Las Vegas Studio
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Las Vegas Studio Las Vegas Studio Bilder aus dem Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown Herausgegeben von Hilar Stadler und Martino Stierli in Zusammenarbeit mit Peter Fischli Museum im Bellpark, Kriens Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt a. M. Scheidegger & Spiess Das Buch erscheint anlässlich der Ausstellungen «Las Vegas Studio. Bilder aus dem Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown» Museum im Bellpark, Kriens 23. November 2008 bis 8. März 2009 Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt a. M. 27. März bis 5. Mai 2009 Herausgeber Projektidee Bildauswahl Redaktion Autoren Gespräch Lektorat Korrektorat Übersetzung Text S. von Moos Transkription Gespräch Übersetzung Gespräch Gestaltung Schrift Bildbearbeitung und Lithos Druck und Bindung Hilar Stadler, Martino Stierli Gerold Kunz, Hilar Stadler Peter Fischli, Hilar Stadler, Martino Stierli Thomas Kramer, Hilar Stadler, Martino Stierli Martino Stierli, Stanislaus von Moos Peter Fischli, Rem Koolhaas, Hans Ulrich Obrist Nadine Olonetzky, Thomas Kramer Brigitte Frey Barbla Rüegg Daniela Janser Daniela Janser, Thomas Kramer NORM, Zürich Replica-Regular, www.lineto.com Tricolor, Zürich DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Thüringen DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Thüringen Copyright © 2008 Museum im Bellpark, Kriens, und Verlag Scheidegger & Spiess AG, Zürich Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved Für alle Fotografien des «Learning from Las Vegas Research Studio» © Venturi, Scott Brown & Associates, Philadelphia © Die Textrechte liegen bei den Autoren Für weitere Angaben siehe den Abbildungsnachweis auf S. 194 Deutsche Ausgabe Englische Ausgabe ISBN 978-3-85881-229-2 ISBN 978-3-85881-717-4 Die vorliegende Publikation wurde unterstützt durch: Stanley Thomas Johnson Stiftung Stiftung Otto Pfeifer Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung Grand Casino Luzern AG Gemeinde Kriens Dank: Robert Venturi und Denise Scott Brown, Philadelphia John Izenour, Venturi, Scott Brown & Associates, Philadelphia Jim Venturi, New York Bret Taboada, Philadelphia William Whitaker, Architectural Archives, University of Pennsylvania Stanislaus von Moos, Zürich Peter Fischli, Zürich Rem Koolhaas, Rotterdam Hans Ulrich Obrist, London Pietro Mattioli, Zürich Oliver Elser, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt a. M. Gerold Kunz, Ebikon Thomas Kramer, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich Nadine Olonetzky, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich Ronny Ochsner, Tricolor, Zürich Damaris Henny, Tricolor, Zürich Ein Projekt des Museums im Bellpark, Kriens www.bellpark.ch Erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess AG, Zürich www.scheidegger-spiess.ch 5 Inhaltsverzeichnis 7 Second Reading 9 Las Vegas Studio Martino Stierli 11 Bilder aus dem Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown 33 Flaneure in Automobilen Peter Fischli Rem Koolhaas Hans Ulrich Obrist 161 Tableaux Stanislaus von Moos 173 Bildlegenden Biografien 194 196 Second Reading Die architekturtheoretische Schrift Learning from Las Vegas aus dem Jahr 1972 besticht in erster Linie durch ihren einnehmenden Bilddiskurs. Die fotografische Spur ist tragendes Mittel bei der Darstellung des Forschungsgegenstandes und prägendes Instrument der Argumentation von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour. Wenn im Zusammenhang mit Learning from Las Vegas immer wieder von Tabubrüchen gesprochen wird, so kann die Verwendung der aus der Anthropologie und Kunst entlehnten Fotografie als eine dieser Provokationen gelesen werden. Dass die Protagonisten des «Las Vegas Studio» selbst zur Kamera griffen und Architektur unter den Gesichtspunkten von Erscheinung und Phänomen behandelten, musste bei den Kollegen, die Architektur als eine aus der Struktur entwickelte Aufgabe verstanden, Befremden auslösen. Das übergeordnete Interesse der Herausgeber am Bildbestand der Las-Vegas-Studie gründet auf dieser Lesart. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, die Fotografien einer «Relecture» und einer Neubewertung zuzuführen. Unsere Aufmerksamkeit gilt somit jenem Arbeitsinstrument, das zwar Bild für Bild die Intentionen von Venturi und Scott Brown darlegt, das aber durch ihre Auswertung im Sinne einer Theorie architektonischer Kommunikation immer mehr an Bedeutung verlor. Die Fotografie war für die Autoren primär Mittel zum Zweck. Unser Projekt kehrt sozu sagen vor die Thesenbildung zurück und nimmt direkt Bezug auf das fotografische Material, das durch eine bezaubernde, nachlässige Schönheit beeindruckt. Die Fotografien der Las-Vegas-Recherche sind heute Teil des Bildarchivs von Venturi, Scott Brown & Asso ciates in Philadelphia. Robert Venturi und Denise Scott Brown haben ihr Archiv für unser Vorhaben geöffnet und es umfänglich zugänglich gemacht. Es war ein besonders denkwürdiger Anlass, in diesen Diapositiv- Bestand Einsicht nehmen zu können. Auf der Grund lage eines Überblicks haben wir in Zusammenarbeit mit Peter Fischli vom Künstlerduo Fischli/Weiss eine Auswahl getroffen, die mit diesem Buch erstmals vorgelegt wird. Der Zugang zum Material ist primär durch das Interesse am Bild motiviert. Das genuin Bildhafte, die fotografischen Qualitäten haben uns bei unserer Lektüre massgeblich geleitet. Wir haben die Bilder aus dem ursprünglichen argumentativen Zusammenhang gelöst und stellen sie als fotografische Sensationen vor. Die Fotografien wurden von verschiedenen Teilnehmern des «Las Vegas Studio» aufgenommen. Können etwa 9 die Bilder von 1966 hauptsächlich Denise Scott Brown zugeschrieben werden, so ist das Wissen über die Autorschaft der späteren Bilder heute nur mehr lückenhaft. Die Fotografien sind jedoch offensichtlich unter der Anleitung und den Vorgaben von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour entstanden. Insofern möchten wir von einer konzeptuellen Autorschaft der Verantwortlichen ausgehen. Unsere Auswahl fokussiert, ohne die ikonenhaften Bilder zu vernachlässigen, nicht zuletzt auf Neben aspekte des Forschungsunternehmens. Sie rückt Bilder in den Vordergrund, die bisher nicht bekannt waren und sich am Rande der Las-Vegas-Recherche als Themen abgelagert haben. Wird sind der Meinung, dass gerade in diesen sozusagen unbewussten Momenten das eigentliche Interesse von Venturis und Scott Browns Annäherung an Las Vegas deutlich wird. So machen diese Fotografien ihre Urheber im Sinne von Rem Koolhaas zu jenen Ghostwritern von Las Vegas, als die wir sie heute kennen und schätzen. Wir danken Robert Venturi und Denise Scott Brown für ihr Vertrauen und ihre grosse Unterstützung herzlich. Sie erst haben es ermöglicht, das Projekt zu realisieren. Wir danken Stanislaus von Moos für die von Anfang an wohlwollende Begleitung des Vorhabens. Die Bildauswahl haben wir mit Peter Fischli erarbeiten dürfen. Für die spannende und anregende Zusammenarbeit möchten wir uns bedanken. Unseren Dank richten wir auch an Rem Koolhaas und Hans Ulrich Obrist, die im Rahmen eines Gesprächs mit Peter Fischli eine sehr persönliche Sichtung einiger Bilder unternommen haben. Dabei haben sich bisher unbedachte Aspekte und neue Zugänge erschlossen. Wir danken ausserdem John Izenour von Venturi, Scott Brown & Associates in Philadelphia für die Abwicklung des Projekts sowie William Whitaker von den Architectural Archives der University of Pennsylvania für die Ausleihe wichtiger Originalobjekte. Das Projekt wird unter der Federführung des Museums im Bellpark durchgeführt. Die Publikation erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. Wir danken Thomas Kramer, Verlagsleiter, für die engagierte Zusammenarbeit. Für die inspirierte grafische Umsetzung unserer Vorstellungen danken wir Dimitri Bruni, Manuel Krebs und Ludovic Varone von Norm in Zürich herzlich. Die Drucklegung der Publikation wurde durch grosszügige Beiträge verschiedener Institutionen und Gremien in dankenswerter Weise unterstützt. Hilar Stadler, Museum im Bellpark, Kriens Martino Stierli Las Vegas Studio 11 Martino Stierli 1) Der vorliegende Text basiert auf einer Dissertation, die 2007 an der ETH Zürich angenommen wurde. Vgl. Martino Stierli: Ins Bild gerückt. Ästhetik, Form und Diskurs der Stadt in Venturis und Scott Browns Learning from Las Vegas. Diss. ETH Zürich, 2007. Die Publikation ist in Vorbereitung und erscheint 2009 im gta Verlag, Zürich. 2) «New analytic techniques must use film and videotape to convey the dynamism of sign architecture and the sequential experience of vast landscapes.» Denise Scott Brown: «Learning from Pop» (1971), in: Robert Venturi und Denise Scott Brown: The View from the Campidoglio. Selected Essays 1953−1984. New York (Harper & Row), 1984, S. 26–33, hier S. 28–31. A) 3) Vgl. Diane L. Minnite: «Chronology», in: David B. Brownlee, David G. De Long und Kathryn B. Hiesinger: Out of the Ordinary. Robert Venturi, Denise Scott Brown & Associates. Architecture, Urbanism, Design. Philadelphia (Philadelphia Museum of Art), 2001, S. 244–251, hier S. 247. 4) Vgl. Robert Venturi und Denise Scott Brown: «A Significance for A&P Parking Lots or Learning from Las Vegas», in: Architectural Forum 128 (März 1968), Nr. 2, S. 36–43, 89, 91. (auf Deutsch erschienen als: «Der Parkplatz von Atlantic & Pacific oder: Was lehrt uns Las Vegas?», in: Werk 56 [1969], Nr. 4, S. 257–266); Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour: Learning from Las Vegas. Cambridge, Mass. und London (MIT Press), 1972. B) A) Denise Scott Brown: Strassenszene, Los Angeles, ca. 1966 12 B) Titelseite der Zeitschrift Architectural Forum, März 1968, mit einer Fotografie von Denise Scott Brown Robert Venturi, Denise Scott Brown und das Bild der Stadt Venturi und Scott Brown in Las Vegas. Eine Chronologie der Ereignisse Learning from Las Vegas war sowohl eine seriöse städtebauliche Studie als auch ein rhetorischer Paukenschlag. Das Buch brachte das Unbehagen seiner Autoren am zeitgenössischen Architekturdiskurs bild- und wortmächtig vor. 1) Kaum je seit der Veröffentlichung im Jahr 1972 ist es einer architekturtheoretischen Schrift gelungen, den fachlichen Diskurs in gleichem Masse zu vereinnahmen, von Rem Koolhaas’ und Bruce Maus S,M,L,XL (1995) vielleicht einmal abgesehen. Die Studie traf den Nerv der Zeit, indem sie Antworten auf Fragen suchte, die Architektur und Städtebau seit geraumer Zeit beschäftigt hatten. Zur Diskussion standen die Form und Ästhetik der zeitgenössischen Stadt. Die architektonische Fachwelt begegnete der zunehmenden Dezentralisierung und Suburbanisierung mit Ratlosigkeit und Ablehnung. Diese Phänomene wurden als Krise nicht nur der Funktion, sondern auch des Bildes der Stadt wahrgenommen und kontrovers diskutiert. Eine grundlegende Frage des Städtebaudiskurses um 1960 lautete daher: Was war das Bild der zeitgenössischen Stadt? Wie konnte dieser Siedlungsbrei noch als kohärente Einheit begriffen und visuell zur Darstellung gebracht werden? Mit ihrer Unter suchung zu Las Vegas, die Mitte der 1960er Jahre einsetzte und in der berühmten Buchpublikation mündete, traten Robert Venturi und Denise Scott Brown an, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ihr Interesse fokussierten sie auf den kommerziellen Strip von Las Vegas, weil sie darin die Ästhetik des «Urban Sprawl» in ihrer reinsten und zugleich extremsten Form zu erblicken glaubten. Dem Gegenstand ihrer Betrachtung begegneten sie ambivalent, nämlich sowohl mit einem wissenschaftlich-analytischen als auch einem ästhe tischen Blick. Auf der einen Seite ging es ihnen darum, die spezifischen visuellen Eigenschaften dieser Stadtform umfassend und faktentreu zu dokumentieren. Auf der anderen Seite übte die spektakuläre Ästhetik der (Zeichen-) Architektur am Strip unverkennbar eine grosse Faszination aus. Bei ihrem Ansinnen verliessen sich Venturi und Scott Brown in erster Linie auf die populären Bildmedien Fotografie und Film. Bereits zuvor hatte eine Reihe von Publikationen sich dieser relativ neuen Medien bedient, um Städte darzu stellen. Venturi und Scott Brown nutzten sie erstmals konsequent zur umfassenden Bestandsaufnahme einer Stadt im Rahmen einer architekturtheoretischen Studie. «Neue Analyseverfahren», schrieb Denise Scott Brown 1971 in diesem Zusammenhang, «müssen Film und Video nutzen, um die dynamische Kraft der Zeichenarchitektur und die sequenzielle Erfahrung weiter Landschaften zu vermitteln.» 2) Der Impuls zur vertieften Auseinandersetzung mit Las Vegas ging wesentlich von Denise Scott Brown aus. Die im südlichen Afrika geborene und aufgewachsene Architektin und Stadtplanerin war nach ihrem Studium an der Londoner Architectural Association School of Architecture mit ihrem ersten Ehemann Robert Scott Brown nach Philadelphia übersiedelt, zunächst um beim amerikanischen Architekten Louis Kahn weiterzustudieren, bald aber auch, um selbst an der University of Pennsylvania zu unterrichten. Hier lernte sie 1960 als junge Witwe Robert Venturi kennen. 3) 1965 wechselte Scott Brown an die Westküste, um an der University of California zu unterrichten und um den auto-orientierten Städtebau des amerikanischen Südwestens vor Ort zu studieren. A) 13 Ihr besonderes Interesse erweckte neben der Funktion und Ästhetik der Highways von Los Angeles die Stadt Las Vegas und deren kommerzieller Strip, an dem sich seit den frühen 1940er Jahren eine grosse Anzahl von Kasinos, Hotels und anderen Unterhaltungslokalen angesiedelt hatte. Ihr temporärer Wohnsitz in Los Angeles machte es Scott Brown möglich, die nahe gelegene Vergnügungsstadt im Bundesstaat Nevada wiederholt zu besuchen. Die frühesten Dokumente zu Las Vegas, die sich in ihrem Bildarchiv erhalten haben, stammen vom April 1965. Im Jahr darauf lud sie ihren Kollegen Venturi zu einer ersten gemeinsamen Erkundung der Wüstenstadt ein, die im November 1966 stattfand. Die Reise erwies sich in zweifacher Hinsicht als folgenreich. Auf der einen Seite resultierte daraus ein theoretischer Aufsatz, der 1968 in der März-Ausgabe der Zeitschrift Architectural Forum e rschien und der erstmals den späteren Buchtitel nannte: «������ A Significance for A&P Parking Lots or Learning from Las Vegas». B) Dieser Essay war mit zahlreichen Bildern illustriert, die Scott Brown vor Ort geschossen hatte; er nahm aber auch den Wortlaut der Buchpublikation von 1972 weitgehend vorweg. 4) Auf der anderen Seite ging auch die Idee Venturis und Scott Browns auf diese Reise zurück, den Strip von Las Vegas zu einem Untersuchungsgegenstand der zeitgenössischen Architektenausbildung zu erheben, obschon Scott Brown bereits während ihrer Lehr tätigkeit an der University of California at Los Angeles ins Auge gefasst hatte, einen solchen Kurs anzubieten. Diese Idee verwirklichten sie 1968 mit einer Lehrveranstaltung an der Yale University. In ihrem sogenannten «Research Studio», das sich ausdrücklich an Architekten richtete, ging es darum, die wissenschaft liche Forschung und den architektonischen Entwurf in 5) Die Namen der beteiligten Studenten waren: Ralph Carlson, Tony Farmer, Ron Filson, Glen Hodges, Peter Hoyt, Charles Korn, John Kranz, Peter Schlaifer, Peter Schmitt, Dan Scully, Doug Southworth, Martha Wagner und Tony Zunino. 6) Ralph Carlson, persönliche Mitteilung, Mai 2005. 7) Brief von Robert Venturi an Bruno Alfieri, 18. April 1969, VSB 505, «Out LLV», Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. 8) Vgl. Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour: «Studio LLV: Research Topics. Phase I, Tooling Up. Phase II, Library Research and Preparation», in: dies.: Studio LLV: Learning from Las Vegas, or Form Analysis as Design Research, Third Year Studio. New Haven (Yale Univer sity, Department of Architecture), 1968. 9) «Our problem is to find the graphic means to distinguish our hard knowledge from the [t]rem endous [sic] variety of subjective, but no less meaningful, knowledge we all brought back from Las Vegas.» Vgl. Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour: «Studio LLV: Research Topics. Phase V, Deepening and Honing», in: Venturi/Scott Brown/Izenour 1968 (wie Anm. 8). 10) Wie Anm. 7. 11) Diese Filme hiessen: Fremont Electroorgasmic (von Peter Schlaifer), Three Projector Dead Pan, Impulse Vision, Selected Vision, Sign Cycles, Image (von Peter Schlaifer), Time Lapse sowie Three Projector Deadpan II. Vgl. Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour: «Final Presentation: Schedule», in: Venturi/Scott Brown/Izenour 1968 (wie Anm. 8). 12) Scott Brown hat darauf hingewiesen, dass diese spezifische Verwendung von Bildmaterial auch im Zusammenhang mit dem Modell des partizipatorischen Städtebaus («advocacy planning»), das damals seinen Höhepunkt erlebte, gesehen werden muss. Aus ihrer Sicht kam das Ausstellungskonzept auch «aus dem Städteplanungsunterricht und aus dem Gewicht, das der Notwendigkeit beigemessen wurde, grafische Darstellungs- und Kommunikationsmittel zu ent wickeln, die in einer öffentlichen Versammlung und speziell von einem unterprivilegierten Publikum gesehen und verstanden werden können […]. Ein hauptsächliches Anliegen der Las-VegasStudie bestand darin, die verschiedenen kulturellen Werte derjenigen Menschen zu verstehen und einzubeziehen, für die Stadtplanung betrieben wurde.» («It too came from planning school and the stress on the need to produce graphic communication that could be seen and understood at a public meeting, and especially one attended by low-income people […]. A major aim of the [Las Vegas] study was to understand and work with the diverse cultural values of those planned for in cities.») Denise Scott Brown, persönliche Mitteilung, September 2008. C) 13) «We think it went well in general, but I am still a little un believing that some people can’t understand we just wanted to look at Las Vegas in a dead-pan way which is also a poetic way of long standing.» Brief von Robert Venturi an Vincent Scully, 16. Januar 1969, VSB 284, «letters Jan – April 69», Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. D) C) Die Studenten des «Learning from Las Vegas Research Studio» bei der Ankunft in Las Vegas, 1968 14 D) «The Grand Proletarian Culture Locomotive»: Einladungsplakat zur Schlussveranstaltung des «Learning from Las Vegas Research Studio», Yale University, 10. Januar 1969 einem einzigen Lehrgefäss miteinander zu verbinden. 5) Scott Brown hatte die Idee, Forschung und Entwurf in der Lehre zu verknüpfen, aus ihrer Ausbildung als Stadtplanerin heraus entwickelt und bereits in den frühen 1960er Jahren als Dozentin an der University of Pennsylvania informell mit diesem Modell experimentiert. Im Kontext der Zeit handelte es sich dabei um einen äusserst innovativen und, angesichts der ungewöhnlichen Thematik, auch um einen subversiven Ansatz der Architekturausbildung. Auf methodischer Ebene sollte den Studenten beigebracht werden, die Forschung als wichtige Grundlage für den eigenen Entwurf zu begreifen. Auf der Ebene des Inhalts waren die Studenten angehalten, sich mit visuellen Phänomenen des Alltags und der amerikanischen Populärkultur zu beschäftigen, denen die etablierte Architektur mit Ablehnung begegnete. Nach einer mehrwöchigen Vorbereitungszeit bildete eine zweiwöchige Exkursion nach Los Angeles und Las Vegas im Oktober 1968 den Höhepunkt der Lehrveranstaltung. C) Während die vier Tage in Los Angeles unter anderem für einen Besuch in Disneyland sowie im Atelier des Künstlers Ed Ruscha genutzt wurden, 6) stand in Las Vegas während der folgenden zehn Tage die empirische Daten erhebung im Vordergrund. Das zentrale Ziel bestand darin, die spezifische Ästhetik und Form von «Strip» und «Sprawl» in Fotografie und Film zu dokumentieren. Neben rund fünftausend Farbdias und dreitausend Metern Film trug die Gruppe auch eine grosse Zahl von Dokumenten mit statistischen, ökonomischen und planerischen Angaben zusammen. 7) Eine grosse Zahl der fotografischen Zeugnisse und sämtliche Filme wurden von den Studenten erstellt, allerdings unter detaillierter konzeptueller Anleitung Venturis und Scott Browns. Sie trugen die Verantwortung für das Gesamtprojekt und wurden dabei von ihrem Assistenten Steven Izenour unterstützt, der bei der Durchführung der Lehrveranstaltung wesentlich beteiligt war und bei der Buchpublikation als dritter Autor firmieren sollte. Venturi und Scott Brown definierten in ihrem Forschungsseminar an der Yale University eine Reihe von thematischen Schwerpunkten, die von den Studenten jeweils in Gruppen bearbeitet werden sollten. Die zentrale Zielsetzung bestand darin, ein adäquates Bild der zeitgenössischen Stadt zu gewinnen. Die Aufgabe «User Behavior» etwa sah vor, anhand eines «Commercial Strip» in New Haven die Verhaltensmuster der (mobilisierten) Strassenbenutzer zu analysieren. Dabei sollte untersucht werden, welche Darstellungsformen sich dafür besonders eigneten, wobei neben Karten und Diagrammen auch Filme zur Diskussion gestellt wurden. Bei «Las Vegas Image» ging es darum, herauszufinden, wie ein angemessenes «Bild» von Las Vegas ermittelt werden könnte. Venturi und Scott 15 Brown wiesen darauf hin, dass die Literatur und Kunst ein starkes Image der Stadt konstruiert und vermittelt hatten. An anderer Stelle wurden die Studenten ermuntert, mit Darstellungsformen wie «mapping, movies, collages, multi-media, multi-slide projection�������� » zu experimentieren. «Graphic and Other Techniques of Representation��������������������������������������� » schliesslich machte Bild und Darstellung der Stadt offen zum Thema. Das Modul ging von der These aus, dass traditionelle Repräsentationstechniken aufgrund ihrer statischen Natur das Verständnis für die Form der zeitgenössischen Stadt behinderten und deshalb nach alternativen Darstellungsmodi zu suchen sei. 8) Die primäre Zielsetzung der Veranstaltung wiederholten Venturi und Scott Brown in einem Zwischenbericht nach der Rückkehr aus Las Vegas: «Unsere Aufgabe ist es, grafische Mittel zu finden, um unser ‹hartes› Faktenwissen von der riesigen Vielfalt eines subjektiven, aber dennoch bedeutsamen Wissens zu unterscheiden, das wir alle aus Las Vegas mitgebracht haben.» 9) Aus dem zusammengetragenen Bildmaterial entstanden nach Massgabe des Arbeitsprogramms rund achtzig Karten, Tabellen und Diagramme sowie Film- und Diasequenzen. 10) Den Abschluss der wissenschaftlichen Untersuchung bildete die Schlusspräsentation des Seminars am 10. Januar 1969 an der Yale School ��������������������������� of Art and Architecture. D) Zum einen wurden aus diesem Anlass die Filme vorgeführt, die die Studenten während ihres Aufenthalts in Las Vegas gedreht hatten. 11) Zum anderen wurde eine Ausstellung mit den verschiedenen Tabellen, Tafeln, Karten und Collagen eingerichtet. Die Dimension und Organisation dieser Darstellungsmittel waren spezifisch auf die Ausstellungspräsentation hin ausgelegt, das heisst grossformatig und zur Rezeption eher in einem assoziativen als linear-diskursiven Rahmen geeignet. 12) Bei der Buchpublikation kam es dann zu einer Sekundärverwendung desselben Bildmaterials, die nicht in allen Fällen problemlos funktionierte. Aber auch die Schlusspräsentation stiess auf teils harsche Kritik. In einem Brief vom 16. Januar 1969, in dem sich Venturi bei einigen prominenten Besuchern – etwa beim Kunsthistoriker Vincent Scully, beim Architekten Morris Lapidus und beim Schriftsteller Tom Wolfe – für ihre Anwesenheit bedankte, heisst es dazu: «Wir finden, [die Schlusspräsentation] lief grundsätzlich gut, aber ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass einige Leute nicht begreifen wollen, dass wir Las Vegas ganz einfach in einer unvoreingenommenen und teilnahmslosen Weise betrachten wollten; was auch seit langer Zeit eine poetische Art der Betrachtung ist.» 13) Die mitunter vehemente Ablehnung des Projekts durch die Kollegen nahm eine Debatte vorweg, die den 14) Vgl. [Robert Venturi]: «�������������������������������� A Significance for A and P Parking Lots or Learning from Las Vegas», in: «Manuscript LV», Box VSB 27, Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. 15) Vgl. etwa den Brief von Robert Venturi an Michael Connelly, 11. Februar 1972, «LLV Book Current Notes Things to Do», Box 47626827, Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. 16)���������������������������� Zum populären, durch Literatur und Medien verbreiteten Bild von Las Vegas in der amerika nischen Wahrnehmung vgl. die nicht publizierte Dissertation von Edward E. Baldwin: Las Vegas in Popular Culture. Diss. University of Nevada, Las Vegas 1997. Vgl. auch Mike Tronnes (Hrsg.): Literary Las Vegas. The Best Writing About America’s Most Fabulous City. New York (Henry Holt), 1995. Zur (Architektur-) Geschichte von Las Vegas allgemein vgl. ins besondere Eugene P. Moehring: Resort City in the Sunbelt. Las Vegas, 1930–1970. Reno und Las Vegas (University of Nevada Press), 1989; Alan Hess: Viva Las Vegas. After-Hours Architecture. San Francisco (Chronicle Books), 1993; Mark Gottdiener, Claudia C. Collins und David R. Dickens: Las Vegas. The Social Production of an All-American City. Malden, Mass. und Oxford (Blackwell), 1999. 17) Vgl. dazu Julian Halevy: «Disneyland and Las Vegas», in: The Nation 186 (7. Juni 1958), Nr. 23, S. 510–513; John Pastier: «The Architecture of Escapism», in: AIA Journal 67 (1978), Nr. 14, S. 26–37. – Zur Problematik von Las Vegas zwischen Realität, Repräsentation und Simulation (in der Gegenwart) vgl. Joy Ramirez: «The Desert of the Real: Las Vegas and the Production/Reproduction of the Postmodern City», in: Yearbook of Comparative and General Literature 49 (2001), S. 177–191. E1) E2) 18) Vgl. Jay Robert Nash und Stanley Ralph Ross: The Motion Picture Guide, 12. Bde. Chicago (Cinebooks), 1985−1987, S. 1602. 19) Stanislaus von Moos: «Die Zukunft liegt in der Wüste», in: NZZ am Sonntag, 8. Mai 2005, S. 67. 16 E) Titelseiten der ersten und zweiten Auflage von Learning from Las Vegas, 1972 und 1977 Architekturdiskurs nach der Veröffentlichung von Learning from Las Vegas nachhaltig bestimmen sollte. Diese wurde nach der Lehrveranstaltung an der Yale University zügig in Angriff genommen. Ein frühes handschriftliches Manuskript, das bereits der Erstveröffentlichung im Architectural Forum 1968 zugrunde lag, lässt auf Venturi als Erstautor schliessen, obschon die Beschäftigung mit der alltäglichen amerikanischen Stadtlandschaft und dem Bild der Stadt zunächst von Scott Brown initiiert worden war. Spätestens in der Überarbeitungsphase ist dann von einer Gemeinschaftsarbeit auszugehen.14) Mit dem sprachlichen Duktus des Texts war der Leser bereits aus Venturis Erstling Complexity and Contradiction in Architecture aus dem Jahr 1966 bestens vertraut. Der Sprachwitz und der dort festzustellende Hang etwa zu Alliterationen und eingängigen Formulierungen ist ohne Weiteres auch in Learning from Las Vegas anzutreffen und äussert sich in solchen Begriffspaaren wie «learning» / «Las Vegas», «vitality» / «validity» oder «duck» / «decorated shed», aber auch in Wendungen wie «(Billboards) Are Almost All (Right)». Die Zusammenarbeit mit dem Verlag erwies sich insbesondere aus Sicht der Autoren als problematisch. Venturi und Scott Brown konnten dem aufwändigen modernistischen Design der Buchgestalterin Muriel Cooper von der MIT Press wenig abgewinnen und taten ihren Unmut in zahlreichen Briefen kund. 15) Trotzdem hielt die Grafikerin an ihren Prinzipien weitgehend fest. Hingegen übernahmen die Autoren bei der grafischen Gestaltung der zweiten Auflage die alleinige Verantwortung. Diese erschien als revidierte Taschenbuchausgabe 1977 und damit fünf Jahre nach der grossformatigen und opulent gestalteten Original ausgabe. E) Die Unterschiede beschränken sich nicht nur auf das stark verkleinerte Buchformat, sondern auch auf eine starke Reduktion des Bildanteils. Aus einem «coffee table book» für Connaisseurs wurde ein wissenschaftlicher Traktat, in dem die Ebene des Texts jene des Bildes deutlich überwog. Ironischerweise war es nicht zuletzt die von Venturi und Scott Brown verschmähte grafische Gestaltung der Erstausgabe, die Aufsehen erregte und erheblich zum legendären Ruf der Studie beitrug. Las Vegas in der populären Wahrnehmung Als Venturi und Scott Brown sich mit Las Vegas zu beschäftigen begannen, verfügte die Stadt in der populären Wahrnehmung über ein Image, das sie von allen anderen Städten deutlich abhob. Aufgrund seiner Gründung als kleine Eisenbahnstadt im Mai 1905 in der unwirtlichen Mojave-Wüste, mehr noch aber wegen seines rasanten Aufstiegs zum nationalen Unterhaltungs- 17 und Glücksspielmekka ab den 1930er Jahren war Las Vegas ein bevorzugter Ort der kollektiven Imagination Amerikas. Zum einen kam der Stadt in der puritanisch geprägten amerikanischen Gesellschaft so etwas wie der karnevaleske Gegenpart zur dominanten WASP(White Anglo-Saxon Protestant) Kultur zu. Hier war vieles von dem erlaubt, was andernorts tabu, verpönt, verboten war; hier konnte sich die dionysisch-dunkle Seite der amerikanischen Psyche austoben. Zum anderen funktionierte Las Vegas als Ventil für den Wohlstand der Nachkriegszeit, wo eine zu Geld gekommene Mittelklasse ihr Bedürfnis nach Zerstreuung befriedigte. In den literarischen Schilderungen von Las Vegas rückten ab den 1940er Jahren immer wieder die Welt des Glücksspiels sowie seine (angeblichen) Verstrickungen mit dem organisierten Verbrechen in den Blickpunkt. 16) Kulturkritische «Apokalyptiker» verglichen Las Vegas wiederholt mit dem 1955 eröffneten Disneyland und geisselten es als Sammelbecken eskapistischer Träume, wo der Durchschnittsamerikaner seinem Alltag entfliehen konnte, dabei aber erst recht in die kapitalistische Verwertungsmaschinerie geriet. 17) Als populäres Bildmedium par excellence war der Film – mehr noch als die Printmedien – hervorragend dazu angetan, Vorstellungen über Las Vegas in der kollektiven Wahrnehmung zu generieren und zu transportieren. Die lokale Tourismusindustrie profitierte vom exotischen Image der Stadt und setzte alles daran, dieses zu stärken, auch wenn es kaum mit der Realität übereinstimmte, ja diese oftmals in grotesker Weise verzerrte. Hollywood bot dazu gerne Hand. Der früheste Film, der Las Vegas ins Zentrum des Geschehens rückte, war Ralph Murphys Musical Las Vegas Nights aus dem Jahr 1941. 18) Für das Image von Las Vegas nicht unbedeutend war der kurze Auftritt von Frank Sinatra und der Tommy Dorsey Band. Diese Vorgabe griff Lewis Milestone 1960 mit der Gangsterkomödie Ocean’s Eleven auf. Darin waren Sinatra und den anderen im «Rat Pack» versammelten Jazz-Musikern, die zu dieser Zeit in Las Vegas täglich Auftritte absolvierten, die Hauptrollen beschieden. Mit dem Film etablierte sich Las Vegas im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner endgültig als ernst zu nehmendes Unterhaltungsmekka. Die Allianz mit dem Showbusiness kam auch darin zum Ausdruck, dass Las Vegas den Hintergrund für immer neue Musical-Produktionen ergab, so etwa in Roy Rowlands Produktion Meet Me in Las Vegas aus dem Jahr 1956. Im Unterschied zu früheren Schwarzweissfilmen erstrahlte das Setting hier in leuchtenden Technicolor-Farben und liess die Stadt im besten Licht erscheinen. Mit George Sidneys Viva Las Vegas aus dem Jahr 1964 erhielt Las Vegas endgültig die «Weihen der Popkultur» 19), figurierte 20) Vgl. Nash/Ross 1985–1987 (wie Anm. 18), S. 1603. 21) Venturi und Scott Brown zitierten Wolfes Artikel in der Erstveröffentlichung ihres eigenen Las-Vegas-Texts in der Zeitschrift Architectural Forum. Vgl. Venturi/ Scott Brown 1968 (wie Anm. 4), S. 42. Auch figurierte der Essay auf der obligatorischen Leseliste ihrer Lehrveranstaltung zu Las Vegas an der Yale University. Vgl. Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour: «Introduction», in: Venturi/Scott Brown/ Izenour 1968 (wie Anm. 8), S. 2. 22) Vgl. Tom Wolfe: The KandyKolored Tangerine-Flake Streamline Baby. New York (Bantam), 1977 (1. Aufl. New York [Farrar, Straus and Giroux], 1965). 23) «America’s first unconscious avant-garde!», Wolfe 1977 (wie Anm. 22), S. xvii. 24) «It is no accident that Las Vegas and Versailles are the only two architecturally uniform cities in Western history.» Wolfe 1977 (wie Anm. 22), S. xvi. 28) Vgl. Reyner Banham, «The Missing Motel», in: The Listener, 5. August 1965, S. 6; ders.: «Toward a Million-Volt Light and Sound Culture» in: The Architectural Review 141 (Mai 1967), Nr. 843, S. 331–335; ders.: «Mediated Environments or: You can’t build that here», in: C. W. E. Bigsby (Hrsg.): Superculture. American Popular Culture and Europe. Bowling Green (Bowling Green University Popular Press), 1975, S. 69–82. Scott Brown kannte Banham aus ihrer Londoner Studienzeit und war mit seinen Schriften bestens vertraut. Vgl. Denise Scott Brown: «Learning from Brutalism», in: David Robbins (Hrsg.): The Independent Group: Postwar Britain and the Aesthetics of Plenty. Cambridge, Mass. und London (MIT Press), 1990, S. 203–206, hier S. 203. F) 25) «The important thing about the building of Las Vegas is not that the builders were gangsters but that they were proles.» Wolfe 1977 (wie Anm. 22), S. xvi. 26) Vgl. Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. Frankfurt am Main (Suhrkamp), 1977. 27) Vgl. dazu insbesondere Herbert Gans: The Levittowners. Ways of Life and Politics in a New Suburban Community. New York (Pantheon), 1967 (dt.: Die Levittowner. Soziographie einer «Schlafstadt», Bauwelt Fundamente 26. Gütersloh und Berlin [Bertelsmann], 1969); ders.: «Popular Culture in America: Social Problem in a Mass Society or Social Asset in a Pluralist Society?», in: Howard S. Becker (Hrsg.): Social Problems. A Modern Approach. New York (Wiley), 1966, S. 549–620; ders.: Popular Culture and High Culture. An Analysis and Evaluation of Taste. New York (Basic Books), 1999; Denise Scott Brown: «Between Three Stools. A Personal View of Urban Design Pedagogy», in: dies.: Urban Concepts, Architectural Design Profile 83. London/ New York (Academy Editions/ St. Martin’s Press), 1990, S. 9–20, hier S. 10. 18 G) F) George Sidney: Viva Las Vegas, 1964, Stills aus der Eröffnungssequenz G) Las Vegas als Emblem der Popkultur? Billboard am Strip doch Elvis Presley in dem Musical um einen mittellosen Rennfahrer in der Hauptrolle. F) Der Streifen diente nicht nur der Selbstinszenierung des Rockstars, sondern rückte auch die spektakuläre Ästhetik des nächtlich erleuchteten Strip und der Fremont Street in farbenprächtige Bilder. Viva Las Vegas hat wie kein anderer Film die Verführungskraft der Lichtarchitektur von Las Vegas in Szene gesetzt und damit zugleich das klassische Image der Stadt in der populären Wahrnehmung der 1960er Jahre geschaffen. Hollywood setzte sich bisweilen aber auch kritisch mit der Stadt und ihrer Ökonomie auseinander. Der Schatten des film noir ereilte die Stadt mit Robert Stevensons The Las Vegas Story aus dem Jahr 1952. 20) Auch Sidney Salkows Las Vegas Shakedown von 1955 war im Kasino-Milieu angesiedelt. Die Handlung des Films knüpfte an die Ereignisse rund um einen (realen) Untersuchungsausschuss an, der zu Beginn der 1950er Jahre die Verbindungen der Glücksspielindustrie mit dem organisierten Verbrechen aufzudecken versucht hatte. Francis Ford Coppola griff den Faden 1972 mit seinem Kriminalepos The Godfather auf, worin er die Romantisierung des amerikanischen Mafia-Milieus betrieb. Es waren diese Interpretationen, die das schillernde Image von Las Vegas prägten und die auch Venturis und Scott Browns eigene «Entdeckung» der Stadt konditionierten. Statt der Mythenbildung weiteren Vorschub zu leisten, war ihre Untersuchung darauf bedacht, ein Bild der Stadt und ihrer Architektur zu gewinnen, das durch keinerlei Werturteile verzerrt werden sollte. Las Vegas als Emblem der Populärkultur Das schillernde, medial vermittelte Image von Las Vegas rief früh auch eine intellektuelle Auseinandersetzung auf den Plan. Im Zentrum stand dabei die Frage, welchen Platz die Stadt in der amerikanischen Gegenwartskultur einnahm. Einen frühen Schlüsseltext bildete in dieser Hinsicht der Essay «Las Vegas (What?) Las Vegas (Can’t hear you! Too noisy) Las Vegas!!!!» des amerikanischen Autors Tom Wolfe. Dieser Beitrag nährte nicht nur Venturis und Scott Browns Interesse an einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Wüstenstadt massgeblich; er prägte überdies ihre Wahrnehmung von Las Vegas entscheidend mit. 21) Erstmals publiziert wurde der Beitrag im Februar 1964 in der Zeitschrift Esquire. 1965 – und damit rechtzeitig vor Venturis und Scott Browns erster gemeinsamer Reise nach Las Vegas – folgte der Wiederabdruck im Rahmen des Sammelbandes The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby, in dem sich Wolfe, ein an der Yale University ausgebildeter Anglist, zu verschiedenen Themen der amerikanischen Populärkultur 19 äusserte. 22) Im Kontext der Zeit ungewöhnlich an seinem Zugang war, dass er den massenkulturellen Phänomenen nicht als elitärer Snob begegnete, sondern darin ganz im Gegenteil eine vitale und authentische neue amerikanische Volkskultur erkannte. Wolfe sah in den mitunter skurrilen Ausprägungen dieser Populärkultur einen eigentlichen amerikanischen Stil, ja «Amerikas erste unbewusste Avantgarde!». 23) G) Was den Strip von Las Vegas betraf, so beschrieb ihn Wolfe neben dem Versailles des Sonnenkönigs gar als die einzige «architektonisch einheitliche Stadt der abendländischen Geschichte». 24) Erstmals in der Geschichte hatte sich die Massengesellschaft hier seiner Auffassung nach eine Stadt nach ihren eigenen Werten und Vorstellungen geformt: «Das Wichtige an Las Vegas ist nicht, dass seine Erbauer Gangster, sondern dass sie Proleten waren.» 25) Die Ästhetik des Las Vegas Strip war demnach, frei nach Siegfried Kracauer, ein «Ornament der Masse» der Gegenwart. 26) Kulturelle Entwicklung vollzog sich gemäss Wolfe nicht (mehr) im Sinne eines «Top-down»-Prozesses, in dem die ästhetischen Präferenzen der privilegierten sozialen Schichten von den übrigen Klassen imitiert wurden, sondern im Gegenteil als eine «Bottom-up»-Bewegung. Wolfes Darstellung gemäss war das sozial Periphere/Marginale zugleich das ästhetisch und kulturell Relevante. Diese These lieferte Venturi und Scott Brown, die selbst der architektonischen Hochkultur angehörten, eine Rechtfertigung für ihre Beschäftigung mit Las Vegas. Neben Wolfe spielten in dieser Hinsicht auch die Schriften des Soziologen Herbert Gans eine entscheidende Rolle, auf die sich Venturi und Scott Brown wiederholt bezogen. 27) Die kulturelle Bedeutung von Learning from Las Vegas lag mithin, soziologisch gesprochen, in der Orientierung der Architektur am «Unten», an der Ästhetik der amerikanischen Populärkultur. Dafür erhielten Venturi und Scott Brown in Wolfes Schriften entscheidende Impulse, in denen sich freilich die Inter essen der zeitgenössischen Pop Art spiegelten. Las Vegas im Architekturdiskurs der Zeit Nicht zuletzt unter dem Eindruck von Tom Wolfes Ausführungen waren auch andere wichtige Stimmen im Architekturdiskurs auf Las Vegas aufmerksam geworden. Im Diskurs, der sich abzeichnete, stand die Frage im Vordergrund, inwiefern Las Vegas als Modell einer Stadt der Zukunft gelten könne. Besonderes Gewicht erhielten in diesem Zusammenhang die Ausführungen des britischen Architekturhistorikers Reyner Banham, der sich in der Folge Wolfes in einer Reihe von Texten mit Las Vegas auseinandersetzte. 28) Bereits 1967, also noch vor dem Erscheinen der ersten Fassung von Venturis und Scott Browns Las-Vegas-Text, konstatierte er: «Las Vegas ist heutzutage eine verbindliche 29) «Las Vegas is now a ������ mandatory stop-over in the English architectural student’s grand tour of North America.» Banham 1967 (wie Anm. 28), S. 331. 30) «What defines the symbolic places and spaces of Las Vegas – the superhotels of The Strip, the casino-belt of Fremont Street – is pure environmental power, manifested as coloured light […] [I]n a view of architectural education that embraced the complete art of environmental management, a visit to Las Vegas would be as mandatory as a visit to the Baths of Caracalla or La Sainte Chapelle.» Vgl. Reyner Banham: The Architecture of the Well-tempered Environment. Chicago (The University of Chicago Press), 1969, S. 269. – Für die (abweichende) offizielle deutsche Übersetzung vgl. Reyner Banham: «Die Architektur der wohl-temperierten Umwelt», in: Arch+ 93 (1988), S. 20−98, hier S. 84. 31) «[…] one of the great works of collective art in the Western World.» Vgl. Reyner Banham: «Q: What Is the Main Drag of the American Fantasy? A: The Las Vegas Strip, in Case You Hadn’t Noticed … », in: Los Angeles Times WEST magazine, 8. November 1970, S. 36–41, hier S. 39. 32) Mendelsohns Faszination für Lichtarchitektur kam etwa in seinem Amerika-Buch zum Ausdruck. So hiess es neben einer Nacht aufnahme aus New York: «Tagsüber füllt sich die Stadt mit Energie, nachts sprüht sie alles Leben von sich.» (S. 25). Interessant ist Mendelsohns Kommentar zum Broadway, den er unter der Überschrift «Das Groteske» einordnet: Hier wird sorgsam zwischen Tagund Nachtarchitektur unterschieden. Zum Broadway bei Nacht heisst es: «Unheimlich. Die Konturen der Häuser sind ausgewischt. Aber im Bewusstsein steigen sie noch, laufen einander nach, überrennen sich […]. Noch ungeordnet, aber doch schon von phantastischer Schönheit, die einmal vollendet sein wird.» (Tafel 44). Dagegen bei Tage: «Verliert das Geheimnisvolle, Rauschende, Gleissende der Nacht. Ist nur ungezügelt, wild, überschreit sich selbst. Grandiose Tölpelei des Weltjahrmarktes» (Tafel 45). Vgl. Erich Mendelsohn: Amerika. Bilderbuch eines Architekten. Berlin (Rudolf Mosse), 1926. – Zu Scheerbart vgl. Paul Scheerbart: Glasarchitektur. Berlin (Gebr. Mann), 2000, S. 99 und S. 71. 20 33) «The point of studying Las Vegas, ultimately, would be to see an example of how far environ mental technology can be driven beyond the confines of architectural practice by designers who (for worse or better) are not inhibited by the traditions of architectonic culture, training and taste.» Banham 1969 (wie Anm. 30), S. 269f. − Für die (abweichende) offizielle deutsche Übersetzung vgl. Banham 1988 (wie Anm. 29), S. 84. 34) Banham 1969 (wie Anm. 30), S. 270. Vgl. dazu auch ein weiteres Statement Banhams aus dem Jahr 1975: «Decades ago the great movie palaces transformed themselves by draping their structures in neon and lights. More recently the casinos of Las Vegas revealed that with enough light one could almost abandon structure. The spaces of that wild city tend to be defined by masses of light that often have no building around them or behind them. It may sound strange, almost blasphemous, to say so, but it is in Las Vegas that one comes nearest to seeing gross matter transformed into aetherial [sic] substance by the power of light.» Reyner Banham: Age of the Masters. A Personal View of Modern Architecture. London (Architectural Press), 1975, S. 62. H) 35) Vgl. dazu Nigel Whiteley: Reyner Banham. Historian of the Immediate Future. Cambridge, Mass. und London (MIT Press), 2002, S. 187–243. 36) Peter Cook, Dennis Crompton und Ron Herron: «Instant City. First Stage», in: Architectural Design 39 (1969), Nr. 5, S. 276–280. 37) «The use of electrics-as-place is important. Las Vegas suggests that a really powerful environment can be created simply by passing an electric current – in daytime the hardware is nothing. Lights com bined with cinema projection can make the whole place a city where there is no city. It is suggested that the visitor himself could play with large areas of this lighting so that he makes it happen rather than gawp at it.» Cook/Crompton/ Herron 1969 (wie Anm. 36), S. 280. – Mit ihrer Einschätzung nahmen sie Tom Wolfes Beitrag vorweg, der in der gleichen Zeitschrift zwei Nummern später erschien als «Electrographic Architecture», in: Architectural Design 39 (1969), Nr. 7, S. 380–382. I) H) Der New Yorker Broadway bei Nacht: Abbildung aus Erich Mendelsohns Amerika. Bilderbuch eines Architekten, 1926 I) Archigram (Peter Cook, Dennis Crompton, Ron Herron): «Instant City», 1969 Zwischenstation, wenn englische Architekturstudenten ihre Grand Tour durch Nordamerika machen». 29) In seinem Standardwerk The Architecture of the Welltempered Environment kam Banham 1969 neuerlich auf Las Vegas zu sprechen. An der Wüstenstadt interessierte ihn in erster Linie die spektakuläre nächt liche Lichtarchitektur, während er der Form und Ästhetik der Stadt bei Tage weit weniger Relevanz beimass: «������������������������������������������������� Was die symbolischen Räume und Plätze von Las Vegas ausmacht – die Superhotels am Strip, der Kasinogürtel an der Fremont Street –, ist reine umwelttech nische Energie, die als farbiges Licht zum Ausdruck kommt. […] [D]ie Effektivität, mit der Raum definiert wird, [ist] überwältigend […], die Schaffung virtueller Volumina ohne sichtbare Konstruktion ist einmalig, die Vielfalt und Genialität der Lichttechnik ist unendlich gross. […] Aus der Sicht einer Architekturausbildung, die die gesamte Kunst der Behandlung und Gestaltung der gebauten Umwelt umfassen würde, wäre ein Besuch von Las Vegas ebenso unverzichtbar wie ein Besuch der Caracalla-Thermen oder der Sainte Cha pelle.» 30) Für Banham war Las Vegas erst in der Nacht «ganz sich selbst» («truly itself»); die nächtlich erleuchtete Stadt erschien ihm gar, frei nach Wolfe, als «eines der grossen Werke kollektiver Kunst in der westlichen Welt». 31) Banham bewegte sich hier auf den Spuren der deutschen Expressionisten wie Erich Mendelsohn, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Sublimation architektonischer Form im Licht entgegengesehen hatte, oder wie Paul Scheerbart, der von den «unbeschreiblichen» «Lichtnächten» und von «anderem», das heisst «farbigem» Licht geträumt hatte. 32) H) Zwar verwies Banham implizit auf Venturis und Scott Browns Las-Vegas-Seminar, indem er wiederholt die Wichtigkeit betonte, die dem Besuch der Wüstenstadt in der zeitgenössischen Architekturausbildung zukam. Im Unterschied aber zu Venturi und Scott Brown interessierte ihn weder der Aspekt räumlicher Organisation und zeichenhafter Kommunikation noch jener des Austauschverhältnisses zwischen der Ästhetik der Populärund der architektonischen Hochkultur. Für Banham stand vielmehr der technologische Aspekt im Vordergrund: «Der springende Punkt bei der Beschäftigung mit Las Vegas ist letztlich, darin ein Beispiel zu sehen, wie weit die Umwelttechnologie über die herkömmlichen Grenzen der Architekturpraxis hinaus getrieben werden kann, und zwar von Entwerfern, die sich – bei allen Vor- und Nachteilen – weder von den Traditionen der architektonischen Kultur noch von ihrer Ausbildung oder ihren Geschmacksurteilen einschüchtern lassen.» 33) 21 Die Aufmerksamkeit des Architekten verdiente Las Vegas gemäss Banham weder weil es den Prototyp einer auf die automobilisierte Wahrnehmung ausgerichteten Form der Stadt darstellte, noch weil seine Form und Ästhetik einen Bilderschatz für die zeitgenössische Architekturproduktion bereithielt, wie Venturi und Scott Brown suggerierten. Vielmehr bestand die Relevanz von Las Vegas für Banham darin, dass es gebaute architektonische Substanz in ätherische Lichtform überführt hatte. Las Vegas markierte daher für Banham den Übergang «von Formen im Licht zu Licht als Form» («������������������������������������������ from forms assembled in light to light assembled in forms»). 34) Darin kam seine grundlegende Überzeugung zum Ausdruck, dass Architektur zusehends ihre traditionelle Rolle als Formgeberin verlieren und zu einer Art amorpher Software für eine Lebensumwelt mutieren würde. Architektur interessierte ihn zusehends nicht mehr im Sinne eines formalen Pro blems, sondern als «den menschlichen Aktivitäten angepasste Umwelt» («fit environment for human activ ities»), die sich von einer rigiden Struktur zu einem wandelbaren und unarchitektonischen Behältnis emanzipiert hatte. 35) In diesem Denksystem war Las Vegas für ihn ein Testfall dafür, wie weit die Verwandlung von Architektur ins Ätherische gehen könnte. Wohl nicht zuletzt auf Anregung Banhams hin setzte sich in diesen Jahren auch die britische Architektengruppe Archigram mit Las Vegas auseinander. I) Mit «Instant City» präsentierten die Architekten Peter Cook, Dennis Crompton und Ron Herron im Mai 1969 einen utopischen Entwurf für eine ephemere Stadt, die als eine Art Wanderzirkus durch die englische Provinz ziehen sollte. 36) Mit ihrem provisorischen Cha rakter, ihrer Verwendung von Gasballons, ihren grafischen Zeichen, insbesondere aber aufgrund ihrer Licht- und Tonspektakel, die auf grossformatigen Leinwänden projiziert werden sollten, mutete «Instant City» wie ein Stück Fest- oder Ausstellungsarchitektur an. Zugleich rezipierte sie aber auch die flächige und bildbezogene «Billboard»-Architektur des Las Vegas Strip. In der Tat verwies Archigram am Schluss des Beitrags auf Las Vegas als real existierendes Vorbild für «Instant City». Dabei strich die Gruppe ganz in Einklang mit Banham den technoiden Charakter im Sinne einer reinen, nicht an architektonische Form gebundenen elektrischen Lichtarchitektur hervor: «Der Gebrauch einer den Ort definierenden Elektrik ist wichtig. Las Vegas suggeriert, dass allein durch das Fliessen von elektrischem Strom eine kraftvolle architektonische Umwelt geschaffen werden kann – tagsüber sind diese Apparaturen nichts. Licht, durch Filmprojektionen ergänzt, kann aus einem Ort eine Stadt machen, wo es eigentlich gar keine Stadt gibt.» 37) 38) Sala geisselte in seinem unter dem Titel America Revisited 1883 publizierten Reisejournal «the coarseness and indecency of the quicksalvers’ announcements […] which alarm and disgust the eye at every turn […] [T]he loveliest spots in the scenery of this vast continent are blighted with these loathsome stigmata – the portents of shameless imposture and rapacious greed for gold.» Zitiert nach Charles F. Floyd und Peter J. Shedd: Highway Beautification. The Environmental Movement’s Greatest Failure. Boulder (Westview), 1979, S. 16. 39) Paul Schultze-Naumburg: Kulturarbeiten, Band IX. Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen, III. Teil, hrsg. vom Kunstwart. München (Callwey), 1917, S. 315 und S. 324. 40) Vgl. Architectural Review 108 (Dezember 1950), Nr. 648. 41) «Townscape», aber auch die zugrunde liegende «picturesque tradition» übten einen eminenten Einfluss auf das Architektur- und Stadtverständnis von Venturi und Scott Brown aus. Aus Platzgründen kann an dieser Stelle nicht vertieft auf diesen Zusammenhang eingegangen werden. 46) «Is not Main Street almost all right?» Robert Venturi: Complexity������������������������������� and Contradiction in Architec��������� ture, The Museum of Modern Art Papers on Architecture 1. New York (The Museum of Modern Art), 1966, S. 102. 47) «Mine is an African view of Las Vegas.» Vgl. Denise Scott Brown: «Some Ideas and Their History», in: Robert Venturi und Denise Scott Brown: Architecture as Signs and Systems. For a Mannerist Time. Cambridge, Mass. und London (The Belknap Press of Harvard University Press), 2004, S. 105–119, hier S. 105–108. 48) «These early African experiences first raised the polarity of ‹is› and ‹ought› for me. Here it was the ‹is› of the ‹colony› and the ‹ought› of the ‹mother country›, and it could be translated��������� ������������������� artistically into a question: What environment lies around us, and how is this different from what the media of the dominant culture (mostly English) suggest should be there?» Scott Brown 2004 (wie Anm. 47), S. 107. J) 42) Vgl. «What City Pattern?», in: Architectural Forum 105 (September 1956), Nr. 3, S. 103–137. 43) Vgl. Philip Morris: «Architect Casts Vote for BIGGER Billboards», in: Oklahoma Journal, 10. November 1967, in: «Ed Bacon & Billboards», Box VSB 26, Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Mu seum Commission; Rose DeWolf: «Billboard Fans And Lady Bird», in: The Philadelphia Inquirer, 14. November 1967, in: «Ed Bacon & Billboards», Box VSB 26, Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. 44) Wie Anm. 14. 45) Vgl. Peter Blake: God’s Own Junkyard. The Planned Deterioration of America’s Landscape. New York, Chicago und San Francisco (Holt, Rinehart and Winston), 1964. K) J) Bildseite aus dem Themenheft «Man Made America» der Zeitschrift The Architectural Review, Dezember 1950 22 K) Peter Blake: God’s Own Junkyard, 1964, Titelseite Venturi und Scott Brown setzten bei ihrer eigenen Erkundung von Las Vegas abweichende Schwerpunkte. Zwar zeigten auch sie sich von der nächtlichen Lichtarchitektur des Strip und der Fremont Street im Stadtzentrum fasziniert. Mehr noch stand für sie aber der Blick des mobilisierten Betrachters im Zentrum des Interesses, der ihrer Auffassung nach die Form und Ästhetik der zeitgenössischen Stadt mit ihren Bill����� boards und in ihrer zeichenhaften Dimension erklärte. Stadtbild im Disput Die unvoreingenommene Betrachtung dieser Form und Ästhetik der zeitgenössischen Stadt, die Venturi und Scott Brown mit Learning from Las Vegas unternahmen, musste sich gegen einen Kanon von Stimmen durchsetzen, die den Niedergang des Stadtbildes in der Nachkriegszeit beklagten. Freilich blickte dieses Lamento selbst auf eine eigene kulturelle Tradition zurück, wobei insbesondere die übergrossen Werbetafeln Stein des Anstosses waren. So hatte sich der englische Journalist George Sala bereits Ende des 19. Jahrhunderts besorgt über das amerikanische Landschaftsbild geäussert, das von der Allgegenwart der hässlichen Reklametafeln bedroht werde. 38) Im deutschen Kulturkreis war es insbesondere Paul Schultze-Naumburg, der in seinen Kulturarbeiten seiner diesbezüglichen Besorgnis Ausdruck verlieh. 39) Mit der rapiden Automobilisierung erhielt das Thema im amerikanischen Kontext nach 1945 neue Brisanz. Einen Auftakt machte das Sonderheft «Man Made America» der britischen Architectural Review vom Dezember 1950. 40) J) Die Nummer stellte eine als Bilderbogen formulierte Anklageschrift gegen das Bild der amerikanischen Stadt der Gegenwart dar und stand im Zeichen der «Town scape»-Philosophie, die damals von der Architectural Review vertreten wurde. 41) In die gleiche Richtung und mit vergleichbar bildbezogener Argumentation zielte das amerikanische Architectural Forum im September 1956 mit einer Sondernummer, die sich um die Frage «By 1976 What City Pattern?» drehte. 42) Diese Publikationen widerspiegelten die herrschende Stimmung der Zeit, wurden doch im Laufe der 1950er Jahre zusehends politische Forderungen laut, die nach einer Reglementierung der Aussenwerbung entlang den amerikanischen Schnellstrassen und in den Stadtzentren riefen und die 1965 in der sogenannten «Highway Beautification Act» resultierten. Learning from Las Vegas stellte zweifellos den Versuch einer Replik auf Publikationen dieser Art dar. Diese Entwicklungen bildeten den Hintergrund für Venturis Engagement zugunsten der «Billboard». In einer Kampagne setzte er sich in mehreren Referaten für die (wohl nicht ganz ernst gemeinte) Gründung 23 eines «Committee To Preserve our Billboards» ein, 43) die in direktem Zusammenhang mit der Abfassung des Manuskripts zu Las Vegas steht. 44) Einen weiteren Anlass für diese Aktion gab eine weitere Publikation, in der mit der Form und Ästhetik der amerikanischen Stadt Gericht gehalten wurde, nämlich Peter Blakes God’s Own Junkyard aus dem Jahr 1964. 45) K) In bewährter Manier beklagte der Autor darin den angeb lichen kulturellen Zerfall, der sich in der Verschandelung der Landschaft und der Städte zeigte. Bereits in seiner ersten Buchpublikation Complexity and Contradiction in Architecture aus dem Jahr 1966 reagierte Venturi auf diese These mit der Frage: «Ist die Main Street nicht beinahe ganz in Ordnung?». 46) Die Frage bildete gleichsam den Auftakt zur Auseinandersetzung mit dem Strip von Las Vegas, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Complexity and Contradiction bereits ihren Anfang genommen hatte. Wie wichtig die Rolle von Blakes Buch für Learning from Las Vegas als eine Art Kontrastfolie war, kommt überdies auch darin zum Ausdruck, dass Venturi und Scott Brown für ihre Architekturtheorie jene «Ente» adoptierten, die Blake am Strassenrand auf Long Island «entdeckt» und zur Illustration seiner Ausführungen in God’s Own Junkyard herangezogen hatte. L) Neben Venturi hatte sich auch Scott Brown früh für eine unvoreingenommene Bestandesaufnahme der Stadt und der gebauten Umwelt der Gegenwart stark gemacht. Zu dokumentarischen Zwecken machte sie sich früh die Fotografie zunutze. Gemäss eigener Darstellung war ihre Kindheit in einem neokolonialen Umfeld in Südafrika ausschlaggebend für ihr späteres Interesse an populärkulturellen Phänomenen wie dem Strip von Las Vegas, dessen kommerzielle Ästhetik gegen die kulturellen Normen und Werte der architektonischen Hochkultur der Zeit verstiess: «Mein Blick auf Las Vegas ist ein afrikanischer.» 47) Denn: «Diese frühen afrikanischen Erfahrungen haben mir den Gegensatz von ‹ist› und ‹sollte› eröffnet. In Afrika war es das ‹Ist› der ‹Kolonie› und das ‹Sollte› des ‹Mutterlands›; dies liess sich in die künstlerische Frage übersetzen: Welche Umwelt umgibt uns und wie unterscheidet sie sich von dem, was die Medien der dominanten Kultur (der englischen vor allem) vorgeben, wie sie sein sollte?» 48) Zur Diskussion stand damit nicht die Stadt, wie sie sein sollte, sondern die Stadt, wie sie tatsächlich ist. In Scott Browns frühen Erfahrungen war aber auch eine Sensibilisierung für marginalisierte Subkulturen und eine Wertschätzung von deren ästhetischen Präferenzen angelegt. Die populärkulturelle Bildwelt der ame rikanischen Städte gehörte aus der Sicht Scott Browns zu diesen marginalisierten Phänomenen. Am Strip von 49) Denise Scott Brown, Interview, 23. August 2003, Petit Saconnex, Genf. 50) Vgl. Jonathan Green: American Photography. A Critical History 1945 to the Present. New York (Abrams), 1984, S. 164. 51) Vgl. Venturi and Rauch: Signs of Life: Symbols in the American City, Ausstellungskatalog Renwick Gallery of the National collection of Fine Arts, Smithsonian Institu tion, Washington, DC. Washington, DC (Aperture Inc.), 1976. – Zu Baeder vgl. John Baeder: Diners. New York (Abrams), 1978; ders.: Gas, Food, and Lodging. New York (Abbeville Press), 1982; sowie ders.: Sign Language: Street Signs as Folk Art. New York (Abrams), 1996. 52) «I had a vision that I was being a great reporter when I did the gas stations […]. It was just a simple, straightforward way of getting the news and bringing it back.» Ed Ruscha zitiert nach David Bourdon: «�������������� Ruscha as Publisher (or All Booked Up)», in: Artnews 71 (April 1972), Nr. 2, S. 32 – 36, hier S. 33. L) 53) Vgl. Henri Man Barendse: «Ed Ruscha: An Interview», in: Ed Ruscha: Leave Any Information After the Signal: Writings, Interviews, Bits, Pages, hrsg. von Alexandra Schwartz. Cambridge, Mass. und London (MIT Press), 2002, S. 210–219, hier S. 215. Vgl. dazu auch Katherine A. Smith: Sign Language: Pop Art, Vernacular Architecture, and the American Landscape. Diss. New York University, 2003, S. 63f. 54) Bourdon 1972 (wie Anm. 52), S. 33f. 55) Auf diesen Zusammenhang hat Phyllis Rosenzweig hingewiesen. Vgl. Phyllis Rosenzweig: «Ed Ruschas Künstlerbücher», in: Neal Benezra und Kerry Brougher: Ed Ruscha. Zürich (Scalo), 2002, S. 178–188, hier S. 181f. – Dem gegenüber hat Margit Rowell die Verbindung zur Konzeptkunst jüngst in Frage gestellt: Vgl. Margit Rowell: Ed Ruscha, Photographer. New York/Göttingen (Whitney Museum of American Art/Steidl), 2006, S. 21. M) L) «Dekorierter Schuppen» vs. «Ente»: Die zwei Modi architektonischer Kommunikation gemäss Learning from Las Vegas 24 M) Denise Scott Brown: «Approaching New York», 1963 Las Vegas sah sie diese in ihrer reinsten Form manifestiert. Scott Browns Prägung kommt in zahlreichen ihrer Fotografien seit den frühen 1960er Jahren und nicht zuletzt in ihren Las-Vegas-Bildern klar zum Ausdruck. Als Fotoamateurin begegnete sie nach der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten ihrem neuen städtischen und architektonischen Umfeld mit wachem und unverbrauchtem Auge. Bereits unter den frühen Aufnahmen von 1959 finden sich Zeugnisse für den Blick des automobilen, sich bewegenden Betrachters von der Strasse auf die Stadt, der in Learning from Las Vegas bestimmend wird. M) Eine Reihe von Aufnahmen, die im Sommer 1964 im Bundesstaat Tennessee entstanden, belegt eine entscheidende Entwicklung in Scott Browns Bild der urbanisierten Landschaft. Neben herkömmlichen Motiven rücken vermehrt Themen in den Vordergrund, die auch in Learning from Las Vegas im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen: Plakatwerbung als Teil der Ästhetik der zeitgenössischen Stadtlandschaft, der Blick von der Strasse auf die suburbane Siedlungsform sowie, ganz grundsätzlich, die visuellen Auswirkungen der Automobilisierung auf die Umwelt. Scott Browns visuelle Erkundung des ame rikanischen Westens datiert auf das Jahr 1965, wo sie im Frühjahrssemester in Berkeley unterrichtete. Auf ihrer Reise von Philadelphia an die Westküste boten Städte wie Austin, Houston, Dallas, Phoenix oder Las Vegas Anlass zu zahlreichen Zwischenhalten. 49) Die entstandenen Aufnahmen dokumentieren das Interesse an den angesprochenen Aspekten des Stadtbilds, mit denen sich zeitgleich eine Reihe professioneller Fotografen beschäftigte. Stadtbilder in der Pop-Fotografie Die Ästhetik der automobilisierten amerikanischen Stadt rückte ab den 1950er Jahren in der Kunst und insbesondere der Fotografie zusehends in den Blickpunkt. Das galt etwa für Dennis Hopper, der 1961 eine Standard-Tankstelle aus dem fahrenden Auto fotografierte. Der Blick für das Alltägliche und Banale zeigte sich aber auch in den Werken von Fotografen wie Robert Adams, Lewis Baltz, Joe Deals, Frank Gohlke und Stephen Shore, deren Bildsprache nach einer gleichnamigen Ausstellung im Jahr 1979 als «New Topographics» bekannt wurde. 50) N) Neben den Aufnahmen Shores erwiesen sich auch die Arbeiten von John Baeder im Hinblick auf Venturi und Scott Brown einflussreich, der sich vor allem mit farbenprächtigen Aufnahmen alltäglicher amerikanischer Kommerzarchitektur einen Namen machte. Venturi und Scott Brown scheinen die Arbeiten dieser beiden Fotografen zum Zeitpunkt ihrer Beschäftigung mit Las Vegas noch 25 nicht gekannt zu haben; sie fanden aber 1976 Eingang in die von den Venturis in Washington ausgerichtete Ausstellung Signs of Life: Symbols in the American City. 51) Von herausragender Bedeutung für die Rezeption der amerikanischen Stadt sowie der autoorientierten (Stadt-) Landschaft im Medium des Bildes war in den 1960er Jahren der in Los Angeles ansässige Edward Ruscha. Besonders wichtig waren in diesem Zusammenhang seine typologisch geordneten Fotoserien, die die banale urbane Alltagswirklichkeit Südkaliforniens dokumentierten. Ruscha stellte diese Bildserien zu einer Reihe von Künstlerbüchern zusammen. Den Auftakt dazu bildete die Arbeit Twentysix Gasoline Stations von 1963. Neben diesem Erstling drehten sich fünf weitere Publikationen um die Ästhetik der zeitgenössischen Stadt: Some Los Angeles Apartments (1965), Every Building on the Sunset Strip (1966), Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles (1967), Nine Swimming Pools and a Broken Glass (1968) sowie Real Estate Opportunities (1970). O) Verschiedene der von Venturi und Scott Brown veranlassten und von Scott Brown, Steven Izenour und ihren Studenten gemachten Aufnahmen zu Las Vegas sind deutlich von Ruschas Blick auf die Stadt angeregt. Ruschas Fotografien der Stadtlandschaft zeichnen sich durch einen dezidiert unterkühlten, emotionslosen und dokumentarischen Zugriff aus, der scheinbar jede künstlerische Ambition vermissen liess. Seiner eigenen Auffassung gemäss agierte der Künstler bei seinen Aufnahmen als eine Art journalistischer Reporter. 52) Im Vordergrund stand damit vielmehr die Suche nach Faktizität und getreuer Wirklichkeitsabbildung denn nach künstlerischem Ausdruck. Diese (angebliche) Absenz jeden artistischen Anspruchs hat der Künstler mit einem (ebenso angeblichen) Desinteresse an der Fotografie bekräftigt. Demnach drehte sich sein Interesse einzig und allein um das abgebildete Objekt, nicht aber um den künstlerischen Wert der Abbildung selbst. 53) Ruscha bestritt gar, Gedanken an die Bildkomposition zu verschwenden, und behauptete, seine Bilder spontan – im Sinne des amateurhaften Schnapp schusses – zu schiessen. 54) Die ���������������������� intendierte Auslöschung des künstlerischen Subjekts bzw. seines Verschwindens hinter der Faktizität des Vorgefundenen bildet eine Parallele zur Art und Weise, wie Venturi und Scott Brown in Learning from Las Vegas die Stadt behandelten: als ein Vorgefundenes, das primär dokumentiert und beschrieben werden soll. Ruscha ging dabei in einer der Konzeptkunst verwandten Weise vor. 55) Nicht nur die tendenzielle Abwertung des handwerklichen Aktes gegenüber der theoretischen Konzeption verbindet Ruschas Fotografie mit der 56) Zur Verbindung von Ruscha zur Konzeptkunst vgl. Benjamin Buchloh: «Conceptual Art 1962– 69: From the Aesthetic of Administration to the Critique of Institutions», in: October 55 (Winter 1990), S. 105–143, hier S. 119. 57) Vgl. Robert Venturi in «The Summit», in: Alex Farquharson (Hrsg.): The Magic Hour. The �������� Convergence of Art and Las Vegas/ Die Konvergenz von Kunst und Las Vegas. Graz (Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum), 2001, S. 38–50, hier S. 48. 58) Vgl. Brief von Robert Venturi an Ed Ruscha, 17. Dezember 1968, «Correspondence», Box VSB 27, Architectural Archives, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission. N) 59) Denise Scott Brown: «On Pop Art, Permissiveness, and Planning», in: Journal of the American Institute of Planners 35 (Mai 1969), S. 184–186. 60) Scott Brown 1969 (wie Anm. 59), S. 185f. 61) «[M]arked by an impassive matter-of-fact manner, style or expression». URL: http://merriamwebster.com/dictionary/deadpan (16. Juli 2007). 62) «Es war eine als Objektivität verkleidete Subjektivität – ein Wolf im Schafspelz sozusagen. Wir waren uns dessen völlig bewusst.» («It was a subjectivity garbed as objectivity – a wolf in sheep’s clothing. We were quite aware of it.») Denise Scott Brown, persönliche Mitteilung, September 2008. O1) 63) Zum «Deadpanning» vgl. auch Michael Golec: «‹Doing it Deadpan›. Venturi, Scott Brown and Izenour’s Learning from Las Vegas», in: Visible Language 37 (2003), Nr. 3, S. 266–287. 64) Venturi/Scott Brown/Izenour 1972 (wie Anm. 4), S. 26. 65) Bourdon 1972 (wie Anm. 52), S. 35f. O2) N) Stephen Shore: La Brea Ave., 1975, Blick auf die Route 66 26 O) Edward Ruscha: Some Los Angeles Apartments, 1965, Künstlerbuch, Titelseite und eine Doppelseite Konzeptkunst, sondern ebenso das Bestreben, künstlerische Subjektivität und erkennbare Autorschaft auszulöschen, was anhand solcher Eigenschaften wie der oft benannten «Coolness» oder der Nähe zum Dokumentarischen sichtbar wird. 56) P) Ruschas Bild der zeitgenössischen amerikanischen Stadt bildete für Venturi und Scott Brown im Rahmen von Learning from Las Vegas einen zentralen Referenzpunkt. Scott Brown war während ihres Aufenthalts in Los Angeles in Zusammenhang mit einem Lehrauftrag an der University of California at Los Angeles (UCLA) 1965−1967 auf den Künstler aufmerksam geworden. 57) Ihr Interesse an den (fotografischen) Bildern des Künstlers deckte sich mit ihrem eigenen Projekt der fotografischen Dokumentation der alltäglichen amerikanischen Stadtlandschaft. Im Herbst 1968 besuchte Denise Scott Brown mit ihren Studenten von der Yale University Ruscha in seinem Atelier, bevor die Gruppe für ihre Feldforschungen nach Las Vegas weiterreiste. 58) Auch verwiesen Venturi und Scott Brown in verschiedenen ihrer Publikationen auf Ruscha, erstmals 1969 in Scott Browns Artikel «On Pop Art, Permissiveness, and Planning», der mit Abbildungen aus Ruschas Künstlerbüchern illustriert war. 59) Scott Brown hob überdies hervor, wie wichtig diese künstlerische Position für das Ansinnen sei, Form und Ästhetik der zeitgenössischen Stadt wahrzunehmen und darzustellen. Von besonderer Bedeutung im Hinblick auf Learning from Las Vegas war der Umstand, dass Scott Brown darin Ruschas Blick auf die Stadt mit dem Adjektiv «deadpan» («ausdruckslos») in Verbindung brachte. 60) Gemäss Wörterbuch bezeichnet das Adjektiv «eine teilnahmslose, neutrale Art, ein eben solcher Stil oder Ausdruck». 61) Ab den 1940er Jahren wurde auch das Verb «deadpan» in der Bedeutung von «to speak, act or utter in a deadpan matter; to maintain a dead pan» gebräuchlich. Der Terminus bedeutet also, äussere Eindrücke ohne sichtbare Gefühlsregung aufzunehmen. Mit «Deadpanning» bezeichnet Scott Brown mithin eine spezifische Art und Weise, einen visuellen Sachverhalt zu betrachten und zu dokumentieren. Durch das «Deadpanning» wird dieser Sachverhalt (vermeintlich) auf seine Faktizität reduziert, währenddem «gestalterische» Eingriffe weitgehend vermieden werden. Es versteht sich von selbst, dass diese Haltung ihrerseits eine höchst artifizielle künstlerische Setzung bedeutet. Statt von einer dokumentarischen oder «objektiven» Sicht auf die Welt müsste man beim «Deadpanning» vielmehr von einer Rhetorik der Objektivität sprechen. 62) «Deadpanning» wurde in Learning from Las Vegas zu einer konkreten Handlungsanweisung, als es darum ging, ein Bild der Stadt der Gegenwart zu gewinnen. 63) 27 Das gilt insbesondere für eine Abbildung, die sich in der ersten Auflage von Learning from Las Vegas über volle vier Seiten erstreckt. Q) Diese Illustration bildet eine lückenlose, im Bildmedium der Collage repräsentierte fotografische Wiedergabe der Bebauung des Strip von Las Vegas auf beiden Seiten der Strasse zwischen Tropicana Avenue und dem Hotel Sahara ab. Somit folgt diese Abbildung konzeptuell direkt der Vorgabe von Ruschas Leporello Every Building on The Sunset Strip; eine Verbindung, die Venturi und Scott Brown mit der Bildlegende «‹Edward Ruscha›������� elevation» 64) deutlich auswiesen. Nicht nur konzeptuell, sondern auch auf der Ebene der Technik folgten Venturi und Scott Brown Ruscha bei der Erarbeitung eines Bildes der Stadt, das auf Faktizität und Emotionslosigkeit bedacht war. Wie der Künstler ersetzten sie die selektive Wahrnehmung des menschlichen Auges durch den mechanischen Blick der Kamera (und waren dabei höchst selektiv!). Für die Aufnahme des Strip wurde eine Kamera, die mit einem Motor ausgerüstet war, auf der Haube eines Autos platziert. Auf der anschliessenden Fahrt dokumentierte die Kamera beide Strassenseiten lückenlos und ohne menschliches Zutun. Es handelte sich mithin um den Versuch, das Stadtbild mit der von Georg Simmel in «Die Großstädte und das Geistesleben» beschriebenen Haltung der «Blasiertheit» zu erfassen, die emotionale Ebene also auszuschalten. Indes lässt sich Venturis und Scott Browns Sichtweise nicht auf den Aspekt des Dokumentarischen reduzieren. Auch behaupteten sie keineswegs, ein solches Ziel zu verfolgen, begegneten sie ihrem Untersuchungs gegenstand doch mit Ironie. Zahlreiche ihrer Fotografien zeugen von diesem ästhetisch motivierten Blick, der ihnen − unter Ausblendung der dokumentarischen Erforschung des Bildes der Stadt – in der Rezeption verschiedentlich als Glorifizierung vorgeworfen wurde. Auch bei Edward Ruscha sind zwei deutlich verschiedene Strategien der Visualisierung der zeitgenössischen Stadt auszumachen. Dabei fällt auf, dass der Künstler klar zwischen den Medien bzw. Gattungen trennt. Während seine Fotografie einem ausgesprochen dokumentarischen Blick verpflichtet ist, überhöht der Künstler in seinen Drucken und Gemälden seine Motive durch Eingriffe wie die Verschiebung des Blickwinkels, eine leuchtende Farbgebung oder die Steigerung des Massstabs und trägt damit zu deren Idealisierung bei. David Bourdon hat in diesem Zusammenhang von einer «dualen Ästhetik» gesprochen. 65) Sie gilt gleichermassen auch für die visuelle Annäherung Venturis und Scott Browns an Las Vegas. 66)������������������������������ Für eine ausführliche Darstellung dieser Fragestellung vgl. Martino Stierli: «Die ‹Er-fahrung› der Stadt. Las Vegas, Film, Automobilität, in: Andreas Beyer, Matteo Burioni und Johannes Grave (Hrsg.): Das Auge der Architektur. München (Fink), 2009 (in Vorbereitung). 67) Wie Anm. 2. P) Q) P) Edward Ruscha: Every Build ing on the Sunset Strip, Leporello, 1965, Detail 28 Q) «‹Edward Ruscha› elevation of the Strip» aus Learning from Las Vegas, Detail Die «Er-Fahrung» der Stadt Die neue, auf das Automobil ausgerichtete Form der Stadt verlangte gemäss Venturi und Scott nach veränderten, dynamischen Formen der Darstellung. Aus gehend von der Prämisse, dass die Wahrnehmung des urbanen Raumes in erster Linie durch einen sich bewegenden, automobilisierten Betrachter erfolge, dieser Raum also buchstäblich «er-fahren» werde, stützten sich Venturi und Scott bei ihrer Analyse des Strip auf bewegte Bilder, Techniken des Films und protofilmische Bildsequenzen. Damit schlossen sie nicht nur an den modernen Topos der Dynamisierung des Raumes, aber auch etwa an Experimente im Umfeld des Deutschen Werkbunds an; sie konnten sich überdies auf eine Reihe zeitgenössischer Forschungen stützen, die die Stadtwahrnehmung als filmisches Erlebnis beschrieben hatten. 66) Denise Scott Brown im Besonderen wies verschiedentlich auf die Möglichkeiten des Me diums Film zur Analyse und Darstellung der zeitgenössischen Stadt hin, die im Rahmen des Las-Vegas- Seminars mit den Studenten erprobt wurden. 67) Dieser Fokus auf filmische Techniken der Stadtdarstellung ist in der Buchpublikation deutlich ablesbar. Das gilt besonders für eine Sequenz aus schwarzweissen Filmstills, die über volle zwei Seiten des Buches ausgebreitet ist und die eine Autofahrt auf dem Strip illustriert. Die zeitliche Abfolge, die im statischen Medium des Buches nicht abgebildet werden kann, wird hier in eine räumlich-lineare Ordnung übersetzt. Während ihres Forschungsaufenthalts in Las Vegas fertigten die Studenten des Yale-Seminars mehrere Filme an, die aus je unterschiedlichen Blickpunkten die Wahrnehmung des Stadtraumes durch einen sich bewegenden Betrachter ins Bild rückten. Steven Izenour kam bei der Herstellung dieser Filme eine Schlüsselrolle zu. Der erste davon hat eine Laufdauer von rund 21 Minuten und trägt die Bezeichnung «Las Vegas Deadpan». Dieser Titel verweist auf den Modus des (scheinbar) emotionslosen Rapportierens, den Venturi und Scott Brown in Anlehnung an Ed Ruschas Fotografie, aber auch als Reaktion auf jene Architekten entwickelt hatten, die sich als Visionäre gebärdeten. R) Es handelt sich um eine unkommentierte Aufzeichnung einer Autofahrt auf dem Strip. Sie wird dem Aspekt des «Deadpanning» insofern gerecht, als die fix auf dem Auto montierte Kamera ohne jede horizontale oder vertikale Bewegung die sich vor der Linse abzeichnende Stadtlandschaft dokumentiert. Im Unterschied zu diesem unaufgeregten «Stadtporträt» zeichnet sich ein zweiter Film durch eine vergleichsweise bewegte Kameraführung aus. Er trägt die Bezeichnung «Las Vegas Strip LfLV Studio (Day: Night)», hat eine Laufzeit von rund 14 Minuten und wurde vom 29 Seminarteilnehmer Dan Scully angefertigt. Der stark divergierende Habitus der Darstellung verweist auf das Arbeitsprogramm, demgemäss mit verschiedenen Methoden der Visualisierung experimentiert werden sollte. Im Unterschied zur «blasierten» Stossrichtung des «Deadpan»-Filmes geht es hier primär um den Aspekt der Zeichenhaftigkeit der Architektur entlang dem Strip. Dasselbe gilt auch für einen weiteren Kurzfilm, der einen bei Tageslicht gefilmten Helikopterflug über den Strip dokumentiert. Der Fokus der Kamera liegt hier auf den turmhohen Werbeschildern der HotelCasinos entlang der Strasse, die die einzigen archi tektonischen Elemente dieser eigentümlichen Stadtlandschaft darzustellen scheinen. Der spektakulärste der überlieferten Filme trägt die Bezeichnung «Las Vegas Electric» und hat eine Laufzeit von nur rund vier Minuten. S) Wiederum handelt es sich im Wesentlichen um eine Fahrt durch Las Vegas, wobei hier im Unterschied zu den vorgängig besprochenen Filmen die nächtliche Beleuchtung insbesondere an der Fremont Street im Zentrum von Las Vegas im Vordergrund steht. Im Unterschied zur lockeren Bebauung am Strip ist der Aspekt relativer städtischer Dichte an der Fremont Street deutlich in Szene gesetzt, womit der Massstabsprung einer fussgänger- zu einer autoorientierten Form der Stadt zur Darstellung kommt. Die ausschliesslich bei Nacht erstellten Aufnahmen unterstreichen das Interesse an der Ästhetik der Lichtarchitektur. Im Vergleich zum «Deadpan»Streifen zeichnet sich dieser Film durch einen ausgesprochen artistischen und bisweilen experimentellen Zugang aus. In einer quasi-surrealen Sequenz finden sich die Lichtspektakel der Stadt, die sich vor dem schwarzen Hintergrund abheben, an einer horizontal verlaufenden Achse gespiegelt. Eine weitere Passage zeigt eine Untersicht der grellbunten Neonröhren über dem Trottoir an der Fremont Street und verwandelt diese in eine psychedelische Abstraktion aus Farben, Formen und Licht. Die Aufnahmen erscheinen bisweilen als geradezu «wörtliche» Zitate der Einführungssequenz von George Sidneys Produktion Viva Las Vegas aus dem Jahr 1964. Indem Venturi und Scott Brown die Sequenzialität der automobilisierten Wahrnehmung in der zeitgenössischen Stadt betonen, konnten sie in gewisser Hinsicht an ein Forschungsprojekt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zur «Wahrnehmungsform der Stadt» anknüpfen, das unter der Leitung von Gyogy Kepes und Kevin Lynch stand. Letzterer publizierte seine Forschungsresultate 1960 in dem berühmt gewordenen Buch The Image of the City. Bereits darin machte er darauf aufmerksam, dass die Stadt der Gegenwart in protofilmischen Bildsequenzen «er-fahren» 68) Kevin Lynch: The Image of the City. Cambridge, Mass. (The Technology Press/Harvard University Press), 1960, S. 113. 69) «[T]he perceptual impact of the urban highway on the driver and his passengers». Gyorgy Kepes und Kevin Lynch: «Summary of Accomplishments: Research Project on the Perceptual Form of the City», ca. 1959, 8, Box 4, Kepes Papers, AAA, zitiert nach Reinhold Martin: The Organization al Complex. Architecture, Media, and Corporate Space. Cambridge, Mass. und London (The MIT Press), 2003, S. 138. R) 70) Vgl. Venturi/Scott Brown/ Izenour 1972 (wie Anm. 4), S. 9. 71) «The sense of spatial sequence is like that of large-scale architecture; the continuity and insistent temporal flow are akin to music and the cinema.» Donald Appleyard, Kevin Lynch und John R. Myer: The View from the Road. Cambridge, Mass. (MIT Press), 1964, S. 4. 72) «We are […] tempted to go into motion pictures, which record sequences in a permanent form that can be shown to large groups of people. Movies may be taken of existing highway sequences, either at normal speed or at exaggerated speeds, to convey in brief the essentials of the major visual effects.» Appleyard/Lynch/Myer 1964 (wie Anm. 71), S. 20. S) 73) Vgl. Martino Stierli: «Die Stadt ins Bild gerückt. Der ‹Alameda Report› als Beispiel visueller Stadtanalyse bei Venturi und Scott Brown», in: Vittorio Magnago Lampugnani und Matthias Noell (Hrsg.): Stadtformen. Die Architektur der Stadt zwischen Imagination und Konstruktion. Zürich (gta), 2005, S. 282–299. T) R) Sequenz aus dem Film Las Vegas Deadpan, erstellt von Studenten des «Learning from Las Vegas Research Studio», 1968 S) Sequenz aus dem Film Las Vegas Electric, erstellt von Studenten des «Learning from Las Vegas Research Studio», 1968 T) Donald Appleyard, John Myer, Kevin Lynch: The View from the Road, 1964, Titelseite 30 werde. 68) Die zentrale Bedeutung dieser These für das gesamte Forschungsprojekt unterstrichen Kepes und Lynch überdies in ihrem Abschlussbericht. Dort ist von der Analyse «der Wirkung der städtischen Schnellstrasse auf die Wahrnehmung des Fahrers und seiner Passagiere» die Rede. 69) Zu diesem Zweck waren Fahrten über verschiedene Highways in Neuengland in einer Kombination aus Fotografie, Film und schriftlichen Zeugnissen dokumentiert worden. Das Auto wurde so zu einer Maschine für eine neue Wahrnehmung der Stadt, ein «Sehen in der Bewegung», eine «Vision in Motion». Zum zentralen Untersuchungsgegenstand schliesslich wurde der Zusammenhang von Auto mobilität, Wahrnehmung und Stadtform in dem Band The View from the Road, den Lynch 1964 in Zusammenarbeit mit Donald Appleyard und John Myer publizierte und der direkt an das MIT-Forschungsprogramm anschloss. T) Auf diese Publikation wurde in Learning from Las Vegas direkt verwiesen. 70) Das Ziel des Buches bestand darin, Gestaltungsrichtlinien speziell für städtische Schnellstrassen zu ent wickeln, die es dem Autofahrer erlauben würden, die Stadt als ästhetisch ansprechende Einheit wahrzunehmen. Der Architekt wird zu einem Regisseur des Blicks. Hier knüpfte Learning from Las Vegas an. Wie für Venturi und Scott Brown war auch für die Autoren von The View from the Road die Wahrnehmung der Stadt eine sequenzielle, dem Kino wesensverwandte Erfahrung: «Der Sinn einer räumlichen Sequenz ist wie der der grossen Architektur; die Anschlüsse und der nachrückende zeitliche Fluss sind verwandt mit Musik und Kino.» 71) Entsprechend war ihrer Auffassung nach das Medium Film zur Darstellung der Stadt der Gegenwart am besten geeignet. 72) Die Bedeutung von The View from the Road in Bezug auf Learning from Las Vegas wird zusätzlich durch den Umstand unterstrichen, dass Venturi und Scott Brown sich auf Notationstechniken abstützten, die Appleyard, Lynch und Myer zur Darstellung der Sequentialität der dynamischen Wahrnehmung der Stadt entwickelt hatten. Das gilt insbesondere für die Arrangierung von Bildsequenzen zu vertikalen Reihen. Die Autoren von The View from the Road lieferten ihren Lesern überdies eine «Leseanleitung» in Form von lateral angeordneten Pfeilen – dies ist nur eine von mehreren Darstellungstechniken, die Venturi und Scott Brown verwendeten und die sie teils aus so architekturfremden Disziplinen wie Musik oder Tanz übernommen hatten. U) Die Technik kommt zwar in Learning from Las Vegas selbst nicht zur Anwendung, wohl aber in dem wenig bekannten «Alameda Report», aus dem Jahr 1977, der sich in vielfacher Hinsicht auf die Las-Vegas-Studie abstützte. 73) 31 Learning from Las Vegas im Kontext Mit Learning from Las Vegas knüpften Venturi und Scott Brown inhaltlich und methodisch an bestehende Diskurse an. Gleichwohl hat sich die Studie einen festen Platz in der Architektur- und Städtebautheorie des 20. Jahrhunderts verschafft. Dafür gibt es gewichtige Gründe. Venturi und Scott Brown gehörten zu den Ersten, die den Aspekt des Alltäglichen, des Banalen und Hässlichen in die Architektur- und Städtebaudiskussion einbrachten. Learning from Las Vegas verfolgte das Ziel, die Ästhetik des Strip als Produkt einer authentischen amerikanischen Populärkultur zu begreifen, die gleichsam spontan und ohne Zutun eines Architekten oder einer anderen planenden Instanz zu einer gültigen Form gefunden hatte, in der sich die Idee einer Stadt «von unten» manifestierte. Mit ihrer Programmschrift traten Venturi und Scott Brown nicht nur dafür ein, dass Architekten die Ästhetik der kommerziellen Populärkultur Amerikas akzeptieren sollten, sondern dass diese Ästhetik den Ausgangspunkt für eine zeitgemässe Entwurfspraxis darstellen könne. Entscheidend war, dass die real existierende Stadt vorausgesetzt und akzeptiert wurde. Venturi und Scott Brown sahen sich in erster Linie in der Rolle von Lesern und Interpreten eines bestehenden kulturellen und städtischen Aggregats. Mit dieser Haltung gingen sie auf Distanz zum Rollenbild, das sich der moderne Architekt zugedacht hatte, nämlich dasjenige des gottähnlichen Demiurgen, der sich nicht der urbanen Realität verpflichtet sah als vielmehr einer sozialen und architektonischen Utopie, die es erst noch zu verwirklichen galt. Das Revolutionäre am Ansatz von Venturi und Scott Brown bestand darin, der Rhetorik der Revolution abzuschwören zugunsten einer Zentrierung architektonischen Denkens und Handelns auf das Hier und Jetzt, das sie mit ihrer fotografischen und filmischen Forschung am Strip visualisierten. Die Arbeit mit dem und am Bild der Stadt wurde somit zu einem zentralen Anliegen. Dieses Insistieren auf der real existierenden Stadt ist das bleibende Vermächtnis von Learning from Las Vegas.