3. Erwerb und Verlust des Eigentums an beweglichen Sachen

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3. Erwerb und Verlust des Eigentums an beweglichen Sachen
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3. Erwerb und Verlust des Eigentums an beweglichen Sachen
3.1.
Eigentumsübertragung
3.1.1.
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Grundsätze
Wdh. 1.6 und 1.8 „Grundstrukturen sachenrechtlicher Rechtsgeschäfte“
Theoretisch ist die Übereignung von beweglichen Sachen sehr einfach. Es sind vier
Punkte zu prüfen:
1. Einigung gem. § 929 (Rechtsgeschäft/Willensakt, erforderlich wegen der Privatautonomie; kein Rechtsverlust ohne Wollen, es sei denn, es werde so vom Gesetz
bestimmt)
Die Einigung ist ein völlig ‚normales‘ Rechtsgeschäft und folgt den Regeln des AT.
So gilt z.B. die Übereignung durch Stellvertreter (§ 164).
Bsp: Wann liegt die Einigung iSd § 929 vor:
a) K hat bei V eine Schreibmaschine gekauft und bar bezahlt. V will sie dem K am
nächsten Tag vorbeibringen.
b) K hat die Maschine bei dem Versandgeschäft V erworben, welches ihm die
Schreibmaschine zusendet.
Lösung: Im Fall a) hat K bereits im Geschäft des V Eigentum erworben, da dingliche
und schuldrechtliche Einigung gleichzeitig erfolgten.
Fall b) Beim Versandgeschäft lag die Einigung erst in der Zusendung der Ware und
ihrer billigenden Annahme durch K, vgl. RGZ 102, 40.
Trotz des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes darf eine Einigung schon
vorweggenommen erfolgen. Als völlig ‚normales‘ Rechtsgeschäft können Einigungen
auch bedingt (§ 158) oder betagt stattfinden, so daß die Rechtswirkungen der Eini-
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gung erst bei einem bestimmten Ereignis einsetzen (oder aufhören). Die völlig h.M.
und Rspr. gehen sogar soweit, für (fast) alle Verfügungsgeschäfte die Einigung vorweggenommen (antizipiert) zuzulassen, obwohl das Objekt der Einigung noch gar
nicht feststeht. Das ist im schnellen Warenverkehr erforderlich, wirft aber Probleme
auf (dazu unten).
2. Übergabe (Realakt, der den Wechsel der Verfügungszuständigkeit nach außen publik macht)
Bsp.: V hat K sein Buch geliehen. K kann es nicht mehr finden, wobei er nicht weiß,
ob er es verlegt oder verliehen hat oder ob es ihm gestohlen worden ist. Dem K ist die
Angelegenheit peinlich, so das er dem V den Wert des Buches ersetzt. Außerdem
wird vereinbart, daß K das Buch „behalten dürfe“, wenn es wieder auftaucht. Nach
welcher Vorschrift kann K Eigentum erwerben?
a) K hatte es noch im Besitz: § 929 S.2
(Verzicht auf den Realakt)
b) K hatte es verloren: Antizipierte Einigung und Übereignung nach § 929 S.2
(s. oben: Einigung wurde vorweggenommen, und der Realakt war nicht erforderlich)
c) Es war ihm gestohlen: Übereignung nach § 931
(Einigung und Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen den Dieb, aus § 398 iVm
985 oder 823 I)
3. Einigsein (d.h. es ist kein Widerruf der Einigung, welcher entspr. § 873 II bis zur
Vollendung des Rechtsgeschäfts, der Übergabe, möglich ist, erfolgt)
Achtung: Viele Kandidaten prüfen diesen Punkt in Examensarbeiten herunter, um ja
nichts falsch zu machen oder auszulassen. Tun sie das nicht! Nur in sehr seltenen,
im Sachverhalt immer deutlich zum Ausdruck kommenden Fällen, ist diese Frage
überhaupt zu prüfen. Wenn Sie dennoch immer prüfen, zeigen sie, daß sie stumpf,
schematisch prüfen und sozusagen nix kapiert haben! Eingeschoben daher zunächst
einer der wenigen Fälle mit zeitlicher Zäsur in denen „Einigsein“ relevant wird. Im
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folgenden wird der Punkt dann nur noch geprüft, wenn er für den Fall Bedeutung
erlangt.
Fall 31 (mittelschwer): V verkauft S am Montag sein Mountainbike, welches er bei
seinem Freund B aus dessen Gefälligkeit untergestellt hat. S bezahlt den Kaufpreis
sofort. V sagt zu, den B zur Übergabe des Rades zu veranlassen. Er ruft B an. Dieser
verspricht, daß Rad am Mittwoch beim nahewohnenden S vorbeizubringen. Am
Dienstag ruft V den S an und spricht, da dieser nicht anwesend ist, auf dessen Anrufbeantworter, daß er es sich anders überlegt habe. Als B am nächsten Tag das Rad an S
übergibt, verlangt es V wieder heraus.
4. Berechtigung
- Eigentümer: immer, es sei denn die Verfügungsberechtigung wurde entzogen z.B.
im Insolvenzfall (§ 80 InsO).
- der Eigentümer kann einen Verfügungsberechtigten gem. § 185 bestellen. Er kann in
die Verfügung vorweg einwilligen (§ 185 I) oder sie später genehmigen (185 II S. 1)
Beachte: Falls eine nichtberechtigte Verfügung vorliegt kommt ggf. ein gutgläubiger
Erwerb gem. §§ 932 ff., 935 in Betracht! Nicht geschützt von § 932 ist jedoch der
gute Glaube an die Verfügungsmacht.
Bsp. A hat von B ein Buch geliehen. Er teilt C wahrheitswidrig mit, daß B mit der
Veräußerung des Buches einverstanden sei. Hat C Eigentum erworben?.
Obwohl § 935 nicht einschlägig wäre (freiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes
seitens B an A), kommt ein gutgläubiger Erwerb des C vom nichtberechtigten A nicht
in Betracht. § 932 greift nicht, da nur der gute Glaube an das Eigentum (Abs. II: „gehört“) geschützt ist. Dieser Mangel war C bekannt, er war insoweit bösgläubig.
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Wichtig: Ausnahmsweise Schutz des Glaubens an die Verfügungsmacht durch
§ 1244, § 366 HGB.
Falls ein gutgläubiger Erwerb nicht gegeben ist und keine Genehmigung des Rechtsgeschäfts nach § 185 II erfolgt, kann der Berechtigte
-
die Sache selbst beim Erwerber nach § 985 herausverlangen oder
-
den Veräußerungserlös beim Veräußerer kondizieren gem. § 816 I.
Fall 32 (Übereignung eines Minderjährigen, Schenkung): F will seinem Vetter P in
einer Anwandlung von Großmut sein Fahrrad schenken. Er händigt ihm das Fahrrad
zugleich aus. Am nächsten Tag reut ihn seine Großzügigkeit. Er meint, er könne das
Fahrrad zurückverlangen, da P erst siebzehn Jahre alt sei.
Fall 33 (Übergabe): F will Vetter P sein Fahrrad schenken, jedoch will er es weiter
benutzen dürfen und darum einen Fahrradschlüssel behalten; P soll das Rad nur in
dem auch F zugänglichen Vorkeller abstellen. Wirksamkeit der Vereinbarung?
3.1.2.
Beteiligung Dritter an der Übereignung
Die Praxis der Übereignungen entspricht natürlich nicht dieser einfachen Struktur,
weil in der arbeitsteiligen Gesellschaft ‚Dritte‘ an der Übereignung beteiligt sind.
Bei der Einigung gelten z.B. Stellvertretungsregeln.
Bsp. Buchhändler B läßt bei ihm bestellte Bücher durch seinen Fahrer F ausliefern.
Wie werden die Kunden Eigentümer?
Die Übergabe kann durch Übergabesurrogate gem. §§ 929, S.2, 930, 931 ersetzt werden.
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-
§ 930, Besitzkonstitut – § 868!
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§ 931 Abtretung des Herausgabeanspruchs – § 398
Bei der Übergabe reicht es aus, wenn Besitzverlust des Veräußerers, seiner Hilfsperson oder seiner „Geheißperson“ eintritt, zugleich der Besitzerwerb des Erwerbers,
seiner Hilfsperson oder seiner Geheißperson erfolgt und dieser Vorgang auf Veranlassung des Veräußerers eintritt (Geheißerwerb).
3.1.3.
Einzelheiten an Hand von einfachen Fällen
Fall 34: V hat 50 Kisten Ölsardinen bei L eingelagert. Er veräußert sie an K, setzt L
davon in Kenntnis und weist ihn an, „das weitere mit K zu vereinbaren“. Hat eine
Übergabe stattgefunden?
Fall 35 (Übereignung nach § 930): F will P sein Fahrrad schenken. Er bedingt sich
allerdings aus, daß der das Fahrrad noch drei Wochen fahren darf.
Fall 36 (Die Übereignung nach § 931): H hat D ein Buch geliehen. N will dieses
Buch erwerben und bietet H einen günstigen Preis. Beide werden einig. Muß H mit
der Übereignung des Buches warten, bis D es ihm zurückgegeben hat?
Fall 37 (Besonderheit: Geheißerwerb): K hat A seine gebrauchte Leica veräußert. Da
er diese derzeit seinem Sohn H geliehen hatte, bittet er H, die Kamera A unmittelbar
auszuhändigen, was auch geschieht. Wie erwirbt A Eigentum?
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Dem Übergabeerfordernis des § 929 kann auch durch Verschaffung des mittelbaren
Besitzes Rechnung getragen werden. Darum hat der BGH das Übergabeerfordernis
als gewahrt angesehen, wenn der unmittelbare Besitzer der Sache das bisher bestehende Besitzmittlungsverhältnis zum Eigentümer auf dessen Weisung hin aufgibt und
künftig nur noch dem neuen Erwerber den Besitz an der Sache mitteilt. Der Unterschied zu einer Übereignung nach § 931 liegt darin, daß in diesen Fällen nicht der
Herausgabeanspruch des Veräußerers und mittelbaren Besitzers gegen den unmittelbaren Besitzer abgetreten wird, sondern nach Beendigung des einen Besitzmittlungsverhältnisses ein neues anderes zum Erwerber begründet wird. Dabei erhält dieser
den mittelbaren Besitz nicht vom Veräußerer, sondern von einem Dritten: eine Art
Verschaffung des mittelbaren Besitzes durch eine Geheißperson.
Fall 38 (Besitzübertragung): A und B sind bäuerliche Nachbarn. A hat in seinem
Wald, 2 km von den Höfen entfernt, Holz geschlagen, das B erwerben möchte. A
fährt zu einer Besprechung mit einem Holzhändler. Da die Preise verfallen, bittet er
seinen Sohn telefonisch, mit dem B über einen Stapel Holz abzuschließen, den er bereits geschlagen hat und der im Wald, gekennzeichnet, bereitliegt. Zu welchem Zeitpunkt kann B Eigentum erwerben ?
Fall 39 (Surrogate für Besitzübertragung): A hat seine wertvolle Bibliothek der
Staatsbibliothek leihweise überlassen. Da die Stabi sich nicht zu dem in Aussicht genommenen Kauf entschließen kann, verkauft A seine Bücher an den Mäzen M, der sie
später der Stabi zukommen lassen will. Wie kann das rechtlich geschehen, wenn die
Bücher auf Dauer in der Stabi verbleiben sollen?
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3.1.4.
Schwierigere Fälle
Fall 40: Prof. P bittet seine studentische Hilfskraft S, beim nächsten Besuch der
Buchhandlung B einen „Palandt“ für ihn privat mitzubringen. S „kauft“ das Buch bei
B, ohne etwas von P zu erwähnen, und nimmt es abends mit nach Hause. Am nächsten Morgen pfändet der Gerichtsvollzieher das Buch gem. § 808 ZPO aufgrund wirksamen Titels (§§ 704 I, 794), Klausel (§ 724 f. ZPO) und Zustellung (§§ 750 ff. ZPO)
Kann P eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) mit Erfolg erheben?
Fall 41 (Streckengeschäft): In der arbeitsteiligen Gesellschaft sind die Funktionen der
Produktion und der Verteilung üblicherweise sogar mehrstufig getrennt: Fabrikant F
verkauft seine Ware an Großhändler G. Dieser schließt darüber mit dem Händler H
ab, der an die Letztverbraucher verteilt. Die Ware wird üblicherweise direkt von F an
H geliefert.
Frage a: In welcher Weise kann die Ware übereignet werden?
3.1.5.
Literatur
-
Dilcher, Der Streit um die Glocke – BGH NJW 1984, 2277, JuS 1986, 185
-
Müller, Das Geschäft für den, den es angeht, JZ 1982, 777
-
Wadle, Der Tatbestand des § 929 S. 1 BGB, JuS 1993, L 1 und 9
-
Wadle, Die Übergabe auf Geheiß und der rechtsgeschäftliche Erwerb des Mobiliareigentums, JZ 974, 689
-
Padeck, Rechtsprobleme des sog. Streckengeschäfts, Jura 1987, 454
-
Martinek, Traditionsprinzip und Geheißerwerb, AcP 188, 573
53
-
BGHZ 73, 253, 257 f: Zur Bestimmtheit der Einigung iSd. § 929 S. 1 BGB sowie
zur Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses iSd. § 930 BGB bei der
Übereignung aller zum „Hausinventar“ gehörenden Sachen von einem Ehegatten
auf den anderen
-
BGH NJW 1978, 696, 697: Zur Möglichkeit des Widerrufs der Einigungserklärung iSd. § 929 S. 1 BGB vor der Übergabe
-
BGH NJW 1991, 2283, 2284 f: Zur Auslegung der Einigungserklärung eines Ehegatten gem. § 133 BGB beim Erwerb von Hausrat für den gemeinsamen Haushalt
-
BGHZ 41, 95: Zur Figur des dinglichen Vertrags zugunsten Dritter
-
BGH NJW 1979, 714, 715: Zur Übereignung nach § 929 S. 1 BGB bei Einräumung von Mitbesitz (durch Übergabe eines von zwei Schlüsseln)
-
BGH NJW 1982, 2371: Zum Durchgangserwerb gem. § 929 S. 1 BGB beim
Streckengeschäft
-
BGH NJW 1986, 1166: Zum Streckengeschäft
-
BGH NJW 1984, 803, 804: Zur Bestimmtheit der Einigung iSd. § 929 S. 1 BGB
und der Besitzmittlungsvereinbarung iSd. § 930 BGB bei der Übereignung eines
Teils einer größeren Menge
-
BGH NJW 1986, 1985, 1986: Zum Bestimmtheitsgrundsatz bei der Übereignung
einer Sachgesamtheit mit wechselndem Bestand gem. §§ 929 S. 1, 930 BGB
-
BGHZ 98, 160, 165 f: Zum nachträglichen Eigentumsvorbehalt und zum Bestätigungsvertrag, in dem der Käufer das Vorbehaltseigentum des Verkäufers anerkennt
-
BGH NJW 1989, 2542: Zum In-Sich-Geschäft iSd. § 181 BGB sowie zur Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses iSd. § 930 BGB bei der Übereignung
einer Sache von Eltern auf ihr Kind
-
BGHZ 94, 232, 234 ff: Zum In-Sich-Geschäft iSd. § 181 BGB bei der Übereignung einer Sache von der Mutter auf ihr Kind gem. §§ 929 S. 1, 930 BGB
54
BGHZ 107, 340: Zur Genehmigung der Verfügung eines Nichtberechtigten iSd. §
-
185 II 1 BGB, wenn der Genehmigende, der im Zeitpunkt der Genehmigung infolge einer Zwangsvollstreckung nicht mehr Eigentümer ist, genehmigt, um den
Veräußerungserlös nach § 816 I 1 BGB zu erlangen
BGHZ 111, 364: Zum Eigentumserwerb des durch ein relatives Verfügungsverbot
-
Begünstigten durch einfache Erklärung des relativ unwirksam Verfügenden
3.2.
Gutgläubiger Erwerb
3.2.1.
Grundsätzliches
Der gutgläubige Erwerb ist eigentlich ein starkes Stück, denn der Eigentümer verliert
sein Recht, er wird ‚enteignet‘.
[Skizze]
Das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs (Verkehrsinteresse) hat der Gesetzgeber hier wie z.B. bei §§ 93 ff., 946 ff. dem Eigentümerinteresse vorangestellt. Ausnahme: Beim Abhandenkommen geht der Schutz der
(obj.) Rechtsordnung dem Verkehrsschutz (dem Schutz eines Gutgläubigen Erwerbers) gem. § 935 I vor. Hiervon macht § 935 II wiederum Ausnahmen etwa zugunsten
von Zahlungsmitteln, da sonst ein Bar-Zahlungsverkehr nicht mehr gewährleistet
werden könnte und z.B. die Erfüllung von Verträgen mit Barmitteln risikoreich wäre.
Rechtshistorisch bilden die Normen der §§ 932-935 sozusagen einen Kompromiß
zwischen germanisch-deutschen und römischen Prinzipien:
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Nach römischem Recht (vgl. hierzu Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl.,
§ 24 Rn. 3-5) gab es (sehr vereinfacht) keinen gutgläubigen Erwerb. An sich konnte
der Eigentümer seine Sache von jedermann herausverlangen (rei vindicatio = Herausgabeanspruch wie heute § 985). Da zumindest das späte Rom wirtschaftlich eine Warenverkehrsgesellschaft darstellte, trat die sehr kurzfristige Ersitzung (usucapio) bei
Mobilien wie Immobilien funktional an die Stelle des gutgläubigen Erwerbs (vgl.
heute § 937: Erwerb kraft Gesetzes).
Das germanische Recht kannte ‚Eigentum‘ im heutigen Sinne nicht, sondern nur ‚geschützten Besitz‘: die gewere. Nach germanisch-deutschem Recht gab es beim Gewere-Bruch die Möglichkeit der Spurfolge und die Anfangsklage. D.h. (sehr vereinfacht)
der Gewereinhaber mußte bei Gewerebruch der Sache z.B. dem Dieb unmittelbar folgen. Hatte der Gewereinhaber freilich die Sache mit seinem Willen aus seiner Gewere
gelassen, so galt die Regel: Wo du deinen Glauben gelassen hast, da mußt du ihn suchen. D.h. es ergaben sich also nur Ansprüche gegen denjenigen (heute gegen den
‚Vertragspartner‘), dem die gewere überlassen worden war. Dieser Gedanke liegt
heute § 932 einerseits und § 816 I zugrunde! Denn wer eine Sache freiwilig aus seinem Besitz läßt, riskiert, daß daran gutgläubig Eigentum begründet wird. Dann kann
es sich nur an den halten, dem er sie gegeben hatte. Nach heutigem Recht ist der ehemalige Eigentümer auf Ausgleichsansprüche gegen den unrechtmäßig Verfügenden
angewiesen. Wichtigster Fall: § 816 I 1. Die Ausnahme bildet § 935, derauf das römische Prinzip der Vindikation abhebt. Vgl. dazu überblicksartig: Handwörterbuch zur
deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 1866-1871 (H. E. Troje).
Der Eigentümer verliert somit seinen (insolvenzfesten) dinglichen Anspruch z.B. aus
§ 985 und erhält zum Ausgleich lediglich schuldrechtliche Ansprüche, die im Insolvenzfall nur auf die Quote gehen.
Anspruchsgrundlagen des Eigentümers, der sein Eigentum verloren hat, gegen den
unrechtmäßig Verfügenden:
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Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten aus einem evtl. bestehenden
Vertrag, § 280 (ggf. i.V.m. Unmöglichkeit [§§ 283, 275] etwa der Rückgabe, z.B.
geschuldet aus § 604);
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-
§§ 687 II, 816 I 1;
-
823 (zum EBV-Problem z.B. mit § 992 etc. später).
Anspruchsgrundlagen des Eigentümers, der sein Eigentum verloren hat, gegen den
Erwerber:
-
Grundsätzlich keine, da dieser Eigentümer geworden ist.
-
Der Erwerber muß nur bei unentgeltlichem Erwerb (§ 816 I 2) die Sache herausgeben.
-
Die leicht fahrlässige Rechtsverletzung (vgl. § 932 II) verpflichtet ihn nicht zur
Herausgabe der Sache nach den §§ 823 I, 249. Die Rechtszuständigkeitsveränderung beruht auf gesetzlicher Anordnung und ist somit insoweit nicht rechtswidrig.
Der ‚neue‘ Eigentümer ist voll verfügungsberechtigt. Bei Rückerwerb des Nichtberechtigten erwirbt (Durchbrechung des Abstraktionsprinzips) nach sehr bestr. Meinung der frühere Berechtigte automatisch das Eigentum zurück (Baur/Stürner, § 52
IV 2).
Geschützt ist nur der rechtsgeschäftliche Erwerb.
Böser Glaube in Bezug auf das Eigentum schadet; gleichfalls grobe Fahrlässigkeit:
(Def.: Ungewöhnlich hohe Sorgfaltsverletzung; zu fragen ist, was hätte in der konkreten Situation jedermann einleuchten müssen?)
Es muß bei allen Formen des gutgläubigen Erwerbs (§§ 933 f.) prinzipiell die Übergabe hinzukommenden der Rechtsschein folgt immer dem Besitz.
§§ 932 ff. gleichen nur den Mangel des Eigentums, nicht aber Willensmängel oder
Fehlen von Geschäftsfähigkeit bzw. Vertretungsmacht aus.
Wenn dem Eigentümer die Verfügungsbefugnis fehlt, greift nicht § 932, aber §§ 135
I 1, 136, 161 III, 163, 2113 III, 2129 II 1, 2211 II. Fehlt die Verfügungsbefugnis dem
Nichteigentümer, der als solcher auftritt, greift gleichfalls § 932 nicht unmittelbar. Ein
Schutz des Erwerbers erfolgt allenfalls über die §§ 1244, 366 HGB.
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Problematisch: Gutgläubige Geheißerwerbe. Überblick bei Jauernig-Jauernig § 932
Anm. II 2.
3.2.2.
Erläuterungsfälle
Fall 42 (Gutgläubiger Eigentumserwerb durch Einigung und Übergabe §§ 932, 929):
G kauft von S einen Bügelautomaten, den dieser unter Eigentumsvorbehalt von der FAG erworben und noch nicht voll bezahlt hat. Beide tauschen ihre Leistungen unmittelbar aus, wobei sich S als Eigentümer ausgibt. Ist G Eigentümer geworden?
Fall 43: E hat seine vor kurzem gekaufte Uhr dem R zu einer Reparatur gebracht. R
verwechselt sie mit einer neuen Uhr seines Geschäftes und veräußert sie an K. Wird K
Eigentümer?
Fall 44: G hat aus K’s Landhaus eine Schreibmaschine entwendet und sie an D veräußert, dem gegenüber er sich unter Verwendung eines gleichfalls entwendeten entsprechenden Briefbogens als Büromaschinenhändler ausgab. D hat vorsichtshalber
Erkundigungen eingezogen und sich von dem guten Ruf der erwähnten Firma überzeugt. Ist er Eigentümer geworden? Wäre es anders, wenn G die Maschine von K
entliehen hätte?
Eine praktisch erhebliche Streitfrage ist auch mit der Stellung des Besitzdieners verbunden. Nach der herrschenden Meinung ist die Sache abhanden gekommen, wenn
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der Besitzdiener sie ohne den Willen des Besitzers weggibt. Das erscheint folgerichtig
angesichts der gesetzlichen Regelung, daß der Besitzdiener keinen Besitz hat, vgl.
§ 855.
Fall 45: Der Gehilfe G, der die Uhr unterschlagen hat, bringt sie in das ‚Leihhaus‘ des
L, um sie zu verpfänden. Nachdem G die Uhr nicht mehr auslösen kann, versteigert
sie der L öffentlich (§ 1235 Abs. 1). Ist der Erwerber A Eigentümer geworden?
(Vorfragen: L hat ein Pfandrecht an der Sache gem. Einigung und Besitzübertragung
nach §§ 1204, 1205 erlangt. Bei Pfandreife, § 1228 II, steht ihm ein Verwertungsrecht
zu.)
3.2.3.
Schwerere Fälle
Fall 46: Müller, wohnhaft in der X-Straße, veräußert aufgrund einer Zeitungsanzeige
an den A einen Pkw 20 % unter dem Preis in der sog. Schwacke-Liste. Dem Erwerber
A gefällt das preiswerte Auto so gut, daß er es kauft, ohne in den Kfz-Brief zu sehen.
Dort steht als Eigentümer Schulze, X-Straße. Kann A an dem Kfz. gutgläubig Eigentum erwerben?
(Vorüberlegung: Kfz-Brief: für diesen (§§ 20 III, 25 StVO) gilt § 952 entsprechend
(BGHZ 88, 13), d.h. übereignet wird der Brief durch Einigung und Übergabe des
Autos. Das Recht am Papier (dem Kfz-Brief) folgt (automatisch) dem Eigentum am
Auto (BGHZ 119, 92; JZ 84, 231; NJW 92, 310)
Fall 47: Kreditnehmer K übereignet zur Sicherheit für seinen Kredit von seinen Firmen-Pkw an die kreditgebende Bank. Diese nimmt den Kfz-Brief in Verwahrung und zeigt die Übereignung gem. § 27 III StVZO an. Der Kredit wird wie
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vorgesehen getilgt, jedoch läßt K sein Kontokorrentkonto um fast den gleichen Betrag
ins Debet laufen. Ohne dies zu beachten, gibt der Kreditsachbearbeiter den Kfz-Brief
an K zurück, obwohl das Kfz. nach dem Vertrag „für alle Verbindlichkeiten gegenüber der Bank“ haften sollte. Der in finanziellen Nöten befindliche K nahm daraufhin
bei einem Dritten einen weiteren Kredit auf und übereignete den Pkw erneut unter
Übergabe des Kfz-Briefes. Die Bank fragt, ob sie den Brief aufgrund ihres Sicherungseigentums herausverlangen kann?
Hinweis: Sicherungsübereigung wird vorgegeben und seine Konstruktion nicht als
bekannt vorausgesetzt. Beim Sicherungseigentum wird im Ergebnis der Sicherungseigentümer (Sicherungsnehmer = i.d.R. die Bank) zum Eigentümer ohne Besitz, der
beim Sicherungsgeber verbleibt, damit dieser mit der Sache ‚arbeiten‘ kann, um den
Kredit zurückzuzahlen. Daher wird das S. in der Praxis dem Pfandrecht, vgl. §§ 1204
vorgezogen.
Fall 48: Der V beauftragt den Autohändler H, sein Fahrzeug, „in Kommission zu
nehmen“ und es nicht unter dem Schätzpreis von ]XYHUNDXIHQ'HU:DJHQ
steht dann auf dem Hof der H in der deutlich gekennzeichneten Abteilung: „Fahrzeuge in Kommission.“ H schuldete dem K einen Gefallen. Er verkauft, nachdem K sich
den Wagen auf dem Hof ausgesucht hat, unter dem Preis an K, übergibt das Fahrzeug
sowie den Brief und übereignet ihm den Wagen. V will sein Auto zurück.
Fall 49: E produziert Fenster. Mit seinem Vertreter F kommt es immer wieder über
Abrechnungen zum Streit, so daß F eines Tages beschließt, im großen Stil abzukassieren. Bei einem großen Bauprojekt tritt er als selbständiger Händler auf und geriert
sich, als ob er sich in Zahlungsschwierigkeiten befände. Daher räumt er dem D
scheinbar einen Rabatt von 30 % auf den marktüblichen Preis bei Lieferung ab Werk
ein, und behält sich mit einem Standardvertrag das Eigentum bis zur vollständigen
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Bezahlung der Ware vor, die wegen des großen Rabattes durch Blitz-/Telexüberweisung nach Übergabe erfolgen soll. Der Fabrikant E gibt daraufhin die Ware an den D
heraus, der F verschwindet mit dem ‚vertragsgemäß‘ schnell überwiesenen Geld auf
nimmer Wiedersehen. Noch vor Einbau der Fenster (§§ 93 ff, 946 ff.) verlangt E „sein
Eigentum“ zurück. Zu Recht?
Fall 50: A verleiht sein Auto über das Wochenende seinem Freund B. B will als Gegenleistung eine Reparatur an dem Auto vornehmen, wozu er vorgibt, den Kfz-Brief
zu brauchen. Tatsächlich veräußert er den Wagen an den C auf einem Automarkt. Der
Wagen wurde laut Vertrag verkauft „wie besichtigt und Probe gefahren - unter Ausschluß jeglicher Gewährleistung“. C, der – unterstellt – nicht grob fahrlässig war,
stellt jedoch erhebliche – verschwiegene – Vorschäden fest, so daß er den Rücktritt
erklärt. Nunmehr erfährt A von dem Handel und verlangt sein Auto heraus. Zu Recht?
(Problem: Rückerwerb des Nichtberechtigten: Baur/Stürner, § 52 IV 2 a)
Fall 51 (für Vorgerückte): Die Eheleute E befinden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Sie beschließen, eine Plastik, die sich seit langem im Besitz der Familie der
Ehefrau befindet, zu veräußern. Kurz vor der Verkaufsverhandlung kommen Herrn E
doch Bedenken. Er teilt seiner Ehefrau mit, die Plastik solle doch für die Kinder in
der Familie bleiben. Dennoch verkauft die Ehefrau das Kunstwerk an K. Erwirbt der
Käufer Eigentum daran?
Abw.: Wie wäre es, wenn der Kunstgegenstand im Eigentum des Ehemannes stünde?
(Achtung: gesetzlicher Güterstand muß immer unterstellt werden, wenn der SV keinen anderen Hinweis gibt.)
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Fall 52: Bei der Entführung des Großindustriellensohnes S erbeuten die Täter Mio. in 500- 6FKHLQHQ'LH3ROL]HLUXIWGD]XDXINHLQHJU|‰HUHQ3RVWHQ Scheine in Zahlung zu nehmen. Ein Unbekannter erscheint bei einem Gebrauchtwagenhändler und kauft einen Luxus-Sportwagen für GHQHUPLWHU
Scheinen bar bezahlt. Bei der Einlieferung an die Bank wird die Polizei informiert, da
die Scheine aus der Beute stammen. Kann der ursprünglich erpreßte Großindustrielle
die KHUDXsverlangen? (BGHZ 4, 10, 33)
3.2.4.
Literatur
-
Schünemann, Eigentumserwerb vom Nichteigentümer, JuS-Lernbogen 1987, L 25
-
Wieling, Empfängerhorizont: Auslegung der Zweckbestimmung und Eigentumserwerb, JZ 1977, 91
-
Damrau, Aufgabe des einheitlichen Begriffs Übergabe? – BGHZ 67, 207, JuS
1978, 519
-
Picker, Mittelbarer Besitz, Nebenbesitz und Eigentumsvermutung in ihrer Bedeutung für den Gutglaubenserwerb, AcP 1988, 511
-
Musielak, Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach §§ 932 ff BGB, JuS
1992, 713
-
Wiegand, Der Rückerwerb des Nichtberechtigten, JuS 1971, 62
-
ders., Der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen, JuS 1974, 201, 545
-
ders., Rechtsableitung von Nichtberechtigten, JuS 1978, 145
-
BGHZ 36, 56, 60 f: Zum gutgläubigen Erwerb gem. §§ 929 1, 932 BGB unter
Einschaltung einer Geheißperson
-
BGH NJW 1974, 1132, 1134: Zum gutgläubigen Erwerb gem. §§ 929 1, 932 BGB
unter Einschaltung einer „Scheingeheißperson“
62
-
BGHZ 67, 209: Zum gutgläubigen Erwerb gem. §§ 929 1, 933 BGB bei einseitiger Wegnahme der Sache durch den „Erwerber“
-
BGHZ 50, 45: Zum gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 1, 934 Hs. 1 BGB, wenn
der unmittelbare Besitzer dem bisherigen Eigentümer und dem Verfügenden den
Besitz mitteln will – „Doppelspiel“ sowie zur Figur des Nebenbesitzes
-
BGH NJW 1978, 696, 697: Zum gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 1, 934 Hs. 2
BGB, wenn der unmittelbare Besitzer dem bisherigen Eigentümer und dem Erwerber den Besitz mitteln will – „Doppelspiel“
-
BGH NJW 1979, 2037: Zum gutgläubigen Erwerb gem. §§ 929 1, 934 Hs. 2
BGB, wenn die formlos erfolgte Abtretung der Form der Angabe auf dem Lagerschein bedurft hätte
-
BGHZ 34, 122 und 153: Zum gutgläubigen Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts
gem. §§ 647, 932, 1204 BGB analog