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Trixi Rossi
Lebenslauf
Schäferstrasse 31
20357 Hamburg
0173 23 62 796
trixi@fotofuenf.de
www.fotofuenf.de
1991 Abitur am Gymnasium St.Michael in Ahlen/Westfalen
1991 1992 1992 1993 1995 1996 dreimonatiges Praktikum in der Fotoabteilung des Stadtmuseums Münster
s/w Fotokurs am International Center of Photography in New York
sechsmonatige Assistenz im Studio Gallandi in Berlin
einjährige Assistenz für Manu Agah in Hamburg
sechsmonatiger Auslandsaufenthalt in San Francisco
Praktikum in der TEMPO-Bildredaktion
1998 – 2000 Bildredakteurin bei Visum/plus49
2000 – 2001 Bildredakteurin bei Büro Hamburg/Trendbüro
2001 – 2003 Art-Buyerin bei Heye & Partner in Hamburg
2003 – 2005 Bildredakteurin bei Mutabor Design in Hamburg
2005 – 2008 Bildredakteurin bei Park Avenue
Seit 2009 freie Bildredakteurin bei Art, G+J Wirtschaftsmedien, Philipp und Keuntje,
Petra, National Geographic
Place to be
Networken. Vor ihrer Neuerfindung
galten die Clubs der Londoner
Gentlemen als Staubfänger.
Nun sind sie wieder angesagt
Fühl dich wie zu Hause: Im Eight Club von Brandon Kinsman
gammeln Banker und Broker nach Feierabend
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House of Commonwealth: Queen-Porträt im Gebäude
der Royal Over-Seas League. Der Club schreibt jährlich Preise für junge Künstler aus
Text: Louise Brown, Fotos: Heiko Prigge
Die Dachterrasse des Eight Club ist an die­
sem Abend wieder Hochglanzbühne. Jun­
ge Jungs in Anzügen, das Hemd offen,
Krawatte sowieso nicht, Champagner in
der Hand und cheers. Talk­Themen: FX
Trading und die Transfers des FC Chelsea.
Ein Greg, Headhunter, Maßanzug
von Boland & Banks, lässt sich kurz stö­
ren: „Ich bin hier Mitglied, gerade weil
das Eight kein spießiger, traditioneller,
altmodischer Privatclub ist.“ Und: „Wenn
mein Mobiltelefon klingelt, schauen
mich hier keine 20 Leute entsetzt an.“
Und: „Ich kann mir die Peinlichkeit spa­
ren, einem Kunden sagen zu müssen,
bitte in passender Garderobe zum Essen
zu erscheinen.“ So, jetzt erst mal einen
Espresso Martini.
Damit wäre auch alles gesagt. Club in
London ist nicht mehr gleich Club in Lon­
don. Das Prinzip „Hort des Gentleman­
tums“ hat sich ins 21. Jahrhundert geret­
tet: Es gibt sie noch, den Reform Club
(den kennt man von Jules Verne, seine
Romanfigur Phileas Fogg wettete hier,
in 80 Tagen die Welt zu umrunden), den
Carlton, den Travellers Club, die Royal
Over­Seas League und den ganzen Rest.
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Doch seit einigen Jahren wächst junge
Konkurrenz, in City und East End. Jeder
in London kennt die Namen: Hospital
Club, Shoreditch House, Eight Club.
Chef und Gründer Brandon Kinsman
ist mit dem Eight Club einer der Ersten,
die gegen das Establishment angetreten
sind. „Wir wollten zeitgemäß sein, nicht
wie die alten von rigorosen Regeln be­
stimmt, auch kein reiner Sport­ oder
Businessclub.“ Dynamisch, stylish, sagt
Kinsman, nah an der Finanzwelt. Ein Ort
zum Abschalten.
Hier schaut man nicht bei Portwein
in einen lodernden Kamin, sondern bei
Champagner durch Panoramafenster
über die Finanztürme Londons. Statt
Roastbeef gibt es Carpaccio vom Rind. Die
Krawatte gilt als Relikt, das nach getaner
Arbeit schleunigst abgelegt wird. Damit
die Botschaft auch jeder kapiert, lässt
»
Mitglied eines historischen
Clubs ist man nicht, weil es ‚in‘
oder geschäftlich nützlich ist.
Sondern aus Leidenschaft
«
James Scott, Travellers Club
auch Kinsman die zwei obersten Knöpfe
seines Hemdes geöffnet. Im Restaurant
beraten die Kellner ausländische Gäste
auf Deutsch oder Französisch – für Lon­
don eine Sensation an Unbritishness. Ein
paar Anklänge an die Tradition erlaubt
Kinsman: Hinter dunklen Holztüren ver­
bergen sich Bibliothek und ein clubeige­
ner Savile­Row­Schneider.
Feines Tuch und Reiseliteratur des
19. Jahrhunderts schätzt auch die Schar
auf der Garden Party im Travellers Club.
Damit hören die Gemeinsamkeiten zur
Eight­Klientel aber schon auf. Auf der
Gästeliste in der Pall Mall 106: junge Mit­
glieder ausgesuchter Traditionsclubs.
Es sieht aus, als würde Richard Curtis
eine Fortsetzung von „Vier Hochzeiten
und ein Todesfall“ drehen. Junge Frauen
in Designerkleidern plaudern auf samte­
nem Rasenteppich mit jungen Herren in
akkuraten Anzügen. Der Travellers Club
ist 190 Jahre alt, das Clubgebäude stammt
vom Architekten Charles Barry, der die
Houses of Parliament entworfen hat. Der
auf der Einladung angekündigte Dress­
code lautet „Lounge Suit“, und ein Gast –
gottlob kein Travellers­Mitglied! – hat
das sträflich falsch interpretiert, indem
er zwar im dunklen Anzug, jedoch mit
Stoffschuhen erschienen ist. Der Portier
bleibt hart, „No, Sir“. „Mitglied eines his­
torischen Clubs wird man nicht, weil es
‚in’ oder geschäftlich nützlich ist, sondern
aus Leidenschaft“, kommentiert James
Scott, ein junger Anwalt.
Seit seinem 18. Lebensjahr ist er Mit­
glied im Hurlingham Club – und zugleich
im Carlton, dem elitärsten Club Londons,
dem bisher jeder konservative Premier­
minister angehörte. Inklusive Margaret
Thatcher, allerdings nur als Ehrenmit­
glied. Erst letztes Jahr, 176 Jahre nach
seiner Gründung, ließ der Carlton Frauen
als gleichwertige Mitglieder zu.
Vor vier Jahren, als der Aufstieg der
jungen, wilden Clubs eben begann, fand
Scott, man müsse in die Offensive gehen.
Er gründete den Interclub, der Events für
die Mitglieder unter 35 der Traditions­
clubs veranstaltet. So erfand der Interclub
den „Club Crawl“, eine Anspielung auf
den Volkssport „Pub Crawl“, bei dem
man von Bar zu Bar zieht. Er veranstaltet
Winterbälle, Tagesausflüge nach Paris
und eine Art Speeddating, bei denen
sich Mitglieder der verschiedenen Clubs
beschnüffeln sollen. Die Runde umfasst
jetzt 600 Mitglieder.
Im Laufe weniger Jahre hat sich die
Londoner Szene neu erfunden, wenn
man so will, gibt es jetzt zwei Parallelwel­
ten. Von den einstmals zu viktorianischer
Zeit 200 Clubs sind noch etwa 40 übrig.
In den neuen Clubs sind Männer und
Frauen gleich, sie sind von Designern wie
Zara Hadid eingerichtet und mit Dach­
pools ausgestattet, befinden sich entfernt
vom gediegenen West End im szenigen
Osten und in Londons Vororten. „Die sind
einfach edgy“, sagt Olivia Cole, Szene­
autorin des „Evening Standard“, „und
gerade damit sind sie in den letzten fünf
Jahren phänomenal erfolgreich.“
Nachmittags auf der Dachterrasse des
Shoreditch House. Man isst Lunch, dazu
natürlich Mineralwasser statt Wein, dis­
kutiert ein bisschen, lakonisch. Ein
Schwimmer zieht langsam seine Bahnen
im Dachpool. Gut möglich, dass sich ge­
rade Kate Moss oder Naomi Campbell im
clubeigenen Spa massieren lassen. Eine
Gruppe trifft sich auf Designer­Plüsch­
sesseln zum Businessplausch. 2007 hat
Shoreditch eröffnet und ist im kreativen
East End gleich zur Institution geworden.
Medien, Design, Musik und Kunst ernäh­
ren die Mitglieder. Die Klientel wird ge­
zielt umworben.
Ein Prüfgremium aus Künstlern und
∂
Architekten fand zum Beispiel,
Wo erlebt man noch
das Robinson-Gefüh
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Torsten Neeland, preisgekrönter deut­
scher Industriedesigner, seit zwölf Jahren
in London, würde doch gut hierherpas­
sen. Neeland findet das auch. „Mit Kun­
den essen, ohne vorher einen Tisch be­
stellen zu müssen, später im Dachpool
eine Runde schwimmen – und alles fünf
Minuten vom Büro: Das ist ein bisschen
wie ein zweites Wohnzimmer.“ Klar, dass
Quentin Tarantino die Party nach der
London­Premiere von „Inglorious Bas­
terds“ im Shoreditch steigen ließ.
Am Eingang hängt die Abbildung ei­
nes Werkes von Damien Hirst: ein Ge­
schäftsmann im Anzug, durchgestrichen
von einem roten Balken. Banker werden
im Shoreditch House ungern gesehen.
Das wäre doch ein Argument für Phileas
Fogg – „Man sah ihn nie auf der Börse
noch auf der Bank“, berichtete Jules Ver­
ne. Das war in der Tat höchst vornehm,
denn im 19. Jahrhundert waren im Club
zwei Themen tabu: Familie und Arbeit.
Aktenkoffer mussten dem Portier
überreicht werden; Geschäftsgespräche
waren verboten, Langeweile wurde zele­
briert: Im ältesten Club Londons, White’s,
gegründet 1693, wetteten der Überliefe­
rung nach zwei Mitglieder ganze 3000
Pfund, welcher Regentropfen am Fenster
als erster den Boden erreichen würde.
Guide: Clubs London
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In den neuen Clubs ist Müßiggang
kein Wert. Ob nach dem Feierabend,
beim Frühstück oder Sport, man knüpft
Kontakte, hält Meetings ab. Das Potenzial
eines zeitgemäßen Clubs erkannte der
Unternehmer Nick Jones, der 1995 Soho
House gründete, im Szeneviertel Soho. Es
folgten Babington House im ländlichen
Somerset, Shoreditch House und High
Road House, der erste Club in einem Lon­
doner Vorort. Heute betreibt die Soho­
House­Gruppe Clubs in New York und
bald auch in Los Angeles, mit 20 000 Mit­
gliedern weltweit. „Informell und flexibel
muss der heutige Club sein: genau das
Gegenteil der alten“, sagt Soho­Geschäfts­
leiter Martin Kuczmarski. Am Empfang
wird man mit Vornamen begrüßt; mor­
gens um vier kann man ein ausgiebiges
Dinner bestellen, der Champagner darf
auch in Jeans getrunken werden.
Aktuell stehen 4000 Namen auf der
Warteliste. „Den Goldman­Sachs­Mitar­
»Informell und flexibel muss
der Club von heute sein:
das Gegenteil der alten
«
Martin Kuczmarski, Soho-Club-Chef
beiter würden wir vermutlich gleich
ablehnen“, sagt Kuczmarski. „Der Walt­
Disney­Trickfilmleiter ist willkommen.“
Der aber ist vermutlich schon Mitglied
im Hospital Club – wo es der Empfehlung
mindestens eines Mitglieds bedarf, damit
man sich überhaupt bewerben darf.
Schwimmbad und Fitnessraum sucht
man im Hospital vergebens. Dafür schnei­
den hier angehende Filmregisseure in
der Mittagspause an ihren Debütfilmen
herum. Das Hospital beherbergt Galerien,
Aufnahmestudios und Bühnen, wo
Songwriter wie „Florence and the Ma­
chine“ auftreten, bevor sie zu Ruhm ge­
langen. Der Gitarrist der Eurythmics,
Dave Stewart, gründete den Club 2004
und gab vor: Es solle das „next best thing“
nach Andy Warhols Factory werden.
An einem Montagmorgen sitzen in
jeder Ecke der Lounge junge Leute mit
Laptops auf den Knien; im Restaurant
stolzieren Flamingos auf den Wänden; im
Forest Room ragt ein riesiger Konferenz­
tisch vor einer Tapete mit Waldszenen;
der Bildschirm im Lift zeigt ein Nuss
knabberndes Eichhörnchen, ein Kurz­
film eines Mitglieds. Es hat mehr von
Startup als von Privatclub. „Unsere Mit­
glieder sollen sich hier nicht nur ent­
∂
spannen können“, sagt Manager
Fotos: picture-alliance/The print Collection;Corbis/Hulton Deutsch; Interfoto/Mary Evans
Carltons Konservative: Im Februar 1984
gratuliert Premierministerin Margaret
Thatcher ihrem Amtsvorgänger Harold
Macmillan im Carlton Club zum 90. Geburtstag. Erst seit vergangenem Jahr
lässt der Club auch Frauen als Mitglieder zu (r.: Toast auf Premierminister
Benjamin Disraeli, Zeichnung von 1878).
Das ursprüngliche Clubgebäude in
der Pall Mall (l.) legte die deutsche Luftwaffe 1940 in Schutt und Asche
Kreativen-Kaderschmiede: Im Hospital Club (Empfang, l.) wachsen Karrieren von
Filmemachern und Popstars – etwa beim Meeting im Forest Room (r.)
Maria Nicholson, „wir fördern sie gezielt.“
Der Zulauf zu den jungen Clubs hält an
– trotz oder wegen der Wirtschaftskrise.
Ständig werden Dependancen eröffnet.
„Klar geht es hier auch ums Geschäft“,
sagt Eight­Inhaber Kinsman. Genaue
Umsatzzahlen aber nennt er nicht.
Geradezu integer und transparent sind
hingegen die alten Clubs. Sie investieren
die überschüssigen Einnahmen zurück in
den Club und veröffentlichen jährlich Ge­
schäftsberichte für Mitglieder. „Langweilig
sollen wir sein? Hier trifft man noch richti­
ge Charaktere“, sagt Leon Renwick, in Flie­
ge und 70er­Jahre­Brille. Der Projektma­
nager bei Arup ist Mitglied des Caledonian
Club
Web
Clubs und als solches ebenfalls zur Garden
Party im Travellers geladen. „Die neuen
Clubs sind doch unpersönlich und für die
Mitglieder total undurchsichtig“, ätzt Ren­
wick mit rollendem schottischem Akzent.
Und doch verschwimmt die Grenze
zwischen der alten und der neuen Club­
welt. Im Travellers werden die Zeitungen
längst nicht mehr gebügelt, und wo frü­
her der Aktenkoffer abgegeben werden
musste, hat man vor einigen Jahren Räu­
me für Businessgespräche eingerichtet.
Dafür kopiert jetzt Shoreditch House das
uralte Konzept, Mitgliedern Zimmer zur
Übernachtung zu stellen. Die 26 Betten
werden schon bald bereit sein. Die Kosten
Mitglieder
Jährl. Kosten
sind nicht in der Jahresgebühr enthalten.
Die Geschäftsleitung sieht offenbar eine
lukrative Einnahmequelle.
Was sich im Travellers und den ande­
ren Altclubs ändert, entscheiden die Mit­
glieder, und das schätzt Lorenzi Sargenti
sehr. Er ist gewählter Sprecher der Jung­
mitglieder im Travellers, Business Deve­
loper in einem Softwareunternehmen,
Schweizer und damit ziemlich das Gegen­
teil des britischen weißhaarigen Ur­Club­
mitglieds, wie man es aus Jules­Verne­
Romanen kennt. „Wer weiß?“, sinniert
Sargenti, „vielleicht werden in unserem
Club in zehn Jahren Stoff­ oder gar Sport­
√
schuhe erlaubt sein.“
Klientel
Bedingungen
11 00
877 € (493 €)*
Finanz- und Mediensektor
keine
Soho houSE** www.sohohouse.com
20 000
658 € für einen Club,
987 € für alle Clubs
Medien- und Filmindustrie, Promis
Empfehlung durch zwei Mitglieder
hoSpiTal
Club
2000
600 € (437 €)
Film, Medien, Musik, Mode
Empfehlung durch ein Mitglied
REfoRM Club www.reformclub.com
2700
1273 €
Akademiker, Politiker, Schriftsteller
Empfehlung durch zwei Mitglieder
CaRlTon Club www.carltonclub.co.uk
1600
1250 € (685 €)
Politiker, Akademiker, Anwälte
Empfehlung durch zwei Mitglieder; Affinität
zur Conservative Party
TRavEllERS
Club
1400
1242 € (941 €)
Diplomaten, Vielreisende
Empfehlung durch zwei Mitglieder; Frauen nur
als „assoziierte Mitglieder“
EighT Club
www.eightclub.co.uk
www.thehospitalclub.com
www.thetravellersclub.org.uk
* in Klammern: ermäßigter Beitrag für Mitglieder, die im Ausland wohnen
** Standorte: Soho House, Babington House, Soho House New York, Electric House, Shoreditch House, High Road House. Ab kommendem Jahr: Soho House Berlin, Soho House West Hollywood, Soho House Miami
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Schwingerklub:
Der „Panton Chair“ (großes
Foto, r.) war ein Meilenstein
modernen Designs, ein Plastikfreischwinger aus einem Guss.
Den ersten Prototyp (großes
Foto, l.) hatte Verner Panton noch
recht klobig gestaltet. Vitra-Chef
Rolf Fehlbaum (kl. Foto, 2. v. l.)
tüftelte mit Panton (2. v. r.) jahrelang, die Entwicklungsmodelle
hat Fehlbaum archiviert
Gibt’s dich
auch noch?
Vitra History,1966,www.vitra.com
Design. Am Anfang war der Prototyp.
Und auch wenn wir ihm ansehen, dass sein
Leben hart war – die Möbelvorbilder sind
neuerdings viel Geld wert
Guide: Prototypen
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Ausgewachsen: Schon 1945 entwarfen
die Designer Charles und Ray Eames
den „Plywood Elephant“. Er ging nie in
Produktion – einzig ein Prototyp wurde
von Kindern der Eames-Familie bespielt
(r.). Ein Fiberglasmodell schlummerte
jahrzehntelang im Vitra-Archiv,
bis Rolf Fehlbaum (o.) entschied, den
Elefanten 2007 auf den Markt zu
bringen – mittlerweile aus Kunststoff
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Pirmin Rösli; Eames Elephant/Charles & Ray Eames @EamesOffice.com
Riesendraht: Charles und Ray Eames verbrachten Jahre damit, die ideale Sitzschale
aus verschiedenen Materialien zu entwerfen. Die ersten Versuche mit Stahldraht
waren noch erstaunlich grobmaschig
(o. und M.). Diese Entwürfe hätten erfordert,
die Fläche mit Textil zu bespannen. Letztlich
fanden sie die von 1951 bis heute gültige
und bekannte Form (u. und u. l.). Alle diese
Prototypen werden im Vitra-Firmenarchiv
in Weil am Rhein aufbewahrt
Guide: Prototypen
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Leichtsitz: Für Classicon-Chef
Oliver Holy (Bild oben) bilden
Prototypen die Grundidee
des Designers am besten ab.
Das Styropormodell eines
Sofas (o. M.) hat das Architektenteam Sauerbruch Hutton
entworfen. Als Stuhl ist
die Idee bereits verwirklicht
(l., darunter der Prototyp).
Neben dem Sofa steht ein
Prototyp des Sekretärs
„Zelos“ von Christoph Böninger. Er ist aus Sperrholz und
bereits zu den Seiten
aufklappbar wie das Serienmodell (r.). Während der Entwicklung hat sich die Form
der Beine geändert
Guide: Prototypen
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Gabrielle Ammann//Gallery,Köln
Text: Verena Richter
Foto: Christian Grund
und Florian Jaenicke
zwischen Designer und legitimem Her­
steller entstanden ist. Auch wenn davon
100 000 Stück gemacht wurden.
Ein Prototyp aber ist immer ein Ein­
zelstück – und erfüllt so ein wichtiges
Kriterium, das all die Kunstsammler for­
dern, die nun den Designmarkt kapern.
„Deshalb steigt ja das Interesse an limitier­
ten Objekten, Unikaten und Prototypen
deutlich“, sagt die Kölner Galeristin Gab­
rielle Ammann. Seit mehr als 20 Jahren
arbeitet die Innenarchitektin als Art Con­
sultant; 2006 eröffnete sie eine Galerie, in
der sie immer häufiger auch mit Proto­
typen handelt. „Wer die kauft, dem geht
es nicht um Perfektion, sondern um Au­
thentizität.“ Solch ein Objekt habe eine
andere Aura als ein Serienmöbel. Seine
Unfertigkeit mache es nur attraktiver.
So schwärmt eine Sammlerin, die
anonym bleiben möchte, von Ron Arads
Prototyp der Liege „No Void“. Das Objekt
ging nie in Produktion – und sollte auch
nie für ein Mittagsschläfchen taugen. Da­
für war es mit voller Absicht zu schmal
konzipiert. 20 Zentimeter Tiefe, da kann
man sich gerade mal auf einer Pobacke
niederlassen. Gemütlich ist anders, Gäste
schütteln regelmäßig den Kopf. Den­
noch: Für die Sammlerin ist „No Void“ ihr
liebstes Einrichtungsstück. Eine Skulptur,
die auf den ersten Blick tut, als sei sie ein
Möbel. Und auf den zweiten gänzlich
zum Kunstwerk wird. Das macht sich
doch gut in Großstadtlofts, kein Wunder,
dass die Jagd auf Prototypen eröffnet ist.
Von der Seite sieht das Ding aus wie
der überdimensionale Gipsabdruck einer
Nase. Und nicht wie etwas, worauf man
bequem sitzen könnte. (Kann man auch
nicht, dafür ist es zu instabil.) „Wir fan­
den es recht hässlich“, erinnert sich Rolf
Begehrt: der Abnahmeprototyp
Fehlbaum, heute Kopf des Möbelher­
Wenn man nur wüsste, was als Prototyp
stellers Vitra, eines der renommiertesten
gilt. Experten, Sammler und Designer
Designhäuser der Welt.
sind sich in der Frage nämlich keinesfalls
Um die Riesennase würden sich
einig. Man bekommt drei verschiedene
Sammler und Museen heute reißen –
Antworten – und abhängig davon ist der
wenn sie denn verkäuflich wäre. Es ist ein
Markt sehr klein oder unüberschaubar
Modell von Verner Panton, nur so groß
groß. Zum einen gibt es den allerersten
wie ein Kinderstuhl, aus grauweißem
dreidimensionalen Entwurf, sozusagen
Polysteron. Die erste Vision dessen, was
den Urfaust. So wie Pantons erster Ver­
einmal als „Panton Chair“ das Design des
such, den Fehlbaum so hässlich fand.
20. Jahrhunderts revolutionieren würde:
Zum Zweiten könnte man mit gutem
ein Stuhl aus einem Guss, ein Freischwin­
Recht alle weiteren Modelle, alle Verfei­
ger aus Plastik.
nerungen und Kompromisse, als Proto­
Leider schien niemand die Vision zu
typen bezeichnen. Auf ihnen sind oft
teilen, als der dänische Designer zu Be­
Raster oder Notizen gezeichnet.
ginn der 60er­Jahre durch Deutschland
Und schließlich sprechen Experten
zog, um Möbelherstellern sein Modell
∂
vom Abnahmeprototyp, der eben­
vorzuführen. Irgendwann kam er nach
Weil am Rhein, zu Willi Fehlbaum, Grün­
der und damaliger Chef von Vitra. Sohn
Rolf erinnert sich, schlägt die Beine über­
einander und lächelt. Vater und Sohn sei
beim Anblick des Modells klar gewesen:
„Das müssen wir machen.“
Doppelfehler: Als Single-Sitzer
Prototypen sind niemals perfekt, oft
machte Alvar Aaltos wippender
unbenutzbar – und doch sind sie mittler­
Entwurf weltweit Karriere.
weile begehrte Objekte. „Es ist abzusehen,
Im Vitra-Archiv lagert dieser
dass sich immer mehr Sammler auf dieses
Irrtum: Aalto baute den Freisehr exklusive Gebiet spezialisieren wer­
schwinger als Minibank – ein
den“, sagt Michaela Neumeister, Deutsch­
Desaster. Kaum saß man drauf,
landchefin des Auktionshauses Phillips
kippte man nach hinten über
de Pury, das schon Prototypen für einige
Hunderttausend Euro versteigert hat.
Bis vor einiger Zeit standen Stücke
von Legenden wie Panton, Bauhaus­
künstlern oder Charles und Ray Eames
hoch im Kurs, heute erzielen schon zeit­
genössische Designer hohe Summen.
Ron Arads „Two Legs and a Table“ etwa
brachte rund 240 000 Pfund, Zaha Hadids
Entwurf des „Aqua Table“ kam für knapp
300 000 Pfund unter den Hammer.
Eine Menge Geld für ein unfertiges
Möbelstück. Ein Prototyp ist eben Ar­
beitsmaterial, ein Versuch, nicht mehr.
Aber, und darauf kommt es an, er erzählt
eine Geschichte, die Story zum Möbel –
und das zählt im Markt. Anders als bei
Kunstwerken sagt das Label „original“
bei Möbeln nicht viel aus. Davon spricht Witzgelegenheit: 2006 baute Ron Arad den Prototyp dieses nur 20 Zentimeter schmalen Schaukelman schon, wenn es in Zusammenarbeit stuhls aus Aluminium. Auf den Markt kam er nie. So wurde aus dem Modell ein wertvolles Unikat
Guide: Prototypen
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falls aus der Hand des Designers stammt,
aber schon genauso aussieht wie das spätere
Serienprodukt. Und dieser ist, jedenfalls
nach Einschätzung von Auktionatoren,
der wertvollste aus der Gattung der Proto­
typen. Klar, er kommt dem bekannten
Serienprodukt am nächsten – trägt aber
noch die DNA­Spuren des Schöpfers.
Und diese DNA macht den Wert aus.
„Prototypen sind viel näher an der Grund­
idee des Designers als das Endprodukt“,
sagt der Münchner Möbelhersteller
Oliver Holy. Seine Firma Classicon ist
berühmt für die zeitlosen Arbeiten der
Irin Eileen Gray wie für zeitgenössisches
Design von Konstantin Grcic oder dem
Duo Barber Osgerby.
Im vergangenen Jahr wurden hier die
Möbel für das Museum Brandhorst in
München entwickelt, die gerade auf der
Kölner Möbelmesse gezeigt werden. Das
Architektenteam Sauerbruch Hutton ent­
warf passend zum Bau auch die Stühle und
Sessel. In einem von Holys Büroräumen
steht zurzeit ein Sofa­Prototyp aus Styropor,
der das Sitzensemble ergänzen soll. „Noch
lohnt es sich nicht, das Möbel aus Holz zu
bauen. Es sind noch so viele Änderungen
vorzunehmen.“ Welchen Winkel muss
die Lehne haben? Wie hoch werden die
Armstützen? Wie tief die Sitzfläche?
Manchmal dauert es quälende Jahre,
bis die Antworten gefunden sind – auch
davon erzählen Prototypen. „Für mich ist
es ermutigend zu sehen, wie schwer sich
auch geniale Menschen getan haben“,
sagt Vitra­Chef Fehlbaum. Und: „Ein
scheinbar einfacher Stuhl ist eben durch
viele Phasen gegangen, bis er so einfach
war.“ Er spricht aus Erfahrung. Zwei Jah­
re lang tüftelten er und Panton am Frei­
schwinger. Auf einem Foto von 1966
Guide: Prototypen
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Gabrielle Ammann//Gallery,Köln
Notizblock: früher Prototyp (1958) des
Eames-Plastikstuhls. Darauf die Anweisung
„Save – to be used for engineering purpose“
eines Produkts, damit sie auf Messen ihre
neuen Ideen präsentieren können. Und
manche Designer stellen Prototypen für
Galerien her. Jenseits aller Zwänge: Preis
und DIN­Normen interessieren nicht,
Designer können Experimente wagen.
Um diese Erfahrungen in einem zweiten
Schritt vielleicht in ein Massenprodukt
einfließen zu lassen.
So wie das Designteam Big Game, das
den Prototyp seiner Lampe „Wood Work“
für die Galerie Kreo in Paris entwarf. Eine
Leuchte aus dünnstem Balsaholz. Später
wurde daraus eine massenproduzierte
Metallleuchte: in der gleichen Formen­
sprache und nach denselben Gestaltungs­
prinzipien wie das Kunstwerk.
Holy warnt schon vor Gefahren der
Manie. „Nicht dass Firmen jetzt von
jedem Möbel zehn Prototypen für den
Sammlermarkt produzieren.“ Das würde
die Entwicklung verzögern und liefe der
Idee eines Prototyps zuwider. „Aber bei
so was würden die meisten Designer so­
wieso nicht mitmachen“, hofft Holy.
Klar ist aber: Prototypen werden nicht
Vitra hebt alle Prototypen auf.
mehr weggeworfen, sondern aufbewahrt.
Sie sind eingefrorenes Erbgut
Für den Fall der Fälle. Und wenn die Ar­
Fehlbaums Archiv ist voller unerzählter chivierung zu teuer ist, lagern die Model­
Geschichten des Möbeldesigns. So besitzt le eben bei Familie oder Freunden. Wie
er eine Freischwinger­Bank aus Holz von das Sperrholzmodell des Classicon­Sekre­
Alvar Aalto. Klar, die Version für eine Per­ tärs „Zelos“ von Christoph Böninger.
son kennt jeder. Die wurde sogar von Holy trat es als Dauerleihgabe an den
Ikea nachgebaut. Aber das doppelt Sohn einer Mitarbeiterin ab. Das wackli­
so breite Modell? Ist ein Prototyp, der ge Ding trägt jetzt eine Stereoanlage. Und
nie realisiert wurde. Ein gescheitertes prompt ist der Junge schon zum Sammler
Projekt. Kipplig, fragil, untauglich.
geworden: In der Schublade bewahrt er
√
Jeden Prototyp bewahrt er auf, „um seine Kronkorkenkollektion auf.
keine Fehler zu wiederholen“. Außer­
dem: Man kann ja nie wissen. Da ist zum
Beispiel der Spielzeugelefant, den das
Pferdprämie:
Ehepaar Eames Mitte der 40er­Jahre
Mittlerweile werden
aus Sperrholz baute. Er wurde nicht
auch Prototypen wenig
realisiert, obwohl von Designern
bekannter, zeitgenössischer
und Hersteller abgenickt. Noch
Designer gehandelt. So wie
1946 befanden sich zwei seiner
„Bell Metal Horse Chair“
Prototypen im Museum of Mo­
aus sandgestrahlter
dern Art in New York. Heute exis­
Bronze, entworfen von
Satyendra Pakhalé
tiert noch ein einziger „Plywood
Elephant“ von damals, im Famili­
enbesitz der Eames. Vor wenigen
Jahren entschloss sich Fehlbaum:
Wir produzieren ihn doch noch. Zu­
erst 2007 als limitierte Edition aus Holz
und seit vergangenem Jahr als Kunst­
stoffhocker. Ein Riesenerfolg. Auch dafür
kann ein Prototyp gut sein: gewisser­
maßen als eingefrorenes Erbgut.
Die ersten Möbelhersteller machen
sich schon die Anziehungskraft des Ein­
zelstücks zunutze, schaffen Vorstufen
sieht man ihn als jungen Mann, schon
damals immer in weißem Hemd und
dunklem Anzug, neben Panton, der ei­
gens zum Vitra­Firmensitz in die Schweiz
übergesiedelt war. Vor ihnen ein frühes
Versuchsmodell des Stuhls. Ihre Blicke
verraten: Es gibt noch viel zu tun.
Die Modelle von damals hat Fehlbaum
aufgehoben, verkaufen wird er sie nicht.
Überhaupt ist ihm die aufflammende Be­
geisterung für Prototypen suspekt. Aber
den Wunsch, etwas Einmaliges besitzen
zu wollen, kann er doch nachvollziehen.
„Wenn das Objekt eine spannende Ge­
schichte erzählt oder durch die Hände von
großen Designern wie Charles und Ray
Eames ging, dann ist das fantastisch!“ So
bekommt ein unfertiges Möbelstück ei­
nen emotionalen und künstlerischen
Wert. Allerdings gebe es diese Qualität
sehr selten, sagt Fehlbaum. Schließlich
seien 99 Prozent nun mal schlicht Hilfs­
mittel, erste Lösungsansätze – oder auch
dreidimensionale Irrtümer.
Neue
Zeichensprache
Porträt. Ringe, Anhänger und Armbänder von
Patrik Muff wirken Wunder: Sie begeistern auch
Männer, die um Juweliere einen Bogen machen
Text: Oliver Stolle
Fotos: Markus Burke
Dieser Totenkopf hat was aufs Maul be­
kommen: Der Unterkiefer ist aus dem
Gelenk gesprungen, jetzt liegt der Schä­
del seltsam nackt da. Ein Anblick, den
Patrik Muff nicht lange erträgt.
Also legt er den sehr späten Lunch,
eine fingerdicke Scheibe Schinken vom
Viktualienmarkt („Ich mag es so lieber als
dünn geschnitten“), noch einmal zur Sei­
te und beugt sich über seine Werkbank.
Der malträtierte Schädel gehört zu einem
Schlüsselanhänger. Und auf so was ver­
zichtet ja kein Kunde gern. Die kleine
Reparatur erledigt Muff sofort.
Es ist fünf Uhr, und für eine Pause war
heute noch keine Zeit, Kunde folgte auf
Kunde. Obwohl der Laden nicht auf einer
der üblichen Münchner Shopping­
schleifen liegt. Wenn es so etwas wie
den Schmuckdesigner der Stunde gibt,
dann ist es der tätowierte 47­jährige
Wahlmünchner Patrik Muff.
Guide: Patrik Muff
166
c 12/2009
Der Schweizer hat mit Schädeln ver­ Kreuzritter:
zierte Portemonnaieketten und Toten­ Anhänger aus Porkopfringe auch für Menschen tragbar zellan mit Öse aus
Silber (249 Euro),
gemacht, die ihr Geld nicht in der Musik­
Flügel ( je 98 Euro)
industrie verdienen. Seine mit archai­ aus der Nymphenschen Symbolen überzogenen Amulette burg-Kollektion
und Talismane, die grob modulierten, Essentials
gleichzeitig mit einer feinen Schicht aus
Ironie überzogenen Armbänder und
Schlüsselanhänger begeistern Menschen
für Schmuck, die sich vor der Auslage
eines gewöhnlichen Juweliers mit Un­
verständnis oder Grausen abwenden.
Symbole von Matrosen, Motorrad­
rockern oder Katholiken übersetzt er in
eine Sprache, in der auch Banker und
Anwälte kommunizieren. Fußballer des
FC Bayern und Abteilungsleiter von Ver­
sicherungen brechen mit seinen Stücken
aus ihrem Leistungskorsett in Richtung
echtes Leben aus. Artdirectors und Bar­
besitzer schätzen die feinen Brüche,
∂
Guide: Patrik Muff
c 12/2009
167
Formgeber: Anstatt
Metall zu bearbeiten,
schnitzt Muff Vorlagen
aus Wachs und lässt
den Schmuck anschließend gießen
die er in seine Ober­ und Unterweltkli­
schees einbaut.
Der barocke Schatz, den er in restau­
rierten Flohmarktvitrinen präsentiert,
sieht aus, als hätte man die besten Stücke
aus der Requisite von „Der Herr der Rin­
ge“ und „Cincinnati Kid“ zusammenge­
schüttet: Schubladen voller Siegelringe
mit mittelalterlichen Wappen. Oktopo­
den und Krabben aus Silber, die sich um
Finger winden möchten. An den Wänden
hängen Schaukästen mit filigranen Prin­
zessinnenringen, um die sich ein Band
aus Rubinen legt, und prunkvollem Fin­
gerschmuck, auf dem Brillantentrauben
explodieren. Ketten aus Silber, glänzende
Revolver, gravierte Münzen, Liebespfeile
und ein Schlüsselanhänger mit der Auf­
schrift „Baby, you can drive my car“.
Als „in Silber gegossene Tätowierun­
gen“ bezeichnet das Schweizer Magazin
„Weltwoche“ seine Arbeiten. „Muff in Sil­
Guide: Patrik Muff
168
c 12/2009
»Muff hat immer abgestritten,
Kunst zu machen. Er baut auf
dem kollektiven Gedächtnis
der Schmuckgeschichte auf
«
Cornelie Holzach, Leiterin
Schmuckmuseum Pforzheim
ber“ könnte man auch sagen: Sein Ge­
sicht ist so ziemlich der einzige sichtbare
Fleck Haut, der nicht tätowiert ist.
Von seiner Brust flackert eine Kerzen­
flamme in Richtung Adamsapfel, auf den
Unterarmen winden sich Schlangen, eine
Spinne lauert einem Paradiesvogel auf,
der den Namen Bele trägt. Selbst die
Fingerglieder sind mit einer Botschaft
versehen. G­I­V­E auf der rechten,
T­A­K­E auf der linken Hand.
„Er hat immer abgestritten, Kunst zu
machen“, sagt Cornelie Holzach. Sie leitet
das Schmuckmuseum in Pforzheim und
beobachtet Muffs Schaffen seit den spä­
ten 80er­Jahren. Schon damals verstieß
er mit seiner figurativen Formensprache
gegen die Dogmen der sogenannten
Schmuckkünstler. Die versuchten sich
mit intellektuell überfrachteten Metall­
skulpturen in der bildenden Kunst einen
Platz zu verschaffen. Das war Muff viel
zu abgehoben. „Aber er ist nicht nur ein
exzellenter Goldschmied“, sagt Holzach.
„Seine Arbeiten bauen auf dem kollek­
tiven Gedächtnis der Schmuckgeschichte
auf. Gleichzeitig irritieren sie und fordern
ihre Träger heraus.“
Muff balanciert zwischen Authentizi­
tät und Kommerz. Der Berliner Designer
Andreas Murkudis verkauft in seinem
Laden in Berlin­Mitte eigentlich kaum
Schmuck – sehr wohl jedoch Einzelstü­
cke von Muff. „Seine Sachen sind etwas
sehr Besonderes“, sagt Murkudis, dessen
Bruder Kostas zu den international re­
nommiertesten Modeschöpfern Deutsch­
lands gehört. „Sein Schmuck könnte aus
einer geheimnisvollen Wunderkammer
kommen. Man will ihn sogar haben,
wenn man ihn gar nicht trägt.“ Er passe
zu ganz unterschiedlichen Menschen, zu
einer interessanten Frau ebenso wie zu
einem Türsteher. Auch bei Schauspielern
wie Jürgen Vogel und Bettina Zimmer­
mann sind Muffs Kreationen beliebt.
Muffs jüngster Coup ist eine Koo­
peration mit der Porzellanmanufaktur
Nymphenburg, die im vergangenen Jahr
unter dem Label Essentials auf den Markt
kam: Schädel, Kreuze, Flügel und Amu­
lette aus Porzellan, die nach seinen Vor­
lagen gegossen werden und durch fein
ziselierte Gold­ und Silberösen mit seinen
Halsketten verbunden sind. Die Hambur­
ger Schmuckhändlerin Roswita Deren­
bach, die schon vergebens bei Muff bet­
telte, mehr als nur seine Nymphenburg­
Stücke verkaufen zu dürfen, berichtet:
„Noch nie ist eine Kollektion so stark
∂
nachgefragt worden.“
Gerade arbeitet Muff an weiteren Por­
zellanstücken für Nymphenburg: Anker,
Lilien, erstmals auch Herzmotive, man­
che von ihnen so nah an der Banalität,
dass nur Muffs unverkennbare bildhaue­
rische Handschrift sie rettet.
Doch was heißt schon banal? Glaube,
Liebe, Hoffnung, Tod. Es sind die großen
Fragen, die ihn beschäftigen, das sagt
Muff immer wieder – und betont gleich­
zeitig, dass Schmuck für ihn auch „ein­
fach nur Schmuck“ sein dürfe. Er habe
kein Problem damit, jeden Menschen zu
akzeptieren, „Künstler, aber auch die so­
genannte Münchner Bussi­Bussi­Gesell­
schaft“. Trotzdem: Lieber durchwühlt er
auf Flohmärkten die Überreste von Haus­
haltsauflösungen, als die Boutiquen in
der Maximilianstraße nach Trends für die
nächste Modesaison abzuscannen. Muff
weiß, welcher Welt er trauen kann.
Er wächst in den 60er­Jahren in Hoch­
dorf im Kanton Luzern auf. Mit seinen
Eltern, einem Kunstschreiner und einer
Porzellanmalerin, zieht er über Kunst­
handwerksmärkte. Mit dem Vater unter­
nimmt er Pilzwanderungen durch die
Wälder. Wenn das Geld nicht reicht, ho­
len sie bei einem benachbarten Bauern
Katzenfleisch. „Ich erinnere mich noch
an den Geschmack, es wurde als Ragout
zubereitet wie Kaninchen.“
In der Werkstatt des Vaters verbringt
er ganze Tage, bastelt, werkelt – und biegt
Ohrringe aus Silberdraht, die er auf dem
Schulhof für zwei Franken pro Stück ver­
kauft. In der Schule tut er sich schwer,
Sprache ist bis heute nicht seine Leiden­
schaft. Prägenden Eindruck hinterlässt
vor allem die Bilderwelt der Innerschwei­
zer Kirchen: „Der Typ mit den Pfeilen in
der Brust, die Totenköpfe überall – diese
Bilder erzählten Geschichten für Men­
schen, die weder schreiben noch lesen
konnten. Mir hat das sehr gefallen.“
Mit 14 beginnt er eine Lehre bei einem
Goldschmied im Aargau, hört Punk und
flieht am Wochenende mit dem frisierten
Moped nach Luzern, wo er seine Lehre bei
einer Siegelringmanufaktur abschließt. Er
lernt Klaus Arck kennen, einen älteren
Goldschmied, der ihn überzeugt, nach fast
zehn Jahren an der Werkbank noch ein­
mal neu anzufangen. Muff bewirbt sich
an der Fachhochschule Köln, wo er mit
23 Jahren in die Schmuckklasse von Pro­
fessor Peter Skubic aufgenommen wird.
Ohne höheren Schulabschluss, wegen au­
ßerordentlicher künstlerischer Begabung.
In den 80er­Jahren sind großforma­
tige, hochabstrakte Broschen an der Aka­
Guide: Patrik Muff
170
c 12/2009
Subkulturträger: Muff
spielt mit Symbolen.
Ring aus Weißgold mit
weißen Brillanten
(ab 10 500 Euro),
Anhänger, Armbänder
demie das große Thema. Muff kann mit
den Diskursen über konzeptionelle An­
sätze in der Schmuckkunst wenig anfan­
gen, den Stil der damaligen Zeit findet er
zu technisch und emotionslos. Der hand­
werklich meisterhafte Goldschmied aus
der Innerschweiz stößt Mitstudenten
und Lehrer mit figurativen Arbeiten wie
„Der Teufel hat mehr als zwölf Apostel“
vor den Kopf – heute Teil der Sammlung
des Museums in Pforzheim. Zum Schre­
cken der Kommilitonen verwendet er
Schrift auf Schmuckstücken – doch bald
kopieren ihn die ersten Mitstudenten.
Zusammen mit Arck und dessen heu­
tiger Ehefrau Marie von Chamier eröffnet
er die Bar Königswasser, in der die Neuen
Wilden um Martin Kippenberger und
Albert Oehlen verkehren. „Patrik hatte
diese strahlend blauen Augen – und war
geschätzte 30 Kilo leichter“, erinnert sich
Chamier, deren Kölner Schmuckladen
Der 4. König zu den wenigen Adressen
gehört, die Muff heute mit seinem
Schmuck bestückt. „Er konnte aus dem
Stand über die Bar springen, daran kann
ich mich genau erinnern. Es gab viele
Frauen, die ihn kennenlernen wollten.“
Die Frauengeschichten haben seit ei­
niger Zeit ein Ende. Seit er – auf einer
Singleparty – einer begegnete, die er hei­
raten sollte. Bele Muff ist die ideale Er­
gänzung zu ihrem Mann. Sie kümmert
sich um Showroom und Kundschaft. Sie
macht aber auch Archiv, Grafik, Katalog­
gestaltung, Public Relations, insgesamt
alles, was mit einem Plan zu tun hat – und
das war bitter nötig.
Als Bele ihren Patrik vor fünf Jahren
traf, war der kein armer Künstler. Muff
lebte schon in München, hatte mit seiner
damaligen Freundin ein Accessoire­Label
gegründet und erste modischere, ver­
∂
käuflichere Ideen umgesetzt, war
bei Sévigné in den Fünf Höfen vertreten
und in die Münchner Kreise eingeführt.
Doch Renate Schrems, Inhaberin von
Sévigné, einem renommierten Juwelier
mit bestem Kundenstamm, erinnert
sich, dass er, als sie seine Kollektion auf­
nahm, nicht einmal über ein eigenes
Konto verfügte.
Mit Bele wagte Muff den Schritt zum
echten Label, zog aus der alten Schmuck­
werkstatt in den eigenen Laden. Seit Be­
les Einstieg hat sich Patriks Jahresumsatz
beinahe verzehnfacht.
Jetzt aber ran an den Totenschädel.
Muff sitzt in einer halbrunden Ausspa­
rung, unter der eine Art Lederlappen
hängt, das „Fell“, in dem Goldschmiede
den Goldstaub sammeln, und greift sich
eine Biegezange. Er trägt Jeans mit
Schlangenledergürtel, T­Shirt und Bir­
kenstock­Sandalen.
Hunderte Elch­, Gnu­, Hirsch­ und
Gemsgeweihe, ein Kuhschädel und ein
ausgestopftes Krokodil, die Überreste sei­
ner einst überbordenden Sammelwut,
hängen an der Wand eines schmalen
Ganges, der seinen Laden in der Münch­
ner Frauenstraße mit der Werkstatt ver­
bindet. Die Kammer ist mit Schränken
aus alten Kolonialwarenläden, Apothe­
kerkommoden, einem ganzen Kajak,
finsteren Ölgemälden, Dolchen, Abgüs­
sen menschlicher Schädel derart voll­
gestopft, dass es Schwindel erregt.
Tatsächlich täuscht das Handwerks­
idyll in der Werkstatt in der Frauenstraße
ein wenig über die Arbeitsweise hinweg,
die das Unternehmen Muff auch ökono­
misch lohnend macht.
Muff arbeitet fast ausschließlich mit
einer Technik, die bei vielen Goldschmie­
den verpönt ist, die klassisch Einzelteile
aus Gold und Silber für jedes Stück neu
verlöten und bearbeiten: dem Gießen.
Und anders als die meisten, die es natürlich
trotzdem tun, versteckt er es nicht einmal.
Die rohen Gussnähte machen neben der
klassischen Symbolik und den kantigen,
manchmal fast karikaturhaften Ornamen­
ten Muffs Stil aus. Auch wenn sich viele
gegen seine Arbeitsweise sträuben – in
manchen Schmuckschulen gilt er als Bei­
spiel für anspruchsvolle und kommerziell
profitable Goldschmiedearbeit.
Ein praktischer Nebeneffekt: Sobald
eine Gussform erstellt ist, lassen sich be­
liebig viele Kopien herstellen und ver­
kaufen. „Mit Einzelstücken aus Silber
kannst du eine Familie nur schlecht
durchbringen“, sagt Muff. „2000 Euro für
einen Silberring, das bezahlt niemand. So
Guide: Patrik Muff
172
c 12/2009
viel müsste man aber nehmen, wenn
man kostendeckend arbeiten würde.“
Den Charme echter Handarbeit behalten
seine Stücke trotzdem, denn er schnitzt
die Originale aus freier Hand aus Wachs.
Doch um die Romantik des Handge­
machten geht es Muff sowieso nur am
Rande. Sein Schmuck nimmt Bezug auf
die Welt. Das unterscheidet ihn von der
dekorativen Ware – sowohl von reinem
Modeschmuck als auch von den hoch­
preisigen Juwelierarbeiten, die weite Tei­
le seines Fachs prägen.
Muff ist aktuell: Da sind die Peace­
Zeichen­Anhänger, ein Relikt der jüngs­
ten Zeitgeschichte. Oder die Aphorismen,
die auf der Innenseite seiner Ringe ein­
graviert sind. Oder jene opulente Reihe
brillantgefasster Ringe und Anhänger
mit dem Titel „Letzter Ausweg Luxus“.
Schmuck von Muff ist mehr als billiger
Knalleffekt in barocker Aufmachung. „Er
schafft es, menschliche Beziehungen ins­
gesamt infrage zu stellen“, sagt Schmuck­
kennerin Holzach. „Das Erstaunliche ist,
dass das Publikum das offenbar schätzt.“
Überflieger:
Ein häufiges Motiv
bei Muff ist der
Flügel (unten: aus
Gelbgold, ab 3100
Euro). Sein Laden in
der Frauenstraße 15
in München.
Adressen: www.
patrikmuff.com
Das größte Kunststück des Patrik Muff
hat vor allem etwas mit der Gnade des
späten Erfolgs zu tun. Er hat einfach viel
zu viel gelebt, um aus seinem derzeitigen
Höhenflug das Äußerste herauszuholen.
„Wir wachsen nicht um jeden Preis“, sagt
er. Zwei Tage in der Woche holt er Sohn
Otto („Der hat grad seine Brezelphase
überwunden“) vom Kindergarten ab.
„Das ist Luxus.“
Alle sechs Monate eine neue Kollek­
tion? Wozu, fragt Muff. „Wir müssen
nicht unbedingt Ringe nach Asien expor­
tieren.“ Der Schweizer will eine baye­
rische Marke bleiben. Dazu hat sich das
Ehepaar sogar einen Slogan ausgedacht,
der allerdings ein bisschen mehr nach
Bele als nach Patrik klingt: „Are you going
to Munich? Can you bring something
from Muff, please?“
Wer wissen will, was Patrik Muff
wichtig ist, muss sich an seine Tätowie­
rungen halten. Der Paradiesvogel mit
Bele­Schriftzug. G­I­V­E und T­A­K­E.
Das letzte Motiv, das er sich stechen
ließ, ist eine Brezel.
√
Der Design-Porsche
F. A. Porsche. Er ist nicht mal 30, als er den ultimativen
Sportwagen entwirft: den 911er. Doch Ferdinand
Alexander Porsche will mehr als nur auf schöne Autos
reduziert werden. Würdigung eines großen Kreativen
zum 75. Geburtstag
Carrera auf zwei Rädern:
Studie AMK („Alternatives Motorrad
Konzept“, 1979), ausgestellt im
Porsche Design Studio in Zell am See
Guide: Porsche
182 c 12/2010
Guide: Porsche
c 12/2010 183
Text: Fabrice Braun
Fotos: Markus Burke
Guide: Porsche
184 c 12/2010
Opas ganzer Stolz: Großvater
Ferdinand Porsche zeigt seinen Enkeln Burli (Ferdinand
Piëch, r.) und Butzi (Ferdinand
Alexander Porsche, l.) den
356er. Butzi ist der Kreative
(oben: im Design Studio,
1985), Burli der Machtmensch
eine fünf Meter lange Seilbahn. Später Ferry leitet die Firma, und Piëch kümaber entwickeln sich die Cousins völlig mert sich um die Motorenentwicklung.
Seit Ende der 50er-Jahre arbeitet die
unterschiedlich. Während Piëch auf ein
Schweizer Internat geschickt wird, wo Kon­struktionsabteilung unter Erwin Koer strenge Disziplin erlebt, geht F. A. in menda an einem Nachfolger für den Por­Stuttgart zur Waldorfschule. Hier der sche 356. F. A. erstellt einen alternativen
machtbewusste Ingenieur und Macher Entwurf. Ganze Wochenenden feilt er
Ferdinand Piëch, der zwölf Kinder von herum, nimmt den dreijährigen Oliver
vier Frauen hat, dort der introvertierte, mit und lässt ihn am Modell kneten.
sensible und künstlerisch begabte F. A. Am Ende wählt Ferry Porsche einen der
Porsche, der sein Leben lang mit einer ­beiden Entwürfe aus: den seines Sohnes.
Der neue Sportwagen mit 130 PS wird
Frau verheiratet ist und drei Söhne mit
im September 1963 auf der IAA vorgeihr hat.
stellt. Zum Mythos 911 tragen der eigen­
willige Heckantrieb bei und der Ruf, dass
F. A. fühlte sich bei Porsche beengt
das Auto nicht einfach zu fahren sei. „Der
Anfang der 60er-Jahre treffen sie im 911 ist ein Sportwagen, aber er sieht nicht
­Familienbetrieb, der Porsche damals war, aggressiv aus“, analysiert Lutz Fügener,
wieder zusammen. F. A., der ein paar Se- Professor für Transportation Design an der
mester an der renommierten Hochschule Hochschule Pforzheim. „Er hat es über
für Gestaltung in Ulm studiert hat, ist alle Generationen hinweg geschafft, po∂
für das Design verantwortlich. Sein Vater sitive Schwingungen auszulösen.“
AKG/ Brigitte Hellgoth; obs/ Volkswagen AG
Die Zeit macht Pause im Büro von Ferdinand Alexander Porsche. In der Mitte
steht ein altmodischer Zeichentisch, wie
ihn schon seit Jahren kein Designer mehr
benutzt. Mehr als 50 Modellautos parken
in der braunen 70er-Jahre-Schrankwand,
darunter liegen ein paar Aktenordner,
wie eben erst weggelegt. Auf dem Schreibtisch davor das Holzmodell eines Porsche
904 GTS, gerade so, als ob es sich um ein
aktuelles Projekt handelte, dem sich F. A.,
wie ihn alle hier nennen, widmet.
Das Zimmer ist längst ein Museum.
F. A. Porsche wird hier nie wieder sitzen,
und das liegt nicht nur daran, dass er am
11. Dezember 75 Jahre alt wird und längst
nicht mehr arbeiten muss. Der große alte
Mann des deutschen Autodesigns ist
schwer an Alzheimer erkrankt. Der Mann,
der einen Mythos geschaffen hat, den
Porsche 911. Eines der berühmtesten
­Autos der Welt, noch heute Inbegriff des
klassischen Sportwagens. 1963 war das.
Und eigentlich hätte F. A. schon damals
aufhören können zu arbeiten.
Der Designer mit dem charakteris­
tischen Vollbart, der nicht nach Macht
strebte, sondern lieber etwas „mit seinen
Händen machen“ wollte. Der in seinem
Leben nach Porsche mit einem eigenen
Designstudio erneut Maßstäbe setzte, in
Form preisgekrönter Uhren, futuristischer Sonnenbrillen, unverwechselbarer
Titan-Feuerzeuge und jeder Menge anderer Klassiker.
Und der trotzdem ständig gemessen
wird an diesem Auto. „Der Porsche 911
war das Produkt, auf das er immer an­
gesprochen wurde“, sagt sein Sohn Ferdi­
nand Oliver Porsche. Er spricht von seinem Vater in der Vergangenheit. „Für ihn
hatte jedes Produkt seine Berechtigung.
Wenn er den Kronkorken neu erfunden
hätte, wäre er darauf auch stolz gewesen.“
F. A. ist einer, der wie kein Zweiter aus
der Porsche-Tradition ausbrach – und ihr
doch nie entkam.
Er wurde eben in eine Autofamilie
hineingeboren. Sein Großvater: Ferdinand Porsche, der geniale Konstrukteur,
der den VW Käfer erfand. Sein Cousin:
Ferdinand Piëch, heute der mäch­tigste
Mann bei Volkswagen.
Butzi und Burli, wie F. A. und Piëch
zur Unterscheidung gerufen werden,
wachsen zusammen in Zell am See auf.
Früh bauen sie sich ihr Spielzeug selbst,
basteln aus einer alten Dampfmaschine
Starker Antrieb: F. A. wollte immer mehr als nur Autos entwerfen. Und doch tragen viele seiner Entwürfe Erbgut des Sportwagens in sich. Rennrad im
Auto­lack-Look für Puch (l.), Pfeife mit Kühlergrill-Anmutung (r. o.), Aktentasche so glatt wie eine Heckklappe (r. u.); alle ausgestellt im Zeller Design Studio
Trotz der allgemeinen Begeisterung
fühlt sich F. A. Porsche im Familienbetrieb beengt. „Autos zu machen ist zwar
der Traum eines jeden Designers“, erzählt
er später in einem Interview. „Aber wie
oft kann man ein Auto von Grund auf
neu machen? Allenfalls alle fünf Jahre
mal, und alle zehn Jahre wird auch wirklich eins gebaut. Dazwischen gibt’s nur
Modellpflege – das ist auf die Dauer doch
recht einseitig.“
Die Befreiung: Nach der Fehde um
die Führung beim Autobauer ziehen sich
die Familien Porsche und Piëch 1972 aus
dem operativen Geschäft zurück und
wandeln die Firma in eine AG um. F. A.
kann fortan tun, was er will.
nografen bekommen. F. A.s Entwurf ist
ungewöhnlich groß, das Zifferblatt ist
nicht weiß wie üblich, sondern wie bei
den Armaturen in einem Auto mattschwarz, damit man es besser lesen kann.
Darauf zwei weiße Zeiger und ein roter
für die Sekunden.
Der Verkaufsleiter von Porsche, ein
sparsamer Schwabe, möchte erst nur fünf
Exemplare bauen lassen, dann erhöht er
auf 25, aber so eine geringe Stückzahl
lohnt sich nicht. Also stellt die Schweizer
Firma Orfina 500 Exemplare her. Im Laufe der Jahre werden weit über 50 000
Stück verkauft.
Herrenuhren ohne Schnörkel bleiben
das Markenzeichen von Porsche Design.
Dem 911er entkommt F. A. nie
Er gründet in Stuttgart die Firma Porsche
Design mit zwei Mitarbeitern. Er ist finanziell unabhängig, kann es sich leisten,
nur Produkte zu entwerfen, die ihn interessieren – und ihn interessiert viel. „Mein
Vater hat zu Hause alles selbst gemacht,
egal ob Schränke oder schmiedeeiserne
Gitter“, erzählt Oliver Porsche. „Wenn
wir auf der Jagd waren, hat er aus Zweigen und Stöcken etwas gebastelt.“
Den Durchbruch schafft F. A. mit einer Uhr. Verdiente Porsche-Mitarbeiter Ikone der 80er: Tropfenförmige Sonnenbrille
sollen zum Dienstjubiläum einen Chro- 5621, so eine trug Don Johnson in „Miami Vice“
Guide: Porsche
186 c 12/2010
F. A. entwirft eine Armbanduhr mit ausklappbarem Kompass für IWC und den
ersten Chronografen aus Titan. „Engi­
neered luxury“ nennt er die Kombina­
tion aus Ingenieursgeist, funktioneller
Gestaltung und hochwertigen Materia­
lien, die immer wieder Reminiszenzen an
Autos enthält, sodass selbst ein Pfeifenkopf aussieht wie die Kühlrippen eines
Motors.
Das Autogen steckt auch in F. A. Porsche. Der Vater hatte sich gewünscht,
dass er mehr Verantwortung beim Sportwagenbauer übernimmt, aber der Sohn
hatte kein Interesse. Weder an Macht
noch an Management.
1974 kehrt F. A. Porsche aus Stuttgart
zurück nach Zell am See. Sein Design
­Studio bezieht ein unscheinbares Haus
im Gewerbegebiet. Vom Fenster seines
Büros sieht er auf die kleine weiße Ka­
pelle, wo der Patriarch Ferdinand Porsche begraben liegt und mittlerweile
auch sein Vater.
Doch dem 911er entkommt F. A. nicht.
Porsche-Fans pilgern nach Zell, um den
Schöpfer des legendären Sportwagens
einmal leibhaftig zu sehen. F. A. sammelt
nicht mehr nur Autos, Uhren, Pfeifen,
Häuser und Gewehre. An der Schrankwand in seinem Büro reihen sich jetzt
auch die Plaketten der Porsche-Klubs, die
∂
zu Besuch waren.
Sein Lebensentwurf: Bis heute
­pilgern Porsche-Fans nach Zell am
See, um einmal das Arbeitszimmer
des 911er-Designers zu besuchen.
Deshalb wird es originalgetreu
­erhalten und bei Renovierungen
­ausgespart. Für F. A. Porsche aber
waren Uhren eine größere gestalterische Herausforderung als Autos
Guide: Porsche
188 c 12/2010
Seither erschließt der Marketing­
experte Jürgen Geßler, CEO der Porsche
Design Group, gezielt neue Märkte. „Wir
wollen das Lebenswerk des F. A. Porsche
einer breiteren Klientel zugänglich machen“, gibt er als Parole aus. Ihm schwebt
eine Luxusmarke vor, die es mit Montblanc und Dunhill aufnehmen kann.
105 Porsche-Design-Boutiquen gibt
es weltweit bereits, bis 2015 sollen es 250
sein. Von dort aus soll die Welt mit Hightech-Laufschuhen für 350 Euro versorgt
werden, mit Handys, die aus einem Aluminiumblock gefräst sind, und mit Uhren
für bis zu 160 000 Euro. Für Porsche-Fahrer wurde sogar eine eigene Kollektion
aufgelegt,
die „Driver’s Selection“.
„Der gute Geist ist immer da“
Diese Offensive weckt in Zell am See
F. A. Porsche weiß das, spielt mit dem schon Befürchtungen, man werde von
­Gedanken, seinem Design Studio einen der Mutter vereinnahmt. „Wir wollen
anderen Namen zu geben. „Er wollte der nicht zum Porsche-Merchandising-UnWelt zeigen, dass er es auch ohne Porsche ternehmen werden“, sagt Senior Desiggeschafft hat“, sagt Weggefährte Ebner. ner Tragatschnig.
Auf der ersten Uhr von 1972 steht nur
Doch danach sieht es bisher nicht aus.
klein das Kürzel „pd“ für Porsche Design. Nach wie vor gelten die Werte des Grün„Marketingmenschen, die schnell Erfolg ders als das Maß aller Dinge. Wer auf die
haben wollten, haben es irgendwann Homepage von Porsche Design geht, wird
quer über das Produkt geschrieben. Das erst einmal mit einem Leitsatz von Ferdiwollte F. A. überhaupt nicht“, erinnert nand Alexander empfangen: „Wenn man
sich Senior Designer Jörg Tragatschnig.
die Funktion einer Sache überdenkt, erSeit dem Rückzug des Chefkreativen gibt sich die Form manchmal wie von
aus dem Tagesgeschäft sind Studio und ­allein.“ Danach erscheint ein Model mit
Autokonzern wieder näher zusammen- Sonnenbrille.
gerückt. 2003 übernahm die Porsche AG
Es sitzt natürlich im Porsche. In einem
√
65 Prozent der Anteile.
911er.
Das Produkt, das wohl am meisten
mit Porsche Design in Verbindung gebracht wird, ist die Sonnenbrille, die das
Studio Ende der 70er-Jahre gemeinsam
mit dem Hersteller Carrera auf den Markt
bringt. Die Brillen sind sehr männlich –
werden aber auch von Frauen getragen.
Yoko Ono zum Beispiel verhüllt sich gern
mit einem übergroßen Exemplar.
Die Sonnengläser verkaufen sich
­millionenfach. Natürlich auch dank des
Namens: Für vergleichsweise günstige
250 D-Mark kann jeder am Mythos Porsche teilhaben. Selbst wenn das Geld für
einen 911er fehlt.
Anzenberger
Sein Lieblingsauto aber ist der Land
Rover Defender. Ein Lastesel auf vier Rädern, der nicht so aussieht, als wäre ein
Designer bei seiner Konstruktion in der
Nähe gewesen. Der unverfälschte Geländewagen entspreche voll und ganz dem
gestalterischen Ideal seines Vaters, beteuert Oliver Porsche: „Design muss ehrlich
sein, darf sich nicht von der Technik abheben oder sie verkleiden, sondern muss
mit ihr zusammenarbeiten.“
Die Abgeschiedenheit in Zell am See
spiegelt sich in vielen Entwürfen. Wo an­
dere mit Plastik experimentieren, setzt
F. A. auf Titan. Während die Produkte der
70er und 80er knallbunt sind, reduziert
er seine Objekte auf Schwarz und Silber,
damit keine Farben von der Form ablenken. „Er wollte Produkte aus sich selbst
heraus entwerfen und brauchte die Jetset-Umgebung nicht, um am Puls der Zeit
zu sein“, sagt Senior Designer Siegfried
Ebner, seit 1979 bei Porsche Design.
Berühmt wird das Label mit Brillen,
Lederwaren und Reisegepäck. Für andere entwirft das Studio Fahrräder, Küchen,
Lampen, Sessel und Haushaltsgeräte, die
sich mit dem Schriftzug „Designed by F. A.
Porsche“ schmücken dürfen. Die Krea­
tiven nehmen auch Auftragsarbeiten an,
bei denen nirgends der Name Porsche
auftaucht, sie gestalten Telefone, Laserdrucker, medizinische Apparate. Die
Wiener Straßenbahn fährt mit Wagen,
die in Zell am See entworfen wurden.
Kohlkörpereinsatz:
Caterer bieten wieder
Bodenständiges.
Alle Fotos zeigen das
Büfett des jüngsten
Bundespresseballs im
Hotel Interconti – bevor
es geplündert wurde
Da haben wir was angerichtet
Guide: Catering
146 c 01/2011
Catering. Wer einen wichtigen Menschen zum Essen einlädt, geht
ins Restaurant. Wer 1000 wichtige Menschen einlädt, beauftragt
einen Caterer. Und hat dabei mehr Auswahl und Freude als je zuvor
Guide: Catering
c 01/2011 147
Hartes Brot: Seit dem
Krisenjahr 2009 darf das
Essen nicht mehr so viel
kosten. Die meisten CateringKunden geben nicht mehr
als 75 Euro pro Person aus
(oben: Brotlandschaft, Mitte:
verschiedene Currysorten,
unten: Felsenaustern)
ist nicht geschützt. Jeder, der Wurstsemmeln belegt und ein Auto hat, darf sich
als „Event-Caterer“ oder „Partyservice“
bezeichnen.
Ein paar Fürsten regieren lokal: Käfer
in München, Meyer in Frankfurt, Broich
in Düsseldorf, Blauer Hummer in Hamburg und Party Löwe in Hannover. Darunter klappert ein wettbewerbsfähiger
Mittelbau mit den Töpfen. Um fast jedes
Dessertschälchen tobt eine Schlemmerschlacht. Oft, so mäkeln die Großen,
schnappen ihnen die Zwerge mit billigen
Angeboten den Auftrag weg. Später werde der Preis dann nach oben verhandelt.
Man muss Kofler gar nicht lange nach
einem Beispiel fragen. Das lukrative Catering für Audi bei der DTM etwa hat er
vier Jahre hintereinander gemacht und
zuletzt sausen lassen, „weil ein kleinerer
Wettbewerber – auch noch ein Sterne­
koch! – dramatisch unter den Preis gegangen ist“. Da werde zum Selbstkostenpreis gearbeitet. „Das geht auf Dauer
nicht gut.“ Der gescholtene Sternekoch
ist Alfons Schuhbeck. Er wolle sich nicht
dazu äußern – keine Zeit, voller Terminplan.
In Berlin gilt: bloß nicht spießig!
Dabei sind Starköche wie Johann Lafer
und Sarah Wiener, die im Catering-Markt
seit Kurzem mitmischen, nicht einmal
die ärgste Konkurrenz. Kleine und junge
Unternehmen kochen groß auf. Vor allem in Städten, wo gute Ideen mehr wert
sind als große Namen. Wie in Berlin. Käfer und Dallmayr, die vornehmen Feinkost-Caterer aus München, bemühen
sich seit Jahren, hier einen Topf auf den
Herd zu bekommen.
„Ja, wir sind so etwas wie Krisen­
gewinner”, sagt dagegen Daniel Dembski.
2008 gingen er und sein Geschäftspartner
Serouj Kassabian mit ihrem Fünf-MannUnternehmen Iss Kind, iss an den Start.
Trotz Krisenjahr lief das Geschäft bestens
an: Adidas, Microsoft und Mercedes-Benz
stehen auf der Referenzenliste. „In anderen Städten hätte das sicherlich nicht so
gut funktioniert“, gibt Dembski zu. Berliner Kunden wollen es unkonventionell,
entspannt, cool und bloß nicht spießig
und bürgerlich. Lockeres Servicepersonal kommt besser an als eine Armee von
Servierklonen, die in Uniformen wortlos
Teller mit Goldrand anreichen.
In der Hauptstadt mischen alle ein
bisschen mit: das KaDeWe, Restaurants
wie das Borchardt und Hotels wie das Ritz.
Hotelketten haben den großen Vorteil, in
jeder wichtigen Metropole mit voll ausgestatteter Küche vertreten zu sein. Das
Interconti hat eine eigene Tochter, die
weltweit Catering anbietet. Die jährliche
Leistungsschau des Fünf-Sterne-Hauses
am Zoologischen Garten ist der Bundespresseball, mit 100 Metern Büfett fürs
gemeine Fußvolk und Vier-Gänge-Menü
am Platz für Minister und Chefredakteure. Der diesjährige Hauptgang: Brandenburger Ente mit Wirsing. Hätte von Kofler
sein können, der Serviervorschlag.
Der hat 2005 seinen Firmensitz von
Frankfurt nach Berlin verlegt und bezeichnet sich nun als „die Nummer eins“
in der Hauptstadt. Allerdings gibt Kofler
zu, dass es ihm schwerfiel, in der Kunstund Modeszene Fuß zu fassen. Die Kreativen schauten sich lieber bei den kleineren, außergewöhnlichen Caterern um.
Foodpol ist so einer. Hier verkleidet
∂
man die Köche schon mal als Zom-
Text: Nina Klotz
Foto: Markus Burke
Viele Großveranstaltungen wurden
abgesagt, die Preise fielen in sich zusammen wie ein Soufflé. Früher, zu DotcomVon Führungskräften darf man erwarten,
Boomzeiten, da wurden pro Kopf schon
dass sie hungrig sind. Und unter dem immal 200 Euro verfuttert, heutzutage gelposanten Glasdach sitzen gleich 450 Topten 75 Euro schon als opulent – die Liga
leute eines DAX-Konzerns, die einen
des Landenten-Menüs. Der Küchenchef
harten Tag der Global Leadership Confeeines großen Caterers träumt davon,
rence hinter sich haben. Hunger satt.
endlich mal wieder die 100-Euro-Marke
Die Kellner schwärmen aus: Eine Arzu knacken. Dann kann er wieder ganz
mada schwarz Uniformierter flutet den
andere Zutaten einkaufen.
Schlüterhof des Deutschen Historischen
2011 könnte es so weit sein, die AufMuseums in Berlin und legt 450 Ziegentragslage lässt hoffen. Trotzdem: Wer grokäsecremebällchen an Kräutersalat ab.
ßes Essen bestellt, guckt genauer hin als
Kaum fertig, schon der zweite Gang: Supfrüher, die Botschaft muss stimmen. Kleipe von der Topinambur, 450-mal akkurat
ne Portionen? Geizkragen! Molekulares
von rechts serviert.
in Scheibchen? Freak! Hummerkrabben
Jetzt der Hauptgang. Brandenburger
und Kaviar? Großkotz!
Landente mit Wirsing. Moment mal.
Seufzend zieht Kofler die AugenbrauAngesagt ist die Zone irgendwo da­Geflügel aus der Provinz? Profanes Kohl- en hoch, als er über die vergangenen zwei zwischen: lecker, aber günstig. Und möggemüse? Für die Highflyer eines Welt- Jahre im Catering-Geschäft spricht. „Spaß lichst umweltfreundlich. Denn das neumarktführers? Kein Kobe-Beef, kein hat das alles wenig gemacht.“
este Catering-Kriterium der GastrokritiHummerragout, nichts mit Trüffeln?
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat ker: die CO2-Bilanz. Green Cuisine. Also
Nein, Klaus Peter Kofler hat den Ma- die Branche hart getroffen. Firmenver­ Brandenburger Landente statt argenti­
nagern Landente vorgesetzt. Und wem’s anstaltungen? Gestrichen! Incentives? nisches Rinderfilet. Die ohnehin schon
nicht passt, der muss ihn ja nicht buchen. Machen wir nicht! Die Event-Budgets ­unübersichtliche und hart umkämpfte
Der Gründer und Geschäftsführer von großer Unternehmen wurden im Schnitt Branche ist noch etwas komplizierter geKofler & Kompanie wird von Mitbewer- um 30 Prozent zurückgefahren. Premium­ worden. Oder aus Kundensicht: bunter,
bern gern als „Armani unter den Cate- anbieter verloren zwischen zehn und vielfältiger und preisgünstiger.
10 000 Caterer mag es in Deutschland
rern“ betitelt – stylish, edel, aber nicht für 15 Prozent ihres Geschäfts. Und 2010 lief
geben, vielleicht auch mehr. Der Begriff
jedermann.
es nicht viel besser.
Guide: Catering
148 c 01/2011
Dessert Storm: Das hart umkämpfte CateringGeschäft ist noch schwieriger geworden. Oder
aus Kundensicht: bunter, vielfältiger, preisgünstiger (links: Vollmilch-Fudge-Schnittchen, Mitte:
Macarons, rechts: „Schokoladen-Bergwerk“)
Guide: Catering
c 01/2011 149
Preiswerte Submarken sollen
den Markt nach unten öffnen
bies oder setzt Schauspieler als Kellner
ein. Einhorn Catering hat mit dem Angebot, CO2-neutrale Veranstaltungen auszurichten, im ökoschicken Berlin eine
Nische gefunden. Besonders für britische
und amerikanische Auftraggeber ist oft
entscheidend, wie „green“ der Caterer ist.
Andere ziehen nach, Kofler plant für die
Fashion Week 2011 ein CO2-neutrales
Pop-up-Restaurant.
Die Pitches der Großkunden arten
­immer mehr in einen Höllenaufwand
aus, stöhnen einige Caterer. Zumeist
sind fünf bis zehn Anbieter im Rennen,
alle entwickeln in stundenlangen Brain­
stormings aufwendige Essens- und Bewirtungskonzepte, basteln an Präsenta­
tionen, die Mitarbeiter tagelang an den
Schreibtisch fesseln.
Oft verlangt der Kunde ein Probe­
essen. Nur wenige wagen es, das in Rechnung zu stellen. Anderswo, etwa in London, ist das Usus. Dort kosten Probeessen
um die 500 Pfund, berichtet ein Top­
caterer. Die Summe werde verrechnet,
Guide: Catering
150 c 01/2011
wenn der Auftrag folgt. Das fände er auch
hierzulande nur fair.
Wo sie es sich leisten können, rea­
gieren Premiumanbieter mit Trotz und
Selbstbewusstsein, etwa in München, der
unbeugsamen Stadt, wo Geiz auch nach
2008 weder geil noch sexy ist. „Das Zauberwort heißt Nein“, sagt Florian Hettler,
Leiter des Bereichs Gastronomie und
­Catering im Hause Dallmayr. In jeder
Ausschreibung gebe es einen, der es bil­
liger mache. Dallmayrs Verhandlungsspielraum aber sei begrenzt.
Vor einigen Jahren entdeckte die
Feinkostinstitution das Potenzial seines
Partyservice, 2006 wurde er aufgemotzt.
Das neue Geschäft strahlt zurück: Catering ist für den Delikatessenladen zum
Aushängeschild geworden. Die Botschaft:
Dallmayr ist mehr als Prodomo und
­Kaffeekränzchen.
Der Schritt war nicht gerade banal.
Die Kunst des Caterings besteht ja eben
darin, an jedem Ort der Welt außer­
gewöhnliches Essen zu bieten. Deutsche
Caterer servieren überall: am Nordpolarkreis, am Persischen Golf, im 100. Stock
oder unter Tage. Und jeder löst das logistische Problem auf seine Weise.
Für Dallmayr etwa bleibt München
die zentrale Küche. „Wenn Dallmayr
draufsteht, kommt das Produkt vom
Münchner Marienplatz.“ Die Speisen
werden allenfalls à la minute am Ort der
Veranstaltung fertiggestellt. Vorteil des
Zentralismus: Die Zutaten stammen stets
von den bewährten Lieferanten, überwiegend aus dem Münchner Umland.
Andere Caterer, wie etwa Kofler, unterhalten Produktionsküchen in ganz
Deutschland. Wenn er in Frankfurt catert,
wird dort eingekauft und gekocht. Kofler
findet: „Je weniger Zeit das Essen auf
der Straße verbringt, desto besser und
frischer ist es.“ Mit den kurzen Wegen
sieht er sich ökologisch und ökonomisch
im Vorteil. Dallmayr-Chef Hettler kontert: „Bisher kriegt es kein Event-Caterer
hin, an unterschiedlichen Produktionsstätten die gleiche Qualität zu schaffen.“
Feines Essen made in Munich – das
hat eben immer noch besonderen Klang.
„In München passiert es, dass die Vorstandssekretärin sich im letzten Moment
für das teurere Angebot vom Käfer entscheidet, weil sie denkt: Mei, dann kann
ich auch, wenn’s schiefgeht, zum Chef
­sagen: ‚Aber es war der Käfer’“, ätzt eine
Mitbewerberin.
Der Käfer, Sinnbild für Schickeria und
opulente Lebensfreude: Kann man den
überhaupt noch buchen? Klingt nicht
schon der Name zu sehr nach, nun ja,
Protzerei? Frage an Michael Käfer, Sohn
des Partyservicegründers Gerd Käfer, der
Dennoch: Anfang 2011 werde er mit
einer Zweitmarke an den Start gehen.
Ein „Internet-Partyservice“, bei dem
die Kunden sich online ihr CateringPaket zusammenstellen können. So
spart er sich die oft langwierige Beratung und Konzeption. Speisen- und
Getränkeangebot sind standardisiert.
Im Namen des neuen Unternehmens
soll das Wort „Käfer“ nicht mehr vorkommen.
Die Idee mit der preiswerteren
Submarke hatte vor ihm bereits der
Düsseldorfer Georg Broich. Unter
„Traiteur Carl 18.91“ bietet der Chef
von Broich Premium Catering seit
­April einen Onlinekonfigurator. „So ist
es möglich, eine Fünf-Stunden-Ver­
anstaltung mit Essen, Getränken und
Abräumservice ab 59,95 Euro pro Person anzubieten“, sagt er.
2010 habe er mit Carl 18.91 bereits
2 Mio. Euro Umsatz gemacht, im kommenden Jahr sollen es 4,5 Mio. Euro
sein.
Kofler hält von der Idee der Billiglinie nichts. Lieber denkt er sich Ge­räte
wie den „K-Pot“ aus, eine Art Hightech-Koch- und -Warmhalteplatte. Er
soll Büfetts möglich machen, bei denen Gemüse nicht matschig wird und
Saucen nicht einkochen, wie das bei
den als Qualitätskiller verschrienen
„Chafing Dishes“ zu beklagen ist, den
großen, silbernen Warmhalteschalen
auf zwei Gasflämmchen. Wer mag,
stellt noch einen Koch hinter den KPot – „Front-Cooking“, also Kochen
vor den Augen der Gäste. Das schafft
eine gesellige Atmosphäre.
Die sollte auch bei der Global Leadership Conference nicht fehlen. Nach
dem Dessert, 450 exakt auf den Punkt
gebackenen Törtchen, aus denen beim
Anstechen dunkelbraune, duftende
Schokoladensauce läuft, hat Kofler
mal auf den Birnenschnaps verzichtet.
Und stattdessen eine Caipirinha-Bar
aufgebaut, standesgemäß mit ShowBarkeeper. Brasilianische Drinks für
alle, das macht selbst die Chefetage
­eines DAX-Konzerns locker. Zudem ist
so eine Theke bestens geeignet zum
Plaudern und Networken. Und das ist
schließlich Sinn einer solch teuren
Veranstaltung.
Doch der Caipi-Plan will nicht
recht aufgehen. Die einzige Topkraft
an dem Stand bleibt der Barkeeper.
Grund: Am anderen Morgen geht die
Konferenz in die nächste Runde, und
nach der gebratenen Entenbrust verspürt die Konzernelite offenbar eine
gewisse Bettschwere.
Vielleicht aber sind DAX-Manager
auch nach vier Gängen einfach noch
√
verdammt hungrig.
Topcaterer in Deutschland: Es lebe der Regionalfürst
Käfer Der Partyklassiker aus München, Filiale in Berlin; www.feinkost-kaefer.de
Dallmayr Münchner Feinkost mit neuer Catering-Abteilung; www.dallmayr.de
Kofler & Kompanie Der „Armani der Caterer“ ist von Frankfurt nach Berlin migriert.
Zweigstellen in Dresden, Hamburg, München; www.koflerkompanie.com
Iss Kind, iss Junge Topköche als Berliner Newcomer; www.isskindiss.de
Foodpol Verköstigt die Berliner Kultur- und Kunstszene; www.foodpol.com
Einhorn Servierten als Erste CO2-neutral in Berlin; www.einhorn-catering.de
Maison van den Boer Niederländischer Platzhirsch, in Deutschlands Norden
und Westen stark vertreten; www.maisonvandenboer.com
Broich Düsseldorfer mit preiswerter Submarke; www.broich-catering.com
Meyer Alteingesessener Platzhirsch in Frankfurt; www.meyer-frankfurt.de
Kirberg Bestes „Corporate Food“ aus Bergisch Gladbach; www.kirberg-catering.de
Party Löwe Die Hannoveraner können seit ihrer Feuerprobe bei der Expo 2000
auch die größten Events stemmen; www.partyloewe.de
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02/2010
Frischfang: Caterer und Kunden
achten mehr denn je darauf, woher
die Zutaten stammen und ob sie
klimafreundlich angeliefert und
dargeboten werden. CO2-neutrale
Angebote liegen im Trend
zuversichtlich lächelnd in seinem
­ üro in der Münchner PrinzregentenB
straße an einer Marienkäfer-Kaffeetasse nippt.
Die Krise hat man hier dank des
stabilen Privatkundengeschäfts, das
bei Käfer als Einzigem der Topcaterer
mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht, gut überstanden. „Wir haben
oft darüber nachgedacht, ob der Name
ein Problem sein könnte, finden aber
nicht. Letztlich zählt für den Kunden
die Erfahrung“, beharrt Käfer.
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