Pressetexte FAUST 2016
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Pressetexte FAUST 2016
Deutscher Theaterpreis DER FAUST 2016 Die Nominierten Regie Schauspiel Frank Castorf Marta Górnicka Tom Kühnel/Jürgen Kuttner S. 2 Darstellerin/Darsteller Schauspiel Kathrin Angerer Franz Pätzold Edgar Selge S. 5 Regie Musiktheater Jochen Biganzoli Paul-Georg Dittrich Peter Konwitschny S. 7 Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater Nicole Chevalier Kangmin Justin Kim Ewa Wolak S. 10 Choreografie Alexander Ekman Yuki Mori Christoph Wieland S. 13 Darstellerin/Darsteller Tanz Tyler Schnese Aoalii Naughton Tapu Max Zachrisson S. 15 Regie Kinder- und Jugendtheater Liesbeth Coltof Andrea Maria Erl Markolf Naujoks S. 17 Bühne/Kostüm Achim Freyer David Hohmann Florian Lösche S. 20 Regie Schauspiel Frank Castorf Nominiert für seine Inszenierung „Die Gebrüder Karamasow“ an der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz Berlin Koproduktion der Wiener Festwochen & der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin Geboren 1951 in Ost-Berlin, studierte Frank Castorf Theaterwissenschaft an der HumboldtUniversität in Berlin und hatte ein erstes Engagement als Dramaturg am Theater Senftenberg. Später arbeitete er als Regisseur am Stadttheater Brandenburg, 1981 bis zur politisch motivierten fristlosen Kündigung 1985 war er Oberspielleiter am Theater Anklam. In den folgenden Jahren inszenierte er an Stadttheatern der DDR, seit 1988 auch in der Bundesrepublik und der Schweiz. Von 1990 bis 1992 war er Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin. Seit der Spielzeit 1992/93 ist Frank Castorf Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Er schuf seither dort sowie als Gastregisseur über 100 Inszenierungen, dazu die Verfilmungen seiner Inszenierungen von Dostojewskis „Dämonen“ und „Der Idiot“. 2013 inszenierte er zum 200. Geburtstag Richard Wagners bei den 102. Bayreuther Festspielen den „Ring des Nibelungen“ (Musikalische Leitung: Kirill Petrenko). Frank Castorfs Vertrag als Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz läuft bis ins Jahr 2017. Seine Inszenierungen werden regelmäßig zu Gastspielen und Festivals weltweit eingeladen. Seine Arbeit als Intendant und Regisseur wurde vielfach ausgezeichnet; mehrere seiner Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Frank Castorf ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Im Januar 2015 löste seine „Baal“-Inszenierung am Münchner Residenztheater einen Urheberrechtsstreit aus. Frank Castorf läuft gegen Ende seines Schaffens an der Berliner Volksbühne noch einmal zur vollen Form auf. Alle Instrumentarien, wie intelligente Dekonstruktion, Kombination begleitender Texte, Video-Slapstick und vieles mehr, fügt er nachvollziehbar in den SechsStunden Abend ein. Eine Werkschau seines Schaffens, die trotz der Länge wie ein Filtrat wirkt und dennoch die Geschichte der Brüder Karamasow eindringlich erzählt. Auffällig an dieser Inszenierung ist, dass sie deutlich weniger mit bloßen Effekten hantiert, wie man das bei Castorf zuweilen sehen konnte. Die Inszenierung steht exemplarisch für die Arbeitsweise des Regisseurs, indem sich die Schauspieler mit exzessivem physischem Einsatz den Zuständen der Figuren nähern und damit eine große Nähe zur Textvorlage erreichen. Marta Górnicka Nominiert für ihre Inszenierung „M(other) Courage“ am Staatstheater Braunschweig Marta Górnicka ist Regisseurin und Sängerin, Absolventin der Fakultät für Regie der Theaterakademie Aleksander Zelwerowicz, der Musikhochschule Frédéric Chopin in Warschau, der Warschauer Universität und der Staatlichen Schauspielschule in Krakau. Sie arbeitete unter anderem mit Robert Wilson an seiner Warschauer Inszenierung „Symptome / Akropolis“ von Gabriella Maione und Stanislaw Wyspiański. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie mit dem Warschauer Theaterinstitut Zbigniew Raszewski und entwickelte ihr eigenes Konzept eines Chor-Theaters. 2010 gründete sie mit Unterstützung des Warschauer Theaterinstituts den „Chor der Frauen“, mit dem sie ihre Form des chorischen Theaters weiterentwickelte. Die erste Inszenierung „Hier spricht der Chor“ hatte im Juni 2010 in Warschau Premiere. 2011 folgte ihre Inszenierung „Magnificat“. Marta Górnicka gastierte mit ihren Inszenierungen weltweit. Ihre Inszenierungen „Magnificat“ und „Requiemachine“ wurden u. a. im Rahmen des europäischen Festivals „Foreign Affairs“ in Berlin (2014), beim 2 „SPRING Performing Arts Festival“ in den Niederlanden sowie beim „Mess Festival“ in Sarajewo gezeigt. Mit ihrer Arbeit „Magnificat“ gewann Marta Górnicka zahlreiche Preise. Ihre Arbeit mit dem Titel „Mother Courage won´t remain silent. A chorus for awar time“ hatte im Dezember 2014 im Museum für Moderne Kunst in Tel Aviv Premiere. Marta Górnicka vereinte für diese Inszenierung 60 sowohl arabische als auch jüdische Mütter, israelische Tänzer im Kriegsdienst und arabische Kinder in ihrem Chor. Ästhetisch auch beeinflusst durch eine Assistenz bei Robert Wilson, entwickelte die junge polnische Regisseurin ein ganz eigenes Konzept eines modernen Chortheaters, bevorzugt für Frauen – eine Theaterform, für die sie ein eigenes Vokal- und Aktionstraining erfand. Ihre Produktionen zeigt sie weltweit. Marta Górnicka wurde bereits mehrfach ausgezeichnet – zuletzt beim Festival „Fast Forward“ am Staatstheater Braunschweig. „M(other) Courage“, eben dort entstanden, ist eine hoch beeindruckende, sprachlich perfekte Arbeit mit sechs Schauspielerinnen und 17 weiblichen Laien zum Thema Krieg. Diese Inszenierung zeigt eine neue Form der Bürgerbühne – gerade auf dem Gebiet der Sprache, das oft als Schwachstelle der Arbeit mit Bürgern gesehen wird. Sie zeigt die Bereicherung, die unser deutsches Theatersystem durch Künstler aus anderen Ländern erfährt, rückt eine Regisseurin in den Fokus, deren Arbeit gerade angesichts der neuesten Entwicklungen in ihrem Heimatland dort durchaus umstritten ist und die sich beispielhaft gesellschaftlich engagiert. Tom Kühnel / Jürgen Kuttner Nominiert für ihre Inszenierung „Der Auftrag“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Eine Produktion des Staatsschauspiel Hannover in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Tom Kühnel wurde 1971 in Cottbus geboren. Von 1992 bis 1996 studierte er Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Schon während des Studiums bildete er mit Robert Schuster ein Regie-Team und arbeitete auch mit der Puppenspielerin Suse Wächter zusammen. 1994 erhielten Kühnel/Schuster den Friedrich-Luft-Preis. Danach inszenierten beide in Berlin und Frankfurt am Main. 1998 begannen sie, gemeinsam mit Soeren Voima, Klassiker zu bearbeiten und eigene Stücke zu schreiben. Von 1999 bis 2002 übernahm Tom Kühnel mit Robert Schuster und Bernd Stegemann die künstlerische Leitung des Theaters am Turm (TAT) in Frankfurt. Seit 2000 inszeniert er solo. Seit der Spielzeit 2009/10 ist Tom Kühnel Hausregisseur am Schauspiel Hannover, wo er die Uraufführung von „Götter, Kekse, Philosophen“ sowie „Helden des 20. Jahrhunderts“ und „Alkestis“ inszenierte. Es folgte „Bauern, Bonzen, Bomben“, die Komödie „Schöne Bescherungen“ von Alan Ayckbourn, das Projekt „Die Französische Revolution - born to die“ sowie die Komödie „Der Vorname“, „John Gabriel Borkman“ und „Torquato Tasso“ in der Spielzeit 2014/15. Jürgen Kuttner wurde 1958 in Ost-Berlin geboren. Er ist Kulturwissenschaftler und freier Kunstschaffender. 1987 promovierte er an der Humboldt-Universität Berlin. Bis 1989 war er beim Verband Bildender Künstler der DDR beschäftigt. 1990 war Kuttner maßgeblich an der Gründung der Ostausgabe der „tageszeitung“ beteiligt, für die er bis 1992 arbeitete. Neben seiner langjährigen Tätigkeit als Moderator des Rundfunksenders Fritz (RBB) tritt der Performer auf deutschen Theaterbühnen vom Wiener Burgtheater bis zum Schauspiel Köln mit seinen Videoschnipselabenden auf, die er seit 1996 an der Berliner Volksbühne zeigt. Ihn verbindet eine enge Arbeitsbeziehung mit Tom Kühnel, mit dem er u.a. am Theater Basel und am Deutschen Theater Berlin zusammen inszenierte und am Schauspiel Hannover „Götter, Kekse, Philosophen“ sowie „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ erarbeitete. In der Spielzeit 2010/11 inszenierte er am Schauspiel Hannover „die bunte Kunst-Wut-Show Kunst wird woanders gebraucht, als wo sie rumsteht“ und 2011/12 seine analytische Hitparade „Kollateralschlager“. Es folgte die Polit-Operette „Ein Staat, ein guter Staat“ nach Motiven 3 von Jura Soyfers Astoria. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner arbeiten seit mehreren Jahren als Regieteam, u.a. am Deutschen Theater Berlin, am Schauspiel Hannover und am Münchner Residenztheater. Die jüngere (deutsche) Geschichte als Show – so ließen sich ihre Arbeiten auf einen (einfachen) Nenner bringen. „Die Toten sind anwesend, wenn die Lebenden agieren“, sagte Heiner Müller einmal. In ihrer gefeierten Inszenierung „Der Auftrag“ nehmen Kühnel und Kuttner diese These Müllers ernst, indem sie den Mitschnitt einer Lesung des „Auftrags“ durch den Autor selbst zur Grundlage der Aufführung machen. Dazu entfesseln sie ein melancholischskurriles Revolutionskabarett, in dem die Darsteller weitgehend stumm agieren. Dadurch erhalten die wenigen Momente, in denen sie doch sprechen, besonderes Gewicht. Heiner Müllers „Erinnerung an eine Revolution“ (so der Untertitel des Stücks) wird bei Kühnel/Kuttner eine Erinnerung an den Autor selbst und darüber hinaus an die versuchten und gescheiterten Revolutionen des 20. Jahrhunderts – und zwar nicht als müder Abgesang, sondern als überwältigender und inspirierender Assoziationsrausch. Ein Kritiker schrieb über die Aufführung: „Der witzigste und authentischste Müller, den es je zu sehen gab“. Dem ist nichts hinzuzufügen. 4 Darstellerin/Darsteller Schauspiel Kathrin Angerer Nominiert für ihre Darstellung in René Polleschs Inszenierung „Service / No Service“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin Kathrin Angerer, geboren in Oranienburg, ging 1993 in ihr erstes Engagement an die Volksbühne Berlin. Unter der Regie von Frank Castorf spielte sie Hauptrollen in zahlreichen Produktionen. Viele der Produktionen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen und gingen weltweit auf Gastspielreise. Auch in Arbeiten von Andreas Kriegenburg, Dimiter Gotscheff oder Leander Haußmann war sie zu sehen. 2003 gastierte sie mit dem Soloprogramm „Kriegsfibel“ von Brecht u.a. in der Akademie der Künste, Paris, Athen. 2000 wurde Kathrin Angerer mit dem Alfred Kerr Preis für die Produktion „Dämonen“ ausgezeichnet. 1999 und 2003 erhielt sie den Preis „Beste Darstellerin“ auf dem Theaterfestival „Mess“ in Sarajevo, 1999 für „ Trainspotting“ und 2003 für „Endstation Amerika“, beides Inszenierungen von Frank Castorf. Zwischen 2008 und 2010 arbeitete Kathrin Angerer als freie Schauspielerin vornehmlich mit Sebastian Baumgarten, aber auch mit Jonathan Meese und Luc Bondy an Häusern wie dem Berliner Ensemble, dem Schauspielhaus Hannover, dem Maxim Gorki Theater und der Komischen Oper Berlin. 2010 kehrte sie zurück an die Volksbühne, wo sie 2015 erstmalig und dann wiederholt mit René Pollesch arbeitete. Außerhalb des Theaters ist Kathrin Angerer seit 1995 in zahlreichen Filmund Fernsehproduktionen zu sehen, wo sie u.a. mit Regisseuren wie Christian Petzold, Dominik Graf oder Wolfgang Murnberger gearbeitet hat. Ihre Stimme ist in über 80 Hörspielen zu hören. Kathi Angerer ist in der Berliner Theaterszene eine Kultfigur. Nicht nur an der Volksbühne, sondern auch am Maxim Gorki Theater und der Komischen Oper spielte sie Figuren von der gnadenlosen Diva bis hin zum naiven Hausmädchen. In „Service / No Service“ führt sie einen nahezu naturalistischen Dialog mit einem Sprech-Chor und es gelingt ihr, die meist etwas verquasten Pollesch-Texte wie Alltagssprache aussehen zu lassen, was diese plötzlich erstaunlich transparent macht. Sie führt diesen teils improvisatorischen, teils äußerst genauen Abend mit einer großen Kraft, ohne jede Aufdringlichkeit, wirkt dabei bisweilen naiv und kokett, ohne auch nur einen Funken ihrer Souveränität einzubüßen. Dass sie zuvor noch in keiner Pollesch-Inszenierung mitspielte, wirkt vor dem Hintergrund dieser Leistung nahezu ungeheuerlich. Franz Pätzold Nominiert als Alter Ego des Regisseurs in Oliver Frljićs Inszenierung „Balkan macht frei“ am Bayerischen Staatsschauspiel Franz Pätzold wurde 1989 in Dresden geboren. Von 2007 bis 2011 studierte er Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy und stand im Rahmen der Ausbildung bereits auf der Bühne des neuen Theater Halle. Für seine Rolle des John Tate/Adam in „DNA“ wurde er mit dem Solopreis des 21. Bundeswettbewerbs zur Förderung des Schauspielnachwuchses ausgezeichnet. Am Residenztheater hat er 2011 sein erstes Engagement angetreten. 2012 erhielt Franz Pätzold zusammen mit Friederike Ott den Förderpreis des Vereins der Freunde des Residenztheaters für seine Rolle als Anton in „Pünktchen und Anton“. 2014 wurde er für seine Arbeit im Ensemble des Residenztheaters mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Ausgebildet an der Leipziger Schauspielschule und bereits mit 21 dort fertig, gehört Franz 5 Pätzold zu den auffälligen Schauspielerpersönlichkeiten der jüngsten Schauspielergeneration. Bei ihm findet sich eine aufregende Kombination von perfektem Handwerk und Sprache, darstellerischer Intelligenz und gesellschaftlichem Engagement, wie er es – nachdem er von Frank Castorf besonders gefördert und herausgefordert wurde – vor allem in Oliver Frljićs „Balkan macht frei“ unter Beweis stellt. Hier überschreitet er, angefeuert durch die Kompromisslosigkeit des bosnischen Regisseurs und gleichzeitig völlig selbstbestimmt und freiwillig in seinem Einsatz, die üblichen darstellerischen Grenzen und macht den starken und herausfordernden, viel diskutierten politischen Abend dadurch zu einem unvergesslichen berührenden menschlichen Erlebnis. Edgar Selge Nominiert für die Rolle des François in „Unterwerfung“ nach Michel Houellebecq am Deutschen Schauspielhaus Hamburg Edgar Selge wurde 1948 in Brilon geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik in München und Dublin sowie klassisches Klavier in Wien und absolviert im Anschluss eine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Von 1975 bis 1979 war er Ensemblemitglied am Schillertheater in Berlin, anschließend spielte er knapp zwanzig Jahre als festes Mitglied an den Münchner Kammerspielen, wo er mit Regisseuren wie Dieter Dorn, Thomas Langhoff, Bob Wilson, George Tabori, Hans Lietzau und Franz Xaver Kroetz zusammenarbeitete. Er gastierte u. a. am Burgtheater Wien, am Schauspielhaus Zürich, am Deutschen Theater Berlin, am Residenztheater München und bei den Salzburger Festspielen. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Regisseur Jan Bosse: „Der Menschenfeind“ (2002) und „Faust I“ (2004) am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, „Der zerbrochne Krug“ (2006) und „Hamlet“ (2007) am Schauspielhaus Zürich sowie „Othello“ (2010) am Burgtheater Wien. Selge ist ein mehrfach preisgekrönter Film- und Fernsehschauspieler. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen, wie z. B. dem GrimmePreis und dem Deutschen Filmpreis, erhielt er 2003 den deutschen Fernsehpreis für die Verkörperung des einarmigen Kommissars Jürgen Tauber im „Polizeiruf 110“. 2011 wurde er mit dem Bayerischen Filmpreis als bester Hauptdarsteller in dem Film „Poll“ (Regie: Chris Kraus) ausgezeichnet. Edgar Selge spielt François, die zentrale Figur aus Michel Houellebecqs jüngstem Roman „Unterwerfung“, und er spielt auch den Autor selbst in einer atemberaubenden dreistündigen Soloperformance. Sein François ist verklemmt, ängstlich und frustriert, dann wieder großspurig und überheblich. Selge zeigt sich als Meister des plötzlichen Bruchs: zwischen Larmoyanz und Aggression, Stammtisch und intellektueller Hybris, Feingeistigkeit und Grobheit. Er wahrt stets eine gewisse Distanz – zum Stoff, zu seiner Rolle, zu seinem Spiel und ermöglicht dadurch einen kritischen Blick auf die Vorlage. Edgar Selge ist ein Ereignis und stellt mit dieser Rolle erneut unter Beweis, dass er einer der wichtigsten Darsteller seiner Generation ist. 6 Regie Musiktheater Jochen Biganzoli Nominiert für seine Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Lübeck Jochen Biganzoli, geboren in Kaiserslautern, studierte Theater- und Musikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er war Regieassistent und Spielleiter in Karlsruhe und Bremen und unterrichtete an der Hochschule für Künste, Bremen. Danach wurde er Oberspielleiter am Kleist Theater in Frankfurt (Oder). Seit 1999 ist er freiberuflich tätig, u.a. in Pforzheim, in Augsburg, sowie in Eisenach und Detmold. 2010 eröffnete er die SchumannTage in Zwickau mit „Genoveva“ und inszenierte zum 50. Jubiläum der Oper Leipzig „Die Meistersinger von Nürnberg“ sowie in Osnabrück „Simplicius Simplicissimus“ und „Mörder, Hoffnung der Frauen - Das Nusch-Nuschi - Sancta Susanna“, das von der „Opernwelt“ eine Nominierung zur Aufführung des Jahres erhielt. 2013 debütierte er mit „Der Meister und Margarita“ an der Hamburgischen Staatsoper, wofür er den Rolf Mares-Preis erhielt. 2015 inszenierte er „Tannhäuser“ in Bielefeld. In der Spielzeit 2015/16 debütierte er mit „Mathis der Maler“ an der Semperoper Dresden sowie mit „Lady Macbeth von Mzensk“ in Lübeck. Der in Kaiserslautern geborene und in Bremen lebende Jochen Biganzoli hat sich deutschlandweit einen hervorragenden Ruf als Opernregisseur erarbeitet. In seiner Inszenierung von „Lady Macbeth von Mzensk“ gelingt es ihm, Schostakowitsch in grellen und assoziativen Bildern zu aktualisieren und der Musik zu größtmöglicher Wirkung zu verhelfen. Er inszeniert gerade dadurch sehr musikalisch, dass er die Musik immer wieder überraschend neu interpretiert. Zudem eröffnen die Ergänzungen mit Kammermusik des Komponisten dem Werk neue Räume. Biganzoli gelingt es, die Tragik der Entstehungszeit mit einem gegenwartsbezogenen Kommentar zum Stück so auszubalancieren, dass weder die stücknoch die zeitbezogenen Aspekte beschädigt werden. Er inszeniert das Ringen der Menschen in und mit ihren privaten und gesellschaftlichen Problemen vor einer sich offenbar immer wiederholenden gesellschaftlichen Folie. Der Abend entlässt den Zuschauer im positiven Sinne mit vielen Fragen und dem Drang zum Nach- und Weiterdenken. Paul-Georg Dittrich Nominiert für seine Inszenierung von Alban Bergs „Wozzeck“ am Theater Bremen Paul-Georg Dittrich, geboren 1983, absolvierte von 2007 bis 2011 ein Regie-Studium an der Theaterakademie Hamburg. Er inszenierte u.a. am schauspielfrankfurt, am Theater Heidelberg, am Schauspielhaus Wien, am Maxim Gorki Theater Berlin, am LTT Tübingen, am Stadttheater Bremerhaven, auf Kampnagel Hamburg, an den Sophiensaelen Berlin, am Theater Kiel, am Schauspielhaus Chemnitz, am St. Pauli Theater Hamburg und an der Neuköllner Oper Berlin. Festivaleinladungen zu den Baden-Württembergischen Theatertagen 2013, zu Kaltstart Hamburg, den 1. Privattheatertagen Hamburg, at.tension 2 in Lärz, 100 Grad Berlin und 150% Made in Hamburg. Zugleich arbeitet er als Videokünstler. Paul-Georg Dittrich inszeniert „Wozzeck“ in einer labyrinthischen, künstlichen und modellhaften Welt. Eine zeitlose Welt ohne Rückzugsräume, in der alle Figuren immer anwesend sind und sich ständig beobachten. Die Scheibe, auf der diese Welt montiert ist, und das ständige Drehen stehen für ein geschlossenes System, aus dem keiner entkommt. Verstärkt wird das noch durch die Kinder, die immer anwesend, zwanghaft durch Anschauung lernen, wie dieses System funktioniert, und die am Ende durch ihr so erlerntes Handeln alles wieder auf Anfang stellen. In den zum Teil grotesken Kostümen 7 werden die Figuren künstlich überhöht, vermeiden so psychologische Darstellung und werden zu Archetypen. Die Künstlichkeit hält das Stück auf eine Distanz, die keine „Arme Leut“-Betroffenheit zulässt. Durch die Inszenierung wird die Musik nicht in eine abhängige Rolle gedrängt, weder vom Text des Dramas noch vom Gang der Handlung. Sie ist von Alban Berg in keiner Weise illustrativ komponiert, sondern „holt“, wie er sagt, „alles“, was zur Umsetzung des Dramas auf die Bühne notwendig ist „aus sich allein heraus“. Und sie wird auch durch die Inszenierung nicht zur Illustration gezwungen. Sie kann so ihren eigenständigen Anteil an dem Stück uneingeschränkt behaupten. Paul-Georg Dittrich zeigt geradezu modellhaft, was sinnvolle Musiktheaterregie ausmacht. Peter Konwitschny für seine Inszenierung von Fromental Halévys „La Juive“ am Nationaltheater Mannheim Peter Konwitschny absolvierte ein Regiestudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und assistierte von 1971 bis 1979 am Berliner Ensemble unter der Intendanz von Ruth Berghaus. Erste eigene Inszenierungen entstanden Mitte der 70er Jahre. Von 2008 bis 2011 war er Chefregisseur der Oper Leipzig. Wichtige Inszenierungen der letzten Jahre waren u. a. „Die Csárdásfürstin“ (Semperoper Dresden), „Intolleranza“ (Deutsche Oper Berlin), „Wozzeck“, „Der Freischütz“, „Don Carlos“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, „Der Rosenkavalier“, „Lulu“, „Moses und Aron“, „La clemenza di Tito“ (alle an der Staatsoper Hamburg), „Die Zauberflöte“ (Staatsoper Stuttgart), „Elektra“ (Königliches Theater Kopenhagen), „Al gran sole carico d’amore“ (Staatsoper Hannover), „Don Giovanni“, „Così fan tutte“, „Das Land des Lächelns“ (alle an der Komische Oper Berlin) und „Salome“ (Niederländische Oper Amsterdam). Sein Neuansatz bei der szenischen Interpretation von Händel-Opern war wegweisend für die szenische Wiederentdeckung dieser Werke. Und auch seinen Inszenierungen von „Parsifal“, „Tristan und Isolde“ (beide an der Bayerischen Staatsoper München), „Tannhäuser“ (Sächsische Staatsoper Dresden), „Lohengrin“, „Die Meistersinger von Nürnberg“ (beide an der Hamburgischen Staatsoper), „Götterdämmerung“ (Staatsoper Stuttgart) und „Der fliegende Holländer“ (Bolschoi-Theater Moskau) sind ein wichtiges Kapitel Theatergeschichte, durch die Konwitschny eine neue Phase der Auseinandersetzung mit den Werken Richard Wagners auslöste. Eine neue Werkgruppe, der Konwitschny in den letzten Jahren sein inszenatorisches Interesse zuwandte, sind Bachs geistliche Kantaten. Peter Konwitschny erhielt 1988 den Kunstpreis der DDR, 1993 den Konrad-Wolf-Preis der Berliner-Akademie der Künste, 1997 das Bundesverdienstkreuz, 2005 den Berliner Theaterpreis und 2007 den Preis des Internationalen Theaterinstituts. Er war fünfmal „Regisseur des Jahres“ (Opernwelt). Mit „La Juive“ ist erstmals eine Regiearbeit Peter Konwitschnys am Nationaltheater Mannheim zu sehen. „Nirgends brennen wir genauer.“ Jener von Ernst Bloch formulierte Satz, der einst das künstlerischer Credo der Kroll-Oper schlagwortartig umriss, beschreibt in nuce auch die Kunst Peter Konwitschnys: wie er aus der musikalischen Substanz eines Werkes heraus dessen überzeitlichen humanistischen Aussagegehalt und die szenisch-darstellerischen Komponenten ihrer Realisierung abzuleiten und mit den politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen der Gegenwart auf fantasievoll zwingende Weise kurzzuschließen vermag. Die Neuinszenierung von „La Juive“ ist hierfür ein Musterbeispiel. Im Mittelpunkt der im Jahre 1414 in der Konzilstadt Konstanz spielenden Handlung steht die als Jüdin aufgewachsene Christin Rachel, die sich verbotenerweise in einen Christen verliebt. Um diesen zu retten, nimmt sie die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen in Kauf. Und als der Scheiterhaufen brennt, enthüllt ihr gleichfalls zum Tode verurteilter Ziehvater Eléazar dem für Rachels Tod verantwortlichen Kardinal, dass er gerade seine eigene, tot geglaubte 8 Tochter ins Feuer geschickt hat. Ohne vordergründig Religionskritik zu üben, interpretiert Peter Konwitschny das Werk als eine Parabel über ideologischen Fanatismus und seine Folgen. Selbst bei Konwitschny, der mit seiner hochindividuellen Chorführung neue Maßstäbe setzte, hat man selten eine derart bis ins kleinste Detail gehende Individualisierung der Massen gesehen. Gleichzeitig gelingt es ihm, die Komplexität und Gebrochenheit der Charaktere mit außerordentlicher Intensität in Szene zu setzen und eine bisher selten erlebte emotionale Betroffenheit des Auditoriums zu erzeugen. Aus diesen Gründen ist „La Juive“ in Konwitschnys Interpretation zu einer maßstabsetzenden Inszenierung nicht nur der Spielzeit 2015/16 geworden. 9 Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater Nicole Chevalier Nominiert für die Rolle Stella/Olympia/Antonia/Giulietta in Barrie Koskys Inszenierung „Les Contes d’Hoffmann“ an der Komischen Oper Berlin Nicole Chevalier studierte an der Indiana University (USA) Musik und Gesang bei Virginia Zeani, außerdem Schauspiel und Literaturgeschichte. 1998 schloss sie ihr Studium mit Diplom ab und setzte ihr Gesangsstudium an der Juilliard School in New York City fort. Ihr erstes Festengagement führte sie von 2003 bis 2007 an das Theater Freiburg, wo sie als Iphise in „Dardanus“ (Regie: Thomas Krupa), Ilia in „Idomeneo“, die Gräfin in „Le nozze di Figaro“, Fiordiligi (Regie: Max Färberböck), Adina und Maria Stuarda (Regie: Johannes Schütz) zu hören war. Für die Partie der Lucia in Donizettis „Lucia di Lammermoor“ wurde sie 2005 und 2009 in der Zeitschrift „Opernwelt“ mehrfach als Beste Nachwuchssängerin und als Beste Sängerin nominiert. In Freiburg begann auch ihre Auseinandersetzung mit moderner Musik. Von 2007 bis 2009 gehörte die Sopranistin zum Ensemble des Staatstheaters Kassel, wo sie als Antonia und Giulietta in „Les Contes d’Hoffmann“, als Alice Ford, Donna Elvira in „Don Giovanni“, Iole in Händels Oratorium „Herkules“, Blanche in „Les Dialogues des Carmélites“, Angèle Didier in „Der Graf von Luxemburg“ und wiederum als Lucia zu erleben war. Sie trat darüber hinaus als Konzertsängerin auf, u.a. bei den Bregenzer Festspielen 2007 mit den Wiener Symphonikern unter Kirill Petrenko und unter Gabriel Feltz mit dem Freiburger Orchester. 2006 gewann sie den 1. Preis als beste Klassik-Sängerin beim 24. Internationalen Zeltmusikfestival (ZMF) in Freiburg. 2010 gastierte sie mit Margarethe in Gounods Oper „Faust“ am Staatstheater Kassel und gab im Anschluss daran in München ihr Konzertdebüt mit den Münchner Symphonikern. 2012 wurde sie für ihre Darstellung der Violetta Valéry in „La traviata” an der Staatsoper Hannover für den FAUST nominiert. Nicole Chevaliers sängerdarstellerische Leistung in Barrie Koskys Inszenierung von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ ist schon dadurch außerordentlich, dass sie alle vier Geliebten des Titelhelden (Stella, Olympia, Antonia und Giulietta) verkörpert. Für jede findet sie mit staunenswerter Wandlungsfähigkeit eindrückliche Charakterisierungen, so dass sie auf der Bühne überzeugend und mit hoher Präsenz lebendig werden. Die überbordende Komik der Olympia gelingt ihr ebenso wie die Einsamkeit und Verlorenheit der Antonia oder die Körperlichkeit und Sinnlichkeit der Giulietta. Mit makelloser Technik und stimmlicher Schönheit bewältigt sie die unterschiedlichen Sopranfächer und ihre stilistischen Anforderungen. Kangmin Justin Kim Nominiert für die des Arthur Gordon Pym in Johann Kresniks Inszenierung „Pym“ am Theater und Orchester Heidelberg Der koreanisch-amerikanische Countertenor Kangmin Justin Kim ist Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er 2013 als Menelao in einer Produktion von Cavallis „Elena“ des Festivals Aix-en-Provence. Es folgten u. a. Idamante in Mozarts „Idomeneo“ am Theater Gießen sowie 2014/15 Prinz Orlofsky in „Die Fledermaus“ an der Pariser Opéra Comique zum 300. Geburtstag des Hauses unter Mark Minkowski, Sesto („La Clemenza di Tito“) in Montpellier und im Juni 2015 Oreste in „La belle Hélène“ am Pariser Théâtre du Châtelet. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört er zum Opernensemble des Theaters und Orchesters Heidelberg und singt hier Cherubino in „Le nozze di Figaro“, Aeneas in der Deutschen Erstaufführung von Leonardo Vincis „Didone abbandonata“ beim Barock-Fest „Winter in Schwetzingen“ sowie die speziell für ihn geschriebene Titelrolle in der 10 Uraufführung von „Pym“ von Johannes Kalitzke. Der koreanisch-amerikanische Countertenor Kangmin Justin Kim ist Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er 2013 mit großem Erfolg als Menelao in einer Produktion von Cavallis „Elena“ des Festivals Aix-en-Provence, und vieles spricht dafür, dass er am Anfang einer steilen Karriere steht. Seine Interpretation der Titelpartie von Johannes Kalitzkes neuer Oper ist in der Tat phänomenal – er füllt unangefochten das dramatische Zentrum dieser Produktion. Edgar Allan Poes Geschichte von Arthur Gordon Pym aus Nantucket ist die Geschichte eines Horrortrips. Eine Katastrophe reiht sich an die andere, und jede ist schlimmer als die vorhergehende. Kalitzkes aufwändige Partitur – ein höchst komplexes Gebilde und musikalisch eine Zeitreise – eröffnet einen klanglichen Kosmos mit höchsten Anforderungen an die Darsteller. Aber nicht nur als Sänger meistert Kim alle Klippen, sondern auch als Darsteller und Tänzer wird er zur tragenden Figur des Abends. Dabei kann er sich auf das wunderbar geführte und in allen Stimmlagen sichere Instrument seiner außergewöhnlichen Stimme bedingungslos verlassen. Ewa Wolak Nominiert für die Rolle der Fidès in „Der Prophet“ unter der Regie von Tobias Kratzer am Badischen Staatstheater Karlsruhe Ewa Wolak erhielt ihre musikalische Ausbildung in den Fächern Gesang und Bratsche an der Musikakademie Krakau. Ihr Gesangstudium schloss sie dort mit Auszeichnung ab. Als DAAD-Stipendiatin vervollständigte sie ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik in Karlsruhe. Sie ist Preisträgerin verschiedener Gesangswettbewerbe, u. a. des „International Vocal Competition s´Hertogenbosch“ und des „Maria Callas Grand Prix“ in Athen. 1998 wurde sie mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet. Ihre Konzerttätigkeit führte Ewa Wolak nach Südkorea, Israel, Japan, in die USA sowie zu zahlreichen Festivals in ganz Europa. So sang sie u. a. bei der „European Chimey Foundation“ in Belgien, dem Warschauer Herbst, den Tiroler Wagner-Festspielen in Erl sowie dem Vilnius Festival. Außerdem trat sie bei den internationalen Händel-Festspielen in Göttingen, Halle und Karlsruhe in diversen Produktionen wie „Theodora“, „Il trionfo del tempo e del disinganno“ und „Ariodante“ auf und gastierte am Nationaltheater Mannheim, der Opéra Montpellier und der Komischen und Deutschen Oper Berlin. Seit 1998 ist sie am Staatstheater Karlsruhe engagiert, wo sie bereits u. a. in der Titelpartie von „Carmen“, als Erda in „Das Rheingold“ und in „Siegfried“, als Fricka in „Die Walküre“, als Isabella in Rossinis „L’Italiana in Algeri“ sowie als Dalila in „Samson et Dalila“ zu erleben war. Im März 2011 wurde ihr in Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit der Titel „Kammersängerin“ verliehen. In den vergangenen Spielzeiten war sie in der Titelpartie von „Carmen“, als Anna in „Die Trojaner“, als Fricka und Erda im „Ring des Nibelungen“, als Ulrica in „Ein Maskenball“ sowie als Mrs. Quickly in „Falstaff“ zu hören. Die Partie der Fidès in Meyerbeers „Le Prophète“ gehört unstreitig zu den anspruchsvollsten Partien, die je für Alt geschrieben wurde. Die Fähigkeit zur gleichwohl klangschön gestalteten hochdramatischen Attacke, zur vokalen Expansion, die ein Orchester in Wagnerstärke (a posteriori betrachtet) unforciert zu überfluten vermag, ist ebenso erforderlich wie die Gestaltung feiner Lyrismen. Dazu muss die Interpretin der Rolle über eine umfangreiche Tessitura verfügen, die insbesondere in der Lage ist, in echte Alt-Tiefen herabzusteigen. Mit anderen Worten − erforderlich ist ein Stimmtypus, der eigentlich für ausgestorben gilt: Ein echter Contra-Alto, der über eine geheimnisvoll dunkle Klangfarbe und eine bewegliche, dennoch voluminöse Stimme mit hochdramatischem Potenzial verfügt. Ewa Wolaks Stimme ist ein Instrument, das diesen Anforderungen auf das Beglückendste 11 entspricht und die Sängerin befähigt, mit großer musikalisch-gestalterischer Intelligenz ein unter die Haut gehendes Rollenporträt zu liefern. Dazu besitzt Ewa Wolak eine außergewöhnliche Bühnenpräsenz, die ihre Fidès zum sängerdarstellerischen Kraftzentrum von Tobias Kratzers packender Inszenierung werden lässt. 12 Choreografie Alexander Ekman Nominiert für seine Choreografie „COW“ an der Semperoper Dresden Der gebürtige Schwede Alexander Ekman, Jahrgang 1984, tanzte beim Königlich Schwedischen Ballett, beim Cullberg Ballet und beim Nederlands Dans Theater 2. 2006 beendete er seine Tänzerkarriere, um sich ganz dem Choreografieren widmen zu können. Seitdem ist er international gefragt und entwickelt Werke unter anderem für das Cullberg Ballett, die Compañia Nacional de Danza, das Göteborg Ballett, das Berner Ballett, das Ballet de l’Opéra du Rhin, das Königlich Schwedische Ballett, das Norwegische Nationalballett, das Cedar Lake Contemporary Ballet und das Boston Ballet. 2011 arbeitete Ekman als Lehrer und Choreograf an der Julliard School in New York City. Von 2011 bis 2013 war er Associate Choreographer am Nederlands Dans Theater. Auch im Bereich Filmproduktion ist er engagiert. Für seine Werke komponierte Alexander Ekman bereits selbst die Musik, oft kreiert er zusätzlich das Bühnenbild. Sein Werk „Cacti“, für das er auch Bühne und Kostüme entwarf, wurde mit zahlreichen Preisen bedacht. 2013 war es an der Semperoper im Rahmen des Ballettabends „Nordic Lights“ als sein Hausdebüt zu erleben. Alexander Ekman hat mit seinem Werk „COW“ mit dem Semperoper Ballett viel gewagt und sich und seine Umwelt im Positiven herausgefordert. Er ist ein Wirkungsmechaniker und Bilderstürmer der besonderen Art. Er schafft es, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel virtuos einzusetzen. Darüber hinaus verlangt er dem Hause (technische) Leistungen ab, wie es in diesem Ausmaß in 27 Jahren seit der Eröffnung niemandem gelungen ist, und zeigt diese immer eingebettet in Tanz und Bewegung. Ein Tanzabend, der mit Traditionen bricht. Visuell opulente, stark energetische und stille, poetische Passagen werden immer wieder von impulsiven Momenten unterbrochen. Ekman hält dem konservativen Theatergänger einen Vexierspiegel vor und fordert ihn auf, die Pfade gewohnter Sichtweisen zu verlassen. Yuki Mori Nominiert für seine Choreografie „The House“ am Theater Regensburg Yuki Mori, 1978 in Kobe, Japan, geboren, schloss seine Ausbildung an der Schule des Hamburg Balletts, John Neumeier, ab. Als Solist wurde er an das Ballett Nürnberg, an die Staatsoper Hannover und an das schwedische Ballett der Göterborg Opera engagiert. Danach folgte er erneut dem Ruf Stephan Thoss’ an das Ballett des Staatstheaters Wiesbaden. Mit der Spielzeit 2012/13 wurde Yuki Mori künstlerischer Leiter und Chefchoreograf von Theater Regensburg Tanz. Er tanzte u.a. in Choreografien von John Neumeier, William Forsythe, Mats Ek, Daniela Kurz, Stephan Thoss. Seit 1999 ist Mori als Choreograf tätig. Er kreierte für das Sadamtsu-Hamada Ballett in Kobe, das Noh-Theater Tokio, das Ballett Nürnberg, das Staatstheater Wiesbaden, die Staatsoper Hannover und das Tiroler Landestheater Innsbruck. Für seine Choreografien erhielt er in Japan u.a. 2007 den renommierten „New Artists Award“ und 2011 den „Grand Prix“ in der Kategorie Tanz des japanischen Kulturministeriums und des National Arts Festivals. Die Choreografie „Missing Link“ wurde 2005 beim 19. Internationalen Wettbewerb für Choreografie mit dem Kritikerund Publikumspreis ausgezeichnet. Als Chefchoreograf und künstlerischer Leiter der Sparte Tanz in Regensburg entstanden unter anderem Arbeiten wie „Ich, Wagner. Sehnsucht!“, „Am Rand der Stille“, „Le Sacre du Printemps“, „Don Quijote“ bis hin zu dem Tanzkrimi „The House“. In der Autorenumfrage von „Die deutsche Bühne“ wurde der Doppelabend „Gefangen im tRaum/ Bernarda Alba“ von Yuki Mori und Stephan Thoss besonders hervorgehoben. 13 Yuki Mori gelingt in seinem Werk „House“ eine sehr skurrile Bildersprache durch Bewegung. Er erfindet für sein 10-köpfiges Ensemble eine eigene Geschichte eines Tanzkrimis und betritt damit ein für den Tanz ungewöhnliches Genre. Als Handlungsballett in eigener Autorenschaft mit Mut zum Erzählen entwickelt, entpuppt es sich als Hotspot emotionaler Geschichten, die er mit einer zeitgenössischen Tanzsprache und mit viel Spannung gestaltet. Seine Tänzer weiß er ausdrucksstark mit überzeugender Personenführung einzusetzen. Er vertraut der Bewegung und verhindert dadurch Banalität und Oberflächlichkeit. Johannes Wieland Nominiert für seine Choreografie „you will be removed“ am Staatstheater Kassel Johannes Wieland ist ehemaliger Solist des Béjart Ballet Lausanne und der Berliner Staatsoper. 2002 gründete er in New York seine eigene Kompagnie johannes wieland. Seitdem schuf er eine Vielzahl an Choreografien. Sein Duett „shift“ erhielt 2004 den Essener Kurt-Jooss-Förderpreis. Im selben Jahr gehörte er auch zu den Siegern des internationalen Choreografie-Wettbewerbs des Hubbard Street 2 in Chicago. Seine Kompagnie ist bereits in einer Vielzahl von Veranstaltungsorten in New York aufgetreten und sowohl national als auch international eingeladen worden. Neben der Tätigkeit als Leiter seiner eigenen Kompagnie war er auch stellvertretender künstlerischer Direktor von „Paradigm“, New York tätig. Darüber hinaus ist er weltweit als Gastchoreograf und Lehrer für Tanzkompagnien und Schulen tätig (beispielsweise an der Juilliard School of Music, New York). Er ist Träger eines BFA der Universität von Amsterdam und eines MFA der New York University/ Tisch School of the Arts. Seit der Spielzeit 2006/07 ist Johannes Wieland Tanzdirektor des Tanzensembles des Staatstheaters Kassel. Johannes Wieland wählt für sein Werk „you will be removed“ die Themen Flucht und Krieg, die er in verschiedensten Facetten bearbeitet. Dafür findet er eine sehr eigene, heutige tanztheatrale Sprache, die fern ist von „oft Gesehenem“. Die choreografischen Bilder, die er entwickelt, werden mit schonungsloser Offenheit vorgetragen und erzählen von seelischen Abgründen und den unausgesprochen Dingen. Es spielt sehr geschickt mit Ensemble-Choreografien und Soli, die immer wieder im Chaos enden. Er findet eine sehr eigene Form, die vieles aufbricht und so eine bedrohliche Atmosphäre schafft, die sehr nah geht – nicht zuletzt, weil sie uns den Spiegel vorhält, ohne moralisch daherzukommen, und umso nachhaltiger wirkt. 14 Darstellerin/Darsteller Tanz Tyler Schnese Nominiert für seine Leistung als Kaspar Hauser in „Kaspar Hauser“ am Hessischen Staatsballett Tyler Schnese wurde in Appleton, USA, geboren. Seine Ausbildung absolvierte er an der Codarts Rotterdamse Dansacademie und am SUNY Purchase College New York. Er ist seit der Spielzeit 2014/15 im Ensemble des Hessischen Staatsballetts. Tyler Schnese verkörpert die zentrale Figur und ihre Selbstbefragung mit großer physischer Eindringlichkeit, vor allem, wenn er sich den aufrechten Gang auf der Außenkante der Füße erkämpft, den Raum erobert und darin mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Er schafft es über den ganzen Abend hinweg virtuos, mit viel Einfühlungsvermögen und auf berührende Weise, Kaspar Hauser einen naiven Charakter zu geben. Durch seine großartige Darstellung schafft es der Solist, die herbe Lebensgeschichte Kaspar Hausers dem Publikum sehr plastisch und sinnlich näher zu bringen, so dass der mühevolle Weg zum aufrechten Gang bis hin zum mörderischen Ende geradezu mit erlitten wird. Aloalii Naughton Tapu Nominiert für seine Leistung in „Urban Soul Café“ am Ballhaus Ost Berlin Aloalii Naughton Tapu is a freelance artist based in Otara, South Auckland, New Zealand. He is of Samoan descent. He has a Bachelor of Performing and Screen Arts majoring in Contemporary Dance. He's developing a site-specific-online-improvisational-series with some artists from New Zealand. He has recently worked with Okareka Dance Company and Tanemahuta Gray on the world premiere of „Tiki Taane Mahuta“, a fusion of contemporary dance and aerial theatre. „Urban Soul Café“, ein Stück von Christoph Winkler und getanzt von Aloalii Tapu, ist eine Art „Personality Show“, in der Tanz, erzählende Passagen und Videoeinspielungen sich abwechseln. Erzählt wird die (autobiografische) Geschichte eines jungen Mannes, der nach Europa kam, in Royston Maldooms Projekt „Sacre du Printemps“-Projekt mittanzte, „Cafe Müller“ von Pina Bausch sah und beschloss, zeitgenössischer Tänzer zu werden. Sehr anrührend und überaus authentisch gestaltet der wandlungsfähige und agile Tänzerdarsteller den gesamten Solo-Abend. Die Vermischung von ausdrucksstarkem Maori-Tanz, Urbandance und zeitgenössischen Tanzsequenzen artikuliert der Ausnahmetänzer sehr ehrlich, intensiv, raumgreifend, geschmeidig, erdverbunden und äußerst sehenswert entlang der angedeuteten Geschichten. Max Zachrisson Nominiert für seine Rolle als Mann in „Latent“ am Staatstheater Nürnberg Der schwedische Tänzer Max Zachrisson erhielt seine Tanzausbildung an der Schwedischen Ballettschule in Göteborg und der Königlichen Schwedischen Ballettschule in Stockholm. Nach seinem Abschluss im Jahr 2007 wurde er als Tänzer an das Dortmunder Ballett engagiert. Im gleichen Jahr war er Stipendiat u. a. der Königlichen Schwedischen Oper. Max Zachrisson hatte zuletzt ein Engagement als Tänzer am Schleswig-Holsteinischen Landestheater, bevor er 2008/09 als Compagniemitglied an das Staatstheater Nürnberg Ballett verpflichtet wurde. Für seine tänzerischen Leistungen wurde Max Zachrisson mit dem 15 Bayerischen Kunstförderpreis 2012 ausgezeichnet. Zu seinen Solopartien zählen u. a. Romeo („Romeo und Julia“), Otello („Desde Otello“), Allemande, Adagio, Presto, Grave („Vasos Comunicantes - Kommunizierende Röhren“), Prinz („Dornröschen“), Don José, Escamillo („Carmen“), „Duende“, „Sechs Tänze“, Nussknacker („Der Nussknacker“), „Walking Mad“, „A sort of ...“, „Short Works: 24“, „Cantata“, Prinz („Cinderella“), „Por vos muero“, „Black Bile“, Christian / Valvert („Cyrano“) und „111“. In die Satzpausen von Berlioz' Sinfonie fügt Choreograf Goyo Montero jeweils ein Intermezzo, das sich in einer spartanisch eingerichteten Betonzelle abspielt: Ein Mann im blauen Anzug wird von düsteren Visionen heimgesucht. Der Tänzer Max Zachrisson gestaltet diesen Tanz durch eine albtraumhafte Seelenlandschaft sehr wandlungsfähig. Dabei stellt er den geplagten Mann glaubhaft, beängstigend paranoid, grandios in der Verbindung jugendlicher Artistik und altersloser Charakteristik dar, schafft es immer wieder, die Abgründe dieser Figur in tänzerischen Gegensätzen sehr eindrucksvoll darzustellen. Im Ausleben innerer Konflikte krümmt sich sein Körper, für den die Gesetze der Schwerkraft nicht zu gelten scheinen. 16 Regie Kinder- und Jugendtheater Liesbeth Coltof Nominiert für ihre Inszenierung von „Der Junge mit dem Koffer“ am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf Liesbeth Coltof ist künstlerische Leiterin der „Toneelmakerij“ in Amsterdam. Ihre Arbeiten richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Das Repertoire von Liesbeth Coltof besteht aus Adaptionen von Klassikern, zeitgenössischen Autoren und einer Reihe von Theaterprojekten. Sie arbeitet regelmäßig mit Künstlern aus anderen Disziplinen. 1999 erhielt sie den „Prinz Bernhard Culture Award“, 2013 gewann ihre Uraufführungsinszenierung von Ad de Bonts „Mehmet De Veroveraar“ („Mehmed der Eroberer“) den Jugendtheaterpreis „Gouden Krekel“. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie auch immer wieder im Nahen Osten, u.a. in Gaza, Hebron, Ramallah und Dschenin, wo sie inszeniert und Workshops leitet, in denen sie sich intensiv mit dem Leben der Menschen vor Ort auseinandersetzt. In der Spielzeit 2012/13 inszenierte sie am Schauspiel Dortmund hier „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. In der Saison 2013/14 führte sie dort Regie bei Wajdi Mouawads „Verbrennungen“. Liesbeth Coltof ist eine der Großen in der Niederländisch-Deutschen Theaterszene. Mit der Regiearbeit zu „der Junge mit dem Koffer“ ist ihr ein ganz besonderer Zugang gelungen – sie hat die schlichte Geschichte von Mike Kenny in einen ganz großen Theaterabend/-morgen verwandelt. Coltof lässt das Publikum teilhaben: In Gruppen einzeln hereingeführt, nehmen die Zuschauer auf Koffern und gepolsterten Plastiktaschen Platz. Der Zuschauerraum ist eingezäunt. Die Spielhandlung findet auf einem großen Gerüst in der Mitte der Spielfläche statt, Gitter spielen überall eine Rolle. Das Spiel ist intensiv und stellt gleichzeitig seine Figuren und ihre Not schonungslos aus. Das Setting erfordert einen manchmal fast überdeutlichen Ton, ohne dass das Spiel dadurch an Genauigkeit oder Feinheit verliert. Im Gegenteil, den Spielern gelingt es unter Coltofs Führung wunderbar, in verschiedene Rollen zu schlüpfen (die wechselnde Rahmenhandlung wird von einem relativ kleinen Team verkörpert) oder die durchgespielten Hauptfiguren berührend intensiv zu spielen. Es ist der Regisseurin gelungen, die Themen Flucht und Suche nach einem neuen Zuhause ohne Pathos als eine nachvollziehbare große Geschichte zu erzählen. Der magische Moment der Inszenierung ist die von den Darstellern angeführte Wanderung der kompletten hinteren Zuschauertribüne (mit ihren Taschen und Koffern) nach vorne, wo sie sich unter den anderen, schon dort sitzenden, ihren Platz suchen müssen. Die Wirkung hier ist überwältigend (sie teilt sich sogar noch in einem schlechten, aus einer durchgehenden Totale gefilmten Mitschnitt mit). Die Inszenierung vereint starke Darsteller in einem überaus gelungenen Bühnenkonzept mit einem wunderbaren Rhythmus. Die Schauspieler bringen die sehr berührende Geschichte zum Leuchten. Die inhaltliche Schwere wird erträglich für das Publikum durch das Setting und die gut dosiert eingesetzten interaktiven Elemente. Die Möglichkeiten des Theaters werden aufs Feinste eingesetzt. Andrea Maria Erl Nominiert für ihre Inszenierung von „Schneewittchen“ am Theater Mummpitz Nürnberg Koproduktion mit dem TAK Theater Liechtenstein Geboren 1962 in Marktredwitz, studierte Andrea Maria Erl Theaterwissenschaft und Politische Wissenschaft in Erlangen. Erste praktische Theatererfahrungen sammelte sie in der Freien Theaterszene Nürnbergs, als Regieassistentin an den Städtischen Bühnen Nürnberg und Frankfurt am Main. Es folgten verschiedene Inszenierungen u.a. am Staatstheater Wiesbaden, Theater an der Parkaue Berlin und am Theater Erlangen. Seit 1994 ist Andrea 17 Maria Erl Künstlerische Leiterin und Regisseurin des Theater Mummpitz und seit 2000 Künstlerische Leiterin des Festival panoptikum in Nürnberg sowie seit 2010 stellvertretende Vorsitzende der ASSITEJ, der internationalen Vereinigung für Kinder- und Jugendtheater. Da erzählt eine Freie Gruppe das Märchen von Schneewittchen neu. Mit nur einer Frau und vier Männern im Team treten sie zunächst an wie eine Jahrmarktstruppe aus alten Zeiten. Die Bühne sinnlich ausgestattet: Holz, Leder, Pappe, Instrumente. Ein Leierkasten. Zwei Musiker. Es ist eine unglaubliche Fülle von Ideen, die die Regie da aufbietet: Ein Schneewittchen, das über Schuhe in verschiedenen Größen und schließlich als Puppe gespielt wird. Eine Königin, deren eitles Spiegelbild von einem Mann wunderbar androgyn dargestellt wird, wieder ein anderer spielt die Königin bei ihren Verführungsversuchen zum Tod und mischt dabei eine feine Komik unter die Gefährlichkeit der Figur. Schattenspiel, Figurenspiel, dabei Figuren in allen Variationen. Die Zwerge schließlich sind hier zu fünft – Riesenbärte für alle Beteiligten und ein starkes musikalisches Motiv, mehr braucht es nicht, um die Zwergenwelt zu eröffnen. Die fünf alten Männer liefern einige der schönsten Bilder der Inszenierung und sind in ihrer Kauzigkeit die Lieblinge der Kinder. Überhaupt toll: die Musik (Beitrag der Koproduktion) wird hauptsächlich realisiert von zwei Musikern, die am Rande auch szenische Aufgaben mit übernehmen. Aber auch die Erzähler sind instrumental dabei. Kleine solistische komödiantische Einlagen wie die Autofahrt der „Vertreterin für schöne Ware“ auf dem Spielbrett oder Purple Rain für den Prinz nehmen dem an sich düsteren Märchen die Schwere. Wenn sich zum Ende der Inszenierung die Elemente der Erzählung gegenseitig überholen, ein Angler anstelle einer Bäuerin die dritte Verführung mit dem Apfel besorgt und der Musiker zum Prinz wird, stellt sich der pure Genuss an der Führung der Geschichte ein. Die Wendung ins Publikum mit der Definition der Schönheit im Land ist der Clou der Arbeit. Das Besondere hier ist, wie Erl mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin, unterstützt von zwei Musikern, dieses Kaleidoskop entwickelt, wie sie die Beschränkungen, die den Freien oft auferlegt sind, ins Besondere wandelt. Die Inszenierung behält bei all dem Einfallsreichtum doch immer einen wunderbaren Fluss und eine große Geschlossenheit. Der Einsatz der Musik spielt dabei eine Rolle, aber auch der Ton, der die Geschichte wie einen großen Gesang vorträgt. Ein extrem gut aufeinander eingespieltes Ensemble. Schneewittchen anders, sehr anders. Markolf Naujoks Nominiert für seine Inszenierung von „Mahlzeit“ am Jungen Theater Heidelberg Markolf Naujoks studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln und Prag. Seit der Spielzeit 2013/14 arbeitet er als freier Regisseur regelmäßig am Staatstheater Mainz, am Theater und Orchester Heidelberg, am Stadttheater Ingolstadt und am Oldenburgischen Staatstheater. Zu seinen bisherigen Arbeiten zählen Stückentwicklungen, Uraufführungen, eigene Bearbeitungen von Romanen und klassische Dramen. Er entwickelt Inszenierungen und Performances für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Seine Inszenierung „Superhero“ nach dem Roman von Anthony McCarten wurde als eine der besten zehn Inszenierungen zum norddeutschen Kinder-und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“ 2014 eingeladen (Preis der Jugendjury) sowie zum TotalTheaterTreffen am Théâtre National du Luxembourg. Markolf Naujoks realisiert Projekte zwischen Theater, Comic, Konzert und Performance. Die Besonderheit von Markolf Naujoks Arbeiten ist sein Umgang mit der Musik, für die er auch immer selbst verantwortlich zeichnet. Ausgehend von den musikalischen Fähigkeiten der Schauspieler entwickelt er das jeweilige musikalische Konzept seiner Inszenierung. Und so wird aus einem Stückauftrag an Bernhard Studlar zum Thema Essen „Ein Singspiel“ – der 18 Untertitel, den das Theater wählt, ist: „Eine kulinarisch-dramatische Versuchsanordnung“. Folgerichtig kündigt ein Conferencier namens Molo zunächst eine konzertante Opernaufführung an, spricht die Sängerinnen mit ihren Eigennamen an und führt so als Erzählerfigur durch die Handlung. Dieser Rahmen, den die Regie hier setzt, ist auch eine Besonderheit an Naujoks Zugriff. Er erlaubt ihm nun, die krudesten Wendungen der Geschichte, die fantasievollsten Worterfindungen und Zuspitzungen immer wieder ganz trocken in den Zusammenhang zustellen. Denn „Mahlzeit“ zeichnet sich durch eine recht absurd angelegte Handlung aus, beginnend mit dem Hauptmotiv: Hunger. Der größte Koch der Welt und seine Hilfsköchin versuchen sich an Pfannkuchen – das Ei fehlt. Ein Mädchen namens Henne, eine Lebensmittelfabrik, Kinder, die dort arbeiten müssen – und immer noch gilt: Ein Königreich für ein Ei. Auch Märchenmotive finden Eingang in die Handlung, Hänsel und Gretel lassen grüßen, wenn die Kinder vereint mit Molo, den Herrn der Fabrik in seinen Ofen stoßen. Es geht aufs Land, in die Berge, es kommt zur Liebesgeschichte auf dem Gipfel des „Mount Eiverest“ … Dass all das zum höchsten Vergnügen am Theater und außerdem noch zu einem Ausflug durch die Musikgeschichte wird, ist die Leistung der Regie. Das Genre Oper wird ganz nebenbei vorgestellt und höchst unterhaltsam durchdekliniert. Naujoks hat den musikalischen Rahmen geschaffen und bringt die Spieler zu Höchstleistungen: Zwei Sängerinnen in wunderbaren Kostümen schlüpfen in die ihnen zugedachten Rollen und spielen und singen sie dann voll aus – alles andere als nur angedeutet. Dass die Schauspieler so wunderbar singen, ist auch ein Verdienst der Regie. Die Wechsel zwischen erzählter und gespielter Form gelingen mühelos. Die Entwicklung eines durchaus kruden Stück-Entwurfs in ein derart vergnügliches, spannendes und zugleich selbstironisches modernes OpernMärchen ist im Ergebnis bezaubernd und offenbart ein großes Regie-Talent des jungen Markolf Naujoks, der einen kleinen, dürren Text regelrecht vergoldet hat. 19 Bühne/Kostüme Achim Freyer Nominiert für Bühne und Kostüme zu seiner Inszenierung „Esame di mezzanotte“ am Nationaltheater Mannheim Der Maler, Bühnen- und Kostümbildner, Regisseur und Stückemacher Achim Freyer lotet in seiner Arbeit die Grenzen zwischen Bühne und bildender Kunst aus. Meisterschüler von Bertolt Brecht, arbeitete als Bühnen- und Kostümbildner mit Regisseuren wie Ruth Berghaus, Adolf Dresen und Benno Besson, bevor er 1972 nach West-Berlin übersiedelte. Gemeinsame Inszenierungen mit Claus Peymann, in den 1970er Jahren eigene RegieArbeiten. Schwerpunkt bildete zunehmend Musiktheater. Mit Glucks „Iphigenie auf Tauris” 1979 Debüt als Opernregisseur, 1980 Carl Maria von Webers „Der Freischütz” in Stuttgart, 1982 „Die Zauberflöte” an der Hamburgischen Staatsoper. Legendär: Freyers Philip GlassTrilogie am Staatstheater Stuttgart („Satyagraha” 1981, „Echnaton” 1984, „Einstein on the Beach” 1988) sowie an der Hamburgischen Staatsoper 1997 Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern”. 2006 wurde Achim Freyer in der Kategorie Bühne/Kostüm mit „Medée“ am Nationaltheater Mannheim für den FAUST nominiert. „Esame di mezzanotte“ wurde von „Opernwelt“ als Uraufführung des Jahres 2015 ausgezeichnet. Bei dieser Produktion wird die Bühne selbst zum dramatischen Ereignis: ein vom Orchester im hochgefahrenen Graben her sich nach hinten hin verjüngender Strudel, so dass die Zuschauer unmittelbar vor einem rätselhaften Tunnel zu sitzen scheinen, der durch immer neu projizierte Bilder changiert und Assoziationen wachruft, von einer Großstadtfassade zu einem Bibliotheksgang bis zu einem U-Bahnschacht. Dank dem Einsatz aller opulenten Theatermittel birgt er eine völlig eigenständige poetische und magische Flut von grandiosen, fantastischen Bildimaginationen und bleibt dennoch ganz im Geist der Komponistin Lucia Ronchetti. Die grotesken Kostüme der Figuren tun bei der Entfesselung dieser Fantasmagorie ein Übriges. David Hohmann Nominiert für das Bühnenbild zu Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung „Draußen vor der Tür“ am Theater Münster David Hohmann, 1976 in Hamburg geboren, studierte ab 1997 freie Kunst in der Bühnenbildklasse der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seit 2005 arbeitet er als freiberuflicher Bühnenbildner für Schauspiel und Opernproduktionen, u. a. mit den Regisseuren Philipp Jescheck (am Münchener Volkstheater), Roland Schwab (am Theater Passau) und Alexander Riemenschneider (St. Pauli Theater Hamburg und Kampnagel Hamburg). Auch mit der Regisseurin Yona Kim verbindet ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit. In der Spielzeit 2012/13 stattete David Hohmann die Erstaufführung „Frühlingsstürme“ am Theater Münster aus. 2013 wurde David Hohmann mit dem RolfMares-Preis in der Kategorie Herausragendes Bühnenbild für „Die Firma dankt“ im Theater Kontraste ausgezeichnet. Die Bühne von David Hohmann wird umgeben von mehreren Dutzend 1000 Liter Wasserbehältern. Diese Kanisterwand wird von den Schauspielern berannt oder als Klettergerüst bestiegen. Damit entsteht für Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung ein starker Rahmen, der sich schließlich auch als flexibel erweist. Denn teilweise ergießt sich der Inhalt der kleinen Container auf die Bühne; das folgende Drama spielt sich also im Wasser ab. Variabel beleuchtet ergibt diese einfache Bühnengestaltung eine sehr starke Übersetzung 20 von Wolfgang Borcherts fremder Beckmannwelt im Hamburger Hafen, ohne je oberflächlichillustrativ zu werden. Florian Lösche Nominiert für das Bühnenbild zu Jette Steckels Inszenierung „Kasimir und Karoline – Glauben Lieben Hoffen“ am Thalia Theater Hamburg Geboren 1981 in München, jobbte Florian Lösche nach dem Abitur bei einem Bühnenbildner, baute Modelle und Bühnenbilder für Münchner Privattheater und spielte Saxophon. 2003 begann er ein Bühnenbildstudium an der Akademie der Bildenden Künste in München, 2005 wechselte er an die Hochschule für Bildende Künste nach Hamburg. Bereits während seines Studiums entwarf er Bühnenbilder für Inszenierungen von Jette Steckel am Staatstheater Kassel, am Thalia Theater Hamburg, auf Kampnagel und am Deutschen Theater Berlin. Florian Lösches Bühnenbild zu „Kasimir und Karoline – Glauben Lieben Hoffen“ auf der Bühne des Thalia Theaters besteht aus schwebenden Kugeln oder Bällen, einer Drehbühne und Licht. So entsteht eine Art Universum mit Eigenleben. Die Drehbühne bewegt sich, die Kugeln bewegen sich, reflektieren und fallen in sich zusammen. Diese Bühne erzeugt metaphorisch und physisch Sinnbilder, die mit der schnörkellosen Sprache Horváths und der brüchigen Festwiesenstimmung hervorragend zusammengehen. Florian Lösches symbolisches Bühnenbild funktioniert hervorragend mit der Inszenierung und der Geschichte. 21