7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion
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7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion
Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion In diesem Beitrag erfahren Sie, • welche Fehlstellungen es durch mangelnde PE in der Produktion gibt, • wie Sie eine gute Führung in der Produktion erreichen, • welche Führungsprinzipien in der Produktion erfolgreich sind, • welche Führungsfehler Sie unbedingt vermeiden müssen, • welche Entwicklungsmaßnahmen in der Produktion sinnvoll sind, • wie Sie dadurch Ihre Produktion viel effizienter gestalten können. Der Autor Bernhard Bachmann, Berater, Dozent und Coach mit 3 Hochschulabschlüssen, Organisationsentwickler und Change Manager. Neben Einsatzfeldern als Analyst und Interim Manager arbeitet er als Dozent für Marketing, Unternehmensführung, Strategie, Produktionsmanagement, Governance sowie persönliche Effizienzsteigerung und hat selbst über 200 Projekte in diesen Feldern geleitet. Zentraler Teil seiner Arbeit ist die Analyse vor allem von produzierenden Unternehmen bei Konflikten und Performanceproblemen durch Tiefeninterviews. Hierbei werden Teams, Berufsprofile, Schnittstellen oder ganze Belegschaften in bis zu 600 vertraulichen Gesprächen befragt, um zu Lösungen zu gelangen. Auch Kunden werden einbezogen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz von Lernlandkarten zur Strategievermittlung, sowie das Coaching von Führungskräften, Selbstständigen und von Teams. Anschrift: Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH, Villa Hagedorn, 65343 Eltville am Rhein, Tel.: 0 61 23/60 12 06, Fax: 0 61 23/60 18 91 E-Mail: bb@bbachmann.de, http: www.bachmann-leadership.de PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 1 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Inhalt Seite 1 2 3 7 8 9 Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der operative Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Prinzipien „guter“ Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Wichtigkeit der Vorbildfunktion . . . . . . . . . . . . . 3.2 Integrität und Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der „moralische“ Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmenskultur und Unternehmensklima . . . . . . . . . . Die Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Performance Measurements . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Interner Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Schlechte Führungsqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . Führungskultur und Führungsklima: Zusammenarbeit und Kooperationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesundheitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Die Ausgangssituation 4 5 6 . . . . . . . . . . . . 2 5 11 13 14 15 18 20 20 22 24 25 . . . . 28 32 34 35 In meinem in diesem Handbuch erschienenen Beitrag über Lernbedarfsanalyse (Beitrag Nr. 5.92, 168. Erg.-Lfg., Feb. 2013) habe ich bereits angemerkt, dass es bei der Personalentwicklung gewaltige Defizite im Bereich der Produktionsmitarbeiter gibt. Dieser Beitrag geht nun auf diese Problematik ein. Eigentlich ist ja alles ganz klar: Eine Produktion basiert auf kalkulatorischen Grundlagen, auf Investitionen in harte Standortfaktoren und Maschinen, auf dem Controlling von Stückgutkosten und Key Performance Indicators (KPIs) sowie auf den variablen und fixen Kosten. Hinz kommen die Definition des Qualitätsmanagements, der Personalstärke und die entsprechenden Standards und Benchmarks. 7.65 Seite 2 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Soweit die Theorie, wie sie allerorten in den produzierenden Betrieben verankert zu sein scheint. Und warum auch daran rütteln? Unsere Produktivität ist herausragend, die deutschen „Hidden Champions“ aus dem Mittelstand zählen schließlich zu den Weltmarktführern. Und doch tauchen in vielen Projekten meiner Beratungstätigkeit erhebliche Zweifel auf, ob das alles so richtig ist. Wie kann man, wie diese Projekte zeigen, indem sich nur an den Themen Strategie und Führung etwas ändert, nachweislich über 30 % mehr Ergebnisse erzielen, wenn alles andere gleich bleibt? Das ist, wie ich mittlerweile erforscht habe, mehr als nur ein Zufall (Bachmann 2015). In der Produktion begegnet man nur selten anderen Beratern; diese planen eher am grünen Tisch. Gelegentlich sieht man einen Qualitätsmanager, Maschinenbauer oder Ingenieur; Prozessanalysten oder gar Personalentwickler sind mir in den vor Dreck starrenden Buden von Schichtleitern, bei 50 Grad im Unterbau von Maschinenstraßen oder in einer stickigen Sandaufbereitung noch nie begegnet. Doch nur da wo man durch Dämpfe watet, über ausgelaufene Salzsäure oder über flüssiges Eisen steigt, in staubigen Ansatzräumen oder den vergessenen Bereichen der Fabriken, da zeigt sich überall der menschliche Faktor. Dazu braucht es kein Raumschiff Enterprise: Bei zahlreichen Projekten habe ich Bereiche besucht, unendliche Weiten sozusagen, in denen seit teilweise über 20 Jahren keine Führungskraft oberhalb eines Schichtführers mehr gewesen ist. Entsprechend mitteilsam sind die dort anzutreffenden Arbeitskräfte. Mein Fazit lautet: Wenn man produzierende Betriebe zu seinen Kunden zählt, ist es immer wieder interessant zu beobachten, wie stark der menschliche Faktor über alles entscheidet. Hierbei kommen vier Faktoren zusammen: 1. die Summe an Effizienz der Mitarbeiter in der Produktion, 2. die Summe menschlichen Handelns: Kultur und Klima, 3. die Summe an Fähigkeiten des Managements, 4. die Summe der Führungsqualität in der Produktion. Bereits hier müsste auffallen, dass alle diese Bereiche durch eine Personalentwicklung steuerbar sind. Wesentlich weniger fällt dagegen erfahrungsgemäß ins Gewicht, welche Maschinen Sie einsetzen, ob Sie eine gute vorbeugende Instandhaltung haben oder die Anlagen auf Crash fahren oder wie gut Ihre Planungssysteme sind. Diese Lehre verstößt natürPersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 3 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion lich gegen alle Glaubenssätze, die den Menschen vor allem in der Produktion so gerne entbehrlich machen möchten. Beispielsweise das Gießen von Eisen und Stahl und die Metallverarbeitung gehören zu den am längsten industrialisierten Bereichen des Menschen; hier braucht sicherlich niemand mehr Nachhilfe? Und doch lassen sich selbst in diesen Branchen deutliche Effizienzsteigerungen erreichen, wenn man an die menschlichen Faktoren geht. Leider wird das von den Führungsetagen oft nicht gesehen und beißt sich mit der Wirklichkeit in den Unternehmen. Lernbedarfsanalysen für Mitarbeiter und Führungskräfte aus der Produktion fehlen häufig vollkommen. Die Personalentwicklung in der Produktion wird selbst in deutschen Erfolgsunternehmen merkwürdig zurückhaltend und stiefmütterlich behandelt. Das gilt sogar für manche mission critical services wie Krankenhäuser. Bei produzierenden Betrieben beobachte ich regelmäßig ein völliges Fehlen der Ausbildung in Sachen Führung, Leadership, Change und Prozessgestaltung. Selbst in namhaften Industriekonzernen – bspw. beim Berufsprofil „Schichtführer“ – werden gerade mal 12 % der Schichtleiter in Maßnahmen geschult, die über Arbeitssicherheit, Unfallverhütung oder Maschinenschulungen o. ä. hinausgehen. Bei einer Trainingsmaßnahme wie „Schichtübergabe“ konnte ich feststellen, dass über die Hälfte der Teilnehmer das Erlernte nicht anwenden, sondern teilweise bewusst gegen die dort gelehrten Prinzipien verstoßen. Unsere kleineren und mittleren Unternehmen des Mittelstands (KMU) haben teilweise noch höhere Ausbildungsdefizite. In Deutschland gilt anscheinend Ausbildung nicht mehr viel, wenn erst mal die Lehre abgeschlossen ist. Formen des Blended Learnings oder Selbststudiums werden in den wenigsten Betrieben angewendet bzw. honoriert. In Summe kann man sagen, dass die Instrumente der Personalentwicklung regelmäßig dem Management und dem administrativen Teil der produzierenden Gewerbe vorbehalten bleiben. Das Geld wird allerdings zum Großteil durch die Produktivität der Produktion verdient. Außerdem, um es vorsichtig zu formulieren, kommen gelegentlich recht merkwürdige Vorgaben heraus, wenn Personalentwickler, Ingenieure oder Produktionsleiter, die nie selbst in der Produktion gearbeitet haben, Programme für Produktionsmitarbeiter entwickeln. Bestenfalls wird hier also ein irgendwie geeignet erscheinender Trainingsanbieter gesucht; und die Wirkung der Trainings von der Stange fast nie analysiert. 7.65 Seite 4 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Manager zu entwickeln macht den Personalern sichtlich mehr Spaß, als einen Produktionsbereich nach vorne zu bringen. Dabei, wie den Produktionsarbeitern meist sehr wohl bewusst ist, wird hier das Geld verdient, das die Manager ausgeben, und Ineffizienzen in einer Produktion schlagen sich immer sofort auch in der Marge nieder. Man kann hier also durch die richtigen Maßnahmen viel an Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen erreichen, die sich regelmäßig sofort in Profitabilität ausdrücken. Trotzdem gelten Stückgutkosten, Auslastungsquoten und Maschinenlaufzeiten als das Mantra und Nonplusultra, obwohl dies auch wissenschaftlich beispielsweise durch die Theory of Constraints ausreichend widerlegt ist (Dettmer 1998; Goldratt/Cox 1993; Jacob et al. 2010). Die Performance kommt demnach aus dem marktkonformen und daher profitablen Durchsatz der Fabrik und eben nicht durch die größtmögliche utilisation rate. Leider haben gerade Mitarbeiter und Führungskräfte aus dem Bereich Produktion große Defizite in der Artikulation ihrer Lernbedarfe. Sie werden auch nicht sonderlich ermutigt, das zu ändern. Auch die Betriebsräte nehmen sich den Themen Personalentwicklung oder Aus- und Weiterbildung nur selten in ausreichendem Maße an. Dennoch, getrieben durch Fachkräftemangel und Demografie, eine älter werdende Belegschaft und ein (wenn auch recht langsames) Umdenken, scheint momentan ein Trend spürbar, dass der Bereich Produktion jetzt endlich verstärkt in den Fokus der PE rückt. Dieser Beitrag trägt hoffentlich dazu bei, ein Mehr an Aufmerksamkeit für die Personalentwicklung in der Produktion zu erreichen. 2 Der operative Kontext In den produzierenden Bereichen von Unternehmen ist der operative Kontext ausschlaggebend. Je mehr Kennzahlen eingesetzt werden, je mehr ein rigides Kostendenken dort Einzug gehalten hat, je mehr man Planungsinstrumenten und ERP unterworfen ist, desto mehr steigt der Druck im Kessel an. In nahezu allen Projekten, an denen ich mitgearbeitet habe, hatte der wöchentliche Produktionsplan keinen Bestand; häufig nicht mal der tägliche. Schwankende Qualitäten der Roh- und Zuschlagsstoffe oder der Zwischenprodukte, Maschinenprobleme, Ausfall von Mitarbeitern oder Eilaufträge aus Vertrieb und Arbeitsvorbereitung (AV) führen häufig zu einer laufenden Umpriorisierung. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 5 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion In der Produktion ist der Umgangston wesentlich rauer – überall, wo alles gleichzeitig gehen muss und die Logistik alles komplex macht, schlägt sich der Druck in den Umgangsformen nieder. Wer mal in die Küche eines Sterne-Restaurants geschaut hat, wird wissen, worum es geht. In manchen Betrieben kommen multikulturell zusammengesetzte Belegschaften hinzu, was die Kommunikation deutlich erschweren kann. Leiharbeiter werden immer wieder ausgewechselt; kaum hat man sie angelernt, wechseln sie in einen anderen Betrieb. Alleine dieser Sachverhalt kostet richtig viel Geld, wird aber nie eingepreist. Wer schlecht zahlt und die Mitarbeiter schlecht behandelt, sieht sich diesem Phänomen besonders häufig ausgesetzt – mit entsprechenden Konsequenzen in Effizienz und Qualität. Sicherlich, die Arbeitnehmerüberlassung ist ein wesentlicher Faktor in der Kostenkalkulation und für die Glättung. Doch habe ich Betriebe kennengelernt, die bspw. bei einer Stammbelegschaft von 120 Mitarbeitern 240 Leiharbeiter beschäftigen; dass hier die Politik interveniert, ist kein Wunder. Diese Personalplanung bleibt oft den Betriebsleitern überlassen; Personalentwickler müssen hier darauf achten, dass die Arbeiter nach den sechs Wochen, die es üblicherweise dauert, sie anzulernen, weiter bei der Stange bleiben. Entlohnung, Wertschätzung und ein entsprechendes Betriebsklima sind hierzu wesentlich. Arbeitsanweisungen, die auf Fotografien und Bildersprache basieren, haben sich hier ebenfalls stark bewährt; der Aufwand, diese zu erstellen, lohnt sich. In der Produktion werden im Minutentakt Entscheidungen getroffen, das Tempo an Entscheidungen, die durchaus große Konsequenzen haben können, ist hier ein ganz anderes als in den Verwaltungstrakten, außer vielleicht im Handelsraum einer Großbank. Sich entscheiden zu können, und die Kriterien zu steuern, auf denen diese Entscheidungen basieren, sind eine häufig übersehene Quelle für Maßnahmen der Personalentwicklung, wie noch aufzuzeigen sein wird. Das Problem in der Produktion ist, dass häufig Produktionsvorgaben, maschinelle Realitäten, Qualitätsvorgaben und Kostenvorgaben miteinander kollidieren. Dies führt immer wieder zu Zielkonflikten. In einem derart operativen Umfeld ist es daher entscheidend, wie Führungsqualitäten ausgebildet sind, um hier entsprechend effizient agieren zu können. In vielen Betrieben liegt hier allerdings noch ein arg hierarchisches Verständnis vor. Natürlich gibt es auch Betriebe mit selbstbestimmten Teams, z. B. in der Produktion von Möbeln; in den Großanlagen mit 7.65 Seite 6 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Maschinenstraßen ist das jedoch nach wie vor unüblich (Göbel 1998). Moderne Organisationsformen wie SCRUM sind in der Produktion eigentlich nicht anzutreffen. Auch dass die Mitarbeiter von Toyota und anderen Autobauern die Produktion anhalten dürfen, untergräbt keineswegs die gerade in Japan stark hierarchischen Führungsprinzipien in den meisten Fabriken. Viele Produktionsleiter, aber auch viele mittelständische Firmenpatriarchen haben hierbei ein geradezu archaisches Verständnis von Führung und Gehorsam. Viele vergleichen das mit der Armee: Befehle werden gefälligst nicht hinterfragt. Dabei sind gerade militärische Operationen das Ende eines jeden Plans und dessen Ersetzen durch Chaos; weswegen sich gerade zuallererst in den professionellen Berufsarmeen ein völlig anderes Führungsprinzip durchgesetzt hat, nämlich dass das unterste Glied der Kette selbst in der Lage sein muss, taktische Entscheidungen treffen zu können, ohne auf Erklärungen oder Befehle zu warten. Das scheint sich in vielen Fabriken aber noch nicht herumgesprochen zu haben. Produktionsleiter, Abteilungsleiter und Schichtführer erhalten meistens nicht einmal Basisausbildungen in Führung und Organisation. Bevor allerdings dieser Mangel an Entwicklung Folgen hat, kommt es bereits im Vorfeld zu gravierenden Fehlern bei der Auswahl von Führungskräften. Hierbei gibt es einen Klassiker zu bewundern: Kaum hat sich jemand zu einem guten Mitarbeiter oder Maschinenführer entwickelt, wird er bei der kommenden Vakanz befördert. Immer wieder werden gute Maschinenführer zu Vorgesetzten erklärt und dann nicht geschult und alleine gelassen. Während die Zahl der guten Maschinenführer abnimmt, steigt der Zahl der unfähigen und überforderten Führungskräfte, vor allem bei den Schichtführern und deren Vertretern. Dies ist besonders in großen Betrieben ein Problem, wenn eine weitere Dynamik, oft völlig unbeachtet von der Personalabteilung, hinzutritt: Während früher Schichtführer noch die meisten Einstellungen und Problematiken der Anlagen kannten, werden diese immer mehr zu Verwaltungskräften, die kaum noch aus der Schichtführerbude herauskommen. Und stattdessen jede Menge Reports anfertigen, E-Mails bearbeiten und Daten und KPIs ins ERP oder Performance Measurement System einmelden. Wenn dann keine Job-, Kompetenz- oder Orientierungsprofile vorliegen, kann diese Rolle auch nicht entwickelt werden. Da generell wenig Wert auf Führungsqualität in der Produktion gelegt wird, trauen sich auch viele Mitarbeiter die Rolle des Schichtführers zu, die wenig bis gar nicht geeignet sind; dies aber auch nicht sehen können, da ihre PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 7 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion eigene Erfahrung ja eine andere ist: Durch Kommandieren und Druck weitergeben kommt man weiter. In einigen Betrieben, so haben meine Erhebungen ergeben, beschweren sich über 80 % der Mitarbeiter, dass „Schreien, Toben, und Herumbrüllen“ eine alltägliche Form der Führung durch die Vorgesetzten sei. Klar: Wenn es nur das ist, dann kann ich das auch, sagt sich da so mancher. Hier helfen nur klare Rollenprofile und ein Verständnis von Führungskultur und gewünschten Führungsprinzipien, die häufig erst entwickelt werden müssen. Während Governance sich, was Fabriken angeht, meistens nur in der Form von KPIs, Recyclingvorgaben oder Kostenkontrolle niederschlägt, werden Führungsprinzipien jedoch eher weniger thematisiert. Dies kann gravierende Folgen haben, vor allem, wenn die Unternehmenskommunikation auch hinterher hinkt. So habe ich ganz viele Fabriken kennen gelernt, die doch ein recht merkwürdiges Verständnis der Unternehmenskommunikation aufweisen. In einer Fabrik bspw. wurden erst Terminals an den Maschinenstraßen eingerichtet, auf denen die Mitarbeiter Zugang zum Intranet hatten. Danach kam eine Direktive, dass die Nutzung des Intranets die Mitarbeiter ablenkt und daher Sicherheitsrisiken beinhaltet, und daher wurde das Intranet wieder abgeschaltet. In manchen Fabriken wurden sogenannte Internet Cafés eingerichtet, die einen Zugang zu Intranet und Internet gewähren. In nahezu allen dieser Betriebsstätten haben sich allerdings regelmäßig über zwei Drittel der Mitarbeiter beschwert, dass sie von ihren Vorgesetzten immer wieder angeraunzt werden, ob sie denn nichts zu tun hätten, wenn sie sich dort schlau machen wollen. Größere Unternehmen haben Mitarbeiterzeitschriften, die auch von Mitarbeitern in den Produktionsstätten genutzt werden. Die Zielgruppe des Produktionsmitarbeiters bleibt jedoch häufig völlig unerwähnt in diesen Magazinen. Die meisten dieser Zeitschriften werden von Fabrikmitarbeitern als Vorstandstrompete oder Verwaltungskommunikation angesehen. Ausnahmen stellen lediglich die Mitarbeiterzeitschriften dar, die in reinen Produktionsstätten mit einer kleinen angeschlossenen Verwaltung vorzufinden sind; hier dreht sich alles um Produktionsverfahren, Maschinen, oder Neuigkeiten aus der Fabrik. Hier bleiben viele Chancen für eine gute Kommunikation ungenutzt; Personaler können hier gut ansetzen. Dies ist auch zwingend notwendig. Es fällt immer wieder auf, wie wenig Personalentwickler von kommunikativen Vorgängen in den Fabriken wissen. Dazu muss man sich nur mal die schwarzen Bretter näher angu- 7.65 Seite 8 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 cken. Viele Maßnahmen und Anordnungen, die sich dort finden, sind offensichtlich nie durch eine Personalabteilung gegangen, denn sie stehen teilweise im krassen Gegensatz zu herrschenden Vorschriften und Gesetzen. Je mehr die Betriebsräte schlafen, desto mehr schleifen sich diese Dinge ein. Zum anderen zeigen sich in diesen Aushängen auch immer wieder die Zielkonflikte in den Unternehmen. Mein Lieblingsbeispiel, dass ich nun schon in mehreren Unternehmen antreffen konnte, sieht so aus: An der Maschinenanlage hängt ein Schreiben der Arbeitsvorbereitung, eines Abteilungsleiters oder des Vertriebs, in dem eine Maschinencrew ausdrücklich dafür gelobt wird, dass sie eine neue Bestleistung an Maschinenlaufgeschwindigkeit und Produktionsausstoß der „Batch Nummer xyz“ erzielt hat. Direkt daneben hängt ein offizielles Schreiben des Qualitätsmanagements, dass die „Batchnummer xyz“ gravierende Mängel aufwies, und dass daher an dieser Maschinenanlage eine bestimmte Geschwindigkeit nicht mehr überschritten werden darf. In diversen Produktionsstätten, vor allem in deutschen traditionsreichen mittelständischen Betrieben, gibt es diesen Kulturkampf zwischen Qualität und Kostenführerschaft, bei dem keineswegs klar geregelt ist, wohin die Reise gehen soll. Eine Tendenz zeichnet sich allerdings dabei ab: Auf diese Art und Weise mit chinesischen Billigprodukten konkurrieren zu wollen, ist herzlich sinnlos. Umso wichtiger werden Bereiche wie Produktentwicklung und Innovationsfähigkeit; auch dies zwei wichtige Felder für die Personalentwicklung. Und auch hier die wiederholte Feststellung, dass im Verwaltungstrakt zwar einiges getan wird, die Fabrikationsstätte aber außen vor bleibt. Dies ist besonders eine Schwäche in den Betrieben, wo Produktentwicklung, Engineering und Verfahrenstechniken in der Fabrik selbst angedockt sind. Diese ungelösten Zielkonflikte führen bei vielen Mitarbeitern zu Kopfschütteln und zu einer allgemeinen Fragestellung, wer hier im Betrieb eigentlich das Sagen hat. Aufgrund der nicht vorhandenen schlussendlichen Zielvorgaben entscheiden die jeweiligen Schichtführer so wie sie es interpretieren. Dies führt zu einem Nebeneinander der unterschiedlichsten Vorgaben und Zielerreichungsgrade. Hier ist es die Aufgabe von Governance und Personalentwicklung, klare Prinzipien und eindeutige Vorgaben zu erstellen. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Viele Personaler verstehen zu wenig vom operativen Kontext in den Fabriken. Die Produktionsleiter wiederum PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 9 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion lassen sich ungerne in ihrem Bereich hineinreden und verstehen es meisterhaft, die „White collar“-Vertreter aus der Administration aus dem Betrieb herauszuhalten. Diejenigen Personaler und Entwickler, die selbst schon einmal in einer Produktion gearbeitet haben, haben hier einen klaren Vorteil. Im rauen Umfeld der Produktion ist es außerdem üblich, dass man sich eine gewisse „street credibility“ erst erarbeiten muss, um Akzeptanz zu haben. In ganz vielen Fabriken gibt es so etwas wie ein „hüben und drüben“, wobei die kulturellen Unterschiede zwischen Verwaltung bzw. Administration und der eigentlichen Produktionsstätte gemeint sind. Merkwürdigerweise fällt hierbei in den großen Fabriken häufiger der Satz „diesseits und jenseits des Bahndamms“, selbst wenn die Bahn seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wird, da die Gleise mitten durch das Fabrikgelände führen und die Verwaltung meistens auf der anderen Seite sitzt. Immer wieder bemängeln Mitarbeiter von Fabriken auch, dass sie von Verwaltungsmitarbeitern nicht ernst genommen, nicht gegrüßt oder nicht ausreichend respektiert werden. Eine Art Klassiker: Ein Produktentwickler kommt in die Fabrikhalle und fragt den Kollegen bspw., wo denn die Maschinenstraße X ist, und kennt den Weg nach drei Jahren immer noch nicht. Ebenfalls stark unbeliebt: Tests auf Maschinenanlagen, bei denen die Tester nicht anwesend sind, die den Produktionsablaufplan empfindlich stören und der Maschinencrew die Performance verhageln, und bei denen den Mitarbeitern auch nicht erklärt wird, was sie eigentlich testen. Personaler müssen diese konfliktreichen Prozesse identifizieren und regeln. Hierzu ist der beste mir bekannte Ansatz eigentlich ganz einfach: Man muss sich für ein bis zwei Wochen einen Blaumann anziehen und in die Tiefen der Produktion eintauchen. Begleitende Analysen von Unternehmensklima und Mitarbeitermotivation sowie die Analyse einzelner, stichprobenartiger Produktionsprozesse tun ein Übriges, um die Datenlage erheblich zu verbessern. Mitarbeiter, die in der Verwaltung neu anfangen und die häufig mit Kollegen aus der Produktion zu tun haben werden, sollten im Rahmen einer Induction Week ebenfalls den Blaumann anziehen und sich dieser Herausforderung stellen. Ab auf die Schicht! Diese Forderung habe ich schon oft gestellt, stelle jedoch immer wieder fest, dass sich viele Mitarbeiter aus der Verwaltung dem entziehen, und dass die Vorgesetzten das auch nicht ausreichend nachhalten. Der direkte Vergleich beweist jedoch, 7.65 Seite 10 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 dass dieses Vorgehen ganz richtig ist. Bei diversen Neueinstellungen in Personalabteilungen, die sich vorrangig um Produktionsmitarbeiter kümmern, hat ein Teil der neuen Kollegen sich in der Fabrik getummelt, der andere Teil nicht. Während die ersteren Kollegen ihr neues Aufgabengebiet erfolgreich meistern konnten, sah das bei dem anderen Teil ganz anders aus. Die letzteren Kollegen waren sich buchstäblich zu fein für diese Art der Einführung („so habe ich mir das aber nicht vorgestellt“) und hatten von Anfang an und bis zum Schluss erhebliche Schwierigkeiten, mit dem Arbeitsbereich zurechtzukommen, und erfuhren auch eine mangelnde Akzeptanz. Eine derartige Maßnahme sollte eigentlich verpflichtend gemacht werden, und ist gleich ein erster Test der Arbeitseinstellung. Fazit: Wenn Sie die Notwendigkeit der Personalentwicklung in der Produktion erkennen, Sie aber bislang wenig über die Gepflogenheiten und Prozesse in der Produktion wissen, gönnen Sie sich selbst eine derartige Induction. Sie werden es nicht bereuen – denn es führt kein Weg drum herum, den operativen Kontext einer Produktion zu verstehen. 3 Die Prinzipien „guter“ Führung Es wurde bereits herausgestellt, dass einerseits der operative Kontext in der Produktion oft auch dazu führt, dass das Verständnis von Führung unterentwickelt bleibt, und der Umgangston, um es vorsichtig zu formulieren, durchaus rau sein kann. Und andererseits, dass überdurchschnittlich häufig ungeeignete Personen zu Führungskräften befördert werden. Auch ohne ein vollständiges Führungsbild oder eine vollständige Entwicklung von Führungsprinzipien kann bei der Personalauswahl viel erreicht werden. Wenn man auf gewisse ethische Führungsprinzipien Wert legt, ist dies bereits ein guter Anfang. Bevor wir zu den negativen Formen von Führung und deren Begleiterscheinung kommen, ist es daher sinnvoll, die positiven Aspekte näher zu beleuchten. Denn es gibt eine Anzahl von Erfolgsfaktoren, die sich positiv auf Führung und Effizienz in der Produktionsstätte auswirken, und um die es sich zu kämpfen lohnt, bevor alles verschliffen oder erodiert ist. Es handelt sich hierbei um einige klassische, grundlegende Dinge, die in unserer schnelllebigen Zeit vielleicht etwas in Vergessenheit geraten sind. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 11 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Ganz vorne steht die Vorbildfunktion; je weniger Wert hierauf gelegt wird bei der Rekrutierung von z. B. Schichtleitern, umso mehr werden Führungskräfte in der Produktion in Konflikte gezogen und kommen mit dem operativen Druck nicht mehr klar. Das kann sich in einer Kultur niederschlagen, die dann schlussendlich alles untergräbt. Am untersten Ende der Skala nenne ich hier die morgendlichen 8.00Uhr-Besprechungsrunden in so mancher Produktion, bei der Produktionsleitung, AV, Logistik, die Abteilungen und manche Schichtführer teilnehmen. Die Art und Weise, wie derartige Treffen ablaufen, erlaubt einen tiefen Blick in die zugrunde liegende Führungskultur des Unternehmens. Hier kenne ich Treffen, wo die Chefs herumbrüllen, Leute zusammenstauchen, Schuldige und Sündenböcke gesucht werden, der schwarze Peter kreist; es wird keine Ursachenforschung betrieben und auch nicht überlegt, was man anders oder besser machen kann. Die schlimmste Art dieses Treffens kenne ich aus einem deutschen Traditionsunternehmen. Die Stimmung war immer mies, den Teilnehmern standen Angst und Unwohlsein regelrecht auf die Stirn geschrieben. Alle fürchteten vor allem die cholerischen Anfälle des Geschäftsführers, die sich entsprechend auf die Abteilungsleiter auswirkten, die dann ebenfalls Druck nach unten weitergaben. Ich habe dann in einer Analyse die regelmäßigen Teilnehmer über dieses Treffen befragt. Arbeitsergebnisse gab es selten; nachgehalten wurde fast nie, protokolliert wurde auch nicht. Eigentlich wurden nur Schuldige gesucht und mehr oder weniger öffentlich hingerichtet; dann ging alles auseinander. Jeder versuchte, wo es nur ging, Gründe zu finden, die eine Teilnahme verhinderten. Die Teilnehmer berichteten über Unwohlsein jeden Tag vor dem Treffen, über Herzrasen, Schweißausbrüche und andere physische Störungen, Magenverkrampfungen, und hassten geradezu und ausnahmslos diese Art Start in den Arbeitstag. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen; gerade in dieser Firma wurden tatsächlich drei der Teilnehmer, die nach meiner Beobachtung auch am meisten in diesen Treffen zu leiden hatten, immer wieder und dann auch langfristig krank. Die gesundheitlichen Aspekte schlechter Führung werden von den Personalern oft nicht gesehen; und eine geradezu ritualisierte schlechte Führung wie in diesen Runden hat verheerende Folgen, denn sie beeinflusst die gesamte Führungskultur und das Klima. 7.65 Seite 12 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 3.1 Die Wichtigkeit der Vorbildfunktion Für eine gesunde Führungskultur braucht es Vorbilder. Schicht- und Arbeitsgruppenführer sollten auch führen und nicht nur schreien können, das ist ein kleiner Anfang. Die Vorbildfunktion ist eine der entscheidenden und wichtigsten Funktionen der Führung (Ruiz-Palomino/Martinez-Canas 2011). Die Leadership-Forschung ist sich weitgehend einig: Sie können Corporate Social Responsibility (CSR) implementieren, einen code of ethics publizieren, Compliance-Regelwerke entwerfen und publizieren, aber alles dies reicht in der Regel nicht aus, um den operativen Kontext zu steuern (Stellvertretend für viele Studien, die dies belegen: Mihelic et al. 2010 sowie Barnes 2007). Weitaus effektiver ist es, auf die Prinzipien einer ethischen angemessenen Führung zu achten. Wer ethische Rollenbilder und Vorbildfunktionen hat, kann die Führungskultur entscheidend prägen, mehr als es CSRProzesse und deren begleitende Dokumente alleine vermögen (Avey et al. 2012; Kaptein 2009: Brown/Treviño 2006). Während die Forschung sich hier lange auf die Führungsspitze konzentriert hat, auf die CEOs, Vorstände und Geschäftsführer, ist es mittlerweile erwiesen, dass Vorbilder im mittleren und unteren Management eine weitaus größere Rolle spielen, und diese es sind, die letztlich die gesamte Unternehmenskultur prägen. Gerade in der Produktion werden laufend Entscheidungen gefällt, die weitab von der Einflusssphäre der Vorstände ablaufen; hier existiert ein Eigenleben, das nur durch Prinzipien und Vorbilder kontrolliert werden kann (Yukl 2013). Viele Theorien des sozialen Lernens unterstützen die Bedeutung von Vorbildern. Eine schwache Unternehmenskultur ist oft alleine durch das Fehlen derartiger Vorbilder geprägt; hier kann die PE ansetzen. Wie kann man sich eine „ethische Führung“ vorstellen? Zusammenfassend wirken Vorbilder am besten, wenn sie die folgenden Charakteristiken erfüllen: • Zwischenmenschliche Verhaltensweisen basieren auf Fürsorge, Werten und Beziehungen. Führung wirkt unterstützend und übernimmt die Verantwortung für andere. • Fairness gegenüber anderen, Ressourcen gerecht verteilend, gleiche Behandlung, Achtung und Wertschätzung aller, erklärte, nachvollziehbare Entscheidungen. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 13 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion • Ethisches Handeln, Selbstachtung, Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Integrität, Demut, Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln. • Artikulation ethischer Normen, Aufrechterhaltung einheitlicher ethischer Grundsätze, Einnahme einer Stakeholder-Perspektive. Derartig eingestellte Führungskräfte existieren in der Regel nicht von Tag 1 an, sondern müssen aufgebaut und entwickelt werden. Sie müssen durch viele operative ethische Dilemmata und Zielkonflikte hindurch, und brauchen hier entweder selbst Vorbilder für die Orientierung, oder klare Vorgaben und begleitende Interventionen durch die Firmenleitung, wenn diese fehlen (Langvardt 2012). Lässt man angehende Führungskräfte mit diesen Zielkonflikten alleine, geht es nur noch um Performance Measurements, und der operative Druck spült alle weiteren Haltungen, Ansätze und Überlegungen unter. Führungskräfte verlieren dann ihren ehrenwerten Charakter, vergessen ihre Wertvorstellungen und gehen zur „dunklen Seite der Führung“ über, wie es Brown/Mitchell (2010) ausdrückten. Eine klare Aufgabe für die Personalentwicklung also; aber auch hier kann oft beobachtet werden, dass in die CSR-Aktivitäten der Firmen eher die Managementebenen und der Verwaltungstrakt einbezogen werden, nicht aber die Produktion, in der jedoch wesentlich mehr CSR-relevante Entscheidungen fallen. 3.2 Integrität und Vertrauen Integrität ist, betrachtet man sie näher, ein schwieriges Konzept. Selbst die führende Literatur über Führung und Leadership umgeht diesen Begriff gerne; bei Yukl (2013) taucht er nicht mal im Register auf, und auch die letzte Auflage vom Northouse (2013) beschreibt Integrität in lediglich einem Absatz als basierend auf Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit. Das Problem: Integrität ist ethisch neutral; wer starr Regeln befolgt, handelt integer. Ungerecht erscheinende Gerichtsurteile sind hierfür ein Beispiel, oder das starre Befolgen von Vorschriften; selbst ein Tyrann kann integer erscheinen, wenn er sich an seine eigenen Regeln hält; je nach Definition von Integrität (eine aktuelle Übersicht zu Definitionen von Integrität findet sich in Bachmann 2015). Während die meisten Definitionen der Sozialwissenschaft von „Integrität“ auf eine Übereinstimmung von Worten und Taten abzielen, was bereits für viele Führungskräfte im operativ hektischen Umfeld schwer genug 7.65 Seite 14 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 erreichbar ist, überwiegt in der Leadership-Forschung die Definition, die Integrität als eine Grundlage für Vertrauen umschreibt (Wang/Hsieh 2014). Umstritten ist, ob Integrität eine moralische Unterfütterung braucht, also ein Wertekorsett. Für die Praxis ist das kein Problem; wesentlich ist, dass bei der Rekrutierung auf Integrität in Form von Worte/ Taten-Übereinstimmung, Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit geachtet wird. In den Einstellungsgesprächen muss man also auf entsprechende Werthaltungen und Erzählungen aus dem Berufsalltag eingehen; es gibt eine Anzahl von mittlerweile bewährten Interviewfragen, die genau hierauf abzielen. Auf die Anwendung der wertschätzenden Befragung (appreciative enquiry, Cooperider et al. 2008) muss hierbei natürlich geachtet werden. Geradlinige Entscheidungen, basierend auf klaren Vorstellungen, die nachgehalten werden, ein integres Verhalten als Grundlage für Vertrauen und faires, alle gleich behandelndes Führungsverhalten sind die Zutaten für die Vorbildfunktion, die gerade im operativen Umfeld gebraucht werden. Eine gute Governance jenseits des reinen Kostenmanagements, die durch wirksame Maßnahmen in der Fabrik spürbar werden muss, die richtige Personalauswahl und die richtige PE sind hierfür die benötigten Prozesse. Die meisten Personalabteilungen beschränken sich eher auf die Verwaltung der Produktion; gemessen an den zu erzielenden Effizienzsteigerungen lohnen sich hier Investitionen in PE-Kapazitäten allemal, und das in wie kaum einem anderen Bereich, wie die Erfahrungen aus meinen Projekten ausweisen. 3.3 Der „moralische“ Mitarbeiter Vorbildfunktion, Integrität und Charakter sind miteinander verwoben. Der operative Kontext beeinflusst die Führungskraft, aber das moralische Urteilsvermögen kann sich durchsetzen, wenn die Führungskraft entsprechend unterstützt wird. Idealerweise erfolgt das durch Vorbilder, durch ein entsprechendes Führungsklima, durch begleitende CSR-Maßnahmen, und entsprechend nachgehaltene Prinzipien. Wo diese Dinge nicht vorliegen, drehen sich die operativen Grundkonflikte immer wieder in die Kostendiskussion und operativen Zielerreichungen. Am häufigsten schlägt sich das im Qualitätsmanagement nieder. Während die entsprechenden Vorgaben und Prozesse vorliegen und oft genug zertifiziert und auditiert sind, werden die entsprechenden Vorgaben nicht eingehalten, durchgewunken, bereits gesperrte Ware wieder entsperrt und Richtung PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 15 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Kunden verschifft. Minderwertige Grundstoffe werden toleriert, Grenzwerte überschritten, Toleranzen ausgeweitet, und alles, was die Performance gefährdet, geradegebogen. Das geht bis hin zum Fälschen von Protokollen oder Umprogrammieren der Steuerungssoftware. Der Druck der operativen Zielerreichung kann hier zu eine völlig freien Entfaltung von kreativen Manipulationen führen. In schlecht geführten Unternehmen findet hier ein schleichender Prozess statt, der das ursprünglich gewollte Qualitätsmanagement von allen Seiten her unterminiert. Während vordergründig beispielsweise Knowledge Management und TQM regieren, herrscht allerorten der Rotstift. Rohstoffe und Komponenten werden gegen günstigere, teilweise aber minderwertige Komponenten ausgetauscht. Qualität und Eingangstests entfallen aus Kostengründen. Die Maschinenlaufgeschwindigkeiten werden erhöht, das Qualitätsniveau gesenkt, entsprechende Kriterien aufgeweicht. Trotz einer zunehmenden Zahl von Zertifizierungen und Auditierungen kommt es in diesen Betrieben zu einem flächendeckenden Abfall an Qualität. An den Mitarbeitern in der Produktion gehen diese Prozesse nicht spurlos vorbei, denn diese haben ein ganz feines Gespür für die Qualitäten, die eigentlich produziert werden sollen. Durch die Summe dieser ganzen Erosionsprozesse entsteht ein operativer Entscheidungsdruck, der teilweise eine ursprüngliche Qualitätsführerschaft und die darauf basierende Unternehmenskultur völlig zunichtemachen kann. Hierdurch wird auch der moralisch richtig handelnde Manager untergepflügt. Denn der moralisch handelnde Manager ist nicht selbstverständlich. Er wird aber dringend benötigt; ein vorhandenes Wertekorsett und die Vorbildfunktion gehen hier Hand in Hand. Der „moralisch“ oder „ethisch“ korrekt handelnde Manager braucht zunächst ein Fundament: Er muss auch eine moralische Person sein. Nur wenn es gelingt, diese moralische Persönlichkeit gegen den operativen Kontext aufrecht zu erhalten, kann man sich eine Reputation, Integrität, und den Ruf einer moralisch und ethisch handelnden Führungskraft erwerben (Treviño et al. 2000). Die geführten Mitarbeiter sehen eigentlich immer beides: die moralisch handelnde Person und den moralisch handelnden Manager. Die Reputation, Integrität und Ehrlichkeit einer Führungskraft ruhen auf diesen beiden Säulen. Wenn eine moralisch schwache Person versucht, sich als moralisch handelnde Führungskraft zu etablieren, empfinden viele Mitarbeiter dies als eine Art Simulation und Scheinheiligkeit (siehe dazu die Abbildung 1). 7.65 Seite 16 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Abb. 1: Ausprägungen moralischer Manager und moralische Führungskraft (basierend auf Trevino et al. 2000: 137) Je mehr operative Entscheidungen getroffen werden müssen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, hier uneinheitlich handeln zu müssen. Das Problem ist, dass es vielen Führungskräften nicht gelingt, ihr internalisiertes Wertekorsett gegen den Druck der Zielerreichung aufrechtzuerhalten. Dies ist nur möglich in einer entsprechenden Unternehmenskultur mit einem geeigneten Führungsklima. Moralisch handelnde Personen haben ein stabiles Set von Charakteristiken und Verhaltensweisen und Entscheidungskriterien, die auf entsprechenden Prinzipien beruhen. Dazu gehören Integrität, Ehrlichkeit, und Vertrauenswürdigkeit, das Ernstnehmen der Fürsorge und Verantwortlichkeit und das Bemühen um objektiv nachvollziehbare, regelbasierte und faire Entscheidungen. Ohne klare Richtlinien und Regeln ist das entsprechend schwierig. In einer Unternehmenskultur, in der immer wieder gegen Regeln verstoßen werden kann, ohne dass dies geahndet wird oder andere Auswirkungen hat, ist es üblich, dass die Entscheidungen grundsätzlich zugunsten PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 17 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion von Kostendenken, Performance Management und Zielerreichung gehen. Hier stumpfen auch die besten moralischen Personen ab und fügen sich in ihr Schicksal. Das Ergebnis sind ethisch neutrale Führungskräfte. Wenn dann noch die allgemeine Führungskultur unvorteilhaft wird, können sich moralische Personen als moralische Manager nicht mehr durchsetzen. Dieses Phänomen ist weitaus verbreiteter als allgemein angenommen und verhindert auch das Wirken vieler CSR-Programme, die sich nicht in der Kultur verankern lassen. 4 Unternehmenskultur und Unternehmensklima Unternehmenskultur ist ein soziales Kontrollsystem und wird beeinflusst durch Prozesse, vor allen Dingen aber auch durch das Handeln von Menschen. Unternehmensklima kann verstanden werden als die Auswirkung dieses kulturellen sozialen Systems auf Individuen und Gruppen. Definiert, steuert und formt man eine Unternehmenskultur nicht, erhält man eine Bürokratie oder ein wertfreies Gebilde. Eine Unternehmenskultur basiert auf der Summe der „gelernten Reaktionen“, die wiederum auf den zugrunde liegenden Annahmen, Grundhaltungen und Glaubenssystemen basieren, die die Mitglieder einer Organisation miteinander teilen (Schein 2004). Hier gibt es eine große Erwartungshaltung, wie die Dinge in einer Firma ablaufen. Auch hier kommt es auf die Übereinstimmung von Worten und Taten an, welche Dinge geahndet werden, welche Dinge belohnt werden, und welche ignoriert werden. Daher klaffen auch Mission Statements, Visionen und andere Absichtserklärungen und wirkliche Unternehmenskultur so oft auseinander. Welche Firma versteckt sich beispielsweise hinter diesem Werte-Statement: „Respekt, Integrität, Kommunikation und Exzellenz“? Ändern sich Kultur und Klima nicht, verpuffen alle CSR-Programme wirkungslos, wenn es darauf ankommt. Man weiß heute: Nur auf die Führung vor Ort und auf die „echte“ Kultur kommt es an. Man denke an die Deepwater Horizon Katastrophe; die beteiligten Firmen BP, Transocean und Halliburton hatten allesamt komplexe CSR-Programme implementiert, sowie prämierte Sicherheits- und Risk-Management-Prozesse am Laufen und konnten dennoch alle unethisches Handeln vor Ort nicht verhindern und auch mit den Risiken nicht umgehen, und das aus einem Grund: operativer Druck (Mostovicz et al. 2011). Im Falle von Fukushima haben sich staatliche Aufsichtsbehörden, die Atomindustrie, und unab- 7.65 Seite 18 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 hängige Beobachter und Journalisten sämtlich korrumpieren lassen, allen Sicherheitsmaßnahmen und CSR-Prozessen zum Trotz. Kennzeichnend auch die Auflösung zur obigen Frage, denn diese „Werte“ gehörten zu ENRON, die Firma, die das mit ca. 60 Mrd. $ Schaden bislang teuerste Verbrechen der Wirtschaftsgeschichte zu verantworten hat. Bislang hatte die Leadership-Forschung das Wirken von Vorständen und Geschäftsführern überbetont, doch der größte Teil der Unternehmenskultur wird durch das tägliche Handeln von mittleren und unteren Führungskräften geformt (Martin et al. 2009). Die meisten Mitarbeiter haben es konkret mit diesen Führungsebenen zu tun. Hier muss die Personalentwicklung ansetzen und ihre Bemühungen verstärken. Dies kann nicht geschehen, ohne dass man sich klare Ziele in Bezug auf Ausprägung und Werthaltigkeit der Unternehmenskultur setzt. Hier kommt es vor allem und gerade auch auf die Definition einer Führungskultur als Teil der Unternehmenskultur an. Unternehmenskultur ist der Ausdruck der zugrunde liegenden Annahmen und erwarteten Verhaltensweisen. Das Unternehmensklima ist wiederum die empfundene Auswirkung dieser Kultur auf die Verhaltensweisen einzelner Personen und Führungskräfte. Steuert man Kultur und Klima nicht entsprechend, können die Auswirkungen verheerend sein. Motivation, Wir-Gefühl bzw. Teamgeist und der Wille zur Zusammenarbeit können hierbei erheblich eingeschränkt werden. Dies liegt natürlich auch am systemischen Charakter von Organisationen begründet. Wir konstruieren unser Bild von Welt. Organisationen sind daher voller unterschiedlicher Wahrheiten. Als Berater und Coach begegnet einem diese unterschiedliche Darstellung der jeweils konstruierten und empfundenen, wahrgenommenen Wahrheit typischerweise auf die folgende Weise: Die Mitarbeiter beschweren sich über ihren Chef, er (oder sie) höre nicht zu, nehme sie nicht wahr, schmetterte alle ihre Vorschläge ab, würde nicht auf sie eingehen, und jede Kreativität und Aktivität sofort im Keim ersticken. Der Chef wiederum beschwert sich über die Mitarbeiter, dass sie nicht proaktiv seien, sich nicht einbringen würden, keine nutzbringenden Vorschläge machen, und auch auf Aufforderung nicht aktiv würden. Hier hilft es nicht zu sagen, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, denn das Problem ist, dass beide Seiten jeweils berechtigterweise für sich reklamieren können, Recht zu haben. Denn so ist die jeweilige Perspektive und die Wahrnehmung, und so prägen diese empfundenen Wahrheiten auch die Unternehmenskultur samt der darin PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 19 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion wohnenden Führungskultur. Das Verstehen der unterschiedlichen Wahrnehmungen, das Aufheben der Grundkonflikte und die Schaffung neuer Perspektiven sind hier ein wesentlicher Ansatzpunkt. Ohne ein klares Bild von Führung und den damit verbundenen gewollten Werten, die sich in der Führungskultur dann auch niederschlagen und nachgehalten werden müssen, geht das nicht. Mehrere Fragen sind an dieser Stelle wichtig, die die Personalentwickler eines jeden Unternehmens für sich selbst beantworten müssen: Wie können produzierende Betriebe sicherstellen, dass moralisch eingestellte Personen auch als Führungskraft moralisch und ethisch richtig handeln können, und wie muss eine Führungskultur beschaffen sein, die eine entsprechende Unternehmenskultur mit sich bringt? 5 Die Problemfelder In der Produktion gibt es diverse Problemfelder, bei der die bisher genannten Problematiken zusammenlaufen. Je nachdem, wie mit diesen Problemen umgegangen wird, formen sich daraus die Führungskultur und ein entsprechendes Führungsklima. Hier ist nicht der Platz, auf alle Problemfelder detailliert einzugehen, aber zumindest sollen die zugrunde liegenden Zusammenhänge in den wichtigsten Feldern dieser Art aufgeführt und dargestellt werden. Hierzu gehören auch einige Bereiche, die von Personalentwicklern klassischerweise nicht unbedingt in Betracht gezogen werden. 5.1 Produktentwicklung Die Produktentwicklung wird hier der Vollständigkeit halber aufgelistet. In vielen produzierenden Betrieben treten in diesem Bereich große Schwächen zutage, da die verschiedenen Bereiche, die an der Produktentwicklung beteiligt sind, nicht miteinander synchronisiert sind. Die Folgen: Produkte, die nicht rechtzeitig oder mangelhaft aktualisiert werden, am Markt vorbei entwickelt werden, oder an den produktionsspezifischen Stärken und Schwächen der angeschlossenen Produktion oder der Zulieferer vorbei entwickelt werden. Die Fähigkeiten der Produktion ändern sich auch im Laufe der Zeit, daher ist es immer auch ratsam, die technische Planung mit einzubeziehen. Auch hier kann immer wieder festgestellt werden, dass die entsprechenden Kontakte nicht gepflegt sind. 7.65 Seite 20 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Probleme im Produktentwicklungsprozess (PEP) sind insbesondere dann ein Problem, wenn der Vertrieb die Erkenntnisse, die anhand von Kunden-Feedback oder anderen Rückläufen gewonnen werden, nicht an die Produktentwicklung weitergibt. Die Produktentwicklung hat eine oft unterschätzte Bedeutung für die Zielkonflikte in der Produktion; hierbei geht es um die Produktionsverfahren, die Materialien, die Kostenstruktur und deren Zielvorgaben, vor allen Dingen aber auch die durch Vertrieb und Marketing eingepreisten Absatzziele, die wiederum die vorgenannten Faktoren stark beeinflussen. Die unterschiedlichen Berechnungen von Stückgutkosten, Materialien, gekoppelt an die Absatzziele, basieren häufig auf überoptimistischen und geschönten Prognosen, die wiederum ebenfalls aus Erfolgsdruck und der Notwendigkeit, kalkulatorische Ziele erreichen zu müssen, stammen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Am meisten aber leidet die Produktion unter diesen Fehlstellungen, denn die Summe der Entscheidungen im Vorfeld bildet nun mal das Geflecht an KPIs, die erreicht werden müssen. Regelmäßig laufen hierbei die Kosten aus dem Ruder, die Produktion muss zurückgefahren werden, die Kalkulation der Stückgutkosten und der Maschinenauslastung stimmen vorn und hinten nicht mehr, und der Druck auf die Produktion steigt erneut. Kommt es dann noch zu unvorhergesehenen Produktionsausfällen durch Maschinenstillstand, zu einem hohen Krankenstand, zu Qualitätsproblemen bei Roh- oder Zuschlagstoffen, zu Lieferantenengpässen oder Streiks, sind hohe Verluste vorprogrammiert. Die Personalentwicklung muss daher regelmäßig im Auge haben, dass diese Bereiche miteinander gut verdrahtet sind, aber eben nicht nur auf dem Organigramm, sondern real. Ein Irrglaube ist außerdem die Annahme, dass ein Innovationsbeauftragter in der Lage ist, die Unternehmenskultur derart zu ändern, dass plötzlich und entgegen aller bislang andersartig laufenden Prozesse Innovationen aus dem System heraus entspringen können. Der Merksatz hier lautet: Innovationen finden immer nur zwischen den Systemen statt, aber nicht innerhalb eines Systems. Der globalisierte Wettbewerb hat bei vielen produzierenden Unternehmen dazu geführt, dass die Produktentwicklung mit all ihren Schwächen Probleme bereitet. Die Erhöhung der Innovationskraft ist daher notwendig, gelingt aber nur, wenn auch die Unternehmenskultur entsprechend angefasst wird, und mit der Erhöhung PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 21 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion der Kooperationsbereitschaft und des Willens zur Zusammenarbeit einhergeht. Auch dies ist eine ganz klare Aufgabe für eine Führungskultur, die entsprechendes leisten muss. Die Personalentwicklung muss es sich daher zur Aufgabe machen, die gewollte Führungskultur zu definieren und zu formen. Gelegentlich wird dies versucht, indem eine neue Truppe von Produktentwicklern eingestellt wird, häufig mit dem Auftrag verbunden, „alles neu“ zu machen. Kennen Sie den Spruch: „Hier darf kein Stein auf dem anderen bleiben“? Wehe, die derart Beauftragten legen tatsächlich einfach los. Die Unternehmenskultur wehrt sich gegen diese Veränderungen, häufig Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam. Hier gilt es, die neuen Produktentwickler im Produktentwicklungsprozess, aber auch in Change Management und Innovationsmanagement zu schulen, und eine besonders intensive Induction in den Tiefen der Produktion zu gewährleisten – Stichwort: rein in den Blaumann. Hier kann es sonst zu regelrechten Kulturkämpfen kommen, wie sie bereits bei der Problematik Kosten vs. Qualität versteckt, aber vielfach vorzufinden sind. Dazu gehört es auch, die strategischen Zielvorgaben auf den Prüfstand zu stellen. „What you measure is what you get“ – das ist den meisten Managern noch bekannt. Dennoch wird diese Erkenntnis häufig nicht in ein entsprechendes Handeln umgesetzt. 5.2 Performance Measurements Dass zur Zielerreichung viele Performance Measurements manipuliert werden, wurde bereits gesagt. Ein weiterer klassischer Schwachpunkt in vielen Fabriken sind schwer zu bedienende Einmeldepunkte, wo es immer wieder zu Fehleingaben oder Missverständnissen kommt. So werden zum Beispiel von der Spätschicht bereits bearbeitete Teilmengen eingemeldet, die von der Nachtschicht mit der Gesamtmenge eines Batches gerade wieder eingegeben werden. Dies führt oft zu fehlerhaften Bestandsmengen. Und obwohl dies in vielen Betrieben eine dauerhafte Fehlerquelle ist, wird nicht in die entsprechenden Schulungsmaßnahmen investiert. Da aber die Datenmengen wiederum in die Kalkulationen und Prognosen einfließen, schaukeln sich diese Fehlerquellen immer wieder hoch. Im Extremfall sind das die Betriebe, die jemand ins Lager schicken müssen, um die realen Bestände manuell zu überprüfen und zu zählen, weil man sich auf die Datenbestände im ERP nicht verlassen kann. 7.65 Seite 22 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Je nach dem Druck, der gerade im Kessel herrscht, kann die Schichtübergabe hier zu den wunderlichsten Konstellationen führen. So gibt es in manchen Betrieben Schichten, die kurz vor Schichtende noch mal einen neuen Produktionslauf anfangen, nur um die Maschinenstraße nicht reinigen zu müssen, wie es das Übergabeprotokoll eigentlich vorsieht. Auch die Arbeitsvorbereitung und der Vertrieb spielen hier diverse unrühmliche Rollen, denn durch vorgezogene oder Eilaufträge wird die laufende Produktionsplanung immer wieder über den Haufen geworfen. Dies geht zulasten der Performance. Besonders beliebt ist es, wenn mit einer Anlage, die gerade dunkle Farbstoffe verarbeitet hat, plötzlich helle Farbtöne erzeugt werden müssen. Vielfach verstößt diese laufende Umpriorisierung der Produktionsplanung gegen viele bewährte Prozesse des Umrüstens und der Abfolge von Produkten. Man kann durch Training zum „Umrüstkönig“ werden, aber irgendwo sind die Grenzen dessen, was noch sinnvoll und möglich ist, überschritten. Entsprechend mehr Mühe muss die Produktion sich geben, ihre Ziele noch zu erreichen. Die wenigsten Betriebe verstehen es, Planungspuffer und Reservekapazitäten zuzulassen, sondern aus Kostengründen geht die Tendenz eher dazu, die Produktionskapazität quasi zu 110 % verplanen. So werden häufig Maschinenstraßen, die früher von vier Personen bedient wurden, heute mit drei Personen gefahren. Entsprechend steigt der Druck auf die Performance wiederum an, und die Mitarbeiter fangen an, Maßnahmen des Selbstschutzes dagegen zu ergreifen. Sobald ein gewisses Maß an Druck überschritten wird, greift dieser Mechanismus. Neue Mitarbeiter werden regelmäßig geschult, die theoretisch vorliegenden Ziele nicht zu erreichen, damit der Leistungsdruck für das Team nicht zu groß wird. Im Extremfall führt dies dazu, dass Schichten versuchen, sich gegenseitig herunterzuziehen, oder zumindest nicht gegenseitig zu übertreffen. Eine genaue Planung und eine gut getaktete Produktion zu erreichen, ist daher das oberste Ziel, das aber wiederum nur durch das gemeinsame Handeln, die Zusammenarbeit und die Kooperation der einzelnen, betroffenen Bereiche herbeigeführt werden kann. Ohne eine entsprechende Führung und Personalentwicklung geht das nicht. Falsche und überzogene Zielvereinbarungen, KPIs und Performance Measurements sind eine der größten Quellen für den Frust, der in der Produktion vorherrschen kann. Man hat nur eine Produktionskapazität: diese sollte man so gut wie möglich schützen, und das ist eine GemeinPersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 23 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion schaftsaufgabe. Viele Zielkonflikte werden jedoch auf dem Rücken der Produktion ausgetragen, wodurch der Druck, Ziele erreichen zu müssen, soweit ansteigen kann, dass die Führungskultur umkippt. 5.3 Interner Wettbewerb Eine unrühmliche Rolle in dieser Dynamik spielt vor allen Dingen auch der interne Wettbewerb. Viele Produktionsleiter und Führungskräfte in der Produktion haben sich es zur Angewohnheit gemacht, mit Drohkulissen wie Auslagerung, Outsourcing oder Fremdvergabe zu drohen, oder, wenn es sich um größere Konzerne mit mehreren Produktionsstandorten handelt, damit zu drohen, dass ein Produkt an eine andere Produktionsstätte innerhalb des Konzerns verlagert wird. Mit derartigen Drohungen wird auch dann gearbeitet, wenn es sich eher um kleine Probleme handelt. Anstelle einer Ursachenforschung kommt hier gleich die Verlagerungskeule, mit entsetzlichen Folgen für das Klima und die Mitarbeiterzufriedenheit. In Betrieben, wo dieser interne Wettbewerb angestachelt und angefacht wird, sind Klima und Zufriedenheit sowie die Mitarbeitermotivation regelmäßig am Boden. Im Extremfall kann dies bedeuten, dass über 80 % der Belegschaft deutlich unzufrieden sind und am liebsten sofort die Stelle wechseln würden. Es ist bekannt, dass dieser internen Kündigung nicht immer sofort auch Taten folgen, denn der Schmerz, sich neu zu orientieren und eine andere Stelle auch zu finden und dann wechseln zu müssen, ist häufig noch größer, als den Schmerz leidend zu ertragen. Für die Gesamtperformance hat eine derart demotivierte Belegschaft jedoch nichts Gutes. Viele Betriebe überleben eigentlich nur dadurch, dass sie in sehr strukturschwachen Gebieten angesiedelt sind, wo die Mitarbeiter mangels Alternative an dem Betrieb gebunden sind, weil sie sonst überlange Pendlerstrecken bewältigen müssten. Man kann so überleben, aber die Überlegung muss eigentlich in diese Richtung gehen: Wenn man mit einer derartig demotivierten Belegschaft überleben kann, wie viel Profitabilität ist eigentlich erreichbar, wenn dieselbe Mannschaft plötzlich motiviert arbeiten würde? Leider gibt es immer wieder Betriebe, die nur onlinegestützte Mitarbeiterzufriedenheitsanalysen durchführen, und bei allen derartigen Projekten die Produktionsstätten übergehen. Man kriegt das Gefühl, viele Vorstände wollen es gar nicht wissen, was in der Produktion wirklich los ist. Hierdurch wird viel Potenzial verschenkt. Am Ende gilt auch hier: weniger ist mehr, denn eine einzige Produktverlagerung wirkt sehr viel stärker in das Problembewusstsein als eine tau- 7.65 Seite 24 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 sendfache Androhung. Das Arbeiten mit Erpressung, Weitergeben von Druck und mit Drohungen ist leider ein Führungsstil, der immer weiter um sich greift, je stärker der Druck ansteigt. Hierdurch wird ein gutes Führungsklima zerstört. Der interne Wettbewerb drückt sich häufig auch dadurch aus, dass interne Ziele wie X per Minute, Meter per Stunde, Menge pro X usw. dadurch erreicht werden, dass einzelne Abteilungen sich gegenseitig problembehaftete Ware zuschieben. Dies in der Hoffnung, der qualitative Mangel schlägt sich in der benachbarten Abteilung in den Büchern nieder. Auch, wenn es um die Themen Abfall und Ausschuss geht, wird gelogen und gebogen, was das Zeug hält. Denn gerade in recyclinglastigen Betrieben kann das Thema Abfall zu einem echten Streitpunkt werden, je nachdem, wie die Materialkreisläufe berechnet werden. Performance Management ist eine der wesentlichen Stellgrößen von Governance, und beeinflusst das Führungsklima in den Betrieben daher äußerst stark. Eine intelligente Überprüfung sämtlicher KPIs hat daher eine stark prägende Auswirkung auf die Führungs- und Unternehmenskultur. Diese Zusammenhänge werden oft so nicht gesehen, und sind ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Personalentwicklung. 5.4 Schlechte Führungsqualitäten Es gibt ein ganzes Sammelsurium an schlechten Führungseigenschaften, die sich negativ auf das Führungsklima und entsprechend auf die Motivation der Mitarbeiter niederschlagen. Diese Führungseigenschaften oder Charakteristiken werden von den Mitarbeitern häufig als einhergehend mit einem Mangel an Integrität und Ehrlichkeit beschrieben. Das Problem hierbei ist, dass in den Fabriken nicht einfach nur schlechte oder mangelhaft ausgebildete Führungskräfte den Ton angeben, sondern dass der operative Druck, wenn man nicht gegensteuert, immer mehr in diesen schlechten Verhaltensweisen seinen Niederschlag findet. Wie bereits angemerkt, kippt dann das Führungsklima. Die folgende Liste ist bei weitem nicht vollständig und nennt einige der beobachteten Verhaltensweisen, die hierbei besonders häufig anzutreffen sind: – unfaire Kritik, unfaire Bemerkungen, – Bevorzugung und Günstlingswirtschaft, Seilschaften, PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 25 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion – Schuldzuweisungen und Suche nach einem Sündenbock, – das Zurückhalten von Informationen, – Unehrlichkeit, Lügen, Manipulation, – Schweigekartelle, – Weitergabe von Druck, – Gebrüll, auch wenn die Ziele erreicht sind, – unfaire oder intransparente Verteilung von Bonusgeldern, – Weiterreichen von Qualitätsproblemen, – Manipulieren und Fälschen von Kennzahlen, – Führen durch Erpressen oder Drohen, – Führen durch Druck und Abmahnungen, – Verallgemeinerung von Bagatellen, – unethisches Verhalten, – ungehobelte und unmenschliche Führung, – „Bote schlechter Nachrichten wird erschossen“-Syndrom, – Führungskräfte sind ignorant und unterstützen nicht, – langsame Entscheidungen auch wenn es dringend ist, – Führungskräfte verstecken sich, wenn sie gebraucht werden, – Führungskräfte, denen man nicht vertrauen kann, – mangelnde Integrität, kein Vertrauen, fehlende Ehrlichkeit, – mangelnde oder völlig fehlende Wertschätzung, – „Schimpfen“ und „Anbrüllen“ als bevorzugte Form der Führung. Die Summe dieser schlechten Führungsqualitäten schlägt sich, wie bereits geschildert, in Verlust des Wir-Gefühls, der Motivation, und in einem sehr schlechten Betriebsklima nieder, in dem die Mitarbeiter stark unzufrieden sind. Obwohl dies auf der Hand liegt, ist es erstaunlich, in wie vielen Produktionsstätten ein derartiger Umgangston toleriert wird. Auf Dauer beeinträchtigt dies Kultur und Klima, lähmt die Performance, und führt dazu, dass weit hinter den eigentlichen Möglichkeiten produziert wird. Erklärt werden kann die Häufigkeit dieses Phänomens nur, weil zu wenige Personalabteilungen sich um das Betriebsklima in den Produktionsstätten kümmern. 7.65 Seite 26 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Es gibt wenige Untersuchungen über die Folgen dieser Betriebsblindheit. Durch die Behebung derartiger Missstände und eine Verbesserung von Klima und Kultur, so die Erfahrung aus einigen meiner Projekte, können innerhalb von wenigen Monaten über 30 prozentige Umsatzsteigerungen erreicht werden. Projekte, die vor allen Dingen die Verbesserung der Kooperationsbereitschaft und der Zusammenarbeit verbessern, können mit mehrmaligen Umsatzverdoppelungen und das über mehrere Jahre hinweg, einhergehen. Das sollte zu Denken geben. Häufig werden schlechte Führungsqualitäten toleriert, weil man es mit vermeintlichen „Regenmachern“ und „Umsatzbringern“ zu tun hat. Gerade im Vertrieb ist diese Geisteshaltung häufig anzutreffen. Nicht kalkuliert werden dagegen die Kosten, die das Gesamtsystem aufbringen muss, um Choleriker, sexistische, oder sonst wie ungehobelte Führungskräfte ertragen zu müssen. Auch der an und für sich unerträgliche Vertriebsleiter, der gute Ergebnisse bringt, wird nie daran gemessen, wie viel an Ergebnissen eigentlich drin sein müsste, wenn er (oder sie) sich besser mit seinem Umfeld verstehen würde. Wie viele andere Kunden verprellt wurden, wird nicht gemessen. Der Schaden für die Gesamtperformance wird nicht kalkuliert. Die Leiden der Opfer und die geraubte Energie ebenso wenig. Negative Interaktionen mit fiesen Zeitgenossen wirken sich allerdings fünfmal stärker auf unser Gemüt aus als positive. Der Einfluss negativer Energie auf Unternehmen ist weitaus nachhaltiger als vielfach angenommen. Vielfach ziehen Mitarbeiter sich zurück, weil sie Angst haben, zur Zielscheibe negativer Führungsqualitäten zu werden. Hierbei reden wir noch nicht von Mobbing oder sexuellen Übergriffen, sondern einfach nur von schlechter Führung. Die Kosten: sinkende Leistungsfähigkeit von Individuen und Teams, häufiger Personalwechsel, höherer Krankenstand, niedrige Arbeitsloyalität, Ablenkung, und eine Performance unterhalb der eigentlichen Möglichkeiten. Die Erfassung der Kosten und der Minderleistung ist extrem schwierig, doch gehen Schätzungen davon aus, dass beispielsweise eine cholerische Führungskraft alleine Opportunitätskosten an interner Aufmerksamkeit von 120.000 A im Jahr mit sich bringt (Sutton 2007). Hierbei sind entgangene Geschäfte und externe Opportunitätskosten noch nicht mit eingerechnet. Die Folgen von schlechter Führung schlagen sich natürlich auch im Kooperationsverhalten und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit unmittelbar nieder. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 27 7.65 6 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Führungskultur und Führungsklima: Zusammenarbeit und Kooperationsfähigkeit Wie bereits aufgeführt, schlägt sich der operative Druck, gepaart mit schlechten Führungsqualitäten, in einem schlechten Arbeitsklima nieder. Dies geht regelmäßig einher mit dem Verlust des Team- oder WirGefühls, des Zusammengehörigkeitsgefühls, und einer niedrigen Arbeitsmotivation bei gleichzeitiger, hoher und andauernder Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz. Verschärft wird diese Problematik regelmäßig durch Seilschaften, dem „Old Boys Network“, das sich gerade in traditionsbehafteten Betrieben oft wiederfindet, und dem häufig Produktionsleiter, Firmeneigentümer, teilweise aber auch externe Meinungsmacher und Entscheider angehören. Es ist eine knochenharte Aufgabe für Personaler, die sich aber lohnt, diese Netzwerke zu zerschlagen und durch eine besser geeignete Führungskultur zu ersetzen, denn dies bringt regelmäßig deutliche Performancesteigerungen mit sich. Ebenso ist hier auf die Gesamtgemengelage zu achten: Ein schlechtes Betriebsklima, gepaart mit niedriger Motivation, schlechtem Führungsverhalten und vielen ungelösten Zielkonflikten, lähmt die Performance des gesamten Produktionsbetriebes. Zusammenarbeit und Kooperation erhält nur, wer sich um ein entsprechendes Führungsklima bemüht. Dies fängt bei dem individuellen Verhalten einzelner Führungskräfte, Schichtleitern und Abteilungsleitern, an. Vor allem dann, wenn es um unbewältigte Konflikte geht. Immer wieder erlebe ich, dass die Belegschaften ganzer Abteilungen in einen Krieg der Führungskräfte hineingezogen werden. Für viele Mitarbeiter ist es unmöglich, hier neutral zu bleiben, denn die Führungskräfte lassen dies nicht zu. Wenn zwei Abteilungsleiter sich streiten, leidet in der Regel ein ganzer Betrieb darunter, dessen Performance in vielen Bereichen abnimmt. Je nach dem Persönlichkeitsprofil der betroffenen Führungskräfte können diese Konflikte bis zur offenen Sabotage hinauslaufen. Viele Personalabteilungen oder Firmenleitungen scheuen sich davor, klare Personalentscheidungen zu treffen, und den Konfliktherd durch den Austausch einer oder beider oder mehrerer Beteiligten klar zu beenden. Auch hier werden die Kosten nicht kalkuliert, können aber in die Millionen gehen (Sutton 2007). 7.65 Seite 28 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Worauf ist zu achten, wenn man seinen Betrieb diesbezüglich analysieren möchte? Hierüber gibt Abbildung 2 Aufschluss. Abb. 2: Effizienzgrad und die Fähigkeit zur Performance von Organisationen Um den Effizienzgrad und die Fähigkeit zur Performance von Organisationen zu analysieren, teile ich jeweils die Aktivitäten in • eine Produktionszone, in der es vor allem um die Kernprozesse der Produktion geht, • eine Prozesszone, wo die unterstützenden Prozesse und systemischen Einflussfaktoren sich niederschlagen, • eine Koordinationszone und in • eine Kooperationszone. In den beiden letztgenannten Zonen kommt es vor allen Dingen auf den Willen zur Zusammenarbeit an, wie die unterstützenden Prozesse sich auswirken, und ob die entsprechenden kooperativen Führungsqualitäten überhaupt gegeben sind. Die Koordinationsfähigkeit basiert auf guter Planung, Effizienzen und entsprechender, guter, kooperativer und vorausschauender Führung. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 29 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Es lassen sich immer verschiedene Problemfelder identifizieren, die je nach vorherrschenden Komplexitätsgrad durch Personen, Prozesse, Instrumente oder eine entsprechende kulturbildende Kommunikation aufgelöst werden müssen. Das Ziel in all diesen Fällen ist es, die Kooperationsbereitschaft und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu erhöhen, damit die gesamte Organisation effizienter wird und die Performance steigt. Dabei kommt es immer wieder auf das Performance-Management an. Warum das so ist, ist schnell erklärt: Was man misst, erhält man auch. Sobald wir anfangen, Lehrer danach zu bewerten, wie viele gute Schüler sie haben, haben wir einen Notendurchschnitt von 1,0 – denn Organisationen richten sich an ihren Kennzahlen aus (Neely 1998). Das ist Fluch und Segen gleichermaßen, denn einerseits werden so Strategien implementiert, andererseits erkennen wir anhand von Kennzahlen immer nur das, was gestern war. Wenn man auf diese Art und Weise eine Organisation analysiert, stellt man immer wieder fest, dass der Drang zur lokalen Perfektion – der sich in Performance Measurements und KPIs niederschlägt – dazu führt, dass diese Ziele nur auf Kosten der Ziele von benachbarten Abteilungen erreicht werden können. Jede Abteilung versucht sich selbst innerhalb seines Einflussbereichs so stark wie möglich zu optimieren, wodurch die Effizienz des gesamten Systems stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Viele verschiedene lokale Maßnahmen schaukeln sich so zu jeder Menge Sand im Getriebe auf, man kann es wirklich kaum anders beschreiben. Je stärker das Profitcenter-Denken in einem Konzern verankert ist, das muss an dieser Stelle ganz klar betont werden, desto mehr optimieren sich die einzelnen Bereiche auf Kosten der anderen. Da die einzelnen Ziele immer wieder auf die Bereiche heruntergebrochen und operationalisiert werden, fehlt der gesamthafte Überblick, den auch das oberste Management oft nicht mehr hat. Die Art des oben aufgezeigten Überblicks, gepaart mit den analytischen Bausteinen meines Transformationsmodells, die ich normalerweise hierbei einsetze, erlaubt es, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die aufgefunden Problemfelder dauerhaft zu beseitigen. Im Übrigen funktioniert das Performance Management immer dann am besten, wenn man die Mitarbeiter mit einbezieht und die Ziele und deren Realisierung und Durchführbarkeit gemeinsam formuliert und festlegt (Gruman/Saks 2011). Dies geht immer einher mit der Etablierung einer geeigneten Führungskultur, die in diesem Fall natürlich darauf abzielt, 7.65 Seite 30 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Zusammenarbeit und Kooperation zu erreichen. Ohne die begleitenden Prozesse wie die Neugestaltung bzw. Überprüfung des Performance Management geht es nicht. Im operativen Kontext, wie er für die Produktion typisch ist, bedeutet das, dass Unternehmenskultur und Unternehmensklima der Gesamtperformance und der Effizienz des gesamten Systems untergeordnet werden müssen. Personalentwickler, ob sie wollen oder nicht, müssen sich daher mit Controllern und dem Vertrieb, der für die Absatzprognosen zuständig ist, zusammensetzen, um die notwendige Zusammenschau zu betreiben, die nötig ist, eine geeignete Führungskultur zu entwickeln. Recruiting, das Erstellen von Stellenprofilen, Neueinstellungen, Neubewertungen, und Umstrukturierungen sind möglicherweise notwendig. Wesentlich ist, dass alle Führungspositionen sich mit der gewünschten Führungskultur auseinandersetzen müssen, sich an den hier beschriebenen Werten und Zielvorstellungen auch messen lassen müssen, und durch entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen die Belegschaft dabei begleitet wird, sich in diese Richtung zu entwickeln. Das ist natürlich teilweise angewendetes Change Management, jedoch, wenn es gelingt, dies an den richtigen Schaltstellen mit ethischer Führung und dem Schaffen von Vorbildern zu verbinden, können diese Veränderungen sehr schnell über die Bühne gehen. Wesentlich ist, dass man Führungskräfte und Belegschaft auf dieser Reise nicht alleine lässt. Man darf sich aus den in der Produktion vielfach anzutreffenden Zielkonflikten nicht heraushalten. Machen Sie die entsprechenden Analysen, denn die zu erreichenden Effizienzsteigerungen sind immens, und das interessanterweise gerade in denjenigen Betrieben, die von sich glauben, sie wären bereits überoptimiert. Man sollte sich hierbei auch nicht von der Fülle an Literatur im Bereich Change Management beeindrucken lassen, wo so häufig betont wird, das es die Königsdisziplin ist, eine Unternehmenskultur anzufassen und zu verändern. Denn in dem Augenblick, wo eine klare Führungskultur definiert und nachgehalten wird, verändert sich die Unternehmenskultur von ganz alleine. Wie geführt wird, mit welchen Qualitäten, ist hierbei leider im Produktionsbereich ein Feld, das immer wieder stark vernachlässigt wird. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 31 7.65 7 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Gesundheitsmanagement Und das schlägt sich gnadenlos auch in Abwesenheiten und Krankheitstagen nieder; Statistiken, die so mancher knapper Kostenkalkulation den Boden entzogen haben. Meinen Erhebungen zufolge ist der Krankenstand in denjenigen Betrieben, in denen Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter sowie das Betriebsklima besonders am Boden sind, mehr als doppelt so hoch wie in anderen Betrieben. Auch hier fällt auf, dass in extremen Fällen die Mitarbeiter dazu übergehen, sich in einer Art Selbstverteidigung krank zu melden und ihr Heil in einer Art Flucht vom Arbeitsplatz suchen (Stichwort „Absenteeism“). Schlechte Führung und ein schlechtes Betriebsklima unterminieren die Widerstandskraft der Mitarbeiter (Stichwort „Resilienz“). Hierbei ist anzumerken, dass immer mehr Betriebe, vor allen Dingen, wenn sie größeren Konzernen zugehörig sind, sich mit dem Thema Resilienz beschäftigen. Teilweise bekommt man allerdings den Eindruck, dass es hierbei nicht darum geht, die Ursachen für die Störungen zu beseitigen, sondern eher darum, sich Mitarbeiter zu suchen, die noch resistenter gegen Stress sind. Es geht hier nicht darum, dem Trend des Burn-Out-Syndroms das Wort zu reden. Doch lässt sich aufgrund der Daten aller größeren Krankenversicherungen feststellen, dass es in den letzten Jahren eine hohe Zunahme bzw. ein geradezu exponenzielles Wachstum bei den psychologischen Erkrankungen gegeben hat. Und zwar bei solchen, die sich auf zunehmenden Stress bei der Arbeit, wachsenden Wettbewerb und anderen Stressoren zurückführen lassen (Wellensiek 2011). Destruktives oder despotisches Führungsverhalten kann ebenfalls ein großer Auslöser von derart psychologischen Erkrankungsbildern sein (Padilla 2007). Typisch hierfür ist eine Gemengelage von ungeeigneten Führungskräften, resignierten Mitarbeitern, einem dauerhaften Verfehlen von Zielen, unerreichte Ambitionen, niedrigen Reifegraden in der Führung, und einem Fehlen von Werten. Hinzu kommen die Instabilität, die die Ausgangssituation mit sich bringt, die ständige Bedrohung der Mitarbeiter durch unfähige Führungskräfte, das Fehlen korrektiver Maßnahmen und einer moralischen Governance, sowie zahlreiche weitere Ineffizienzen. Mit anderen Worten, der psychologische Vertrag wurde aufgekündigt bzw. das psychologische Kapital ist verbraucht. 7.65 Seite 32 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 • Der psychologische Vertrag regelt bekanntlich die gegenseitigen Erwartungen von Arbeitsumfeld, Entgelt und Sicherheit gegen die Arbeitsleistung. • Das psychologische Kapital, als gemeinsame Willenserklärung von Unternehmen und Mitarbeiter verstanden, lässt sich am besten wie folgt umschreiben: Die Wirkungskraft des gemeinsamen Wirkens, verstanden als Vertrauen, dass die eingesetzten Bemühungen sich positiv niederschlagen, Hoffnung, Optimismus und eine Art Widerstandskraft, verstanden als Willen und Fähigkeit, dass Probleme gemeinsam überwunden werden können (Walumbwa et al. 2010). Je stärker sich schlechte Führungsqualitäten in einer Organisation niederschlagen, desto eher führt dies dazu, dass der psychologische Vertrag aufgekündigt und dieses Kapital verbraucht wird, die Mitarbeiter resignieren, und in der Folge davon oft auch krank werden. Oder im Zweifel eben, wenn Konflikte drohen oder bevorstehen, sich auch schon krank melden, bevor es so weit ist. Eine Art Selbstschutz sowie die tatsächlich gegebene Notwendigkeit, sich unter Umständen gegen schlechte Führung schützen zu müssen, können dies zur Folge haben. Fakt ist, dass in schlecht geführten Betrieben der Krankenstand besonders hoch ist. Spitzen bis zu 15 % Krankenstand bzw. krankheitsbedingte Abwesenheit sind dann möglich. Konstante Abwesenheiten von 8-10 % können in einem derartigen Umfeld dauerhaft normal sein. Je nach Branche, und ob es sich um Services oder schwere Industrie handelt, wären Zahlen zwischen 4-5 % normal. Der holländische oder deutsche Durchschnitt pendelt je nach Statistik und Studie zwischen 4-5,7 %. Der Schaden für die Performance und die Effizienz lässt sich kaum beziffern, ist aber immens. Selbst wenn man den Krankenstand nur mit 1,6 % ansetzt, verlieren Länder wie die USA jedes Jahr 400 Millionen, und Großbritannien 175 Millionen Arbeitstage. Das Fazit: Schlechte Führung macht krank. Man muss als Personalentwickler jetzt nicht unbedingt ein weiteres Fass aufmachen und das Thema Gesundheitsmanagement auch noch angehen, erreicht aber, indem man die Führungskultur stärker berücksichtigt und entsprechend formt, geeignete, regulierende Effekte und wirksame Gegenmaßnahmen. Ethische Führung kann hier Wunder wirken. Die Gefahr, die der Performance des Gesamtunternehmens durch schlechte Führung droht, wird vielfach unterschätzt. PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 33 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion Hier kann und muss die Personalentwicklung handeln. Dazu muss sie sich ein Bild verschaffen, wie es in der eigenen Produktion aussieht, wie es um die Führungskultur und das Betriebsklima bestellt ist. Kein Unternehmen kann es sich auf Dauer leisten, gegen die eigenen Angestellten zu agieren. In genau diesen Krieg, ob nun getrieben durch Unvermögen oder ungeeignete Zielvorgaben, ziehen aber manche Führungskräfte. Die gute Nachricht ist, dass Personalentwickler hier ein dankbares Umfeld antreffen, in dem viel bewirkt und erreicht werden kann. 8 Zusammenfassung Das Umfeld der Produktion ist regelmäßig ein von Personalentwicklungsmaßnahmen unberührter Bereich. Hier menschelt es an allen Ecken und Enden, denn der operative Kontext führt dazu, dass ein hoher Druck im Kessel herrscht. Dies drückt sich in einer entsprechenden Führungskultur aus; wie es menschelt, und wie man es also mit der Führung hält, muss von der Personalentwicklung entsprechend analysiert und gesteuert werden. Die Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte auch in den Bereichen, in denen es bisher keine Führungskräftetrainings gegeben hat, ist dazu zwingend erforderlich. Dies betrifft den fachlichen Bereich (Schichtübergabe, Maschinen und Bedienung, Verfahrenstechnik, Arbeitssicherheit) und den Bereich der Führung. Hierzu ist eine Zusammenschau auch des Umfelds nötig, denn der operative Kontext wird durch Kosten-Controlling, strategische Vorgaben, Performance Management und weiteren Vorgaben definiert und gesteuert. Alle diese Bereiche müssen an die geeignete Form der Führungskultur angepasst werden. Auch die Formen der Unternehmenskommunikation und des Zugangs der Mitarbeiter in der Fabrik zu Informationen ist häufig damit einhergehend zu verbessern. Die Formen schlechter Führung, ungeeignete Führungsqualitäten, unmoralische und unethische Führung sind unbedingt zu beseitigen, denn sie haben verheerende Auswirkungen auf Motivation, Klima, und Performance. Formen guter und geeigneter bzw. ethischer Führung, am besten verbunden mit einer Vorbildfunktion, sind stattdessen einzusetzen. Integrität und Vertrauen sind wiederherzustellen. Die vorherrschende Kultur sollte derart gestaltet sein, dass moralisch handelnde Personen auch moralisch handelnde Manager sein können. 7.65 Seite 34 PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 Hierbei hat es sich bewährt, in die Bereiche der Kooperationsbereitschaft und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit hineinzuschauen. Mit gezielten Personalentwicklungsmaßnahmen können hier große Verbesserungen schnell und sicher herbeigeführt werden. Entsprechende Analysen, angefangen bei Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation und Unternehmensklima bis hin zur umfassenden Analyse der verschiedenen Bereiche von Produktion, Prozess, und Kooperation, können entsprechende Daten für Personalentwicklungsmaßnahmen liefern. Gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Führungsqualität im Produktionsbereich können auch dazu beitragen, den Krankenstand schnell und dauerhaft zu senken. Von Personen mit einer stark negativen Ausstrahlung sollte man sich dabei zügig und beherzt trennen, denn dies beeinflusst die Führungskultur sehr stark positiv, und rechnet sich, wenn man die Opportunitäts- und Folgekosten einrechnet. 9 Literatur Avey, James B./Wemsing, Tara S./Luthans, Fred (2008): Can Positive Employees Help Positive Organizational Change? Impact of Psychological Capital and Emotions on Relevant Attitudes and Behaviors. Journal of Applied Behavioral Science, 44 (1): 48–70 Bachmann, Bernhard (2015): Concepts of Ethical Leadership and their Potential Implementation in Organisations: An Operational Perspective, DBA Thesis, Edinburgh Barnes, Charles (2007): Why Compliance Programs Fail: Economics, Ethics and the Role of Leadership. HEC Forum, (19) 2: 109–123 Brown, Michael E./Mitchell, Marie (2010): Ethical and Unethical Leadership: Exploring New Avenues for Future Research. Business Ethics Quarterly, 20 (4): 583–616 Brown, Michael E./ Treviño, Linda K. 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