highlights 17 - Universität Bremen
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highlights 17 - Universität Bremen
HIGHLIGHTS I N F O R M A T I O N S M A G A Z I N B R E M E N D E R U N I V E R S I T Ä T U N I V E R S I T Y B R E M E N I N F O R M A T I O N M A G A Z I N E 9. Jahrgang Heft 17 / Sept. 2006 P ARASITOIDE S PIELSUCHT ROBER T S CHUMANN S TRÖMUNGSVERHALTEN P ARASITOIDS G AMBLING ADDICTION ROBER T S CHUMANN F LOW BEHAVIOUR Inhalt Contents Rätselhaftes Musikgenie: Robert Schumann wird erforscht. Enigmatic musical genius: Robert Schumann research. 7-8 Aus Lehre und Forschung Teaching and research update 26 Kontakte / Impressum Contacts / Editorial information 22-25 Strömungsverhalten von Flüssigkeiten unter Schwerelosigkeit: Grundlagenforschung aus Bremen. The flow behaviour of fluids in conditions of weightlessness: fundamental research ‚made in Bremen‘. 4-6 Vorsicht, Suchtgefahr! Untersuchungen zum Gefährdungspotenzial von Sportwetten. Caution, danger of addiction! Investigations into the potential danger of sports betting. 18-21 News 14-17 10-13 Untersuchungsfeld Parasitoide: Biologen erforschen die Systeme von Taufliegen und Mehlmotten sowie ihrer Feinde. Research field parasitoids: biologists are researching the systems of fruit flies and flour moths - and also their enemies. Titelbild: Ein Weibchen der Erzwespe Halticoptara laevigata sticht in die Frucht der roten Heckenkirsche, um eine Wirtslarve zu erreichen - eine Form der biologischen Schädlingsbekämpfung, die auch Forscher der Bremer Uni beschäftigt (siehe Seite 10-13). Cover picture: A female chalcid fly Halticoptara laevigata probes the fruit of a fly honeysuckle in search of host larvae for her eggs - this form of biological pest control is of interest to researchers at Bremen University (see pages 10-13). -3- Aktuelles News Mobile Solution Center: Zentrale Ideenschmiede für mobile Anwendungen Im Technologiepark Universität hat jetzt das Mobile Solution Center (MSC) seine Pforten geöffnet. Damit verfügt Bremen über eine zentrale Ideenschmiede für mobile Lösungen, in der Wissenschaft, Wirtschaft und Anwender zusammentreffen. Das MSC ist die erste Anlaufstelle für Firmen in Bremen und der Region, die mobile Lösungen entwickeln, integrieren oder bei sich einsetzen wollen. Es spannt einen Bogen von der Informatik über die Elektrotechnik bis hin zum Industrial Design. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien werden dabei an die konkreten Anforderungen von Unternehmen angepasst und umgesetzt. Mit dem MSC wird das Konzept des Technologie-Zentrums Informatik (TZI) der Universität Bremen realisiert, das eine enge themen- und anwendungsorientierte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft vorsieht. Mobile Solution Center: Central think-tank for mobile applications The Mobile Solution Center (MSC), located in the University Technology Park, has just opened its doors. Now Bremen boasts a center dedicated to mobile solutions, where scientists, entrepreneurs and practitioners come together. The MSC is the first address for companies in and around the Bremen region who are involved in the development, integration and practical application of mobile solutions. It covers a broad spectrum of disciplines - from computer science, through electronics, up to industrial design. Work at the Center concentrates on adapting new scientific breakthroughs and technologies to the concrete requirements of industry and implementing their application. The MSC was conceived by the Center for Computing Technologies at Bremen University with the objective of realising closer co-operation between science and the economy on research topics and their practical application. Entwicklung und Bewertung von neuen Arzneimitteln im Blick: der neue masterstudiengang "Medical Biometry/ Biostatistics" der Uni Bremen. Focussing on the development and evaluation of new medicaments: the new Master‘s programme „Medical Biometry/Biostatistics“ at Bremen University. Dateneingabe am Arm - eine Möglichkeit bei mobilen Anwendungen, wie sie jetzt im Mobile Solution Center erforscht werden. Data entry on a person‘s arm - just one of the possibilities opened up by mobile applications being researched at the Mobile Solution Center. Deutschlandweit einmalig: Masterstudiengang „Medical Biometry/Biostatistics“ DFG fördert Graduiertenkollegs an der Bremer Universität Die Universität Bremen bietet zum Wintersemester 2006/2007 erstmals den Masterstudiengang „Medical Biometry/Biostatistics“ an. Es handelt sich dabei um die erste biometrische Ausbildung auf universitärem Niveau in Deutschland. Sie baut auf einem Studium der Mathematik, Informatik, Statistik oder einem naturwissenschaftlichen bzw. medizinischen Studium mit mathematisch-statistischer Komponente auf. Im viersemestrigen Vollzeitstudium werden dabei Fachkräfte biometrisch ausgebildet, die mit der Entwicklung und Bewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten befasst sind. Der Abschluss Master of Science eröffnet ein attraktives Berufsfeld mit internationalem Bedarf, aber auch die Möglichkeit zur anschließenden Promotion. Grünes Licht erhielten zwei Graduiertenkollegs an der Universität Bremen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). So hat die DFG der Uni kürzlich ein neues Doktorandenprogramm „PoreNet“ im Fachbereich Produktionstechnik bewilligt. Zwischen 25 und 30 ausgewählte Kollegiaten erforschen dabei, wie poröse keramische Strukturen in der Energieund Verfahrenstechnik sinnvoll eingesetzt werden können. Einen große Anerkennung gab es auch für das bereits 2002 gestartete Internationale Graduiertenkolleg „Proxies in Earth History“ (EUROPROX) im Fachbereich Geowissenschaften: Die äußerst erfolgreiche Ausbildung und Forschung zu Fragen der erdgeschichtlichen Klimaforschung führte jetzt zu einer Anschlussförderung von 2,5 Millionen Euro für die kommenden viereinhalb Jahre. A first in Germany: Masters in Medical Biometry/Biostatistics DFG to fund PhD research group at Bremen University The first Masters Programme in Medical Biometry/Biostatistics will start at Bremen University in winter semester 2006/2007. This will be the very first programme in biometry to be offered at university level in Germany. It builds on prior studies in mathematics, computer science, statistics, natural science or medicine and comprises mathematical-statistical components. The full-time course, which runs over four semesters, trains the biometric expertise needed to develop and evaluate pharmaceuticals and medicaments. It leads to the award ‚Master of Science‘, opening up attractive career opportunities with international prospects as well as the possibility to study for a PhD. Green light from the Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) [German Research Foundation] for two PhD research groups at Bremen University. The DFG recently agreed to fund a new PhD programme embedded in the Faculty of Production Engineering entitled ‚PoreNet‘. A select group of between 25 and 30 PhD candidates will carry out research on the practical application of porous ceramic structures in power and process engineering. In addition to this the DFG has also expressed its appreciation for the international PhD programme ‚Proxies in Earth History‘ (EUROPROX), which was set up in 2002 in the Faculty of Earth Sciences. This immensely successful teaching and research programme on topics of geological climate research has been granted supplemental funding to the tune of 2.5 million euros for the next four and a half years. -4- Aktuelles News Neues DFKI-Labor widmet sich Unterwasser- und Weltraum-Robotik Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat an der Bremer Uni jetzt ein Labor eingerichtet. Arbeitsschwerpunkte sind „Robotik“ (Professor Frank Kirchner) und „Sichere Kognitive Systeme“ (Professor Bernd Krieg-Brückner). Neue Räumlichkeiten mit exzellent ausgestatteten Arbeits- und Büroräumen bieten hervorragende Voraussetzungen, um in der ersten dreijährigen Förderphase die Forschungen weiter voranzutreiben. Die besondere Aufmerksamkeit des neuen DFKI-Labors gilt der Unterwasser- und Weltraum-Robotik. Für die Erforschung des Weltraums und der Unterwasserwelt sollen autonome Fahrzeuge und in Zukunft auch intelligente Roboter entwickelt werden, die über einen hohen Grad an Mobilität und Manipulationsfähigkeit verfügen. Das Land Bremen, das strategisch auf Robotik setzt, unterstützt das neue Labor zunächst mit jährlich 1,3 Millionen Euro. Schönes Forschungsobjekt: Auch dieser Tropenfisch gehört zum Interessensgebiet des Zentrums für Marine Tropenökologie. Es wurde jetzt zur Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft empfohlen. Exquisite research object: this tropical fish is also a focus of research at the Center for Tropical Marine Ecology. The Center has been proposed for membership in the Leibniz Association. Zentrum für Marine Tropenökologie zur Aufnahme in Leibniz-Gemeinschaft empfohlen Zwei neue DFGSchwerpunktprogramme an der Uni Das Zentrum für Marine Tropenökologie (ZMT) an der Universität Bremen ist vom Wissenschaftsrat zur Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft (WGL) vorgeschlagen worden. In dieser Vereinigung sind bislang 84 wissenschaftlich und rechtlich eigenständige Forschungsinstitute vertreten. Die Aufnahme könnte die Meeresforschung in Bremen weiter stärken. Die ZMT-Forschung ist auf die Küstenbereiche in den Tropen ausgerichtet und hat das Ziel, eine wissenschaftliche Grundlage für die nachhaltige Nutzung tropischer Küstenökosysteme zu schaffen. Damit verfügt die Einrichtung über ein überzeugendes Alleinstellungsmerkmal und füllt mit ihrem Forschungsgebiet eine Lücke in der deutschen Meeresforschung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat jetzt aus 47 eingereichten Konzepten 16 Förderprojekte mit einer Laufzeit von sechs Jahren ausgewählt. Zwei davon gehen an die Universität Bremen und werden hier koordiniert. Professor Uwe Engel vom Institut für empirische und angewandte Soziologie überzeugte mit dem Projekt „Survey Methodologie“. Dabei geht es um die Verbesserung der Datenqualität wissenschaftlicher Umfragen, die ein zentrales Instrument der Sozialforschung sind. Im von Professor Michael Schulz (Fachbereich Geowissenschaften) geleiteten Schwerpunktprogramm „Integrierte Analyse zwischeneiszeitlicher Klimadynamik“ will man zu einer genaueren Abschätzung der künftigen Klimaentwicklung gelangen. Dazu werden die klimatischen Verhältnisse der Vergangenheit systematisch untersucht. Center for Tropical Marine Ecology is put forward for membership of the Leibniz Association Two new DFG Priority Programmes at Bremen University The Science Council has proposed the Center for Tropical Marine Ecology at Bremen University for membership in the Leibniz Association. So far a total of 84 non-university scientific and research centers have been accepted for membership in the Association. This development is bound to result in benefits for ocean research activities in Bremen. Work at the ZTZ is focussed on the research of coastal waters in the tropics and has as its objective the provision of a scientific grounding for the sustainable exploitation of ecological systems in the coastal waters of the tropics. This is the Center‘s „unique selling point“, filling an important gap in ocean research in Germany. The Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) has announced it will be funding 16 new projects, each with a life of six years. A total of 47 applications were submitted to DFG, of which 16 were finally selected. Two of these are at Bremen University and will be co-ordinated here. Professor Uwe Engel of the Institute for Empirical and Applied Sociology was one of the successful applicants with his „Survey Methodology“ project. The objective is to improve the quality of data collected during scientific surveys, a central instrument of social research. The second project to be awarded DFG Priority Programme status is led by Professor Michael Schulz (Faculty of Geo-Sciences) and is entitled „Integrated Analysis of Interim Climate Dynamics“. The objective here is to develop more accurate predictions of how the climate is likely to develop in future years. To achieve this, among other things the project will conduct an in-depth analysis of past climatic change. -6- New DFKI laboratory is dedicated to robotics, both underwater and in space The German Research Center for Artificial Intelligence recently set up a laboratory at Bremen University. The main areas of research are „Robotics“ (Professor Frank Kirchner ) and „Safe and Secure Cognitive Systems“ (Professor Bernd Krieg-Brückner). New premises with excellently equipped work stations and offices make for ideal research conditions, ensuring good progress will be made in the first three-year period of funding. A very special focus of the new laboratory will be on the application of robotics in space and underwater. In future, for instance, it is intended to develop autonomous vehicles and intelligent robots that can be used in the exploration of space and the world under water. Such machines will have to incorporate a high degree of mobility and versatility. Robotics forms one of the State of Bremen‘s strategic goals and Bremen is initially funding the new laboratory with Euro 1.3 million. Autonomer Roboter mit Flugfähigkeit: Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat an der Bremer Uni jetzt ein Labor eingerichtet. Autonomous robots that fly: The German Research Center for Artificial Intelligence recently set up a laboratory at Bremen University. Aus Lehre und Forschung Teaching and research updates Bremer Informatiker testen Flugzeugkabinen der Zukunft Bremen computer scientists test the aircraft cabins of the future Bequeme Flugreisen ohne unangenehme Überraschungen sind Ziel des Forschungsprojektes „E-Cab“, das von der Europäischen Union gefördert wird. Unter den 30 internationalen Projektpartnern aus Industrie und Wissenschaft ist mit dem Informatik-Team von Professor Jan Peleska auch eine Arbeitsgruppe der Universität Bremen vertreten. Hinter der Abkürzung „E-Cab“ verbirgt sich der sperrige Projekttitel „Elektronisch ausgestattete Kabine und zugehörige Logistik für verbesserte Passagierdienste und Effizienz der Betriebsabläufe“. Vision ist der für die Passagiere optimale Flug, bei dem die Vorteile neuester Kommunikationstechnologien genutzt werden - etwa Mobiltelefone, Persönliche Digitale Assistenten (PDA), Radiowellen (RFID) und drahtlose Netzwerke (WLAN). Die Bremer Informatiker sind mit innovativer Testtechnologie dabei - denn entscheidend für den Gesamterfolg des Projektes ist das reibungslose Zusammenwirken der unterschiedlichen Systeme. Dazu entwickelt die Uni-Gruppe Tests, die solche Komponenten automatisch prüfen. Gleichzeitig kann das Verhalten hunderter weiterer Systeme in der Umgebung des Testlings simuliert werden, ohne dass diese alle im Original im Labor aufgebaut werden müssen. Comfortable air travel free of unpleasant surprises: this is the aim of a research project entitled ‚E-Cab‘, which is being funded by the European Union. Among the 30 international partners drawn from industry and science who are involved in the project, Bremen University is represented by a working group of computer scientists led by Professor Jan Peleska. The abbreviation ‚E-Cab‘ stands for the rather cumbersome project title ‚Electronically Equipped Cabins and Dedicated Logistics for Improved Passenger Service and Efficiency of Operational Processes‘. The vision is to provide passengers with the optimum flight, incorporating all the advantages of modern communication technologies - such as mobile phones, personal digital assistants (PDA), radio waves (RFID) and wireless networks (WLAN). The computer scientists from Bremen are playing their part by contributing innovative test technology - for the ultimate success of the project depends on the smooth interconnectivity between the different systems. To this purpose the research group devises tests to check the interdependent components automatically. At the same time, the behaviour of hundreds of other systems in the vicinity of the test object can be tested without their actually having to be set up in the laboratory. Hochmoderne Kabinen gehören ebenso zur Zukunft der Luftfahrt wie der Einsatz modernster Kommunikationstechnologien darin. Informatiker der Uni Bremen testen das Zusammenspiel der Komponenten. Ultra-modern cabins are just as part of the future of aviation as the deployment of modern communication technologies inside them. Computer scientists at Bremen University test the interaction between the various components involved. Neue Verfahren sollen das Testen von Schaltungen und Systemen verbessern New techniques to improve the testing of circuits and systems Die Arbeitsgruppe Rechnerarchitektur unter der Leitung von Professor Rolf Drechsler (Fachbereich Mathematik/Informatik der Universität Bremen) entwickelt derzeit neue Verfahren, um das Testen von Schaltungen und Systemen zu verbessern. In den kommenden drei Jahren werden die Bremer Informatiker dabei Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bearbeiten. Das Problem der Funktionssicherheit elektronischer Komponenten erhält einen immer bedeutenderen Stellenwert. Jede elektronische Komponente muss ausreichend getestet werden, bevor sie zum Einsatz kommt. In der Automobilindustrie etwa werden immer mehr Fahrzeuge mit Chips ausgestattet. Bereits 40 Prozent der Kosten bei der Automobilproduktion entfallen auf die Elektronik. Nahezu die Hälfte macht dabei der Bereich Schaltkreis- und Systementwurf aus. Im Rahmen eines BMBF-Projektes entwickeln die Bremer Forscher in den Jahren 2006 bis 2009 neue Testverfahren. Durch die Steigerung der Testqualität soll die Anzahl der korrekten Chips erhöht werden. Die Arbeitsgruppe ist dabei Unterauftragsnehmer der Philips Semiconductors GmbH, Hamburg. Als weiterer Technologiepartner ist die Infineon Technologies AG beteiligt. Im Bereich der Testmustergenerierung wird die Arbeitsgruppe durch die DFG unterstützt. In einem zweijährigen Projekt untersucht sie die effiziente Berechnung auf Basis formaler Beweismethoden. The computer architecture research group under the leadership of Professor Rolf Drechsler (Faculty of Mathematics/Computer Science at the University of Bremen) is currently working on the development of new procedures to improve the testing of circuits and systems. Over the next three years the Bremen computer scientists will be working on projects funded by the Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) [German Ministry for Education and Research] and the Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) [German Research Foundation]. The operational reliability of electronic components is becoming increasingly more important. Every electronic component must first be thoroughly tested before being put into use. In the car industry, for instance, it is becoming more and more common for vehicles to be equipped with chips. In the meantime, some 40 percent of the cost of automobile production is attributable to electronics. The area of circuit and system design accounts for almost half of this. Within the scope of the BMBF project, between 2006 and 2009 the Bremen researchers will be developing new techniques for testing procedures. By means of enhancing the quality of testing it is possible to increase the number of faultless chips produced. The Bremen research team has been engaged as subcontractor by Philips Semiconductors GmbH, Hamburg. Another high-tech partner is Infineon Technologies AG. The team is receiving support from the DFG for their work in the area of generating test patterns. During the two-year project they will investigate efficient calculation on the basis of formal evidence methods. -7- Aus Lehre und Forschung Teaching and research updates Anwendungsbezogene High-TechEntwicklung als Ergebnis einer Lehrveranstaltung. Studierende der Produktionstechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens bauten zehn „Service-Roboter“. Applied high-tech development as product of a course: students of production engineering and engineering management built ten ‚service robots‘. Ob Tee oder Bier - der Service-Roboter bringt es No matter tea or beer - the service robot will bring it Maschinenbau und Verfahrenstechnik einmal anders: Drei Monate haben 248 angehenden Produktionstechniker und Wirtschaftsingenieure der Universität Bremen getüftelt, um zehn ungewöhnliche Geräte zu konstruieren - Service-Roboter. Sie fahren auf zwei Rädern und können ferngesteuert jeweils acht Biere oder vier Tees balancieren und servieren. Zum Abschluss des Sommersemesters stellten die Studierenden ihre Entwicklungen bei einem Wettkampf im Bremer Institut für Betriebstechnik und angewandte Arbeitswissenschaft an der Uni (BIBA) vor. Die Roboter sind ein Ergebnis der Lehrveranstaltung „Produktionstechnik IV“, die für alle Viertsemester-Studierenden der Produktionstechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens verpflichtend ist. Mit ihrem hohen Praxisanteil, ihrem ganzheitlichen Ansatz und einem besonderen didaktischen Konzept gilt sie im Ingenieur-Grundstudium als vorbildlich. Die Teams müssen sich dabei organisieren, logistische Probleme lösen oder Informationsflüsse koordinieren. Sie setzen sich mit allen die Produktion begleitenden Prozessen auseinander, sammeln praktische Erfahrungen und erkennen die Notwendigkeit von Methodenwissen. Zum Abschlusswettkampf kamen immerhin 300 Zuschauer - ein ungewöhnlich großes öffentliches Interesse für eine Lehrveranstaltung. Am Ende gewann die Gruppe 1: Ihr Servierroboter lieferte nach nur 26 Sekunden acht volle Biere im Ziel ab - ohne Besucher zu duschen oder anzurempeln. Der Antrieb sitzt in einer großen Tonne, wie ein Hamster in seinem Laufrad. Zudem sind Batterie, Antrieb und Elektronik darin untergebracht - auch wegen des Schwerpunktes. Quite a new perspective on mechanical and process engineering: for a full three months 248 students of production engineering and engineering management at the University of Bremen have been busily working on the design of ten rather unusual devices - service robots. They move on two wheels and per remote control are capable of balancing and serving eight beers and four cups of tea at any one time. At the end of the summer semester the students presented their achievements during a contest at Bremen University‘s Institute of Industrial Technology and Applied Work Science (BIBA). The robots are a product of the course ‚Production Engineering IV‘, which is mandatory for all fourth-semester students of production engineering and engineering management. The high degree of practice relevance, the holistic approach and the unique didactical concept associated with this course makes it a model of stage 1 engineering studies. During the course the teams must practice organisational skills, learn how to solve logistical problems and coordinate information flows. They deal with all the aspects which accompany the production process, gain practical experience and realise the necessity of methodological knowledge. The final contest attracted the impressingly large number of 300 interested spectators - quite something for an academic course. The final victory went to Group 1: within the space of just 26 seconds their service robot managed to safely deliver eight beers - neither showering nor bumping into any spectators on the way. Rather like a hamster in its running wheel, the motor is located inside a large container. This also houses the battery, drive unit and electronics - important to maintain the balance. -8- Mit Parasitoiden im Kampf gegen Pflanzenschädlinge Using Parasitoids in the Battle Against Crop Pests MIT PARASITOIDEN IM KAMPF GEGEN PFLANZENSCHÄDLINGE USING PARASITOIDS IN THE BATTLE AGAINST CROP PESTS Biologen der Universität Bremen erforschen die Systeme von Taufliegen und Mehlmotten sowie ihrer Feinde Biologists at Bremen University are researching into the systems of fruit flies and flour moths as well as their enemies Eigentlich müsste die Natur um uns herum an vielen Stellen Actually, the nature we live in ought to be completely recht kahl aussehen. Denn fast alle Pflanzen bewirten Insek- barren in many places. For almost all the plants around us tenlarven, die erfolgreich an ihnen herumnagen - und erst are host to insect larvae who are voraciously nibbling them Schluss machen würden, wenn nichts mehr zum Fressen da away - and would not cease until there were nothing at all ist. Doch die Pflanzen haben Helfer: Winzige Parasitoide, die left to eat. On the other hand, though, the plants have allies: ihrerseits wiederum den Larven zu Leibe rücken. Würden tiny parasitoids who turn the tables on the larvae, eating beispielsweise die Schmetterlingslarven des Maiszünzlers them up in turn. If, for example, the butterfly larvae of the nicht gestoppt, würden sie den Maisstängel so instabil European corn borer were not stopped, they would eat away fressen, dass der Mais abknickt und nicht mehr geerntet the stalk of the maize plant to such an extent that it would werden könnte. Doch die kleine Wespe Trichogramma sucht collapse, making it impossible to harvest the maize cobs. nach den Eiern des Maiszünzlers und legt in diese dann ihre However, the small Trichogramma wasp searches out the eigenen Eier hinein, wodurch der Schädling stirbt. Diese Art eggs of the corn borer in which it then lays its own eggs, der biologischen Schädlingsbekämpfung und die Mecha- killing some of them and keeping the number of pests nismen der Natur in diesem Bereich beschäftigen auch under control. This kind of biological pest control and the Professor Thomas S. Hoffmeister und seine Arbeitsgruppe mechanisms of nature in this area also occupy Professor Populationsökologie und Evolutionsökologie der Univer- Thomas S. Hoffmeister and his work group ‚Population sität Bremen. Die Biologen sind mit ihren Grundlagenfor- Ecology and Evolution Ecology‘ at Bremen University. schungen ein wichtiger Bestandteil des bis 2009 laufenden The fundamental research conducted by this group is an Europäischen Programmes „Behavioural Ecology of Insect Parasitoids“ (BEPAR) der European Science Foundation ESF. important component of the European Programme entitled „Behavioural Ecology of Insect Parasitoids“ (BEPAR), which is funded by the European Science Foundation ESF and scheduled to run until 2009. Bei der Arbeit: Ageniaspis fuscicollis, ein Parasitoid von Gespinstmotten, legt seine Eier in die Gelege seines Wirtes ab. Busy at work: Ageniaspis fuscicollis, a parasitoid of small apple ermine moths laying its eggs in the host‘s clutch. - 10 - In der biologischen Schädlingsbekämpfung extrem effektiv: Ein Weibchen von Venturia canescens sticht mit ihrem Legebohrer eine Mehlmottenlarve an. An extremely effective kind of biological pest control: a female of Venturia canescens stabs a flour moth with her ovipositor. D T Das Augenmerk von Thomas Hoffmeister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt vor allem den Systemen der Taufliegen und Mehlmotten samt ihrer Parasitoide. „Taufliegen - lateinisch Drosophila - kennt jeder von zu Hause. Wenn man im Sommer Obst auf dem Tisch hat und dieses ‚gammlige‘ Stellen aufweist, ist schnell ein Schwarm davon da“, sagt Hoffmeister. Weil die Taufliegen Hefen übertragen, können sie den Verfall des Obstes beschleunigen. Und Mehlmotten fanden sich früher oft in Speisekammern - wenn man sie einmal dort drin hatte, wurde man sie kaum wieder los. Taufliegen und Mehlmotten sind heute noch ein großes Problem in Fruchthandel, Weinkeltereien und Getreidelagern. Die Bremer Wissenschaftler untersuchen die Mechanismen dieser Systeme von Insekt und Parasitoid auch, weil sich die Vorgänge im Labormaßstab sehr gut nachvollziehen lassen. Die Schlupfwespe Leptopilina heterotoma ist der große Feind der Drosophiliden. Die nur zwei bis drei Millimeter großen Wespen suchen auf Obst nach den Larven der Taufliegen - in der Natur beispielweise bei den Verwundungsstellen heruntergefallener Äpfel. Schnell wie eine Nähmaschine stechen sie mit ihrem Legebohrer in dieser Stelle herum. Landen sie einen Treffer, legen sie ihre Eier in den Drosophila-Larven ab. „In der biologischen Schädlingsbekämpfung sind solche Parasitoide extrem effektiv“, so Hoffmeister, „denn sie können die Pflanzenfresser so stark zurückdrängen, dass sich die Schädigungen im vertretbaren Rahmen halten.“ Die biologische Schädlingsbekämpfung hat in bestimmten Bereichen - etwa beim ökologischen Anbau und Unterglasanbau von Nahrungsmitteln - eine wichtige Bedeutung erlangt. Zudem hat der Einsatz chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel auch dazu geführt, dass viele Schadinsekten Resistenzen bilden - ähnlich wie Bakterien gegen Antibiotika beim Menschen. Um in angewandten Bereichen der biologischen Schädlingsbekämpfung in kurzer Zeit nutzbare Fortschritte zu erzielen, hat die ESF das BEPARProgramm ins Leben gerufen. Hoffmeister und seine Arbeitsgruppe arbeiten darin mit zahlreichen europäischen Labors eng zusammen - durch Kooperationen sowie regelmäßige Workshops und Summer Schools. Die Bremer Gruppe befasst sich intensiv mit der Verhaltensökologie der Parasitoiden. „Wir schauen uns die verschiedenen Verhaltensstrategien an und versuchen herauszufinden, bei welcher Strategie die Parasitoiden die maximale Nachkommenschaft erreichen,“ so der Hochschullehrer. Die Schlupfwespe Leptopilina heterotoma hat rund 200 Eier zur Verfügung - je mehr davon in den Drosophila-Larven landen, desto erfolgreicher ist die biologische Schädlingsbekämpfung. The attention of Thomas Hoffmeister and his team centres above all on the systems of fruit flies and flour moths together with their parasitoids. „Everyone knows fruit flies - Latin Drosophila - from the kitchen at home. These swarms of tiny flies are sure to arrive in summer when the fruit on the table shows signs being ‚overripe‘“, says Hoffmeister. The fruit flies deposit yeasts on the fruit and this speeds up the rotting process. And in earlier times you could often find flour moths in kitchen larders - once they had arrived it was a devil of a job to get rid of them. Today, fruit flies and flour moths represent a real problem to fruit merchants, wine bottling plants and grain silos. The Bremen scientists are also researching the mechanisms of these systems of insects and parasitoids because they can be particularly well reproduced in the laboratory. The parasitoid wasp, Leptopilina heterotoma, is the greatest enemy of the drosophilidae. These tiny two to three millimetre-long wasps scour the fruit in search of fruit-fly larvae - in nature, for instance, at the bruised spots on fallen apples. With the speed of a sewing machine they stab around in these soft spots with their ovipositor. Once they hit the spot, they deposit their eggs in the Drosophila larvae. „In biological pest control such parasitoids are extremely effective“, says Hoffmeister, „as they can keep the numbers of herbivores down, ensuring that the damage they can cause is not too great.“ In certain areas -organic farming and greenhouse crops, for instance - biological pest control has assumed significant dimensions. On the other hand, the use of chemicals in pest control has led to many insect pests becoming resistant - much in the same way as bacteria build up resistance to the antibiotics taken by humans. The ESF started the BEPAR programme to accelerate research and speed up the application of biological pest control. Hoffmeister and his team are working closely together on this with a number of other European laboratories - by means of joint cooperation as well as regular workshops and summer schools. The Bremen research group is focusing on the behavioural ecology of the parasitoids. „We examine the different behavioural strategies in an attempt to find out which strategy leads to maximising the reproduction of the parasitoids,“ the professor explains. Each female Leptopilina heterotoma is capable of laying about 200 eggs - the more eggs that land in the Drosophila larvae, the more successful is the biological pest control. The task of this fundamental research is to examine how the parasitoids „function“. What is the mechanism by means of which these insects store knowledge, add new information to what is already known and then - 11 - Mit Parasitoiden im Kampf gegen Pflanzenschädlinge Using Parasitoids in the Battle Against Crop Pests Kontakt: Prof. Dr. Thomas S. Hoffmeister Arbeitsgruppe Populations- und Evolutionsökologie Universität Bremen, Fachbereich Biologie Leobener Str., D-28359 Bremen Tel. (+ 49) 0421/218-4290, Fax: (+ 49) 0421/218-4504 E-Mail: hoffmeister@uni-bremen.de http://www.popecol.uni-bremen.de In der Grundlagenforschung geht es darum, wie die Parasitoide „funktionieren“. Wie ist der Mechanismus dieser Tiere, Informationen aufzunehmen, neue Informationen zu bestehendem Wissen hinzuzufügen und dann Entscheidungen zu treffen? Hoffmeister: „Eine der Fragen, denen wir nachgehen, ist beispielsweise: Hat die Begegnung mit dem Wirt einen Einfluss auf die Suchmotivation oder nicht? Verlässt also eine Schlupfwespe eher das faulige Obst und zieht zum nächsten weiter, wenn sie keine Taufliegen-Larven findet - und bleibt sie länger, wenn sie erfolgreich ist?“ Die Wespen stechen im Fruchtmatsch herum in der Hoffnung, auf eine Larve zu treffen. Weil die Larven aber nicht gleichmäßig im Obst verteilt sind, sondern einige Früchte stark, andere gar nicht befallen sind, ist dies auch ein Glücksspiel. Trifft die Wespe eine Larve, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, in der näheren Umgebung weitere zu finden. Andere Voraussetzungen liegen bei der Mehlmotte und verwandten Kleinschmetterlingen vor. Deren Larven sind in der Natur oft in der Johannisbrotfrucht zu finden - im Gegensatz zu Taufliegen-Larven recht gleichmäßig verteilt. „Hier spielt für die Wespe Venturia canescens als Parasitoid der Mottenlarven der Zeitabstand zwischen den einzelnen Funden ‚lohnenswerter‘ Früchte eine große Rolle bei der Entscheidung, noch auf der Pflanze zu verbleiben oder weiterzuziehen“, so Hoffmeister. Neueste Untersuchungen haben zudem ergeben, dass auch der Energieverbrauch der Wespe von Bedeutung ist. Dies haben die Wissenschaftler aus der Hansestadt durch Versuchsreihen herausgefunden, in denen der Energieaufwand der Wespen in verschiedenen Szenarien gemessen wurde. „Im Freiland berücksichtigen Weibchen von Venturia canescens den ‚Kraftaufwand‘ bei der Entscheidung über die Dauer der Suche“, so Hoffmeister. make decisions? Hoffmeister: „For instance, one of the questions we care seeking answers to is whether contact with the host exerts an influence on the search behaviour or not? If it fails to find any fruit-fly larvae, is the wasp more likely to leave one rotting fruit and move on to the next- and does it stay longer when it is successful?“ The wasps stab around in the soft fruit in the hope of coming across larvae. As the larvae are not evenly distributed inside the fruit and some fruits are infested more than others, this boils down to a game of chance. If the wasp does find a larva, though, the probability is great that others are to be found in the immediate vicinity. The flour moth and the other moths related to it are subject to other conditions. In nature, their larvae are often found in the carob pod - as opposed to the fruit-fly larvae, these are quite evenly distributed. „For the flour moth parasitoid, the wasp Venturia canescens, it is the period of time that elapses between each ‚worthwhile‘ find which plays a crucial role in deciding whether to stay on the plant, or move on to another“, says Hoffmeister. Moreover, recent investigations have revealed that the wasps‘ energy expenditure also plays a role. The research team from the Hanseatic City arrived at this result via a series of experiments in which the energy expenditure of the wasps was measured in different scenarios. „In the open, the female Venturia canescens takes the ‚expended effort‘ into account when deciding on the length of the search“, says Hoffmeister. „This is different in the grain silo: there we only find ichneumonid wasp females of the type that reproduce by means of parthenogenesis, i.e. without conception. On top of this, they fly less and are more likely to crawl around. In this case, the expenditure of energy during the search plays a less significant role.“ Another interesting question is how the parasitoids react to competition. What effect does it have on their behaviour in the open, when on hatching they find themselves surrounded by competitors? „The results of our research ought to help researchers in the field to find the right balance. Welches Suchmuster haben Parasitoide, die nach Drosophila-Larven suchen? Mit einem speziellen Programm erfasst Professor Thomas Hoffmeister die Ortsveränderungen der Wespe. Anschließend lässt sich die Zeit auswerten, die ein Parasitoidenweibchen an bestimmten Stellen verbringt, der Suchpfad, den es eingeschlagen hat, und die Verhaltensweisen, die man dabei beobachten konnte. What search pattern is used by parasitoids when searching for Drosophila larvae? Professor Thomas Hoffmeister monitors the wasps‘ changes of location by means of a special programme. He is then able to calculate the time female parasitoids spend at any one location, the search trail they follow and the behavioural patterns which are revealed. - 12 - Forschung aus der Petrischale: Eine Larve von Drosophila melanogaster wird mit einem feinen Haarpinsel auf einen Versuchs-Patch gehoben. Sie dient anschließend als Wirt für ein suchendes Weibchen des Parasitoiden Leptopilina heterotoma. Research in the Petri dish: a larva belonging to Drosophila melanogaster is lifted onto a test patch with a fine hairbrush. It is to serve as host for a searching female of the parasitoid Leptopilina heterotoma. „Anders ist es im Getreidespeicher: Dort kommen nur solche Weibchen der Schlupfwespe vor, die sich selbst - ohne Empfängnis - durch Jungfernzeugung fortpflanzen. Zudem fliegen sie weniger, sondern krabbeln eher. In diesem Fall spielt der Energieaufwand bei der Suche keine Rolle.“ Eventually, as few released ichneumonid wasps as possible ought to kill as many pests as possible.“ The greater our knowledge of the characteristics and functioning of these systems becomes, the more successfully will we be able to steer the processes. Eine weitere interessante Frage ist die, wie die Parasitoide auf Konkurrenz reagieren. Was bedeutet die Erfahrung, beim Schlüpfen zahlreiche Konkurrenten zu haben, für das Verhalten im Freiland? „Hier sollen unsere Forschungsergebnisse den Anwendern helfen, die richtige Balance zu finden. Am Ende sollen ja möglichst wenige freigelassene Schlupfwespen möglichst viele Schädlinge umbringen.“ Je größer das Verständnis über Wesen und Wirken der Systeme sind, desto optimaler lassen sich die Prozesse gestalten. The insects and parasitoids are bred in the work group‘s laboratory. When „deployed“ they must all be of defined age and have grown under controlled conditions. Cameras are used in experiments to follow the wasps‘ search trails and record other important information. Divided into different categories, their behaviour is evaluated by computer. „In this way we are able to find out what influence is exerted by the factors we manipulatively subject the animals to,“ explains Thomas Hoffmeister. Research findings are passed on to junior scientists via the workshops and summer schools, as well as by means of Diplom and doctoral theses. „In the meantime a compact international community of like-minded researchers has emerged“, says Hoffmeister referring to the career opportunities. „and in such a network good people soon make the grade.“ In den Labors der Arbeitsgruppe werden die Insekten und Parasitoide gezüchtet. Alle müssen bei ihrem „Einsatz“ ein definiertes Alter haben und unter bestimmten Bedingungen aufgewachsen sein. Bei den Versuchen werden mit Kameras die Suchpfade der Wespen verfolgt und sämtliche wichtigen Informationen aufgezeichnet. In verschiedene Kategorien unterteilt, wird ihr Verhalten im Computer ausgewertet. „So finden wir heraus, welchen Einfluss die Faktoren haben, die wir den Tieren manipulativ anbieten“, erläutert Thomas Hoffmeister. Mit den Workshops und Summer Schools sowie Diplom- und Doktorarbeiten wird das Wissen an Nachwuchswissenschaftler weitergegeben. „Weltweit hat sich auf diesem Gebiet eine schöne, überschaubare Gemeinschaft von Forschern herausgebildet“, sagt Hoffmeister zu den Berufsaussichten. „Gute Leute kommen hier schnell weiter.“ - 13 - Hopp oder topp, Geldgewinn oder leere Taschen: Sportwetten bieten Nervenkitzel und Spannung. Doch sie bergen auch ein erhebliches Suchtpotenzial, wie Uni-Wissenschaftler mittlerweile bewiesen haben. Bingo! Loads of money or empty pockets: sports betting provides excitement and thrills. But it also conceals a very real potential for addiction, as research results have recently shown. EUPHORIE UND NERVENKITZEL ALS GRUNDLAGEN SÜCHTIGEN VERHALTENS Die Arbeitseinheit „Angewandte Glücksspielforschung“ der Universität Bremen untersucht das Gefährdungspotenzial von Sportwetten 17. Mai 2006: Für den Londoner Fußballclub FC Arsenal Professor Gerhard Meyer vom Institut für Psychologie sieht es schlecht aus. Wenige Stunden vor dem Anpfiff und Kognitionsforschung der Universität Bremen hat in des Champions-League-Finales gegen den FC Barcelona den vergangenen Jahren verschiedene Untersuchungen stehen die Wetten gegen die Briten. 44,10 Euro kann man zu Sportwetten und anderen Formen des Glücksspiels gewinnen, wenn man einen Zehner auf Arsenal setzt; durchgeführt. Sie finden national und international nur 18,50 Euro gibt es bei einem Sieg von Barcelona. Beachtung. Das alles bei betandwin, einem Internet-Anbieter für Sportwetten. Wie bei vielen anderen Wettanbietern auch, kann man hier sogar während des noch laufenden Spiels setzen - Spannung, Adrenalin und Nervenkitzel sind vorprogrammiert. Hopp oder topp, Geldgewinn oder leere Taschen: das sind die Mechanismen dieser Wetten. Doch sie bergen ein erhebliches Suchtpotenzial, wie mittlerweile wissenschaftlich erwiesen ist. Die Arbeitseinheit „Angewandte Glücksspielforschung“ um D Das Fußballtoto in Form von Ergebnis- und Auswahlwette oder die seit Jahrzehnten gespielten Pferdewetten waren harmlose Anfänge der Sportwetten. Zu einem großen Thema wurden Wetten auf Sportereignisse erst im Jahr 1999 mit der Einführung der Festquotenwette durch den staatlichen Anbieter Oddset. „Das Neue: Der Spieler weiß bereits bei Abgabe der Wette genau, was er gewinnen kann“, so Gerhard Meyer. Weitere Wettanbieter mit einer Lizenz aus DDR-Zeiten wie betandwin oder SportwettenGera sprangen auf den Zug auf, dazu private Anbieter, deren Firmensitz im Ausland zu finden ist. Das Internet tat sein übriges. Mittlerweile boomt das Geschäft. Dass mit Sportwetten auch Kriminalität und Sucht verbunden sein können, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst durch den „HoyzerSkandal“ offenbar. Der Fußball-Schiedsrichter Robert Hoyzer hatte Spiele - 14 - Euphorie und Nervenkitzel als Grundlagen süchtigen Verhaltens Excitement and Thrills Form the Basis for Addictive Behaviour EXCITEMENT AND THRILLS FORM THE BASIS FOR ADDICTIVE BEHAVIOUR The work group „Applied Gambling Research“ at the University of Bremen is investigating the risk potential of sports betting 17th Mai 2006: things do not look good for the London football club FC Arsenal. A few hours before the kick-off for the Champions League finals against FC Barcelona the bets are against the Brits. You stand to win 44.10 euros P Pool betting or traditional wagering on horse races were the harmless predecessors of sports betting with fixed odds. It first captured the public imagination in 1999 with the introduction of the fixed-odds bet by the state-owned Oddset. „What‘s new? The punter knows from the outset how much he stands to win“, explains Gerhard Meyer. Other betting firms with licences from GDR times like betandwin or SportwettenGera jumped on the bandwagon, joined by private betting firms who operate from outside Germany. The internet took care of the rest. In the meantime business is booming. by placing a ‚tenner‘ on Arsenal; just 18.50 euros if you tip Barcelona. These were the odds quoted by betandwin, an internet ‚bookie‘ who takes bets on sports. As other betting agencies, betandwin even enables punters to place their bets while the event is actually taking place - excitement, That crime and addiction may be connected with sports betting was first made known to the wider public as result of the „Hoyzer scandal“. The football referee Robert Hoyzer was accused of manipulating matches which his ‚employers‘ were betting on. „Ante S., the Croatian mastermind behind the betting scandal, is said to be a pathological gambler „, says Gerhard Meyer. At the beginning, with Oddset you had to get at least three fixtures right in combination. Meanwhile, betting firms like betandwin lure the punters with live bets during the actual sports events. „That makes it even more dangerous!“, accuses Meyer. As many as 5,000 enticing sports bets are waiting for punters in more than 40 different types of sport. Which team will win the toss? Who will be awarded the first corner kick? Who adrenalin and thrills are programmed. Bingo! Loads of money - or empty pockets: these are the mechanisms of gambling. But they also conceal a very real potential for addiction, as has long been scientifically proven. The work group „Applied Gambling Research“, led by Professor Gerhard Meyer of the Institute of Psychology and Cognition Research at Bremen University, has carried out a number of investigations into sports betting and other forms of gambling over the past years. They attract national and international attention. Heute schon gewettet? Ob Einzel, Kombinations- oder Systemwetten: Am Ende gewinnt immer das Wettbüro - sonst würde es gar nicht existieren. Already had a flutter today? No matter whether individual, combination or system betting: the betting office always wins in the end - otherwise they couldn‘t survive. - 15 - Euphorie und Nervenkitzel als Grundlagen süchtigen Verhaltens Excitement and Thrills Form the Basis for Addictive Behaviour verschoben, auf deren Ausgang seine Auftraggeber wetteten. „Ante S., der kroatische Drahtzieher des Wettskandals, gilt als süchtiger, pathologischer Zocker“, so Gerhard Meyer. Bei Oddset mussten anfangs mindestens drei Paarungen in Kombination richtig getippt werden. Mittlerweile locken Anbieter wie betandwin sogar mit Live-Wetten während der laufenden Sportveranstaltung. „Da wird es noch gefährlicher!“, urteilt Meyer. Bis zu 5000 reizvolle Sportwetten in mehr als 40 Sportarten warten: Welche Mannschaft hat Anstoß? Wer bekommt den ersten Eckball? Wer schießt das nächste Tor? Es hat sich ein Wettbewerb zwischen den Anbietern entwickelt, verbunden mit steigenden Spielanreizen, der im Widerspruch zum Gedanken der Suchtprävention steht. „Bei der Beurteilung des Suchtpotenzials eines Glücksspiels ist das emotionale Spiel mit der Hoffnung auf Gewinn und der Angst vor Verlust entscheidend“, so der Bremer Forscher. Über den Geldeinsatz erfolge die Stimulation: Ein Gewinn verursache positive Gefühle wie Euphorie, Glück, steigendes Selbstwertgefühl oder Machterleben. Bei einem Verlust seien Missstimmung und Enttäuschung die Folge. „Weil nun aber nach einem Verlust durch einen sehr schnellen neuen Einsatz, also eine rasche Spielfolge, sofort wieder positive Gefühle folgen können, findet bei vielen Sportwetten ein Verlusterleben gar nicht mehr statt“, so Meyer. Hier setzt für ihn die Suchtgefährdung ein: „Entscheidend ist die hohe Ereignisfrequenz, gepaart mit vermeintlichem ‚Experten-Wissen‘ sportbegeisterter Menschen und festen Gewinnquoten.“ Wie auf Droge spielen die süchtigen Wetter, um die gewünschte Stimmungslage zu erzielen. „Hier kann dann die Entwicklung einer Sucht in Reinform beobachtet werden - und das, ohne dass jemand Substanzen einnimmt.“ Schon früh sind Meyer und seine Mitarbeiter der Frage nachgegangen, ob es überhaupt ein Suchtverhalten bei Sportwetten gibt. In dem Projekt „Das Gefährdungspotenzial von Lotterien und Sportwetten“ ermittelten sie, wie sich die Therapienachfrage von Sportwettern entwickelt. Auftraggeber waren das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und die Westdeutsche Lotterie GmbH. „Wir haben Kontakt zu insgesamt 44 Suchtberatungsstellen und stationären Einrichtungen hergestellt, über die wir 489 Spieler befragen konnten. Es zeigte sich, dass in diesen Einrichtungen 13 % der Spieler Probleme im Zusammenhang mit Sportwetten bestätigten“, so Tobias Hayer aus der Arbeitseinheit. „Auffallend: Zum einen mangelt es an Spielerschutzmaßnahmen. Zum anderen hat relativ schnell nach Einführung der Sportwetten eine Behandlungsnachfrage eingesetzt. Für uns ist das ein klarer Hinweis auf ein erhöhtes Gefährdungspotenzial.“ Den Erkenntnissen der Bremer Forscher zufolge ist dieses nicht zu unterschätzen: „Das ist ein Milliardenmarkt. Abgesehen von Lotto wird für keine andere Glücksspielform so aggressiv geworben“, sagt Gerhard Mey- Kontakt: Prof. Dr. Gerhard Meyer Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Universität Bremen, Fachbereich 11 Postfach 330440, D-28334 Bremen Tel. (+49) 0421/218-2193 Fax (+49) 0421/218-4600 E-Mail gerhard.meyer@uni-bremen.de www.ipk.uni-bremen.de/glueck.html will shoot the next goal? The growing competition between betting firms is accompanied by enhanced gambling incentives, which is clearly completely at odds with any notion of preventing addiction. „When assessing the addiction potential of a form of gambling it is the emotional interplay between the hope of winning and the fear of losing which is crucial“, explains the Bremen research scientist. The stimulation comes from the gambling stakes: a win triggers positive feelings like euphoria, happiness, enhanced self-esteem or a feeling of power, while losing results in ill-humour and disappointment. „Due to the fact that quickly following a loss with a new bet - in other words a rapid event frequency - can immediately result in positive feelings, some forms of sports betting offer complete separation from the losing experience“, Meyer explains. This is where he perceives the risk of developing an addiction: „This is due to the rapid incidence of happenings, coupled with the fancied ‚expert knowledge‘ of ardent sports fans and fixed odds.“ As if they were on drugs, addicted gamblers continue placing their bets in pursuit of the desired high. „This is when the development of an addiction can be seen in its pure form - and all this happens without any substances being taken.“ At an early stage of their research Meyer and his team first had to investigate whether there was any fundamental evidence to support the notion of addictive behaviour in the case of sports betting. In the course of a project entitled „The Risk Potential of Lotteries and Sports Betting“ they monitored how the demand for therapy on the part of sport bettors was developing. The research was commissioned by the Ministry for Labour, Health and Social Affairs in the State of North Rhine-Westphalia together with Westdeutsche Lotterie GmbH. „We contacted a total of 44 out- and inpatient treatment centres, which enabled access to 489 problem gamblers. We found out that 13% of those seeking advice had problems connected with sports betting“, says Tobias Hayer, a member of the work group. „Notably, on the one hand there is a lack of measures to protect gamblers. On the other hand, the need for treatment and advice ensued relatively quickly following the introduction of sports betting. For us, this means a clear indication of an increased risk potential.“ According to the Bremen research team, the risk is not to be underestimated: „This is a billion-dollar market. Apart from Lotto, no other form of gambling targets the public so aggressively“, says Gerhard Meyer. The reaction of the government to this risk has so far been subdued - no wonder: „Where the State has to control itself is the area of least control. It would therefore be desirable to have an independent authority to regulate the market for gambling.“ Some movement has now been prompted following a ruling by the German Federal Constitutional Court on the state monopoly of sports betting (see box). Hohe Suchtgefahr: Nicht nur mit Sportwetten können sich Spielernaturen ins Unglück stürzen. Auch bei Online-Spielangeboten wie z.B. Internet-Roulette kann man viel Geld verlieren. Acute danger of addiction: not only sports betting causes the downfall of those inclined to having a flutter. You can also lose a bundle on online gambling sites like internet roulette, for instance. Research findings such as these have meanwhile earned the work group considerable acclaim. Since 2002, external funding in an amount of over a million euros has been secured for the group‘s projects. In one of these projects commissioned by Casinos Austria International, the Bremen researchers investigated the effectiveness of putting bans on gamblers for their own protection. In a project undertaken for the German Research Society they analysed the psychobiological foundations of pathological gambling behaviour. Meyer: „This was the very first study to be carried out anywhere in the world to compile data whilst gambling was actually taking place in a casino. We measured the heart rate, for instance, and took - 16 - Wetten, dass .... auch Sie schon einmal daran gedacht haben, per Sportwetten das schnelle Geld zu machen? Anbieter investieren hohe Summen, um mit massiver Werbung neue Kunden zu gewinnen. I‘ll bet that .... you, too, have entertained the idea of making a fast buck with sports betting? The bookmakers invest huge amounts on advertising to attract new customers. er. Die Reaktion des Staates auf diese Gefährdung war bislang verhalten - kein Wunder: „Da, wo der Staat sich selbst kontrolliert, funktionieren die Kontrollen nicht wirklich. Wünschenswert ist daher eine unabhängige Instanz zur Regulierung des Glücksspielmarktes“. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum staatlichen Monopol für Sportwetten ist jetzt Bewegung in die Szene gekommen (siehe Kasten). Mit Untersuchungen wie dieser hat sich die Arbeitseinheit mittlerweile einen Namen gemacht. Seit 2002 wurden Drittmittel-Projekte in Höhe von mehr als einer Million Euro durchgeführt. Für Casinos Austria untersuchen die Bremer Wissenschaftler beispielsweise die Effektivität von Spielsperren, die dem Selbstschutz von süchtigen Zockern dienen. In einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermittelten sie psychobiologische Grundlagen des pathologischen Spielverhaltens. Meyer: „Das war weltweit die erste Studie, in der während des Glücksspiels im Casino Daten erhoben wurden. Wir haben beispielsweise die Herzfrequenz gemessen und Blutproben genommen, um die Konzentration von Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Endorphin und Dopamin zu ermitteln, das Rauscherleben also physiologisch und biochemisch nachvollziehbar gemacht.“ Doch auch die Konzeption und Umsetzung von Spielerschutz in Kooperation mit Glücksspielanbietern, Studien zur Beschaffungskriminalität von süchtigen Spielern oder forensische Tätigkeiten vor Gericht - etwa bei der Begutachtung der Schuldfähigkeit - zählen zu den Tätigkeiten der Bremer Forscher. blood samples so we could analyse the concentrations of adrenalin, noradrenalin, cortisol, endorphin and dopamine which provide physiological and biochemical indications of the degree of stimulation.“ Moreover, the conception and implementation of protection for gamblers in cooperation with gambling operators, studies on crime in connection with addicted gamblers, or forensic expert-opinions for law courts - with regard to criminal responsibility, for instance - are among other tasks carried out by the Bremen research team. Noch hat der Staat ein Monopol für Sportwetten - aber dagegen wird geklagt. Auch private Wettanbieter wollen legal einen Teil des Kuchens abhaben. Am 28. März 2006 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das staatliche Monopol für Sportwetten in seiner gegenwärtigen Form nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Gesetzgeber muss bis spätestens Ende 2007 den Bereich der Sportwetten neu regeln und damit „unverzüglich“ beginnen. Das staatliche Monopol müsse konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet sein. In seiner Urteilsbegründung berief sich das Gericht mehrfach auch auf die Forschungsergebnisse von Gerhard Meyer und seinen Mitarbeitern. Meyer selbst erwartet für die Zukunft weitere rechtliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema - „denn das ist ein äußerst lukrativer Markt, auf dem es viel zu verdienen gibt.“ - 17 - Until now sports betting has remained a state monopoly - but this is being challenged in court. Private betting firms also want a piece of the cake. On 28th March 2006 the German Federal Constitutional Court ruled that there were no constitutional grounds for the state monopoly on sports betting in its current form. The government has been given until the end of 2007 to amend regulation the area of sports betting and is to start with this „at once“. Any future state monopoly must be committed to the objective of combating the risk of addiction. In its ruling the court made frequent reference to the research findings of Gerhard Meyer and his colleagues. Meyer himself expects that there will be many more legal disputes involving this topic in future - „for this is an extremely lucrative market where huge sums of money can be earned.“ Robert Schumann - ein Musikgenie wird erforscht Robert Schumann - research on a music genius Sehr lebhaft: Das Konzertstück für vier Waldhörner von Robert Schumann. Sehr lebhaft war auch das Leben des Musikgenies, das jetzt erforscht wird. Full of life: the concert piece for four French horns by Robert Schumann. The life of the musical genius was also full. ROBERT SCHUMANN - EIN MUSIKGENIE WIRD ERFORSCHT Der Musikwissenschaftler Ulrich Tadday beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Komponisten und hat ein neues Handbuch über ihn herausgegeben Er war der letzte große Komponist des 19. Jahrhunderts mit einem Universalanspruch: Robert Schumann schrieb Klaviersonaten, Symphonien, Opern, Lieder, Chorwerke und Kammermusik. Er war aber nicht nur Musiker und Komponist, sondern auch Chorleiter und Dirigent; sein eher kurzes Leben war privat wie beruflich turbulent. Es endete vor 150 Jahren in einer Heilanstalt, in die sich Schumann wegen manisch-depressiver Stimmungen begeben hatte. Sein Leben, sein reichhaltiges kompositorisches Werk und seine Kompositionsweise beschäftigen seit Jahrzehnten eine Reihe von Musikwissenschaftlern im In- und Ausland - unter anderem Professor Ulrich Tadday von der Universität Bremen. Der Hochschullehrer aus der Hansestadt gilt als einer der besten Kenner des Genies. Er ist Herausgeber eines aktuellen Schumann-Handbuches, das im Juli 2006 erschienen ist und einen ganz neuen Blick auf Robert Schumann eröffnet. D Der 1810 in Zwickau geborene Schumann gibt den Forschern noch immer viele Rätsel auf. Er fühlte sich schon als Schüler zu etwas Besonderem berufen. In einer bildungsbürgerlichen Familie par excellence groß geworden und zum Jurastudium verdammt, entschloss er sich Anfang der 1830er Jahre Musiker zu werden. Zunächst begnadeter Pianist, wurde er kurze Zeit später wegen einer Fingerlähmung zum Komponisten. Die Lei- denschaft für die Musik trieb ihn zum Komponieren und zu Tätigkeiten wie der eines Städtischen Musikdirektors in Düsseldorf; er wirkte aber auch als Dichter, Schriftsteller und Journalist. Privat füllte er Rollen als Geliebter, Ehemann und Vater aus. Später wurde Schumann krank, plagte sich mit psychischen Problemen und starb schließlich 1856 in einer Heilanstalt. Die Zeugnisse seines Lebens und seiner Tätigkeiten wurden und werden - 18 - Robert Schumann - ein Musikgenie wird erforscht Robert Schumann - research on a music genius ROBERT SCHUMANN RESEARCH ON A MUSIC GENIUS The musicologist Ulrich Tadday has been conducting research on Robert Schumann for 15 years and recently published a new compendium on the composer He was the last great composer of the 19th century to have a universal approach: Robert Schumann scored piano sonatas, symphonies, operas, songs, choral works and chamber music. He was not only a musician and composer, but also choirmaster and conductor; his rather short life was turbulent, both in the private as well as the professional sphere. It ended 150 years ago in the sanatorium where Schumann had sought treatment for his manicdepressive moods. His life, his wealth of musical works and his composition style have occupied musicologists in Germany and abroad for decades - one of whom is Professor Ulrich Tadday of the University of Bremen. The professor from the Hanseatic City is known as one of the leading experts on the genius Schumann. He is the publisher of a new compendium on Schumann that appeared in July 2006. It opens up a completely new view of the famous composer. S Schumann, who was born in Zwickau in 1810, continues to pose a number of puzzles for researchers. While still at school, he realised he was meant to become someone special. Born into a highly cultivated and educationally-minded middle-class family, at an early age it was determined that he should become a lawyer. In the early 1830s, though, he decided to follow a musical career. Initially he was famed as an exceptionally gifted pianist. Then a paralysed finger stopped him playing and he took up composing. His passion for music drove him to compose. He also assumed associated duties, like musical director for the town of Düsseldorf. On top of this he was an accomplished poet, writer and journalist. He filled his private sphere as lover, husband and father. Later Schumann became ill and was plagued by psychic problems. He finally died in a sanatorium in 1856. Researchers never tire of investigating the witnesses to his life and work. Even today, many aspects of the artist remain rather obscure. It is the task of musicologists like Ulrich Tadday to throw light on the subject. „Our research often results in constructions of history - but we do not invent it. Rather, we discover new facts, piece them together and place them within a plausible context“, says Tadday. The interpretative understanding of compositions is one of the most important achievements of musicology, which often has to deal with mountains of unresearched material and extremely valuable original sources. Diaries, sketchbooks, notes, sheets of music, correspondence and much, much more must be perused, arranged in proper order and evaluated. Ulrich Tadday names some examples: „Many composers only made rough notes of their works. Frequently there are two or three undated versions of a piece - how are we to know which is the right one? It often happened that draft Musiker, Komponist, Chorleiter, Dirigent: Robert Schumann (1810 - 1856) Musician, composer, choir master, conductor: Robert Schumann (1810 - 1856). pieces of music were handed over to so-called copyists for transcription. Sometimes this also led to considerable deviations. Or the notes were printed at a later date, but with mistakes. Sometimes this resulted in a second print, which remained undiscovered for some time - but whose sudden reappearance permits a completely different interpretation of the work.“ Beethoven, for instance, wrote down his ideas in a notebook and then, weeks later, jotted down other associated ideas - but in a different place. Tadday: „Beethoven himself knew that these ideas were connected. Musicologists are often only able to reach the same conclusion as result of long and intensive research.“ The Bremen professor has spent 15 years researching Schumann because he is „moved by Schumann‘s music more than by any other classical music.“ Over the past years he has contributed many new aspects to the evaluation of the composer and his works. For instance, he challenges the customarily held opinion that the later works of Robert Schumann after 1848 reveal traces of romanticism: „That is incorrect. In this phase of his work he was not reactionary romanticist, but intensely modern, poetical and realistic at the same time.“ The longing for an ideal world and the sadness of realisation that mankind is incapable of living in such a world contributed a melancholic note to Schumann‘s works of that time. „But Schumann confronts this melancholy with the imagination of the poet and composer, who with musical artistry attempts to heal the melancholy.“ At the same time Schumann was well aware that music is only capable of expressing the longing for a better world: „He ventures, though, to introduce other world designs in his music. Here he touches the problem issues of the modern, without being able to solve them. The music of his - 19 - Robert Schumann - ein Musikgenie wird erforscht Robert Schumann - research on a music genius intensiv aufgearbeitet. Noch immer sind zahlreiche Aspekte des Künstlers im Dunkeln verborgen. Es ist die Aufgabe von historischen Musikwissenschaftlern wie Ulrich Tadday, Licht in dieses Dunkel zu bringen. „Wir konstruieren durch unsere Forschungstätigkeit zwar Geschichte - aber wir erfinden sie nicht, sondern suchen immer neue Fakten zusammen und stellen sie in einen plausiblen Zusammenhang“, so Tadday. Das interpretierende Verstehen von Kompositionen ist eine der wichtigsten Leistungen der Musikwissenschaft, die es oft mit Bergen von unbearbeitetem Material und wertvollen Originalquellen zu tun hat. Tagebücher, Skizzenhefte, Handschriften, Notenblätter, Briefwechsel und vieles mehr werden dabei gesichtet, geordnet und bewertet. Ulrich Tadday nennt Beispiele: „Viele Komponisten haben ihre Werke nur handschriftlich skizziert. Oftmals gibt es zwei oder drei undatierte Versionen davon - welche ist ‚die Richtige‘? Nicht selten wurden Entwürfe dann so genannten Kopisten zur Abschrift übergeben. Auch dabei sind manchmal erhebliche Abweichungen vorgekommen. Oder die Noten wurden später gedruckt, aber fehlerhaft. Dann kam es zu einem Zweitdruck, der vielleicht lange unentdeckt blieb - aber mit dem plötzlichen Auftauchen eine ganz andere Interpretation des Werkes zulässt.“ Beethoven beispielsweise habe Ideen in ein Skizzenbuch geschrieben und dann Wochen später an anderer Stelle zu dieser Idee weitere Gedanken hinzugefügt. Tadday: „Beethoven wusste, dass diese beiden Impulse zusammengehören. Musikwissenschaftler finden so etwas heute oft erst nach mühevoller Arbeit heraus.“ Kontakt: Prof. Dr. Ulrich Tadday Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik Universität Bremen Postfach 330 440, D-28334 Bremen Tel. (+ 49) 0421/218-2162 E-Mail: tadday@uni-bremen.de http://www.musik.uni-bremen.de later work goes through setbacks and splits - much in the same way as they occur in society.“ In order to endure these antagonisms the artist resorts to humour: „He switches musically from the frog‘s to the bird‘s-eye perspective. On the one hand, man appears anxious and God-fearing. On the other, he assumes the august standpoint of the absent God.“ The research carried out by historians of music, though, does not lead to philosophical results, but rather to practical ones, in that Schumann‘s works must be newly interpreted. Thus, what were previously thought to be romantic sentimental works must today be played more quickly, sound friendlier in their expression, lighter and more carefree. The Bremen professor occupies an important position in the circle of Schumann research. His Schumann compendium published in July represents a new standard work, presenting numerous up-to-date research findings in its 624 pages. Tadday conceived the compendium, structured and proofread it, wrote parts of it himself and gained the cooperation of the most prominent Schumann researchers of our time. Six years of work went into its production. Ein Sohn der Stadt Zwickau: Robert Schumann wurde 1810 in der sächsischen Stadt geboren. Mehr als 4.000 Original-Handschriften von ihm werden im dortigen Robert-Schumann-Haus verwahrt. Robert Schumann was born in 1810 in the town of Zwickau. More than 4,000 of his original handwritten notes are stored in the Robert-Schumann-Haus there. - 20 - Robert Schumann - ein Musikgenie wird erforscht Robert Schumann - research on a music genius Der Bremer Hochschullehrer hat sich seit 15 Jahren der Schumann-Forschung verschrieben, weil ihn „Schumanns Musik mehr bewegt als jede andere klassische Musik.“ In die Bewertung des Komponisten und seiner Werke hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Aspekte eingebracht. So widerspricht er der landläufigen Meinung, dass das Spätwerk von Robert Schumann ab 1848 „romantisch“ geprägt sei: „Das stimmt nicht. Er ist in diesem Abschnitt seines Schaffens nicht reaktionär romantisch, sondern hochmodern, poetisch und realistisch zugleich.“ Die Sehnsucht nach einer heilen Welt und die Trauer darüber, dass der Mensch in einer solchen Welt nicht zu leben im Stande ist, habe melancholische Züge in die Schumannschen Werke jener Zeit getragen. „Aber Schuman setzt dieser Melancholie die Fantasie des Dichters und Komponisten entgegen, der in seinen musikalischen Kunstwerken die Melancholie zu heilen versucht.“ Gleichzeitig sei sich Schumann bewusst gewesen, dass Musik nur die Sehnsucht nach einer besseren Welt auszudrücken vermag: „Er wagt aber andere Weltentwürfe in seiner Musik. Er bewegt dort die Problematik der Moderne, ohne sie lösen zu können. Die Musik seines Spätwerkes durchziehen Brüche und Risse - wie sie auch in der Gesellschaft vorkommen.“ Um diese Widersprüche auszuhalten, bediene sich der Künstler des Humors: „Er wechselt musikalisch immer wieder von der Frosch- in die Vogelperspektive. In der einen erscheint der Mensch klein, ängstlich und gottesfürchtig. In der anderen nimmt er den erhabenen Standpunkt des abwesenden Gottes ein.“ Die musikhistorischen Forschungen führen aber nicht nur zu philosophischen, sondern auch zu praktischen Ergebnissen, dazu, dass Schumanns Werke neu musiziert werden: So werden die vermeintlich romantisch sentimentalen Stücke heute schneller gespielt, klingen freundlicher im Ausdruck, leichter und heiterer. Im Kreis der Schumann-Forschung Neues Standardwerk: Jahrelange Forschungsarbeit steckt in dem Schumann-Handbuch, das Ulrich Tadday im Juli 2006 herausgegeben hat. nimmt der Bremer Hochschullehrer eine New standard work: years of research went into the Schumann compendium published by Ulrich Tadday in wichtige Rolle ein. Das im Juli von ihm July 2006. herausgegebene Schumann-Handbuch ist ein neues Standardwerk, das auf 624 Seiten zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert. Tadday hat das Handbuch konzipiert, strukturiert und lektoriert, selbst dafür geschrieben und die wichtigsten Schumann-Forscher der Zeit als Autoren gewonnen. Sechs Jahre Arbeit stecken in der Publikation, deren Namenregister allein ein „Schumann-Netzwerk“ mit rund 750 EinThe name index alone, a veritable ‚Schumann network‘, comprises some trägen enthält. Ein neuer biografistischer Ansatz stellt Schumanns Leben nicht im zeitlichen Ablauf dar, sondern in seinen Funktionen: Welche Rolle 750 entries. A new biographistic approach depicts Schumann‘s life in its spielte er als Vater, Ehemann oder Geliebter, welche als Chorleiter, Dirigent functions, rather than chronological sequence: what role did he play as father, husband and lover - and what role as choirmaster, conductor and oder Redakteur? journalist? Das Handbuch ist nicht der einzige Zugang Taddays zu Schumann. The compendium is not Tadday‘s sole gateway to Schumann. CurrentSo arbeitet er gerade an einer Edition der Schulaufsätze von Robert ly, for instance, he is working on an edition of school essays written by Schumann, die ihm samt Lehrer-Kommentaren vorliegen. „Was SchuRobert Schumann. Tadday has not only the essays at his disposal, but mann schon als Primaner verfasst hat, bekommt heute kaum ein Student also the teachers‘ commentaries. „What Schumann wrote as a primamehr hin“, sagt Tadday anerkennend. In einem Projekt der Deutschen ry-school pupil would be a challenge to an adult student today“, says Forschungsgemeinschaft nimmt er die Edition der Schriften Schumanns Tadday with respect. He is also engaged in a critical examination of the kritisch unter die Lupe. Und schließlich ist der Professor auch noch Heedition of Schumann‘s writings within a project funded by the German rausgeber der „Musikkonzepte“ - der ältesten musikwissenschaftlichen Research Foundation. And finally, the professor also edits „Musikkonzepte“ Schriftenreihe in Deutschland. - Germany‘s oldest musicology journal. - 21 - Rezept-Lieferanten für die Raumfahrtindustrie Recipe Providers for the Aerospace Industry REZEPT-LIEFERANTEN FÜR DIE RAUMFAHRTINDUSTRIE RECIPE PROVIDERS FOR THE AEROSPACE INDUSTRY Wissenschaftler des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation erforschen das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten Research scientists at the Center for Applied Space Technology and Microgravity are conducting research on the flow behaviour of fluids under conditions of Sie tragen Namen wie Astra, Eutelsat, Meteosat oder They bear names like Astra, Eutelsat, Meteosat or Envisat. Sie beobachten die Erde, versorgen uns mit Fern- Envisat. They observe our planet, provide us with sehprogrammen, Telefonverbindungen und Wetterinforma- television programmes, telephone communications and tionen, transportieren riesige Datenströme oder spionieren meteorological information, transmit massive flows of Geheimnisse aus: Satelliten. Durchschnittlich einmal in data or carry out espionage: satellites. To ensure proper der Woche muss ihre Position korrigiert werden, um die functioning, their position has to be corrected on average Funktion des Satelliten zu garantieren. Kleine Raketenmo- once a year. Small rocket motors then have to be activated toren werden dann zur Flugkorrektur gezündet. Eine große to carry out the flight correction. This presents space Herausforderung für Raumfahrttechniker ist dabei, wie der technicians with the challenge of finding the best way to Raketentreibstoff aus dem Tank am besten zur Auslassöff- transport the rocket propellant from its reservoir to the nung gefördert wird. Auf der Erde wäre dies kein Problem: corresponding outlet port. On earth this would present no Benzin in einem Autotank beispielsweise schwappt dank problem at all: thanks to the earth‘s gravitational force, der Erdanziehung immer am Boden. Unter Schwerelosigkeit petrol in the fuel tank of a car, for instance, will always hingegen verteilt sich der Treibstoff an den Tankwänden. swash around the bottom of the tank. Under conditions of Eine vielversprechende Lösung zum Flüssigkeitstransport weightlessness, though, the propellant is dispersed around ist hier der Einsatz von seitlich offenen Leitungen, den the tank‘s walls. A promising solution for the transport so genannten Kapillarkanälen. Die wissenschaftlichen of the propellant in this case is the use of piping which is Grundlagen dazu werden seit Jahren erfolgreich von einem open along one side, so-called capillary channels. For years Team um Privatdozent Dr. Michael Dreyer vom Zentrum für now, the necessary scientific research is being successfully angewandte pushed ahead by a team led by Assistant Professor Dr. Raumfahrttech- Michael Dreyer at the Bremen University‘s Center for nologie und Applied Space Technology and Microgravity (ZARM). Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen erforscht. Unzählige Versuche im Bremer Fallturm: In der Schwerelosigkeit, die diese europaweit einzigartige Versuchsanlage für knapp fünf Sekunden bietet, führten die ZARM-Forscher um Privatdozent Dr. Michael Dreyer ihre ersten Grundlagenforschungen durch. Countless experiments in the Bremen drop tower: this experimental facility is unique in Europe. It creates conditions of weightlessness lasting up to five seconds, during which time the ZARM research group led by Senior Academic Assistant Dr. Michael Dreyer carried out their initial fundamental research. - 22 - Rezept-Lieferanten für die Raumfahrtindustrie Recipe Providers for the Aerospace Industry Technologische Experimente im Weltall, gestartet in Nordschweden: Bei drei Raketenmissionen hatten die Bremer Forscher bislang Gelegenheit, ihre Versuche unter minutenlanger Schwerelosigkeit durchzuführen. Technological experiments in space, starting in northern Sweden: the Bremen research team has so far utilised three opportunities to carry out their tests during rocket flights under conditions of weightlessness lasting several minutes. T Technisch gesehen ist der Treibstofftransport in Kapillarkanälen die eleganteste und sicherste Lösung. Andere Möglichkeiten - etwa die Versorgung aus einem Membrantank - sind ungünstiger, weil der in der Raumfahrt bevorzugte Antriebsstoff Monomethylhydrazin sehr aggressiv ist und weichere Materialien zersetzt. Beim Flüssigkeitstransport durch Kapillarkanäle macht man sich eine physikalische Besonderheit zunutze: die Kapillarkraft. Diese kann man auch auf der Erde beobachten: Etwa beim Arzt, wenn Blut in haarfeinen Röhren - Kapillare genannt - von selbst aufsteigt. F Kapillarkräfte treten jedoch nicht nur in Röhrchen auf, sondern auch zwischen zwei parallel stehenden Platten - beispielsweise den Glasscheiben eines Doppelfensters. Dieses Prinzip wird in Satellitentanks genutzt. Parallel zur Tankwand werden mehrere verschieden geformte Platten - so genannte Steighilfen - angebracht. Sobald Schwerelosigkeit eintritt, beginnt aufgrund der Kapillarkräfte der Treibstoff zwischen Tankwand und Platte zu fließen. Statt sich irgendwo im Tank zu verteilen, strömt der Treibstoff nun von selbst zum Auslass und kann von dort weiter zum Raketentriebwerk geleitet werden. Was sich im Prinzip relativ einfach anhört, ist technisch und wissenschaftlich eine riesige Herausforderung. „Dass es grundsätzlich funktioniert, weiß man schon länger. Aber die Physik, die dahinter steht, war noch bis vor kurzem weitgehend unerforscht“, sagt Michael Dreyer. Zusammen mit seinem Team erforscht er im ZARM seit mehreren Jahren das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten unter Schwerelosigkeit - zumeist im Auftrag von Organisationen wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Europäischen Weltraumagentur ESA oder der NASA. „Unsere Arbeit bringt Licht ins wissenschaftliche Dunkel dieses Gebietes“, erläutert Dreyer. „Sie hat aber auch einen konkreten Anwendungsbezug: Je besser und vor allem sicherer der Flüssigkeitstransport aus dem Tank zur Auslassöffnung funktioniert, desto günstiger und leistungsfähiger werden die Satelliten.“ Denn die Kosten für Satellitenbau und Raketenstarts gehen From an engineering point of view, transporting the propellant in capillary channels is the most elegant and surest solution. Other possibilities - such as supply from a membrane tank - are less attractive, since the propellant of preference in space flight, monomethylhydrazine, is extremely aggressive and may degenerate softer materials. The transport through capillary channels makes use of a special physical characteristic: the capillary force. We can observe this on the earth, too: at the doctor‘s, for instance, when blood rises on its own accord up fine tubes - called capillaries. However, capillary forces do not only occur inside tubes. They can also exist between two parallel facing plates - such as the glass plates of double-glazed windows. It is this principle which finds application in the satellite tanks. Several shaped plates - called vanes - are arranged parallel to the walls of the propellant reservoir. As soon as weightlessness begins and due to capillary forces, the propellant starts to rise between tank wall and plate. Instead of being dispersed haphazard all over the tank, the propellant now flows of its own accord to the outlet port, where it is then transported on to the rocket engine. What may sound relatively simple in principle is in reality an enormous engineering and scientific challenge. „We have known for a long time that it must function in principle. But the physics which are behind the principle were largely left unexplored until quite recently“, says Michael Dreyer. Together with his team at ZARM he has been researching the flow behaviour of fluids under conditions of weightlessness for several years mostly on behalf of organisations like the German Aerospace Center (DLR), the European Space Agency (ESA) or NASA. „Our work is bringing some light into the scientific darkness surrounding this field“, explains Dreyer. „At the same time it has a very real practical application: the better and - 23 - Rezept-Lieferanten für die Raumfahrtindustrie Recipe Providers for the Aerospace Industry in die Millionen - jedes Gramm Nutzlast, für das ein Auftraggeber bezahlt, ist somit wichtig. Mehrere Jahre lang experimentierten die Bremer Forscher zunächst im Fallturm der Bremer Universität - einer in Europa einzigartigen Forschungseinrichtung. Sie integrierten ihre Versuche in eine Kapsel, in der während des freien Falles aus einer Höhe von 120 Metern innerhalb des Turmes für 4,74 Sekunden Schwerelosigkeit herrscht. Diplom-Physiker Uwe Rosendahl aus der Arbeitsgruppe: „Wir haben die Länge und den Spaltabstand von zwei Glasplatten, die einen Kapillarkanal bildeten, immer wieder verändert und dabei unzählige Daten gemessen und ausgewertet. Vor uns hatte das weltweit noch nie jemand erforscht.“ Parallel dazu bauten die Wissenschaftler im Computer Modelle nach, um ihre Annahmen und Versuche zu simulieren. Fünf Sekunden Schwerelosigkeit im Fallturm erwiesen sich aber auf Dauer als zu kurz, um die auftretenden Effekte zu studieren. Im Jahr 2000 war das ZARM daher erstmals im Höhenforschungsraketenprogramm TEXUS (Technologische Experimente unter Schwerelosigkeit) des DLR mit einem Versuch vertreten. Während des parabelförmigen Fluges der in Nordschweden gestarteten Rakete herrschen für etwa sechs Minuten Schwerelosigkeit. Ende 2004 und Ende 2005 wiederholten Dreyer und seine Mitarbeiter ihre Versuche bei TEXUS-Raketenstarts. Dabei tasteten sich die ZARM-Experten immer weiter vor. „Ziel unseres jüngsten Experimentes war es, die kritische Geschwindigkeit zu bestimmen, ab der Gas mit in den Auslass eingesogen wird“, erläutert Michael Dreyer. „Da der Kapillarkanal an den Seiten offen ist, wird die freie Oberfläche ab einer bestimmten Geschwindigkeit instabil.“ In ihrem Versuch ermittelten die Forscher nun sehr präzise die Hintergründe: Im Kapillarkanal breiteten sich in Längsrichtung Kapillarwellen aus. Sobald die Strömung genauso schnell wird wie diese Wellen, reißt sie ab - ein Phänomen, das „Choking-Effekt“ genannt wird. above all safer the transport of propellant from the tank to the outlet port functions, the cheaper and more efficient will satellites become.“ For the cost of rocket launches and building satellites runs into millions - every gram of weight has to be paid for, and so every gram saved is important. For the first few years the Bremen research scientists conducted their experiments in the drop tower at Bremen University - a research facility which is unique in Europe. They integrated their experiments in a capsule which in free fall from a height of 120 metres creates conditions of weightlessness for periods of 4.74 seconds. Graduate physicist Uwe Rosendahl is one of the group‘s members: „We continually changed the length and the width of the gap between two glass plates which function in the same way as a capillary tube, recording and evaluating immense amounts of data. Our research was a world first.“ Parallel to this the scientists reverse engineered their data into computer models, simulating their assumptions and experiments. In the long run, the brief five seconds of weightlessness in the drop tower proved to be too short to properly study the manifold effects. Therefore in 2000 the ZARM was represented for the first time with an experiment in the DLR sounding rocket programme TEXUS (Technological Experiments in Weightlessness). During the parabolic flight of the rocket which was launched in North Sweden, conditions of weightlessness exist for about six minutes. At the end of 2004 and 2005 Dreyer and his team were able to repeat their experiments during further TEXUS rocket flights. Each experiment advanced the ZARM further. „The objective of our latest experiment was to find out the critical speed at which propellant is sucked into the outlet port“, explains Michael Dreyer. „Since the capillary channel is open along the sides, the free surface becomes unstable for a certain flow velocity.“ In their experiment the research scientists went on to calculate the circumstances with utmost precision: Capillary waves propagate along the capillary channel lengthwise. As soon as the flow Testzelle und Gesamtmodul: Zwischen den parallel angeordneten Glasplatten (oben) strömt die Flüssigkeit beim Versuch hindurch. Die Testzelle wird in das rechts abgebildete Gesamtmodul integriert, dass neben der notwendigen technischen Umgebung auch Kameras zur Versuchsbeobachtung enthält. During an experiment the fluid flows between the parallel facing glass plates (top). The test cell is integrated within the module (right), which besides the necessary technical entourage also contains cameras to record the experiment. - 24 - Rezept-Lieferanten für die Raumfahrtindustrie Recipe Providers for the Aerospace Industry 2009 mit einem Bremer Versuch an Bord? Die ZARM-Forscher hoffen, mit ihren Experimenten eines Tages auch in der Internationalen Raumstation ISS präsent zu sein. 2009 with a Bremen experiment on board? The ZARM research team hopes one day to have experiments conducted on board the International Space Station ISS. „Bei der Beantwortung grundlegender Fragen der Strömungsmechanik sind wir in den vergangenen Jahren sehr weit gekommen“, sagt Michael Dreyer nicht ohne Stolz. „Wir liefern immer neue Details und ermöglichen dadurch genauere Werkzeuge. Damit schaffen wir die Basis für Weiterentwicklungen. Unser Selbstverständnis ist das eines ‚Rezept-Lieferanten für die Raumfahrtindustrie‘ - wobei wir oft Fragen beantworten, die sich die Ingenieure noch gar nicht gestellt haben.“ Mit einer Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in der angesehensten Strömungsmechanik-Publikation der Welt, dem „Journal of Fluid Mechanics“ (Cambridge University Press) verbesserten die ZARM-Wissenschaftler ihre Chancen erheblich, bald noch länger in der Schwerelosigkeit Versuche fahren zu können. Für das Jahr 2009 hoffen sie, mit ihren Experimenten in der Internationalen Raumstation ISS präsent zu sein. becomes as fast as these waves it is interrupted - a phenomenon known as the ‚choking effect‘. „We have made a great deal of progress in answering some of the fundamental questions surrounding flow mechanics“, says Michael Dreyer, not without some pride. „We are constantly contributing new details and thus enabling more accurate tools. This creates the basis for further advances. Our self-conception is that of a ‚recipe provider for the aerospace industry‘ - whereby we often provide answers to issues the engineers have not yet even thought of.“ A recent publication of the research results in the world‘s most esteemed journal for fluid mechanics, the ‚Journal of Fluid Mechanics‘ (Cambridge University Press) considerably enhances the ZARM scientists‘ chances to participate even longer in weightlessness experiments. In 2009 they hope to be on board the International Space Station ISS with their experiments. Kontakt: PD Dr. Michael Dreyer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnik und Mikrogravitation (ZARM) Universität Bremen, Fachbereich 4 Am Fallturm/Hochschulring, D-28359 Bremen Tel. (+ 49) 0421/218-4038, Fax: (+ 49) 0421/218-2521 E-Mail: dreyer@zarm.uni-bremen.de http://www.zarm.uni-bremen.de/2forschung/grenzph - 25 - Kontakte / Impressum Contacts / editorial information Uni-Transfer Uni-Transfer UniTransfer ist Ihr Ansprechpartner für den Wissens- und Technologietransfer. Wenn Sie wissenschaftliche Leistungen der Universität in Anspruch nehmen wollen, hilft Ihnen Uni-Transfer bei der Kontaktaufnahme zu Forschern und Einrichtungen. Ob Sie Fachleute zur Lösung Ihrer Probleme suchen, Gutachten erstellen lassen, Labore und Einrichtungen der Universität nutzen wollen oder Referenten für Weiterbildungsveranstaltungen suchen: UniTransfer ist die richtige Adresse. UniTransfer is the contact office for the transfer of science and technology. If you wish to take advantage of the science-related services provided by the University, UniTransfer will provide assistance in making contacts with the appropriate research personnel and facilities. No matter whether you require specialists to solve your particular problem, an expert opinion, or the use of the laboratories and facilities belonging to the University or lecturers for vocational training courses, UniTransfer are the people to contact. UniTransfer Telefon (+49) 0421/218-3253 Email: transfer@uni-bremen.de WWW: http://www.unitransfer.uni-bremen.de International Office International Office Das International Office hilft Studierenden und Wissenschaftlern aus aller Welt bei Ihren Kontakten mit der Universität Bremen und vermittelt deutschen Interessenten Kontakte ins Ausland. Ob Sie einen Studienaufenthalt in Bremen planen, als Gastwissenschaftler mit Kollegen tätig sind oder sich über Austauschprogramme informieren möchten - hier sind Sie richtig. The International Office provides assistance to students and scientists from all over the world when they wish to make contacts with the University. Furthermore, this office is also responsible for arranging foreign contacts. No matter whether you are planning to study in Bremen, or are a visiting scientist working with other colleagues, or if you simply wish to obtain information about exchange programmes, this is the office to contact. International Office Telefon (+49) 0421/218-8606 Email: schoenha@uni-bremen.de WWW: http://www.io.uni-bremen.de/ Pressestelle Press Office Die Pressestelle ist für die Informations-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Universität Bremen zuständig. Hier bekommen Sie alle Informationen über die Universität - nicht nur dieses Info-Magazin, sondern auch die interne Universitäts-Zeitung, unser Forschungsmagazin „Impulse“, unseren Veranstaltungskalender und mehr. Über das komplette Informationsangebot informiert Sie die WWW-Seite der Pressestelle. The Press Office is responsible for the information, press and public relations work of the University of Bremen. All information dealing with the University can be obtained from this office – not only this information brochure, but also the internal University magazine, the research journal „Impulse“, the programme of future events, and lots more. The complete information package can be found under the Press Office WWW-page. Pressestelle Telefon (+49) 0421/218-2751 Email: presse@uni-bremen.de WWW: http://www.uni-bremen.de/campus/campuspress/ Universitätsleitung University Officers Die Universitätsleitung mit dem Rektor, den beiden Konrektoren für Forschung, Lehre und Internationale Angelegenheiten sowie dem Kanzler entscheidet über die wesentlichen Angelegenheiten der Universität, wobei sie an die Beschlüsse des Akademischen Senats gebunden ist. The University Officers include the President, two Deputy Vice Presidents responsible for research, teaching and international affairs, as well as the Chancellor. The Officers are responsible for all important decision making pertaining to the University and are required to implement resolutions passed by the Akademische Senat – the university governing body. Rektorat Telefon (+49) 0421/218-2708 WWW: http://www.uni-leitung.uni-bremen.de Impressum / editorial information Herausgeber: Redaktion, Texte, Layout: Druck: Übersetzung: Anzeigen: Fotos und Bildmaterial: Rektor der Universität Bremen Kai Uwe Bohn, Universitäts-Pressestelle, Tel. (+49) 0421/218-4027, Email: kbohn@presse.uni-bremen.de Girzig+Gottschalk GmbH, Bremen Language Associates, Bremen Marlies Gümpel, Tel. 0421/218-4192 Kai Uwe Bohn [S. 12,13], Prof. Dr. Thomas Hoffmeister [Titel, S. 3,10], ZARM [S. 3,23,24], Tristan Vankann [S. 22], Harald Rehling [S.4,6], PhotoCase.com [S. 4,14,15,17,18], ZMT [S. 6], Airbus [S. 7], Sabine Nollmann [S.8], Stadt Zwickau [S. 20], Verlag Metzler & Bärenreiter [S. 21], NASA [S. 25]. „highlights“ erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle, Postfach 330440, D28334 Bremen, Telefon (+49) 0421/218-2751, Fax: (+49) 0421/218-4270, Email: presse@uni-bremen.de www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights