Du sollst dir kein Bildnis machen
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Du sollst dir kein Bildnis machen
reformierte akzente 5 Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2002 tagt unter dem Thema „,Du sollst dir kein Bildnis machen‘. Von der Weisheit des Bilderverbotes“. Mit dieser Themenstellung erinnert der Reformierte Bund an eine Besonderheit seiner Tradition: Im Gegensatz zur landläufigen Wiedergabe der Zehn Gebote, in der das zweite Gebot zum ersten gezogen und die Zehnzahl durch eine Teilung des achten Gebotes erreicht wird, folgt der Heidelberger Katechismus der biblischen Zählung. Nun ist ein Akzent konfessioneller Tradition noch nicht automatisch ein interessanter Akzent in der theologischen Debatte der Gegenwart. Dass und wie allerdings das Bilderverbot weitreichende Konsequenzen hat, zeigt Jörg Schmidt in seinem Beitrag, der das Thema der Hauptversammlung des Reformierten Bundes aufnimmt. Grundsätzlicher widmet sich Martin Filitz in seinem Beitrag „Nicht mache dir Schnitzgebild“ dem biblischen Hintergrund des Bilderverbotes und seiner reformierten Auslegung bzw. seiner Bedeutung für Theologie und Kirche. Georg Plasger schließlich reflektiert „Das Bild und die Bilder“ im Gespräch mit Karl Barth. ISBN 3-932735-60-9 „Du sollst dir kein Bildnis machen“ Von der Weisheit des Bilderverbotes herausgegeben von Jörg Schmidt foedus-verlag f reformierte akzente 5 „Du sollst dir kein Bildnis machen“ Von der Weisheit des Bilderverbotes herausgegeben von Jörg Schmidt foedus-verlag © 2002 foedus-verlag, Wuppertal Satz und Lay-out: j.s. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel Printed in Germany ISBN 3-932735-60-9 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme „Du sollst dir kein Bildnis machen“ : von der Weisheit des Bilderverbotes / hrsg. von Jörg Schmidt. - Wuppertal : Foedus, 2002 (Reformierte Akzente ; 5) ISBN 3-932735-60-9 Vorwort VON JÖRG SCHMIDT Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2002 tagt (vom 13. bis zum 15. Juni in Nürnberg) unter dem Thema „Du sollst dir kein Bildnis machen“. Von der Weisheit des Bilderverbotes. Mit dieser Themenstellung erinnert der Reformierte Bund an eine Besonderheit seiner Tradition: Im Gegensatz zur landläufigen Wiedergabe der 10 Gebote folgt etwa der Heidelberger Katechismus ihrer biblischer Zählung, während Luthers Kleiner Katechismus das zweite Gebot zum ersten zieht und eine Trennung im achten Gebot vornimmt, um wieder auf die Zehnzahl zu kommen. Nun ist ein Akzent konfessioneller Tradition noch nicht autoDie Beiträge matisch ein interessanter Akzent in der theologischen Debatte zeigen in der Gegenwart. Dass und wie allerdings das Bilderverbot weitverschiedenen reichende Konsequenzen hat, zeigt Jörg Schmidt in seinem BeiFacetten auf, trag, der das Thema der Hauptversammlung des Reformierten dass das zweite Bundes aufnimmt (S. 7 ff.). Grundsätzlicher widmet sich Martin Gebot auch heute Filitz in seinem Beitrag „Nicht mache dir Schnitzgebild“ (S. von eminenter 15 ff.) dem biblischen Hintergrund des Bilderverbotes und Bedeutung ist. seiner reformierten Auslegung bzw. Bedeutung für Theologie und Kirche. Georg Plasger schließlich reflektiert „Das Bild und die Bilder“ (S. 49 ff.) im Gespräch mit Karl Barth. Die Beiträge dieser Ausgabe der „reformierten akzente“ sollen den Teilnehmenden an der Hauptversammlung eine Einführung in das Thema erleichtern. Dass sie darüber hinaus von Interesse sind, davon sind Herausgeber wie Autoren überzeugt. Der Herausgeber „Du sollst dir kein Bildnis machen“ Von der Weisheit des Bilderverbotes – Einige vorläufige Anmerkungen VON JÖRG SCHMIDT Vor etwas mehr als einem Jahr legte das Moderamen (der Vorstand) das Thema der Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2002 fest (13. bis 15. Juni in Nürnberg). Sehr schnell und fast ohne andere Themenvorschläge zu diskutieren waren sich die Mitglieder des Moderamens einig, das – in biblischer Zählung – zweite Gebot, das Bilderverbot aufzugreifen. Im öffentliAuf den ersten Blick mag das für manche eine etwas überraschende Entscheidung gewesen sein. Denn im öffentlichen chen Bewusstsein der 10 Gebote Bewusstsein der 10 Gebote dominiert das „lutherische” Verdominiert das ständnis, in dem das Bilderverbot zum ersten Gebot gezogen „lutherische” und in seiner eigenständigen Bedeutung relativiert wird. Zudem Verständnis, hat manchmal eine seltsame „reformierte” Auslegung dieses in dem das Gebotes eher für Abwehr gesorgt, denn für Interesse: In der Bilderverbot Auslegung mancher – noch nicht einmal so alter – „Väter zum ersten des Glaubens” ging es häufig um die Legitimität bzw. die Gebot gezogen Illegitimität der Kerzen auf dem Abendmahlstisch oder darum, und in seiner dass natürlich keine Bilder den reformierten Gottesdienstraum eigenständigen zu schmücken haben. (Weswegen es auch vorgekommen ist, dass alte Fresken, die bei Renovierungsarbeiten auftauchten, Bedeutung relativiert wird. übermalt werden sollten und schließlich hinter Blenden verdeckt wurden.) Alles das hat dazu beigetragen, dass das Bilderverbot in seiner Bedeutung für Theologie und Kirche eher unterschätzt 8 reformierte aktente 5 worden ist. Denn in seiner Perspektive liegen Fragestellungen, die in der gegenwärtigen Situation von Kirche und Gesellschaft einiges an Sprengkraft haben können. Zwei Bereiche seien genannt: 1. In einer bildertrunkenen Umwelt spitzt das zweite Gebot die Frage nach Funktion und „Definitions-Macht” der Bilder zu. Mit der TeilZerstörung von Skulpturen wollten die reformierten Reformatoren auch Machtkonstellationen in Frage stellen. Den reformierten Reformatoren wird manchmal vorgeworfen, sie hätten mit der Betonung des Bilderverbotes barbarischer Kulturzerstörung das Wort geredet. Denn in nicht wenigen Kirchen wurden im Zuge der „reformierten” Reformation sämtliche Bilder entweder zerstört oder schlichtweg entfernt und damit – in unserer Perspektive – wertvolle Kulturgüter unwiederbringlich zerstört. Nun ging es den reformierten Vätern und Müttern aber nicht um einen einfachen Akt der Zerstörung um der Zerstörung willen, oder genauer: nicht darum, gewissermaßen in einer Art Trotzautonomie vom Überkommenen sich abzusetzen. Vielmehr, das hat etwa Hannelore Erhart für Genf aufgezeigt1, waren es nicht unwesentlich Akte der bewussten Auseinandersetzung mit den existierenden gesellschaftlichen Machtstrukturen. Denn die oftmals gestifteten Altarbilder kündeten nicht nur von der Ehre Gottes, sondern auch wesentlich von der Ehre und der Macht ihrer Stifter. Und sehr oft spiegelten die die Bibeltexte auslegenden Bildern die Macht- und Rechtsverhältnisse, die zur Zeit ihrer Stifter für eine hierarchische Gesellschaftordnung sorgten. Mit der Teil-Zerstörung etwa von Skulpturen in der Rivekirche in Genf wollten die „Reformierten” auch diese Machtkonstellationen in Frage stellen2. Mit Bildern stellt sich also immer auch die Machtfrage. Und die zu stellen ist nicht nur im Hinblick auf – im weitesten Sinne – „religiöse” Bilder von Interesse. Gerade in einem Umfeld, in dem davon auszugehen ist, dass für viele nur das real ist, was in den (bewegten) Bildern der Nachrichtensendungen (oder in J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“ 9 anderen Sendungen) im Fernsehen wiedergegeben wird, ist das von eminenter Bedeutung. 1.1 Angesichts der Berichterstattung über die letzten Kriege (in Angesichts der Afghanistan, im ehemaligen Jugoslawien, am Golf ) stellt sich Berichterstattung dann beispielsweise sofort die Frage nach den beabsichtigten über die letzten Wirkungen auf eine (kritische) Öffentlichkeit. So hatte die Kriege stellt sich offensichtliche Zensur, wie sie – so verlässliche Hinweise – sofort die Frage nach den stattgefunden hat, das Ziel, Kriege heute als „sauber” führbar beabsichtigten darzustellen. Das Leid (nicht nur) der Zivilbevölkerung kam Wirkungen. und kommt in diesen Berichten fast nur dann vor, wenn es Journalistinnen und Journalisten gelingt, die ihnen gesetzten Grenzen zu überschreiten. Vergleichbares gilt für die Darstellung der „Nachkriegssituation” in Afghanistan. Die jetzt zugelassenen bzw. geförderten Berichte lassen zumindest fragen, ob sie nicht auch so abgefasst werden, dass sie nachträglich legitimieren, was an Kriegseinsatz durchgeführt wurde. Die Reformierten tun gut daran, gerade auch in diesem Zusammenhang sich der eigenen Tradition zu erinnern und kritisch die Frage nach der Definitions-Macht über die Bilder zu stellen: Wer hat welches Interesse, politische Zusammenhänge so und nicht anders darzustellen, wie sie dargestellt werden? Gerade angesichts einer nicht zu leugnenden Naivität in der Wahrnehmung und Einschätzung von (Nachrichten-)Bildern einerseits und der umfassenden Möglichkeit der Manipulation der Bilder andererseits liegt hier eine Chance wie eine Verpflichtung gerade reformierter reformatorischer Tradition. 1.2 Die Machtfrage stellen heißt aber auch danach zu fragen, wie bzw. nach welchem Bilde Männer und Frauen „gemacht” werden. Auch diese Fragestellung ergibt sich zunehmend angesichts der Bilderflut, die direkt und indirekt die (Selbst-)Darstellung von Männern und Frauen betrifft. So formt etwa die bildhafte Darstellung in der Werbung ein Ideal, dem viele Menschen dann auch zu entsprechen suchen. Was einer bzw. eine „ist”, hängt stark ab von dem, wie er bzw. sie sich darstellt, 10 Nach welchem Bilde werden Mann und Frau gemacht? reformierte aktente 5 wie sie sich selbst „schafft”, immer wieder neu er-schafft. Was zurückliegenden Generationen gewissermaßen durch den sozialen Zusammenhang vorgegeben, zumindest weitgehend vorgestaltet war, wird nun zur Chance, aber auch zur Aufgabe der Einzelnen: durch äußere Merkmale sich zu definieren. Das reicht von der Ausstattung mit Kleidung einer bestimmten Marke über das „Bodystyling” in Fitness- und WellnessCentern bis hin zur Gestaltung des eigenen Körpers durch Tätowierungen oder durch Piercing3. Auch in diesem Zusammenhang schärft das Bilderverbot die Frage nach der Definitions-Macht der Bilder bzw. der Vorstellungen von Rolle und Identität von Mann und Frau ein: Wer legt fest, wie ein Mann, eine Frau auszusehen hat? Nicht nur in der Perspektive der Genforschungsdebatte ist das eine Fragestellung, deren Bedeutung sich noch steigern wird. Nach welchem Bilde werden Mann und Frau gemacht? Wie stehen die Bilder von Mann und Frau, die uns selbst immer wieder neu zu „machen” uns anregen wollen, im Verhältnis zum Bilde Gottes wie des Menschen, wie es sich zeigt in der Person und im Werk Jesu Christi? Und auch hier gilt deshalb: Reformierte reformatorische Tradition kann sich diesen Fragestellungen auf der Grundlage ihrer eigenen Tradition getrost stellen – sie sollte es allerdings auch tun. 2. In einer Zeit der Entdeckung und Hochschätzung sinnlicher Wahrnehmung auch für den Glauben und seinen Vollzug hält das Bilderverbot einen Raum offen für den, der sich in seinem Wort als der Lebendige zeigt und erweist. Den Reformierten wirft man immer wieder einmal Kargheit ihrer Liturgie wie ihrer Gottesdiensträume vor. In diesem Zusammenhang wird ihnen zudem auch ein gewisser rationaler Zug nachgesagt, der sich dem „Erleben”, dem „Erfühlen” verschließt. Den reformierten Reformatoren ging es mit ihrem Rückgriff auf eher karge, den Bibeltext in den Vordergrund stellende Got- J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“ 11 tesdienstformen, wie sie sie etwa im oberdeutschen Predigtgottesdienst der katholischen Kirche fanden, und der Zerstörung bildhafter Darstellungen biblischer Texte allerdings nicht um eine leibfeindliche Reduktion des „Glaubenserlebens”. Allerdings war die Teilzerstörung von Skulpturen der Rivekirche in Genf in der Nacht auf das Pfingstfest 1534 schon Ausdruck „unüberbrückbare(r) Distanz zwischen Materie und Geist”4, genauer: des Protestes gegen das kirchenoffizielle Verständnis, das im Kultbild ein beschränktes, aber notwendiges Mittel zur Erkenntnis Gottes sah. „Im Bilderverbot der reformierten Reformation wird dieser religiöse Protest festgeschrieben und damit die Vergewisserung eines Erkenntnis- und Heilsweges aus dem sinnlich Erfahrbaren und Vorfindlichen – zu dem gerade auch kirchliche Hierarchie in ihrer Machtausübung gehört – ausgeschaltet.”5 Das Bilderverbot, so verstanden, sichert also auch die Frei- Das Bilderverbot sichert die heit der Selbstoffenbarung Gottes, dem ein kirchlich-hierarFreiheit der chisches Auslegungsmonopol biblischer Texte jedenfalls nicht Selbstoffenentspricht. Oder anders: Das Bilderverbot erinnert an die Selbst6 barung Gottes. offenbarung Gottes , der sein Volk wissen lässt „Ich werde sein, der ich sein werde” (2. Mose 3,14), und es schützt zugleich den Weg des Nachbuchstabierens der Zeugnisse dieser Selbstoffenbarung vor einer Manipulation, die dem freien Wirken des Geistes Gottes im Prozess gemeinsamen Auslegens entgegenstünde. 2.1 Der Fragehorizont des zweiten Gebotes, der sich hier eröffnet, ist also weniger im Hinblick auf die Bedeutung von Kerzen oder das Verdecken alter Fresken zu sehen. Wohl schwerlich wird man etwa lutherischen Christinnen und Christen vorwerfen, in ihrer Tradition seien Kerzen oder Altarbilder als heilsnotwendig zu verstehen, wie es W. Niesel noch meinte indirekt tun zu sollen7. Allerdings ist umgekehrt auch zu fragen, ob die Übernahme von Kerzen und bildhaften Darstellungen in den gottesdienstlichen Rahmen in reformierten Gemeinden nicht eine Stärke reformierter Tradition – manchmal zu schnell – vergessen 12 Das sogenannte Alte Testament redet von Gott in vielen Bildern. reformierte aktente 5 macht. Auch eine weiße Kirchenwand redet, um es einmal so zu formulieren: In einer bildersatten Zeit macht sie auf einen Weg sowohl der Gottes- wie der Selbsterkenntnis aufmerksam, in dem die Erkennenden in radikaler Weise von sich selbst und ihren Wahrnehmungen weg gewiesen werden und dessen spirituelle Tiefe weithin noch der Entbergung harrt. Und eine Gottesdienstliturgie, die das biblische Wort in den Mittelpunkt stellt, wie es etwa die Reformierte Liturgie tut8, steht in einer biblischen Tradition, die sehr wohl von der Vielfalt und der Bedeutung gerade auch der sprachlichen Bilder weiß. Das sogenannte Alte Testament redet von Gott in vielen Bildern, sei es als König (z.B. Ps 47,9), als Hirte (z.B. 1. Mose 48, 15; Ps 23) oder auch als Mutter (z.B. Ps 131,2), um nur einige zu nennen. Es ist das ganz offensichtlich die Kehrseite jener oben genannten Schutzfunktion des zweiten Gebotes, dass es geradezu zu Bildern einlädt, dass es eine Vielfalt von Bildern erst ermöglicht, deren Relativität den sie Gebrauchenden immer bewusst zu sein hat und die erst und nur in der Vielzahl legitim und „offenbarend” von Gott zu sprechen verstehen. 2.2 Von hier aus liegt dann allerdings auch ein kritischer Blick auf jeden Gebrauch von sprachlichen Gottesbildern nahe, auch wie er heute zu finden ist. In der Perspektive dieses Blickes liegt sowohl der Gebrauch der Anrede „Gott” ohne jede weitere Prädikation (Sollen Bilder vermieden werden? Warum und welche?) wie auch die Tatsache, dass wohl die meisten gebrauchten Bilder für Gott immer noch eher männlich sind9. Auch hier gilt: Die reformierte Tradition, die den Perspektiven des Bilderverbotes sich stellen will, ermöglicht den kritischen Blick auf Absicht und Funktion des Gebrauches von Gottesbildern. Und es hält einen Raum offen für den, der sich in den Bildern und jenseits der Bilder als der Lebendige zeigt und erweist. J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“ Anmerkungen 1 H. Erhart, Von der Zeichenhandlung im Bildersturm zum Bilderverbot. Das Beispiel Genf, in: Die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Beiträge zu ihrer Geschichte und Gegenwart, hg. v. E. Lomberg, G. Nordholt u. A. Rauhaus, Weener 1982, S. 403-408. 2 „Die Beschädigungen der Sinnesorgane, des Kopfes und der Glieder bezeichnet die Stelle, an denen Folter und Strafe der angegriffenen Sozietät sich auswirkten und kehrt beide gegen die in ihren Symbolen intendierte Macht.” Erhart, a.a.O., 406. Zum Gesamten vgl. auch den Beitrag von Dietrich Neuhaus, Wort und Bild, in: E. Mechels / M. Weinrich (Hg.), Die Kirche im Wort. Arbeitsbuch zur Ekklesiologie, Neukirchen-Vluyn 1992, S. 86 ff. 3 Vgl. dazu Jörg Schmidt, Von Piercing bis Branding – der Körper als Leinwand, in: die reformierten.upd@te 02.1, S. 18 ff. 4 Vgl. Erhart, S. 407 f. „Die Offenheit der Bruchstelle in der Deformation der Skulptur legt die Leere der Materie frei und verdeutlicht damit, daß Materie keinen Weg zur Erkenntnis Gottes anbieten kann”. (ebd.) 5 Erhart, S. 408. 6 S. zu diesem Zusammenhang Christian Link, Das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott, in: ders. (Hg.), Die Spur des Namens. Wege zur Erkenntnis Gottes und zur Erfahrung der Schöpfung, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 3 ff. 7 Vgl. Wilhelm Niesel, Sind Kerzen heilsnotwendig?, in: RKZ 1951, S. 179 ff. 8 Peter Bukowski u.a. (Hg.), Reformierte Liturgie, Wuppertal / Neukirchen-Vluyn 1999. 9 Vgl. hierzu Magdalene Frettlöh, Wenn Mann und Frau im Bilde Gottes sind ... Über geschlechtsspezifische Gottesbilder, die Gottesbildlichkeit des Menschen und das Bilderverbot, Wuppertal 2002. 13 Nicht mache dir Schnitzgebild Überlegungen zum biblischen Bilderverbot VON MARTIN FILITZ Nicht mache dir Schnitzgebild, und alle Gestalt, die im Himmel oben, die auf Erden unten, die im Wasser unter der Erde ist, neige dich ihnen nicht, diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren. 2. Mose 20,4-6; Übersetzung: M. Buber / F. Rosenzweig Die Flut der Bilder – Vorbemerkungen Wir sind von Bildern umzingelt. Bilder bestimmen unsere Das Bild Wirklichkeit. Das Bild gilt uns als Wahrheitsbeweis, selbst wenn gilt uns als es eine Lüge ist. Selbstredend sind wir aufgeklärt. Wir wollen Wahrheitsbeweis, selbst wenn es nur das glauben, was wir auch sehen. Und: wir haben geglaubt, eine Lüge ist. was wir gesehen haben. In den Zeiten des Golfkrieges wurden uns Bilder einer Anhörung vor dem Kongress der Vereinigten Staaten gezeigt, die uns die Not- ra05-02.indd 15 26.04.2002, 10:45 16 Kriterium für Wirklichkeit scheint die Sichtbarkeit geworden zu sein. reformierte aktente 5 wendigkeit dieses Krieges unausweichlich machen sollten. Eine junge Frau wurde uns vorgeführt, die mit tränenerstickter Stimme berichtete, wie die Soldaten Saddam Husseins in Kuwait eingefallen seien, auf der Neugeborenenstation des Krankenhauses die Babies aus den Brutkästen herausgerissen und auf den Boden geworfen hätten. Erst viel später kam heraus, dass diese Frau, die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington, zu Zeiten des Überfalls auf Kuwait gar nicht in Kuwait war. Die Bilder gingen um die Welt, und sie machten Stimmung. Noch einmal Golfkrieg: Die totale Nachrichtensperre, die die USA verhängt hatten, und die nur Material zuließ, das durch die Militärzensur gegangen war, ließ uns alle Bilder gierig aufsaugen. Und so zeigte man uns Bilder, von einer in eine Bombe implantierten Kamera gefilmt, die die angebliche Präzision zeigen sollte, mit der die USA zwischen Zivilbevölkerung und Militär unterscheiden könnte. Man witzelte damals: Wenn die Bombe in ein öffentliches Gebäude fällt, könne sie sich aussuchen, ob sie auf der Damen- oder auf der Herrentoilette explodieren sollte. Die wirklichen Bilder hat man uns bis heute nicht gezeigt. Man munkelt von Uran-Geschossen, aber Genaues weiß man nicht. Die Macht der Bilder hat uns einen „sauberen“ Krieg vor Augen geführt und wie in der Medizin sprach man von „chirurgischen Schnitten“ wenn man Bombenangriffe meinte. So haben die Bilder Macht über die Wahrheit gewonnen. Gerade wird bekannt, dass auch die angeblichen Massaker der Serben an den Albanern im Kosovo, mit denen der Luftkrieg der NATO begründet wurde, so nicht stattgefunden hat. Untersuchungen haben ergeben, dass die vorgezeigten Leichname keine Spuren von Massenmord oder Folter aufwiesen. Es handelte sich dabei um Albaner, die im Kampf ums Leben gekommen waren. Kriterium für Wirklichkeit scheint die Sichtbarkeit geworden zu sein – vor allem die Sichtbarkeit, wie sie uns das Fernsehen vorführt: Wichtiges und Unwichtiges fallen ineinander und durcheinander – nicht mehr zu unterscheiden, wenn die Trennung der Beckers tagelang die Top-Meldung in den Nachrich- ra05-02.indd 16 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild ten der Privatsender ist, wenn nach und nach die Öffentlichrechtlichen Sendeanstalten ihr Programm mehr und mehr nach Einschaltquoten ausrichten: die völlige Dominanz der Volksmusik, des Sports, der Talk-Shows und – nicht zu übersehen, der Werbung. Denn, so sagt man uns: nur wenn die Industrie bereit ist, Werbung zu schalten, ist es finanziell möglich, bestimmte Filme, Dokumentationen etc. zu produzieren. Und wir wissen, dass in den USA auch Religion mit einigem Erfolg auf dem Wege der Bilder vermittelt wird. Neill Postman1 hat in seiner schonungslosen Analyse die erschreckenden Dimensionen dieser Tele-Diktatur beschrieben zu einer Zeit, als es Big Brother und die Millionen-Gameshows noch nicht gab. Andererseits entkommen wir den Bildern nicht. Begriffe ohne Anschauung sind leer – sagt Immanuel Kant. Unsere Sprache ist ein Netzwerk von Bildern, von Metaphern: kein Mensch „blüht auf“ im wörtlichsten Sinn; wer hat schon einmal einen „gerissenen Geduldsfaden“ gesehen? Es geht nicht ohne Bilder – schon gar nicht in der Theologie: „Gott ist mein König von alters her“ (Ps. 74,12) – „Er weidet seine Herde dem Hirten gleich“ (Jes. 40,11] – „Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben“ (Ps. 36,8). Jeder mag die Liste nach dem Maß seiner Bibelkenntnis fortschreiben. Und es wird auffallen, dass der Bilderreichtum besonders in poetischen Texten erheblich anwächst, in Liedern, Psalmen, wo die Sprache sich neue Wege sucht, wo sie schöpferisch wird, um das Neue Lied des Lobes Gottes singen zu können. Der Konflikt scheint unausweichlich. Bilderverbot gegen Bildersprache: der Gott, der in Israel zur Welt kommt, und dessen Zur-Welt-kommen von wahrnehmbaren und auch sichtbaren Zeichen begleitet wird (Wolkensäule und Feuerschein, Ex.14, 19f. der brennende Dornbusch, Ex. 3,2.) und der Gott, dessen Lob auch in Bildern gesungen wird? Ist er gestern und heute und derselbe in Ewigkeit, oder muss er sich resignierend auf Bilder einlassen, weil seine Geschöpfe nun einmal nicht ohne Bilder leben können?2 Und ist so das Bilderverbot zur ra05-02.indd 17 17 Unsere Sprache ist ein Netzwerk von Bildern, von Metaphern. 26.04.2002, 10:45 18 reformierte aktente 5 Konkursmasse des religiösen Zeitalters zu schlagen, auf den Müllhaufen der Gesetzlichkeiten zu werfen oder der archaischen Überbleibsel, mit der der nach sich selber fragende Mensch einfach nichts mehr anfangen kann? Und: haben es die Römische Kirche und die Ostkirchen nicht schon immer gewusst, dass es ohne Bilder nicht geht? Das sind Fragen, die sich eine an der Bibel orientierte Theologie und Kirche immerhin stellen muss, will sie nicht zur reinen Kulturideologie verkommen. Du sollst dir kein Bildnis machen In der nomadischen Kultur des Nahen Ostens haben offensichtlich Götterfiguren einen wichtigen Stellenwert gehabt. ra05-02.indd Das Bilderverbot der Hebräischen Bibel stammt aus anderem Kontext. Es ist nicht auf dem kulturellen Boden der Fernsehkultur gewachsen. In der nomadischen Kultur des Nahen Ostens haben offensichtlich Götterfiguren einen wichtigen Stellenwert gehabt. Wir erinnern uns an Rebekka und ihre Hausgötter, die sie gern mit nach Westen genommen hätte. 1. Mose 31,19. 26-36 19 Laban aber war gegangen, seine Herde zu scheren. Und Rahel stahl ihres Vaters Hausgott. 26 Da sprach Laban zu Jakob: Was hast du getan, daß du mich getäuscht hast und hast meine Töchter entführt, als wenn sie im Krieg gefangen wären? 27 Warum bist du heimlich geflohen und hast mich hintergangen und hast mir‘s nicht angesagt, daß ich dich geleitet hätte mit Freuden, mit Liedern, mit Pauken und Harfen? 28 Und hast mich nicht einmal lassen meine Enkel und Töchter küssen? Nun, du hast töricht getan. 29 Ich hätte wohl so viel Macht, daß ich euch Böses antun könnte; aber eures Vaters Gott hat diese Nacht zu mir gesagt: Hüte dich, mit Jakob anders zu reden als freundlich. 30 Und wenn du schon weggezogen bist und sehntest dich so sehr nach deines Vaters Hause, warum hast du mir dann aber meinen Gott gestohlen? 31 Jakob antwortete und sprach zu Laban: Ich fürchtete mich und dachte, du würdest deine Töchter von mir 18 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 19 reißen. 32 Bei wem du aber deinen Gott findest, der sterbe! Hier vor unsern Brüdern suche das Deine bei mir und nimm‘s hin. Jakob wußte aber nicht, daß Rahel ihn gestohlen hatte. 33 Da ging Laban in die Zelte Jakobs und Leas und der beiden Mägde und fand nichts. Und ging aus dem Zelte Leas in das Zelt Rahels. 34 Rahel aber hatte den Hausgott genommen und unter den Kamelsattel gelegt und sich darauf gesetzt. Laban aber betastete das ganze Zelt und fand nichts. 35 Da sprach sie zu ihrem Vater: Mein Herr, zürne nicht, denn ich kann nicht aufstehen vor dir, denn es geht mir nach der Frauen Weise. Daher fand er den Hausgott nicht, wie sehr er auch suchte. 36 Und Jakob wurde zornig und schalt Laban und sprach zu ihm: Was hab ich Übles getan oder gesündigt, daß du so hitzig hinter mir her bist? Diese Traditionen gehören zur Väterzeit und sind durch den Sinai-Bund aufgehoben. So spiegelt das biblische Bilderverbot Das Bilderverbot spiegelt einen einen hohen Grad an theologischer Reflexion. In einem langen Überlieferungsprozess ist es zu der Gestalt gewachsen, die wir hohen Grad an theologischer im Dekalog finden: Reflexion. Exodus 20,4-6 4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, 6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. Walter Zimmerli ist dem Überlieferungsprozess nachgegangen und hat schon im Text selbst auf seinen unterschiedlichen Bearbeitungsstufen zwei Tendenzen gleichberechtigter Interpretationen ausgemacht, die bis heute die Auslegung des Textes bestimmen3: 1. Zuerst ist das Bemühen festzustellen, das Bilderverbot strikt „nach vorn“ an das Fremdgötterverbot anzubinden und beide ra05-02.indd 19 26.04.2002, 10:45 20 „Vielmehr wird auch beim zweiten Gebot von einer Antastung des alleinigen Herrenrechtes Jahwes geredet, die seine Eifersucht wecken kann." ra05-02.indd reformierte aktente 5 als eine Einheit zu sehen. So interpretiert das Bilderverbot die Ausschließlichkeit der Anbetung Gottes für Israel. In dieser Richtung des Verstehens liegen sowohl die jüdische Tradition (die allerdings die Selbstvorstellung Gottes: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Knechtschaft geführt habe“ als 1. Gebot zählt) – bei Buber/Rosenzweig ist die Zusammengehörigkeit im Druckbild sichtbar gemacht –, als auch die Tradition der römisch-katholischen Kirche, wie die Auslegung Martin Luthers, die meinen, dieses Bilderverbot deshalb übergehen zu können. In diesem Falle ist das Fremdgötterverbot durch das Gebot der kultischen Verehrung von Bildern aller Art, vor allem auch von Abbildern des Lebendigen, der Geschöpfe, konkretisiert. Für die Auslegung selber stellt Zimmerli fest: Das zweite Gebot aber ist nach Anweisung der alten Interpreten hart neben diesem ersten zu sehen. Hier wird also offenbar nicht auf die ganz andere gedankliche Linie der Mahnung zu einem geistigen Gottesdienst und der Entgegensetzung des Sinnlichen gegen das Geistige umgeschaltet. Das wäre eine völlig neue Gedankenreihe, die sich nur schwer im Schatten des vom ersten Gebot Ausgeführten verstehen ließe. Vielmehr wird auch beim zweiten Gebot von einer Antastung des alleinigen Herrenrechtes Jahwes geredet, die seine Eifersucht wecken kann. Es geht auch hier nicht um ein bloßes Fehlverständnis der wirklichen Wesenheit Jahwes, das aus einer mangelhaften Belehrtheit des Menschen herrührte, sondern um ein Streitigmachen seiner Herrschaft. Das Gebot ist dynamisch gemeint, nicht weltanschaulich. ... Wohl aber erkennen wir auf der ganzen Linie ein scharfes Wachen darüber, dass der Mensch dieses Hereintreten Jahwes in die ungeschützte Sphäre menschlicher Geschichte nicht eigenmächtig missbrauche und zu seinem Eigenen, dessen er habhaft sein könne, mache. Das dritte Gebot (Ex.20,7) wird vom Namen Jahwes reden, dessen reale Offenbarung nicht abgeleugnet wird. Im Gegensatz zu all den durch die Religionsgeschichte hin wahrnehmbaren Schutzmaßnahmen, die den wirklichen Namen des Gottes zu verheimlichen suchen, kündet das Alte Testament offen von der Offenbarung des Namens Jahwes, der nicht nur ein vorgeschützter 20 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 21 Deckname ist. Aber weh dem, der nun diesen Namen unnütz, d.h. in eigener Willkür brauchte: Jahwe wird ihn nicht ungestraft lassen, sagt das Dekaloggebot in der uns vorliegenden, wohl auch wieder paränetisch erweiterten Form. Das zweite Gebot liegt hart neben dem dritten. Jahwe hat die Sphäre echter Geschichtlichkeit nicht verschmäht. In dieser Sphäre will er Israel begegnen. Aber weh dem, der meint, dieses offenbar hereintretenden Gottes im Bilde habhaft zu werden. Im Gottesbild, das der Mensch sich fertigt, ist Jahwes Freiheit angetastet. 2. Die andere Interpretationstendenz zielt darauf ab, das Bilderverbot als eigenständiges Dekalog-Gebot zu sehen, das im Zusammenhang mit dem Verbot des Missbrauchs des einzigartigen Namens zu verstehen ist. Bild und Name machen den Gott Israels unverfügbar. Hier führt Zimmerli vor allem die Bibelstelle Dt. 4 an, die er als authentische Interpretation des Bilderverbotes sehen möchte. (Text der Übersetzung von Buber/ Rosenzweig)4 Bild und Name machen den Gott Israels unverfügbar. Versammle mir das Volk, daß ich sie meine Rede hören lasse, damit sie lernen mich fürchten alle Tage, die sie selbst auf dem Boden leben, und ihre Söhne lehren, – ihr nahtet, ihr standet unterm Berg, der Berg entzündet im Feuer bis an das Herz des Himmels: Finsternis, Wolke, Wetterdunkel. ER redete zu euch mitten aus dem Feuer – ihr hört Erschallen von Rede, doch ihr seht keine Gestalt, Schall allein. Er meldete euch seinen Bund, den er euch zu tun gebot, die Zehnwortrede, er schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. ra05-02.indd 21 26.04.2002, 10:45 22 Hütet euch, ihr möchtet sonst SEINEN eures Gottes Bund vergessen, den er mit euch schloß, euch Schnitzgebild machen, Abgestaltung all dessen wovon ER dein Gott dir gebot. ra05-02.indd reformierte aktente 5 Mir aber gebot ER zu jener Frist euch Gesetze und Rechtsgeheiße zu lehren, daß ihr sie tut, in dem Land, dahin ihr schreitet, es zu ererben. Hütet euch sehr um eure Seelen, denn nicht saht ihr allirgend Gestalt am Tag, da ER zu euch redete am Choreb mitten aus dem Feuer: ihr möchtet sonst verderben euch Schnitzgebild machen, Abgestaltung von allerart Form, Bau eines Männlichen oder Weiblichen, Bau allerart Getiers, das auf der Erde ist, Bau allerart Zwitschernden, Befittichten, das am Himmel hinfliegt, Bau allerart am Boden Kriechenden, Bau allerart Fischvolks, das im Wasser ringsunter der Erde ist, du möchtest deine Augen himmelwärts heben, ansehn die Sonne, den Mond und die Sterne, alle Schar des Himmels, abgesprengt werden, dich ihnen neigen, ihnen dienen, die ER dein Gott zuteilte allen Völkern unter allem Himmel, euch aber nahm ER und führte euch aus dem Eisenschmelzofen, aus Ägypten, ihm zu einem Eigentumsvolk zu werden, wies nun am Tag ist. ER erzürnte über mich um Eure Reden, er schwor, nie würde ich den Jordan überschreiten, nie in das gute Land kommen, das ER dein Gott dir als Eigentum gibt; ja, ich sterbe in diesem Land, nicht überschreite ich den Jordan, ihr aber schreitet hinüber und werdet dieses gute Land ererben. Hütet euch, ihr möchtet sonst SEINEN eures Gottes Bund vergessen, den er mit euch schloß, euch Schnitzgebild machen, Abgestaltung all dessen wovon ER dein Gott dir gebot, denn ER dein Gott, ein verzehrendes Feuer ist er, ein eifernder Gottherr. Wenn du Söhne und Sohnessöhne zeugst, ihr im Land einaltert, verderbet, machet Schnitzgebild, Gestaltung allerart, 22 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild machet das in SEINEN deines Gottes Augen Böse, ihn zu verdrießen: zu Zeugen nehme ich heuttags wider euch den Himmel und die Erde, daß ihr dann schwinden, hinschwinden müßt rasch vom Land weg, dahin ihr den Jordan überschreitet es zu ererben. Nicht werdet ihr darauf Tage längern, ja, getilgt werdet ihr, fortgetilgt, streuen wird ER euch unter die Völker, zählbare Leute, restet ihr unter den Erdstämmen, dort wohin er euch treibt, dort werdet ihr Göttern dienen. Gemächt von Menschenhänden, Holz und Stein, die nicht sehn und nicht hören, nicht schmecken und nicht riechen. Verlangen werdet ihr von dort nach IHM deinem Gott, dann wirst du ihn finden, weil du ihn mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele suchst: in deiner Drangsal, da all diese Dinge dir sich einfinden, in der Späte der Tage kehrst du um zu IHM deinem Gott, hörst auf sein Stimmerschallen. Denn ein erbarmender Gottherr ist ER dein Gott, er entzieht sich dir nicht, läßt dich nicht verderben, er vergißt nicht den Bund deiner Väter, den er ihnen beschwor. Denn frage doch nach bei frühen Tagen, die vor dir waren, nach vom Tag, da Gott einen Menschen schuf auf der Erde, nach vom Rande des Himmels bis zum Rande des Himmels, ob etwas geschah wie dieses große Ding, oder ob etwas erhört ward wie es: ob ein Volk Gottes Stimmenschall hörte redend mitten aus dem Feuer, wies hörtest du, und blieb leben, oder ob ein Gott erprobt hat zu kommen, sich zu nehmen einen Stamm aus dem Innern eines Stammes mit Proben, mit Zeichen, mit Erweisen, mit Kampf, mit starker Hand, mit gestrecktem Arm, ra05-02.indd 23 23 Gemächt von Menschenhänden, Holz und Stein, die nicht sehn und nicht hören, nicht schmecken und nicht riechen. 26.04.2002, 10:45 24 reformierte aktente 5 mit großen Furchtbarkeiten, allwie ER euer Gott für euch tat in Ägypten, vor deinen Augen! Du wurdest sehen gemacht, zu erkennen, daß ER der Gott ist, keiner sonst außer ihm. Vom Himmel ließ er seinen Schall dich hören, dich in Zucht zu nehmen, auf der Erde ließ er dich sein großes Feuer sehen, seine Reden hörtest du mitten aus dem Feuer. Darum daß er deine Väter liebte, erwählte ihren Samen nach ihnen, führte dich mit seinem Antlitz, mit seiner großen Kraft, aus Ägypten, Stämme, größer und markiger als du, vor deinem Antlitz zu enterben, dich herkommen zu lassen, dir ihr Land als Eigentum zu geben, wies nun am Tag ist. Erkenne heuttags, laß ins Herz dir einkehren, daß ER der Gott ist, im Himmel oben, auf Erden unten, keiner sonst. Wahre seine Gesetze und seine Gebote, die ich heuttags dir gebiete, daß gut es ergehe dir und deinen Söhnen nach dir, und damit du Tage längerst auf dem Boden, die ER dein Gott dir gibt alle Tage. Das Bilderverbot Das Bilderverbot als die Grenze, sich Gottes zu bemächtigen, als die Grenze, ihn zum Geschöpf der eigenen Phantasie, der Träume, der Einsich Gottes zu zel- und Gruppenegoismen zu machen. Zimmerli resümiert: In diesen Ausführungen wird nun vor allem auffallen, daß die bemächtigen. Unabbildbarkeit Jahwes nicht durch den Hinweis auf sein Geistwesen, das aller irdischen Leiblichkeit entgegen ist, belegt wird, sondern daß der Verfasser auf die Stelle der geschichtlichen Begegnung Jahwes mit seinem Volke Israel deutet. Nicht von einer allgemeinen Erwägung der Überweltlichkeit Jahwes, sondern von dem ra05-02.indd 24 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 25 gehorsamen Nachdenken über jenes Geschehen der Begegnung her soll Israel die ihm gegebene Ordnung begreifen. „Ihr kamt heran und tratet unten an den Berg. Und der Berg brannte im Feuer, bis mitten in den Himmel hinein, bei Finsternis, Gewölk und Wolkendunkel. Und Jahwe redete mit euch mitten aus dem Feuer heraus. Den Schall der Worte hörtet ihr, eine Gestalt aber saht ihr nicht — nur den Schall (hörtet ihr)“ (4,1 lt.). Beides ist in dieser eigenartig lehrhaften Auslegung der Horebgeschichte ganz klar festgehalten: die königliche Überlegenheit des ... die königliche Überlegenheit Gottes, der sein Bild nicht an die Menschen ausliefert — und des Gottes, der dann doch wieder die volle Nähe Gottes zu seinem Volk unter der sein Bild nicht Hülle der erschreckenden Erscheinungen am Berge und vor allem an die Menschen in dem allen hörbaren Wort. ausliefert. So vermag auch diese Auslegung der scheinbar stärker weltanschaulichen Aussage von 4b in ihrer besonderen Weise sichtbar zu machen, daß das zweite Gebot nicht zu Erwägungen über das ewige Wesen des unsichtbaren Gottes führen will, sondern zur gehorsamen Hinwendung zu dem Gott, der auch in seiner den Menschen nahe berührenden Offenbarung der souveräne Herr bleiben will und über den kein Menschenwille, auch kein frommer Menschenwille, verfügt.5 Gott offenbart sich in der Geschichte – aber er liefert sich nicht an die Geschichte aus. Und weil er sich in der Geschichte zu Wort meldet, kann seine Offenbarung geschichtlich nivelliert, missverstanden, missdeutet werden. Sie wird es vor allem dann, wenn sie auf ein Prinzip reduziert und festgelegt wird. Dies kann im mißbräuchlichen Wort (Verbot des Namensmissbrauchs) und es kann es in der Darstellung, der Abbildung (Bilderverbot) geschehen. Missbrauch ereignet sich in den menschlichen Ebenen der Kommunikation (Verbot des Namensmissbrauchs) und der Ästhetik (Bilderverbot). Beide Gebote sind negativ formuliert, beide sind strafbewehrt. Und indem sie – wie später die Formel von Chalkedon – dem Missbrauch wehren, eröffnen sie einen Raum, indem die Ästhetik und die Kommunikation legitimen Ort in der Anrufung Gottes bekom- ra05-02.indd 25 26.04.2002, 10:45 26 Gott macht sich in der Geschichte erkennbar, den menschlichen Sinnen wahrnehmbar, aber er gibt sich menschlichem Erkennen nicht. reformierte aktente 5 men. Denn: Im Lob Gottes wird der Name des Herrn in aller Freiheit angerufen, und wenn es das Lob des Gottes Israels sein soll, dann muss sein Name – wie auch immer – unmissverständlich zur Sprache kommen. Das gilt analog für die Ästhetik, für den Tanz der Mirjam, der eben deutlich etwas anderes ist als der Tanz der Baalspriester auf dem Karmel. Der Jerusalemer Tempel ist ein gottesdienstliches Kunstwerk, das sich eben darin von anderen Kultstätten unterscheidet, dass hier das Götterbild fehlt. – So wird das Bilderverbot zu einem äußerst kreativen ästhetischen Akt für die bildende Kunst selber. Insofern hat der Versuch Ernst Langes, von den 10 Geboten als von den 10 Freiheiten zu reden, ein Recht, das über den konkreten Versuch hinausgeht. Ebenso halten es der Heidelberger Katechismus und auch die Katechismen Martin Luthers, indem sie in der Auslegung der Gebote immer auch nach ihrem positiven Gehalt fragen. So wird der durch die Verbote eröffnete Raum durchmessen und kreativ erschlossen – eine Aufgabe, die immer wieder neu in Angriff zu nehmen ist. Gott macht sich in der Geschichte erkennbar, den menschlichen Sinnen wahrnehmbar, aber er gibt sich menschlichem Erkennen nicht. Seine Offenbarung ist kein Offenbarungsprinzip, wie die Theologia naturalis glauben machen möchte. Es gehört zum Wesen der Theologia naturalis, dass sie den Ort der Offenbarung Gottes systematisch festschreibt. Sämtliche Gottesbeweise funktionieren daher nur in einem System, das über die Gegenwart Gottes in Natur, Geschichte, Kunst, Logik, Religion etc. verlässliche Aussagen machen kann. In dem Moment, als dieser verlässliche Bezugsrahmen verlorenging, als die Welt auch ohne Gott denkmöglich wurde, mussten auch die Gottesbeweise fallen. Daher auch der konsequente Versuch Karl Barths, den ontologischen Gottesbeweis als die denkende Selbstvergewisserung des Glaubens zu verstehen und nicht als die voraussetzungslose Suche nach Gotteserkenntnis.6 Insofern hängen das Bilderverbot und das Namensgebot eng miteinander zusammen. Denn auch in der Offenbarung seines ra05-02.indd 26 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 27 Namens (Ex.3) nennt Gott den Namen, der unnennbar ist, der aus der Gegenwart in die Zukunft weist, aus der Zeit auf die Gerade die Ewigkeit. Gerade die Offenbarung Gottes als Offenbarung in Offenbarung der Zeit des Menschen verhüllt Gottes Sein. Er macht sich dem Menschen nicht zuhanden wie ein Götterbild, erfüllt die Gottes als Offenbarung in der menschliche Phantasie, aber liefert sich ihr nicht aus, entzieht Zeit des Mensich allem Zauber und aller Bemächtigung, die immer dann schen verhüllt geschieht, wenn Bilder sich verselbständigen, wenn sie sich von Gottes Sein. den sie deutenden Worten gelöst haben. Charakteristisch hierfür ist das aus dem „hoc est corpus meum“ der Messe als verballhornt hervorgegangene „Hokuspokus“ als Inbegriff aller Zauberei. So auch das Kreuz als apotropäischer Ritus, vor dem sogar Vampire zurückschrecken oder auch das Kreuzschlagen des Radrennfahrers Jan Ullrich vor jedem Start als magisches Zeichen gegen Unfall und Niederlage. Die christliche Kirche und mit ihr die Theologie hat diese Freiheit Gottes in seiner Offenbarung zu wahren. Allerdings kann die christliche Kirche und Theologie bei ihrem Umgang mit Bildern nicht auf die Hebräische Bibel beschränkt bleiben. Auf anderer Ebene aber nichtsdestoweniger deutlich hat auch die Griechische Bibel einiges zu Bild und Bildern zu sagen: Die Frage nach der Steuer für den Kaiser beantwortet Jesus mit dem Hinweis auf das kaiserliche Abbild auf der Münze. Und sie sandten zu ihm einige von den Pharisäern und von den Anhängern des Herodes, daß sie ihn fingen in Worten. 14 Und sie kamen und sprachen zu ihm: Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern du lehrst den Weg Gottes recht. Ist‘s recht, daß man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht? Sollen wir sie zahlen oder nicht zahlen? 15 Er aber merkte ihre Heuchelei und sprach zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Silbergroschen, daß ich ihn sehe! 16 Und sie brachten einen. Da sprach er: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie sprachen zu ihm: Des ra05-02.indd 27 26.04.2002, 10:45 28 reformierte aktente 5 Kaisers. 17 Da sprach Jesus zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und sie wunderten sich über ihn. (Markus 12,13-17) Traditionelle Auslegung verweist auf die Entsprechung: Das Kaiserbild zeigt ein Besitzverhältnis an. Gottes Ebenbild – also der Mensch – ist ebenfalls durch ein Besitzverhältnis – eben zu Gott – bestimmt. In jüdischem Kontext wird diese Auslegung so kaum verständlich. Kann es wirklich sein, dass Jesus Kaiserbild und Gottesbild schiedlich-friedlich nebeneinander gelten lässt? Pinchas Lapide deutet anders. Er sagt: das Kaiserbild auf der Münze ist ein Götzenbild. Durch die Frage: Wer ist abgebildet? entlarvt Jesus das römische Geld als Götzengeld: „Gebt dem Kaiser sein verdammtes Geld zurück, und gebt dem Kaiser vor allem nicht, was Gott gehört, gebt ihm nicht euch selber!“ – ein deutlicher Aufruf an die Jünger, sich über das Geld nicht mit diesem Götzendienst einzulassen. Auch diese Antwort könnte ein Hinweis darauf sein, warum die Tempelpartei der Sadduzäer und vor allem der römische Prokurator in Jesus eine konkrete Gefahr für den inneren Scheinfrieden zum Pessachfest sahen und ihn so schnell wie möglich öffentlich ans Kreuz brachten. Im Gleichnis kommt die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache. ra05-02.indd Wesentlich bedeutsamer für das theologische Verständnis vom Bild sind die Gleichnisse Jesu. Hier wird den Bildern aus dem alltäglichen Leben, den Bildern von Saat und Ernte, vom verlorenen Groschen, vom Schatz im Acker, auch so grotesken Bildern wie das vom ungerechten Haushalter, vom barmherzigen Vater, von den Arbeitern im Weinberg immerhin zugetraut, in ihrem Gleichnis- und also in ihrem Bildcharakter etwas vom Geheimnis der Gottesherrschaft enthüllen zu können. Nie so, dass sie greifbar wäre: schon jetzt ist sie, und sie ist doch noch nicht, mitten unter euch und doch euch meilenweit voraus, so einfach, dass jedes Kind es versteht, und so ungeheuerlich, dass es fassen kann, wer es fassen mag. Im Gleichnis kommt die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache7 – als Gleichnis, nicht als Abbild, als Bild, aber doch 28 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 29 so, dass die Unähnlichkeit mit dem Urbild größer ist als die Ähnlichkeit. Paulus schreibt, wohl denselben Sachverhalt meinend: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1.Kor.13,12f.) Das ist eine neutestamentliche Interpretation des alttestamentlichen Bilderverbotes. Wir sind nicht blind für Gottes Wirklichkeit, aber unsere Erkenntnis bleibt immer Stückwerk. Die Bilder haben ihre Grenze an der nicht abbildbaren Wirklichkeit. Noch deutlicher wird es, wenn der 2. Korintherbrief (4,4), der Kolosserbrief (1,15) und der Hebräerbrief (1,3) Christus als das Ebenbild Gottes beschreiben, das Ebenbild seines Wesens (Hebr. 1,3), oder anders gesagt: Christus ist für sie die rechte Entsprechung Gottes, die sich auf der Welt finden lässt. Wer Gott sehen will, der wird Christus sehen, der in Ewigkeit war, in der Krippe zur Welt kam, die Wege der Menschen mitging, die Ausgegrenzten in die Nähe Gottes holte – dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen – der unsern Tod starb, fluchbeladen, wie Paulus sagt, und der von den Toten auferstand und in Ewigkeit bei Gott ist und bei uns. Er, das „Eikon Theou“ (Bild Gottes) unvermischt und ungetrennt, ungeschieden und unvereint, er, bei dem Gott und Mensch beieinander und zu Hause sind, ohne dass der sezierende Verstand das säuberlich auseinanderlegen könnte. Christus, das Bild Gottes, bedeutet eben Gott am Kreuz zu sehen, wie Friedrich Spee von Langenfeld8 gedichtet hat: O große Not, Gott selbst ist tot Am Kreuz ist er gestorben. Wir sind nicht blind für Gottes Wirklichkeit, aber unsere Erkenntnis bleibt immer Stückwerk. Und Christus, das Bild Gottes, bedeutet den Menschensohn zu sehen am Ostermorgen, wo das Sehen keinen Zugang mehr ra05-02.indd 29 26.04.2002, 10:45 30 reformierte aktente 5 schaffen kann, und wo das Wort den Bann bricht: „Maria“ sagt er, und sie erkennt, aber wo auch die Worte ins Leere gehen können, wo Augen und wohl auch Ohren gehalten sind, bis er sich zu erkennen gibt als der, der das Brot bricht und den Wein teilt. Christus, das Bild Gottes: das Bild Gottes von sich selbst und vom Menschen – unabbildbar und darum immer wieder zu erzählen: denn erzählen, das ist wie Kino im Kopf mit vielen Wiederholungen. Und auf jeder Stufe des Verstehens wird man neu hören, wird die Bilder korrigieren, und wenn man meint: jetzt hast du es!, dann entzieht sich die Geschichte wieder. Ich halte das für den schöpferischen Prozess des Heiligen Geistes, Bilder zu brauchen und sie doch immer wieder zu überholen, aufzuheben bis wir kein Bild mehr brauchen, nicht mehr sehen wie im Spiegel, sondern von Angesicht zu Angesicht. Wenn es anders wäre, was sollte Predigen dann noch für einen Sinn haben? Der reformatorische Bilderstreit Dass die Bilder fromm missbraucht werden können, steht für Luther außer Frage. ra05-02.indd Martin Luther hat in seiner Auslegung der Gebote das Bilderverbot übergangen. Die Gründe dafür sind schwerwiegend. Während seiner Abwesenheit auf der Wartburg hat Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, in Wittenberg den Bildersturm inszeniert. Nur mit Mühe gelingt es Luther diesem Treiben mit seinen Invocavit-Predigten Einhalt zu gebieten. Dass die Bilder fromm missbraucht werden können, steht für Luther außer Frage. Daran sind aber nicht die Bilder schuld sondern die Menschen, die diesen Missbrauch inszenieren. Es darf daher nicht geschehen, dass mit der radikalen Ablehnung der Bilder ein neues, die Gewissen verpflichtendes Gesetz aufgerichtet wird. Ganz anders in der oberdeutschen und schweizerischen Reformation. Die bildlichen gottesdienstlichen Darstellungen der Heilsgeschichte bilden hier deutlich den soziologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergrund für die Skepsis den Bildern gegenüber. Zwingli kommt aus der humanistischen 30 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 31 Schule, und der Humanismus ist ein Versuch europäischer Aufklärung gewesen wie die Scholastik vor ihm und die so bezeichnete Aufklärung „the area of enlightenment“ nach ihm. Der Ernst des reformatorischen Strebens, das also vor Messe und Bildern noch gehemmt wurde, setzte sich unterdessen an zahlreichen anderen Stellen durch, auch dort, wo er spürbare Verzichte verlangte. Seit Weihnachten 1523 kehrte sich das Volk vom mittelalterlichen Kultus ab. Am folgenden Lichtmessfest gab es keine Umgänge und geweihten Kerzen mehr. Die Fastenzeit 1524 wurde, trotz erneuerter Mandate, nur noch von wenigen Leuten eingehalten, womit bemerkenswerterweise zugleich der Zusammenbruch der Beichtinstitution begann. Am Palmsonntag fiel der große Aufzug auf den Lindenhof mit Christus auf dem Esel und Palmensegen aus, und zum Ablaß am »Ölberg« fand sich am Gründonnerstag niemand mehr ein. Am Karfreitag wurde kein Christusbild mehr zu Grabe getragen‘ .Die alljährliche Pfingstmontag-Wallfahrt von über 15000 Zürchern nach Einsiedeln wurde durch Ratsmandat aufgehoben, und der Pfingstmittwoch sah nicht mehr die große Prozession von Klerisei und Zünften mit den Reliquien der Stadtheiligen auf den Lindenhof — als Grund wurde der an diesen Volksfesten eingerissene Unfug angegeben, aber statt ersterer wurde von jeder Haushaltung ein Batzen im Armenstock der Wasserkirche erwartet Schließlich wurde der »Fronleichnam« aufgehoben. Zwinglis Gutachten hatte mitgeholfen, einen Teil der üblichen Kreuzgange durch kurze Frühandachten im Frauenmünster zu ersetzen, nach denen jeder nach Belieben arbeiten oder feiern durfte.9 Am Karfreitag wurde kein Christusbild mehr zu Grabe getragen. Viel stärker als in dem landesherrlich bestimmten Mitteldeutschland sind in den freien Städten und Kantonen die Bilder in den Kirchen Ausdruck von Reichtum und Macht. – Wer sich in der Kirche abbilden lassen kann auf einer Stiftertafel oder auf einem Epitaph, der verfügt über Macht. So gehört das Bilderverbot zumindest in Zürich auch in den Kontext der Eindämmung des Luxus und der Verschwendung. Zwingli begründet sein kompromissloses Einschreiten mit dem für ihn charakteristischen pneumatologischen Gottes- ra05-02.indd 31 26.04.2002, 10:45 32 reformierte aktente 5 dienstverständnis. Gott will im Geist und in der Wahrheit angebetet werden (Joh.4), darum darf die vera religio nicht in den fleischlichen Bereichen gefangen bleiben. Gott will im Geist und in der Wahrheit angebetet werden. ra05-02.indd Es bleibt höchst erstaunlich, daß sogar das Beten zum Erwerbsmittel abgesunken ist. Wenn die recht haben – und sie haben recht –, die behaupteten, das Gebet sei eine Erhebung des Herzens zu Gott, ist es dann nicht geradezu schamlos, diese Verbindung des Herzens mit Gott zum öffentlichen Gewerbe zu entwürdigen? Es ist doch klar: Ein Gebet, das wir um Geld verkauft haben, ist nie ein Gespräch des Herzens mit Gott, sondern reine Heuchelei gewesen. Da man sich erdreistete, die Andacht des Herzens als verdienstliches Werk auszugeben und dafür Geld einzunehmen, so ist es notwendig, daß ich über das Gebet spreche. Augustinus und andere haben das Gebet als eine Erhebung des Herzens zu Gott umschrieben. Diese Begriffsbestimmung ist zutreffend, und zwar nicht schon deshalb, weil sie von Augustinus und anderen stammt, sondern weil diese Männer sie gehörig begründet haben und weil jeder Gottes-fürchtige von sich aus spürt, daß sie richtig ist. Ich rede nun zuerst von der Anbetung; dabei wird der Ursprung jener Definition des Gebetes sichtbar werden. >Anbeten< ist bei den Hebräern so viel wie >verehren<. >Schahah< ist nämlich die Verehrung, die sich im Kniebeugen und Verneigen ausdrückt. Auch bei den Lateinern wird »Menschen anbeten« zuweilen im Sinn von »hochachten« und »verehren« gebraucht. Von dieser Anbetung sprechen die Hebräer in 2. Mose Kapitel 20,5, wo wir lesen: »Du sollst die Götzenbilder nicht anbeten und sie nicht verehren.« Besser übersetzt: »Du sollst sie nicht verehren und ihnen nicht dienen«. Das wäre genau übersetzt; denn unter >Anbetung< im Sinn der Hebräer darf nicht die Andacht des Herzens verstanden werden. Demnach bedeutet >anbeten<: den Geist an Gott, das heißt an den Herrn und Vater, der alles kann und will, hingeben. Diese Anbetung als Andacht des Herzens haben die fleischlich gesinnten Israeliten an Elemente dieser Welt angebunden. Denn sie forderten, wie die Samariterin Jesus klagte, Johannes 4,20, daß die Andacht in Jerusalem verrichtet wird.10 32 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 33 Für Zwingli ist die Unterscheidung fleischlich-geistlich in vielen Zusammenhängen grundlegend. Sein humanistischer Ansatz der Reformation markiert über die Unterschiede in den sozialen und politischen Bedingungen hinaus den Gegensatz zu Martin Luther, bei dem alles auf die Dialektische Einheit und Unterschiedenheit von Gesetz und Evangelium zielt. Merkwürdig konkret ist bei Zwingli dagegen die Gestaltung der Abendmahlsfeier. Der Zwingli-Biograph Gottfried W. Locher schreibt: Die Action oder bruch des Nachtmahls, gedechtnus oder dancksagyng Christi, wie sy uf osteren zuo Zürich angehebt wirt im jar als man zait 1525« ist auf Einfachheit gestimmt Das Vorwort betont Johannes die Freiheit zu mehr und ändern Zeremonien je nach Umständen; Calvin legt in der Verzicht auf Gesang ist nicht prinzipiell gemeint Es wird seiner Auslegung ein richtiger Tisch gedeckt, darauf stehen hölzerne Brotteller und des biblischen Becher. »Verordnete diener«, auch Laien, sollen die Lesungen Bilderverbots das übernehmen und tragen Brot und Wein zur Gemeinde; die sitzende Gewicht auf die Kommunion betont das Handeln der Gemeinde. Jeder bricht ein Ehre und die Stück vom Brot und trinkt vom Wein: ein Gedächtnismahl voll Majestät Gottes. Freude und Dank. Die Feier soll viermal jährlich stattfinden: zu Ostern, Pfingsten, »Herbst« und Weihnachten.11 Aber wie dem auch sei: Zwingli selbst ist es gewesen, der seine Entscheidungen wohl mit dem Zeugnis der Bibel begründet hat, der sich aber mit diesen Entscheidungen auch am Zeugnis der Bibel messen lassen wollte. Auf ihn geht zurück, dass in vielen Bekenntnisschriften reformierter Provenienz dieser Schriftvorbehalt zu finden ist.12 Johannes Calvin legt in seiner Auslegung des biblischen Bilderverbots das Gewicht auf die Ehre und die Majestät Gottes, die durch Bilderverehrung nicht angetastet werden darf. Er erliegt nicht der Versuchung zu meinen, die Heiden und andere irre geleitete Menschen würden die von ihnen verfertigten Figuren anbeten – das hatte schon das Ikonoklastenkonzil von Ephesus anathematisiert – seine Argumentation ist subtiler: Wenn Skulpturen, Statuen und Bilder ohne weiteres „Götter“ heißen, so erkennt man daraus Absicht und Hauptinhalt des zwei- ra05-02.indd 33 26.04.2002, 10:45 34 reformierte aktente 5 ten Gebots. Es soll nämlich eingeprägt werden, dass man Gott verunehrt, wenn man ihn unter irgend einer körperlichen Gestalt vorstellt. „Götter“ sind ja die Götzen nur nach verkehrter heidnischer Meinung. Freilich wähnten selbst die Ungläubigen die Gottheit nicht in dem vergänglichen Stoff eingeschlossen, aber sie glaubten sich ihr doch näher, wenn sie ein irdisches Symbol ihrer Gegenwart vor Augen hatten, In diesem Sinne wurde dann das Götterbild selbst zum Gott, weil man ohne das Götterbild selbst nicht zur Höhe der Gottheit aufzusteigen vermochte.13 Zunächst bleibt Calvin auf der von Zwingli aufgezeigten pneumatologischen Linie, dass Gott, der Geist ist, auch im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will. Hauptinhalt des zweiten Gebotes ist nun der, dass Gott entsprechend seinem Wesen auf geistliche Weise angebetet werden muss. Freilich spricht Mose ausdrücklich nur von Götzenbildern: ohne Zweifel wird aber, wie bei allen Geboten, durch die ausdrücklich genannte Einzelheit eine ganze Sinnesrichtung getroffen, und es wird also hier alle selbstgemachte Anbetung, wie sie Menschen nach ihrem Sinne sich auszudenken pflegen, verworfen. Stammen doch alle fleischlichen Beimischungen, mit welchen man die Anbetung Gottes verfälscht, eben daher, dass man Gott nach seinen eigenen Gedanken misst und ihm dadurch gewissermaßen eine andere Gestalt gibt.14 Im zweiten Gebot geht es Calvin um die Ideologiekritik. Schon hier wird eine zweite Stoßrichtung deutlich. Im zweiten Gebot geht es Calvin zudem um die Ideologiekritik. Gott nach dem eigenen Bilde schaffen – als ob hier der Feuerbachsche Angriff gegen die Religion schon pariert wäre. Dass aber Gott verbietet, ein Gleichnis zu machen weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist, wird im Blick auf die damals geläufigen Formen des Götzendienstes gesagt. Denn wie der Aberglaube niemals ein einfacher ist, sondern in den verschiedensten Formen sich darstellt, so wähnten einige unter dem Bilde eines Menschen, andere unter dem Bilde von Fischen, Vögeln oder wilden Tieren ra05-02.indd 34 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 35 Gott zu finden, und wir wissen aus der Geschichte, in welch beschämend verrückten Götzendienst namentlich die Ägypter verfallen sind. Man erkennt daraus, wie hohl die menschlichen Gedanken sind, die, wohin man auch das Auge wendet, nur Anlass zum Irrtum finden. Und doch strahlt überall Gottes Herrlichkeit, und alles, was wir über und unter uns sehen, will uns zum wahren Gott locken. Da also die Menschen derartig in die Irre gehen, dass sie aus dem Anblick aller Dinge sich nur einen Anlass zum Irrtum entnehmen, so hebt jetzt Mose unsere Sinne über das ganze Weltgebäude und alle irdischen Elemente empor. Denn wir werden alsbald sehen, dass er unter dem, „was im Himmel ist“, nicht die Vögel allein, sondern auch Sonne, Mond und Sterne versteht. Er will sagen, dass man in der ganzen Welt nichts findet, was als ein wahres Abbild Gottes dienen könne, und dass man also seiner Majestät Schmach antut, wenn man ihn unter einer sichtbaren Gestalt vor Augen stellt.15 Götzendienst ist Majestätsbeleidigung Gottes – Crimen laesae majestatis – das todeswürdige Verbrechen, dessen die frühen Christen im römischen Reich angeklagt wurden, wenn sie sich weigerten, vor der Götterstatue im Stadion Weihrauchkörner in die Opferschale zu werfen. Nur dass es hier nicht um die usurpierte Majestät eines römischen Imperators geht, sondern um die Majestät Gottes, die im Denken Calvins einen zentralen Rang einnimmt. Hierin ist er deutlich alttestamentlich geprägt. Götzendienst bedeutet: Schöpfer und Geschöpf miteinander zu verwechseln, und das gilt wahrlich nicht nur für hölzerne, steinerne oder gemalte Bilder. Das gilt für die Bilder im Kopf, für die Bilder der Kinderbibel, der Karikaturen, der Filme etc. Götzendienst ist Majestätsbeleidigung Gottes. Als wir im Unterricht in meinen ersten Amtsjahren die Passionsgeschichte besprachen, wurde ich ständig dahingehend korrigiert, dass das im Fernsehen [der Jesus-Film von Zefirelli] aber ganz anders war. Im ersten Buch der Institutio setzt sich Calvin noch einmal in aller Ausführlichkeit mit Bild und Bilderdienst in der Kirche ra05-02.indd 35 26.04.2002, 10:45 36 Die Bilder als Gegenstand von Verehrung oder gar Anbetung ablehnen, heißt nicht, die Kunst verdammen. ra05-02.indd reformierte aktente 5 auseinander: Die bekannten Argumente ergänzt er um subtile Auseinandersetzungen. Selbst Horaz und Seneca führt er an, um die Lächerlichkeit der Gottesabbildungen zu zeigen. Wie kann man zwischen Verehrung und Anbetung wirklich unterscheiden? fragt er, wie kommt es, dass bestimmte Bilder [schwarze Madonna von Tschenstochau] vor anderen Bildern ausgezeichnet sind und Menschen bereit sind, für sie Kriege zu führen? Wenn eine Kirche die Bilder als „der Laien Bücher“ braucht, wie Papst Gregor I. das formuliert hat, dann stellt sich diese Kirche hinsichtlich ihrer Verkündigung ein großes Armutszeugnis aus. Die lebendige Predigt vom Heilswerk Christi kann kein Kreuz aus Holz, Silber oder Gold ersetzen.16 Aber wiederum ist Calvin nicht so töricht, aus dem Bilderverbot ein Prinzip, eine Ideologie zu machen. Bloß keinen neuen Aberglauben und diesmal auch keinen Aberglauben der Bildlosigkeit! Kein Prinzip der totalen Transzendenz Gottes. Wie könnte es sonst sein, einen prinzipiell transzendenten Gott zu glauben, der in der Krippe zur Welt kommt, und der am Kreuz selbst zu Tod und Teufel geht? – Vielleicht das theologisch schwierigste Problem zwischen Juden, Christen und Moslems, wobei hier Juden und Christen vermutlich näher beieinander sind als Juden und Christen den Moslems. Die Bilder als Gegenstand von Verehrung oder gar Anbetung ablehnen, heißt nicht, die Kunst verdammen. Viel mehr heißt das, die Kunst aus dem Gefängnis der Kirche zu befreien, ihr die Welt als Entfaltungsraum zu öffnen. Man vergisst leicht, dass die „alten Niederländer“ einschließlich Rembrandt Harmez van Reijn Künstler waren, die im kulturellen Umfeld reformierter Kirchen und Gemeinden arbeiteten. Die Genre- und die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, und vor allem die Portraitkunst sind auch auf diesem religiösen Boden gewachsen. Man war frei von dem Zwang, „fromm“ malen zu müssen. Der Kunst eröffnete sich durch das aufstrebende Bürgertum in den Niederlanden und in Frankreich ein neuer Markt, der um etliches vielgestaltiger war als die Bischofsund Fürstenhöfe des ausgehenden Mittelalters. Es scheint nicht 36 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 37 zufällig, dass von den reglementierenden Fesseln kirchlicher Ansprüche, Regeln etc. befreit, Rembrandt damit beginnen kann, die Geschichte Jesu auf seine Weise und also ganz neu zu erzählen. Der Heidelberger Katechismus fasst zusammen, was über das Bilderverbot zu lernen und zu lehren ist: Frage 96: Was will Gott im zweiten Gebot? Dass wir Gott In keiner Art abbilden noch auf irgendeine andere Weise, als er in seinem Wort befohlen hat, verehren sollen. Frage 97: Soll man denn gar kein Bild machen? Gott kann und soll keineswegs abgebildet werden; die Kreaturen aber dürfen wohl abgebildet werden, doch verbietet Gott, ihre Bilder zu machen und zu haben, dass man sie verehre oder ihm damit diene. Frage 98: Dürfen aber nicht die Bilder als der Laien Bücher in den Kirchen geduldet werden? Nein; denn wir sollen nicht weiser sein als Gott, welcher seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will. ... denn wir sollen nicht weiser sein als Gott ... Eine zum Puristischen neigende Deutung und Praxis des Bilderverbots erliegt genau dem Aberglauben, dem sie eigentlich wehren wollte. Ein Verständnis des reformatorisch-reformierten ra05-02.indd 37 26.04.2002, 10:45 38 reformierte aktente 5 Bilderverbotes, das von dem historischen und auch kunst- und kulturhistorischen Kontext des 16. Jahrhunderts absieht, läuft Gefahr, sich aus der Diskussion der Gegenwart auszuklinken und so einfach nicht mehr verständlich zu sein: weder für die anderen Kirchen und Konfessionen, noch für die säkularen und säkularisierten Menschen, noch vor allem für die ästhetische Diskussion der Gegenwart. Ein reines Beharren auf vor 500 Jahren bezogenen Positionen trägt nicht nur abergläubische Züge, es verschließt sich dem Wirken des Heiligen Geistes, der viva vox evangelii. Man wird schlicht und einfach festhalten und erklären müssen, dass die mittelalterliche Ästhetik, die den Wert des Abbildes nach seiner Ähnlichkeit mit dem Urbild ermisst, die Wirklichkeit und auch die Theorie der bildenden Kunst seit der Renaissance nicht mehr präzise beschreibt. Man wird – soweit laienhafter Verstand das notieren darf – eine Entwicklung von einer Abbildästhetik hin zu einer Ausdrucksästhetik notieren können bis dahin, dass gerade die Verfremdung des Abbildes das Urbild neu sehen lehrt: So etwa die kubistisch aufgelösten Portraits von Pablo Picasso bis dahin, dass die Suche nach Farbe und Form zum bestimmenden Ziel bildender Kunst werden und am Ende das Bild selbst in Frage steht. Auf diesem Wege hat es Abirrungen gegeben, angesichts derer evangelische Theologie offen erklären wird, dass sie die Verwandlung des Kunstwerks zum Gegenstand religiöser Verehrung in der Romantik nicht nachvollzieht und nicht nachvollziehen kann.17 Anstöße Bilder verbieten hieße, Leben verbieten. ra05-02.indd Bilder sind unser Leben. Sobald wie sehen, sehen wir in Bildern, in Netzhaut-Projektionen. Bilder verbieten hieße, Leben verbieten – das kann nur der Tor ernstlich wollen, nur der Fanatiker kann das zum Gesetz machen wollen. Und wo die Bilder verboten sind, das beginnen wir langsam zu lernen, dort machen sich noch viel mächtigere Bilder breit, Hassbilder und Rachebilder. 38 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild Wir leben damit, dass wir in Bildern sehen, hören und denken und auch verstehen, und wir müssen damit leben, dass es in der uns als Christen konstituierenden Tradition dieses widerständige Bilderverbot gibt, das Anbetung und Verehrung von Bildern bis auf den heutigen Tag nicht hat verhindern können (mir vermag niemand genau zu erklären, wo der Unterschied zwischen Idolodulie und Idolatrie liegt – was ich in Rom und Jerusalem gesehen habe, lässt mich zweifeln – und Tschenstochau liegt auch nicht fern in der Heiden Lande, sondern mitten im christlichen Abendland.) Man hat es sich dennoch schwer gemacht mit den Bildern, Augustin war sowenig für die Bilder wie er für die Musik war, die Reformatoren Zwingli, Calvin, Buzer und Bullinger waren beileibe keine staubtrockenen Biblizisten, die einer Lehre von der Verbalinspiration etc. gehuldigt hätten, und es ist – so denke ich – kein Zufall, dass die großen Bilderstürze dieses Jahrhunderts nach dem Weltkrieg I und nach dem Weltkrieg II von einer Theologie nachgedacht wurden, die bei und vor allem ideologiekritisch war und statt aller möglichen Offenbarungsquellen an der Theologie des Wortes Gottes (Barmen) festhielt. Wir leben in anderen Zeiten, dennoch bleibt uns das Bilderverbot als Stachel im Fleisch theologischer Landläufigkeiten und Beliebigkeiten. Längst bevor das Bilderverbot die gemalten und gestalteten Bilder trifft, wendet es sich gegen die Bilder im Kopf, gegen die Fixierungen des Wahrnehmens und des Denkens. Das Bilderverbot ist die ideologiekritische Spitze der jüdisch-christlichen Überlieferung. Denn das tun Bilder, sie halten fest, fixieren und damit sind sie – anders als das eher flüchtige Wort und der ebenso flüchtige Film – dem Leben und dem lebendigen Gott äußerst unähnlich. Sie lassen den Moment gefrieren. Die BetrachterInnen ändern sich, das Bild nicht. Es kann andere Wirkungen entfalten, wenn man es anderswo ausstellt, anders beleuchtet, andere Bilder daneben, darüber oder darunter hängt, wenn man es einige Zeit entfernt und dann wieder aus dem Magazin in die Galerie holt, es bleibt dasselbe Bild – gefroren ein Moment der Liebe, des Schmerzes, der Freude, der Landschaft, des Sterbens. ra05-02.indd 39 39 Wir leben damit, dass wir in Bildern sehen, hören und denken und auch verstehen. 26.04.2002, 10:45 40 Bild ist nicht gleich Bild. reformierte aktente 5 Das Bilderverbot fragt nach unseren Kopfbildern und Kopfgeburten – wo hast du dein Denken eingefroren, dass dich nichts mehr von deinen Vorurteilen abbringen kann? Die Frage der Ausländerfeindlichkeit und des Antisemitismus ist theologisch gesprochen auch eine Frage nach dem 2. Gebot! Unser Umgang mit Bildern verlangt ein ständiges ästhetisches Urteilen. Bild ist nicht gleich Bild. Bild kann entarten zum Kitsch, zur Pornographie, zur Verherrlichung von Gewalt, zur Propaganda, es kann aber auch Zeichen sein, Hinweis, Anstoß, auch Gebet und Lob. Zum Kitsch wird Kunst dann, wenn sie die Welt schöner machen will als sie ist. Der Kitsch kennt auf Landschaftsdarstellungen keine Umweltverschmutzung, nicht einmal ein Auto oder eine Straßenbahn stört die Idylle und in den Bergen ist niemals ein Skifahrer zu sehen. Das Bild belügt seine Betrachterin. Es spiegelt ihr eine Harmonie vor, die es nie so gegeben hat. Dazu bedient sich der Kitsch immer derselben Muster, derselben Stoffe. Dabei kann Kitsch durchaus kunstfertig sein. Aber sein Kennzeichen ist wohl auch dies, dass er mir nichts sagt, was ich nicht selbst schon wüsste. Ein Bild kann aber auch Anteil an Wahrheit haben. In der Kunstsammlung von Yad Vashem in Jerusalem hängt ein Holzschnitt. Man sieht, wie gefangene Juden von Soldaten weggebracht werden. Im Vordergrund holt ein bewaffneter Soldat Jesus vom Kreuz, um ihn mitzunehmen. Dieses Bild stellt nicht Wirklichkeit dar im herkömmlichen Sinne. Niemand hat Jesus vom Kreuz geholt und ihn nach Auschwitz gebracht. Dennoch beschreibt das Blatt den Antijudaismus und den Antisemitismus, der im Judenmord gipfelt als ein Vergehen, das auch den Juden Jesus Christus nicht unangetastet lässt. Das Bild ist ein Verkündigungsbild, über dem man ins Gespräch über die Bibel kommt, über den Römerbrief, über den Satz „Das Heil kommt von den Juden“ etc. Dieses Bild ist darum so beredt, weil es in einem sprechenden Kontext ausgestellt ist, an anderer Stelle fiele es vielleicht gar nicht so auf. ra05-02.indd 40 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 41 Es kann auch geschehen, dass ein Bild – ein Symbol, eine Geste ein Zeichen im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel unterliegt, der es in der Gegenwart problematisch werden lässt. Man muss dabei nicht nur auf das Hakenkreuz verweisen, das ursprünglich mit dem Nationalsozialismus wirklich nichts zu tun hatte. Aber wenn heute ein solches Zeichen in die Eingangstür der Mühlhauser Synagoge geritzt wird, dann ist das ein eindeutiges Zeichen, dem man nur entschiedenen Widerstand entgegensetzen kann. Ähnlich ist es mit dem Kreuz als dem christlichen Symbol. Für die Römer war das Kreuz außerhalb jeder ästhetischen Wahrnehmung. Über das Kreuz redete man nicht. „I ad crucem“ sagten die Soldaten, wenn sie jemanden zum Henker wünschten. Cicero nennt diese Hinrichtungsart „mors turpissima crucis“18. Erst im 4. Jahrhundert nach der Konstantinischen Wende wird aus diesem Schandzeichen das Siegeszeichen, das bald auch die Insignien der weltlichen Macht zieren sollte. Als die französischen Protestanten den abergläubischen Kreuzeskult kritisierten, wurden sie bei Todes- oder Galeerenstrafe gezwungen, den Kruzifixus zu küssen und damit die Treue zur römischen Kirche zu dokumentieren. Ähnliches hat sich während der Gegenreformation in Ungarn, in Polen etc. abgespielt. Für die Reformierten hat es konkrete Bedeutung, dass sie in ihren Kirchen keine Kreuze aufgehängt haben. Für sie war das Kreuz nicht Zeichen der Wahrheit sondern der Lüge und der missbrauchten kirchlichen Macht. Mittlerweile hat das Kreuz auch diese Bedeutung eingebüßt. Es hat viele Bedeutungen angenommen. Für viele ist es das Todes- und Friedhofszeichen, für andere ein Halsschmuck, für wieder andere ein apotropäisches Zeichen, ein Glücksbringer, für andere das Zeichen des Christus. – Ist es nicht bezeichnend, dass viele Christenmenschen einen Fisch auf ihr Auto kleben – offensichtlich ist dieses ICHTYS-Zeichen derzeit sprechender als das Kreuz? Wer mit Bildern umgehen will, muss Zeit haben und Zeit lassen Wer mit Bildern umgehen will, muss Zeit haben und Zeit können. lassen können. Nur schlechte Bilder erschließen sich beim ersten Hinsehen. Nur Bilder, die etwas verkaufen wollen, lassen keine Zeit zum Betrachten und zum ansehen, denn ließen sie Zeit, ra05-02.indd 41 26.04.2002, 10:45 42 reformierte aktente 5 würden die Betrachterinnen ihnen viel schneller auf die Schliche kommen. Also muss in weniger als einer halben Minute alles vorbei sein und der nächste Spot über den Bildschirm rollen. Das bedeutet nicht, dass Filme keine Kunstwerke sind. Natürlich ist die „Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff ein Kunstwerk wie die „Bleierne Zeit“ von Margarethe von Trotta, „Berlin Alexanderplatz“ von Rainer Werner Fassbinder und Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“, Tom Tykwers „Lola rennt“! Aber auch diese Filme zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie Zeit lassen. Hitchcock lässt James Steward unheimlich viel Zeit auf der einsamen Straße zwischen den Maisfeldern, bis dann das Flugzeug kommt und den einsamen Mann durch die Felder zu jagen beginnt. Dreimal wird die Lola-Geschichte erzählt, jedes Mal mit anderen Nuancen, die völlig unterschiedliche Folgen haben. Kann es einen deutlicheren Hinweis auf das Bilderverbot als ästhetisches Leitmotiv geben? Hier gibt es durchaus Interessantes zu entdecken über die Welt wie sie ist und wie sie sein kann, wie sich die Menschen das Leben zur Hölle machen oder wie sie ihr Leben gemeinsam bestehen, wie sie weinen oder lachen. Filme können verschüttete Gefühle wieder an die Oberfläche bringen. Sie können Geschichten erzählen, die sehr viel mit unseren Glaubensgeschichten oder auch mit unseren Unglaubensgeschichten zu tun haben. Eine evangelische Eine evangelische Ästhetik wird immer eine Ästhetik des BilÄsthetik wird derverbots19 sein, weil sie weiß: Die Wahrheit lässt sich weder immer eine auf Leinwand, noch auf Zelluloid bannen noch in eine Partitur Ästhetik des Bil- einschließen, aber der Christenmensch kann darauf gefasst sein, derverbots sein. dass ihm die eine Wahrheit an all diesen Orten begegnen kann: Im Kunstmuseum wie auf der Dokumenta, im Kino wie im Konzert, in der Disko und im Theater. Und diese Wahrheit wird immer mit dem zu tun haben, was wir aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift wissen, wird uns die Bibel verstehen lehren, ganz direkt wie in den Bildern Marc Chagalls oder auch sehr gebrochen wie in den Arbeiten von A. Paul Weber oder Joseph Beuys. ra05-02.indd 42 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild Was lange verschüttet war: auch der reformierte Gottesdienst hat eine Ästhetik – in unserer Reformierten Liturgie kann man eine Menge darüber lernen. Zu dieser Ästhetik gehören Stimmigkeit und Formbewusstsein ebenso wie Bewegungen, Gesten. Diese Ästhetik folgt nicht einem bestimmten „kanonischen“ Modell wie die Form der Messe – sie kann ihm auch folgen – in der Regel ist der auszugestaltende Rahmen längst nicht so eng gezogen wie in anderen gottesdienstlichen Traditionen. Das verlangt vom handelnden Menschen im Gottesdienst ein großes Maß an Form- und Gestaltempfinden, das zu vernachlässigen leicht alle möglichen Peinlichkeiten nach sich ziehen kann. Natürlich gehören zu jeder reformierten Ästhetik auch Bilder, auch gottesdienstliche Bilder. Der bilderlose Raum, wenn er denn bilderlos ist, ist auch ein Bild und gibt ein Bild ab. Und auch ein bilderloser Raum kann auf diese Bilderlosigkeit fixieren. Bei der Gestaltung von gottesdienstlichen Räumen halte ich es für sehr wichtig, zu entscheiden, wie die Gestalt des Raumes sein soll. Welche Gestaltung könnte reformierter Prägung entsprechen? Nur einige Hinweise für gegenwärtige Bilder, also nicht für Ererbtes. Manches überkommene Kunstwerk kann ein Segen sein, manches ist aber auch ein Fluch – es kann kein „ewiges Bild“ sein. Auch Bilder können ihre Sprache verändern oder verlieren. – es darf kein Bild sein, das die Wirklichkeit verklärt, kein Bild, das Lügen verbreitet, kein Bild, das so laut ist, das neben ihm das Wort und das Lob kein Gehör mehr findet – es kann kein Bild sein, das die Geschichte Gottes mit Israel und mit Jesus Christus fixiert. Es muss offen sein für die Gegenwart. Es muss konzentrieren, nicht zerstreuen. – Vieles spricht für ein ungegenständliches Bild, das frei ist von barocken Ausschmückungen oder naturalistischen Manierismen. – Das Bild muss offen sein für die Wahrheit, die in der Liebe Gestalt gewinnen will und soll. – Es muss der Freundlichkeit Gottes Raum lassen. ra05-02.indd 43 43 Auch der reformierte Gottesdienst hat eine Ästhetik. 26.04.2002, 10:45 44 reformierte aktente 5 Daneben habe ich keine Probleme mit vergänglichen Bildern von Kindern und Erwachsenen aus der Gemeinde. Das sind vergängliche Bilder, die nicht dauerhafter sind als das gepredigte Wort, aber die gemeinsam mit dem gepredigten Wort manches verständlicher machen. Nur glaube ich nicht, dass Bilder ein Allheilmittel für Gottesdienste und gegen den Unglauben sind. Wenn der Gebrauch von Bildern zur Masche geworden ist, vielleicht es dann einmal wieder mit erzählen versuchen? Ich habe auch keine Probleme mit Kerzen im Gottesdienstraum. Probleme bekomme ich an der Stelle, wo diese von Luther und Melanchthon mit Recht so genannten Adiaphora plötzlich theologisch schwerwiegend belastet werden. Wenn die Kerze plötzlich zum „Licht der Welt“ wird oder dieses doch immerhin repräsentiert, oder wenn sie an passendem Ort angezündet wird, damit sie für mich weiterbetet, währen ich schon wieder aus der Kirche gehen muss, dann denke ich an Calvin und Zwingli, oder wenn auf dem Abendmahlstisch bzw. auf dem Altar nur Schnittblumen stehen dürfen, weil doch die Blumen sich hingeben, sich opfern müssen und vom Altar dann direkt auf den Komposthaufen wandern – solches Theologisieren mit den Bildern fällt mir schwer, weil es den Gott Israels an Vergänglichkeiten binden will und ihn damit der Beliebigkeit ausliefert, denn Bilder und Symbole sind, mehr noch als alle Worte, mehrdeutig. Das ist ihre Chance, das ist aber auch die theologische crux. Wenn die Anschauung der Bilder aus dem Wenn die Hören des Wortes kommt und wieder ins Hören des Wortes Anschauung mündet – das möchte wohl sein, aber wenn die Bilder anfangen der Bilder aus angeblich tiefer zu reden und die Wahrheit umfassender auszudem Hören des loten, wenn die Meditation jenseits des Wortes zum Zentrum Wortes kommt der Praxis pietatis wird, dann scheint die Sache aus dem Ruder und wieder ins gelaufen. Denn hier geschieht wieder genau das, was die ReforHören des Wortes mündet – matoren – mit Abstrichen auch Luther – verhindern wollten: dass aus schönen und gerade pluriform und polykontextuell das möchte aussagefähigen Symbolen feste Doktrinen gezimmert werden, wohl sein. die ihr Heil in der fundamentalen Unterscheidung von heilig und profan suchen, indem sie den Hügel Golgotha, die Müll- ra05-02.indd 44 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 45 kippe der Stadt Jerusalem in die Kirche holen. Bei allen Zeichen Bei allen und Symbolen haben wir uns darüber klar zu werden, ob sie Zeichen und nicht vielleicht offen oder heimlich gegen uns predigen, ob sie Symbolen haben wir uns darüber einem Verständnis Vorschub leisten, das wir so nicht haben. Also: Können und sollen wir mit Bildern umgehen? Wir tun klar zu werden, ob sie nicht es längst, und wir tun es immer. Nur sollten wir uns darüber vielleicht offen klarsein, mit welchen Bildern und wie wir mit ihnen umgehen. oder heimlich Es kann nicht unsere Sache sein, die unselige Bilderflut noch gegen uns religiös zu überhöhen. Sagte man früher in aufgeklärten Kreisen: Ich glaube nur, was ich predigen. sehe, so kann man gegenwärtig und wohl auch künftig angesichts der weltweit angezettelten optischen Täuschungen und visuellen Betrügereien nur sagen: Du darfst nicht glauben, was du siehst! Sie zu, dass du den einen Glauben findest, der dir die Augen öffnet und du überhaupt erst sehen lernst! Auch im Umgang mit Medien gilt der paulinische Satz: Haben, als hätte man nicht. Das Fernsehen, das angeblich so viele Menschen erreicht hat mit seinen Gottesdienstübertragungen und seinen Worten zum Sonntag, den Papstmessen und Urbi et Orbi, hat die Säkularisierung nicht aufgehalten: im Gegenteil. Deshalb werden wir es nicht verteufeln, aber auch nicht glorifizieren. Deshalb wird uns die Bilderflut nicht Maß aller Dinge sein, sondern wir haben Zeit, uns mit den Bildern Zeit zu lassen, genau hinzusehen – wie man Musik hören mag, nicht nebenbei, sondern auf der Suche, dass auch dort ein Schatten des Gerichtes Gottes oder mehr noch: seiner Herrlichkeit aufleuchten mag. Ein durchaus weltlicher Hinweis auf den Umgang mit Bildern Von dem Schweizer Autor Max Frisch stammt ein höchst gegenwärtiger Hinweis zu dem Umgang mit Bildern in einem Kontext, der zumindest aufhorchen lässt. Die Kinder der Welt ra05-02.indd 45 26.04.2002, 10:45 46 reformierte aktente 5 haben den Kindern des Lichtes manches zu sagen: auch über Bilder. Du sollst dir kein Bildnis machen Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis. ra05-02.indd Es ist bemerkenswert, daß wir gerade vom Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und daß auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt - Nur die Liebe erträgt ihn so. Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, daß sie uns kennen ein für alle mal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei - Es ist ohnehin schon wenig genug. Unsere Meinung, daß wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe, jedes Mal, aber Ursache und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können nicht mehr. Wir kündigen ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, daß unser Verhältnis 46 26.04.2002, 10:45 M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild 47 nicht mehr lebendig sei. „Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte: „wofür ich Dich gehalten habe.“ Und wofür hat man ihn denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immer ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Anmerkungen 1 Neill Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Frankfurt. 2 Vgl. Karl Barths berühmter Satz aus dem frühen Vortrag, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie 3 Walter Zimmerli, Das zweite Gebot [1950] in, Walter Zimmerli, Gottes Offenbarung, gesammelte Aufsätze, Theologische Bücherei 19, München 1969, S.234-248. 4 Die fünf Bücher der Weisung verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, 10. verbesserte Auflage der Neuausgabe von 1954, Heidelberg 1981. 5 Ebd. S.248 6 Karl Barth, Fides quaerens intellectum, Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, [1931] hg. Von E, Jüngel und I. U. Dalferth, Karl Barth GA II, Zürich 1981. 7 Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus, Tübingen 5. Auflage 1979, S.135 8 EG 9 Gottfried W. Locher, Huldrych Zwingli im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen und Zürich 1979, S.142 10 H.Zwingli, de vera et falsa religione, Zwingli Schriften III, S.367f. 11 Locher ebd. S.146. 12 Locher ebd. S.213. 13 Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Neukirchen-Vluyn s.a. S. 398, zu Ex 34,17 14 Ebd. S.392 zu Ex 20,4-6 und Dt 5,5-10 15 Ebd. S.392. 16 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis 1559, I, 11. 17 So etwa die „Kunsttheologie“ Johann Heinrich Wackenroders. 18 Vgl. den Aufsatz von Martin Hengel, „mors turpissima crucis“ in der Käsemann-Festschrift Rechtfertigung und Recht, Hg. Von J.Friedrich, W.Pöhlmann und P.Stuhlmacher, Göttingen-Tübingen 1976, S.125-184. 19 Vgl. Albrecht Grötzinger, Praktische Theologie und Ästhetik, München 2.Auflage ra05-02.indd 47 26.04.2002, 10:45 48 reformierte aktente 5 1991. Grözinger fasst seine These vom Bilderverbot als Zentrum theologischer Ästhetik folgendermaßen zusammen: „Die Tatsache, dass Gott `uns eigenhändig ein Bild seiner selbst setzt’, ist Grund und Voraussetzung aller theologischer Ästhetik. Damit ist a limine ausgeschlossen, dass die Ästhetik selbst zum Offenbarungsträger oder die Kunst zum Ort der Offenbarung wird, wie es vor allem im Deutschen Idealismus – und dort in äußerster Zuspitzung bei Schelling – der Fall ist, oder dass in der Kunst – wie es die Kunsttheorie der Romantik sah, eine `unmittelbare Versöhnung des Bedingten und des Unbedingten´ möglich wäre. Theologische Ästhetik zeichnet demgegenüber den Weg von Gottes Offenbarung nach und ist so ständiger Begleiter der christlichen Lebenspraxis. Dabei allerdings ist sie unentbehrlich, denn die Offenbarung Gottes ist selbst ein ästhetisches Ereignis , wovon die Dornbusch – Geschichte und die Emmaus-Perikope beredt Zeugnis ablegen. Die menschliche Ästhetik antwortet auf dieses Ereignis. Dies zu tun ist ihre Würde und ständig neue Aufgabe zugleich.“ S.104. 20 Max Frisch, Tagebücher 1946-1949, Frankfurt 1950. ra05-02.indd 48 26.04.2002, 10:45 Das Bild und die Bilder Im Gespräch mit Karl Barth zum Bilderverbot VON GEORG PLASGER „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen.“ Dieses biblische Gebot kennzeichnet reformierte Kirchen und reformierte Traditionen, und zwar sowohl in der Reformationszeit wie auch noch im 20. Jahrhundert. Präsent war und ist das Bilderverbot in den reformierten Kirchen, die sich dadurch von anderen evangelischen Kirchen unterschieden und unterscheiden und im Wesentlichen Schlichtheit ausstrahlen. Das Festhalten an diesem Gebot und das Ernst nehmen dieser Tradition hat dazu geführt, dass manchen Reformierten auch der pädagogische Umgang mit Bildern im Gottesdienst schwer fiel und fällt. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass der Gebrauch von BilDer Gebrauch dern in der Sprache weitgehend unproblematisch stattfindet – von Bildern und ja in der Bibel auch durchgehend geschieht. Da wird von findet in der Gott als Quelle, Licht, Sonne, ja sogar Mutter geredet; zahlreiSprache che Anthropomorphismen prägen vor allem das Alte Testament. weitgehend Wie kann angesichts dieser zahllosen Bilder von Gott noch ernst- unproblematisch haft vom Bilderverbot geredet werden? Ist es noch theologisch statt. begründbar oder ist es vor allem eine Tradition, welche die Reformierten kennzeichnet, letztlich aber nicht nötig ist? Historische Reminiszenzen Aus den Kirchen der reformierten Reformation sind im 16. Jahrhundert zu großen Teilen die Bilder und Skulpturen entfernt worden. Der Begriff der „Bilderstürmer“ führt historisch allerdings zu problematischen und simplifizierenden Konnotationen. Hannelore Erhart1 hat die Komplexität des Bilder zerstörenden 50 Die bilderstürmerischen Aktivitäten stehen also nicht für sich selber, sondern wollen Zeichenhandlungen sein. reformierte aktente 5 Handelns am Beispiel Genfs in der Zeit von 1533 bis 1536 exemplarisch verdeutlichen können. Eine Gruppe um den nach 1536 gemeinsam mit Johannes Calvin tätigen Wilhelm Farel hat einzelne Skulpturen teildeformiert, indem ihnen Köpfe, Arme, Hände und andere Gliedmaßen abgehauen wurden. Am Beispiel von neun teilzerstörten Skulpturen am Portal der Genfer Rivekirche wird nach Hannelore Erhart erkennbar, dass es sich nicht um eine blinde oder gar von Wut gesteuerte MobAktion handelte, sondern dass es eine Zeichenhandlung mit verschiedenen voneinander unterscheidbaren Dimensionen war. Zum einen sind durch das gezielte Zerstören von Kopf und Gliedern die Stellen am Menschen gekennzeichnet, die durch Folter und Strafe getroffen werden. Das Abhauen von Kopf und Armen einer als Symbol für die Macht der Gerichtsbarkeit stehenden Skulptur bezieht sich also politisch-juristisch auf die römisch-katholische Kirche, die in Genf Inhaberin der Gerichtsbarkeit war. Der Figur des Antonius von Padua wurden die Augen ausgestochen. Die Metzger und Fleischer Genfs waren in der Bruderschaft des Antonius von Padua organisiert, in der Rivekirche befand sich auch der Altar dieser Bruderschaft. Das Ausstechen der Augen war die damalige Strafe für Wucherei – und indem der Symbolfigur die Augen ausgestochen wurden, wurde „zugleich die oekonomische Macht der Bruderschaft dechiffriert, die von den marktabhängigen Genfern als Wucherei erfahren wird.“2 Neben der politisch-juristischen und der ökonomischen Dimension ist drittens theologisch die Teilzerstörung der Heiligenfiguren als Entlarvung der Machtlosigkeit der Materie zu bewerten, weil „Materie keinen Weg zur Erkenntnis Gottes anbieten kann“3. Dieser von der römisch-katholischen Kirche verkörperte Heilsweg über die sinnliche Erfahrung wird damit zugunsten einer Betonung des Wortes verneint. Die bilderstürmerischen Aktivitäten stehen also nicht für sich selber, sondern wollen Zeichenhandlungen sein. Das Bilderverbot in den reformierten Kirchen geht zu wesentlichen Teilen auf G. Plasger, Das Bild und die Bilder diese bilderstürmerischen Aktionen zurück. Es ist deshalb nötig und geboten, das reformierte Bilderverbot immer wieder neu der theologischen Reflexion und Überprüfung zu unterziehen, um es nicht zu einer bloßen reformierten Eigenart verkommen zu lassen. Dieser Reflexionsarbeit dient dieser Beitrag. Er stellt zunächst eine Predigt Barths vor, die er 1935 zum Bilderverbot gehalten hat. Die Aussagen dieser Predigt stehen in deutlicher dogmatischer Entsprechung zur Religionsthematik, die Barth in Paragraf 17 der Kirchlichen Dogmatik verhandelt. Mit diesen Ergebnissen wird dann ein Gespräch zwischen dem jüdischen Erziehungswissenschaftler und Religionsphilosophen Micha Brumlik geführt. Brumlik behauptet in seiner Studie zum Bilderverbot aus jüdischer Sicht, dass sich Christentum und Judentum hinsichtlich des Umgangs mit dem Bild unterscheiden, weil sie unterschiedliche Referenzsysteme haben. Es ist spannend zu sehen, wie sich Barth mit seiner (reformierten) Haltung zum Bilderverbot in einen fruchtbaren Dialog mit Brumlik begeben kann; Leitbegriffe sind hier „Erfahrung“ und „Nachfolge“. Karl Barths Predigt auf der Siegener Synode 1935 Auf der zweiten Freien Reformierten Synode vom 26.-28. März 1935 in Siegen hält Karl Barth am Abend des 26. März eine Predigt zum Bilderverbotsabschnitt in 2. Mose 20, 4-6.4 Sie enthält deutliche und den damaligen Hörern verständliche Bezüge auf die Situation in Kirche und Staat 1935.5 Ziel, so Barth in der Einleitung, ist die Klärung, Vertiefung und Verschärfung der Erkenntnisse, die das zweite Gebot nahelegt. Dass gerade von diesem biblischen Abschnitt viel erwartet werden kann, hat auch darin seinen Grund, dass es ein in der reformierten Tradition sprechender Text gewesen sei – Barth benennt hier in nuce sein Verständnis von Schrift und Tradition.6 In der Predigt thematisiert Barth dann verschiedene Ebenen des Bilderverbots – und er geht gleichsam jeweils eine Stufe tiefer. 51 Es ist nötig und geboten, das reformierte Bilderverbot immer wieder neu der theologischen Reflexion und Überprüfung zu unterziehen, um es nicht zu einer bloßen reformierten Eigenart verkommen zu lassen. 52 Gott spricht durch sein Wort. Das ist entscheidend. reformierte aktente 5 Die erste Dimension des Bilderverbots betrifft nach Barth zunächst die Dinglichkeit – „sichtbare Bilder Gottes ... herzustellen und ihnen göttliche Verehrung zu erweisen, das ist’s, was uns durch dieses Gebot verwehrt ist.“7 Diese dingliche Ebene steht aber nicht für sich selber, sondern kann und muss nach Barth in einen Bezug zur gesamten biblischen Botschaft gebracht werden. Das Bilderverbot wurzelt nämlich positiv im Wortgeschehen, durch das Gott sich offenbart, so Barth mit Hinweis auf Frage 98 des Heidelberger Katechismus.8 Dieses Wortgeschehen ist nach Barth begründet im Alten und im Neuen Testament, weil Gott sich selber durch sein Wort mitteilt. Die reformierte Praxis, die Kirchen nicht mit einem Kruzifix auszustatten, ist also begründet in der Weise der Mitteilung Gottes, die sich im Bilderverbot fokussiert: Gott spricht durch sein Wort. Das ist entscheidend. Und nur von daher ist dann auch die Abwehr der Differenzierung zwischen Verehrung und Anbetung der Bilder – ein in der Reformationszeit geläufiges Argument gegen die reformierte Position – gegründet. Auf Grund der Argumentation von Gottes Wort her votiert Barth auch nicht gesetzlich für die Abschaffung aller kirchlichen Darstellungen, sondern fragt umgekehrt, welchen Gewinn die Gemeinde von Bildern hat und ob sie damit „eine Erhöhung der Schönheit und Erbaulichkeit ihres Gottesdienstes“9 erwartet. Sollte das der Fall sein, dann wäre es nötig, „sich gründlich darüber zu besinnen, was diese Pracht in ihrer Mitte nun eigentlich solle.“10 Es wird also deutlich, dass nach Barth die reformierte Tradition der Anwendung des Bilderverbots in der Kirchraumgestaltung nicht allein auf eine buchstäbliche (und damit vielleicht gesetzliche) Anwendung des zweiten Gebots zurückgeht, sondern auf eine gesamtbiblisch begründete Sicht göttlichen Handelns. Aber es wäre nach Barth zutiefst problematisch, wollte man die Geltung des Bilderverbots auf die dingliche Dimension eingrenzen. Vielmehr geht es nach Barth nie um die Bilder oder Kunstwerke als solche, sondern um ihre Ursache. Und die G. Plasger, Das Bild und die Bilder ist darin zu sehen, dass Menschen sich (innere) Gottesbilder machen, die dann zu (äußerlichen) Bildern werden. So ist hinsichtlich des goldenen Kalbes zu sehen, dass es den Israeliten „zuerst in ihren Herzen und Köpfen ... als die eigenmächtig geformte Gestalt Gottes“11 gestanden hatte. Deshalb kann Barth auch formulieren, dass sich „der göttliche Unwille“12 gerade gegen diese Gestalt des unsichtbaren Gottesbildes richtet, das im menschlichen Herzen existiert und die äußeren Gottesbilder erst hervorbringt.13 Deswegen könnten sich auch weder die Reformierten noch die Juden, die beide den Verzicht auf die äußeren Bilder lehren und praktizieren, von der aktuellen Geltung des Gebots dispensieren, da andere und nicht so offensichtliche Gottesbilder vorhanden sind, die „in Prinzipien, in Gedankengebäuden und Systemen, in Plänen und Programmen, in Träumen und Ideologien, die wir zur Ehre Gottes entwerfen“14, zum Ausdruck kommen, die aber letztlich doch nur menschlich geformte Festlegungen Gottes seien. Das Bilderverbot richtet sich gegen den ständig stattfindenden menschlichen Versuch, Gott anderswo zu suchen, als er sich selber zu erkennen gegeben hat und „an die Stelle der göttlichen Wirklichkeit, die sich uns in der Offenbarung darbietet und darstellt, ein Bild von Gott, das der Mensch sich eigensinnig und eigenmächtig selbst entworfen hat“15, zu setzen. Das Bilderverbot als Religionskritik Mit dem zuletzt genannten Zitat befinden wir uns im Bereich der Religionskritik Barths. Der Paragraf 17 der Kirchlichen Dogmatik mit dem Titel: „Gottes Offenbarung als Aufhebung der Religion“ ist die dogmatische Verortung der Predigtaussagen zum zweiten Gebot. Es ist deshalb an dieser Stelle sinnvoll, Barths Aussagen zur Religion im Hinblick auf das Bilderverbot zu durchdenken. Barth selber formuliert in Paragraf: „Das Gottesbild ist immer diejenige angeschaute oder gedachte Wirklichkeit, in der 53 »Er (der Text) ist an Jesus und seine Botschaft vom Gottesreich gebunden und ist weit entfernt davon, Ausdruck allgemeiner theologischer Weisheit zu sein.« 54 Unter den möglichen Gottesbildern, die der Mensch sich machen kann, ist die Religion an vorderster Stelle zu nennen. reformierte aktente 5 der Mensch jenseits oder auch in seiner eigenen Existenz ein Eigentliches, Letztes, Entscheidendes annimmt und behauptet, von dem her er wiederum sich selbst für gesetzt oder doch für bestimmt und bedingt hält. Von der Offenbarung her gesehen, ist die menschliche Religion schlecht und recht ein solches Annehmen und Behaupten und als solches ein ihr selbst, der Offenbarung, widersprechendes Tun.“16 Unter den möglichen Gottesbildern, die der Mensch sich machen kann, ist die Religion an vorderster Stelle zu nennen. Die Religion, so formuliert Barth, ist eine menschliche Setzung, in und mit der er sich selber eine Autorität wählt. Die Diskussion um Barths Religionsverständnis ist breit und sehr differenziert.17 Die Grundgedanken Barths lassen sich jedoch in etwa wie folgt darstellen. 1. Thema von Barths Religionskritik ist nicht die Auseinandersetzung mit anderen Religionen, sondern Barths weitestmöglicher Religionsbegriff meint alle menschlichen Versuche, selber eine Gottesvorstellung zu entwickeln. 2. Wesentlicher Adressat sind deshalb auch nicht die Angehörigen anderer „Religionen“, sondern Barth zielt ab auf die Religion innerhalb des Christentums bzw. der Kirche. 3. Religion ist nun der menschliche und letztlich erfolglose Versuch, sich ein Gottesbild zu entwerfen. 4. Entlarvt wird dieses menschliche Handeln durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, der sich in diesen Bereich menschlicher Religion hineinbegibt. Diesem Weg Gottes aber setzt der Mensch eigene Gottesvorstellungen entgegen. 5. Diese der Bewegung Gottes entgegen gerichteten Wege des Menschen nennt Barth deshalb Unglaube. 6. Die Offenbarung ist also auf Religion nicht angewiesen; zwei für Barth tragende Kennzeichen des Religionsbegriffs sind „Nicht-Notwendigkeit“ und „Schwäche“.18 Die Religion ist nicht stark genug, um Gottes Offenbarungsfülle zu beschreiben. Und theologisch ist von der Religion zu sagen, dass sie nicht der Offenbarung Gottes vorgeschaltet werden muss oder kann. G. Plasger, Das Bild und die Bilder 55 Dem Bilderverbot in der Siegener Predigt entspricht Barths Religionskritik. Und wenn in der Kirchlichen Dogmatik der Religion die Prädikate „nicht notwendig“ und „schwach“ zuerkannt werden, so gilt das auch hinsichtlich der Gottesbilder. Barth unternimmt in der Siegener Predigt nicht eine moralische Abqualifizierung der Bilder mit dem Ziel eines wie auch immer gearteten schlechten Gewissens, sondern Ziel ist die Entlarvung selbst produzierter Gottesbilder. Ebenso wie im Religionsparagrafen hat Barth in der Predigt nicht in erster Linie die Menschen außerhalb von Kirche und Theologie vor Augen, sondern gerade diejenigen innerhalb des Christentums. Hier ist die Gefahr der Religion viel größer, weil sie das eigene Produkt mit dem lebendigen Gott zu verwechseln droht. Gottesbilder sind also „nicht-notwendig“ und „schwach“. Sie sind nicht das, was sie vorgeben, nämlich Abbildungen Gottesbilder Gottes. Sondern sie sind eigene Projektionen. Und die größte sind nicht das, Gefahr ist es, dass der Mensch diese Projektionen mit Gott was sie vorgeben, selber verwechselt. Die Religionskritik ebenso wie das Bilderver- nämlich Abbilbot sind also Hilfen, dieser Verwechslung zu entgehen; beiden dungen Gottes. geht es um die Entlarvung und Aufdeckung problematischer Sondern sie Strukturen. Und beiden ist es wesentlich, dass deshalb nicht sind eigene geboten ist, den Zeigefinger mahnend zu erheben, sonder vielProjektionen. mehr einzuladen. So formuliert Barth in der Predigt: „Es steckt in dem harten ‚Du sollst nicht!‘ dieses Gebotes wie in allen Verboten Gottes ein überaus süßes, freundliches: Du mußt nicht, du brauchst nicht, du hast es nicht nötig, du sollst dich nicht damit mühen“19 . Am Schluss der Predigt, Barth nennt es ein persönliches Wort, deutet er an, dass jede Theologie und eben auch die seine zur Produktionsstätte von Gottesbildern werden kann. „Gefangene eines Prinzips oder Systems, heiße es, wie es wolle, sind dem Kampf gegen den Götzendienst nicht gewachsen, weil sie selber noch Götzendienst treiben.“20 56 reformierte aktente 5 Jesus Christus als Ebenbild Gottes und die wahre Religion In Barths Religionskritik ist mit der Argumentation „Religion als Unglaube“, die dem Verbot, sich Gottesbilder zu machen, parallelisiert werden konnte, das Kapitel noch nicht zu Ende. Vielmehr folgt ein weiterer Abschnitt, der oft in den Interpretationen wenig berücksichtigt wird: „Die wahre Religion“ (§ 17.3). Indem Barth das theologisch brisante Wort der „vera religio“ aufnimmt, macht er jedoch keine Kehrtwendung und stellt nun doch das Christentum als wahre Religion den anderen Religionen gegenüber. Vielmehr lautet seine These, dass die Religion nur „von außen“ wahr werden kann. Die christliche Religion ist nicht von sich aus wahr, sie hat anderen Religionen von sich aus nichts voraus, sie ist nicht „besser“ als andere Religionen21. Sie unterscheidet von anderen Religionen schlicht nur dies, dass sie als einzige Religion Jesus Christus bekennt. Sie ist 1. an Christus gebunden, sie lebt 2. von der Treue Gottes und 3. von der Rechtfertigung, weil ihre eigenen Gottesbilder nicht zutreffen, sie lebt schließlich 4. von göttlicher Heiligung, die den Christen ermöglicht, Gott recht zu antworten, ihn zu bekennen und zu loben.22 Alleine das Allein das Kommen Gottes in Jesus Christus macht die Kommen Gottes Kirche zur „wahren Religion“. Wenn sie Jesus Christus bekennt, in Jesus Christus bekennt sie die Wahrheit. Es ist also möglich, Religion positiv macht die Kirche zu verstehen, wenn sie nicht eigenmächtig Gottesbilder produzur „wahren ziert. Weil Jesus Christus in die Welt gekommen ist und die Religion“. Kirche rechtfertigt, darum kann die Kirche auch recht antworten und Jesus Christus als Herrn und Heiland bekennen. Von außen ist dieses Verhalten der Kirche durchaus mit anderen religiösen Verhaltensweisen verwechselbar, deswegen kann sie für empirische Maßstäbe auch keine Besonderheit oder gar Höherwertigkeit beanspruchen. Darin ist die Kirche dem, den sie bekennt, gleich. Jesus Christus ist mit empirischen Maßstäben gemessen keine herausragende Figur. Ja, es ist gerade das Kennzeichen Gottes, sich verwechselbar zu machen, indem G. Plasger, Das Bild und die Bilder 57 er selber Mensch wurde. Die Kirche lebt von dieser Menschwerdung Gottes. Sie ermöglicht der Kirche, wahre Religion zu werden. Und eigentlich ist gerade dies der Höhepunkt der Barthschen Religionskritik: Das Nein zur menschlichen Religion ist nicht selbständig, sondern bekommt ihr Licht vom Ja der Kirche zur Kondeszendenz Gottes. Genau diesem Gedankengang innerhalb des Paragrafen 17 entspricht Barths letzter argumentativer Teil der Siegener PreDas digt. Das „Entscheidende zu diesem Gebot“23 ist nicht das Nein, sondern die Erkenntnis, dass Jesus Christus das Ebenbild Entscheidende des unsichtbaren Gottes ist: Gott selbst hat sich zu erkennen am zweiten gegeben. Diesem Sich-zu-erkennen-geben Gottes entspricht der Gebot ist nicht das Nein, menschliche Glaube, der in Jesus Christus das Ebenbild Gottes sondern die „sieht“ und deshalb also nicht auf andere Bilder Gottes angewiesen ist. Es ist kein Sehen mit den natürlichen Augen, es ist Erkenntnis, dass Jesus Christus das Sehen des Glaubens: „verborgen im Kreuz, eingeschlossen 24 im Wort.“ In Person und Werk Jesu Christi ist Gott selber das Ebenbild des erschienen. Das Nein zu den Gottesbildern steht nach Barths unsichtbaren Auffassung in der Predigt deshalb so kräftig da, weil Gott „uns Gottes ist. 25 in Jesus Christus gnädig ist“ . Es ist also deutlich zu erkennen, dass sich Barths Auslegung des Bilderverbots sachlich im Umfeld der Religionsthematik befindet. In doppelter Hinsicht ist das deutlich. Einmal negativ: Die Gottesbilder besitzen in sich keine Stärke oder Notwendigkeit, vielmehr sind sie wie alle menschlichen Versuche, an Stelle der Offenbarung Gottes eigene Vorstellungen zu setzen, „nicht-notwendig“ und „schwach“. Barths Predigt will die Gottesbilder entlarven helfen. Und positiv ist auch gleiches zu sehen: Ebenso wie die Kirche zur wahren Religion werden darf, wenn sie durch Jesus Christus ermächtigt ihn als Herrn und Heiland anerkennt und bekennt, so ist diese Selbstkundgabe Gottes in Kreuz und im Wort das, was der Glaube an Stelle der Gottesbilder von Gott „zu sehen“ bekommt. 58 reformierte aktente 5 Christlicher und jüdischer Umgang mit dem Bild und dem Bilderverbot. Karl Barth im Gespräch mit Micha Brumlik Eine christologische Interpretation des Bilderverbots scheint der vermuteten Nähe zum Judentum im Wege zu stehen. Während man das Bilderverbot zu den Konstitutiva des Judentums rechnen kann, so keineswegs zu den Charakteristika des Christentums. Frühe dogmatische Entscheidungen in der Alten Kirche haben dazu geführt, dass die Bilderstürmer der bilderverehrenden Tradition unterlegen waren. Auch die lutherische Reformation hat diesbezüglich nur kleinere Änderungen vorgenommen. Die reformierte Konfession ist ihrerseits davon geprägt, dass sie ebenso wie das Judentum das Bilderverbot in ihrer Mitte hochhält. Von daher lassen sich inhaltliche Annäherungen zwischen Judentum und reformierter Kirche vermuten. Hinsichtlich Karl Barths ist aber ebenso zu sehen, dass seine Argumentation hinsichtlich des Bilderverbots strikt christologisch ist. Eine christologische Interpretation des Bilderverbots scheint aber der vermuteten Nähe zum Judentum im Wege zu stehen. Es erscheint mir deshalb reizvoll, eine neuere jüdische Interpretation des Bilderverbots mit Barth ins Gespräch zu bringen. Micha Brumliks Arbeit zum Bilderverbot ist 1994 unter dem Titel: „Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot“26 erschienen. Nach ihm unterscheiden sich Christentum und Judentum nicht nur zufällig in Sachen Bilderverbot. Vielmehr bringt der Umgang mit dem Bild unterschiedliche kulturelle Grundprinzipien ans Licht, die sich vom Ansatz her gegenüberstehen. Seine These ist, dass sich die Kulturen entweder auf den grundlegenden „Modus der Rede und Wechselrede, des Lesens und Schreibens“27 beziehen oder aber auf den des „Bildens und Schauens“28. Das erste Referenzsystem ist nach Brumlik im jüdischen Denken vorhanden, das zweite im christlichen Abendland, Brumlik nennt es „Philosophie“, weil es auf den Monotheismus Platos zurückgeht. Während das Christentum in seiner Begegnung mit griechischer Philosophie und deren G. Plasger, Das Bild und die Bilder 59 Übernahme das philosophische Denken Platos integriert hat, geht das Judentum historisch auf den in der gleichen Zeit entstandenen Monotheismus zurück, wie er in der josianischen Reform des siebten vorchristlichen Jahrhunderts erkennbar ist: dort steht das Buch der Gesetze Gottes im Mittelpunkt. Der platonische Monotheismus zielt darauf, Gott nicht als handelndes Subjekt zu verstehen, sondern als Idee, als Inbegriff des Das jüdische Wahren und Guten, als Prinzip. Das jüdische Denken hingegen sieht in Gott den handelnden, den barmherzigen und gerechten Denken sieht in Gott den Herrn, der sich in die Geschichte hinein begibt. Gott im platonischen Monotheismus ist in Begriffen benennbar, von Gott handelnden, den barmherzigen in jüdischem Denken kann nur in Geschichten und Berichten und gerechten erzählt werden. Einher mit der Möglichkeit, von Gott erzählen zu können, geht nach Brumlik die Aufwertung der Schrift – das Herrn, der sich Judentum ist zur Buchreligion geworden. Plato hingegen sieht in die Geschichte hinein begibt. in der Schrift im Wesentlichen die Funktion der „Erinnerung“ an der Schrift vorgängige und übergeordnete Dimensionen, die auch anders als schriftlich wiedergegeben werden können, so etwa im Bild. Entscheidend für Plato ist nach Brumlik nicht die Schrift, sondern ihre Funktion; sie soll der Seele helfen, sich der Ewigkeit zu vergewissern. Das aber kann auch ein Bild. In der frühen Kirche nun fand nach Brumlik die Integration der platonischen Philosophie ins Christentum statt. Im byzantinischen Bilderstreit im achten und neunten Jahrhundert wird deutlich, dass mit der Frage, was Ikonen abbilden, nicht das Ereignis und die Geschichte als solche, sondern die Frage nach der hinter den Bildern und hinter den Geschichten liegenden eigentlichen Wirklichkeit, also nach dem Prinzip, relevant wird. Damit aber sieht Brumlik den Siegeszug platonischer Philosophie im Christentum beginnen, der es bis heute mit seinem Bilderreichtum bestimmt. Brumlik stellt jüdisches Denken und griechische Philosophie einander gegenüber und damit auch Judentum und Christentum. Und in seinem Buch beschreibt er nach der grundsätzlichen Gegenüberstellung beider Formen des abendländischen Mono- 60 reformierte aktente 5 theismus einzelne wesentliche Züge, die das jüdische Bilderverbot kennzeichnen. Es ist hier nicht der Ort, Brumliks Geschichtsentwurf im Detail darzustellen. Er sieht einen Gegensatz zwischen Judentum und Christentum. Gleichzeitig ist Barth ein christlicher Theologe, der dem Bilderverbot einen hohen Stellenwert einräumt. Zu fragen ist also, ob Brumliks geistesgeschichtliche Gegenüberstellung so pauschal zutrifft. Hier lautet meine These, dass Brumlik in wesentlichen Erkenntnissen zuzustimmen ist; hinsichtlich der Person und Theologie Barths jedoch ist diese Regel durchbrochen und es ist eine größere Annäherung jüdischer und christlicher Theologie erkennbar. In der inhaltlichen Ausführung der jüdischen Eigenart des Bilderverbots charakterisiert Brumlik zwei Bedeutungen des jüdischen Bilderverbot-Verständnisses stark. Einmal sei das Bilderverbot nicht dazu da, die Bilder zu verbieten, sondern sie zu schützen. Und zum zweiten sei der Mensch als Bild Gottes nicht ontologisierend zu verstehen, sondern als sich in der Spur Gottes befindend – das Bilderverbot habe also eine antimetaphysische und ethische Stoßrichtung. Auf beide Bedeutungen gehe ich im Folgenden näher ein. Zur ersten These: Das Bilderverbot als Schutz der Bilder „Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.“ Brumlik greift hier auf Bemerkungen von Max Horkheimer und Theodor Adorno zurück, die in ihrer „Dialektik der Aufklärung“29 formuliert haben: „Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.“30 In diesem paradox klingenden Satz sieht Brumlik die „Lehre von der Unverfügbarkeit des Gestaltlosen“31 ausgedrückt – das Verbot, sich die Unverfügbarkeit Gottes zu Nutz machen zu wollen. Die Freiheit Gottes ebenso wie die menschliche Hoffnung stehen nach Brumlik auf dem Spiel, wenn Gottes „Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit“32 in optischer Weise dargestellt werden. Das Bilderverbot schützt Gottes Freiheit ebenso wie G. Plasger, Das Bild und die Bilder die menschliche Hoffnung, indem gerade die Unverfügbarkeit im Mittelpunkt steht. Adorno und Horkheimer nennen das „Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft“33. Aber worin besteht das „Recht des Bildes“? Wie soll angesichts des Bilderverbotes das Bild gerade zu seinem Recht kommen? Adorno und Horkheimer formulieren: „Die bestimmte Negation verwirft die unvollkommenen Vorstellungen des Absoluten, die Götzen, nicht wie der Rigorismus, indem sie ihnen die Idee entgegenhält, der sie nicht genügen können. Dialektik offenbart vielmehr jedes Bild als Schrift.“34 Damit wird das Bild in seine wahre Funktion eingesetzt. Bilder sind zu interpretierende Bilder, die nicht höher zu bewerten sind als Schrift, die nicht eindeutiger sind als Schrift. Das Bilderverbot verwehrt den Bildern, mehr zu sein, als sie sein können. Sie können nämlich gar nicht eindeutig sein. „Daß man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich.“35 „Du sollst dir kein Bildnis machen“ heißt dann letztlich: „In Wirklichkeit kannst du dir kein Bildnis machen, also mühe dich nicht ab mit letztlich aussichtslosen Versuchen.“ Das Bilderverbot schützt die Bilder davor, mehr zu sein, als sie sein können; es will die Menschen davor bewahren, sich vergeblich abzumühen – und es möchte die Menschen auch davor schützen, zu meinen, sich Gott verfügbar zu machen. Deshalb ist mit Brumlik auch das im Alten Testament erwähnte Bilderverbot nicht damit erklärt und letztlich darum ausgehebelt, weil dort anthropomorphe Gottesaussagen zu finden sind. Vielmehr sind die vorhandenen „Bilder“ Gottes im Alten Testament nicht Gottesbilder im definierenden Sinn. Gott handelt wie ein Mensch, ohne das Aussehen eines Menschen zu tragen. „Ohne sich ein Bild von Gott zu machen, beteten die Juden zu ihm als einer der Gefühle mächtigen Person.“36 Die für das Alte Testament anthropomorphe Sprache identifiziert Gott „nicht als leibliche, sichtbare und endliche Person“, aber er erscheint doch „als ein der Gefühle fähiger, beeinflußbarer Akteur.“37 61 Das Bilderverbot schützt die Bilder davor, mehr zu sein, als sie sein können. 62 Barths Theologie ist geprägt von der Betonung der Freiheit Gottes. reformierte aktente 5 Diese Paradoxie ist gar nicht so schwer nachvollziehbar. Wenn wir beispielsweise Geschichten lesen oder hören, formen sich beim Lesen oder Hören innere Bilder der Phantasie. Wenn nun eine Verfilmung eines Buches stattgefunden hat, so wird der Leser bzw. Hörer im Regelfall eine Einschränkung seiner vorher gemachten inneren Phantasie empfinden; eine Normierung der Wirklichkeit findet durch den Film statt, der man sich nur im Ausnahmefall wird entziehen können.38 Diese von Brumlik gemachte Differenzierung von Antropomorphismen im Alten Testament und Gottesbildern wird in exegetischen Studien bestätigt. So weist Jürgen Ebach beispielsweise darauf hin, dass das Bilderverbot die Unverfügbarkeit Gottes betont, die mit Bildern, aber beispielsweise auch mit dogmatischen Sätzen negiert werden kann. Biblische Gottesbilder seien statt dessen als „Gottesbilder im Wandel“ zu verstehen, weil sie Gott nicht festlegen oder einengen wollen.39 Ist das bei Barth auch so? Geht es dort auch um den Schutz der Bilder? In der Siegener Predigt jedenfalls klingt es nicht so, dort wird ein anderer Akzent gelegt. Aber es gibt sachlich doch deutliche Entsprechungen. Barths Theologie ist geprägt von der Betonung der Freiheit Gottes. Das eint ihn auf den ersten Blick schon einmal mit der Intention des Bilderverbots in Brumliks Sicht. Es lässt sich nun ausgehend von dieser Betonung die gleiche Denkfigur bei Barth auch finden, wie sie Brumlik ausgehend von Horkheimer und Adorno benennt: Die Bilder werden geschützt durch das Bilderverbot. Diese Entsprechung findet sich bei Barth im Zusammenhang mit dem Begriff der Erfahrungen, die Menschen mit Gottes Wort machen. Brumlik und Adorno betonen, dass Gottesbilder nur als Gott nicht festlegende Bilder verstanden werden dürfen. Bei Barth gilt dies entsprechend für Erfahrungen. Erfahrungen werden dann dogmatisch problematisch, wenn sie zu Definitionen Gottes werden. Wenn Erfahrungen aber gar nicht als Definitionen dienen, werden sie gewürdigt, Erfahrungen und nicht mehr zu sein. Erfahrungen vom Worte Gottes werden geschützt, wenn sie nicht überhöht werden. G. Plasger, Das Bild und die Bilder Im ersten Teilband der Kirchlichen Dogmatik diskutiert Barth nach der grundsätzlichen Aussage, dass Gott sich dem Menschen in seinem Wort offenbart und also zu erkennen gibt, die Frage, wo denn Menschen diese Offenbarung erfahren können, wo sie also in ihrem Leben eine Begegnung mit dem Worte Gottes erfahren. Und auffällig ist hier, dass Barth, anders als vielleicht vermutet, nicht die Erfahrung generell ausschließt, sondern sie weitest möglich freigibt. Ausdrücklich wendet er sich gegen bestimmte Festlegungen von Erfahrungsmöglichkeiten. Eine Präferenz für irgendeine Erfahrung, sei es im Gewissen oder im Willen, sei es im Intellekt und also im Verstand oder sei es im Gefühl, ist nicht möglich – kein Ort wird von Barth ausgeschlossen, an dem eine Gotteserfahrung möglich ist, auch nicht die Mystik. Vielmehr kann Barth die Möglichkeit der Erfahrung des Wortes Gottes auf alle nur denkbaren menschlichen Bereiche ausdehnen, „ohne grundsätzliche Hervorhebung und ohne grundsätzliche Zurückstellung dieser oder jener menschlichen Möglichkeit.“40 Menschen können Gott auf allen Ebenen und in allen Bereichen erfahren, nichts darf ausgeschlossen sein. Auch die Mystik beispielsweise wird hier als möglicher, aber zugleich nicht exklusiver Ort gewürdigt. Das heißt insgesamt gesehen, dass Barth den Bereich der Gotteserfahrung so weit wie nur möglich öffnet – jedem Menschen ist eine Erfahrung des Wortes Gottes möglich. Aber eine Frage schließt sofort daran an. Gibt es Möglichkeiten, hier eine echte von einer unechten Erfahrung zu scheiden? Kann mit Sicherheit gesagt werden, ob eine Erfahrung wirklich eine Erfahrung des Wortes Gottes ist oder doch nur eine Erfahrung eigener Vorstellungen und Gedanken? Und Barth argumentiert strikt: Nein, es kann hier nicht mit Sicherheit das Echte von Unechtem geschieden werden. Verwechslungen sind möglich und finden statt. Nicht jede Erfahrung, die der Mensch als Erfahrung des Wortes Gottes ausgibt, ist auch eine solche. Deshalb ist die Betonung, dass Menschen alle nur denkbaren Gotteserfahrungen machen können, nicht ausreichend. „Nein, gerade die Sicherheit, deren die Dogmatik, die kirchliche Ver- 63 Kein Ort wird von Barth ausgeschlossen, an dem eine Gotteserfahrung möglich ist, auch nicht die Mystik. 64 „Das Wort Gottes wird erkennbar, indem es sich erkennbar macht.“ reformierte aktente 5 kündigung und die Kirche selbst hinsichtlich der Möglichkeit der Erkenntnis des Wortes Gottes bedarf, wird hier nicht zu erreichen sein.“41 Menschen machen Erfahrungen des Wortes Gottes; diese sind und bleiben aber zweideutig. Das heißt auf der anderen Seite, dass die Erfahrungen, die Menschen machen, nicht zur Verifikation des Wortes Gottes herangezogen werden können. Es geht kein Weg von den Erfahrungen hin zum Wort Gottes, weil der (sündige) Mensch nach Barth nicht in der Lage ist, das Wort Gottes zu umfassen und vollständig zu erfassen: „homo peccator non capax ... verbi divini“42. Wenn die menschliche Erfahrung aber nicht die Sicherheit bieten kann, die die Kirche benötigt, um verkündigen zu können, braucht sie etwas, das mehr ist als menschliche Erfahrung. Dieses „mehr“ sieht Barth im Glauben und dem dem Glauben entsprechenden Bekenntnis. Im „Glauben haben Menschen wirkliche Erfahrung vom Worte Gottes“43. Glaube ist aber nicht zu identifizieren als menschliche Erfahrung, auch wenn der Mensch im Glauben Erfahrungen macht. Die Erfahrung als solche bleibt zweideutig. Sicherheit gibt es für die Kirche und ihre Verkündigung dann, wenn der Gegenstand des Glaubens verkündigt wird. „Der Beweis des Glaubens besteht in der Verkündigung des Glaubens. Der Beweis der Erkennbarkeit des Wortes besteht im Bekenntnis dazu.“44 Das heißt letztlich, dass die nötige Sicherheit für die Kirche nicht in der Erfahrung, sondern im Bekenntnis zum Worte Gottes besteht. Sicherheit hat die Kirche dann, wenn sie auf Jesus Christus verweist. „Das Wort Gottes wird erkennbar, indem es sich erkennbar macht.“45 Damit sind die Erfahrungen, die Menschen von Gott machen, keineswegs unmöglich. Sie müssen auch nicht unechte Erfahrungen sein – von vornherein misstrauisch zu sein ist hier nicht angesagt. Nur zweierlei vermögen die Erfahrungen nicht. Sie vermögen weder das Wort Gottes zu fassen noch vermögen sie den Beweis zu geben, ob sie zutreffende und also verlässliche Erfahrungen sind. Erfahrungen bleiben zweideutig. Indem sie aber zweideutig bleiben, werden sie von Barth nicht ausgeklammert, sondern geschützt. G. Plasger, Das Bild und die Bilder 65 Das Bilderverbot in der Interpretation von Adorno und Horkheimer bedeutet den Schutz der Bilder, den Schutz aller Bilder – weil sie nicht den Anspruch haben, Definition bieten Gotteszu können, grenzen sie Gott und seine Freiheit nicht ein. Goterfahrungen teserfahrungen sind menschliche Gottesbilder; Barth würdigt sie darin, dass sie möglich sind. Ihre Grenze besteht darin, dass sind menschliche Gottesbilder; sie keine Definition Gottes bieten können, dass Gott nicht Barth würdigt von ihnen erschlossen werden kann. Wer von den Erfahrungen her dogmatische und also verbindliche Aussagen machen sie darin, dass sie möglich sind. will, kommt zu problematischen und zuweilen häretischen 46 Schlüssen . Weil aber das Wort sich im Wort selber zu erkennen gibt, darum werden die Erfahrungen geschützt, indem sie nicht überhöht werden. Gerade indem sie der Sphäre des Zweideutigen und also Überholbaren nicht entrissen werden, bleiben sie menschliche Erfahrungen. Das Verbot, aufgrund menschlicher Erfahrungen Gott erkennen und benennen zu können, schützt die Erfahrung davor, mehr zu sein als sie sein können. Zur zweiten These Brumliks: Die ethische Absicht des Bilderverbots Neben der vorhin thematisierten Dimension des Bilderverbots, das die vorhandenen Bilder schützt, weil es sie nicht überhöht, betont Brumlik einen weiteren Akzent als jüdische Eigenart des Umgangs mit dem Bild. Hier greift Brumlik auf Überlegungen des 1995 verstorbenen französischen jüdischen Philosophen Emanuel Levinas zurück. Ich erinnere an die Grundthese Brumliks, das Christentum sei durch platonische metaphysische Bewegrichtung charakterisiert, wohingegen das Judentum aus einer anderen Quelle trinke. Hinsichtlich der Anthropologie werde diese Unterscheidung auch erkennbar, wenn vom Menschen als Bild Gottes gesprochen werde. Bild Gottes, verstanden in platonischen Denkstrukturen, heißt, dass der Mensch Abbild Gottes und Gott selber somit Urbild ist. Wenn der Mensch aber Abbild eines Urbildes ist, oder anders gesagt: wenn er Gottes Ikone 66 Der christliche Ikonenglaube setzt nach Brumlik die christliche Inkarnationstheologie voraus. reformierte aktente 5 ist, dann ist Gottes Abbildbarkeit im Menschen möglich. In der christlichen Kirche wurde im Ikonenstreit zu Gunsten der Ikonen votiert und für die Abbildbarkeit Gottes gerade als Argument gebracht, dass Gott selber in Jesus Christus Mensch geworden ist und dieser Mensch ja abbildbar ist. Der christliche Ikonenglaube setzt nach Brumlik deshalb die christliche Inkarnationstheologie voraus47. Historisch ist diese Begründungsstruktur zutreffend, und gerade Martin Luther hat in seiner Diskussion um das Bilderverbot die Inkarnation als Beleg für die NichtGültigkeit des Bilderverbots gebraucht.48 Dieser metaphysischen Spekulation stellt der jüdische Philosoph Levinas nun – in Brumliks Augen das Bilderverbot radikalisierend – eine dynamische und ethisierende Anthropologie entgegen: „Der Gott, der vorbeigegangen ist, ist nicht das Urbild, von dem das Antlitz das Abbild wäre. Nach dem Bilde Gottes sein heißt nicht, Ikone Gottes sein, sondern sich in seiner Spur befinden. ... Zu ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, folgen, sondern auf die Anderen zugehen, die sich in der Spur halten.“49 Nach Levinas geht es in der Rede vom Menschen als Abbild Gottes nicht um eine ontologische Aussage über die menschliche Natur, sondern sie zielt auf des Menschen Handeln: Der Mensch ist in eine bestimmte Funktion eingewiesen.50 Aber es ist auch nicht möglich, daraus einen ontologischen Rückschluss auf Gott und Gottes Sein zu ziehen – Levinas ist Kritiker jeglicher Metaphysik. Und doch ist bei Levinas – das hat Brumlik schön herausgearbeitet – damit keine Beschränkung auf eine reine immanente Ethik vorhanden. Denn er entwickelt in seiner Ethik beispielsweise keine Theorie der Gerechtigkeit, die dann bestimmte Ableitungen ermöglichte oder forderte. Vielmehr sieht Levinas im Gesicht des Anderen einen Anspruch, ein Gebot entstehen: „Das Gesicht des Nächsten bedeutet mir eine unabweisbare Verantwortung, die jeder freien Zustimmung, jedem Pakt, jedem Vertrag vorausgeht.“51 Von daher sieht Brumlik wohl zu Recht Levinas in den Spuren des biblischen und rabbinischen Judentums.52 Und so kann er resümierend G. Plasger, Das Bild und die Bilder 67 sagen: „Letzten Endes beglaubigt er (sc. Levinas) aber nur die Erfahrung des Judentums, daß Gott im geschriebenen und gemeinsam zu lesenden Buch seinen Ort hat.“53 Levinas beruft sich nicht auf Gott, den Brumlik aber in der Unbedingtheit des Anspruchs bei Levinas im Hintergrund anwesend erkennt. Levinas entwickelt aus dem Bilderverbot und dem vorhandenen Anspruch an den Menschen, Bild Gottes zu sein, ein ethisches Verständnis: Bild Gottes sein heißt, auf den Wegen Gottes zu wandeln. Es ist nun zu fragen, ob sich hier wie im vorher genannten Fall der Bewahrung des Bildes im Bilderverbot eine Analogie bei Barth finden lässt. Levinas zufolge ist das Christentum im Unterschied zum Judentum daran interessiert, aufgrund der Inkarnation das Bilderverbot aufzugeben. Wir haben Barth als jemanden kennen gelernt, der in Aufnahme reformierter Tradition das Bilderverbot anerkennt und beibehalten will. In der Predigt zu Exodus 20 ist zu sehen, dass bei Barth die Erkenntnis Jesu Christi als Ebenbild Gottes nicht zur Aufhebung, sondern zur Bekräftigung des Bilderverbots dient: Weil Gott erschienen ist, weil Jesus Christus Gottes Ebenbild ist, kann kein anderes Bild an diese Stelle treten. Aber die Rede von Jesus Christus als dem Ebenbild Gottes hat noch andere Implikationen. Denn in Jesus Christus als dem Ebenbild Gottes wird anderen Bildern nicht nur die Fähigkeit abgesprochen, Gott abzubilden. Sondern darüber hinaus ist das auch eine positive Aussage hinsichtlich der Anthropologie. Denn als Mensch bildet Jesus Christus Gott ab. „Er ist im menschlichen Raum im gleichen Sinn ... auf dasselbe Ziel ausgerichtet wie sein Vater im himmlischen. In ihm geschieht dessen Wille auf Erden, wie er im Himmel geschieht. In seiner Lebenstat siegt, behauptet und offenbart sich der Friede der Schöpfung. ... In Ihm siegt, behauptet und offenbart sich aber darüber hinaus der Friede des Bundes, die Solidarität Gottes mit dem Menschen. ... er tut, was im Bunde, der Treue Gottes entsprechend, vom Menschen als Tat seiner Treue gefordert und erwartet ist“54. Jesus Christus ist der gehor- Weil Jesus Christus Gottes Ebenbild ist, kann kein anderes Bild an diese Stelle treten. 68 reformierte aktente 5 same, der wahre Mensch. Er ist derjenige, der die Thora erfüllt, der dem Gebot Gottes entsprechend lebt und handelt, der als Mensch ganz in den Spuren Gottes wandelt. Er ist der wahre Mensch. Das sind die begnadigten Sünder bei Barth nicht, sie sind Menschen, die aufgrund ihrer Sünde nicht in der Lage sind, die Thora zu erfüllen. Aber die Betonung der Differenz ist die eine Seite. Darüber hinaus ist nämlich zu fragen, inwiefern dieses eine Bild eine Entsprechung bei den anderen Menschen hat. Dies bejaht Barth ausdrücklich: „Ist dieser Eine ihr Heiland und Erretter – er, dessen Menschlichkeit darin besteht, an ihre Stelle zu treten, sein Leben für sie hinzugeben – und ist er eben darin das geschöpfliche Bild Gottes selber, wie sollten diese dann Wesen sein, in deren Menschlichkeit dieses Bild einfach abwesend, nicht mindestens vorgebildet und angezeigt wäre – sie, die doch desselben Gottes Geschöpfe und als solche zur Bundesgenossenschaft mit ihm bestimmt sind?“55 Es besteht nicht nur eine Differenz zwischen dem Sohn Gottes und den anderen Menschen. Vielmehr ist bei allen Menschen, weil er an die Stelle aller anderen Menschen getreten ist, das Bild Gottes da, wenn auch nicht in gleicher Weise. „Hier ist ein gemeinsames, eine Gleichheit trotz und in aller Ungleichheit vorausgesetzt: zwischen Jesus und den anderen Menschen nicht nur, sondern ... auch zwischen Gott und den Menschen überhaupt und im allgemeinen.“56 Daraus entwickelt Barth aber keine ontologische Spekulation, sondern er akzentuiert hier den Menschen als Mitmenschen, der darin dem Bild Gottes entspricht, Mitmensch zu sein. Auch die ethischen Dimensionen erwachJesus Christus sen hieraus, die wahre Humanität des Menschen gerade in als das eine Ebenbild Gottes seiner Mitmenschlichkeit zu sehen. Damit ist eine vielleicht überraschende Analogie zu Gedanlädt nicht zur Spekulation über ken von Levinas aufgestellt. Dieser hatte gesagt, die Rede vom Seinsfragen ein, Menschen als Bild Gottes verweise den Menschen an die Spur sondern ruft den Gottes. Und letztlich ist es bei Barth ebenso: Jesus Christus als Menschen in die das eine Ebenbild Gottes lädt nicht zur Spekulation über Seinsfragen ein, sondern ruft den Menschen in die Nachfolge Jesu. Nachfolge Jesu. Jesus Christus als Ebenbild Gottes zu sehen heißt ihn als den G. Plasger, Das Bild und die Bilder zu sehen, der der wahre Mitmensch ist. Seine Nachfolger sind eingeladen und aufgefordert, diese Mitmenschlichkeit zu leben, ohne sie kopieren zu können. Damit aber weist die Rede von der Ebenbildlichkeit Gottes bei Barth auch auf den Weg, den Menschen nicht isoliert, sondern im Miteinander zu sehen: „Ein Mensch ohne Mitmensch oder ein Mensch, der dem Mitmenschen von Haus aus gegensätzlich oder neutral gegenüberstünde, oder ein Mensch, für den die Mitexistenz seines Mitmenschen nur untergeordnete Bedeutung hätte, wäre ein solches Wesen, das dem Menschen Jesus eo ipso radikal fremd gegenüberstehen würde, dessen Heiland und Erretter er nimmermehr sein könnte.“57 Fast bis in Formulierungen hinein zeigen sich hier frappante Übereinstimmungen zwischen Barth und Levinas, auch wenn andere grundlegende Differenzen nicht geleugnet oder nivelliert werden dürfen. Aber beide sehen die Aussage des Menschen als Bild Gottes und das Bilderverbot nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern in deutlicher Zuordnung. Der Mensch als Bild Gottes ist keine ontologisch zu verstehende Abbildung Gottes, sondern ruft zur Nachfolge Gottes auf. Es hat sich also gezeigt, dass die von Brumlik behauptete Differenz von Judentum und Christentum zumindest hinsichtlich Barths Auslegung des Bilderverbots nicht bestätigt werden kann. Stattdessen finden sich bei Barth überraschende und oft auch frappante Übereinstimmungen und Entdeckungen mit jüdischen Anliegen und Interpretationen. Sowohl bei Barth wie auch bei der jüdischen Deutung Brumliks geht es nicht in erster Linie um das Nein, das das Bilderverbot auf den ersten Eindruck beinhaltet. Beide kommen her vom Ja, von der Verheißung. Das Bilderverbot will dem Menschen helfen, ihn nicht einengen. Das wird in mehreren Schritten bei Barth erkennbar. Der Mensch als Bild Gottes ist nicht so zu verstehen, als sei damit das Bilderverbot aufgehoben. Der im Christentum immer wieder verbreiteten Auffassung, als sei mit dem abbild- 69 Der Mensch als Bild Gottes ist keine ontologisch zu verstehende Abbildung Gottes, sondern ruft zur Nachfolge Gottes auf. 70 reformierte aktente 5 baren Jesus Christus das zweite Gebot zu verabschieden, widerspricht Barth: Der Gedanke vom Menschen als Bild Gottes zielt auf Mitmenschlichkeit, nicht auf Spekulation über das Sein des Menschen oder Gottes. Die alttestamentlich vorhandene scheinbare Spannung zwischen Bilderverbot und Anthropomorphismen ist bei Barth in der Diskussion des Erfahrungsbegriffs aufgenommen worden: Gotteserfahrungen sind dann problematisch, wenn sie zu Definitionen Gottes werden; in prinzipiell jeder Gotteserfahrung eine Handlung Gottes erkennen zu können dagegen eine theologische Tugend. Den Tenor des Bilderverbots kann Barth deshalb in Zusammenhang mit der Diskussion des Religionsbegriffs aufnehmen. Wenn Bilder Gottes zu definitorischen Aussagen verkommen, sind sie Ausdruck des Unglaubens. Gott redet in seinem Wort – und deshalb ist den Bildern Nicht-Notwendigkeit und Schwäche hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Gottesbilder zu sein, zu testieren. Das Bilderverbot ist nicht einzugrenzen auf die Frage, ob in der Kirche Bilder sein dürfen oder nicht – diese Frage kann einen gesetzlichen Anstrich bekommen. Vor allem dann, wenn sie aus den theologischen Zusammenhängen herausgelöst isoliert verstanden wird. Hier hat Barth sehr bedachtsam das Bilderverbot als evangelisches Gebot herausgearbeitet, dem bleibende Weisheit zukommt. Anmerkungen 1 H. Erhart, Von der Zeichenhandlung im Bildersturm zum Bilderverbot. Das Beispiel Genf, in: Die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Beiträge zu ihrer Geschichte und Gegenwart, hg. v. E. Lomberg, G. Nordholt u. A. Rauhaus, Weener 1982, 403-408. 2 AaO., 407. 3 AaO., 407. 4 Zur historischen Einordnung der Synode vgl. Sigrid Lekebusch, Die Reformierten im Kirchenkampf, Köln 1994, 222-244. G. Plasger, Das Bild und die Bilder 71 5 So interpretiert beispielsweise Friedrich Middendorf die Predigt als politisch gegen „Hammer und Meissel“ und theologisch gegen Gottesbilder „mit Pinsel und Farben“ gerichtet. Vgl. Lekebusch, aaO., 225. 6 Vgl. ausführlich dazu G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, Neukirchen 2000, 197-211. 7 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, in: Karl Barth, Vier Predigten (=ThExh 22), München 1935, 36-45, 36. 8 Im Heidelberger Katechismus heißt es in Frage und Antwort 98: „Dürfen aber nicht die Bilder als der Laien Bücher in den Kirchen geduldet werden? Nein; denn wir sollen nicht weiser sein als Gott, welcher seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will.“ Zitiert nach: Der Heidelberger Katechismus. Neubearbeitung der Jubiläumsausgabe 1963, Detmold / Leer 1979. 9 AaO., 37. 10 Ebd. 11 AaO., 38. 12 Ebd. 13 Es ist interessant, dass Luther hier ganz anders als Barth argumentiert. Luther relativiert das Bilderverbot mit dem Hinweis, dass der Mensch in seinem Herzen immer Bilder produziere, Barth bezieht es gerade darauf. Vgl. E. Busch, Das Bilderverbot und die MedienWelt, in: C. Maier, R. Liwak, K.-P. Jörns (Hgg.), Exegese vor Ort. FS für Peter Welten zum 65. Geburtstag, Leipzig 2000, 47-63, 47. 14 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 39. 15 K. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, 329. 16 AaO., 330. 17 Vgl. zur Diskussion z.B. K. Nürnberger, Glaube und Religion bei Karl Barth. Analyse und Kritik der Verhältnisbestimmung zwischen dem christlichen Glauben und den anderen christlichen Religionen in § 17 der ‚Kirchlichen Dogmatik‘ Karl Barths, Diss. Marburg 1967; W. Krötke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth (ThSt 125), Zürich 1981; O. Herlyn, Religion oder Gebet. Karl Barths Bedeutung für ein ‚religionsloses Christentum‘, Neukirchen 1979; C. Link, Das menschliche Gesicht der Offenbarung. Bemerkungen zum Religionsverständnis Karl Barths, in: KuD 26, 1980, 277-302; C. Dahling-Sander / G. Plasger, Hören und Bezeugen. Karl Barths Religionskritik als Hilfestellung im Gespräch mit den Religionen, Waltrop 1997. 18 Vgl. KD I/2, 344ff. Dazu siehe auch C. Dahling-Sander / G. Plasger, Hören und Bezeugen, aaO., 19-24. 19 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 41. 72 reformierte aktente 5 20 AaO, 45. Sachlich ist hier übrigens eine Parallele mit dem vieldiskutierten Spruch Barths zu sehen, dass er statt der Christologie Christus meint. Vgl. E. Busch. Karl Barths Lebenslauf, München 1975, 426. 21 Hier spielt Barth auf die Diskussion an, dass das Christentum als die „beste“ aller Religionen anzusehen sei, eine im 19. Jahrhundert weitverbreitete Auffassung. 22 Barth nennt diese vier Verhältnisse: creatio continua, electio continua sowie Akte göttlicher Rechtfertigung und Heiligung. Vgl. Karl Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, 379-397. 23 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 41. 24 AaO, 42. 25 AaO, 42. 26 Frankfurt 1994. 27 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 8. 28 Ebd. 29 M. Horkheimer / T. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 1969. 30 AaO., 24. 31 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 28. 32 Ebd. 33 Bei M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 29. 34 M. Horkheimer / T. Adorno, Dialektik der Aufklärung, aaO., 30. 35 T. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1973, 106. Vgl. G. Koch, Medientheorethische Anmerkungen zum Bilderverbot, in: M.J. Rainer / H.-G. Janßen (Hgg.), Bilderverbot (Jahrbuch Politische Theologie 2), Münster 1997, 106-120, Bilderverbot, 118.) 36 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 60. 37 AaO., 64. 38 Hier ist wohl auch ein Grund dafür zu finden, dass Adorno und Horkheimer dem Medium des Films skeptisch gegenüberstanden. 39 Vgl. Jürgen Ebach, Gottesbilder im Wandel. Biblisch-theologische Aspekte, in: Michael J. Rainer / Hans-Gerd Janßen (Hg.), Bilderverbot (Jahrbuch Politische Theologie 2), Münster 1997, 22-35. 40 KD I/1, 213. 41 KD I/1, 228. 42 KD I/1, 231. 43 KD I/1, 250. 44 KD I/1, 254. G. Plasger, Das Bild und die Bilder 73 45 KD I/1, 260. 46 Bei Barth wird das im Herbst des Jahres 1933 augenfällig, als er es ablehnt, ein Bekenntnis zu verabschieden. Vgl. G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, aaO., 150-165. 47 Vgl. M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 97. 48 Vgl. M. Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, in: M. Luther, Ausgewählte Werke (= Münchener Ausgabe) Bd. IV, München 1937², 95-258. 117f. 49 E. Levinas, Die Spur des Anderen, Freiburg 1983, 235, zitiert nach Brumlik aaO., 97. 50 Es ist interessant zu sehen, wie gerade die neueren Deutungen in Gen 1,26f., dem klassischen Text für die Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes, den Herrschaftsauftrag des Menschen erkennen. Vgl. z.B. M. Weippert, Tier und Mensch in einer menschenarmen Welt. Zum sogenannten dominium terrae in Genesis 1, in: H.-P. Mathys (Hg.), Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt. Studien zu Würde und Auftrag des Menschen, Neukirchen 1998, 35-55. 51 Levinas, Jenseits des Seins, 201, zitiert nach M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 104. 52 Vgl. M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 104. 53 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 115. 54 K. Barth, KD IV/2, 186. 55 K. Barth, KD III/2, 268. 56 AaO., 269. 57 AaO., 271.