern auf unpersönliche
Art deren Funktionen und Rollen zwecks Erfüllung einer
gemeinsamen Aufgabe.
Jeder Pol dieses Diagramms enthält zwei Kommunikationsstile. Somit besteht der erste Schritt in der Wahrnehmung
des Gegenübers darin, ihn einem der 4 Pole zuzuordnen,
den er in dem Moment verkörpert. Ob er beispielsweise
mehr auf Nähe oder mehr auf Distanz gepolt ist. Im
nächsten Schritt erfolgt dann die Feinunterscheidung,
die beispielsweise beim Nähe-Pol das Augenmerk darauf
richtet, ob jemand Nähe herzustellen versucht, indem er
auf andere zugeht und ihnen hilft (helfender Kommunikationsstil) oder sich öffnet und helfen lässt (sensibler
Kommunikationsstil). Die „Dauer-Menschen“ halten in
Abgrenzung zu den flexiblen „Wechsel-typen“ die Zügel fest
in der Hand, die aufgabenorientierten „Distanz-Menschen“
flüchten vor den beziehungsorientierten „Nähe-Menschen“.
Das Diagramm veranschaulicht auf vielfache Weise die
Wechselwirkungen der Typen untereinander und dient
als wertvolles Handwerkszeug im Erkennen von Zusammenhängen und Erarbeiten von Lösungen in der Kommunikation, der Kooperation und im Konflikt miteinander.
Jeder Bereich beinhaltet Eigengesetzlichkeiten, die sich
auch auf kollektiver, betrieblicher Ebene in den einzelnen
Abteilungen widerspiegeln. So ist beispielsweise beim
Wechsel-Pol auf der Nähe-Seite das umtriebige Marketing
angesiedelt, das sich gerne nach außen präsentiert (entsprechend dem werbenden/sich-beweisenden Kommunikationsstil). Daneben auf der Distanzseite ist eher der
zwar umtriebige, aber mehr aufgabenorientierte Vertrieb
angesiedelt (entsprechend dem lebensfrohen/mitteilungsfreudig-dramatisierenden Kommunikationsstil), der es
versteht, andere für eine neue Sache zu begeistern. Dort
EnneaForum 41 29
sind Menschen tätig, die nach draußen gehen, um sich dort
zu präsentieren, also die Nähe und Geborgenheit der Firma
nicht primär brauchen. Beide lassen sich gerne durch mehr
Freiraum belohnen und motivieren, die anderen Pole durch
interessantere Aufgaben (Distanz), mehr Verantwortung
(Dauer) oder öffentliche Anerkennung (Nähe). Soweit die
Darlegung der Differentiellen Kommunikationspsychologie
nach Prof. Schulz von Thun, verknüpft mit den 4 seelischen
Himmelsrichtungen nach dem Schweizer Psychologen
Christoph Thomann, welche auf den vier Angstformen
gemäß dem deutschen Psychiater Riemann basieren, mit
einem kleinen Seitenblick in die beruflich-kollektive Ebene
von Gruppendynamik.
Brückenschlag zum Enneagramm
Das Enneagramm mit seinen neun Persönlichkeitsmustern
ist Ihnen bekannt. Zum Einstieg werden im Folgenden alle
Archetypen kurz charakterisiert. Hierbei wird gleichzeitig
eine gedankliche Analogie zu den acht Kommunikationsstilen der Differentiellen Kommunikationspsychologie (kurz:
Kommunikation) hergestellt. Grundlage hierfür ist die vorliegende, beruflich orientierte Enneagramm-Literatur von
Goldberg, Mächler, Palmer, Tödter/Werner und Salzwedel,
die Kommunikationsliteratur von Schulz von Thun sowie
Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse der Verfasserin.
Typus Eins11
Lebt die Wut nach innen gerichtet in Form von Disziplin
und Prinzipientreue, bringt großen Einsatz zur Erreichung
selbstgesteckter, reformorientierter hoher Ideale, Ziele und
Werte. Leistet zuverlässig perfekte Arbeit, erwartet das
auch von anderen.
Kontaktverhalten: Ernst, kritisch, zurückhaltend, bestimmend, pflichtbewusst.
Arbeitsstil: Gewissenhaft, praktisch, strukturiert,
organisiert, effizient.
Führungsstil:
Sachlich, vorbildlich, verantwortungsvoll,
verlässlich, streng.
Bereich:
Organisation, Personalführung, Qualitätssicherung, Controlling, Unternehmensführung.
Position:
Leiter, Lehrer, Ausbilder, Anwalt.
Kommunikation: Hier ist eine eindeutige Zuordnung zum
„Bestimmend-kontrollierenden“-Stil
möglich. Beide leben nach dem Grundsatz: „Ich weiß, was richtig ist.“
Typus Zwei12
Schämt sich für die eigene Bedürftigkeit, projiziert sie nach
außen auf andere Menschen und hilft gütig, auch über die
eigenen Grenzen und die anderer hinaus. Arbeitet um mit
anderen Menschen in Kontakt zu sein und Aufmerksamkeit zu bekommen.
Kontaktverhalten: Herzlich, hilfsbereit, schmeichelnd,
empathisch, stolz, laut.
Arbeitsstil: Vielseitig, emotional, unterstützend,
helfend, tüchtig, energisch.
Führungsstil:
Persönlich, ermutigend, fürsorglich,
30 EnneaForum 41 – Mai 2012
großzügig, manipulierend.
Assistenz, Personalwesen, stv. Leitung,
rechte Hand, Berater.
Position:
Assistenz, Sozialer Mittelpunkt, „Macht
hinter dem Thron“.
Kommunikation: Auch hier ist eine eindeutige Zuordnung
möglich, nämlich zum „Helfenden“-Stil.
Beide haben Angst vor der eigenen inneren
Bedürftigkeit und sind ganz für Andere da.
Bereich:
Typus Drei13
Schämt sich für die eigenen Gefühle, ohne sich dessen
bewusst zu sein. Identifiziert sich mit Aufgaben, Leistung
und Erfolg, um anderen zu gefallen, konzentriert sich dabei
mehr auf die Ziele als auf die Mittel, baut sich ein gefälliges
Image auf.
Kontaktverhalten:Charmant, konkurrierend, werbend, adäquat, beschönigend.
Arbeitsstil: Effektiv, flexibel, schnell und viel, erfolgsorientiert, ehrgeizig.
Führungsstil:
Motivierend, begeisternd, aufgabenorientiert, dynamisch.
Bereich:
Marketing, Handel, Verkauf, Direktor.
Position:
Bester einer Gruppe.
Kommunikation: Auch hier ist eine Eindeutige Zuordnung
möglich, nämlich zum „Sich Beweisenden“Stil. Beide versuchen Anerkennung durch
Leistung zu gewinnen.
Typus Vier14
Schämt sich für die eigene Stärke im Innern, gibt
sich nach außen hin schwach. Will sich von anderen
unterscheiden und etwas Besonderes sein, auch im
Hinblick auf Aufgaben und Herangehensweise, dringt
zum Kern einer Sache vor.
Kontaktverhalten:Gefühlvoll, individuell, kultiviert, entrückt,
abgehoben, anders.
Arbeitsstil: Kreativ, ästhetisch, unkonventionell,
sensitiv, kompliziert, kühn.
Führungsstil:
Sanft, eigenwillig, emotional, intensiv,
authentisch, radikal.
Bereich:
Kreative Gestaltung, Designer, Architekt,
Künstler, Coach.
Position:
Besondere Stellung.
Komm.: Diese Zuordnung war besonders schwierig, da in
der Enneagramm-Literatur vor allem die kreativkünstlerische Seite dieses Charaktermusters
thematisiert wird. Bei der Differentiellen Kommunikationspsychologie hingegen wird beim
„Bedürftig-abhängigen“ Typus der Mangel an Selbstvertrauen in den Vordergrund gestellt. Die Brücke
ist in der Sensibilität dieses Charaktermusters zu
finden, welche ihn seine eigenen inneren Bedürfnisse, Schwächen und Widersprüchlichkeiten
besonders intensiv wahrnehmen lässt. Diese
Feinfühligkeit findet oft in kreativer Schöpferkraft
ihren künstlerischen Ausdruck. Beide lehnen sich
gerne an starke Menschen an und haben Angst vor
Eigenständigkeit.
Typus Fünf15
Hat Angst vor menschlicher Nähe und zieht sich
deshalb zurück. Beobachtet genau, denkt scharfsinnig nach
und geht einer Sache auf den Grund. Ist bescheiden und
zurückhaltend mit Emotionen, Wissen und persönlicher
Präsenz, hortet gern.
Kontaktverhalten:Scheu, beobachtend, neutral, sachlich,
sich abwendend, kühl bis kalt.
Arbeitsstil: Analytisch, konzentriert, unabhängig,
objektiv, systematisch.
Führungsstil:
Minimalistisch, nüchtern, philosophisch,
distanziert, formell.
Bereich:
Forschung und Entwicklung, Experte,
Analytiker.
Position:
Selbständig, Stabstelle oder Führung aus
der Distanz.
Kommunikation: Hier war wieder eine eindeutige Zuordnung möglich, in dem Fall zum „Sich
distanzierenden“-Stil. Beide brauchen viel
Sicherheitsabstand und leben nach dem
Motto: „Komm mir nicht zu nahe.“
Typus Sechs16
Projiziert seine Angst auf die Außenwelt und
fühlt sich sicher in einem System mit klarer
Rangordnung und Regeln, in das er sich willig
einfügt und unauffällig anpasst. Räumt Hindernisse und
Probleme aus dem Weg, ist auf Probleme fixiert.
Kontaktverhalten: Ängstlich, zweifelnd, unsicher, hierarchie-
bewusst, aufgabenorientiert.
Arbeitsstil: Zuverlässig, präventiv, pflichterfüllend,
loyal, risikobewusst.
Führungsstil:
Kooperativ, verbindlich, loyal, misstrauisch, pessimistisch.
Bereich:
Produktion, Technik, Handwerk, Wachdienst.
Position:
Einer unter Gleichen oder Teamchef.
Kommunikation: Hier sehe ich die Verbindung zum
„Selbstlosen“-Stil. Beide nehmen sich
selbst nicht wichtig und lassen sich für
die Zwecke anderer instrumentalisieren.
Typus Sieben17
Flüchtet vor der Angst in Abwechslung, Abenteuer, Spaß und Unverbindlichkeit. Kann von allem nie
genug kriegen, hat immer zu viele Projekte gleichzeitig
laufen, liebt mehr die Möglichkeiten und Ideen als das
reale Ergebnis. Kann Neues, Ungewöhnliches und Komplexes zustande bringen und andere dazu motivieren.
Kontaktverhalten: Faszinierend, erzählend, lustig, unverbindlich, sprunghaft.
Arbeitsstil: Schnell, ideenreich, planend, innovativ,
prozessorientiert.
Führungsstil:
Laisser-faire, visionär, optimistisch, motivierend, spontan.
Bereich:
Vertrieb, Networking, Planung, Ideengeber.
Position:
Selbstbestimmt ohne direkten Chef und
ohne Unterstellte.
Kommunikation: Auch hier ist eine eindeutige Zuordnung
möglich, nämlich zum „Mitteilungsfreudig-dramatisierenden“-Stil. Beide bringen
gerne das eigene Selbst zur Aufführung
und damit „Leben in die Bude“, um die
innere Leere zu vermeiden.
Typus Acht18
Lebt die Wut direkt und unmittelbar, hohe Konfliktbereitschaft, dominant und konfrontativ, kontrolliert
energisch Raum und Territorium, braucht Macht, übernimmt gern Führung und setzt sich durch, ist stark und
robust. Harte Schale – weicher Kern.
Kontaktverhalten:Selbstbewusst, provokativ, präsent,
fordernd, direkt, laut.
Arbeitsstil: Praxisbezogen, nutzenorientiert, tatkräftig, energiegeladen.
Führungsstil:
Offen, ehrlich, gerecht, direkt, autokratisch, grob, beschützend.
Bereich:
Produktion, Unternehmensführung.
Position:
Boss, Generalist.
Kommunikation: Auch hier ist wieder eine deutliche Entsprechung vorhanden, nämlich zum
Aggressiv-entwertenden Kommunikationsstil. Beide sehen „Obensein“ als Überlebensfrage an und meiden Schwäche.
Typus Neun19
Hat seine Sensoren soweit herunter gefahren, dass
er keine Wut mehr in sich spüren muss, dadurch
verringerte emotionale und geistige Präsenz, nimmt
sich selbst nicht so wichtig, mag keinen Druck von außen,
braucht Harmonie und kann sie erzeugen.
Kontaktverhalten: Passiv, freundlich, vorurteilsfrei, konfliktscheu, abwesend, stur
Arbeitsstil: Ruhig, aussitzend, reaktiv, gleichmäßig,
friedlich.
Führungsstil:
Fair, kameradschaftlich durch Konsens
oder dickköpfig über Boykottierung von
Veränderung.
Bereich:
Überall, aber vor allem in Verwaltung und
Betriebsrat.
Position:
Vermittler, Verwalter, Leiter.
Komm.: Hier ist keine Zuordnung zu einem Kommunikationsstil möglich. Einer muss schließlich
auch übrig bleiben, wenn ein 8-er mit einem 9-er
System kompatibel gemacht wird. Dass es sich
hierbei um das Charaktermuster 9 handelt ist
nicht verwunderlich. „9-er“ sind ganz bei sich, sie
„verhaken“ sich in der Kommunikation aufgrund
ihres Bedürfnisses nach Ruhe und Frieden mit
niemand, so wie die anderen acht Stile es tun,
die sich gemäß Schulz-von-Thun-Philosophie in
dialektischen Paarungen einander als Polaritäten
gegenüber stehen.
EnneaForum 41 31
Kommunikationsenneagramm
Die acht Kommunikationsstile der Differentiellen Kommunikationspsychologie in der Zuordnung zu den einzelnen
Charaktermustern des Enneagramms ergeben folgendes
Bild:
Im Symbol lässt sich gut erkennen, dass die Neun in der
Mitte von zwei gedachten Hälften links/rechts steht. Sie
hat kein ihr gegenüberliegendes Pendant und gilt gemäß
der Enneagramm-Systematik als Anfang und Ende des
Kreises zugleich. Kommunikationstechnisch ist dieses Charaktermuster somit Vermittler zwischen den anderen acht.
Insofern macht es auch aus Enneagrammsicht Sinn, dass
genau dieses Charaktermuster bei Schulz von Thun auf
den ersten Blick zu fehlen scheint. Tatsächlich hat er die
Eigenschaften „verwurzelte Bodenständigkeit“ im DauerPol integriert und bei einer Fortbildung zum RiemannThomann-Modell explizit benannt21. Zur Komplettierung
der Kommunikationsicons habe ich mir erlaubt, auch für
dieses Charaktermuster eine entsprechende Karikatur
zeichnen zu lassen22.
Der Vorteil dieser Anschauung liegt darin begründet, dass
die Nummern einprägsame Bilder bekommen und somit
auch visuell die Verknüpfung von innerer Erlebniswelt
und äußerem Kommunikationsverhalten erkennbar wird.
Ein Nachteil ist die Wertung, die die einzelnen Charaktermuster dadurch erfahren, dass sie in einem bestimmten
Entwicklungszustand innerhalb ihres Charaktermusters
dargestellt werden. Eine interessante Variante ergibt sich,
wenn man die Paarungen, die Schulz von Thun in seiner
differentiellen Kommunikationspsychologie gewählt hat
(vgl. Abb. 11), weil sie sich gerne in Teufelskreisen miteinander verhaken, in das Enneagramm-Symbol als Linien
mit einbezieht (Abb. 15).
Wie von Zauberhand ergibt sich ein neues symmetrisches Bild. Die Linien zwischen dem Charaktermuster
2 „Helfender/Co-abhängiger“-Stil und Charaktermuster
4 „Sensibler/Bedürftig-abhängiger“-Stil sowie zwischen
Charaktermuster 5 „Objektiver/Sich Distanzierender“-Stil
und Charaktermuster 7 „Lebensfroher/Mitteilungsfreudigdramatisierender“-Stil sind bekannt. Es handelt sich hier
um Verbindungen, die gemäß der Enneagrammsystematik
32 EnneaForum 41 – Mai 2012
über Trost- und Stresspunkte gegeben sind. Neu ist die Linie
zwischen dem Charaktermuster 1 „Lehrender/BestimmendKontrollierender“-Stil und Charaktermuster 3 „Werbender/
Sich beweisender“-Stil, hier handelt es sich um eine LehrerMusterschüler-Konstellation oder Erzieherin­-Kind. Neu
ist auch die Linie zwischen Charaktermuster 8 „Führungsstarker/Aggressiv-entwertender“-Stil und Charaktermuster
6 „Teamfähiger/Selbstloser–Stil. Hier besteht eine HerrDiener-Konstellation bzw. Boss-Untergebener. In beiden
Paarungen tritt besonders der Machtaspekt hervor, der im
Enneagramm-Symbol nicht unmittelbar ersichtlich ist.
Das Enneagramm dient vor allem der Auseinandersetzung
mit den Stärken, Nicht-Stärken und Schwächen (= Übertreibungen von Stärken) der eigenen Persönlichkeit sowie
den typbedingten Eigenschaften. Im beruflichen Kontext
setze ich es gerne als Coachingwerkzeug für Persönlichkeitsprofilierung und -entfaltung ein. Als schriftliches Testverfahren halte ich es nur für bedingt geeignet23, es entfaltet
seine volle Kraft vielmehr in der mündlichen Tradition24.
Die Typerkennung erfolgt im Rahmen eines Seminars durch
einen konsensuellen Akt, bei dem sich der Einzelne anhand
der im Modell vorgesehenen Möglichkeiten selbst im Spiegel
der Erkenntnis sieht. Allerdings setzt dies eine erfahrene
und geschickte Leitung voraus im Sinne einer führenden und
doch loslassenden Geburtshilfe zur Erkenntnis des eigenen
Selbst.
In beruflichen Seminaren allerdings ist das RiemannThomann-Kreuz mit der Feindifferenzierung der acht
Kommunikationsstile für viele Teilnehmer zugänglicher
als das Enneagramm, da es dem dialektischen Denken
unserer modernen Welt mehr entspricht. Das 4-er-System
ermöglicht das bewusste Wahrnehmen unterschiedlicher
Verhaltensstile von Menschen über zunächst vier polare
Qualitäten mit je zwei Feindifferenzierungen und vermittelt
somit einen ersten Ansatz zum Verständnis der darunter
liegenden Lebenseinstellungen. Es ist, wie schon erwähnt,
der Blick von außen auf einen anderen Menschen. Gleichzeitig eröffnet es Möglichkeiten, das Repertoire der eigenen
Kommunikationsstile zu erweitern, um mit allen Menschentypen umgehen zu können, da man mit jedem Typus anders
redet. Insbesondere für Führungskräfte ist diese Kompetenz
wichtig, um nicht zu sagen überlebenswichtig. Beruflich
setzte ich es gerne zur Klärung und Harmonisierung zwischenmenschlicher Beziehungen und in der Mediation als
Baustein zur Lösung von Konflikten ein. Hierbei spielt das
von Schulz von Thun publik gemachte Wertequadrat nach
Helwig eine tragende Rolle, auf das ich aus Platzgründen in
diesem Artikel nicht näher eingehe.
Systemübergang
Beide Wissenschaften sind frei zugänglich und unterliegen
keiner Lizenzierung. Sie ergänzen sich von der Selbsterkenntnis über die Persönlichkeitsentfaltung und die
Menschenkenntnis bis hin zum individuellen Kommunikationstraining. Die logisch-bezwingende Einfachheit beider
Systeme mit ihren einprägsamen Symboliken erleichtert
das Erfassen komplexer Persönlichkeits- und Beziehungsstrukturen enorm. Spannend dabei ist, dass es sich in
beiden Systemen letztendlich um dieselben Archetypen
handelt, nur aus einem anderen Blickwinkel und in den
jeweiligen Modellen anders einander gegenübergestellt.
Was alle immer wieder verblüfft ist die Kompatibilität
beider Systeme, auf die ich im Folgenden systemisch noch
etwas näher eingehen will.
Geht man von der Abbildung 14 aus und konzentriert die
jeweiligen Charaktere auf die drei Zentren Bauch-HerzKopf des Enneagramms, ergibt sich folgendes Bild:
Bei den 4-Komponentenmodellen wird der Blick, wie schon
erwähnt, von außen auf die einzelnen Charaktere geworfen, wie sie sich geben, was sie von sich zeigen. Von dieser
Überlegung ausgehend, erscheinen zwei der EnneagrammCharaktere besonders quirlig und lebendig nach außen:
die 3 und die 7. Gleichzeitig gibt es einen Charakter, der
besonders wenig Profil nach außen zeigt und am schwersten zuordenbar ist. Das ist derjenige, dem es am liebsten
ist, wenn alles so bleibt wie es ist, aber mit veränderten
Bedingungen letztendlich auch wieder irgendwie zurecht
kommt: die 9, als keinem der 4 äußeren Pole wirklich zuordenbar und somit in der Mitte. Wenn nun also Charaktermuster 3 und 7 zusammen einen neuen, nach außen hin
quirlig erscheinenden Pol bilden und sich das Charaktermuster 9 in die undifferenzierte Mitte schiebt, ergeben sich
folgende Veränderungen:
Im Ergebnis ergibt sich das Kommunikationsdiagramm aus
Abbildung 13 mit der Ergänzung eines 9. Charaktermusters
in der Mitte.
Um den Übergang zum 4-Komponentenmodell Kommunikationsdiagramm (Abb. 13) zu gestalten, braucht es neben
den vorhandenen drei Dimensionen die Eröffnung einer
vierten Dimension:
So verläuft der Übergang zwischen den Systemen Ennea­
gramm und Differentielle Kommunikationspsychologie,
eingebettet in das Riemann-Thomann-Kreuz. Und so lässt
sich zum Beispiel auch eine Erklärung dafür finden, warum
sich 3-er und 7-er im Innern fundamental voneinander
unterschieden, obwohl sie nach außen sehr ähnlich
quirlig erscheinen: die 3 ist beweglich und flexibel, um
andere zu beeindrucken, zieht ihre Motivation aus dem
Gefühl (Herztyp), dem Wunsch andere Menschen näher
zu kommen. Die 7 liebt die Darstellung und Euphorie,
hinter der sie sich versteckt, um sich selbst nicht wirklich zeigen zu müssen. Es ist ihre schwer durchschaubare
Masche, sich andere als verstandesgesteuerter Kopftyp
vom Leib und damit auf Distanz zu halten. Interessanterweise begegnen sich bei diesem System an drei von vier
Polen jeweils 2 Charaktermuster, die im Enneagramm nicht
nebeneinander liegen (Ausnahme bildet hier der DistanzPol, wo 5 und 6 nebeneinander liegen, entsprechend dem
Enneagramm). In den letzten Jahren konnte ich aufgrund
EnneaForum 41 33
und Verbindungslinien. Natürlich gibt es auch Ausnahmen
in Form von Menschen, die nahezu immer ihr Hauptcharaktermuster leben und nach außen zeigen, aber davon
gehe ich erstmal nicht aus. Kommt ein Coachee zu mir
mit dem Wunsch nach Persönlichkeitsprofilierung und
-entfaltung, gehe ich zunächst vom Enneagramm-Symbol
aus (konkret gesprochen: von einer Variante des Symbols,
dazu mehr im nächsten Abschnitt). Erst danach kommt
dann die 4-er-Sichtweise mit der Fragestellung „wie wirke
ich nach außen“ dran.
Neue Sichtweisen
dieser Betrachtungsweise meinen Blick dafür schärfen,
dass ein leichter Wechsel zwischen den beiden Mustern an
den jeweiligen Polen möglich ist, ähnlich den Flügeln. Das
bedeutet konkret, dass 4-er sich immer mal wieder auch
im 2-er Charaktermuster aufhalten können und umgekehrt
auch 2-er im 4-er-Muster. Ebenso verhält es sich mit dem
3-er und dem 7-er-Muster, was doch sehr erstaunt, kennt
man nur das Enneagramm-Symbol, wo beide so gar nichts
miteinander zu tun haben. Beobachten Sie einmal selbst,
wie leicht es vielen 3-ern doch auch fällt, immer mal wieder
zwischendurch in das lebensfrohe Kind zu gehen, ohne
Gewinnstreben und Konkurrenzkampf.
Was irritiert bei diesem Übergang, ist der Umstand, dass
zweimal aus der Mitte der Zentren ein Typus herausgenommen wird (9 als zentraler Bauchtyp und 3 als zentraler Herztyp), um ihn an eine neue Stelle zu rücken, und
einmal aus dem Rand (die 7 als nicht-zentraler Kopftyp).
Es werden also jeweils diejenigen herausgenommen, die
die primäre Eigenschaft ihres Zentrums unterdrücken:
die 9 unterdrückt Wut, Tatkraft und Schuld, die 3 unterdrückt Gefühle, Liebe und Scham, die 7 negiert die Angst
und Sachlichkeit ihres Zentrums. Insofern beinhaltet es
eine Logik, genau diese drei besonderen Charaktermuster
heraus zu greifen und neu zu konstellieren. Die Frage, die
ich mir aber seither bezüglich des Enneagrammsymbols
stelle ist die: warum befindet sich die 7 gemäß der vorherigen Systematik nicht in der Mitte des Kopfzentrums?
Für mein praktisches Vorgehen bedeutet die Arbeit mit
diesen beiden Systemen, dass ich in der Begegnung mit
Menschen zunächst von den vier Polen des Kommunikationsdiagramms ausgehe. Ich versuche dabei zu erfassen,
an welchem der Pole Nähe-Distanz-Dauer-Wechsel mein
Gegenüber gerade lebt. Gehe ich noch einen Schritt weiter,
dann kommt als nächstes die Feinunterscheidung, welcher
der beiden möglichen Charaktermuster dieses Pols er
oder sie mir gegenüber gerade lebt. Erst bei intensiveren
Beziehungen wird dann allmählich ersichtlich, ob dies das
Hauptcharaktermuster sein könnte, in dem die Person
verankert ist. Dann gehe ich in die Betrachtungsweise des
Enneagramms über, auch mit den entsprechenden Flügeln
34 EnneaForum 41 – Mai 2012
In der längeren Beschäftigung mit dem Übergang der
Systeme erkannte ich zudem eine Analogie zu den 4 Elementen nach Empedokles und verwende diese seither
anstelle der Thomann’schen Bezeichnungen: Erde für
Dauer, Feuer für Nähe, Luft für Wechsel und Wasser für
Distanz. In einem meiner Seminare fiel dabei einem der
Teilnehmer auf, dass sich im Modell die Luft unterhalb der
Erde befände, was unseren irdischen Verhältnissen widerspricht. Also haben wir es um 180° gedreht. Dies befand
übrigens auch Christoph Thomann in einem Seminar in
der Schweiz auf eine Teilnehmerfrage hin für gut, dass der
leichte „Wechsel“ oben steht und die schwerere „Dauer“
unten25.
Diese Idee habe ich gedanklich im Übergang der Systeme
rückgekoppelt auf das Enneagramm und auch dieses Symbol entsprechend gedreht:
Diese Modellvariante (Abb. 21) gefällt mir aus folgenden
Gründen besser als das bekannte Enneagramm-Symbol:
• Der traditionellste und am meisten verwurzelte aller
Charaktere, die 9, stellt hierbei jetzt auch grafisch die
Wurzel im Symbol am unteren Ende dar.
• Das Herzzentrum ist hier links anstatt rechts, wie im
richtigen Körper.
Fazit
• Das Bauchzentrum ist hier unterhalb des Herz- und
Kopfzentrums, anstatt ganz oben, was ja tatsächlich auch unlogisch ist. Somit kommt es dem realen
Menschen näher als das bekannte Symbol, wo der
Bauch ganz oben ist. Zur Zeit nenne ich diese Variante
Anthropogramm, zur Unterscheidung vom Enneagramm.
• Anstatt einem bedrohlichen Loch nach unten gibt es
jetzt eine inspirierende Öffnung nach oben: da, wo die
höchste Inspiration sitzt, zwischen der schöpferischen
Kraft der 4, die immer nach Höherem sucht und nach
oben strebt und der gedanklichen Kreativität der 5, die
Erkenntnisse „von oben“ holt, dort kann das göttliche
Licht einfallen, um sich auf der Erde zu manifestieren.
Professor Friedemann Schulz von Thun kannte gemäß
eigener Aussage26 das Enneagramm nicht, bevor er seine
Differentielle Kommunikationspsychologie entwickelt und
im Jahr 1989, zeitgleich mit dem ersten Enneagramm-Buch,
auf dem deutschen Markt veröffentlicht hat. Somit haben
sich zwei voneinander verschiedene Persönlichkeitssysteme
in unterschiedlichen Sprachen zu unterschiedlichen Zeiten
in unterschiedlichen Kulturkreisen unabhängig voneinander
entwickelt, die in den archetypischen Erkenntnissen zu sehr
ähnlichen Ergebnissen gekommen sind. Sie zeigen gemäß
meiner Erkenntnisse verschiedene Betrachtungswinkel auf
dieselben Wahrheiten, was einen wechselseitigen Beweis für
die Wahrhaftigkeit beider Systeme und die darin identifizierten Archetypen darstellt. Dies bestätigt auch meine Grundüberzeugung, dass man immer bei denselben Wahrheiten
landet, wenn man eine Sache zu Ende denkt, egal wo man
beginnt: Viele Wege führen nach Rom! Die Kompatibilität
dieser beiden Systeme ist nicht die einzige Übereinstimmung
zwischen Persönlichkeitssystemen, die ich im Verlauf meiner
Forschungstätigkeit der letzten 13 Jahre gefunden habe, aber
eine zentrale. In diesem Licht erscheinen deshalb menschliche Typologien nicht nur hilfreich, sondern auch begründet
durch menschliche Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit,
die Gesetzmäßigkeiten hinter dem Schleier alltäglicher
Erscheinungen zu erkennen vermag. Ich gebe hiermit diese
Zusammenhänge schriftlich erstmalig öffentlich als Diskussionsgrundlage in die Fachwelt und freue mich auf zahlreiches,
konstruktives Feedback zum überdenken, anreichern und
weiterentwickeln der dargelegten Zusammenhänge, denn es
geht mir nicht darum recht zu haben, sondern im Austausch
mit anderen Wahrheiten zu finden.
EnneaForum 41 35
Praxis
Abschließend darf ich erwähnen, dass ich diese Systeme,
auch in Verbindung mit den Psychologischen Typen
nach C. G. Jung und angereichert durch weitere Kommunikationsmodelle seit mehreren Jahren bei meinen
Trainings und im Coaching unter der Bezeichnung ProFIEL®
einsetzte. (Näheres unter www.pro-gramm.de). Letzten
Monat konnte ich mit diesem System eine Studie mit
Führungskräften am Karlsruher Institut für Technologie
KIT (größtes europäisches Forschungszentrum: www.kit.
edu) abschließen. Die 21 evaluierten schwierigen Arbeitsbeziehungen konnten hierbei allein durch 4 Seminartage
und 3–4 Einzelcoachings pro Führungskraft um 25–60%
hinsichtlich Zufriedenheit und Arbeitsergebnis innerhalb
von wenigen Monaten verbessert werden27.
Dies bestätigt eine Studie mit Führungskräften, die ich
bereits 2006/07 an der Stuttgarter Hochschule AKAD in
Kooperation mit zwei Unternehmen aus dem Karlsruher
Raum mit ähnlich guten Ergebnissen durchgeführt habe.
Menschliche Kommunikation ist das Öl im Getriebe einer
Organisation, damit alles läuft wie geschmiert. Derzeit entsteht ein Buch darüber.
Zusatzinformation zur praktischen Studie:
Darüber hinaus konnten bei dem aktuell im Januar 2012
abgeschlossenen Karlsruher Projekt der Personalentwicklungsabteilung des KIT „KIT-Fusion und verbesserte
Arbeitsbeziehungen“ die archetypischen Erkenntnisse auf
die kollektive Ebene des Fusionsprozesses zweier Forschungseinrichtungen übertragen werden (Universität
Karlsruhe und Forschungszentrum Karlsruhe). Hierbei
gelang eine eindeutige Zuordnung der gruppendynamischen Prozesse zu den bekannten typischen Charaktermustern (in diesem Fall 3 und 6). Hilfreich hierbei waren
sowohl die Unternehmenskulturpyramide nach dem MITProfessor Edgar H. Schein sowie auch im Hintergrund die
gruppendynamischen Erkenntnisse des deutschen Psychologen Eberhard Stahl auf der Basis des Riemann-ThomannKreuzes28 . Im Ergebnis führte dies zu einem tieferen
Verständnis der enormen Reibungspunkte in dieser Fusion
sowie zu erstaunlichen Lösungsansätzen auf der kommunikativen Ebene, nicht zuletzt auch mit Hilfe des Wertequadrates nach Helwig.29 Weitergehende Informationen gerne
über s.gramm@pro-gramm.de .
36 EnneaForum 41 – Mai 2012
Anmerkungen
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 60.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 61 – 75.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 76 – 92.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 93 – 114.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 115 – 152.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 153 – 169.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 170 – 190.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 191 – 227.
Vgl. Schulz von Thun 2006/1, Band 2, S. 228 – 243.
Ebenda, S. 58.
Vgl. Goldberg 1998, S. 31 – 61; vgl. Hauser 1995, S. 46 – 48; vgl. Mächler
1998, S. 135 – 137; vgl. Palmer 2000/2, S. 59 – 92; vgl. Palmer / Brown 2000,
S. 56 – 88; vgl. Salzwedel 2008, S. 56f; vgl. Tödter / Werner 2006, S. 72 – 83.
12 Vgl. Goldberg 1998, S. 62 – 92; vgl. Hauser 1995, S. 60 – 62; vgl. Mächler
1998, S. 114 – 116; vgl. Palmer 2000/2, S. 93 – 118; vgl. Palmer / Brown 2000,
S. 89 – 122; vgl. Salzwedel 2008, S. 58f; vgl. Tödter / Werner 2006, S. 84 –
95.
13 Vgl. Goldberg 1998, S. 93 – 126; vgl. Hauser 1995, S. 73 – 75; vgl. Mächler
1998, S. 117 – 119; vgl. Palmer 2000/2, S. 119 – 145; vgl. Palmer / Brown
2000, S. 123 – 159; vgl. Salzwedel 2008, S. 60f; vgl. Tödter / Werner 2006, S.
96 – 108.
14 Vgl. Goldberg 1998, S. 127 – 156; vgl. Hauser 1995, S. 87 – 88; vgl. Mächler
1998, S. 119 – 121; vgl. Palmer 2000/2, S. 146 – 170; vgl. Palmer / Brown
2000, S. 160 – 190; vgl. Salzwedel 2008, S. 62f; vgl. Tödter / Werner 2006,
S. 109 – 120.
15 Vgl. Goldberg 1998, S. 157 – 188; vgl. Hauser 1995, S. 101 – 103; vgl. Mächler
1998, S. 122 – 124; vgl. Palmer 2000/2, S. 171 – 199; vgl. Palmer / Brown
2000, S.191 – 223; vgl. Salzwedel 2008, S.64f; vgl. Tödter / Werner 2006, S.
121 – 132.
16 Vgl. Goldberg 1998, S. 189 – 217; vgl. Hauser 1995, S. 115 – 117; vgl. Mächler
1998, S. 124 – 127; vgl. Palmer 2000/2, S. 200 – 227; vgl. Palmer / Brown
2000, S.224 – 255; vgl. Salzwedel 2008, S. 66f; vgl. Tödter / Werner 2006, S.
133 – 144.
17 Vgl. Goldberg 1998, S. 218 – 245; vgl. Hauser 1995, S. 128 – 130; vgl. Mächler
1998, S. 127 – 129; vgl. Palmer 2000/2, S. 228 – 255; vgl. Palmer / Brown
2000, S.256 – 290; vgl. Salzwedel 2008, S. 68f; vgl. Tödter / Werner 2006, S.
145 – 156.
18 Vgl. Goldberg 1998, S. 246 – 274; vgl. Mächler 1998, S. 130 – 132; vgl. Palmer
2000/2, S. 256 – 283; vgl. Palmer / Brown 2000, S. 291 – 322; vgl. Salzwedel
2008, S. 70f; vgl. Tödter / Werner 2006, S. 48 – 59.
19 Vgl. Goldberg 1998, S. 275 – 309; vgl. Hauser 1995, S. 158 – 160; vgl. Mächler
1998, S. 132 – 134; vgl. Palmer 2000/2, S. 284 – 312; vgl. Palmer / Brown
2000, S. 323 – 359; vgl. Salzwedel 2008, S. 72f; vgl. Tödter / Werner 2006, S.
60 – 71.
20 Gemäß persönlichem Schreiben vom 20. Juni 2007 ist Schulz von Thun
auch mit dieser Zuordnung „im Großen und Ganzen“ einverstanden.
21 04. – 06. Mai 2010, Kloster Kappel, Schweiz.
22 by Architekt Rainer Lißner, Leonberg (GER).
23 Vgl. Simon 2006, S. 213 f.
24 Vgl. Palmer 2000/1, S. 24 - 26.
25 Seminar: „Das Riemann-Thomann-Modell“, Kloster Kappel, Schweiz
26 Gemäß Interview vom 01.11.06 durch Sabine Gramm in seinem Arbeitszimmer an der Universität Hamburg
27 Originalstimmen von Teilnehmern:
„Durch das Kennen des Charaktermusters kann ich gelassener mit den
Schwächen der anderen Person umgehen. „Jeder darf so sein.“ War eine
wichtige Botschaft des Seminars, z.B. kann ich eine Person aus dem Evaluierungsprozess seine Regeln befolgen lassen und ihn darauf aufmerksam
machen, dass es noch andere Regeln zu befolgen gibt, ohne ungeduldig
oder verärgert zu werden.
„Mehr Verständnis: besseres Einfühlungsvermögen für Kollegen, aber auch
klare Konfliktfähigkeit – in der Vergangenheit habe ich zu häufig versucht,
Konflikten aus dem Weg zu gehen und habe zu schnelle zugestimmt, war
dann aber mit der Lösung nicht zufrieden.“
„Es wurden viele meiner Überlegungen und Herangehensweisen, die ich in
meinem Berufsalltag u.a. in Bezug auf Arbeitsbeziehungen lebe durch das
Projekt bestätigt. Dieser Umstand führt zu einer „erhöhten“ Sicherheit im
Berufsalltag.“
28 Eberhard Stahl, Dynamik in Gruppen, 2. vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage, Basel 2007
29 Originalstimmen von Teilnehmern:
„Beide Einrichtungen/Standorte als Personen zu betrachten, fand ich sehr
spannend. Die in der Seminargruppe durchgeführte Analyse bestätigte
die z.T. schon vorhandenen „Ahnungen“ und ermöglicht dadurch einen
konkreten Umgang mit Unterschieden.“
„Ich habe gelernt und positiv mitgenommen, dass sich Analysen über
Wertequadrate nicht nur auf die reine Kommunikation, sondern auch auf
ganze Prozesse und unterschiedliche Kulturen (hier in der Zusammenführung Nord/Süd) anwenden lassen. Diese Erkenntnis ist wertvoll, z.B. auch
für künftige Projekte mit internen und externen Partnern.“
„Ausarbeitung eines in meinen Augen sehr differenzierten Bildes in Bezug
auf die unterschiedlichen Unternehmenskulturen.“
EnneaForum 41 37
Was tun, um Geiz zu lassen?
Mit Dr. Robert Schott sprach Wolfram Göpfert
WG: Herr Dr. Schott, Sie sind als Psychologe im Raum
Bonn tätig und befassen sich speziell mit der Behandlung
von Geiz. Können Sie davon überhaupt leben?
Dr. Schott: (lacht) Natürlich, meine Klienten bezahlen mich
durchaus, denn spätestens am Ende der Therapie sind sie ja
nicht mehr geizig.
WG: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich gerade
mit dem Thema Geiz zu beschäftigen?
Dr. Schott: Ganz einfach: es ging von mir selbst aus.
Während einer langen Phase in meinem Leben habe ich
mich so verhalten, dass man dies mit einiger Berechtigung
als geizig bezeichnen dürfte. Ursprünglich war mir das
allerdings kaum bewusst, erst mit schon reiferen Jahren
merkte ich deutlich, in welcher Falle ich da steckte.
WG: Gab es so eine Art Aha-Erlebnis, das Ihnen den
inneren Blick frei schaltete?
Dr. Schott: Nein, es war eher ein Gefühl latenter Unzufriedenheit mit mir selbst, ein ärgerliches Empfinden, mich
im Alltag immer wieder bei meiner eigenen Knausrigkeit
zu ertappen – obwohl ich gar keinen Anlass hatte, den
Groschen zweimal umzudrehen und ich auch keine Vorwürfe von meiner Familie oder meinen Bekannten hörte.
WG: Und was haben Sie daraufhin unternommen?
Dr. Schott: Der erste Schritt lag einfach darin, dass ich
mich meines Geizes als Belastung bewusst wurde. Dabei
fiel mir auf, dass ich nicht nur mit Geld knauserte, sondern
auch mit meiner Zeit. Wohl viel zu oft war ich ungeduldig
oder kurz ab anderen gegenüber, sowohl beruflich als auch
privat. Und mir fiel auf, dass ich mich mit dieser Haltung
„in bester Gesellschaft“ befand – auch viele meiner Mitmenschen ließen und lassen knausrige Züge erkennen,
ohne dass immer astreiner Geiz durchscheint.
WG: Das klingt so etwas nach dem „Balken im eigenen
Auge“ und dem „Splitter im Auge des Anderen“…
Dr. Schott: Nein, so krass würde ich das nicht formulieren,
für einen Balken müsste ich schon die Hauptrolle in
Molières „Geizigem“ übernommen haben. Doch es war ein
Problem, das mich als Psychologe erst zur Arbeit an mir
selbst und dann zur Arbeit mit betroffenen Klienten reizte.
WG: Sie entwickelten ein Behandlungskonzept gegen Geiz?
Dr. Schott: Zunächst habe ich mich mal mit der greifbaren
Literatur zum Thema Geiz befasst, dazu gibt es erstaunlicherweise deutlich weniger Veröffentlichungen als etwa
zum Neid oder zur Wut. Einen wirklich nützlich erscheinenden Ansatz zum Umgang mit Geiz fand ich dann in den
Ausführungen von Schulz von Thun zum so bezeichneten
Werte- und Entwicklungsquadrat (1). Ich will das mal ganz
kompakt mit folgende Worten umschreiben:
Man geht zunächst von einer Problemlage aus, hier also
vom problematischen Umgang mit Geld oder Zeit. Dazu
sucht man einen kurzen Begriff, der diese Problemlage
möglichst treffend erfasst – hier also Geiz. Zu diesem
ersten Begriff sucht man weiter, und dabei kann man
38 EnneaForum 41 – Mai 2012
beispielsweise auf die Verschwendung kommen. Die Verschwendung ist aber so eine Art negatives Gegenstück zum
ebenfalls negativen Geiz, sie entpuppt sich damit als Sackgasse, ungeeignet als Lösung. Weiter hilft hingegen, nicht
beim Gegenteil des Geizes zu kramen, sondern sozusagen
dessen gute Seite zu suchen, sagen wir mal: nach einer hilfreichen, milderen Ebene des Geizes zu forschen. Und siehe
da – man kommt alsbald auf den Begriff der Sparsamkeit.
Und jetzt der Clou: Fragen Sie sich mal, was die mildere
Ebene der Verschwendung ist, ja? Das ist die Großzügigkeit! Und damit haben wir eine alltagstaugliche Lösung
weg von der lästigen Bindung durch den Geiz: Ich muss
mich von meinem Geiz fortbewegen hin zur Großzügigkeit.
Und wenn ich die so entdeckte Großzügigkeit mit einem
Sahnehäubchen aus verstandesgemäß gesteuerter Sparsamkeit verziere, dann kann es mir auch nicht passieren,
dass ich vor lauter Großzügigkeit in der Falle der Verschwendung lande.
WG: Und das funktioniert bei Ihnen und bei Ihren Klienten
tatsächlich?
Dr. Schott: Es ist eine der Möglichkeiten zur Problemlösung bei Geiz. Es gibt auch noch andere Wege.
WG: Und die wären?
Dr. Schott: Geiz hat immer etwas zu tun mit Angst, konkret: mit der Angst zu verarmen, auszubrennen. Die Angst
vor Verarmung betrifft vorrangig den Geiz in Bezug auf die
Finanzen, die Angst vor einem Burnout führt oft zu Geiz
hinsichtlich der Zeiteinteilung – soll ich meine wertvolle
Zeit opfern oder nicht? Und hinter dieser Angst steht
in aller Regel ein persönlicher Mangel – ein Mangel an
Selbstvertrauen. Konkret: Ein Mangel an Selbstvertrauen
in meine Fähigkeiten, mir die nötigen Ressourcen an Geld
oder Zeit wieder verschaffen zu können.
WG: Das ist sozusagen eine kognitive Lösungsmöglichkeit
zum Thema Geiz. Die Betroffenen sollen sich durch den
Einsatz ihrer Vernunft, ihres Verstandes klar machen, dass
sie keineswegs verarmen werden, wenn sie eine konkrete
Geldausgabe oder einen bestimmten Zeiteinsatz tatsächlich tätigen. Sie brauchen nur zu der Einsicht zu gelangen:
Ich bekomme doch am Monatsende regelmäßig meine
Bezüge und ich finde auch wieder Zeit für mich, wenn ich
geschickt Prioritäten setzte oder fremde Hilfe annehme.
Dr. Schott: Dieser Lösungsansatz geht über den Kopf, als
verstandesgemäße Einsicht in die durchaus realistische
Wahrscheinlichkeit, die benötigten Ressourcen wieder zu
erlangen. Ich muss also lernen, mir selbst zu vertrauen, mir
selbst zuzutrauen, dass ich die zur Beschaffung erforderlichen Handlungen vornehmen kann – so wie ich sie auch
schon früher vornehmen konnte. Manchmal gibt es aber
Betroffene, die über den Kopf nicht so gut erreichbar sind,
sondern eher über ihre Gefühle. Für diese Klienten gilt ein
schöner Satz, der ihnen oft eingeht wie Öl.
WG: Und der lautet?
Dr. Schott: Ganz einfach: Mit meinem Vermögen muss ich
umgehen wie mit einem Kind – ich muss es pflegen, aber
auch loslassen können.
WG: Unter Vermögen kann man dabei verstehen sowohl
Geld als auch Zeit.
Dr. Schott: Richtig, der Satz gilt für unterschiedliche Ausprägungen des Geizes. Da er den Elterninstinkt anspricht,
wirkt er bei den Betroffenen oft wie eine urplötzliche
Befreiung von ihrer geizigen Haltung. Doch wie bei der
Kinderpflege bedarf es des täglichen Einsatzes, der täglich
erneuten Vergegenwärtigung dieses Satzes. Und natürlich
darf ich die beiden anderen Möglichkeiten, mich vom Geiz
zu lösen, nicht vergessen – die Entwicklung weg vom Geiz
und hin zur Großzügigkeit mit einem kleinen Schuss Sparsamkeit sowie die Besinnung auf meine Ressourcen, auf
meine Fähigkeiten zu ihrer Erneuerung.
WG: Um nochmal zum Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen. Betrachten Sie sich selbst als inzwischen vom
Geiz geheilt, unter Anwendung Ihrer eigenen Empfehlungen?
Dr. Schott: Das ärgerliche Gefühl, mich bald tagtäglich
bei eigener Knausrigkeit mit Geld und Zeit zu ertappen,
ist tatsächlich so gut wie weg. Sobald es doch noch mal
aufkommt, mache ich ohne zu zögern so eine Art Schnelldurchlauf durch die angesprochenen drei Möglichkeiten,
mich vom Geiz zu lösen – und das klappt dann bestens.
Und wissen Sie, was danach oft die Folge ist? Ich fühle mich
irgendwie beschenkt statt beschränkt! Ich will das jetzt
nicht ausloten, aber dieses Empfinden ist doch eine schöne
Beigabe zur glücklichen Lösung vom Geiz …
(1)Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 2:
Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, rororo 2010
EnneaForum 41 39
Kontemplative Exerzitien im Haus Gries – Ein Erfahrungsberic
von Ute Fiuza
In diesem Jahr habe ich zum ersten Mal an einem 10tägigen Exerzitienkurs teilgenommen und durfte tiefgreifende Erfahrungen machen. Während der Weiterbildung
zur Enneagrammtrainerin, die ich 2010/2011 absolvierte,
hatte mir ein Teilnehmer von Exerzitien im Haus Gries
und von den Erfahrungen und Entwicklungen, die er dort
durchlebte, erzählt und mich neugierig gemacht. Was er
dort erfahren hatte, schien bei ihm einen tiefen inneren
Heilungsprozess in Gang gesetzt zu haben.
Als wir im Laufe der Ausbildung mit dem „Prozessmodell“
arbeiteten, wo wir in Zweiergruppen unsere persönlichen
Entwicklungsprozesse darstellten und analysierten, stellte
sich für mich dar, dass ein nächster Schritt in meinem
(Entwicklungs-)Prozess Exerzitien sein könnten. Den
Anmeldebogen, den ich mir gleich nach dieser Erkenntnis aus dem Internet herunterlud, schob ich ein halbes
Jahr lang auf meinem Schreibtisch von einem Platz zum
anderen. Für das Verschieben hatte ich immer gute Ausreden parat. Das funktionierte so lange, bis ich mir einmal
ernsthaft die Frage stellte, wovor ich denn eigentlich weglief oder (noch ehrlicher) wovor ich womöglich Angst hatte.
Die Grundlage der Exerzitien ist eine Hinführung zum
Kontemplativen Gebet, auch Herzensgebet genannt.
Hinführung hat etwas mit führen zutun. Bei der Anmeldung wird der Teilnehmer ganz direkt gefragt: „Sind Sie
bereit, sich führen zu lassen?“ War ich bereit, die Führung
aus der Hand zu geben und mich führen zu lassen? (Ich
zähle zum Enneagrammmuster ACHT). Die nächste Frage,
die mich fast noch mehr beschäftigte, war: Wohin führen
Exerzitien?
Durch eine längere Zeit, die der Exerzitant in der Meditation und im Gebet verbringt, können unverarbeitete traumatische Erlebnisse in Form von schmerzhaften Erinnerungen an die Oberfläche kommen. Der Jesuit Franz Jalics
SJ, der diese Exerzitien nach den Vorgaben von Ignatius de
Loyola für unsere heutige Zeit weiterentwickelte, spricht
von einer „dunklen Schicht“, die durchdrungen werden
muss, um an das göttliche Licht zu gelangen.
Will ich das, was da an „Dunklem“ kommen könnte,
überhaupt anschauen? (Mein Kurskollege hatte von tiefen
inneren Prozessen berichtet, die ordentlich wehtaten,
bevor sie geheilt wurden).
Menschen mit Muster ACHT wird nachgesagt, sie seien
mutig. Ich war mutig und meldete mich an. Im Februar
dieses Jahres fuhr ich erwartungsvoll nach Gries. Ein
Mitglied der Hausgemeinschaft empfing mich freundlich
und führte mich in das wohl kleinste Zimmer des ganzen
Hauses. Mein erster Impuls war, diese Situation sofort zu
ändern. Es gab wesentlich größere Zimmer. Das hatte ich
im Vorbeigehen durch die offen stehenden Türen gesehen.
Normalerweise „drehe“ ich Gegebenheiten für mich so,
dass sie mir passen. Nicht so in Gries. Bei der Erinnerung
an die Abmachung mit mir selber, mich führen zu lassen,
40 EnneaForum 41 – Mai 2012
unterdrückte ich den egoistischen Impuls. Bei der nächsten
Gelegenheit gelang mir das weniger gut: In Gries helfen die
Exerzitanten eine Stunde bei der täglichen Hausarbeit. Bei
der Einführung in meine Tätigkeit gab ich gleich Verbesserungsvorschläge zum Besten, die mir mit: „Nicht reden,
machen!“ quittiert wurden. Mein Widerwort schluckte
ich unmutig herunter. (Viel
später erkannte ich, dass alle
Hausarbeiten so aufeinander
abgestimmt waren, dass
das genaue Zusammenspiel
der einzelnen Aufgaben ein
perfekt funktionierendes
Ganzes ergab und deshalb
nicht individuell abgeändert
werden konnte).
Die Reise nach Innen begann
mit der Übung des Schauens
und Staunens. Am ersten Tag
geht der Exerzitant in die
Natur, um das absichtslose
Schauen einzuüben. Nicht
werten, nur wahrnehmen
hieß hier der Auftrag. Wie
schwer dieses „nicht werten“
doch war. Und wie laut der
Gedankenstrom im Kopf
hämmerte!
Am zweiten, dritten und
vierten Tag wurden meine
Wanderungen in der Natur
kürzer und die kontemplativen Gebetszeiten nahmen
zu. Auch da begleitete mich
der nicht abbrechen wollende Gedankenstrom. Am
fünften Tag tauchte während
einer Meditationseinheit der
erste Schmerz auf. Ein alter
Schmerz aus Kindheitstagen.
Er stand plötzlich in mir,
wie eine Säule. Ich konnte
unterscheiden zwischen mir
und dem Schmerz. Ich war
nicht der Schmerz. Er war
da, gehörte mir irgendwie,
war aber nicht ich. Zuerst
versuchte ich, den Schmerz
zu ignorieren. Das funktionierte nicht. Als ich ihn genau
anschaute und den Tränen
freien Lauf lies, wurde
er schwächer. Nach einer
cht
Stunde verschwand der Schmerz. Ich machte eine „Wanderpause“ und fuhr eine Stunde später mit der Meditation
fort. Da, wo der Schmerz war, war jetzt Leere.
Das Anschauen des Schmerzes während der Kontemplation hatte für mich eine andere Qualität als zum Beispiel
das Bearbeiten von traumatischen Erlebnissen in einer
Therapiesitzung, oder das theoretische Durchdringen von
Verhaltensmustern mit Hilfe des Enneagramms. In der
Kontemplation konnte ich den Schmerz anschauen und
annehmen. „Ach ja, so war das damals.“ Ich habe die Situation noch einmal intensiv gefühlt, mich aber nicht lang mit
ihr aufgehalten, sondern bin zum Gebet zurückgekehrt. (In
Gries wird das Atmen in die Hände mit dem Namen Jesus
Christus gelehrt).
In den 10 Tagen der Exerzitien habe ich drei „Schmerzsäulen“ gegenübergestanden. In der restlichen Zeit kämpfte
ich mehr oder weniger stark gegen den nicht abbrechenden
Gedankenstrom an. Es ist kaum zu glauben, was für einen
Mist man sich so „zusammendenkt“!
Die täglichen Gespräche mit der Exerzitienmeisterin
halfen mir, auf dem Weg zu bleiben. War ich zu nachlässig, spornte sie zu mehr Disziplin an. Ging ich zu sehr mit
mir ins Gericht, riet sie mir, Milde walten zu lassen. Die
Gespräche dauerten so lange, wie ich es wünschte. (Man
selbst bestimmt hier das Ende). Durch die Führung meiner
Exerzitienmeisterin habe ich mich liebevoll begleitet
gefühlt. Ich hatte nicht ein einziges Mal den Wunsch, die
Führung zu übernehmen. Na ja, das stimmt vielleicht
nicht ganz: Als ich den Namen „Maria“ meditieren sollte,
brachte ich leichten Protest hervor. (Ich bin mit ganzem
Herzen evangelisch). Die Exerzitienmeisterin riet mir, beim
Meditieren einfach nur dem weiblichen Aspekt im Wort
„Maria“ nachzuspüren. (Das löste dann bei der Meditation
die zweite „Schmerzsäule“ in mir aus).
Mit der Zeit wurde ich ruhig. Die Körperübungen am Morgen – man kann zwischen Chi Gong und Yoga wählen –,
das stets schmackhafte vegetarische Essen, die weite, stille
Natur, die schöne Kapelle, die anderen Kursteilnehmer (wir
waren 33 Exerzitanten), die man am Ende der Exerzitien
besser zu kennen glaubte, als wenn man mit ihnen gesprochen hätte, die tägliche Ansprache mit anschließender
Eucharistiefeier, all das erlebte ich wie eine neue Welt, die
sich langsamer zu drehen schien als ich es gewohnt war.
Ich lebte 10 Tage ein Leben, das immer mehr im „Jetzt“
stattfand. Eine tiefgreifende Erfahrung!
Am letzten Tag, als wir wieder miteinander redeten, sagte
jemand: In Gries kommt man nicht um sich herum. Wie
wahr! Denn in Gries kommt man sich selbst ein Stück
näher.
Der Weg ist beschritten. Nun gilt es für mich, das Herzensgebet in meinen Alltag zu integrieren. Zum intensiven
Üben gönne ich mir eine jährliche „Jetzt-Zeit“ in Gries.
Kontakt:
www.haus-gries.de www.kontemplation-in-aktion.de
EnneaForum 41 41
Ora et labora:
Integration von Spiritualität und Arbeitsalltag
Ruth Maria Michel, gekürzt nach Pfr. Elias Jenni, Bausteine 2/2007
Labora – der Wert der Arbeit
Die benediktinische Regel ora et labora – bete und arbeite
– meint, dass sich das Eigentliche in den Niederungen des
Alltags abspielt und nicht in den Augenblicken religiöser
Hochgefühle. Benediktinische Mönche ziehen sich nicht
ins Kloster zurück, um sich der Arbeit zu entziehen. Im
Gegenteil, sie haben erkannt, dass Gott gerade auch im Alltag und in der Arbeit zu finden ist. Der christliche Autor C.
S. Lewis formulierte es so: Das Große, wenn man es schafft,
besteht darin, all die unangenehmen Dinge nicht mehr als
Unterbrechungen des „eigentlichen“ oder „wirklichen“ Lebens
zu betrachten. Die Wahrheit lautet viel mehr, dass gerade das,
was wir Unterbrechungen nennen, das wahre Leben ist – das
Leben, das Gott Tag für Tag uns schenkt. Was wir das „wahre
Leben“ nennen, ist das Produkt unserer Phantasie.
Diese Erkenntnis kann eine Hilfe sein, das „wahre Leben“
mitten im Alltag zu suchen und das Leben so zu gestalten,
„dass in allem Gott verherrlicht werde“. „Alles, was ihr in
Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des
Herrn.“ (Kol 3,17)
Die Notwendigkeit und der Wert der Arbeit kann theologisch, ethisch und praktisch betrachtet werden. Theologisch kann man auf den sogenannten Kulturauftrag
hinweisen. „Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert
die Erde, unterwerft sie euch und herrscht … über alle
Tiere“ (1 Mose 1,28). Das tägliche Brot im Schweiße seines
Angesichts zu essen, gehört zur menschlichen Existenz (1
Mose 3,19). Im Neuen Testament gilt die Regel: „Wer nicht
arbeiten will, soll auch nicht essen.“ (2 Thess 3,10) Ohne
Arbeit wäre man auf die Gaben von Wohltätern angewiesen
und würde damit in innere und äußere Abhängigkeit
geraten (1 Thess 2,9; 4,11-12). Ethisch kann man argumentieren, dass die Arbeit jedes Einzelnen zum Allgemeinwohl
beiträgt. Mit den Früchten der Arbeit kann man anderen
Menschen helfen und Gutes tun (Eph 4,28) und so das
Gebot der Nächstenliebe erfüllen. Die Arbeit hat auch
einen ganz praktischen Aspekt. Wer nicht arbeitet, läuft
Gefahr, dass das geistliche Leben auf ein frommes Kreisen
um sich selbst reduziert wird. In der Arbeit nehmen wir
Bezug auf Gott, unsere Mitmenschen und die Umwelt.
Ora – die Priorität des Gebets
Auch wenn das Gebet im benediktinischen Alltag immer
Priorität hat – „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen
werden.“ – will es nicht aus dem Alltag hinausführen,
sondern mitten im Alltag im Wechsel von Gebet und
Arbeit praktiziert werden. Gebet und Arbeit stehen nicht
im Widerstreit zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig: „Wenn einer aus der Quelle des Heiligen Geistes
heraus arbeitet, dann hat er selbst Lust an der Arbeit,
und er wird nicht so leicht erschöpft werden. Und um ihn
herum wächst und gedeiht etwas. Die Arbeit fließt aus ihm
42 EnneaForum 41 – Mai 2012
heraus. Andere, die aus dem Lebensmuster ihres Perfektionismus oder ihres Ehrgeizes heraus arbeiten, verbreiten mit
ihrer Arbeit eine Atmosphäre von Aggressivität und Unzufriedenheit, von Härte und Bitterkeit.“ (Anselm Grün: Bete
und arbeite, S.9) Die Arbeit dient dann der Verherrlichung
Gottes, der Nächstenliebe und der Sicherung der eigenen
Existenz.
Ora et labora – wie können wir das Gebet ganz praktisch
in unseren Arbeitsalltag integrieren?
Wenn wir am Primat des Gebets festhalten, dürfen wir es
im Alltag nicht dem Zufall überlassen. Die Arbeitszeit wird
oft bis ins letzte Detail hinein geplant. Das Gebet hingegen
geschieht dann, wenn wir das Bedürfnis dazu empfinden
oder wenn wir gerade Zeit haben. Das ist ein Widerspruch.
Wenn uns wirklich etwas am Gebet liegt, werden wir es fest
in unseren Alltag einplanen. Feste Gebetsgewohnheiten
sollen nicht zu einem Gesetz werden oder spontanes Gebet
ausschließen, sondern helfen uns zu praktizieren, was wir
als wichtig und richtig erkannt haben. Zwei Beispiele:
◆◆ Bei jedem Stundenschlag unterbreche ich die Arbeit
kurz und nehme mir einen Augenblick Zeit für ein stilles
Gebet: Dank an Gott, Segen für die Mitarbeitenden und
Bitte für das Gelingen der eigenen Arbeit.
◆◆ Anselm Grün empfiehlt die Vorausmeditation: „In
der Vorausmeditation stelle ich mich innerlich auf die
Arbeit ein. Ich stelle mir vor, was heute alles auf mich
zukommt, mit welchen Menschen ich zusammenkomme,
welche Besprechungen nötig sind und so weiter. Und
dann bitte ich Gott um seinen Segen dafür. Ich übergebe
ihm die Arbeit und die Menschen, denen ich begegne.“
(Grün, S.89)
Die Zeit, die ich mir für das Gebet nehme, ist keine verlorene Zeit, auch wenn sich der unmittelbare „Nutzen“ des
Gebets in Zeiten des Messbarkeitswahns der Überprüfung
entzieht. Das Gebet hat einen Wert in sich selbst; es bezieht
sich auf Gott und hilft, mich wieder auf das Wesentliche zu
auszurichten. Das Gebet kann so Zurüstung und Vorbereitung für die täglichen Herausforderungen sein.
Ein Mann forderte seinen Freund zu einer Wette heraus. Sie
wollten den ganzen Tag Holz hacken. Wer von ihnen würde
am Abend den größeren Haufen Holz vorweisen können? Der
Herausforderer arbeitete sehr hart und gönnte sich nur eine
kurze Mittagspause. Der andere aß in Ruhe sein Mittagessen
und macht auch im Laufe des Tages immer mal eine kleine
Pause. Als es Abend wurde, musste der Herausforderer verärgert feststellen, dass sein Freund viel mehr Holz gehackt
hatte als er. „Ich kapier das nicht“, sagte er. „Jedes Mal,
wenn ich zu dir hinsah, hast du gerade eine Pause gemacht
und trotzdem so viel mehr Holz geschlagen als ich. Wie
kommt das?“ – „Ich glaube, eins hast du übersehen“, antwortete der Gewinner. „Immer wenn ich eine Pause machte,
habe ich meine Axt geschärft.“ (Quelle unbekannt)
EnneaForum 41 43
Lesung aus dem Buch
Kohelet
Über das Innehalten
in der Enneagramm-Arbeit
3, 1 – 13 (3. Jh. vor Christus)
von Maria-Anne Gallen
Übersetzung von Peter Spangenberg, Verlag der
Agentur des Rauhen Hauses Hamburg 1999
ALLES HAT SEINE ZEIT
Alles hat seine Zeit,
und jede Erfahrung hat ihren Augenblick.
Kinder bekommen hat seine Stunde,
und auch der Tod hat seine Zeit.
Saat und Ernte haben ihren eigenen Tag.
Die Augenblicke von Bedrohung und Angst
gehören zum Leben.
Heilen und Vergeben haben ihre Stunde.
In Minuten stürzt vieles ein,
Zeit braucht es, um aufzubauen.
Kostbar ist die Stunde des Weinens:
befreiend sind die Augenblicke des Lachens.
Es gibt auch Zeiten des Tanzens,
und Stunden gibt es, alles hinzuwerfen,
Augenblicke dagegen,
wo ich das Leben einsammeln möchte.
Jede Umarmung hat ihre Zeit,
aber auch die Erfahrung,
einander fremd zu sein.
Ich kenne Stunden des Suchens,
ich kenne auch Stunden gähnender Leere.
Es gibt Zeiten zum Behüten,
genauso auch Zeiten des Loslassens.
Schweigen hat seine Bedeutung,
es sind Stunden der Stille.
Reden hat seine Zeit.
Liebe und Hass – beides sind Erfahrungen,
die zum Leben gehören.
Innehalten ist weder ein Tun, noch ein Lassen. Es ist ein
gegenwärtiges Sein. Dieses achtsame Ruhigwerden im Jetzt
ist mir über die Jahre hinweg der wichtigste Moment in
der Enneagramm-Arbeit geworden. Denn es ist genau der
Augenblick, in dem sich alles wandeln kann.
Die Vergangenheit ist vorüber. Was auch immer uns in ihr
bewegt und zu Handlungen veranlasst hat, die persönliche
Geschichte lässt sich nicht mehr umschreiben. Vorstellungen über die Zukunft sind reine Fiktion, auch Gedanken
darüber, was dann vielleicht besser werden sollte. Der
gegenwärtige Moment ist der einzige Augenblick, in dem
das Leben wirklich stattfindet.
Vergangenes bestimmt über zukünftige Handlungen
Solange wir in der Unbewusstheit unserer Charakter-Muster und Überlebens-Strategien gefangen sind, bestimmen
sie in hohem Maße unser Denken, Fühlen und Handeln.
Was ich gestern erlebt habe, beeinflusst so mein zukünftiges In-der-Welt-sein. Die Prägungen der Vergangenheit
wirken in die Zukunft hinein.
Wenn ich zum Beispiel als Kind Erfahrungen tiefer Verängstigung gemacht habe, dann werden sich nach diesen
Gesetzmäßigkeiten solche Erlebnisse in meinem Leben
immer wieder neu aktualisieren. Aus meinem Charaktermuster heraus versuche ich sie dann meist mit ähnlichen
Strategien zu bewältigen. Sigmund Freud nannte dieses
Phänomen einen „Wiederholungszwang“, die Buddhisten
bezeichnen es als den Leid-Kreislauf unseres „Karmas“. In
beiden Begrifflichkeiten ist die Einsicht enthalten, dass
es Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (Kausalitäten)
zwischen vergangenen Erfahrungen und unserem zukünftigen Leben gibt.
Innehalten
Das achtsame Innehalten im gegenwärtigen Moment kann
diese Leid-Strukturen unterbrechen. Gibt es dafür eine
Handlungsanleitung?
Die Anweisung zum Innehalten hat immer etwas Paradoxes.
Stellen wir uns einmal vor, wir würden einem Hamster
in seinem Hamster-Rad die Aufforderung zum Anhalten
geben. Käme er ihr nach, gäbe es eine Unterbrechung des
gewohnten und geschäftigen Bewegungsablaufs, vielleicht
einen unsanften Ruck und dann würde er vermutlich sogar
noch herausfallen.
So ungefähr geht es uns auch, wenn wir wirklich einmal
die radikale Entschlossenheit aufbringen, nicht mehr den
üblichen Mustern und Abläufen zu folgen: Es katapultiert
uns aus unseren gefühlt-reibungslosen Gewohnheiten.
Nicht so, sondern anders …
Meistens sind es eher die krisenhaften oder unvorhersehbaren Lebenserfahrungen, die uns so unsanft „ausbremsen“, selten eine freiwillige Entscheidung. Man könnte es
44 37
EnneaForum 41 – Mai 2012
als eine bewusste Umkehr (griech: Metanoia) bezeichnen,
wenn wir den Ausstieg aus dem eigenen Muster selbst in
die Hand nehmen.
In meinen Enneagramm-Seminaren leite ich gelegentlich
eine Übung an, die wir (Hans Neidhardt und ich) vor vielen
Jahren die „Nicht-so-sondern-anders-Übung“ genannt
haben.
Der Ablauf geht etwa so: Wir erzeugen eine zwischenmenschliche „Laborsituation“ (zu zweit) und lassen im
Zeitlupentempo detailliert beobachten, was sich dabei im
eigenen Denken und Fühlen, Körpererleben und Handeln
abspielt. Gut geeignet ist zum Beispiel diese Anweisung:
„Es sitzt dir gerade jemand gegenüber, der etwas von dir brauchen könnte.“ Die andere Person (B) erhält die Anleitung, auf
ihre momentane Bedürftigkeit zu fokussieren und diese nonverbal zum Ausdruck zu bringen. Beide tun dies mit geschlossenen
Augen und in innerer Achtsamkeit.
Dann werden die Augen kurz (wie ein Blitzlicht) geöffnet,
ein Gesamteindruck des Gegenübers aufgenommen und zur
inneren Resonanz hingespürt, die dabei entsteht. (Dieser Vorgang kann mehrmals wiederholt werden.)
Die handelnde Person (A) bekommt nun den Hinweis, ihren
eigenen ersten Handlungs-Impuls in dieser Begegnung genau
wahrzunehmen, sich aber diesmal dafür zu entscheiden, ihm
nicht nachzugeben (so diesmal nicht!).
Jetzt heißt es Innehalten und abwarten bis sich ganz von allein
ein neuer, zweiter Impuls formt. Diesen führen wir dann aus.
In dieser kleinen Achtsamkeits-Übung haben sich schon
viele Aha-Erlebnisse ereignet: Meist fühlt sich der „Bedürftige“ gut wahrgenommen und nicht bedrängt durch ein
übergestülptes Hilfsangebot und die handelnde Person ist
überrascht, wie anders als gewohnt, so eine Mini-Begegnung
auch stattfinden kann.
Im Handeln Innehalten
Achtsames Innehalten ist sicher nicht der einzige Kunstgriff,
um in den Gefangenschaften unserer eigenen CharakterGefängnisse ein wenig Ausgang zu bekommen. Auf der
Ebene des Tuns scheint es mir jedoch das Mittel der Wahl
zu sein – immer dann, wenn weiteres Handeln nach den
gewohnten Mustern nur “Mehr-des-selben” erzeugen würde.
Das gewohnte Handeln kann auch ein Nicht-Handeln sein.
Manche Menschen verfallen reaktiv in übermäßige Aktivität,
andere in Passivität, sie gehen in Abwehr- oder Vermeidungshaltungen. Nicht-so-sondern-anders meint bei diesen
inneren „Strickmustern“ dann, kreative Aktivität zu entwickeln, statt im Abwarten zu verharren.
Für jeden von uns bedeutet es etwas anderes, wenn Handeln
und Nicht-Handeln – mein Wille und SEIN Wille – im
gelebten menschlichen Leben eins werden.
Immer ist die wichtigste Stunde die gegenwärtige.
Immer ist der wichtigste Mensch der,
der dir gerade gegenüber steht.
Immer ist die wichtigste Tat die Liebe.
Meister Eckhart
EnneaForum 41 45
Begegnung und Abschied
Tun und Lassen im Roman „Zwei an einem Tag“
von David Nicholls
Figuren aus Literatur und Belletristik aus der Sicht
des Enneagramms, von Wally Kutscher (Fortsetzung)
„Zwei an einem Tag“ – der Titel verwirrt etwas, doch die
Romanstruktur ergibt sich aus einem jährlichen Treffen
von Emma und Dexter, die im Juli 1988 ihren Collegeabschluss in Edinburgh feiern, eine gemeinsame Nacht
verbringen und miteinander in Kontakt bleiben wollen,
bevor sich ihre Wege trennen. Von Anfang an werden den
Lesern zwei völlig verschiedene Menschen vorgeführt, die
sich aber gegenseitig viel bedeuten, so dass ihre jährlichen
Treffen, zunächst eher zufällig und dann als festes Ritual,
immer wichtig sind, egal in welcher Lebenssituation sie
sich unabhängig voneinander befinden. Und die könnten
nicht unterschiedlicher sein: Während Emma sich ihren
Weg ins berufliche Leben hart, aber erfolgreich erkämpft,
geht Dexter auf Reisen, versucht dies und das, vor allem
bei Frauen, und macht schließlich eine Blitzkarriere als
Fernsehmoderator, bevor es in seinem Leben immer weiter
bergab geht.
Interessant in dieser Geschichte ist vor allem Emma, die
trotz der schwierigen Umstände ihr Leben meistert, unspektakulär, aber dafür nachhaltig, weil sie zu ihren Werten
und Prinzipien steht, auch wenn sie dadurch aneckt. Sie ist
eine herzerfrischende Eins, bei der Perfektionismus, Kontrollzwang und Besserwisserei nicht im Mittelpunkt stehen.
Sie lebt ihre Wertvorstellungen und wenn ihr das nicht
gelingt, fühlt sie sich auch nicht wohl, denkt über ihre
Situation nach und versucht, etwas daran zu verändern,
Rückschläge inbegriffen. Auf diese Weise ist sie auf einem
Transformationsweg und wirkt schon ein Stück weit erlöst.
Ganz anders Dexter, der im wahrsten Sinne des Wortes als
Typ (Sieben) dargestellt wird und in den typischen Rollenklischees des Frauenverführers und Lebemanns stecken
bleibt, weil er nur wenig reflektiert. Dazu braucht er Emma.
Schließlich macht auch er einen Reifungsprozess durch,
wenn auch spät, aber dafür umso wirksamer und für den
Leser hochinteressant und zum Nachdenken anregend.
Lust auf mehr? Da gibt es die Wahl zwischen Buch und
Film. Das Buch ist eher für diejenigen, die die Zwischentöne in dieser Liebesgeschichte nicht verpassen möchten,
und der Film eher für die, die sich entspannt zurücklehnen
und die ungewöhnliche Geschichte eines ungewöhnlichen
Paares miterleben möchten. Sehr empfehlenswert!
Station VII
Die Sechs
Wir gehen auf sehr dünnem Eis;
s‘ ist wichtig, dass das jeder weiß!
Die Welt ist, ach, so voll Gefahren.
Wie kann man sich da vor Unglück bewahren?
Alles ist so undurchsichtig.
Wo lieg‘ ich falsch? Wie mach‘ ich‘s richtig?
Vorsichtig taste ich voran.
Er denkt voraus, der kluge Mann.
Geh‘ ich nur mal aus dem Haus,
mutiere ich zur bangen Maus.
Und sie geht los, die Litanei:
Hab‘ ich genügend Geld dabei?
Hab‘ ich den Schlüssel eingesteckt?
Hab‘ ich die Betten zugedeckt?
Sind Fenster, Türen fest verschlossen?
Die Blumen, hab‘ ich die gegossen?
Habe ich die blaue Flasche
mit Notfalltropfen in der Tasche?
Was mach ich, wenn sich was verliert?
Was mach ich, wenn mir was passiert?
Was tun, wenn dies? Was tun, wenn das?
Ich bin vor Angst schon leichenblass.
Seit Tagen kommt noch was hinzu,
und das lässt mir keine Ruh‘:
Hab‘ ich mein Alter auch bedacht?
Hab‘ ich mein Testament gemacht?
Was ist, wenn ich Alzheim kriege
oder krank im Bette liege?
Hab‘ ich dort saubere Wäsche an?
Ist es richtig, dass ich dann und wann
mich einfach gehen lasse?
Am sichersten schwimmt man in der Masse!
Das Beste ist, ich bleib im Haus
und gehe gar nicht mehr hinaus!
Blöde nur: Wie sieht das aus?
Drob packt mich die blinde Wut.
Ich nehm‘ mir ein Herz und fasse Mut.
Ihr wisst gar nicht, wie gut das tut!
Dann stell‘ ich was Super-Gewagtes an.
Und ich bin der Super-Mann!
Der Anfall hält – leider – nicht lange an.
o Mannomann! O Mannomann!!
46 EnneaForum 41 – Mai 2012
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf,
stehen wir zur Auferstehung auf
mitten am Tage
mit unserem lebendigen Haar
mit unserer atmenden Haut.
Wenn du mich nicht rufst, Heiliger Geist,
erliege ich falschen Verlockungen,
unterscheide ich die Geister nicht,
bleibe ohne jeden Antrieb.
Wenn du mir nicht beistehst, Heiliger Geist,
stehe ich ratlos vor meinen Entscheidungen,
verstehe ich deine Winke nicht,
stehe ich mir selbst im Weg.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
mit weidenden Löwen
und sanften Wölfen.
Wenn du mir nicht hilfst, Heiliger Geist,
überhöre ich deine leise Stimme,
übersehe ich deine versteckten Fingerzeige,
übergebe ich deine behutsamen Eingebungen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken.
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Wenn du mich nicht führst, Heiliger Geist,
werde ich hinters Licht geführt,
erkenne ich deine Wahrheit nicht,
bin ich mir selbst überlassen.
Und dennoch leicht,
und dennoch unverwundbar
geordnet in geheimnisvolle Ordnung,
vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Wenn du mich nicht tröstest, Heiliger Geist,
bin ich von allen guten Geistern verlassen,
irre ich ziellos und heillos überfordert umher,
fehlt mir jegliche Zuversicht.
Marie Luise Kaschnitz
Wenn du mich stärkst, Heiliger Geist,
bin ich dem Leben gewachsen.
Paul Weismantel in: Zeit mit Gott. Ein Stundenbuch II
EnneaForum 41 47
Jesus im Spiegel des Enneagramms
Aus: Beesing/Nogosek/O’Leary „Das wahre Selbst entdecken“
Drei: Jesus ist kein Feind des Erfolges
Jesus setzte um seiner Sendung willen alle Kräfte und
Energien ein. Er wählte Mitarbeiter aus, die seinen Auftrag
fortsetzen sollten, übertrug ihnen Autorität und Verantwortung und erwartete von ihnen uneingeschränktes
Engagement. Für Jesus gab es nur ein Ziel: das Reich
seines Vaters erfahrbar zu machen. Er überließ es nicht
dem Zufall, sondern berief Jünger, um ihm dabei zu helfen.
Er sandte sie zu zweit voraus in die Orte, wohin er selbst
kommen wollte (Lk 10,1f.). Sie sollten die Menschen auf
sein Kommen vorbereiten, damit sie ihn voll Sehnsucht
erwarteten.
Jesus war eine kraftvolle Führungspersönlichkeit; er ermutigte und inspirierte seine Jünger, sich ihm ganz anzuvertrauen. Jesus verstand es ausgezeichnet, auf Männer
und Frauen gleichermaßen unvoreingenommen zuzugehen. Lukas betont, dass Frauen ihm folgten und ihn und
seine Jünger mit dem unterstützten, was sie besaßen (Lk
8,3). Jesus hatte eine hohe Sensibilität für seine Wirkung
auf andere. Er erweckte Staunen und Verwunderung und
konnte Menschen für sich gewinnen. Er nahm auf vielerlei
Weise Kontakt mit den Menschen auf.
Trotz seiner ungeheuren Popularität während seines
öffentlichen Wirkens war Jesus darauf bedacht, dem
Beisammensein mit seinen Jüngern viel Raum zu geben.
Er hatte sie persönlich erwählt. Sie brauchten eine solide
Grundlage, damit sie seine Sendung weiterführen konnten.
Jesus wollte nicht, dass die Begeisterung für ihn nur ein
Strohfeuer blieb. Er bereitete die Zwölf auf ihre Sendung
vor. Sie sollten von der gleichen Gesinnung beseelt sein
wie er. Jesus schränkte den Bereich seiner Mission auf das
relativ kleine Gebiet Israels ein. Seine Jünger bereitete er
jedoch darauf vor, in die ganze Welt hinauszugehen. Alle
Völker sollten von seiner frohen Botschaft erfahren.
Als zielorientierte Menschen werden Dreien diese Züge
in Jesu Verhalten als inspirierend für ihr eigenes Leben
ansehen. Wenn sie gelegentlich darauf aufmerksam
gemacht werden, dass das Leben mehr ist als aller Erfolg,
können sie sich in diesem Punkt auf Jesus berufen, der
seine Mission zum Inhalt seines Lebens gemacht hat, ja
sogar Heimat und Familie dafür aufgegeben hat. Er ruhte
nicht bis zu seinem letzten Atemzug, damit alles, was der
Vater ihm aufgetragen hatte, erfüllt wurde. Und so konnte
er am Kreuz ausrufen: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30).
Die Falle einseitig Erfolgsorientierter
Sein Leben einseitig auf Erfolg auszurichten, birgt
Gefahren in sich; denn es kann dazu führen, dass man
diesem einen Wert alle übrigen unterordnet, z.B. auch das
eigene Leben und das anderer. Das Leben bekommt dann
so viel Wert wie die eigenen Erfolge, nicht mehr und nicht
weniger. Familie, tiefere menschliche Beziehungen und
kulturelle Werte sowie zweckfreie Muße werden vernach-
48 EnneaForum 41 – Mai 2012
lässigt. Da Dreien primär auf Erfolg ausgerichtet sind,
benutzen sie andere Menschen oft als Mittel zum
Zweck. Wenn sich diese dagegen wehren, werden sie
einfach ignoriert. Erweist sich eine Unterhaltung
oder eine Versammlung als unnütz im Hinblick
auf einen angestrebten Erfolg, fühlen sich Dreien
gelangweilt; denn an sozialen Beziehungen an sich,
an Interessen- und Erfahrungsaustausch liegt ihnen
nicht viel. Ohne sich recht darüber im Klaren zu sein
wie sich das auf ihre Persönlichkeit auswirkt, neigen
Dreien zu einem Roboter-Dasein. Sie blenden ihre
Ängste, Zuneigungen und überhaupt alle Gefühle
aus, um sich vital und enthusiastisch zu präsentieren,
wenn es um Erfolg versprechende Geschäfte geht.
Als Folge davon kann ihnen der Kontakt mit dem
normalen menschlichen Leben verloren gehen. Sie
werden blind für das Leid um sich herum oder für die
Erfahrungen anderer Menschen, weil sie zu sehr auf
ihre eigenen Ziele konzentriert sind. Sie können auch
ziemlich intolerant werden, wenn ihre Mitarbeiter
Zeit mit Unterhaltung vergeuden, wenn sie unvorbereitet zu einer Sitzung erscheinen oder auf andere
Weise erkennen lassen, dass ihr Herz nicht einzig
und allein für die Ziele des Unternehmens schlägt.
Wenn Erfolg und Leistung im Leben eines Menschen
zum ein und alles werden kreisen alle Gedanken
und Gefühle um diesen Mittelpunkt. Es bleibt dann
wenig Raum für etwas, das nicht unmittelbar auf Erfolg
ausgerichtet ist. Viele Talente bleiben ungenutzt, z.B. die
Fähigkeit, andere zu unterhalten oder Gefühle auf kreative
Weise auszudrücken. Das läuft schließlich darauf hinaus,
dass sich Dreien vollständig mit dem identifizieren, was
sie leisten. Sie sagen sich: „Ich bin ein Geschäftsmann, ein
Beamter, ein Manager …“. Zu anderen Menschen möchten
sie einzig aufgrund ihrer Rolle bzw. ihrer Funktion in
Beziehung treten und nicht aufgrund ihres einzigartigen Wertes als Mensch. Wenn ein solcher Mensch aus
Krankheitsgründen frühzeitig in Pension gehen muss, wird
er in seinem Leben keinen Sinn mehr sehen, nichts mehr,
für das zu leben sich noch lohnte. Misserfolg und Leistungsunfähigkeit können sie vollständig zerstören.
Misserfolge akzeptieren können
Jesus war ein hoch motivierter Mensch, von Gott gesandt,
ein großes Werk zu vollbringen, aber er hatte auch viel Leid
und Misserfolg auf sich zu nehmen. Das Scheitern seiner
Sendung wurde bei der Speisung der Fünftausend offenbar.
Als Reaktion auf das Speisungswunder versuchte das Volk,
Jesus zum politischen Führer zu machen (Joh 6,15). Daran
wurde nur zu deutlich, dass sie trotz seiner Unterweisungen noch immer nicht verstanden hatten, worum es ihm
eigentlich ging. Das war ein Misserfolgserlebnis für Jesus.
Darauf, so heißt es, verließ er Galiläa und verbrachte den
Rest seines öffentlichen Lebens in Judäa, vor allem in Jerusalem, wo er sich mit den etablierten religiösen Führern
öffentlich auseinandersetzte. Sein Misserfolg in Galiläa
hatte ihn keineswegs entmutigt, sondern er setzte sich von
da an noch mehr in der Öffentlichkeit ein. Er hatte gelernt,
bei dem Bemühen, Menschen für seine Werte zu begeistern, auch Misserfolge hinzunehmen.
Jesus kann für Dreien ein Vorbild sein, sich dem zu stellen,
was sie am allermeisten fürchten, nämlich einen Misserfolg.
Nicht Erfolg um jeden Preis lernen sie von ihm, sondern
sich so zu geben, wie sie sind, selbst wenn andere sich
deswegen von ihnen zurückziehen. In ihrer Entschlossenheit zum Erfolg sind Dreien leicht versucht, nicht nur mit
sich selbst, sondern auch mit anderen faule Kompromisse
zu schließen.
An Jesus wird deutlich, wie wichtig es ist, nicht um seiner
Ziele willen seine persönliche Integrität aufs Spiel zu setzen. Jesu hätte anders handeln können. Er hätte sich zum
König von Israel machen lassen können. Er hätte dies noch
mit dem Argument rechtfertigen können, dass mit der
Übernahme des Königtums seine Macht und sein Einfluss
viel größer wären, was schließlich der Verwirklichung des
Reiches Gottes zugute käme. Damit hätte er der Versuchung des Bösen nachgegeben, dem er jedoch mit aller
Entschiedenheit widerstand, wie die Versuchungsperikope
zeigt. Ein Abweichen von seiner Sendung hätte für ihn das
Gleiche bedeutet wie die Verehrung des Bösen (Lk 4,1-12).
Darüber hinaus wäre dies ein Missbrauch jener Macht
gewesen, die Gott ihm als Messias gegeben hatte.
Dreien müssen sich stets vor Augen halten, dass der Zweck
nicht die Mittel heiligt. Die Tatsache, dass unsere heutige
Gesellschaft dem Erfolg sehr großen Wert zumisst, untergräbt vielfach dieses moralische Prinzip. Wie oft gilt kalter
Krieg als Mittel zum Frieden, wird Gewalt angewandt zur
Verteidigung der Menschrechte, und wieviel Betrug und
Spionage gibt es im Dienste der nationalen Sicherheit!
Jesus lehrte die Menschen, nicht ihre wahren Absichten
durch trügerische Taktiken zu verschleiern. Er bestand
auf Wahrhaftigkeit, sogar mit dem Risiko, seine Ziele und
Pläne nicht zu erreichen. Sein Tod am Kreuz zeigt, dass er
bis zuletzt lebte, was er lehrte. Als er, am Kreuz hängend,
sah, dass nahezu alles, wofür er sich eingesetzt hatte, erfolglos geblieben war, empfahl er seinen Geist in die Hände
des Vaters (Lk 23,46). Noch in seinem Sterben bezeugte er,
dass er keinen seiner Werte preisgab, nur um in den Augen
anderer als erfolgreich zu gelten.
EnneaForum 41 49
Andreas Ebert zum 60.
Andreas Ebert hat heuer seinen 60. Geburtstag gefeiert. Gleich in mehrfacher Hinsicht ist er einer der
wichtigen „Väter“ des ÖAE: Als Enneagramm-Autor, als Gründungsmitglied und als Autor sowie Kursleiter. Der Vorstand des ÖAE gratuliert herzlich und wünscht Andreas Ebert viele weitere produktive
und kontemplative Jahre. Gut, dass es einen wie ihn gibt!
Hier die Glückwünsche und Dank von Wegbegleitern und Mitgliedern
Lieber Andreas,
zuerst einmal ein ganz dickes Dankeschön, dass Du uns
das Enneagramm „beschert“ hast. Seit dem ersten Lesen
bin ich total begeistert von den sich daraus ergebenden
Erkenntnissen: sie wirken sich bis heute bereichernd auf
mein Leben aus!
Dabei denke ich an die ersten Begegnungen mit Dir zurück:
Seit Februar 1992 bin ich Mitglied im ÖAE, weil ich ein Teil
dieser „Erneuerungs-Bewegung“ sein möchte. Im Advent
1992 nehme ich an einem Enneagramm-Seminar mit Dir in
der Epiphanias-Gemeinde in Bremen teil: über einhundert
Teilnehmer hängen an Deinen Lippen! Besonders im
Gedächtnis geblieben ist mir eine Übungs-Einheit, in der
wir in Typengruppen unsere Beiträge gesammelt haben:
das war total erhellend und erheiternd!
Bei der Jahreshauptversammlung im Januar 1993 erlebe ich
die erste „Enneagramm-Begehung“ mit Marion und Dir:
Ich hätte nie gedacht, dass ich dabei so intensive Empfindungen und Erkenntnisse haben könnte!
Der nächste Höhepunkt dann im Advent 1994: Exerzitien
mit dem Enneagramm im Franziskushof, geleitet von Dir
und Marion. Ich erinnere mich bis heute an Eure liebevolle,
behutsame Führung durch diesen Kurs. Alte KindheitsWunden brechen auf, ich kann sie ein Stück weiter loslassen und erlebe unbeschreibliche Freude dabei: Danke!
Im November 1995 werde ich in den ÖAE-Vorstand gewählt
und darf drei Jahre intensiv mit Dir zusammen arbeiten
– und dabei jede Menge lernen. Du traust mir ganz viel
zu – und ich erlebe staunend, wie viel Energie bei mir
dadurch frei gesetzt wird. Ein ganz besonderes spirituelles
Erlebnis ist unsere erste Vorstandsklausur im Januar 1996
im Kloster Bursfelde; zum Tagesabschluss singen wir in der
Kirche unter dem geöffneten Himmel der Gnade Gottes…
Und so könnte ich immer weiter erzählen von der Vorbereitung vieler ÖAE-Veranstaltungen und Jahreshauptversammlungen, von intensiven Gesprächen mit Dir und
von Deiner Gastfreundschaft. Andreas, es ist ein Geschenk
für mich, dass es Dich gibt!
Deine Margit (Margit Skopnik-Lambach)
Lieber Andreas,
ich freue mich über unsere psycho-spirituelle Enneagramm-Kooperation und hoffe, dass sie noch viele Früchte
tragen wird. Mit herzlichem Gruß und den besten Wünschen zum Geburtstag.
Deine Marianne (Maria-Anne Gallen)
50 EnneaForum 41 – Mai 2012
Andreas, du hast früh erkannt, wie hilfreich und unterstützend das Enneagramm für uns Menschen sein
kann und hast das erste Buch in deutscher Sprache
geschrieben. Ja, zwar mit Richard’s Unterstützung, aber er
hat mir selber gesagt, dass du der Motor und Hauptautor
gewesen bist. Ich möchte dir für deinen so umfassenden
Beitrag für die Enneagrammwelt bedanken und gratuliere
Dir herzlich zu deinem 60. Geburtstag. Nun darfst Du Dich
als Weiser fühlen, auch wenn Du es lange vorher warst.
Herzliche Grüße, Pamela Michaelis
Through his writing, teaching, and role in the founding of
the International Enneagram Association (IEA), Andreas
Ebert has had a profound impact on the Enneagram
community worldwide, and by extension an impact on the
world at large. On behalf of the IEA board of directors and
membership at large, we offer our gratitude for his contribution and our best wishes on his birthday.
Mario Sikora
President, IEA Board of Directors
Durch sein Schreiben, Lehre und seine Rolle als Mitgründer der International Enneagram Association (IEA), hat
Andreas Ebert die weltweite Enneagrammgemeinschaft tief
geprägt und darüber hinaus die Welt an sich. Im Namen
des Vorstandes und der Mitglieder der IEA, sprechen wir
unsere Dankbarkeit und unsere herzlichen Glückwünschen
für seinen 60. Geburtstag aus.
Mario Sikora
Präsident, IEA Vorstand
Seit fünfunddreißig Jahren erfüllt Andreas das Haus
unserer Freundschaft mit seiner herzlichen Zuneigung
und belebt es mit seinen unglaublich vielen Talenten und
Gaben. Er ist für mich da als gewitzter Inspirator, einfühlender Unterstützer, hinreißender Motivator, unerschöpflicher Impulsgeber, mein großer Pilgerbruder auf dem Pfad
des Herzensgebetes und instinktsicherer Mitstreiter für
ein erfahrungsbezogenes, nonduales Christentum im 21.
Jahrhundert. Ein wunderbarer Emmausgefährte, dessen
Liebe zu Jesus jede Geisteswanderung erhellt und dem ich
unendlich viel verdanke. Kurz: Ein Geschenk des Himmels!
Marion Küstenmacher
(Siehe Bild oben)
Als es noch keine Computer gab und wir Noten noch mit
der Hand schrieben, Texte mit der Schreibmaschine und
Verzierungen mit Letraset-Buchstaben, als Tiki Küstenmacher schon zeichnete, aber noch nicht berühmt war, als
hierzulande kein Mensch was vom Enneagramm wusste,
da saßen wir schon beisammen und sangen. Heute staunen
wir, was alles geworden ist. Alles Gute zum Eintritt ins 7.
Lebensjahrzehnt, Andreas!
Hans N.
Ich erinnere mich sehr gern an das wohl erste Ost-Enneagramm-Seminar in Meißen, an „Enneagramm und Siritualität“ in Wittenberg... Du hast mich mit dem Schwanberg
und Dietrich Koller bekannt gemacht...
Vielen, vielen Dank, Andreas! Bleib behütet und gesegnet!
Cordula Hubrig
Lieber Andreas,
ich denke sehr gern an die Zeit zurück, in der wir zusammen im Gemeindekolleg der VELKD gearbeitet haben.
Danken möchte ich Dir dafür, dass ich durch Dich die
Möglichkeit bekommen habe, für den ÖAE zu arbeiten, was
mir immer noch sehr gut gefällt. Ich wünsche Dir alles Gute
und freue mich auf ein Wiedersehen in Hünfeld.
Eveline
Lieber Andreas,
Danke für Deinen Schalk im Nacken, für Deine natürliche
Art, für Dein offenes auf-andere-zugehen, für Dein dichberühren-lassen, Deinen Tiefgang und Deinen ab und zu
sturen Kopf oder - ich könnte auch sagen - Deine eindeutige Meinung.
Herzlichst und alles Gute für den nächsten Lebensjahrzehnte.
Justine
Andreas Ebert hat mir geholfen aus meinem engen spirituellen Denken in eine befreiende Weite zu kommen.
Seine offene, liebevolle Art hat mir immer gut getan.
Man merkt ihm an, daß wie er ist und wie er handelt aus
einem offenen, liebevollen Herzen kommt,
daß den Menschen und Gott zugewandt ist.
Werner Lambach
For Andreas:
„I knew you were a soul brother from that meeting long ago
in California. Thank you for the good times and for your
invitation to meet your people, now very dear to me also.
See you soon, and happy birthday.
Fondly, Suzanne Zuercher
EnneaForum 41 51
Termine 2012
Im folgenden die Enneagramm-Angebote der kommenden Monate. Genauere Angaben
finden Sie im Internet unter www.enneagramm.eu. In Klammern sind die Leiter genannt,
deren Kontaktdaten finden Sie auf Seite 55.
Juni
1.–3.6.2012
9.6.2012
14.–17.6.2012
15.–17.6.2012
17.6.2012
29. +30.6.2012 29.6.–1.7.2012
Juli
13.+14.7.2012
14.7.2012
14.7.2012
30.7.–3.8.2012
21.7.2012 August
3.–10.8.2012 17.–23.8.2012 31.8.–2.9.
September
10.–14.9.2012
14.–16.9.2012:
22.9.2012 28.–29.9.2012
30.9.2012 Oktober
5.–7.10.2012 7.–12.10.2012
25.–28.10.12
26.–28.10.2012
26.–28.10.2012
52 EnneaForum 41 – Mai 2012
Wie gehen wir positiver und liebevoller miteinander um? – Mit Hilfe des Enneagramms
Beziehungen gestalten, Lebenshaus Osterfeld (Margit Skopnik-Lambach)
Zusammenarbeit im Team verbessern (Gaby Schramm)
ÖAE-Jahrestagung im Bonifatiuskloster Hünfeld bei Fulda
Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm in Hünfeld (Margit Skopnik-Lambach)
Enneagramm und Gebet mit Sr. Suzanne Zuercher, Spirituelles Zentrum St. Martin
(Andreas Ebert)
Seminar für Einser (Gabriela v. Witzleben)
Enneagramm live in Weimar (Claudia Burgardt)
Enneagramm II Das Prozessmodell, Spirituelles Zentrum St. Martin, München (Andreas
Ebert und Wolfgang Zink)
Verletzlichkeiten/Kränkungen und ihre Auflösungen – der Weg zur Heilung und inneren
Aussöhnung im Enneagramm, Aufbauseminar, Türkenfeld (Maria-Anne Gallen)
Subtypen im Enneagramm , Fortsetzungstermin III in Bremen (Doris Wetzig)
Das Enneagramm: Strukturen und Ent-Wicklungen, Internationale FocusingSommerschule, bei Lindau, Dt. Ausbildungsinstitut für Focusing und Focusing-Therapie (www.
focusing-daf.de) (Karin und Hans Neidhardt)
Seminar für Neuner (Gabriela v. Witzleben)
Professional Training Enneagramm &Aufstellungen (Gabriela v. Witzleben)
Sommerseminar in Konstanz (Gabriela v. Witzleben)
Motivieren und Führen durch Menschenkenntnis. Ein Einführungskurs nur für Frauen
(Doris Wetzig)
„Ich bin so und Du ganz anders – das ist okay!“ – Wie das Enneagramm Beziehungen
leichter macht, Bildungsstätte St. Bonifatius (Margit Skopnik-Lambach)
Enneagramm-Aufbaukurs zum Thema „Umgang mit Aggressionen aus biblisch-christlicher Sicht“, Geistliches Zentrum, Cham (Wally Kutscher)
Seminar für Neuner (Gabriela v. Witzleben)
Enneagramm-Einführungskurs (Julia Çiçekli)
Sich selbst und Andere besser verstehen. Ein Einführungstag ins Enneagramm im Heilhaus in Kassel (Werner Lambach)
Enneagramm & Systemisches Coaching (Gabriela v. Witzleben)
Was ist das Enneagramm? Vertiefungskurs, Campo Rasa (Ruth Maria Michel, FriedrichKarl Völkner, Cornelia und Peter Flückiger)
Das weibliche und das männliche Prinzip im Enneagramm, Bildungszentrum St. Bernhard, Wiener Neustadt, Kontakt: Peter Maurer (p.maurer@edw.or.at) (Karin und Hans
Neidhardt)
TTT-Training für Ennegramm-Lehrer und -Trainer, Bonifatiuskloster Hünfeld
Ich bin anders - du auch? Wertschätzende Kommunikation in der Partnerschaft, Theodor-Schwartz-Haus Travemünde-Brodten (Doris und Klaus Wetzig)
November
1.–4.11.2012
2.–3.11.2012
2.–4.11.12
2.–4.11.2012
8.–11.11.2012
9.–10.11.2012
9.–11.11.2012 9.–11.11.2012
20.10.2012 23.–25.11.2012 30.11.–2.12.2012
Dezember
1.12.2012 14.–15.12.2012
Stirb und Werde - die persönliche Identität im Wandel. Drei Tage mit Theater
und anderen Ausdrucksmitteln, dem Enneagramm, Achtsamkeitsübungen und
Ritualarbeit. Connection-Haus Niedertaufkirchen (Maria-Anne Gallen und Wolf
Schneider)
Enneagramm-Einführungsseminar, VHS Menden (Julia Çiçekli)
Enneagramm live: Charaktermuster, Raum Aachen. Kontakt: Ulla Welzel (rainulla@
web.de) (Karin und Hans Neidhardt)
Das Enneagramm in Liebe und Arbeit (Edith Mause)
„In Beziehung zu mir und anderen“, Kohren-Sahlis (Heike Heinze und Roberto
Schreiber)
Enneagramm-Fortführungskurs, VHS Dortmund (Julia Çiçekli)
Die Tafelrunde – Enneagramm f. Entdecker* (Gabriela v. Witzleben)
Enneagramm live in Weimar (Claudia Burgardt)
Experimentaltag (Gabriela v. Witzleben)
Das Enneagramm in Beziehungen (Gabriela v. Witzleben)
Neun Wege zu sich selbst. Einführung ins Enneagramm (Dr. Roland Liebsch)
Seminar für Neuner (Gabriela v. Witzleben)
Das Enneagramm und unser Seelenkind – Enneagramm-Aufbauseminar in St.
Martin, München (Maria-Anne Gallen)
2013
Februar
1.–2.2.2013
1.–3.2.13
30.9.2012 Enneagramm-Fortführungsseminar, VHS Menden (Julia Çiçekli)
Enneagramm live: Kontaktmuster, Marburg. Kontakt. Kathrin Otten (kathrin@inkontakt.de) (Karin und Hans Neidhardt)
Sich selbst und Andere besser verstehen. Ein Einführungstag ins Enneagramm im
Heilhaus in Kassel (Werner Lambach)
27.2.–3.3.13 + 25.-28.4.13 + 13.-16.6.13 + 25.-28.7.13 Enneagramm-Intensivtraining, Hirschberg (bei Heidelberg) www.hans-neidhardt.de (Karin und Hans Neidhardt)
Mai
31.5.–2.6.2013
Juli
5.-7.7.13
September
30.9.2012 ÖAE-Jahrestagung 2012 in Rothenburg o.d. Tauber
Innehalten. Was bewegt mich denn? Hofheim/Taunus. Veranstaltung des Netzzwerks Enneagramm (www.netzwerk-enneagramm.de ) (Karin und Hans Neidhardt)
Sich selbst und Andere besser verstehen. Ein Einführungstag ins Enneagramm im
Heilhaus in Kassel (Werner Lambach)
TTT-Vorankündigung
bitte Termin vormerken
Vom 26.–28.10.2012 findet das nächste TTT-Training für
Ennegramm-Lehrer und -Trainer im Bonifatiuskloster
Hünfeld zum Tema Subtypen statt.
WEITERBILDUNG
ENNEAGRAMMTRAINER/IN
(ÖAE) 2012–2013
Kurs 2: 07.11.2012 – 11.11.2012
Kurs 3: 17.04.2013 – 21.04.2013
Kurs 4: 02.10.2013 – 06.10.2013
Weitere Infos unter www.enneagramm.eu
EnneaForum 41 53
Gesprächskreise und Enneagrammtrainer
Ökumenischer Arbeitskreis Enneagramm e.V.,
Geschäftsstelle : Eveline Schmidt, Wehlstr. 23, 29221 Celle, Tel./Fax : (0 51 41) 4 22 34, info@enneagramm.eu, www.enneagramm.eu
Regionale Gesprächskreise
Raum Aachen:
Gisela Engel/Regina Walz
Josefstr. 10
52477 Alsdorf
Tel. 02404/556428
gengel@gmx.de
Duisburg:
(Treffen einmal monatlich)
Herbert Friedrich
Innsbrucker Allee 40
47249 Duisburg
Tel. 0203/70 40 34
München:
Dr. Holger Forssman
Preysingplatz 1
81667 München
Tel 089 / 44 44 98 54
holger.forssman@elkb.de
Raum Ahrensburg/
Hamburg-Nord:
Doris Wetzig
Diekskamp 3 h
22949 Ammersbek
Tel. (040) 60 55 92 96
dw@doris-wetzig.de
Raum Göttingen:
Inge und Ludger Temme
37139 Adelebsen
Tel. 0 55 06 – 76 44 62
ludger.temme@enneagramm.eu
Münster:
Adelheid Weller
Keltenweg 44
48167 Münster
Tel. 0251 / 624163
adelheidweller@web.de
Hamburg:
Pamela Michaelis
Isestr. 55
20149 Hamburg
Tel. 040/4 80 80 99
pamela@gainpower.de
Raum Bad Vilbel:
Marianne Nitsche
Vogelsbergstr. 8
61184 Karben
Tel. 06039/3700
inmavoma.nitsch@t-online.de.
Raum Karlsruhe
Gudrun Dallmann
Steingassweg 24a
76356 Weingarten
Tel. 07244/609740
gudrun.dallmann@t-online.de
Raum Bielefeld:
Friedrich-Karl Völkner
Tel. (0 52 01) 30 87
friedrich-karl.voelkner@enneagramm.eu
Raum Bodensee:
ca. alle 6 Wochen.
Gabriela v. Witzleben
Mannheimer Str. 22
78467 Konstanz
gabriela@von-witzleben-coaching.de
www.von-witzleben-coaching.de
Tel. 07531-7 26 04 87
Mobil: 0171-42 11 462
Kassel:
Werner u. Heidrun Lambach
Am Heilhaus 1
34127 Kassel
Tel. 0561-98326-352
Werner_Lambach@t-online.de
Buchen/Odenwald
Dr.med.Peter Scharf
Am Ring 7
74722 Buchen
Tel. (0 62 81) 565833
www.enneagramm-buchen.de
psychotherapie_scharf@
t-online.de
Dortmund:
in geraden Monaten am 2. Donnerstag ab 19.30 Uhr bei
Julia Çiçekli
Bergmeisterstraße 15b
44269 Dortmund
Tel. (0231) 4772030
julia_ci@web.de
54 EnneaForum 41 – Mai 2012
Köln
Maria Gerassimez
Moorbacher Str. 50
50935 Köln
maria.gerassimez@gmx.net
Wir treffen uns einmal im
Monat Freitags um 19 Uhr.
Marburg:
Margit Skopnik-Lambach
Pfingstweide 25
35043 Marburg
Tel. 06424-9430470
margit.lambach@gmx.de
Reutlingen:
(Offene Gruppe, jeweils am 3.
Mittwoch im Monat, 19.30–22
Uhr, im Kath. Bildungswerk,
Schulstr. 28, 72764 Reutlingen)
Gisela Eichner
Eichhaldestraße 75
72574 Bad Urach
Telefon: 07125 – 65 09 81 6
eichner.gisela.gmx.de
Raum Berlin:
Treffen einmal monatlich
Ralf Winkler,
Mobil-Nr. 0173 52 54 003.
Raum Wiesbaden
Enneagramm Wiesbaden,
Arbeitsgruppe mit Pfr. i.R.
Dr. Michael Th. Schulz,
Treffen in der Regel am letzten
Donnerstag eines Monats.
Genaue Termine und Ort bitte
erfragen bei Marianne Münch
Tel. 0611 / 37 19 06
Ulm
Ruth Scheftschik
Therapeutin der Logotherapie
und Existenzanalyse
Albecker Steige 112
89075 Ulm
Tel: (0731) 266925 od. (0731)
8001703
rs.praxis@gmx.de
Ein Gesprächskreis besteht bislang noch nicht, ist jedoch beabsichtigt. Haben Sie Fragen zum
Enneagramm, stehe ich Ihnen
als Ansprechpartnerin gerne zur
Verfügung.
Passau
Kontakt: Dr. Roland Liebsch,
Tel.: (0851) 75 63 90 75
Wir treffen uns am letzten
Sonntag im Monat um 17
Uhr beim diakonischen Werk,
Nikolastr. 12 d, 94032 Passau.
Anschließend um 19 Uhr
nehmen wir am alternativen
Gottesdienst Matthäus am
Abend teil.
Tessin (CH):
Ruth Maria Michel
Kurs- und Ferienzentrum
VBG Casa Moscia
CH-6612 Ascona
Tel. 0041 (0)91 791 29 44
ruth.michel@bibelgruppen.ch
Toggenburg (CH) und
Umgebung: monatliches
Treffen in ungezwungener
Atmosphäre im Wohnzimmer.
Ruth Niederbäumer
Waisenhausstrasse 17
9630 Wattwil, CH
Tel. (071) 988 76 00
r.niederbaeumer@bluewin.ch
Raum Zürich:
Ludwig Zink
Theseacher Str. 50
CH-8126 Zumikon
Tel. 0041/043 288 08 30
ludwig_zink@yahoo.de
Adressliste Enneagrammtrainer (Genaueres unter www.enneagramm.eu)
Marie-Luise Abraham
Bergstr.9, 49565 Bramsche
Tel.:05461/1896
marieluise.abraham@gmx.de
Brigitte Beyer
NLP Trainerin und Coach (DVNLP), Enneagrammtrainerin (IPE)
Holtruperstr. 43, 48308 Senden
Tel. (0 25 97) 17 12, Fax (0 25 97) 9 67 07
mail@beyer-brigitte.de
www.beyer-brigitte.de
Michaele Casselmann Dipl. Psych., Dipl.
Theol., Europ. Zertifikat für Psychotherapie
Norbert Lomb, Pfarrer, Europ. Zertifikat für
Psychotherapie
Kasseler Str. 28, 37247 Großalmerode
Tel. 05604-6389
NorbertLomb@gmx.net
Çiçekli, Julia (ehemals Wendzinski)
Enneagramm-Trainerin (ÖAE)
Bergmeisterstraße 15b, 44269 Dortmund
Tel. 0231/4772030
julia_we@web.de
Andreas Ebert
Spirituelles Zentrum St. Martin
Arndtstr. 8, 80469 München
info@stmartin-muenchen.de
Tel. 089 20244294
www.stmartin-muenchen.de
Gisela Eichner
Erwachsenenbildnerin und Lektorin
Eichhaldestraße 75, 72574 Bad Urach
Telefon: 07125 – 65 09 81 6
eichner.gisela.gmx.de
Rainer Fincke
und Ulla Peffermann-Fincke
Dummersdorfer Str. 2a, 23569 Lübeck
Tel. (04 51) 30 42 92
Gotthard Fuhrmann
Supervisor, DGSv
Winzerstraße 82 A, 01445 Radebeul
Tel. (03 51) 8 30 13 68 gotthard.fuhrmann@arcor.de.
Maria-Anne Gallen
Dipl.-Psych., Psychol. Psychotherap., Praxis
Laubanerstr. 1 a, 82205 Gilching
Tel. 08105 77 77 37, Fax. 08105 77 77 38
MAGallen@web.de, www.gallen-praxis.de
Sabine Gramm
Dipl.-Betriebswirtin (FH), Kommunikationstrainerin
ProGramm Kommunikationstraining
Epernayer Str. 8, 76275 Ettlingen
Tel. 07243-330656, Fax 07243-330657
info@pro-gramm.de, www.pro-gramm.de
Gündel/Moore EnneagrammWorks
S6,25, 68161 Mannheim
Tel./Fax (06 21) 1 44 49
juergen.guendel@freenet.de
www.enneagrammportal.de
Franz Habig
Zert. Enneagrammtrainer
Schloss Beuggen 5, 79618 Rheinfelden
Tel. (0 76 23) 9669946
habigfranz@gmx.de
Heike Heinze
Heike Heinze, Dipl. Religionspädagogin,
Enneagrammtrainerin (ÖAE)
Am Graßdorfer Wäldchen 71, 04425 Taucha
Tel. (03 42 98) 1 43 59
heike.heinze@enneaforum.de
Sr. Marie-Helene Hübben MSC
Westfalenstraße 109, 48164 Hiltrup/Münster
Tel. (0 25 01) 173000 (Missionsschwestern)
maria@cplusnet.de
Barbara Hugentobler-Rudolf/
Gustav Etter VDM
Lettenstr. 3, CH-8126 Zumikon/ZH
Tel. +41.44.918.05.88, FAX +41.44.918.21.49,
b.m.hugentobler@bluewin.ch
Dr. Samuel Jakob
Halden 132, CH 5728 Gontenschwil
Tel. 0041 (0)62 773 13 31, Fax (0)62 773 82 68
samuel.jakob@bluewin.ch;
Dipl. Päd. Johanna Jesse-Goebel
Sauerbruchstr. 12, 45470 Mühlheim/Ruhr
Tel. (02 08) 38 10 56, Fax 38 10 57
praxis@jesse-goebel.de
www.praxis-jesse-goebel.de
Arno Kohlhoff
Dipl.-Psychologe, Psychotherapie –
Coaching/Supervision – Enneagramm
Salzstadelplatz 5, 92224 Amberg
Tel. (0 96 21) 37 29 77, arno.kohlhoff@gmx.de.
Justine Krause
Beratung–Supervison–Coaching–Seminare
Niendorfer Kirchenweg 5e, 22459 Hamburg
Tel. (0 40) 58 80 09
justinekrause@t-online.de
Hans Neidhardt
und Karin Kunze-Neidhardt
Gartenstr. 8, 69493 Hirschberg
Tel. (0 62 01) 18 68 05 (H.N.), Fax 18 68 06
www.hans-neidhardt.de
info@hans-neidhardt.de
Tel. (0 62 01) 50 72 78 (K. K.-N.), Fax 50 72 99
www.mensch-und-system.de
info@mensch-und-system.de
Hans Peter & Anna Maria Niederhäuser
Obere Hardstrasse 16, CH-8570 Weinfelden
Tel. 0041 71 622 43 01
niemail@sunrise.ch
http://niederhaeuser.jimdo.com
Dr. med. Peter Scharf
Psychiatrie, Psychotherapie,
Enneagrammtrainer (ÖAE)
Am Ring 7, 74722 Buchen
Tel. (0 62 81) 56 58 33
peter.scharf@gmx.org
Marcel Sonderegger
Zert. Enneagrammausbildner, Psychologe
FSP, Coaching, Einzel- und Paarberatung,
Küferweg 6, CH-6207 Nottwil,
Tel. 0041 (0)41937 1247;
marcel.sonderegger@bluewin.ch
Friedrich-Karl Völkner
Enneagramm-Trainer (ÖAE), Halle/
Westfalen, Evangelischer Pfarrer,
Bibliodramaleiter (ZHL),
Tel. 05201-3087, Fax -849634
friedrich-karl.voelkner@enneagramm.eu
Heidi von Wedemeyer
Burgenring 40, 76855 Annweiler,
Tel. 06346/3849
Wally Kutscher
Enneagramm-Trainerin (ÖAE)
Königsberger Str. 7, 93413 Cham
Tel. 09971/32541
wallykutscher@freenet.de
Dipl.-Päd. Gerald Weidner
Im Kammerfest 3
63628 Bad Soden Salmünster
Tel. ( 0 66 60) 17 42
Weidner.SJH@t-online.de
Werner Lambach
Am Heilhaus 1, 34127 Kassel
Tel. (05 61) 9 83 26-352
Werner_Lambach@t-online.de
Doris Wetzig
Enneagramm-Trainerin (ÖAE)
Diekskamp 3 h
22949 Ammersbek (U-Bahn: Hoisbüttel)
Tel. (040) 60 55 92 96
dw@doris-wetzig.de
Margit Skopnik-Lambach
Enneagramm- und Bibliodrama-Kurse
Pfingstweide 25, 35043 Marburg
Tel. 06424-9430470
margit.lambach@gmx.de
Dagmar Levsen
Enneagramm Trainerin, Typisierung
Gothastr. 46, 53757 Sankt Augustin
Tel./Fax (0 22 41) 33 22 54
dalevsen@gmx.de
Pamela Michaelis
zert. Enneagrammlehrerin,
Supervisorin, Trainerin
Isestrasse 55, 20149 Hamburg
Tel. (0 40) 4 80 80 99, Fax (0 40) 4 80 17 87
pamela@gainpower.de
Carola Modrejewski
Enneagramm-Trainerin (ÖAE), Lebenswerkstatt, Bergsteinweg 25a, 31137 Hildesheim
Tel. (0 51 21) 6 98 61 55
www.lebenswerkstatt-seminare.de
info@lebenswerkstatt-seminare.de
Gabriela v. Witzleben
HP f. Psychotherapie,
Praxis: Am Seerhein 6, 78467 Konstanz
Tel. Praxis (0 75 31) 7 26 04 87,
Mobil 0171-42 11 462
www.von-witzleben-coaching.de
gabriela@von-witzleben-coaching.de
www.systemische-enneagrammforschung.de, institut@systemischeenneagrammforschung.de
Mannheimer Str. 22, 78467 Konstanz
Ludwig Zink
Thesenacher 50, CH-8126 Zumikon
Tel. 0432880830, Nat: 0796456296
l.zink@ggaweb.ch
55
Reise
Das Neue suchend,
immer eilen
von Stadt zu Stadt,
von Frau zu Frau,
so kannst du unbeirrt der Alte bleiben.
Das Neue kommt ja
aus der Fremde auf dich zu.
Doch willst du selbst verändert werden,
dann wage treu zu bleiben einer Stadt,
treu einer Frau.
Die Stadt prägt sich den Augen,
den Ohren und den Beinen ein.
Die Frau zwingt dich im Streit
und in der Liebe,
ein ganzer Mann zu sein,
voll Kraft und Elend.
Und Kinder – nichts verändert dich wie sie.
Ich eile weiter durch die Räume
und finde überall und ewig
den selben alten,
grauen Mars.
Stille
Ich traf in einem fernen Lande
vier Männer, die das Schweigen übten.
Sie saßen friedlich in der Stube,
strickend und lesend hier
kochend und betend dort.
»Warum gemeinsam?«,
fragte ich den ersten.
»Geht Stille nicht viel leichter
und viel gründlicher allein?«
Als Antwort gab er mir ein Lächeln.
Den zweiten fragte ich dasselbe.
Er lächelte genauso.
Doch er gab mir auch ein Tässchen Tee.
Der dritte war nicht anders aufgelegt.
Von ihm bekam ich eine Scheibe Brot.
Der vierte aber nahm mich bei der Hand
und führte mich vors Haus hinaus.
Er zeigte mir den Himmel
und die Berge und das Meer.
Von diesem Haus aus konnte ich
das alles wunderbar erblicken.
Wenn ich ihn recht verstand,
dann sagte er mir mit den Händen:
Alleine bleibst du auf der Suche.
Die Welt ist ja unendlich groß.
Hast du hingegen Freunde,
die das Schweigen lieben,
lass dich mit ihnen friedlich nieder.
Gemeinsam wortlos löst ihr
die großen Rätsel dieser Welt.
Aus: »Marslandschaften«, Dr. Holger Forssman
56 EnneaForum 41 – Mai 2012