Klinische Untersuchung des Kniegelenkes

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Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Klinische Untersuchung
des Kniegelenkes
J. Zacher
Helios Klinikum Berlin−Buch, Klinik für Orthopädie und Orthopädische Rheumatologie
Schmerzen und Funktionsstörungen des Kniegelenkes
sind in allen Altersstufen sehr häufig. Für die typischen
pathologischen Veränderungen des Retropatellar−
gelenkes, der Menisken und des Kapsel−Band−Appara−
tes werden die speziellen und bewährten Untersu−
chungsverfahren dargestellt.
Mit dem beschriebenen standardisierten Untersu−
chungsgang gelingt es, unter Kenntnis der typischen
altersabhängig häufigen Krankheitsbilder, eine weit−
gehende Eingrenzung der Diagnose von Kniegelenker−
krankungen vorzunehmen. Basierend auf diesen Unter−
suchungsbefunden kann dann eine richtunggebende
rationale bildgebende Diagnostik erfolgen, um in einer
diagnoseorientierten zielführenden Therapie zu mün−
den.
Einleitung
den verschiedenen Altersstufen. Basierend auf diesem
Wissen wird die standardisierte körperliche Untersu−
chung schließlich durch eine auf den Hauptbeschwer−
depunkt ausgerichtete spezialisierte Untersuchungs−
technik die möglichen Differenzialdiagnosen
eingrenzen.
Erkrankungen des Kniegelenkes sind sehr häufig, da das
Kniegelenk aufgrund seiner speziellen Anatomie und
Physiologie ein sehr komplexes Gelenk ist. Drei Kno−
chen artikulieren miteinander, zwei Menisken sind
zwischen Femur und Tibia eingelagert, um die Passform
bei der Funktion zu verbessern. Es gibt intraartikuläre
und extraartikuläre stabilisierende Bandverbindungen
und nicht zuletzt das Kniescheibengelenk. Der reine
Scharniermechanismus der Beugung und Streckung mit
dem Mechanismus der Verriegelung des Gelenkes
durch die Schlussrotation wird durch die zunehmend
mögliche Rotation der Tibia gegen das Femur in Beuge−
stellung ergänzt (Trochogynglion).
Voraussetzung für jede intensive ärztliche Beschäfti−
gung mit Erkrankungen des Kniegelenkes ist deshalb
die fundierte Kenntnis der Anatomie, der Physiologie,
der funktionellen Anatomie und der Anatomie in vivo.
Erst dann kommt das Wissen um mögliche Fehlbildun−
gen und Erkrankungen während des Wachstums und in
Zielgerichtete klinische Diagnostik
n
n
n
n
Ausschluss von schwerwiegenden Verletzungen, z. B.
Frakturen oder Risse der Menisken bzw. Bänder.
Ausschluss von Entzündungen oder Tumoren.
Möglichst genaue Schmerzlokalisation.
Möglichst genaue Dokumentation von Funktions−
einschränkungen.
Anamnese ± altersbezogene
Differenzialdiagnosen
Es gilt einerseits als Banalität ärztlichen Handels, wird
andererseits aber immer wieder unzureichend berück−
sichtigt: Die Anamnese ist auch im Zeitalter hochtech−
nisierter bildgebender Medizin Basis aller weitergehen−
den Diagnostik. Das Lebensalter, vorausgegangene
Ereignisse (Auftreten nach Sportverletzung; Dauer, Lo−
kalisation und Charakter des Schmerzes oder der
Schwellung) oder Begleiterkrankungen geben wichtige
differenzialdiagnostische Hinweise (Abb. 1 ).
So ist der anamnestische Hinweis auf eine Gelenk−
blockade fast beweisend für eine Meniskusläsion bzw.
einen freien Gelenkkörper. Das Auftreten einer Kniege−
lenkschwellung bei einem über 50−jährigen Mann lässt
dagegen eher an eine Erkrankung aus dem Bereich der
Arthrose oder Arthritis denken.
Vom praktischen differenzialdiagnostischen Vorge−
hen her sollten zuallererst immer akute schwerwiegen−
de Verletzungen wie Fraktur, Bänder− oder Meniskusriss
ausgeschlossen werden (Tab. 1 ).
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
ê 2006 ê 33 ± 56 ê DOI 10.1055/s−2005−870203
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Beckengürtel und untere Extremität
Gleiche Aufmerksamkeit ist zwei weiteren schweren
Krankheitsbildern zu widmen: der Gelenkinfektion und
dem Ausschluss eines Tumors bzw. einer Metastase.
Diese drei großen Krankheitsgruppen müssen mit aus−
reichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass
jeder Knieschmerz beim Kind auf eine Erkrankung des
Hüftgelenkes hinweisen kann. Dies bedeutet, dass vor
allem beim Kind den Hüftgelenken bei Knieschmerzen
besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.
Der klinische Aspekt ±
die Inspektion
Patienten, der erste Eindruck, der insbesondere bei
elektiven Therapieempfehlungen mit entscheidend sein
kann, beurteilt werden.
An objektiven Parametern kann das Gangbild, die
Benutzung von Hilfsmitteln wie Gehstützen, Gehbock
oder gar orthopädischen Apparaten beurteilt werden.
Die Beobachtung des zu Untersuchenden beim Auszie−
hen der Kleidung gibt wichtige Hinweise auf eine ge−
störte Belastbarkeit eines Beines, auf die mögliche Aus−
wirkung von Erkrankungen an anderer Lokalisation
(z. B. Adduktionskontraktur eines Hüftgelenkes) oder
auf anderem Fachgebiet (z. B. ataktisches Gangbild bei
neurologischer Grunderkrankung).
" Die klinische Untersuchung des Kniegelenkes hat
Die Untersuchung beginnt mit dem Eintreten des Pa−
tienten in das Untersuchungszimmer. Hierbei kann ne−
ben dem reinen Gelenkbefund auch das Auftreten des
am unbekleideten, unbestrumpften Patienten zu er−
folgen. Grobe Fehler können auftreten, wenn bei der
Erstuntersuchung keine vollständige Inspektion des
unbekleideten Beines erfolgen kann.
Bereits der erste Blick gibt wichtige Informationen über
die Achsstellung, Beinlängenunterschiede, Zustand der
Muskulatur, der Haut, des Unterhautgewebes, Varizen,
Ödeme, Narben nach vorausgegangenen Verletzungen
oder Operationen (Abb. 2 ).
Bei Verletzungen kann der Ort und ggf. die Art der
einwirkenden Kraft beurteilt werden. Für zusammen−
hangsgutachterliche Fragestellungen ist auch die Doku−
mentation eines möglichen Vorschadens (z. B. bereits
Septische Arthritis
Frakturen
Arthrose
Rheumatoide Arthritis
Gicht
Chondrocalcinose
Osteonekrose
Tumoren, Metastasen
Verletzungen, Meniskus, Knorpel, Bänder
Chrondropathia patellae
Checkliste
Osteochondrosis dissecans
Tumoren
Inspektion
Epiphysiolysis capitis femoris, Morbus Perthes
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Jahre
Beinachse
Beinlänge
Abb. 1
n
Altersbezogene Differenzialdiagnose am Kniegelenk.
Muskulatur von Ober− wie Unterschenkel
im Seitenvergleich
Tabelle 1
Schwellung des oberen Rezessus
Praktisches Vorgehen bei Schmerzen am Kniegelenk
Schwellung in der Kniekehle
Ausschluss Fraktur, septische Arthritis und Malignome
Position der Kniescheibe (Kontur, Hoch−,
Normal− oder Tiefstand)
Beim Kind
n
an Hüfte denken!
Bei Adoleszenten
n
Chondropathia patellae oder Osteochon−
drosis dissecans
Überstreckbarkeit des Kniegelenkes
Bei jungen Erwachsenen
n
Bei Älteren
n
Arthrose und Arthritis
Stärkerer Knieschmerz bei
normalem Röntgenbild
n
Osteonekrose ausschließen
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Streckdefizit (Beugekontraktur) des Knie−
gelenkes
Traumafolgen
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
Fehlstellungen an der Gegenseite bzw. den
benachbarten Gelenken
ê 2006 ê 33 ± 56
Hinweise auf das Vorliegen von System−
erkrankungen
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
bestehende Muskelminderung, alte Narben usw.) von
enormer Bedeutung.
Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspek−
tion des zu Untersuchenden im Stehen von vorne, hin−
ten (Abb. 3 ) und beiden Seiten.
Viele Kniegelenkprobleme oder −erkrankungen sind
allein durch die Inspektion im Sinne einer Blickdiagnose
zu diagnostizieren (Tab. 2 ).
Bei Unfallverletzten sind äußere Verletzungszeichen
(Abb. 11 ), Prellmarken, Hautläsionen, offene Wunden,
penetrierende Verletzungen des Gelenkes (Abb. 12 )
oder der Bursa praepatellaris zu suchen und zu doku−
mentieren.
Abb. 2 n Knoti−
ge Varikosis
beider Unter−
schenkel mit
Narben nach
atypischer Vari−
zen−Operation.
" Insbesondere einer Prellung der Bursa praepatella−
ris mit Hämatombildung ist Aufmerksamkeit zu
schenken, da daraus eine Operationsindikation resul−
tieren kann.
Nach der Inspektion des zu Untersuchenden im Stehen
erfolgt die Inspektion im Liegen. Die normale Kniege−
lenkkontur ± mit den typischen Reliefbildungen durch
die Mm. vastus medialis und lateralis am Oberschenkel,
die Patella und die Einziehungen neben dem Lig. patel−
lae sowie dem unter dem Ligament befindlichen Hoffa−
Fettkörper ± ermöglichen insbesondere bei Unterschie−
den im Seitenvergleich eine Aussage zu Schwellung und
Ergussbildung (Abb. 13). Im Liegen ist die Muskulatur
des M. quadriceps in Ruhe und bei Anspannung zu
beurteilen. Insbesondere im Seitenvergleich sind Mus−
kelminderungen als Hinweis auf längerfristige Scho−
nung erkennbar. Größere, ausgeheilte Muskelfaserrisse
des M. quadriceps sind bei wenig Adipösen als Dellen
erkennbar.
Sichtbar grobe knöcherne Vorsprünge an Femurkon−
dylen oder Tibiakopf deuten auf eine Exostosenkrank−
heit hin. Lokalisierte Schwellungen in Höhe des Ge−
lenkspaltes werden beim Meniskusganglion gefunden
(Abb. 14 ). Manchmal sind bei schweren Arthrosegraden
auch Osteophyten sichtbar. Ausmaß und Lokalisation
der Narben weisen auf vorausgegangene Operationen
(Arthroskopie, Meniskektomie, Bandrekonstruktion,
Gelenkersatz o. ä.) hin. Eine sehr prominente Tubero−
sitas tibiae kann je nach Lebensalter ein Hinweis auf
eine aktive oder durchgemachte Erkrankung der Apo−
physe (Morbus Osgood−Schlatter) sein.
Der zu Untersuchende wird aufgefordert, das Bein im
Kniegelenk voll zu strecken und dann gestreckt von der
Unterlage anzuheben. Dabei kann eine Beugekontraktur
(Abb. 15 ) oder eine pathologische Überstreckfähigkeit
im Kniegelenk (Abb. 16 ) sowie die Kraftentfaltung des
M. quadriceps beurteilt werden. Bei der anschließenden
aktiven Beugung soll darauf geachtet werden, ob die
Patella frei und ungestört zentriert in ihrem Lager ver−
läuft.
Die Palpation
Das Betasten des erkrankten oder verletzten Kniegelen−
kes erfolgt zum einen, um die normalen Strukturen des
Knochens, der Bänder und sonstigen Weichteile auf ihre
normale Beschaffenheit und Lokalisation zu beurteilen,
zum anderen um durch Druck oder Verschieben einen
Provokationsschmerz auszulösen, der differenzialdiag−
nostisch weiterführt. Es klingt banal, aber die Untersu−
chung mit kalten Händen ist für viele zu Untersuchende
unangenehm; deshalb sollte darauf geachtet werden,
dass die Hände ausreichend warm sind.
Tabelle 2
Blickdiagnosen am Kniegelenk
Akute Verletzungen
n
n
n
n
n
Nichtverletzungsbedingte
Erkrankungen
n
n
n
n
n
Ruptur des M. quadriceps oder der
Patellarsehne
Patellaluxation (Abb. 4) oder −querfraktur
komplette Luxation des Kniegelenkes
Bursitis praepatellaris (Abb. 5)
Zurückfallen des Tibiakopfes bei hinterer
Kreuzbandruptur
Systemerkrankungen (Abb. 6)
Missbildungen (Abb. 7)
Achsfehlstellungen im Varus− oder Valgus−
sinne (Abb. 8)
Rotationsfehler (Abb. 9)
erkennbare Folgen von rheumatischen
Gelenkerkrankungen (Abb. 10)
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Beckengürtel und untere Extremität
Abb. 3 n
Inspektion des
Patienten im
Stehen. Zur Be−
urteilung von
Achsverhältnis−
sen, Muskulatur
und Blick−
diagnosen.
Abb. 4 n
Atypische
Patellaluxation.
Verursacht durch
Drehung um 908
nach Vor−Opera−
tion wegen habi−
tueller Patella−
luxation.
a
36
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
ê 2006 ê 33 ± 56
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Abb. 5
n
Bursitis praepatellaris links.
Abb. 6 n Blaue Skleren beidseits als pathognomonisches Erken−
nungsmerkmal einer Osteogenesis imperfecta.
Abb. 7 n O−Bein−Fehlstellung bei Tibia vara beidseits (Blount
disease).
Abb. 8 n Fehl−
stellungen der
Kniegelenke.
Hochgradige
Varusfehlstellung
(a) und hoch−
gradige Valgus−
fehlstellung
(b) beider Knie−
gelenke bei
Arthrose.
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Beckengürtel und untere Extremität
Abb. 9 n Innendrehfehlstellung des rechten Unterschenkels nach
Fraktur.
c
Abb. 10 n Monarthritis. 12−jähriger Junge (a, b) und 35−jähriger
Mann mit Schuppenflechte (c).
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Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
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Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Abb. 11
n
Frisches Hämatom bei 37−jährigem Fußballspieler.
Abb. 12 n Gelenkempyem. Hochschmerzhaftes, geschwollenes Ge−
lenk mit sichtbarer Hautöffnung am medialen Tibiakopf.
Abb. 13 n
Schwellungen
am Kniegelenk.
a Verstrichene
Gelenkkonturen.
Der obere
Rezessus ist
rechts maximal
aufgeweitet und
überdehnt. Das
Lig. patellae ist
nicht abgrenz−
bar.
b Muskel−
minderung
rechts, verstri−
chene Gelenk−
konturen links.
b
Abb. 14 n Weichelastische Schwellung in Höhe des medialen Ge−
lenkspaltes.
Abb. 15 n Beugekontraktur. Das linke Knie kann nicht gestreckt
werden. Langjährige Beugekontraktur verursacht durch das Sitzen im
Rollstuhl bei chronisch−entzündlicher Gelenkerkrankung.
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Beckengürtel und untere Extremität
" Cave: Vor allem bei Kindern oder frischen Verlet−
zungen ist darauf zu achten, dass die Palpation nicht
zu unnötigen Schmerzen führt. Es hat sich dabei be−
währt, bei der Palpation den Gesichtsausdruck des zu
Untersuchenden stringent zu beobachten, da so
Schmerzäußerungen am schnellsten zu erkennen sind
und manche Untersuchte trotz starker Schmerzen
keine unmittelbaren verbalen Schmerzäußerungen
von sich geben.
Abb. 16 n Überstreckfähigkeit. Überstreckstellung des rechten Knie−
gelenkes nach Verletzung des rechten Tibiakopfes im Kindesalter bei
normaler Streckstellung links.
Die Überprüfung auf einen Gelenkerguss erfolgt durch
das Ausstreichen des oberen Rezessus durch die eine
Hand, die dabei die Patella von proximal umfasst. Mit
der anderen Hand, die sich mit dem Ballen am Tibiakopf
abstützt, wird durch den Zeigefinger versucht, die Pa−
tella auf dem Erguss tanzen zu lassen (¹tanzende Patel−
la“). Ab einer Ergussbildung von etwa 20 ml kann das
Tanzen der Patella gefühlt werden (Abb. 17 ).
Durch das Abtasten der knöchernen Landmarken von
distalem Femur und proximaler Tibia wie Fibula können
pathologische Knochenvorsprünge und periostale
Schmerzzustände erfasst werden. Osteophytäre Auszie−
hungen lassen sich beim Abtasten des femoralen und
tibialen Gelenkspalts insbesondere bei der Bewegung
des Gelenkes tasten. Eher selten können ausreichend
große freie Gelenkkörper ertastet werden, wenn sie im
oberen Rezessus oder neben dem Hoffa−Fettkörper zu
liegen kommen.
Die Gelenkflächen des medialen und lateralen Fem−
urkondylus können in Flexionsstellung des Kniegelen−
kes abgetastet und auf schmerzhafte Punkte (z. B. Knor−
Checkliste
Palpation
Temperatur der Haut:
Ausschluss Infekt
Schmerzempfindlichkeit der
Haut und Subkutis: Ausschluss
Infekt
Klassische Druckpunkte der
Bandansätze an den Femur−
kondylen und Tibiakopf bzw.
Fibulaköpfchen: Ausschluss
frische Verletzung
Druckpunkt des Pes anserinus:
Ausschluss Bursitis, Fibro−
myalgie
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Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
Medialer und lateraler Gelenk−
spalt: Ausschluss Meniskus−
pathologie, degenerative oder
entzündliche Gelenkerkrankung
Patellafacetten, Kippung der Pa−
tella: Ausschluss Chondropathia
patellae
Hyper− und Hypomobilität der
Patella in Streckung und bei
Beugung: Patellaführungs−
probleme
Druckschmerz am distalen
Patellapol: Ausschluss Morbus
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Sinding−Larsen: Patellaspitzen−
syndrom, Jumpers Knee
Druckschmerz im Verlauf des
Ligamentum patellae:
Ausschluss Ligamentverletzung
Druckschmerz an der Tuber−
ositas tibiae: Ausschluss
Apophysenläsion, Morbus
Osgood−Schlatter
Vorliegen einer Bursitis praepa−
tellaris
Intaktheit des Verlaufs der
Quadrizepssehne
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
pelläsionen) bzw. fibröse Stränge (Plica mediopatella−
ris) überprüft werden.
Die Seitenbänder werden an ihrem Ansatz durch
Druck auf Schmerzhaftigkeit überprüft. Sie können ins−
besondere bei geringer Dicke des Subkutangewebes in
ihrem Verlauf getastet und auf strukturelle Intaktheit
überprüft werden.
In den Gelenkspalten liegen die Menisken. Sie kön−
nen in ihrem gesamten Verlauf von ventral nach dorsal
auf ihre Schmerzfreiheit bzw. bezüglich ihrer Oberflä−
chenbeschaffenheit abgetastet werden. Ein Meniskus−
ganglion kann derart als druckschmerzhafte Vorwöl−
bung ertastet werden.
In der Umgebung des Kniegelenkes liegen mehrere
Bursen. Am häufigsten können die Bursa praepatellaris
oder die Bursa gastrocnemio−semimembranosa (dann
benannt als Baker−Zyste) pathologisch vergrößert sein
(Abb. 18 ). An der Lateralseite des distalen Femur kann
es zwischen einem etwas vergrößerten Epicondylus
lateralis und dem Tractus iliotibialis zu einem Frikti−
onssyndrom kommen. Dabei entwickelt sich meist auch
eine unter Funktion schmerzhafte Bursitis, die als Knar−
ren (Krepitation) getastet werden kann.
In der Kniekehle können die Sehnen der lateralen (M.
biceps femoris) und der medialen Kniekehle (M. semi−
membranosus, M. semitendinosus, M. gracilis) getastet
und auf Schmerzfreiheit überprüft werden. In der Tiefe
der Kniekehle können am distalen Femur die Ansätze
des medialen und lateralen Gastroknemiuskopfes ge−
tastet und auf Druckschmerzhaftigkeit überprüft wer−
den.
Das Gelenk zwischen proximaler Tibia und dem Fi−
bulaköpfchen kann bei der Palpation schmerzhaft sein.
Dann ist der Verlauf des N. fibularis abzutasten und die
Hypermobilität des Fibulaköpfchens in Beugestellung
des Kniegelenkes zu prüfen. Eine weiche prallelastische
Schwellung in diesem Bereich kann einem Ganglion des
proximalen Tibiofibulargelenkes entsprechen.
Abb. 17
n
¹Tanzende Patella“ bei Kniegelenkerguss.
Abb. 18 n
Baker−Zyste.
Groteske Auf−
treibung der lin−
ken Wade durch
flüssigkeitsge−
füllte Baker−
Zyste (Bursa gas−
trocnemio−semi−
membranosa).
Die Funktionsprüfung
Prüfung der Kniegelenkbeweglichkeit
Die Beweglichkeit des Kniegelenkes wird aktiv und
passiv im Seitenvergleich geprüft. Eine Überstreckung
bis zu 108 wird noch als normal angesehen. Die Flexi−
onsfähigkeit sollte mindestens bis 140 ± 1508 gehen. In−
dividuelle Unterschiede sind z. B. bei sehr adipösen Pa−
tienten (mechanische Behinderung der maximalen
Flexion durch Adipositas), Tänzern oder gar Kontorsio−
nisten (trainingsbedingte Hyperflexibilität) zu beob−
achten.
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Beckengürtel und untere Extremität
Die Notation nach der Neutral−Null−Methode wird seit
mehr als 30 Jahren routinemäßig durchgeführt. Dabei
wird von einer sog. Neutralstellung der zu untersu−
chenden Person ausgegangen. Diese entspricht der nor−
malen Funktionsstellung aller Gelenke im Stehen mit
gestreckten Armen und Beinen, wobei die Füße parallel
geradeaus zeigen. Die Messwerte werden in einer Ge−
nauigkeit von 58 angegeben. Angaben der Messwerte
mit einem höheren Genauigkeitsgrad erscheinen un−
realistisch.
Checkliste
Funktionsprüfung
Prüfung der Gelenkbeweglichkeit
Muskeldehnungstests
Testverfahren zur Beurteilung von Patella−
problemen, Meniskusläsionen und Band−
verletzungen bzw. Instabilitäten
Funktionsprüfung der Muskulatur
Auch im Bereich der das Kniegelenk umgebenden Mus−
kulatur sind strukturelle oder funktionelle Verkürzun−
gen möglich. Strukturelle Verkürzungen haben ihre Ur−
sache meist in Narbenkontrakturen nach direkten
Verletzungen oder im Rahmen von Frakturen sowie bei
neurologischen Erkrankungen. Funktionelle Verkür−
zungen werden nicht selten bei Leistungssportlern als
Ursache konsequenter Fehlbelastung gefunden. Am
Kniegelenk sind es vor allem der M. quadriceps sowie
die Muskeln der sog. Hamstrings ± im Einzelnen: M. bi−
ceps femoris (sog. lateraler Hamstring), M. semitendi−
nosus und M. semimembranosus (beide zusammen sog.
mediale Hamstrings) ±, die zu Verkürzungen neigen.
n
Dehnungstest des M. quadriceps
Dieser Test erfolgt in Bauchlage. Dabei wird das Knie−
gelenk passiv gebeugt und versucht, die Ferse passiv bis
an die Glutealfalte anzunähern. Bei einer Verkürzung
Hintergrund
Neutral−Null−Methode
Die Notation der gemessenen Winkel−
werte erfolgt derart, dass als erster
Wert der Bewegungsausschlag vom
Körper bzw. der Körperachse weg (hier
Flexion) notiert wird, als zweiter Wert
die Nullposition und schließlich das
Bewegungsausmaß zum Körper hin
(hier: Extension).
Beispiel: Flexion/Extension 130 ± 0 ± 5.
Wird bei der Bewegung die Nullstellung
erreicht, ist jedoch eine weitere Bewe−
gung über die Nullstellung hinaus nicht
möglich, so wird durch zweimalige
Notierung der Null angezeigt, dass die
durch maximale Bewegung erreichbare
Endstellung der Nullstellung entspricht.
Beispiel: Flexion/Extension 150 ± 0 ± 0.
Wenn infolge einer Bewegungsein−
schränkung die Nullstellung nicht er−
42
reicht wird, so erfolgt die Notation des
Bewegungsausmaßes durch Angabe der
maximalen Bewegung bzw. minimalen
Bewegung in derselben Bewegungs−
richtung.
Beispiel: Flexion/Extension 130 ± 15 ± 0.
In diesem Falle liegt eine Beugekontrak−
tur des Kniegelenkes von 158 bei einem
Gesamtbewegungsausmaß von 1158
vor.
Die Versteifung eines Gelenkes wird
durch doppelte Notierung der Gelenk−
stellung angezeigt.
Beispiel 1: Flexion/Extension 60 ± 60 ± 0
(in diesem Falle liegt eine Versteifung in
608−Beugung vor).
Beispiel 2: Flexion/Extension 0 ± 5 ± 5
(dies entspricht einer Versteifung in
Überstreckstellung von 58).
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der Quadrizepsmuskulatur kann die Glutealfalte nicht
erreicht werden bzw. resultiert eine reflektorische Beu−
gung im Hüftgelenk mit Anhebung des Gesäßes
(Abb. 19 ).
n
Dehnungstest des M. rectus femoris
Dieser Test erfolgt in Rückenlage auf einer Liege, wobei
beide Beine frei über die Liege hängen. Das nicht be−
troffene Bein wird durch den zu Untersuchenden passiv
in maximale Beugestellung von Hüft− und Kniegelenk
gebracht. Das betroffene Knie soll nun in Streckstellung
des Hüftgelenkes gebeugt werden. Dies ist bei nicht
verkürzter Rektusmuskulatur bis 908 Flexion im Knie
möglich. Werte unter 908 belegen eine funktionelle
Verkürzung dieses Muskels (Abb. 20).
n
Dehnungstest der ischiokruralen Muskulatur
In Rückenlage wird das im Kniegelenk durchgestreckte
Bein durch den Untersucher passiv im Hüftgelenk ge−
beugt. Bei Normalpersonen kann dies bis zu 908 Beu−
gung im Hüftgelenk erfolgen. Bei einer funktionellen
Verkürzung dieser Muskelgruppe kann die Rechtwin−
kelstellung im Hüftgelenk nur durch eine Flexion im
Kniegelenk erreicht werden (Abb. 21 ).
Funktionsuntersuchungen zum Nachweis
einer Meniskusschädigung
Akute Meniskusschäden oder −verletzungen treten bei
typischen Belastungssituationen (Drehen des Ober−
schenkels bei fixiertem Unterschenkel, z. B. beim Fuß−
ballsport) bzw. Hochrasanzdrehen des Unterschenkels
gegen den Oberschenkel (z. B. beim Einfädeln eines Skis
im Tiefschnee) auf. Verschleißerscheinungen des Me−
niskus können auch bei Bagatellursachen (z. B. nächtli−
ches Umdrehen im Bett) zum Abreißen eines degenera−
tiven Fragmentes führen. Klassisches Syndrom eines
gerissenen Meniskus ist die Einklemmung oder Gelenk−
blockade. Dabei bleibt das Kniegelenk in einer Flexi−
onsposition unter akutem starkem Schmerz blockiert
und kann weder weiter gebeugt noch gestreckt werden.
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Im schlimmsten Falle kann die Blockade erst in Lokal−
anästhesie oder Vollnarkose gelöst werden.
" Bei der klinischen Untersuchung zum Nachweis ei−
ner Meniskusläsion kann der Patient die schmerzende
Stelle meist mit einem Finger angeben. Dies steht im
Gegensatz zu Schmerzen bei Arthrose oder Arthritis,
wo die Angabe der Schmerzlokalisation häufig eher
weniger spezifisch mit der ganzen Hand erfolgt.
Mit den Funktionstests kann der Verdacht auf eine Me−
niskusläsion erheblich erhärtet, seine genauere Lokali−
sation bestimmt und evtl. sogar seine Ausdehnung und
Art eingegrenzt werden. In den meisten Fällen sind der
McMurray−Test und der Apley−Kompressionstest am
aussagekräftigsten. Wenn beide Tests positiv sind, be−
steht eine hohe Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen
einer Meniskusläsion.
n
Schmerz bei forcierter Hyperflexion oder
Hyperextension
Abb. 19 n Prüfung der Dehnbarkeit des M. rectus femoris. Der Abstand der Ferse
zur Glutealmuskulatur oder das erzwungene Beugen im Hüftgelenk sind ein Maß für die
funktionelle Verkürzung des M. rectus femoris.
Der klassische Korbhenkelriss führt zu einer federnden
Fixation des Kniegelenkes in geringer Beugestellung.
Eine volle Streckung kann auch passiv wegen zu starker
Schmerzen meist nicht erreicht werden. Ein Schmerz
bei passiver Hyperextension deutet auf eine Läsion im
Bereich des Vorderhornes, ein Schmerz in der Kniekehle
bei maximaler Flexion auf eine Läsion des Meniskus−
hinterhornes hin. Gerade bei den Hinterhornläsionen
kann die eindeutige Zuordnung nach medialem oder
lateralem Meniskus schwierig sein.
n
Böhler−Zeichen
In voller Streckung und wechselnden geringen Beuge−
stellungen erfolgt eine Kompression des medialen und
lateralen Gelenkspaltes durch Varus− und Valgus−Stress
(Abb. 22 ). Schmerzen können sowohl auf eine Menis−
kus− als auch eine Bandläsion hindeuten.
Abb. 20 n Dehnungstest des M. rectus femoris. In Rückenlage kann bei funktioneller
Verkürzung der Muskulatur des M. rectus femoris bei gestreckter Hüfte das gleichseitige
Kniegelenk nicht über 908 gebeugt werden.
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Beckengürtel und untere Extremität
n
Steinmann−II−Zeichen
Dieser durch das Steinmann−I−Zeichen lokalisierte
Druckschmerz wird nun durch Fingerdruck in geringer
Flexionsstellung des Kniegelenkes genau lokalisiert. Bei
zunehmender Flexion des Kniegelenkes unter seitlicher
Kompression wandert die Lokalisation des Druck−
schmerzes im Gelenkspalt nach dorsal (Abb. 24 ).
n
Payr−Zeichen
In Rückenlage wird die Ferse des betroffenen Beines in
Höhe des gegenseitigen Knies auf der Unterlage aufge−
setzt. Wenn durch das Abspreizen des Beines im Hüf−
gelenk eine Schneidersitzposition resultiert, kommt der
mediale Meniskus im Gelenkspalt unter Kompression.
Im positiven Falle (mediale Meniskusläsion) resultiert
ein akuter Schmerz (Abb. 25 ).
n
Abb. 21 n Prüfung der Dehnbarkeit der ischiokruralen Muskulatur. Eine volle Stre−
ckung im Knie ist nur bei passiv erzwungener Reduktion der rechtwinkligen Beugung im
Hüftgelenk möglich.
Bragard−Zeichen
Der lokalisierte Druckpunkt am medialen Meniskus
wird mit dem Finger in Außenrotationstellung des Un−
terschenkels aufgesucht. Wenn der Schmerz bei Innen−
rotation des Unterschenkels verschwindet, weil der
Meniskus sich von dem dem den Druckschmerz aus−
lösenden Finger wegbewegt, ist das Bragard−Zeichen als
Hinweis auf eine mediale Meniskusläsion positiv.
n
Apley−Kompressionstest
In Bauchlage wird das um 908 gebeugte Knie unter
Druck auf die Ferse und gleichzeitigen Rotationsbewe−
gungen quasi auf den Femurkondylus gedrückt und so
der Meniskus in verschiedensten Beuge− und Rotati−
onspositionen unter Druck gesetzt. Bei positivem Test−
ergebnis ist eine Meniskusläsion sehr wahrscheinlich
(Abb. 26 ).
Abb. 22 n Böhler−Zeichen positiv. Die Kompression des medialen bzw. lateralen Gelenk−
spaltes durch Varus− bzw. Valgus−Stress löst einen akuten Schmerz aus.
n
Steinmann−I−Zeichen
Der Untersucher führt in unterschiedlichen Beugestel−
lungen des Kniegelenkes mit der Hand an der Ferse
passiv kreiselnde Bewegungen des Unterschenkels in
Innen− und Außenrotation aus und bringt dabei zusätz−
lich abwechselnd den medialen und lateralen Kniege−
lenkspalt unter Kompression. Dadurch gelingt es bei
einer Meniskusläsion, am betroffenen Gelenkspalt
einen Kompressionsschmerz auszulösen, der meist
auch genauer lokalisiert werden kann (Abb. 23).
44
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
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n
Apley−Distraktionstest
Beim Distraktionstest nach Apley erfolgt die beim
Kompressionstest beschriebene Bewegung unter Zug
am Unterschenkel. Dieser Test ist für eine Meniskuslä−
sion weniger zuverlässig, sondern weist eher auf eine
Bandläsion ggf. mit Meniskusbeteiligung hin.
n
McMurray−Test
Beim McMurray−Test wird der Innenmeniskus in maxi−
maler Außenrotation des Unterschenkels und Hyperfle−
xion des Knies praktisch in die Zange genommen. Die
maximale Außenrotationsposition des Unterschenkels
wird beibehalten und das Kniegelenk gestreckt. Dabei
wird ein Zug auf den Innenmeniskus und das Innenband
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Abb. 23 n Steinmann−I−Zeichen. Kreiselnde Bewegungen des Un−
terschenkels in Varus− und Valgus−Stress und Druck auf den Meniskus
lösen einen akuten Schmerz aus.
Abb. 25 n Payr−Zeichen. Passiver Kompressionstest für den Innen−
meniskus im Schneidersitz.
Abb. 24 n Steinmann−II−Zeichen. Der durch das Steinmann−I−Manö−
ver gefundene Schmerzpunkt wandert bei zunehmender Flexion nach
dorsal.
Abb. 26 n Apley−Kompressionstest. In Bauchlage wird der Innen−
meniskus durch Druck auf die Ferse und gleichzeitige Rotation des
Unterschenkels in die Zange genommen.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
ê 2006 ê 33 ± 56
45
Beckengürtel und untere Extremität
ausgeübt, was im Falle von Verletzungen/Läsionen zu
Schmerzauslösung führt (Abb. 27 ).
Die identische Untersuchung wird in umgekehrter
Rotationsposition zur Prüfung des Außenmeniskus und
des Außenbandes durchgeführt.
Funktionsuntersuchungen zum Nachweis
einer Bandinstabilität
Die passive Stabilität des Kniegelenkes wird durch das
mediale und laterale Seitenband sowie das vordere und
hintere Kreuzband erzielt. Zu diesen passiven Stabilisa−
toren kommen lateral das Politeuseck und medial das
Semimembranosuseck hinzu. Je nach Ausmaß der ver−
letzten Strukturen werden einfache von komplexen
(Rotations−)Kapsel−Band−Verletzungen unterschieden.
Sehr schwere und ausgedehnte Verletzungen führen zu
kombinierten Rotationsinstabilitäten.
Bei der Prüfung frischer Kapsel−Band−Verletzungen
ist zu bedenken, dass der Schmerz häufig nicht alle im
weiteren beschriebenen Testverfahren zulässt und dass
insbesondere diese nicht beliebig oft wiederholt wer−
den können.
Folgendes Vorgehen hat sich bewährt:
1. Prüfung der seitlichen Aufklappbarkeit,
2. Prüfung der hinteren und vorderen Schublade,
3. Prüfung der dynamischen Subluxationstests.
n
Prüfung der seitlichen Aufklappbarkeit
Die Prüfung der Aufklappbarkeit erfolgt in Streckung
und Überstreckung sowie geringer Beugung. In geringer
Beugestellung sind alle zusätzlichen stabilisierenden
Strukturen entspannt, sodass nur das Innenband (in In−
nenrotation) und das Außenband auf Stabilität über−
Abb. 27 n McMurray−Test. Distraktionstest für Innenband− und In−
nenmeniskus.
46
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
prüft werden. Dazu wird in Rückenlage der Fuß zwi−
schen Hüfte und Ellenbogen des Untersuchers in der
gewünschten Rotationsposition fixiert, mit den beiden
Händen der Tibiakopf gefasst und mit den Fingern am
Gelenkspalt die Aufklappbarkeit bei Varus− und Valgus−
Stress geprüft (Abb. 28). Die Prüfung erfolgt dann in zu−
nehmender Streck− und Überstreckstellung. Bei einer
Aufklappbarkeit in leichter Beuge− und Streckstellung
ist davon auszugehen, dass neben der reinen Seiten−
bandverletzung weitere dorsale Stabilisatoren verletzt
sind. Bei einer erheblichen medialen Aufklappbarkeit in
Streckstellung ist von einer Mitbeteiligung des vorderen
Kreuzbandes auszugehen.
n
Testung der vorderen Schublade (passiv)
Die vordere Schubladentestung wird zum Nachweis ei−
ner vorderen Kreuzbandruptur durchgeführt. Der pas−
sive Test wird in Rückenlage bei 908 Beugung des Knie−
gelenkes in Innenrotation, Außenrotation und
Neutralstellung durchgeführt. Die Rotationsstellung des
Unterschenkels kann am einfachsten fixiert werden, in
dem sich der Untersucher (nach Erklärung des Tests)
teilweise mit seinem Oberschenkel auf den Vorfuß des
zu untersuchenden Beines setzt. Die Translationsbewe−
gung wird am genauesten dadurch erfasst, dass der Un−
tersucher mit beiden Händen den Tibiakopf umgreift
und nach vorne zieht. Wenn dabei die Daumen auf die
Femurkondylen gelegt werden, kann das Ausmaß der
vorderen Schublade gut erfasst werden (Abb. 29 ). Beur−
teilt werden soll auch die Härte des vorderen Anschla−
ges. Ein harter Anschlag spricht für eine unvollständige
Ruptur, ein weicher Anschlag für eine völlige Kontinui−
tätsunterbrechung des Bandes.
Abb. 28 n Prüfung der seitlichen Aufklappbarkeit. Durch abwechselnden Varus− und
Valgus−Stress kann das Ausmaß des Aufklappens des medialen und lateralen Gelenkspaltes
mit den beiden tastenden Daumen quantifiziert werden.
ê 2006 ê 33 ± 56
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
In Neutralstellung wird vor allem das vordere
Kreuzband alleine getestet, in Innenrotation die Mit−
beteiligung des lateralen Kapsel−Band−Apparates, in
Außenrotation die des medialen Anteiles.
n
Lachman−Test
Der passive Lachman−Test ist vor allem bei einer fri−
schen Verletzung wegen der geringen Schmerzen sehr
gut zur Testung auf eine Instabilität des vorderen
Kreuzbandes geeignet. Darüber hinaus muss er als ein
spezifischerer Test als die passive vordere Schublade
angesehen werden.
Der Test erfolgt in Rückenlage, das Hüft− und Knie−
gelenk sind jeweils um ca. 308 gebeugt. Die eine Hand
des Untersuchers umfasst den distalen Oberschenkel,
die andere den Tibiakopf. Die Hand am Tibiakopf zieht
diesen nach ventral. Bei einer Instabilität des vorderen
Kreuzbandes erfolgt eine Translationsbewegung des
Tibiakopfes nach vorne (Abb. 30). Dieser Test kann
erleichtert werden, indem das Kniegelenk des zu Unter−
suchenden stabil auf dem Oberschenkel des Untersu−
chers gelagert wird (stabiler passiver Lachmann−Test).
Bei sehr großen anatomischen Verhältnissen oder mus−
kelkräftigen Patienten kann der Tibiakopf auch mit bei−
den Händen gefasst und nach ventral gezogen werden.
Durch Untersuchung des passiven Lachman−Tests in
Außen− wie Innenrotation des Unterschenkels können
die entsprechenden Begleitverletzungen der dorsalen
Kapselstrukturen erfasst werden.
Beim aktiven Lachman−Test fixiert der Untersucher
den Oberschenkel mit beiden Händen und fordert den
zu Untersuchenden auf, das Knie zu strecken. Durch den
Zug des M. quadriceps (vor allem wenn der Fuß zusätz−
lich fixiert wird) kommt es zu einer spontanen Ventra−
lisierung des Tibiakopfes.
Kommt es beim aktiven oder passiven Lachman−Test
zu einem spontanen ruckartigen Zurückführen des Ti−
biakopfes, liegt dies an einer gestörten Roll−Gleit−Be−
wegung als Folge einer Innenmeniskushinterhornschä−
digung (Finochietto−Zeichen).
n
Testung der hinteren Schublade (passiv)
Bei Ruptur des hinteren Kreuzbandes fällt der Tibiakopf
in 908 Flexion des Kniegelenkes spontan nach dorsal.
Dies kann im Seitenvergleich gut beurteilt werden.
Durch Druck von vorne auf den Tibiakopf (bei fixiertem
Fuß) kann das Ausmaß der Dorsalverschiebung geprüft
werden (Abb. 31 ).
Abb. 29 n Passiver vorderer Schubladentest. Durch Zug am Tibiakopf nach vorne kann
das Ausmaß der passiven Ventralisation quantifiziert werden. Test zum Nachweis einer
vorderen Kreuzbandruptur.
Abb. 30 n Passiver Lachman−Test. Sensitiver Test zum Nachweis einer vorderen Kreuz−
bandinsuffizienz. Durch den Ventralzug der rechten Hand kann die passive Verschieblich−
keit des Tibiakopfes gegen das mit der linken Hand fixierte Femur quantitativ beurteilt
werden.
n
Testung der aktiven vorderen Schublade
Durch die Anspannung des M. quadriceps kommt es bei
Vorliegen einer hinteren Kreuzbandruptur mit Zurück−
sinken des Tibiakopfes in 908 Beugestellung des Knies
zu einer spontanen Ventralisierung des nach hinten ge−
sunkenen Tibiakopfes (sog. aktive vordere Schublade)
mit Egalisierung des Patella−Tuberositas−Niveaus.
n
Umgekehrter Lachman−Test
In Bauchlage wird bei leicht gebeugtem Knie des zu
Untersuchenden mit der einen Hand der distale Ober−
schenkel auf der Unterlage fixiert und mit der anderen
Hand am Tibiakopf umfasst und nach dorsal geschoben.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
ê 2006 ê 33 ± 56
47
Beckengürtel und untere Extremität
es durch den Zug des intakten Innenbandes zu einer
Spontanreposition des nach ventral subluxierten Tibia−
kopfes.
n
Aktiver Pivot−shift
Bei 808 Flexion des Kniegelenkes und auf der Unterlage
fixiertem Fuß kommt es bei dem Versuch, das Kniege−
lenk zu strecken, zu einem aktiven lateralseitigen Sub−
luxieren des Tibiakopfes als Zeichen einer vorderen
Kreuzbandruptur.
n
Abb. 31 n Passiver hinterer Schubladentest. Nur bei Insuffizienz des hinteren Kreuz−
bandes kann der Tibiakopf nach dorsal gegen das aufgestellte Femur verschoben werden.
Der Jerk−Test ist die Umkehrung des positiven Pivot−
shift−Tests.
In Rückenlage des zu Untersuchenden wird das Bein
an der Ferse angehoben und dabei der Unterschenkel
nach innen gedreht. Aus einer Beugestellung kommend
wird nun das Bein in eine Streckstellung überführt. Die
zweite Hand übt dabei einen Valgus−Stress durch Druck
auf den distalen lateralen Oberschenkel aus. Bei ca. 208
Beugung kommt es auf dem Weg in die volle Streck−
stellung durch den Zug des intakten Innenbandes zu ei−
ner ruckartigen Reposition des lateralen Tibiaplateaus.
n
Abb. 32
n
Prüfung des Patellalaufes bei aktiver Flexion/Extension.
Dieser Test ist im positiven Falle aussagefähiger als der
passive dorsale Schubladentest.
Jerk−Test
Slocum−Test (anterolaterale Instabilität)
Der zu Untersuchende liegt in stabiler Seitenlage und
das betroffene Bein oben. Das gestreckte Bein liegt mit
der Ferse auf der Liege, der Unterschenkel in Innenro−
tation und dadurch spontanem Valgus−Stress. Der Un−
tersucher steht hinter dem zu Untersuchenden, legt die
Hände auf den distalen Oberschenkel und den proxi−
malen Tibiakopf, verstärkt den Valgus−Druck und führt
dabei das Knie passiv nach vorne in die Beugung. Bei
etwa 308 wird der ventral subluxierte Tibiakopf ruckar−
tig passiv reponiert.
Prüfung der dynamischen Subluxationstests
Bei den komplexen Bandverletzungen und daraus re−
sultierenden Instabilitäten ist der physiologische Be−
wegungsablauf des Kniegelenkes gestört. Es treten als
unangenehm empfundene Subluxationsereignisse auf.
Diese Subluxationsereignisse werden durch geeignete
Testverfahren provoziert.
n
Passiver Pivot−shift
In Rückenlage des zu Untersuchenden wird das Bein an
der Ferse angehoben und dabei der Unterschenkel nach
innen gedreht. Aus der Streckstellung wird nun das Bein
in eine Beugestellung überführt. Die zweite Hand übt
dabei einen Valgus−Stress durch Druck auf den distalen
lateralen Oberschenkel aus. Bei ca. 308 Beugung kommt
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Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
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Funktionsuntersuchungen zum Nachweis
einer Patellaproblematik
n
Prüfung des Patellalaufes
In Rückenlage oder auf Untersuchungsliege sitzend
wird der zu Untersuchende aufgefordert, sein Knie aus
der vollen Streckung in die Beugung zu bringen. Dabei
wird die Patella mit Daumen und Zeigfinger umfasst
und die seitliche Abweichung, die Stabilität und die
Glattheit des Gleitvorganges erfasst (Abb. 32). Eine La−
teralisation kann so exakt dokumentiert werden. In
Streckstellung wird die Verschieblichkeit der Patella
nach medial und lateral sowie nach kranial und kaudal
überprüft (Abb. 33). Ein Hoch− oder Tiefstand kann da−
durch ebenfalls erfasst werden.
Klinische Untersuchung des Kniegelenkes
Abb. 33 n
Prüfung der
passiven
Patellaver−
schieblichkeit.
a Passive Kranial−
verschiebung der
Patella.
b Passive Ver−
schieblichkeit
der Patella nach
medial.
Der Bewegungsvorgang wird wiederholt und dabei
die flache Hand auf die Kniescheibe gelegt. Dabei kön−
nen unebenes Gleiten und insbesondere Krepitationen
deutlich gespürt werden.
n
Hyperpressionstest
In Rückenlage und Streckstellung des Knies wird mit der
flachen Hand die Kniescheibe gegen das Femur ge−
drückt. Ein dadurch ausgelöster Schmerz hat seine Ur−
sache meist in einer Chondropathia patellae, einem
korrespondierenden Knorpelschaden im femoralen
Gleitlager oder synovialen Problemen.
n
Zohlen−Zeichen
In Rückenlage und Streckstellung des Knies wird die
Patella mit Daumen und Zeigefinger erfasst, distalisiert
und bei aktiver Anspannung des M. quadriceps auf das
Femur gedrückt. Bei einer Chondropathie im patellaren
Gleitlager werden dabei Schmerzen ausgelöst.
Abb. 34 n Prüfung der Schmerzhaftigkeit des retropatellaren Knorpelbelages
(Patellauntergreifschmerz).
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
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Beckengürtel und untere Extremität
n
Patellafacettentest
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Josef Zacher
Die Patella wird von seitlich etwas aus ihrem Lager ge−
drängt und mit dem Finger ein Druck auf die damit frei
zugängliche Patellafacette ausgeübt (Abb. 34 ). Bei fri−
schen Verletzungen oder chronischen Knorpelschäden
löst dies einen Schmerz aus.
Hobrechtsfelder Chaussee 96
13125 Berlin
E−mail: Zacher.Berlin−Buch@t−online.de
Baumgartl F, Thiemel G. Untersuchung des Kniegelenkes. Stutt−
gart: Thieme, 1993
Frisch H. Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates.
8. Auflage. Berlin: Springer, 2001
Hepp WR, Debrunner HU. Orthopädisches Diagnostikum.
7. Auflage. Stuttgart: Thieme, 2004
Kohn D. Knie. Stuttgart: Thieme, 2005
Strobel M, Stedtfeld W. Diagnostik des Kniegelenkes. Berlin: Sprin−
ger, 1991
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 1
Klinik für Orthopädie
und Orthopädische Rheumatologie
Telefon: 030/94 01−63 90
Telefax: 030/94 01−62 14
Literatur
50
Helios Klinikum Berlin−Buch,
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