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DAS FUSSBALLMAGAZIN #15 10 2006 Deutschland 2,80€ Schweiz 5,50sfr Österreich 3,20€ Luxemburg 3,20€ Spanien 3,80€_Griechenland 4,00€ Italien 3,80€ RUND WWW.RUND-MAGAZIN.DE RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN #15 10 2006 RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN Hertha BSC Jungstars retten die Alte Dame m: e d r e Außlos Dunga,nd, Car ildebra , H r Timoasey Kellefes l K n Ro Simo Frank Rost „Auf Schalke ist alles extrem“ Schwarz Löw Gold Die stille Revolution im deutschen Fußball rund1006_001_Titel 1 11.09.2006 11:04:51 Uhr RUND Einlaufen LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER, vor wenigen Wochen noch war Joachim Löw einer der am wenigsten begehrten Gesprächspartner zum Thema Nationalmannschaft. Der Südbadener galt als unbedeutender Assistenztrainer, der als unbedarfter Gehilfe Bundestrainer Klinsmann nicht von der Seite wich und immer in seinem Schatten stand. Wer sich mit Löw ausführlich über seine Spielphilosophie unterhalten wollte, dem erklärte er geduldig und kompetent seine Vorstellungen vom dominanten Offensivfußball. Inzwischen gilt der neue Bundestrainer als zweitwichtigste Person der Republik nach Bundeskanzlerin Merkel. Zeit, sich in Ruhe zu unterhalten, findet er nur noch selten. In RUND erklärt Löw dennoch ab Seite 20 ausführlich, wie er 2008 Europameister werden will – unter anderem mit Timo Hildebrand, der neuen Nummer zwei unter den deutschen Torhütern. Hildebrand ist begeistert vom eingeschlagenen Weg des Nationalteams. Als der Keeper des VfB Stuttgart beim Mittagessen lebhaft davon erzählte, sah sein weißes T-Shirt nachher nicht mehr ganz so sauber aus. Den Tomaten-Fleck-Contest gewann dennoch RUND-Redaktionsleiter Rainer Schäfer mit 3:1. Mitte der 90er war er auch Profi in Stuttgart, seit kurzem sitzt er auf dem Stuhl des Nationaltrainers: Carlos Caetano Bledorn Verri, genannt Dunga. Unser Redakteur Oliver Lück hat den neuen Hoffnungsträger Brasiliens im norwegischen Oslo zum Interview getroffen. Dass er auf diesen Termin drei Tage lang warten musste, war halb so schlimm, passierten im brasilianischen Mannschaftshotel doch die unglaublichsten Dinge. Wer sich in der Lobby des Fünfsternehotels alles herumgetrieben hat, lesen Sie ab Seite 74. Der FC St. Pauli, der verrückteste Fußballklub der Welt, geht mal wieder neue Wege. Seine Fanartikel bewarb der Millerntor-Klub bislang in kreativ gestalteten und preisgekrönten Fankatalogen. Diese Saison kooperiert der FC St. Pauli mit RUND, um seine Totenkopfdevotionalien zu präsentieren – entstanden ist der erste „Magalog“, die Verbindung von Magazin und Katalog. Viel Spaß beim Lesen und bleiben Sie am Ball IHRE RUND-REDAKTION ILLUSTRATION DAZZLER RUND 3 rund1006_002_003_Einlauf Abs1:3 06.09.2006 18:33:52 Uhr RUND Aufstellung Inhalt 10 06 AM BALL 60 10 16 22 36 40 SCHNELLSCHUSS FELDSALAT NATIONALMANNSCHAFT LAGE DER LIGA STARGAST Die Tribüne wird zur Bühne – auch in der Bundesliga Zickler, Meyer, schlimme Frisuren. Was macht Gomez? Energisch treibt Jogi Löw wichtige Reformen voran Was passiert bei den 18 Klubs der Ersten Liga? Franck Ribéry – vom Kind des Ghettos zum Weltstar GLEICHE HÖHE 44 50 52 60 66 DER PROFI SPRICHT AUF DER LINIE AUSLANDSREPORTAGE JUNGE DAME HERTHA ERBSENZÄHLER Frank Rost über den FC Schalke 04, die DDR und mehr Kasey Keller bereut es, Torwart zu sein Juventus Turin hat wenig aus seinen Fehlern gelernt Berlin erntet die Früchte seiner Jugendarbeit Was die nationalen Pokale wirklich wert sind IM ABSEITS 70 73 74 78 80 83 84 86 88 70 LÜGENDETEKTOR SPIEL MIT PUPPEN MANNSCHAFTSHOTEL TORLOS GLÜCKLICH FUSSBALLMAFIA LEXIKON WELTKLASSE RASENKAVALIER TV-JUNKIES Simon Rolfes will die Welt nicht retten Es kann nur einen geben – wer stürmt am besten? Drei Tage im Quartier der brasilianischen Nationalelf Hachings Veteran Ralf Bucher will keine Tore schießen Warum wurden die Brüder von Fabrice Noël ermordet? Fremde Fußballsprache: Wo man die Unterhose deckt Sir Alex Ferguson dekoriert sein Büro mit Autoteilen Schalke-Platzwart Heinz Römer wohnt in der Tribüne Die allerbesten Fernsehauftritte unserer Fußballstars SPIELKULTUR 94 100 104 106 110 111 112 INTERVIEW FUSSBALL IM KZ KOPFBALL BUCH & DVD LESERBRIEFE/RUNDE PRESSE IMPRESSUM/VORSCHAU AUSLAUFEN MIT THADEUSZ Nicolas Kiefer über das schöne Leben der Fußballprofis Auch in den Konzentrationslagern rollte der Ball Der Philosoph Klaus Theweleit lobt das Fernsehen Böttiger und der Bildband „One love“ Ihre Meinung über die 14. RUND-Ausgabe So interessant wird die November-Ausgabe Warum die Engländer uns dankbar sein sollten 94 RUND 6 rund1006_006_007_Inhalt 6 08.09.2006 12:54:44 Uhr RUND Aufstellung 74 52 AUSLANDSREPORTAGE: ERHOBENEN HAUPTES UNTER DER GUILLOTINE Trotz des Korruptionsskandals ist Juventus Turin in Italien populär wie eh und je. Der Klub gibt sich geläutert. Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus MANNSCHAFTSHOTEL: WARTEN AUF DUNGA Drei Tage lang harrte ein RUND-Redakteur in der Lobby eines Osloer Hotels aus, um den neuen Nationaltrainer Brasiliens zum Interview zu treffen – dabei passierten die unglaublichsten Dinge 88 22 TV-JUNKIES: FUSSBALLER MÜSSEN INS ECKIGE Der verstorbene Rudi Carrell lud Fußballstars ein, um seine Shows noch glanzvoller zu machen. Unsere Profis verkörpern im Fernsehen absolute Weltklasse – die Bilder der schönsten Auftritte der vergangenen Jahre beweisen das NATIONALMANNSCHAFT: DIE STILLE REVOLUTION Die Nationalelf will die EM 2008 gewinnen. So lautet das Ziel unter dem neuen Bundestrainer Joachim Löw, der die Arbeit von Jürgen Klinsmann fortsetzt, aber ein ganz eigener Typ ist. Energisch, aber geräuscharm geht Löw die nötigen Reformen an RUND 7 rund1006_006_007_Inhalt 7 07.09.2006 19:41:29 Uhr RUND Am Ball AM BALL HARTNÄCKIG NAH DRAN AKTUELL „Wir waren bei der WM nah dran. Ich glaube, dass man vieles besser erreicht, wenn man eine Vision hat. Und die kann nur lauten, das höchste Ziel anzustreben“ JOACHIM LÖW 10 SCHNELLSCHUSS Die Tribüne wird zur Bühne – Eine Fotostrecke über die Leidenschaft in den Bundesligastadien 22 NATIONALMANNSCHAFT Die stille Revolution – Der ruhige Joachim Löw wird die Nationalelf nachhaltig verändern 36 LAGE DER LIGA Mitten in der Vorrunde – Die RUND-Experten haben nachgeprüft, wer oben und unten landet 40 STARGAST Das Narbengesicht – Frank Ribéry wurde bei der WM zum begehrtesten Spieler Europas RUND 9 rund1006_008_009_VorschaltBall Abs1:9 04.09.2006 12:49:28 Uhr AM BALL Schnellschuss DIE TRIBÜNE WIRD ZUR BÜHNE EINE FOTOSTRECKE VON MAREIKE FOECKING, DAVID KLAMMER UND STEFAN SCHMID RUND 10 rund1006_010_015_Schnellschuss 10 07.09.2006 23:35:17 Uhr AM BALL Schnellschuss BEREITS IN DEN ERSTEN WOCHEN DER NEUEN SAISON WAREN DIE BUNDESLIGASTADIEN WIEDER BRECHEND VOLL, ALS SPIELTEN DORT NOCH IMMER DIE ZIDANES UND ODONKORS DIESER WELT. SO MANCHER ANHÄNGER SCHEINT ALLERDINGS HEILFROH ZU SEIN, DASS ER SICH NUN WIEDER IN HEIMISCHER TRACHT AUF SEINEN TRIBÜNENPLATZ SETZEN UND STELLEN KANN. RUND-FOTOGRAFEN HABEN DIE FANS DABEI BEOBACHTET RUND 11 rund1006_010_015_Schnellschuss 11 07.09.2006 23:35:20 Uhr AM BALL Schnellschuss WÄHREND TINA UND TOM BEIM VFL BOCHUM EINE STAMMPLATZGARANTIE HABEN, WÜRDE MAN DEN BEIDEN KARIERTEN MÄNNERN AUCH OHNE SCHAL ANSEHEN, FÜR WELCHEN VEREIN IHR HERZ SCHLÄGT. EINE AUSGEPRÄGTE FREUDE AM BEKENNTNIS MERKT MAN AUCH DEN VERTRETERN AUS SCHALKE, GLADBACH UND BERLIN AN RUND 12 rund1006_010_015_Schnellschuss 12 07.09.2006 23:35:24 Uhr AM BALL Schnellschuss RUND 13 rund1006_010_015_Schnellschuss 13 07.09.2006 23:35:51 Uhr AM BALL Schnellschuss RUND 14 rund1006_010_015_Schnellschuss 14 07.09.2006 23:35:59 Uhr AM BALL Schnellschuss WELCHE AUSWIRKUNGEN EIN TRAINERRAUSWURF AUF DIE BEFINDLICHKEIT SENSIBLER ANHÄNGERINNEN VON HANNOVER 96 HABEN KANN, IST UNSCHWER ZU ERKENNEN (LINKE SEITE). EHER SCHWER ZU ERKENNEN IST DAGEGEN DAS SPIELFELD, WENN EIN BEWEGUNGSFREUDIGER MENSCH MIT EINER ZIMMERGROSSEN FAHNE VOR EINEM HERUMWEDELT. IMMERHIN SIEHT DIE SCHMUCKLOSE TRIBÜNENWAND DES GLADBACHER BORUSSENPARKS BEFLAGGT WESENTLICH DEKORATIVER AUS ALS DER NACKTE BETON RUND 15 rund1006_010_015_Schnellschuss 15 07.09.2006 23:36:02 Uhr AM BALL Feldsalat „Die Leute meinen, dass man viel Arbeit hat mit großen Transfers, wenn Michael Ballack zu Chelsea wechselt. Das ist Unsinn, am meisten Ärger und Arbeit hat man, wenn einer von Essen nach Paderborn wechselt und die ganze Verwandtschaft mitkassieren will.“ Michael Becker, Spielerberater WAS MACHT GOMEZ? In vier Jahren vier Trainer MARIO GOMEZ hat alle Jugendnationalteams durchlaufen, kommt auf gut 40 Ligaeinsätze für den VfB Stuttgart und auf einen in der Champions League gegen Chelsea. Der 21-jährige Stürmer gilt als eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen. RUND wird ihn auf seinem Weg begleiten und fragt jeden Monat: Was macht Gomez? „Macht sich zu viele Gedanken“: Mario Gomez Selten hat Mario Gomez so gerne seine Sporttasche gepackt wie Ende August, um der Einladung von Dieter Eilts nach Dortmund zu folgen. Beim U21-Nationalteam wollte er abschalten vom eher tristen Ligaalltag in Stuttgart. Ein „verdammt schlechtes“ Spiel hat er gemacht beim 0:3 gegen Nürnberg. Es gibt aber auch den jubelnden Gomez, der im Leibchen des Ersatzspielers mit dem Team den Auswärtssieg in Bielefeld feiert oder sich über die Einwechslung gegen Dortmund freut. Mario Gomez leidet unter dem Zwiespalt vieler Jungprofis, die von einem Nachwuchsteam zu den Profis kommen. Geht er zu selbstbewusst in die Zweikämpfe, stellt er Ansprüche und bietet den Routiniers die Stirn, dann hält man ihn schnell für überheblich. Hält er sich dezent zurück, wirkt er in den Augen des Trainers zu genügsam. Der Grat ist schmal. Doch Artenschutz gibt es für den 21-Jährigen nicht mehr. Coach Armin Veh vermisst in seinem Spiel die Aggressivität aus der Vorbereitung, als der Deutsch-Spanier endlich sein Phlegma abgelegt hatte. Da rief er all jene Qualitäten ab, wegen der ihm Beoabachter sogar die besseren Anlagen als seinem Vorgänger Kevin Kuranyi bescheinigten. „Es ist eine Sache, die nur an ihm liegt. Und es geht nur über Arbeit“, sagt Armin Veh. Es ist aber nicht so, dass Mario Gomez das Training vernachlässigt hätte. „Das mit der mangelnden Aggressivität, das kann man ab- stellen. Ich werde das lernen“, sagt Gomez. Ein bisschen Selbstbewusstsein hat er sich mit vier Treffern beim 11:0 gegen den Bezirksligisten Wernau geholt. Zuletzt führte er viele Gespräche, mit dem Trainer, mit seinen Eltern und seinem Berater Uli Färber. „Mario macht sich zu viele Gedanken“, sagt Färber. Er kennt die Schattenseiten, die junge Spieler nach einem schnellen Aufstieg erleben, hatte er doch schon den damals 17-jährigen Aliaksandr Hleb unter seinen Fittiche. „Man muss bei Marios Entwicklung berücksichtigen, dass er es in den vier Jahren beim VfB mit vier Trainern bei den Profis zu tun hatte“, so Färber. Für einen jungen Spieler sei Kontinuität in der Trainerfrage ein entscheidender Faktor. „Ich hab ihm aber gesagt, dass er da durchmuss, und glaube an seine Qualitäten“, so Färber. Das letzte Stück zum Gipfel ist eben immer das schwerste. ELKE RUTSCHMANN, FOTO AXL JANSEN RUND 16 rund1006_016_021_Feldsalat 16 07.09.2006 16:16:31 Uhr AM BALL Feldsalat KEES BREGMANN TOMASZ HAJTO Der Weg krimineller Kicker führt oft zum Kokainhandel. Bregman, zeitweilig selbst Kokskonsument, tappte 1989 auf einem Friedhof in eine Falle von Drogenfahndern. Beim MSV Duisburg hatte er seine beste Zeit erlebt, als Geschäftsmann glänzte er danach aber nicht: Sein Fitnessstudio ging pleite. Heute ist er Friseur in Amsterdam. Was das Hervorbringen kriminell talentierter Spieler betrifft, ist Schalke spitze. Zur königsblauen Gaunergalerie gehört der polnische Nationalspieler, der 2002 einem Nachbarn 110 Stangen geschmuggelter Zigaretten abgekauft hatte – obwohl Nikotin doch gar nicht das beste Doping sein soll. Die „Dummheit“ (Hajto) kostete ihn 43.500 Euro. URS GÜNTENSBERGER 1997/98 war er einer der Helden beim Frankfurter Bundesligaaufstieg. Während der folgenden Saisonvorbereitung saß der Stürmer jedoch in der Schweiz wegen eines Verkehrsdelikts in Haft. Währenddessen erreichte ihn die Kündigung der undankbaren Eintracht. „Meine Frau brachte mir den Blauen Brief“, klagte er in einem Boulevardblatt. DIE ELF KRUMMSTEN DINGER GEGENSPIELER GESETZ SHMUEL ROSENTHAL Besonders hart traf es einen ehemaligen Teamkameraden von Günter Netzer: Der Abwehrspieler Rosenthal, 1970 in Mexiko bei Israels einzigem WM-Aufritt dabei und 1972/73 bei Mönchengladbach unter Vertrag, wurde 1997 in Tel Aviv zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der Kicker hatte einer Kokainschmugglerbande angehört. ∫ RENÉ MARTENS, FOTOS HORST MÜLLER, IMAGO, BONGARTS JÜRGEN SOBIERAY Einst war er Bundesligaskandalsünder. Zwischen 1972 und 1973 war der Schalker deshalb gesperrt. 2001 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Anlagebetrug. Schaden: 2,2 Millionen Mark. Das Gericht in der Urteilsbegründung: Sobieray habe „die Anleger um ihre Lebensersparnisse gebracht“. STEFFEN KARL STIG TÖFTING Drei Monate Haft im offenen Vollzug wegen Körperverletzung bekam der bullige Hells-Angels-Anhänger, nachdem er 2002 einem Restaurantbesitzer, bei dem der dänische WM-Kader eigentlich essen wollte, eine Kopfnuss verpasst hatte. Später, bei Aarhus GF, argumentierte er mit einem Mitspieler erneut nonverbal. Die Folge: Rausschmiss. „Eisen-Karl“ wurde unklugerweise während der Bewährungsfrist wieder straffällig: Nachdem ihn 2003 das Amtsgericht Amberg wegen mehrmaliger Trunkenheit am Steuer auf Bewährung verurteilt hatte, mischte er 2004 im HoyzerSkandal mit. Wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug bekam Karl neun Monate. Bewährungsfrist: vier Jahre. NIHAT TRABELSI Der tunesische Olympiateilnehmer fasste 1989 bei Fortuna Düsseldorf nicht Fuß. Probleme auch jenseits des Rasens: Drogendelikte, gescheiterte Ehe. 2002 gab Trabelsi zu, im Auftrag von al-Quaida einen Anschlag auf einen US-Luftwaffenstützpunkt geplant zu haben. Über Osama Bin Laden sagt er: „Ich liebe ihn wie meinen Vater.“ MAURIZIO GAUDINO WILLI KRAUS Für den FC Schalke schoss er 16 Bundesligatore, 1968 und 1969 erbeutete er 66.000 Mark bei Überfällen auf einen Supermarkt und eine Bank. Auch einen Gefängnisausbruch hat der „wilde Willi“ („Bild“) hinter sich, darüber hinaus handelte er mit Kokain. 1996 trat er nach insgesamt 15 Jahren Knast eine Stelle als Elektriker an. * Die Umstände seiner Verhaftung waren spektakulär: Die Polizei schnappte ihn sich nach einer Late-Night-Show, bei der er zu Gast war. Es ging um Versicherungsbetrug mit Autos, der Gesamtschaden betrug 195.000 Mark. Wegen des Wirbels kickte Gaudino zeitweilig in Mexiko. 1996 bekam er zwei Jahre auf Bewährung aufgebrummt. PAVEL MACAK Zigarettenschmuggel, Waschpulverdiebstahl, Betrug – der ehemalige Bundesligaersatztorwart des FC Schalke, heute 49 Jahre alt, erwies sich nach seiner Profikarriere als vielseitig einsetzbar. 15 Vorstrafen hatte Macak bereits angesammelt, ehe ihn 2005 das Landgericht Amberg für ein halbes Jahr hinter Gitter schickte. Wir suchen: Elf Klugscheißer! Wer schwätzt beim großen Reden über den Fußball mit, ohne etwas zu sagen zu haben? Schreiben Sie an: redaktion@rund-magazin.de. Stichwort: Schwadroneur. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Lesern bedanken, die uns Monat für Monat mit guten Hinweisen unterstützen. RUND 17 rund1006_016_021_Feldsalat 17 07.09.2006 16:16:35 Uhr AM BALL Feldsalat TRAUMSPIEL „PLÖTZLICH WAR MIR ALLES EGAL“ Dem Mazedonier NIKOLČE NOVESKI passierte ein Missgeschick, das zuvor noch nie einem Spieler der Bundesliga widerfahren war. Der 27-jährige Abwehrspieler vom FSV Mainz 05 über die absurdesten drei Minuten seiner Profikarriere Mein sicher kuriosestes Spiel erlebte ich letzte Saison beim Derby gegen Eintracht Frankfurt. Ob das nun aber mein Traum- oder mein Albtraumspiel war, kann ich gar nicht sagen. Schon in der dritten Spielminute schoss ich ein Eigentor. Zum Nachdenken blieb aber gar keine Zeit, denn gleich bei meiner nächsten Aktion landete der Ball schon wieder in unserem Tor. Zwei Eigentore innerhalb von drei Minuten! Das war ein Schock für mich. Für die Mannschaft tat mir das alles einfach unglaublich leid. Okay, Eigentore passieren und gehören zum Fußball dazu, aber so? Meine Konzentration war jedenfalls weg, die Angst da. Ich musste sie besiegen. In der Halbzeitpause bekam ich dann auch noch von meinem Trai- ner Jürgen Klopp einen Rüffel verpasst. Er hatte, wie viele andere, nicht mitbekommen, dass die Tore Eigentore von mir waren, und kritisierte, dass ich zu unkonzentriert sei. Ich wusste selbst, dass ich schlecht gespielt habe, das braucht man mir nicht noch unter die Nase reiben. Aus der Kabine kam ich dann mit einer ganz anderen Einstellung. Mir war plötzlich egal, was passiert – auch wenn noch zwei oder drei Eigentore kommen. Für mich gab es nur ein Ziel: das Spiel noch zu drehen. Aufzugeben kam für mich nicht in Frage. Und das hat mich nach vorne getrieben. In der 70. Minute köpfte ich dann tatsächlich den Anschlusstreffer. Und in der 90. Minute gelang uns sogar noch der Ausgleich. Ich „Eigentore passieren“: Nikolče Noveski war richtig glücklich. Dieses Spiel war, glaube ich, ein Charaktertest, den ich bestanden habe. Der Trainer hat sich übrigens nach dem Spiel bei mir entschuldigt. Hätte er das mit den Eigentoren gewusst, wäre sein Rüffel wohl sensibler ausgefallen. AUFGEZEICHNET VON MIRIAM HEIDECKER, FOTO IMAGO BILDERRÄTSEL PREISVERLEIHUNG KALTER KAKAO FÜR KOCH Jürgen Klinsmann ist gelernter Bäcker und ein großer Reformer. RUND verleiht daher jeden Monat die GOLDENE BUNDESBREZEL an Menschen, die sich besonders verdient gemacht haben um den deutschen Fußball In England haben sie einen Mann gefunden, der nicht mehr weiß, was er tut. Den haben wir auch! Alles in Deckung! Bomben und Granaten explodieren, wenn er trocken sein „Tor! Tor! Tor!“ loslässt. Und mehr noch: Es säuselt, es flüstert und es singt aus dem Fußballradioreporter Günther Koch, der sich seit Beginn dieser Saison mit seinen Reportagen erstmals ins Bezahlfernsehen traut. Bei Koch klingt jeder Spieltag, als ob es sein letzter wäre. Gelungene verbale Dribblings wie der Hinweis, dass Stuttgarts Cacau kein Kakao sei. Oder das gekonnte Verstellen der Stimme, wenn er urplötzlich in einen Singsang verfällt, der dem von tibetanischen Mönchen ähnelt. Zugegeben, es ist nicht einfach, in der heutigen Zeit den Überblick zu behalten – so wollen wir dies Herrn Koch auch gar nicht vorhalten. Im Gegenteil: Danke dass die Fußballreportage wieder zum Lachen ist! Und auch wir wollen die Drogen haben, die Sie nehmen. Auch Sie gehen natürlich nicht leer aus und erhalten in diesem Monat die klinsmännische Bundesbrezel in Gold. Vielleicht auch noch einen kalten Kakao dazu? Wer hat’s gemerkt? Der Witz war geklaut.< OLIVER LÜCK, FOTO IMAGO WER IST DAS DENN? Zwei Männer, eigentlich sehr unterschiedlich, doch beide waren Profis und beide sind nach ihrer Karriere dem Fußball verbunden - wer sind sie? Senden Sie Ihre Antwort bitte bis zum 16. Oktober 2006 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg; Fax 040-8080686-99 oder info@rund-magazin.de, Stichwort: Two-in-One. Wir verlosen Hörbuch-CDs von und über Zinédine Zidane, Fritz Eckenga und Günther Koch. Die Antwort des September-Rätsels lautet: Hans „Bumbes“ Schmidt und Elwin Schlebrowski. Die Gewinner des August-Rätsels – sie erhalten je ein Buch „Ein Tor würde dem Spiel gut tun“ von B. Redelings – sind: I. Goedeck, Hannover; M. Scherf, Karlsruhe; R. Kneis, Knetsch; R. Sternecker, München; A. Grebner, Leer. Die Gewinner werden benachrichtigt. !!! ’s gibt Hi e r i n n e Ge w !! !!! RUND 18 rund1006_016_021_Feldsalat 18 07.09.2006 16:17:03 Uhr AM BALL Feldsalat ++KLEINKLEIN++ BIELEFELD – Neue Zielgruppen, die sich von alten fußballerischen Zielgruppen nicht gestört fühlen, will Arminia Bielefeld ins Stadion locken: Ein Familienblock findet sich auf der Tribüne der Schücoarena, „mit Kaffeestand, Hüpfburg und Trampolin“, heißt es beim Verein. Außerdem bietet die Arminia Bratwurst vom Biobauern an und „Wasser und Säfte in kleineren Gebinden“. Der Innovation liegt eine Umfrage bei Frauen zugrunde, was sie am gemeinsamen Stadionbesuch mit ihren Kindern hindere. Außer der Gastronomie wurden oft auch die „rüden Fangesänge“ angegeben. FOTO IMAGO + + + + + + + + + + UNTER DER ZEITLUPE ALEXANDER ZICKLER Alexander Zickler als Jungprofi bei den Bayern. 37 Verletzungen und ein paar Zentimeter Haarausfall später kämmt der Salzburger konsequent nach vorne. Aber was geschah mit der Nase der Sächs Machine? Gute Chirurgen haben sie offenbar in Österreich. Und schlechte Keeper. Zickler trifft derzeit ohne Ende. FOTOS IMAGO ONEONTA / USA – Philip Anschutz hat nicht nur mit Öl, Eisenbahnen und Bauunternehmungen einen Milliardenvermögen gemacht, das er in Eishockey investiert, unter anderem in die Hamburg Freezers und die Eisbären Berlin. Anschutz schießt sein Geld auch in den Fußball, genauer: in die Major League Soccer, die Profiliga der USA, und den Bau von Fußballstadien, unter anderem in den USA das Home Depot Center in Kalifornien und den Toyota-Park in Chikago. Dafür wurde Philip Anschutz jetzt in die Soccer Hall of Fame aufgenommen, die Ruhmeshalle des amerikanischen Fußballs. ++KLEINKLEIN++ ISTANBUL – Zico ist vom Nationaltrainer Japans zum Coach bei Fenerbahçe Istanbul geworden. Dort bekommt er mehr Geld, als er wollte: Seine Forderung wurde von den Vereinsoberen entrüstet aufgestockt. FOTO IMAGO + + + + + + + + + + BRASILIA – Wenigstens ein Titel geht dieses Jahr nach Brasilien: Anfang August wurden in der ersten brasilianischen Liga acht Trainer in einer Woche geschasst. Das ist der weltweite Spitzenwert! + + + + + + + + + + WOLFSBURG – Die „Generation Praktikum“, von „Spiegel“, „Zeit“ und allen anderen Zeitungen schon lange ausgerufen, hat endgültig den Fußball erreicht: Beim VfL Wolfsburg firmiert Matthias Broska in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als „Langzeitpraktikant“, wie dem Magazin „Die Wölfe“ zum Saisonbeginn 2006/07 zu entnehmen ist. MAROTTE DES MONATS Schläge aus dem Nichts Mit seinen ironischen Interviews hat Hans Meyer die Liga verändert. Wer ihn länger kennt, hält im Gespräch mit dem 63-Jährigen allerdings Sicherheitsabstand Manche Begegnungen können schmerzhaft sein. Das Gegenüber hat so gar keinen Sinn für Ironie, nuschelt Unverständliches oder vermasselt jede Pointe. Hans Meyer ist der Gegenentwurf, sein humorvoller Umgang mit dem überraschenden Höhenflug des 1. FC Nürnberg lässt uns an das Gute im Trainer glauben. Seien wir ehrlich: Der Mann flößt einem als allererstes Respekt ein. Ein eiserner Händedruck, eine Stimme, die daran gewöhnt ist, dass ein großer Kader von Berufssportlern jeden Tag aufs Neue motiviert werden will. Wer ihn besser kennt, setzt sich allerdings nicht in unmittelbare Reichweite des Fußballexperten. Denn wenn Meyer mal wieder Recht haben will, kann er – wie aus dem Nichts – mit seinen Riesenpranken wahlweise Oberschenkel oder Bizeps des Zuhörers traktieren. Klatsch. Und das kann dann wieder ganz schön wehtun. MATTHIAS GREULICH, FOTO IMAGO ++KLEINKLEIN++ HANOI – Alfred Riedl, österreichischer Trainer der vietnamesischen Nationalmannschaft, ist Dialysepatient. Da Riedl in Vietnam sehr populär ist und sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hat, rief nun eine Lokalzeitung dazu auf, eine Spenderniere für Riedl zu suchen. „30 bis 40 Menschen haben sich gemeldet“, sagt Riedl, „es sind alles große Fans, die es zum Wohle des vietnamesischen Fußballs machen.“ Unter den potenziellen Spendern ist auch ein 32-jähriger buddhistischer Mönch aus dem Norden des Landes. FOTO OKAPIA + + + + + + + + + + RUND 20 rund1006_016_021_Feldsalat Abs1:20 07.09.2006 19:44:36 Uhr AM BALL Feldsalat UMFRAGE WELCHER PROFI STARTETE MIT DER SCHLECHTESTEN FRISUR IN DIE NEUE BUNDESLIGASAISON? (die RUND-Online-Umfrage im August) Ivan Klasnic – 17,9 % Steven Pienaar – 9,2 % Paolo Guerrero – 35,9 % Danijel Ljuboja – 37,0 % Jeden Monat stellen wir Ihnen auf unserer Homepage eine RUND-Frage zum aktuellen Fußballgeschehen. Das Ergebnis folgt im Heft darauf. Unter www.rund-magazin.de/voting können Sie jederzeit abstimmen. Im vergangenen Monat nahmen 4164 Personen teil. FOTOS IMAGO DAS BESONDERE INTERVIEW Wer hat’s erfunden? RICHARD McBREARTY ist Leiter des Scottish Football Museums. Der 33-Jährige glaubt fest daran, dass nicht die Engländer, sondern die Schotten den Fußball populär gemacht haben INTERVIEW BRODER-JÜRGEN TREDE, FOTO STEFAN SCHMID Mister McBrearty, kürzlich haben Sie für mächtig Aufsehen gesorgt: Sie haben Druck auf eine englische Kaufhauskette gemacht, die auf ihren T-Shirts England als Erfinder des Fußballs ausgibt. Die Hemden werden inzwischen auch mit einer schottischen Variante gedruckt. Sie müssen gute Argumente haben. RICHARD McBREARTY Na klar. Die Engländer haben 1863 zwar die ersten Fußballregeln publiziert, wir Schotten aber haben das Spiel weltweit populär gemacht. Wie das? Fußball spielten zunächst nur wenige privilegierte Jugendliche in den englischen Public Schools. Hier wurde die aristokratische Elite der Gesellschaft erzogen – Diplomaten, Generäle, Bischöfe, kurz Leader-Typen. Wer den Ball abspielte, gab Verantwortung ab. Ein Zeichen von Schwäche. Entsprechend individualistisch war der Stil. Mit dem Kopf durch die Wand nach vorne dribbeln und sich festrennen. Ein obskures, erbärmliches Spiel, nicht sehr schön anzusehen. Die Schotten interpretierten den Fußball anders? Bei uns war er von Anfang an ein Spiel der Arbeiterklasse, wurde als Mannschaftssport begriffen. Statt nur zu dribbeln, gab man auch mal ab und spielte verwirrende Doppelpässe. Die Spieler waren technisch versiert, ließen Ball und Gegner laufen und wussten mit fast mathematischer Präzision den Raum zu nutzen. Englische Kommentatoren sprachen ehrfürchtig von den „Scottish Professors“. Wie hat sich diese Spielphilosophie verbreitet? Plötzlich wurde auch das Zuschauen ein Vergnügen. Fußball als kunstvolle Aufführung, die die Massen begeisterte, mit der man Geld verdienen konnte. Die Manager der großen nordenglischen Klubs erkannten das schnell und schickten mit Beginn der Professionalisierung Ende des 19. Jahrhunderts ihre Scouts nach Schottland, um dort Spieler zu verpflichten. Die Aufstellung des ersten Spiels des FC Liverpool 1892 dokumentiert das eindrucksvoll. Die Mannschaft bestand aus elf Schotten und wurde nur „the team of the Mac’s“ genannt. Woher kommt die Ignoranz gegenüber dem schottischen Einfluss? In der Geschichtsschreibung gibt es das Stille-Post-Prinzip: Schotten werden zu Briten, und bei der nächsten Erzählung sind es dann schon Engländer. Eine Zeitung in Brasilien „Grätsche nein“: Richard McBrearty schrieb zum Beispiel in ihrem Nachruf auf Archie McLean, den Urvater des Fußballs: „Er kam aus Paisley nahe London.“ Meine Güte, Paisley liegt bei Glasgow, über 400 Meilen von London entfernt! So entstehen Legenden. Wie die vom ältesten Fußballklub der Welt … … dem FC Sheffield von 1857. Eben nicht! Ich bin in Edinburgh auf den John Hope Football Club gestoßen. Der verfügt über ein glänzend geführtes Archiv, das bis ins Jahr 1824 zurückreicht. Eine sporthistorische Sensation. Und eine weitere fiese Grätsche gegen den südlichen Nachbarn. Eine Sensation ja, eine Grätsche nein. Eher schon ein ganz sauberes Tackling. Hart aber fair, typisch schottisch eben. RUND 21 rund1006_016_021_Feldsalat Abs1:21 07.09.2006 19:44:40 Uhr AM BALL Nationalmannschaft RUND 22 rund1006_022_034_TitLöw 22 07.09.2006 20:01:28 Uhr Die stille Revolution DIE NATIONALMANNSCHAFT IST IN DIE EM-QUALIFIKATION GESTARTET. NACH DEM CHARISMATISCHEN JÜRGEN KLINSMANN FÜHRT JETZT DER RUHIGERE JOACHIM LÖW DAS TEAM. DOCH DER HAT SEINE EIGENEN QUALITÄTEN: LÖW WILL DEN OFFENSIVEN STIL DER MANNSCHAFT NICHT VERÄNDERN, ABER VERFEINERN. WAS SEIN FREUND UND VORGÄNGER BISWEILEN MIT ALLER GEWALT ANSCHOB, MÖCHTE LÖW IN EINE LEISE, PERMANENTE REVOLUTION ÜBERFÜHREN VON SVEN BREMER, MALTE OBERSCHELP, ROGER REPPLINGER UND RAINER SCHÄFER FOTOS MAREIKE FOECKING, SEBASTIAN VOLLMERT, NORBERT RZEPKA, IMAGO, WITTERS, FIRO, ACTION PRESS RUND 23 rund1006_022_034_TitLöw 23 07.09.2006 20:01:38 Uhr AM BALL Nationalmannschaft Der für die Spieler des VfB Stuttgart reservierte Parkplatz ist dicht. Alle Laufwege zugestellt – viele Pferdestärken auf engstem Raum. Hinter der Absperrung warten ein paar Dutzend Fans und skandieren: „Wir woll’n den Timo sehen!“ Der Wortführer brüllt: „Gebt mir ein T, gebt mir ein I, gebt mir ein M, gebt mir ein O.“ Und dann entlädt sich ein „TIIIMOOO“ übers Trainingsgelände des VfB Stuttgart am Gottlieb-Daimler-Stadion. Hildebrand kann ziemlich ungemütlich werden, wenn er merkt, dass eine Mannschaft nicht genug aus ihren Möglichkeiten macht. Am VfB hängt er, weshalb er auch eine Anfrage von Manchester United ablehnte – auch wenn ihm in Stuttgart manches zu langsam geht. Wäre es nach Ex-VfB-Trainer Giovanni Trapattoni gegangen, wäre der Torhüter in der verWENN MANCHER DIE NASE RÜMPFT, DASS BEI TIMO gangenen Saison wegen MajestätsbeleiHILDEBRANDS PRIVATTRAINING AUCH TANZELEMENTE digung entlassen worden. Trapattoni war die Majestät und Hildebrand hatte es geZUM EINSATZ KOMMEN, LÄSST IHN DAS KALT wagt, dessen lasche Trainingsarbeit und Da kommt der, nach dem sie sich sehnen: Bartstoppeln im Gesicht, häufige Abwesenheit öffentlich zu kritisieren. die Haare wirr. Kaum ist er aufgetaucht, wird er von der MenschenmenAuch während der WM zog Hildebrand – nach Absprache mit dem ge verschluckt. „Bei mir war es schon immer extrem“, erzählt Hilde- DFB-Trainerteam – sein Privattraining durch. Wenn mancher die Nabrand, als er ein paar Minuten später in seinem Smart sitzt, „aber seit se darüber rümpft, dass bei Hildebrands aus den USA stammender der WM ist es völlig verrückt. Dabei habe ich als dritter Torwart doch Gyrotonic-Methode auch Tanzelemente zum Einsatz kommen, dann nichts getan für den Erfolg der deutschen Mannschaft.“ Hildebrand lässt das den 27-Jährigen kalt. „Wir müssen in Deutschland dahin komist nach Oliver Kahns Rücktritt die Nummer zwei im Tor der Natio- men, neue Dinge zu akzeptieren. Wir dürfen uns nicht gleich angenalelf. Auch er hat einen Anteil an der harmonischen und kollegialen griffen fühlen, wenn einer sagt: Wir müssen weiterkommen in unAtmosphäre im WM-Team, die den dritten Platz erst möglicht mach- serer Entwicklung“, meint er. „Sonst laufen wir immer wieder hinter anderen Ländern her.“ Ein Leitsatz, der auch von Bundestrainer Joate. Er sieht dies nicht so, und das ehrt ihn. Hildebrand ist genau so, wie sich Joachim Löw seine Spieler wünscht: chim Löw stammen könnte, und den die Nationalmannschaft befolgt, leistungsbereit, mündig, kritisch, eigenverantwortlich, cool. Ein Mus- seit Jürgen Klinsmann im Juli 2004 damit begann, den Deutschen Fußterprofi der Ära Klinsmann/Löw. Er arbeitet seit Jahren mehrmals in ballbund mit revolutionären Ideen umzukrempeln. der Woche mit einer Privattrainerin an der Verbesserung seiner Beweglichkeit. Als Ergänzung und Ausgleich zum Training beim VfB. Und zwar auf eigene Rechnung. Klose Podolski Schweinsteiger Schneider Ballack Frings Lahm Mertesacker Metzelder Friedrich Lehmann FLACHE VIER: DIE WM-ELF BEI GEGNERISCHEM BALLBESITZ Ballack und Frings als Doppelsechs nebeneinander im defensiven Mittelfeld, Schweinsteiger und Schneider auf den Flügeln. Bei Angriffen des Gegners zogen sich Schweinsteiger und Schneider zurück, das deutsche Mittelfeld agierte auf einer Linie: die flache Vier. Bei gegnerischer Überzahl gingen Frings und/oder Ballack bis in die Abwehr. Vor dem Spiel gegen Schweden: Die Euphorie der Fans geht weiter RUND 24 rund1006_022_034_TitLöw 24 07.09.2006 20:01:45 Uhr AM BALL Nationalmannschaft Weltpremiere: Joachim Löw hört die Nationalhymne erstmals als Cheftrainer RUND 25 rund1006_022_034_TitLöw 25 07.09.2006 20:01:47 Uhr AM BALL Nationalmannschaft Aufstehen für Deutschland: Joachim Löw beim Testspiel gegen Schweden RUND 26 rund1006_022_034_TitLöw 26 07.09.2006 20:01:53 Uhr AM BALL Nationalmannschaft DIE RAUTE: DIE WM-ELF BEI EIGENEM BALLBESITZ Allmählich greifen die Veränderungen: Wurden die Methoden der amerikanischen Fitnessspezialisten um Mark Verstegen anfangs als „Gummitwist“ verulkt, so setzt sich inzwischen die Erkenntnis durch, Klose Podolski Ballack dass man im Fußball, wenn man erfolgreich sein will, nicht mehr einfach so weiterarbeiten kann wie bislang. Auch unter den Spielern wurSchweinsteiger Schneider den die Skeptiker überzeugt. Tim Borowski war einer: „Na ja, als ich am Anfang die Gummibänder gesehen habe und im Entengang losgeFrings watschelt bin, habe ich auch gedacht: Bin ich hier richtig?“ Doch dann hat der Mittelfeldspieler von Werder Bremen gemerkt: „Je mehr man sich dafür öffnet und neugierig wird, was alles möglich ist, desto positiver wirkt sich das auf die eigene Physis aus.“ Inzwischen steht BoLahm Mertesacker rowski voll dahinter: „Die Übungen wurden immer wieder kombiniert Metzelder Friedrich mit Einheiten, die die Spritzigkeit und die Schnelligkeit trainieren. Das war schon eine sehr runde Sache.“ Lehmann Selbst Dauerreservisten waren beigeistert, weil sie spürten, dass sie sich durch das Training verbesserten. „Diese acht Wochen bei der NaHatte die deutsche Mannschaft den Ball, veränderte sich tionalmannschaft waren etwas ganz besonderes“, sagt Hildebrand, die Grundformation: Die Doppelsechs wurde zur Raute: Frings hielt die Position der Sechs, während Ballack hinter „dort wurde nach einem ganz anderer Trainingsansatz gearbeitet als die Spitzen Podolski und Klose rückte. Schweinsteiger und bei den meisten Bundesligaklubs.“ Während in den Klubs oft in GrupSchneider auf den Flügeln konnten ihre Seiten ebenso wechseln wie die Stürmer. In einigen Situationen stieß pen nach demselben Schema trainiert wird, stehen bei der NationalBallack bis in die Spitze vor. mannschaft Spezialisten zur Verfügung, die sich gezielt um die Schwächen jedes einzelnen Spielers kümmern und sofort korrigierend eingreifen, wenn Übungen SELBST DIE DAUERRESERVISTEN WAREN BEI DER WM einmal nicht optimal ausgeführt werden. Vier BEGEISTERT, WEIL SIE SPÜRTEN, DASS SIE SICH DURCH Fitnesstrainer brachten die Spieler in einen ausgezeichneten körperlichen Zustand. „Das DIE NEUEN TRAININGSMETHODEN VERBESSERTEN System von Mark Verstegen ist so auf Power und Explosivität ausgerichtet, da hat man richtig gemerkt, dass es einen weiterbringt. Dass man dadurch täglich besser und stärker wird“, schwärmt Hildebrand. Auch was die wissenschaftliche Begleitung des Trainings anbelangt, ist die Nationalmannschaft inzwischen auf dem neuesten Stand. Die Spieler werden leistungsdiagnostisch untersucht, es werden möglichst viele Körperdaten gesammelt, um durch deren Analyse immer bessere Leistungen zu ermöglichen. Was bei den meisten Bundesligisten unüblich ist, bei einem Klub wie dem AC Mailand ist es Standard. Milanello, das Trainingslager des AC, ist auch ein Forschungszentrum für Bioanalytik. Mit Forschung und Technik wird versucht, das Optimum aus den Spielern herauszuholen. Anhand der im „Milan Lab“ gespeicherten Daten kann die Leistung optimiert, die Regenerationsfähigkeit der Spieler verbessert und ihre Verletzungsanfälligkeit reduziert werden. Die verbesserte Fitness der deutschen WM-Elf wirkte sich aufs Spiel aus. „Ich finde, dass der Fußball, den wir bei der WM gespielt haben, viel frischer war als noch ein paar Jahre zuvor, beispielsweise bei der Euro 2004“, meint Borowski. „2006 war das Fußball in Bewegung, kein Stück statisch. Es gab außerdem eine hohe Laufkultur. Das war bei der EM 2004 auch noch nicht gegeben.“ „Power und Explosivität“: Ersatztorhüter Timo Hildebrand In früheren Jahren und auch wieder bei der EM 2004 in Portugal unter Rudi Völler als Teamchef, hatten Zusammenkünfte der Nationalmannschaft gern mal den Charakter von Betriebsausflügen. Ein RUND 27 rund1006_022_034_TitLöw 27 07.09.2006 20:02:00 Uhr AM BALL Nationalmannschaft GALT DIE NATIONALELF VOR DER WM ALS ZWEITE WAHL, WIRD SIE NUN WIEDER ZU DEN BESTEN DER WELT HOCHGEJUBELT. JOACHIM LÖW GEHT DAS ZU SCHNELL Neue Gesichter: Malik Fathi (zweiter von links), Manuel Friedrich (ganz rechts) LAKTATWERTE UND LEISTUNGSTESTS: WIE JOACHIM LÖW SEINE NATIONALSPIELER FIT MACHT Wie sich die Haltung bei der deutschen Nationalmannschaft verändert hat, ließ sich sehr gut bei der Weltmeisterschaft beobachten. Allerdings nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben. Während die erste Elf Argentinien die Stirn bot, machten sich die Ersatzspieler hinter dem Tor von Jens Lehmann warm. Was häufig aussieht wie eine lästige Pflicht – ein wenig laufen, ein paar Trippelschritte nach links und rechts, dazwischen leichtes Dehnen der Oberschenkel – war auf einmal eine ernsthafte Angelegenheit: Gewissenhaft zogen die Kicker ihr Übungsprogramm durch, angeleitet von einem Fitnesscoach. Der Erfolg war deutlich zu sehen. Die eingewechselten Spieler kamen hellwach auf den Platz, mussten nicht erst ins Spiel finden, waren sofort präsent und eine Hilfe. Exemplarisch dafür war das Spiel gegen Polen, als David Odonkor und Oliver Neuville für die Entscheidung sorgten. Im Bereich Fitness hat sich unter Jürgen Klinsmann eine Menge getan, und alle altgedienter Nationalspieler, der nicht genannt werden will, sagt: „Man kam eben zusammen, trainierte ein wenig und spielte dann. Einen genauen Plan und ein systematisches Arbeiten und Trainieren wie später unter Jürgen Klinsmann gab es damals nicht.“ Die bessere Fitness zeigte sich daran, dass die WM-Spieler in der zweiten Halbzeit mehr liefen als in der ersten. Das lag nicht nur am Training. sondern auch an den Motivationskünsten Klinsmanns. Timo Hildebrand: „Das hat noch kein Spieler so erlebt wie wir. So wie Klinsmann die Ansprachen in der Halbzeitpause gemacht hat, was er emotional vermittelt hat, das war schon einmalig.“ Nun kommt als neuer Bundestrainer Joachim Löw mit Assistent Hans Flick, der auch kein Scharfmacher ist. Unproblematisch, sagt Borowski: „Joachim Löws Standing ist hervorragend. Er wird von allen Spielern absolut akzeptiert und anerkannt. Er ist schon ruhiger als Jürgen Klinsmann. Vielleicht etwas dezenter in seiner Ansprache. Aber punktuell setzt er auch Stiche, um uns zu motivieren.“ War die Mannschaft vor der WM von einigen Beobachtern als zweitklassig eingestuft worden, wird sie nun schon wieder zu den Besten der Welt hoch gejazzt. Löw geht das zu schnell: „Es hat eine sehr gute Entwicklung stattgefunden, aber wir haben nur eine Basis geschaffen für die nächsten Jahre. Zufriedenheit wäre schlecht. Wenn man jetzt nicht die Erkenntnisse aus der WM zieht und versucht, daraus Verbesserungen zu erzielen, wäre das Stagnation. Wir müssen neue Ideen, neue Impulse einbringen.“ Die Revolution ist nicht vorbei, sie wird permanent. Klinsmann forcierte mit seiner kompromisslosen Art die Umwälzungen im deutschen Fußball im Schnelldurchgang. Mit Löw setzt der zweite, der stille Zeichen sprechen dafür, dass Joachim Löw diesen Weg weitergeht. Dabei ist es nicht so, dass bei der Nationalelf das Rad neu erfunden wird. Was die Fitnesstrainer mitgebracht haben, waren Methoden und Trainingsgeräte, die in anderen Sportarten schon lange zum Einsatz kommen. Die Gummibänder waren nur deshalb ungewohnt, weil sie im Fußball nie Verwendung fanden. Doch gerade mit diesen ungewohnten Mitteln wurden zuletzt die entscheidenden Prozente aus den Spielern herausgekitzelt. Damit das so bleibt, wird konsequent so weitergearbeitet wie vor der WM. Denn die Europameisterschaft will auch akribisch vorbereitet sein. In regelmäßigen Abständen werden die Nationalspieler zum Leistungstest gebeten, um ihre individuellen Werte zu überprüfen. Per Laktattest, Herzfrequenzmessgerät, Beweglichkeitsprüfung oder Koordinationsübungen wird der Fortschritt vermessen, den sie in vorhergehenden Wochen gemacht haben. Alle Spieler müssen also auch in Zukunft ihre Hausaufgaben machen. Die Defizite jedes einzelnen werden genau bestimmt, um dann mit gezielten Übungen an ihnen zu arbeiten. Das sind zusätzliche Trainingseinheiten, die neben dem normalen Vereinstraining absolviert werden sollen. Und wehe dem, der bei den laufenden Prüfungen durchfällt. Auch Löw wird Spieler, bei denen er erkennt, dass sie nicht konsequent an ihren Schwächen gearbeitet haben, konsequent auf die Bank setzen. Hinter Jogi Löw muss allerdings ein Team von absoluten Spezialisten stehen, nicht nur im Bereich der allgemeinen konditionellen Förderung, sondern auch im psychologischen und pädagogischen Bereich, im Scouting, im technischen Bereich, in der Leistungssteuerung. Löw arbeitet weitgehend mit denselben Leuten zusammen, die auch schon unter Klinsmann tätig waren, möchte sein Team aber noch erweitern. Wenn ihm das gelingt, hat er den ersten Schritt zur Europameisterschaft getan. EBERHARD SPOHD RUND 28 rund1006_022_034_TitLöw 28 11.09.2006 9:07:55 Uhr AM BALL Nationalmannschaft „Hervorragendes Standing“: Auch die Fans unterstützen den neuen Bundestrainer RUND 30 rund1006_022_034_TitLöw Abs1:30 07.09.2006 20:14:44 Uhr AM BALL Nationalmannschaft DIE VARIANTE: NUR EINE SPITZE Im 4-2-3-1 könnten Borowski und Frings als Doppelsechs spielen, Schweinsteiger und Schneider wie gehabt und Ballack in der Rolle von Totti oder Zidane hinter der einen Spitze. Es ist auch eine defensivere Variante denkbar mit drei Sechsern: Kehl, Borowski und Frings, davor nebeneinander Ballack und Schneider, vorne ein Stürmer: das 4-3-2-1. Kießling/Klose/Kuranyi Ballack Schweinsteiger Schneider Borowski Frings Teil der Revolution ein, die den deutschen Fußball jetzt nachhaltig verändern soll. Gerade auch in der Trainingslehre sowie in der Trainer- und Nachwuchsausbildung. Lahm Mertesacker Während Klinsmann es verstand, das Team zu motivieren und bei Metzelder Friedrich den Nationalspielern im Ruf steht, ein emotionaler Hexer zu sein, hat sich Löw den Respekt durch seine fachliche Kompetenz erworben. „Er hat im Großen und Ganzen die Taktik vorgegeben und die Dinge im Lehmann Training wieder und wieder einstudiert“, sagt Sebastian Kehl von Borussia Dortmund. Sachlich, geduldig und ruhig vermittelt Löw dem Team die Grundzüge einer offensiven Spielphilosophie, die bei der WM schon gut funktionierte und in zwei Jahren bei der Europameis- und Löw Mittelfeld und Sturm und stärkten gleichzeitig die Mitte ihterschaft in Österreich und der Schweiz den Titel bringen soll. „Wir res Spiels. Das half den Innenverteidigern, die nun nicht mehr so viele waren bei der WM nah dran. Ich glaube daran, dass man vieles besser Abstürze hatten, weil Torsten Frings/Sebastian Kehl und Michael Balerreicht, wenn man eine Vision hat, eine Zielvorstellung, und die kann lack ihnen schon vor der Abwehr aushalfen. Mit diesem System ging nur lauten, das höchste Ziel anzustreben“, sagt Löw. es der Mannschaft gut. Es ließ genügend Raum für „Variabilität, eine An der Taktik will er dabei nicht viel ändern. Löw setzt weiterhin Flexibilität, die von uns immer geplant gewesen ist. Das ist dann auch auf 4-4-2, er ist der Meinung, „dass zwei Stürmer von großer Wichtig- immer besser umgesetzt worden“, so Löw. keit sind, wenn man offensiv nach vorne spielen möchte“. Und das soll Er ist mit dem, was die Mannschaft bei der WM gespielt hat, zufrieso bleiben, obwohl sich bei der Fußball-WM die Großen auf ein ande- den. Auch die Spieler sind es: „Ich denke, dass wir gezeigt haben“, sagt res System geeinigt haben: 4-2-3-1. Fünf Spieler im Mittelfeld, davon Borowski, „dass wir mithalten können mit den großen Mannschaften.“ zwei Sechser, drei offensiv, und ein einsames Kerlchen im Sturm. So Doch das ist nur ein Zwischenergebnis. „Jetzt muss es weitergehen“, haben drei der vier Halbfinalisten gespielt: Italien, Frankreich, Portugal. WÄHREND KLINSMANN BEI DEN SPIELERN DEN RUF HAT, Italien hatte im gewonnenen Halbfinale gegen Deutschland ein ständiges EIN EMOTIONALER HEXER ZU SEIN, GENIESST JOGI LÖW Übergewicht im Mittelfeld. Das erzeugt, RESPEKT DURCH SEINE FACHLICHE KOMPETENZ darauf hat Trainer Marcello Lippi hingewiesen, ein komfortables, sicheres, warmes Gefühl im Team. Das Spielfeld ist optimal abgedeckt. Die deutschen Spieler hatten keinen Raum, die Laufwege waren zugestellt, ständig sahen sich die schwarzrot-goldenen Mittelfeldspieler einer Übermacht gegenüber, immer war einer im schnittigen blauen Hemd frei. Diese Überlegenheit hat ihren Preis: Luca Toni, der einzige Stürmer, zahlte ihn. Er war nicht mehr auf dem Platz, als Lippi einen Stürmer nach dem anderen einwechselte und in der Verlängerung innerhalb weniger Minuten das Spiel seiner Mannschaft offensiv upgradete wie ein Computerprogramm. Darauf hatte im deutschen Lager – nach den 120 harten Minuten gegen Argentinien – niemand eine Antwort. Ein 4-2-3-1, wie es die Italiener spielen, muss nicht defensiv sein. „Das kommt darauf an, wie man das 4-2-3-1 interpretiert, wie die Mittelfeldspieler in die Spitze stoßen, wie verschieden die vier Spieler in der Offensive sind“, sagt Löw. Er kann sich Situationen vorstellen, in denen auch er zum 4-2-3-1 greift: „Wenn man eine Wenn-dann-Strategie hat und während des Spiels umstellt, um damit den Gegner zu überraschen.“ Ein 4-2-3-1 bietet, so Löw, „die Möglichkeit, über Konter zu kommen, weil man die Breite des Spielfelds etwas besser abdeckt“. Auch die deutsche Mannschaft spielte während der WM mit einer „Doppelsechs“, die sich allerdings bei Ballbesitz in eine Raute verwandelte, indem sich einer der defensiven Mittelfeldspieler als zusätzliche „Bin ich hier richtig?“: Mittelfeldspieler Anspielstation hinter die Spitzen schob. Damit verbanden Klinsmann Tim Borowski RUND 31 rund1006_022_034_TitLöw Abs1:31 07.09.2006 20:14:52 Uhr AM BALL Nationalmannschaft Die Umstellungen in der Abwehr waren verletzungsbedingt: Mit Metzelder, Mertesacker, Huth und Nowotny fehlten die vier WMInnenverteidiger, deshalb rückt Arne Friedrich in die Innenverteidigung, Lahm vom linken auf den rechten Verteidigerposten, Jansen verteidigt links. Grundformation wie bei der WM: 4-4-2. Zweiter Innenverteidiger: Manuel Friedrich. Harmonisch und kollegial: Ergänzungsspieler beim Aufwärmen Podolski Klose Schweinsteiger Schneider Ballack Frings Jansen A. Friedrich M. Friedrich Lahm Lehmann DIE NOTELF: ZU BEGINN DER EM-QUALIFIKATION sagt Löw. Auch die Spieler selbst wollen mehr. Sebastian Kehl sagt: „Ich denke schon, dass wir in fast allen Bereichen noch verbesserungsfähig sind und dazulernen können. Zur Weltklasse fehlen uns mit Sicherheit noch ein paar kleinere Details.“ Alles kann noch besser werden: „Den ersten Ball nach vorne spielen, das war phasenweise schon gut. Aber nicht immer“, sagt Löw. Da sieht Borowski die Bremer Nationalspieler im Vorteil, „weil wir mit einer ähnlichen Philosophie schon länger im Verein spielen. Wenige Kontakte, schnelles und direktes Passspiel. Joachim Löw wird diese Philosophie in der Nationalmannschaft auf jeden Fall fortsetzen, was ich sehr gut finde. Er hat sie unter Jürgen Klinsmann in der Vergangenheit ja auch schon stark vertreten, und er wird diesen Weg weitergehen. Jetzt müssen wir weiter an der Feineinstellung arbeiten.“ RUND 32 rund1006_022_034_TitLöw Abs1:32 08.09.2006 13:03:53 Uhr AM BALL Nationalmannschaft Sebastian Kehl hat die Hoffnung, dass „wir in nächster Zeit reifen werden, zusammenwachsen. Jeder wird die Taktik verinnerlichen, dann werden wir vielleicht noch kompakter, noch besser, noch überzeugter auftreten und können dann den Offensivgeist auch gegen starke Gegner besser einbringen.“ DAS SCHWIERIGE AN LÖWS JOB HAT ROTE HAARE, SOMMERSPROSSEN UND HÖRT AUF DEN NAMEN MATTHIAS SAMMER: DER DFB-SPORTDIREKTOR Alle lernen, auch der Bundestrainer. Er hat bei der WM erkannt, dass „effiziente Offensive und Kreativität sich nur auf der Basis einer guten Ordnung, eines guten Systems, realisieren lassen“. An dessen Perfektionierung will Löw arbeiten. „Die Standardsituationen sind absolut verbesserungsfähig“, weiß Löw. Weiter nennt er Eins-gegen-eins-Situationen in Offensive und Defensive, Pressing und das Zweikampfverhalten. „Balleroberung ohne Foul zu spielen sollte besser werden, individuell und was die Mannschaft anbetrifft.“ Das muss er dem Team einprogrammieren. Allerdings wäre der Fußball nicht das, was er ist, wenn er nicht auch genau das Gegenteil von leicht zu programmieren wäre. Das Schwierige an Löws Job hat rote Haare, Sommersprossen, hört auf den Namen Matthias Sammer und wurde von den Besitzstandswahrern des deutschen Fußballs und deren Verbündeten auf den Job des Sportdirektors gehievt. Wie wichtig der bei Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart gescheiterte Trainer für die Entscheidung Klinsmanns war, seinen Vertrag mit dem DFB nicht zu verlängern, ist noch zu klären. Klinsmann, Löw und Bierhoff hatten für den Job des Sportdirektors eine genaue Stellenbeschreibung formuliert und HockeyBundestrainer Bernhard Peters vorgeschlagen. Daraufhin wurde ein kleiner publizistischer Wind entfacht, und schon stach das prächtige Argument, einer aus dem Fußball müsse diesen Job bekleiden. TALENTSCHMIEDE BUNDESLIGA: SECHS JUNGE SPIELER AUS JOACHIM LÖWS NOTIZBUCH Die deutsche WM-Elf hatte einen untypisch jungen Altersdurchschnitt, viele Spieler haben ihre Zukunft noch vor sich. Aber die verbesserte Nachwuchsarbeit der Klubs bringt weiter talentiert junge Spieler hervor, die an die Tür der Nationalmannschaft klopfen. RUND stellt sechs der jungen Hoffnungsträger vor SIMON ROLFES Spielt er weiter auf diesem Niveau, wird Rolfes auch im deutschen Mittelfeld schon bald zur neuen Geheimwaffe avancieren. Der 24-jährige Leverkusener zählt zu den modernsten defensiven Mittelfeldspielern der Liga, besitzt enorme Qualitäten im schnellen Aufbauspiel wie auch im Torabschluss. Nicht bloß angesichts der Verletzungsanfälligkeit von Kehl und Ballack eine echte Alternative für Löw. Auch denkbar, dass der Linksfuß im linken Mittelfeld eingesetzt wird. Seine Vielseitigkeit und die Leistungsexplosion der letzten eineinhalb Jahre spricht für ihn. Im defensiven Mittelfeld von Bayer Leverkusen ist er neben Carsten Ramelow längst Stammspieler. EUGEN POLANSKI Nach Miroslav Klose, Lukas Podolski und Lukas Sinkiewicz könnte er der vierte polnischstämmige Nationalspieler werden: Eugen Polanski, geboren in Sosnowiec. Mit zwei Jahren kam er mit seinen Eltern nach Deutschland, spielt seit 1994 bei Borussia Mönchengladbach und schaffte vergangene Saison mit 21 Einsätzen den Durchbruch im defensiven Mittelfeld. Polanski ist beidfüßig und hat sowohl in der Raute als in der Doppelsechs Erfahrung. Trainer Jupp Heynckes hält große Stücke auf den 20-Jährigen, den seine Trikotnummer geradezu für den Job vor der Abwehr prädestiniert: Er trägt die sechs. STEFAN KIESSLING Stefan Kießling kann nicht allzu viel. Zumindest behauptet das Stefan Kießling: „Wo ich Schwächen habe? Fast in jeder Hinsicht.“ Solche Aussagen sprechen weniger für eine falsche Bescheidenheit als für seinen enormen Ehrgeiz und die Bereitschaft, dazuzulernen. Legt man Löws Spielverständnis zugrunde, spricht einiges für den Leverkusener Stürmer, der sich immer wieder geschickt zurückfallen lässt und auch als einzige Spitze spielen kann: Ausgeprägtes Spielverständnis, gute Übersicht und das Selbstverständnis als Teamplayer, der den Ball konsequent zum besser postierten Mitspieler spielt. Es sei denn, er steht besser. Dann darf meist gejubelt werden. GONZALO CASTRO HEIKO WESTERMANN PIOTR TROCHOWSKI Dass der Name Heiko Westermann bei vielen Fußballfans nur ein Achselzucken auslöst, liegt vor allem daran, dass der 23-Jährige trotz regelmäßiger Angebote den Gang auf die große Fußballbühne bislang scheute. Der Innenverteidiger von Arminia Bielefeld zählt zu den begabtesten Abwehrspielern der Liga: Enorm kopfballstark und schnell wird ihm auch ein Platz in der nationalen Viererkette zugetraut. Die halbe Bundesliga jedenfalls ist schon hinter Westermann her, dessen Vertrag in Bielefeld 2008 ausläuft. In Dortmund soll er schon vorher Christoph Metzelder ersetzen. Linksfüße hatten Jürgen Klinsmann und Joachim Löw bei der WM zu wenige im Kader, selbst Philipp Lahm ist nur ein angelernter Linker. Ein Mangel, den Löw auch mit dem beidfüßigen Piotr Trochowski beheben möchte, dem er schon mehrfach einen Platz in der Nationalelf in Aussicht stellte. Der 1,69 Meter kleine Mittelfeldspieler mit den guten technischen Fertigkeiten und einer famosen Schusstechnik könnte das Offensivspiel im deutschen Mittelfeld variabler gestalten. Zum Stammspieler avancierte der 22-Jährige allerdings weder in München noch beim HSV. Der 19-jährige Leverkusener Gonzalo Castro hat eigentlich spanische Wurzeln, entschied sich 2005 aber dafür, nur noch für DFB-Mannschaften aufzulaufen. U21-Coach Dieter Eilts freut’s. Er hat Castro bereits mehrfach eingesetzt, und auch in seinem Stammverein scheint der Spieler Fuß gefasst zu haben. In den ersten Saisonspielen lief er in der Bayer-Elf als Rechtsverteidiger auf und bestach durch sachliches, intelligentes Spiel. Castro kann auch im defensiven Mittelfeld auflaufen. Am ersten Spieltag schoss er sein erstes Bundesligator, weitere werden sicherlich folgen. RUND 33 rund1006_022_034_TitLöw Abs1:33 07.09.2006 20:14:58 Uhr AM BALL Nationalmannschaft DIE ZUKUNFT: SO KÖNNTE ES 2012 AUSSEHEN Im Tor steht Rensing, für die Positionen der Außenverteidiger gibt es Auswahl, innen sieht es nicht so gut aus: Madlung und Westermann. Wird 4-4-2 gespielt, dann mit Trochowski, Alexander Meier oder Rolfes, Ottl oder Polanski und Deisler oder Odonkor im Mittelfeld. Kießling und Gomez stürmen. Sie sind auch Kandidaten als Sturmspitze für ein 4-3-2-1. Sammer profitiert nun davon, dass das Trio den Job des Sportdirektors – im Vertrauen darauf, dass Peters es wird – mit vielen Kompetenzen ausstattete. Das erweist sich als Bumerang. Sammer verpflichtete die von Klinsmann und Löw ausrangierten Erich Rutemöller und Horst Hrubesch als Nachwuchstrainer und fällt durch Aussagen auf, die nicht zum Konzept von Löw passen. Doch während Klinsmann in diesem Fall wohl die Machtfrage gestellt hätte, ist Löw vorsichtiger. Ob er mit Sammer jemals vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, ist Kießling Gomez gleichwohl überaus fraglich. Ein zweites Problem ist das gespannte Verhältnis zwischen Liga und Nationalelf. Das Großereignis Heim-WM übertünchte viele Konflikte. Für das gute Abschneiden der Auswahlmannschaft fühlten sich die Deisler Odonkor Trochowski Vereine auch bei ungeliebten Terminen wie den Fitnesstests in der A. Meier Ottl Pflicht. Doch spätestens seit Nationalelfmanager Oliver Bierhoff die Rolfes Polanski Klubs während der WM aufforderte, „aus dem Dornröschenschlaf zu Fatih Chaled erwachen“ und die neuen Methoden zu übernehmen, ist ein offener Jansen Fritz Lahm Madlung Tasci Streit darüber ausgebrochen, wer wem wie viel verdankt und wer was Mertesacker Westermann von wem verlangen darf. „Da ist immer noch ein Zwiespalt zwischen Liga und Nationalelf“, weiß Timo Hildebrand, „generell sollten da alRensing le aufgeschlossener sein und mehr miteinander diskutieren, um noch weiter nach vorne zu kommen.“ Bisher wurde die Diskussion in der Öffentlichkeit geführt. Auch hier bringt Joachim Löw seinen eigenen Stil ein. „Meine Aufgabe ist es, die Kommunikation mit den Bundesligatrainern aufrechtzuerhalten, sie zu intensivieren“, sagt er. „Der Dialog ist wichtig.“ Doch was in anderen Ländern gang und gäbe ist, stößt in BEI DER TRAININGSMETHODIK GIBT ES IM DEUTSCHEN Deutschland auf Misstrauen. Als Löw vor dem ersten Länderspiel nach der WM von FUSSBALL KEINEN KONSENS. NICHT ALLE KLUBS LEISTEN seinen Spieler per Fragebogen wissen EINE INDIVIDUELLE, KONTINUIERLICHE AUFBAUARBEIT wollte, welches Pensum sie in den Vereinen geleistet hatten, um beim Nationalmannschaftstraining gezielt darauf aufbauen zu können, titelte die „Sport Bild“: „Jogi Löw spioniert Klubs aus.“ Dabei, betont der Bundestrainer, nützt der Austausch am Ende beiden Seiten etwas. „Wenn die individuelle Belastung im Verein bekannt ist, können wir darauf Rücksicht nehmen. Es geht nicht darum, die Heimtrainer zu kritisieren. Wir lernen ja auch von der Bundesliga.“ Ein solcher Austausch hat erst begonnen. In Sachen Trainingsmethodik gibt es im deutschen Fußball keinen Konsens. Noch immer gibt es Klubs, in denen keine kontinuierliche Aufbauarbeit geleistet wird. WM-Fahrer bestreiten nach drei Tagen Training Freundschaftsspiele gegen Kollegen, die schon zwei Wochen im Training stehen. Und Lukas Podolski kam nach der WM – im Vergleich etwa zum Bremer Stürmerkollegen Miroslav Klose – bei den Bayern auch deshalb nur schwer in die Gänge, weil er nicht nach einem individuellen Trainingsplan arbeitete. Podolski schaffte aus Fitnessgründen nicht den Sprung in die Stammelf, wenn der FC Bayern vor und nach Spieltagen dosiert oder gar nicht trainierte, konnte der Stürmer manchmal über mehrere Tage seine Defizite nicht abbauen. Bei der Nationalmannschaft kümmert sich Oliver Schmidtlein um die gezielte Trai„Noch überzeugter auftreten“: Mittelfeldspieler Sebastian Kehl ningssteuerung. Der ist gleichzeitig bei den Bayern angestellt. Doch die Methoden, die im Nationalteam erfolgreich eingesetzt werden, sind beim FC Bayern München offenbar nicht gefragt. RUND 34 rund1006_022_034_TitLöw Abs1:34 07.09.2006 20:15:08 Uhr rund1006_036_039_LagLiga 36 08.09.2006 14:17:08 Uhr AM BALL Lage der Liga ZITAT DES MONATS DIESER SPIELER FEHLT DIE WAHRHEIT AUF DEM PLATZ DER FEIND DES MONATS WAR SONST NOCH WAS? 1 2 3 4 5 FOTOS MAREIKE FÖCKING UND BENNE OCHS Wie geht es Ihrem Lieblingsklub, was ist los bei der Konkurrenz? Unsere Experten haben allen 18 BUNDESLIGISTEN auf die Füße geschaut und beantworten die Fragen, die die Fans bewegen DIE LAGE DER LIGA rund1006_036_039_LagLiga 37 08.09.2006 14:17:16 Uhr In der Allianz Arena wurde Besucher Nummer 500.000 gezählt – wohlgemerkt außerhalb der Spiele. Allein die Stadiontour zum Preis von acht Euro lockt. Stadionchef Alexander Pieper ärgert nur das Zigarrenbrandloch auf der Gästebank. Hauptverdächtiger ist Rudi Assauer. DETLEF DRESSLEIN 5 War sonst noch was? Paradoxerweise ist der Berater von Owen Hargreaves ein Angestellter des FC Bayern – der Pressestellenmitarbeiter Roman Grill. Er kündigte schon für die Winterpause neue Verhandlungen mit ManU an. Ob da Uli Hoeneß bald ein ernstes Wort am Kaffeeautomaten spricht? 4 Der Feind des Monats: 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Gegen Inter, Sporting Lissabon und Spartak Moskau will man nur irgendwie die Vorrunde der Champions League überstehen. Versucht’s mal mit Bescheidenheit. Ein Mittelfeld-Allrounder mit Defensivgelüsten. Dann könnte man Owen Hargreaves lässig verkaufen und die voluminöseste Ablöse der Vereinsgeschichte aufs Festgeldkonto buchen. Hatte man da nicht mal einen gewissen Frings im Kader? Eine 30 Millionen EuroOfferte auszuschlagen, dazu gehört Mumm. Denn um nur halb soviel wert zu sein, müsste sich der Brite schon noch etwas steigern. Tobias Levels, 19, sprintete kurz vor Ende der Partie gegen Bielefeld zur Bank und riss sich erwartungsfroh das gelbe Leibchen vom Körper. Um enttäuscht zu seinen Aufwärmkollegen zurückzutrotten: Cotrainer Uwe Speidel hatte den Reservisten nur die Anweisung des vierten Schiedsrichters überbracht, sich anderswo zu tummeln. BERND SCHNEIDERS 5 War sonst noch was? Beim mühevollen 1:0 gegen Bielefeld taten sich Gräben zwischen den Fans auf. Als wie bekannt und gefürchtet schon in Minute 20 die fehlende Geduld in kollektives Murren mündete, erfolgte die Kritik der diesmal pädagogisch gestimmten Nordkurve: „Scheiß Tribüne!“ 4 Der Feind des Monats: Mag ein Nationalheld wie Marcell Jansen noch so sehr umworben sein – auch der 20-Jährige fällt unter das heynckessche Lernprogramm. Verbesserungswürdig ist zum Beispiel das Stellungsspiel. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Heynckes ist noch immer auf der Suche nach dem zweiten Mann neben Oliver Neuville. Sonck ist fast immer verletzt, Delura, Rafael und Svěrkoš zu unbeständig; Kahê könnte profitieren, wenn er aufhört, die Stürmerposition zu stark als Mittelfeldspieler zu interpretieren. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Ich weiß noch genau, wie Klose bei Kaiserslauterns Amateuren gespielt hat. Heute ist er Weltklasse. Unsere Stürmer Svěrkoš, Delura und Rafael sind noch jung und müssen noch viel lernen. Sie können nicht innerhalb von zwei Wochen plötzlich spielen wie Drogba oder Schewtschenko.“ Jupp Heynckes wirbt um Geduld. 1 Zitat des Monats: „Chef wird man hier nicht durch Erzählen oder sonst was. Allein die Leistung auf dem Platz ist entscheidend.“ Eigentlich ist Hasan „Brazzo“ Salihamidzic weder Cheftrainer noch Lichtgestalt noch Manager – seine Grußnote an den lang ersehnten Regisseur Mark van Bommel hört sich allerdings so an. 2 Dieser Spieler fehlt: BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH BAYERN MÜNCHEN „Ljuboja macht den Maxe, hat alles im Griff und tanzt uns auf der Nase herum. Ich glaube ihm gar nichts mehr.“ Stuttgarts Trainer Armin Veh über den störrischen Stürmer Danijel Ljuboja, der nun beim HSV den Verdacht zerstreuen muss, dass er ein unheilbar egoistischer Abzocker ist. „Da muss endlich Konstanz rein.“ Andreas Müller zum ständigen Manko des königsblauen Teams. Denn die vom Schalker Manager ständig beschworene „große Qualität“ des Kaders scheint nach den Auftritten zum Bundesligastart tatsächlich real zu sein. Wenn jetzt noch die Konstanz … Aber das hatten wir ja schon. Alle Schalker Spieler wollen wieder mit der Presse reden. Dieses Detail ihres Berufs hatten einige Protagonisten in der Vorsaison doch sträflich vernachlässigt. Neukapitän Marcelo Bordon soll die Mannschaft zu diesem Schritt bewegt haben. JÖRG STROHSCHEIN 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Die Staatsanwaltschaft Essen. Die Behörde ermittelt strafrechtlich gegen gegen Exmanager Rudi Assauer, Finanzvorstand Josef Schnusenberg und Geschäftsführer Peter Peters. Es geht um einen möglichen Verstoß gegen die Bilanzvorschriften. Wenn möglich, soll bis Weihnachten alles klar sein. Er hat alles versucht: zusätzliches Technik-, Schuss- und Kopfballtraining. Doch Slomkas Spieler weigern sich offenbar standhaft auch nur die Hälfte ihrer üppigen Torchancen zu nutzen. Ansonsten sind wieder echte Spielfreude und schnelle Kombinationen erkennbar. Das tut gut nach der müden Vorsaison. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: 2 Dieser Spieler fehlt: Zurzeit keiner. Nahezu sämtliche Positionen sind doppelt und für die Bundesliga qualitativ hochwertig besetzt. Trainer Slomka hat die Qual der Wahl – Konkurrenzkampf tut speziell dieser Mannschaft gut. 1 Zitat des Monats: 1 Zitat des Monats: Der VfB darf laut Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vorläufig weiter für Bwin werben. Der geschätzte Sponsorbeitrag des umstrittenen Sportwettenanbieters liegt bei rund 800.000 Euro. ELKE RUTSCHMANN 5 War sonst noch was? Die Stadt und die Leichtathletik. Diese Allianz verhindert bislang ein reines Fußballstadion, mehr Enge, mehr Emotionen und damit vielleicht auch besseren Fußball im gepeinigten Stuttgart. 4 Der Feind des Monats: Das Duo Veh/Heldt fordert ständig Fristverlängerung. Doch noch fehlt dem Flickwerk die passende Struktur, und auch beim VfB braucht man langsam Ergebnisse, die den öffentlichen Druck ventilieren: Nur so erhält man die Zeit für die geplanten Reformen. Die sind jedenfalls dringend nötig. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Vielleicht keiner mehr für links hinten. Nachdem Thomas Hitzlsperger und der nach Rom transferierte Ludovic Magnin gehobenen Bundesligaansprüchen nicht genügten, holte man Arthur Boka aus Straßburg, einen Nationalspieler der Elfenbeinküste. Hilfe naht auch aus Stuttgarts Jugendbande. Serdar Tasci, 19, zeigte gegen Dortmund auf der rechten Abwehrseite eine ansprechende Leistung. 2 Dieser Spieler fehlt: VFB STUTTGART FC SCHALKE 04 RUND 37 Die Mitgliederversammlung, bei der die Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert wurde, war bestes Provinztheater. Überschrift der „taz NRW“: „Hip Hip Hurra GmbH“. BERND MÜLLENDER 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Gleich zwei: Der eine kommt aus der neidischen Zweitligastadt Köln, wo der „Stadt-Anzeiger“ die TivoliLobpreisungen als „SozialkitschKäse“ verhöhnte: „Aachen nervt.“ Der andere Streit im Klubinneren: Vorstand Marcel Creutz, kaum ein halbes Jahr dabei, schmiss Ende August die Brocken hin. Scheint gar nicht so wichtig. Alemannia gibt sich als unbekümmerter und fröhlicher Gast der Liga, um dann auch mal eiskalt zuzuschlagen. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Trotz Hannover ein Angreifer, der den Namen verdient. Schlaudraff kommt mit Turbo aus dem Mittelfeld, ist aber nur mäßig torgefährlich. Marius Ebbers ist (bislang) mit der Liga überfordert, über seinen Ersatz Vedad Ibišević aus Bosnien verbietet Höflichkeit jeden Kommentar. Neu kam Ende August Szilárd Németh, slowakischer Rekordtorschütze mit beachtlichen 24 Toren in 58 Länderspielen. Das Beste an seinem Transfer: Ailton, heiß gehandelt, kam nicht. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Historisch!“ Nach dem 3:0-Knaller in Hannover war es schwer, jemanden in Aachen zu finden, der diese Vokabel nicht benutzte. Erst recht gilt es am Tivoli als historisch, dass man weniger als zwei Wochen nach dem Sieg seinen Chefcoach Dieter Hecking ausgerechnet zum geschlagenen Gegner Hannover 96 abgeben muss. ALEMANNIA AACHEN Der Klub hat jetzt auch ein neues Logo samt Slogan. „96 – Die Roten“ steht drauf und erinnert auch optisch ein wenig an selige Zeiten des Klassenkampfs. Das ist längst nicht so schlimm wie der Zusatz: „Hannover 96 – So ist Fußball“. Da bleibt eigentlich nur der fromme Wunsch: hoffentlich nicht. JÖRG MARWEDEL 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Peter Neururer. Früher hatte Hannovers „Bild“-Sportchef ein Abonnement auf diesen Titel, denn er diktierte über Jahre die chaotische Vereinspolitik. Der Trainer Neururer war in kürzester Zeit erfolgreicher: Er brauchte nur zehn Monate, um 96 ins erneute Chaos zu stürzen. Hannover wird noch lange darunter leiden. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Unter dem Trainer Ralf Rangnick spielte 96 offensiven Abenteuerfußball mit vielen Toren vorn und hinten, unter dem Nachfolger Ewald Lienen Betonfußball mit wenig Toren vorn und hinten und unter dem Trainer Peter Neururer abenteuerlichen Fußball mit wenig Toren vorn und vielen hinten. Hecking, dem vierten Coach in drei Jahren, bleibt also nur noch eine Variante: Abenteuer-Betonfußball mit vielen Toren vorn und wenigen hinten. Wenn’s weiter nichts ist. Wo um Himmels willen soll man da nur anfangen. Und wo aufhören? 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Im Herzen ist Hecking ein Roter.“ 96-Präsident Martin Kind begründet emotional, warum mit Dieter Hecking ausgerechnet der beliebte Trainer des Liga- und Abstiegskampfkonkurrenten Alemannia Aachen verpflichtet wurde. HANNOVER 96 rund1006_036_039_LagLiga 38 08.09.2006 14:17:19 Uhr „Enter Sandman“ von Metallica hat sich als neue Einlaufmusik in der mannschaftsinternen Abstimmung durchgesetzt. Der Besungene soll dem Publikum womöglich auch als Schutzheiliger bei schlimm ermüdenden Heimspielen dienen. ULI HARTMANN 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: In zuverlässiger gegenseitiger Interaktion: Thomas von Heesen und Reinhard Saftig. Im Vergleich mit den beiden sind Katz und Maus ein harmonisches Duo. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Bielefeld probiert in Ermangelung angriffstaktischer Variationsmöglichkeiten vor allem auswärts gern eine doppelkettige Verteidigungsstrategie, die dem Cheruskerfürsten und Klubpatron Arminius zwar zur Ehre gereicht hätte – aber ganz sicher nicht zu jenem historischen Gewinn der Varusschlacht im Jahr neun nach Christus. Abdelaziz Ahanfouf, Fatmir Vata und Sibusiso Zuma in der Genesungsphase nach langwierigen Verletzungspausen; Artur Wichniarek, weil er offensichtlich nie mehr so gut wird, wie er mal war; und Isaac Boakye, weil er nach Wolfsburg gewechselt ist. Also der komplette Sturm. Eine Glückssträhne sieht definitiv anders aus. Eigentlich dachte man ja, die Geschichte um Reiner Calmunds halbseidenen Umgang mit Geld habe sich erledigt. Jetzt läuft das Verfahren doch weiter, und alle Freunde der Bundesligadunkelwelt können auf weitere Details über die verborgene Seite des Fußballalltags hoffen. DANIEL THEWELEIT 5 War sonst noch was? Fußballer werden schon mal als leblose Ware betrachtet. Werner Wenning, der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG aber, sieht den Rest der Menschheit offenbar auch so. „Warum muss denn jeder ‚vollkaskoversichert‘ sein? Warum kann man sich nicht so versichern, wie es beim Auto üblich ist?“, entgegnete er in einem Interview des „Kölner Stadt-Anzeigers“ auf die Frage „Ist das Krankenkassensystem noch zeitgemäß?“ 4 Der Feind des Monats: Wie so oft sieht der sommerliche Fußball der Leverkusener äußerst hübsch aus. Was bislang fehlt, ist einzig die Dynamik des Erfolgs. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Sie haben Kiessling und Barbarez, aber ein bisschen vermissen sie doch die Kaltschnäuzigkeit von Dimitar Berbatow. Nach drei Spieltagen waren die Neuen noch torlos. 2 Dieser Spieler fehlt: Miroslav Karhan, Kapitän der slowakischen Nationalmannschaft, hält jetzt den klubinternen Rekord für Bundesligaeinsätze. Bisheriger Rekordhalter war Exkeeper Claus Reitmaier (163). PETER UNFRIED 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Das gegnerische Tor. Mike Hanke hat sich inzwischen zu Übungszwecken zu Hause ein Tor in den Garten gestellt. Erfolge wurden ebenso wenig bekannt wie Klagen genervter Nachbarn. Die Organisation der Defensive scheint zu funktionieren, die Innenverteidigung mit Kapitän Kevin Hofland und Neuzugang Madlung auch. Davor räumt Tom van der Leegte ab. Der Niederländer dürfte der Spieler in der Liga sein, der die wenigste Zeit im Spiel eine gelbe Karte fürchten muss – weil er sie meist schon gesehen hat. Hat er den Ball am Fuß, beginnt das Optimierungspotenzial im VfL-Spiel. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: 2 Dieser Spieler fehlt: Es wäre Populismus zu sagen: Miroslav Klose. Andererseits wäre es spannend zu sehen, was ein Ausnahmetoremacher unter schwierigen Produktionsbedingungen leisten kann. Helfen wird aber bereits ein solider Toregarant wie Diego Fernando Klimowicz in Form. „Ich habe aus meiner Berliner Zeit gelernt.“ Alexander Madlung, neuerdings im DFB-Team, zeigt sich reumütig über seine Vergangenheit als Berliner Rekordhalter im Strafzettelkassieren (die meistverbreitete Zahl ist: 300). Früher war sein Motto: „Es ist manchmal billiger, die Strafe zu bezahlen, als die Parkgebühren.“ „Vielleicht war ja nicht alles falsch, was wir gemacht haben“, sagte Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, als seine Mannschaft in den Kreis der Meisterschaftskandidaten erhoben wurde. Vor einem Jahr hatte er Bayer noch selbst zu den Titelaspiranten gezählt, ehe er den Trainer entlassen musste. Auf die Idee, die Erwartungen zu dämpfen, kommt er wieder nicht. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: 1 Zitat des Monats: 1 Zitat des Monats: „Ich habe keinen gültigen Spielerpass mehr, ich kann leider auch nicht helfen.“ Trainer Thomas von Heesen beklagt mangelnde Alternativen im Angriff und genießt es wiederholt und demonstrativ, dem Sportdirektor Reinhard Saftig den Schwarzen Peter für die verunglückte Einkaufspolitik des Klubs zuzuschieben. VFL WOLFSBURG BAYER 04 LEVERKUSEN ARMINIA BIELEFELD AM BALL Kaum hatte der HSV den Saisonstart verpatzt, wurde Kritik an Vorstand Bernd Hoffmann aus dem Aufsichtsrat laut. Ein paar Tage später erreichte der HSV die Champions League, und alle waren mit Hoffmann zufrieden. Diese Räte sind peinlich. FRANK HEIKE 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Der Norddeutsche Rundfunk, Abteilung Fernsehen. Die Kollegen schnitten vor dem Osasuna-Spiel einen markigen Beitrag zusammen, Tenor: der HSV, fast pleite und sportlich am Ende. Sportchef Beiersdorfer faltete den Moderator vor laufender Kamera für das Machwerk zusammen. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Rafael van der Vaart fällt verletzungsbedingt aus. Selbst wenn er in der Rolle als Kapitän, Gestalter, Antreiber und Schütze ein wenig überfordert war, ein schmerzlicher Verlust. Der HSV weiß mittlerweile wohl, was er an Sergej Barbarez hatte. Zumindest kein Stürmer mehr. Bis zum Schließen des Transferfensters wurde auf der halben Welt gefahndet. Es kam Sanogo – der trifft und überrascht manchen. Gleiches gilt für den Serben Ljuboja, und erst recht für Juan Pablo Sorin, der die Abwehr verstärkt. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Wir haben auf vielen Positionen Luft nach oben.“ Trotz der Qualifikation für die Champions League: Trainer Thomas Doll erwartet von fürstlich entlohnten, gestandenen Spielern wie Mahdavikia und Wicky einfach mehr als Mittelmaß. Auf dem geplanten Weg in die europäische Spitze wird die Luft für die dienstältesten Profis dünner. HAMBURGER SV Lage der Liga Christian Gimenez ist zwar kein Ruud van Nistelrooy, aber er hat schon ein paarmal gezeigt, dass er treffsicherer ist als 90 Prozent seiner Vorgänger im Herthasturm. Francisco Copado. Der DeutschSpanier und der erdige Trainer konnten vom ersten Tag an nicht miteinander. Dabei hätte die Pfiffigund Schlitzohrigkeit des schmächtigen Dribblers der bisweilen arg statisch auftretenden Eintracht gutgetan. Gerade vor dem Hintergrund einer zusätzlichen Uefa-CupBelastung und den lediglich drei bundesligatauglichen Stürmern Amanatidis, Thurk und Takahara. Wobei der Japaner auf seiner Deutschlandreise eher als Chancentod auffällig geworden ist. Europapokal. Es geht gegen den Brøndby IF, und da ist noch eine Rechnung offen: Vor 16 Jahren kassierten Stein, Binz, Körbel, Yeboah, Möller und Co. in der ersten Runde eine satte 0:5Klatsche. Rache für Kopenhagen! Auch ohne Francisco Copado. THOMAS KILCHENSTEIN 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Mainz 05. Erst mussten EintrachtFans vor dem Spiel beim Rivalen Trikots und Schals abgeben, dann klaute Ranisav Jovanović der Eintracht zwei Punkte und riss Marco Russ später unbeanstandet vom Schiri an den Haaren. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Kennt keiner. Der Saisonstart mit drei Unentschieden war durchwachsen, aber ohne Aussagekraft. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagte Vorstandschef Heribert Bruchhagen. 2 Dieser Spieler fehlt: 2 Dieser Spieler fehlt: Die Bahn ist neuer Hauptsponsor: Seitdem ist die Publikumsbelustigung vor, während und nach dem Spiel im Olympiastadion noch unerträglicher geworden. Mit Hartmut Mehdorn als Galionsfigur kann ein Fußballverein nur Anhänger verlieren. PETER AHRENS 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Die Lostrommel der Uefa. Hertha bekommt grundsätzlich auf europäischer Bühne die unattraktivsten Gegner zugelost, die möglich sind. In diesem Jahr geht es da weiter, wo es im Vorjahr aufgehört hat: FK Moskau, Ameri Tiflis, jetzt Odense BK – in Berlin lockt das wirklich keinen Hering vom Rost. Demnächst dürften Atromitos Chalkidona, SC Zulte-Waregem oder Ethnikos Achnas auf die Berliner warten. Die anderen freuen sich dann derweil über Ajax Amsterdam, Red Bull Salzburg oder Fenerbahçe Istanbul. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Liegt noch im Dunkeln. Zwischen Platz vier und Platz 14 scheint alles drin. Wenn die jungen Spieler ihr erstes tiefes Tal durchschreiten und gleichzeitig Marko Pantelić herbstdepressiv werden sollte, sieht es düster aus. Ansonsten besteht durchaus Hoffnung. 1 Zitat des Monats: „Die Entwicklung in höhere Sphären ist zurzeit nur in kleinen Schritten möglich.“ Trainer Falko Götz tut etwas Ungeheuerliches: Er predigt Realismus. Das hat es in dieser Stadt noch nicht gegeben. HERTHA BSC BERLIN 1 Zitat des Monats: „Er ist 32 und hat 43 Bundesligaspiele. Muss ich noch mehr sagen?“ Trainer Friedhelm Funkel weint Francisco Copado, der zur TSG Hoffenheim wechselt, keine Träne nach. EINTRACHT FRANKFURT rund1006_036_039_LagLiga 39 08.09.2006 14:17:24 Uhr „Wir wussten schon vorher, dass es bis zum letzten Spieltag gegen den Abstieg geht.“ Kapitän Thomas Zdebel bleibt Optimist. „Drei Punkte werden auch auswärts verteilt.“ Verblüffende Erkenntnis von Energie-Manager Steffen Heidrich. Kein Allgemeinplatz bei Energie, wo man in der Fremde meist nur bis eins zählen kann – wenn überhaupt. Galt Energie früher als Wagenburg, so will der Klub nun alle Tore öffnen. „Positive Außendarstellung“ heißt das Zauberwort. „Offen“ wollen sie sein, „transparent“ und „locker“. Hoffentlich wird der Klub nun nicht zum Experimentierfeld für PR-Profis. MARKUS VÖLKER 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Die Defensive, einst Cottbuser Markenzeichen, steht noch nicht so gut. Der Feind hat es besonders leicht vorm Strafraum der Energetiker. 18, 20 Meter vorm Tor darf er sich recht ungestört tummeln und nach Herzenslust schießen. Wer hätte das gedacht: Energie spielt Tempofußball. Die Zuschauer im Stadion der Freundschaft sind baff. Will sich das Gästeteam aufwärmen, geht schon mal die Sprenkleranlage an. „Ein Versehen“, behauptet der Klub. Den Rest der Saison will Cottbus mustergültig fair sein. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Gerhard Tremmel nicht wirklich. Er sitzt auf der Ersatzbank – als Ersatztorhüter. Spielen darf Tomislav Piplica, 37 Jahre alt. „Tremmel ist unser 1b-Keeper“, sagt Manager Heidrich, „beide nehmen sich nicht viel.“ Piplica, 1a, fliegt gern mal spektakulär an Flanken vorbei, dafür hält er aber auch „Wahnsinnsdinger“ (Heidrich). Es gibt keine Torwartdiskussion beim FC Energie. Sagt der FC Energie. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: 1 Zitat des Monats: Das Ruhrstadion heißt nun endgültig Rewirpower-Stadion. Um die Volksseele zu beruhigen, hat Sponsor Stadtwerke Bochum angekündigt, den 7,5-MillionenDeal nicht auf die Verbraucherpreise umzulegen. Kein Wunder: Irgendwann will das Unternehmen auch die Nachbarn aus Dortmund und Gelsenkirchen mit Strom versorgen. HOLGER PAULER 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Das Umfeld. Die eh schon äußerst subtile Aufstiegseuphorie ist der blauweißen Depression gewichen. Der Anhang stimmt schon mal den kollektiven VfL-Blues an. Fast könnte man meinen, der sechste Abstieg in 14 Jahren sei beschlossene Sache. Und wer ist Schuld? Vorstand, Trainer, Team, DFB, BVB, die Illuminaten … Selbst gegen Mitaufsteiger Energie Cottbus hielt Trainer Marcel Koller an einem Ein-Spitzen-System fest. Auf der Bank schmorten derweil die Neuzugänge Benny Auer und Last-Minute-Transfer Theofanis Gekas. „Die Chancen waren da“, konterte Koller die massive Kritik an der taktischen Ausrichtung. Die Tore fielen trotzdem auf der anderen Seite. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Ata Lameck, Walter Oswald, Lothar Woelk, Frank Benatelli, Uwe Leifeld … die Stars aus unabsteigbaren Dekaden sind regelmäßige Tribünengäste bei den Heimspielen des VfL und sorgen bei den Fans für feuchte Augen. 2 Dieser Spieler fehlt: VFL BOCHUM ENERGIE COTTBUS Jetzt wird es ernst, denn Willi Krautheim aus Krautheim hat da so eine Vision. „Irgendwie spüre ich, dass wir Deutscher Meister werden“, sagte der Vorsitzende des Fanklubs „Jagsttal“ unlängst während eines Trainingsbesuchs. Die Weisheit eines 82-Jährigen? WOLFGANG LAASS 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Europa. Euphorisierte Anhänger haben sich angeblich schon Straßenkarten für Fahrten nach Madrid, Rom und Mailand besorgt. Dabei war Hans Meyer erst kürzlich, nach Robert Vitteks Knieverletzung, gehörig auf die Euphoriebremse getreten: „Unsere Hoffnungen auf den Titel haben einen leichten Dämpfer erhalten.“ 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Kann eigentlich nicht wahr sein. Sieben Punkte, kein Gegentor und Platz eins nach drei Runden. Somit liest sich Hans Meyers Zwischenbilanz nach dem zumindest in Nürnberg sonnigen August folgendermaßen: 25 Spiele, 13 Siege, insgesamt 45 Punkte. Einfach unglaublich. Und das Beste daran: Die Mannschaft ist längst noch nicht an ihrem Limit. Die Dortmunder Polizei hat einen Jogger angehalten, weil er mit einem Bremer Trikot durch die Stadt lief. Und das nicht, weil die Wachtmeister den Alleinvertretungsanspruch des BVB durchsetzen wollten. Denn auf dem Trikot prangte das verbotene Logo von Betandwin. Der Jogger hätte das Trikot „eigentlich“ ausziehen müssen – mit einem zugekniffenen Auge hat man ihn aber noch „bis nach Hause“ laufen lassen. OLAF SUNDERMEYER 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Die schlafende Euphorie. Sollte diese Truppe erfolgreich sein, spricht in Dortmund niemand mehr über alte Fehler. Die Mannschaft der Post-RosickyÄra steht. In dieser Form wird der BVB die kommenden drei Jahre zusammenspielen, einzig die Innenverteidigung wird nach einem Jahr komplett ausgewechselt: Weil Wörns aufhören und Metzelder den BVB wohl nach dieser Saison verlassen wird. Sein Nachfolger könnte der Bielefelder Heiko Westermann sein. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: 2 Dieser Spieler fehlt: Nach der vernünftigen Aufrüstung war es vorrangig, überzählige Spieler loszuwerden: Totalausfall Buckley ist endlich weg, David Odonkor musste systembedingt weichen. Mit dessen Ablöse von 6,5 Millionen Euro (!) soll künftig die Abwehr verstärkt werden. „Wenn Ebi nach Zürich fährt, dann nur um Geld zur Bank zu bringen, nicht um dort Fußball zu spielen.“ Włodzimierz Smolarek zu Gerüchten, dass sein Sohn demnächst beim FC Zürich spielt. 1 Zitat des Monats: BORUSSIA DORTMUND RUND 39 Marek Mintal in Topform, auch beim Club. Noch wirkt der lange verletzte Torjäger etwas gehemmt, was seinen Fans freilich egal ist. Beim Comeback gegen Mönchengladbach wurde der Slowake mit stehenden Ovationen gefeiert. 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Das lassen wir uns jetzt nicht mehr nehmen.“ Hans Meyer nach dem furiosen 3:0 am 1. Spieltag in Stuttgart. Nur: Was hatte der Trainer damit gemeint? Doch nicht etwa die Tabellenführung? 1. FC NÜRNBERG Werder ist aktiv in der Antifa-Arbeit. Der Klub beteiligte sich am Protest gegen ein rechtsradikales Schulungszentrum, indem er fünf Originaltrikots versteigerte. Der Erlös kommt einer Stiftung zugute, die verhindern will, dass NaziAnwalt Jürgen Rieger sich mitsamt seiner braunen Brut in einem ehemaligen Hotel in Delmenhorst bei Bremen einnistet. SVEN BREMER 5 War sonst noch was? 4 Der Feind des Monats: Alle Ordnungsämter der Republik, die Werder verbieten, das Trikot des Sponsors Bwin zu tragen. Zumal es eine bessere und vor allem billigere Werbung für das Unternehmen gar nicht geben kann. Immerhin: Werder kassiert dem Vernehmen nach zumindest für die gesamte Saison 2006/07 die volle Summe. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: So grandios Werder in den vergangenen Jahren gespielt hat, auf den Außenbahnen hat es immer ein wenig gehakt. Zunächst sah es so aus, als hätten sie mit Clemens Fritz und Pierre Womé zwei Volltreffer gelandet. Doch seit dem Ligapokalhalbfinale, wo beide brillierten, spielt Fritz allenfalls mittelmäßig, Und Womé sogar regelrecht unterirdisch. Supermann? Wie, verdammt noch mal, soll Werder ohne übermenschliche Kräfte gegen die Übermannschaften von Chelsea und Barça weiterkommen? 2 Dieser Spieler fehlt: 1 Zitat des Monats: „Ich bin ja froh, dass Sie mich nicht schon nach einem Saisonrückblick fragen.“ Werder-Trainer Thomas Schaaf auf die Frage eines Journalisten, ob er Bilanz ziehen könne – nach dem zweiten Spieltag. SV WERDER BREMEN Die Frankfurt-Fans, die nicht in der Gästekurve unterkamen, mussten ihre Fanutensilien ausziehen – auch der Eintracht-Präsident sollte seinen Schal abnehmen. Eine Entscheidung der Geschäftsführung, von der man im Präsidium nichts wusste. Tags darauf entschuldigte sich das Präsidium bei den „lieben Eintrachtfans“. CHRISTOPH RUF 5 War sonst noch was? Die SPD-Ratsfraktion, ehe man den Feind wieder liebte. Nachdem man den Sozis vorgeworfen hatte, den Stadionneubau zu verschleppen, scheint nun wieder die Sonne. Zumal die SPD nicht mehr behauptet, das Konzept sei unseriös. Bis November will man gemeinsam einen Standort finden, dann schaut Ministerpräsident Kurt Beck, was er tun kann. Alternativ hält man sich den Umzug nach Mainz-Kastel offen. Der ehemalige Stadtteil gehört heute zum hessischen Wiebaden. Mit Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch hat man sich auch schon nett unterhalten. 4 Der Feind des Monats: Der Ball läuft flüssig, die Spieler viel. Läuft ganz gut, so weit. 3 Die Wahrheit auf dem Platz: Trotz der nominell starken Abgänge derzeit niemand. Ob der Kader in der Breite stark genug besetzt ist, wird man spätestens in der Rückrunde merken. 2 Dieser Spieler fehlt: „Wer tut Tore schießen machen, wer tut Kloppo lachen machen – 05“ Der gitarrenlastige, vom Fanprojekt herausgegebene Sampler „Wir sind Bruchweg“ tut sich vom branchenüblichen Schunkelkram abheben. Hier eine Textprobe der „Hängerbänd“, die einen der besten Beiträge eingespielt hat. 1 Zitat des Monats: FSV MAINZ 05 AM BALL Stargast DAS NARBENGESICHT Es gab Zeiten, da hing Franck Ribéry als Verlierer auf den Straßen der Arbeitslosenhochburg Boulogne herum. Doch das Unglaubliche passiert: Der 23-Jährige wird zu einer der größten Entdeckungen der WM, steht mit Frankreich im Finale und bekommt Angebote von den Topklubs Europas – doch dann folgen Morddrohungen VON MARC BEAUGÉ, ILLUSTRATION KATHARINA GSCHWENDTNER Ein Dribbling, kurz, flink, linker Fuß, dann rechter Fuß, und die Abwehr ist verloren. Ein Tor gegen Spanien, das alles verändert und die französische Mannschaft auf den Königsweg schickt. Er spielt eine WM auf hohem Niveau und bekommt eine Reihe prestigeträchtiger Anfragen von Klubs wie Olympique Lyon, FC Arsenal, Bayern München. Doch noch wichtiger: Er beweist Haltung und einen unaufhörlichen Enthusiasmus. Er spielt frischen und erfrischenden Fußball. Doch Franck Ribéry ist vor allem die Geschichte einer Narbe. 15 Zentimeter auf der rechten Gesichtshälfte. Zehn Zentimeter auf der Stirn. Seine Feinde nennen ihn „Frankenstein“; seine Fans gaben ihm in Anspielung auf den Mafiaboss Al Capone den Namen „Scarface“. Er selbst erzählt ohne falsche Scham: „Das war ein Autounfall in meiner Kindheit. Ich bin durch die Windschutzscheibe geflogen und hatte großes Glück, dass es nicht aus war mit mir. Auf gewisse Weise hat mir dieser Unfall geholfen, als Kind hat er mich motiviert.“ Boulogne-sur-Mer, Nordfrankreich. Familie Ribéry lebt in einer Siedlung mit 12.000 Einwohnern, die Arbeitslosenquote reicht an die 60 Prozent. „Ich war ein Kämpfer“, erinnert sich Franck. „Selbst wenn es um nichts ging, mochte ich nicht verlieren.“ Mit zehn Jahren kann der Junge 400-mal den Ball hochhalten, mit 13 führt ihn sein Talent ins Ausbildungszentrum von Lille. Doch kurz darauf fliegt Franck Ribéry wegen Schulproblemen aus dem Internat und kehrt zu seinen Eltern zurück. Es sieht so aus, als würde aus ihm ein typischer Loser. Bei Boulogne-sur-Mer, dem Verein seiner Kindheit, glaubt niemand so recht an ihn. Sein Gehalt beträgt 150 Euro im Monat. Richtung Alès, Südfrankreich. Ein Hoffnungsschimmer. Doch dem Drittligaklub geht es nicht gut, er kann sei„Vor ein paar Monaten war ich ne Angestellten nicht bezahlen. Franck nichts“: Franck Ribéry Ribéry hat Mühe, die Miete für seine Unterkunft aufzubringen. Erneute Rückkehr nach Boulogne-sur-Mer, die Laufbahn als Loser zeichnet sich immer deutlicher ab. Während seiner Arbeitslosigkeit zieht er die Aufmerksamkeit eines Kameruner Agenten, John Bico, auf sich. „Zu der Zeit traten sich die Vereine nicht gerade auf die Füße“, erinnert sich Bico. „Franck hatte einen schlechten Ruf. Er war der Prototyp des Kerls, der nichts weiter tut, als auf den Straßen von Boulogne rumzuhängen, unfähig, auch nur ein Formular für die Sozialversicherung auszufüllen oder sonst irgendetwas zu tun.“ Sein Vater verschafft ihm einen Job auf öffentlichen Baustellen, „sämtliche Erdarbeiten, Leitungen legen, Löcher machen, all das“, sagt Ribéry. „An der Seite meines Papas zu arbeiten war eine große Lehre für mich. Als mir Brest dann einige Monate später einen Vertrag anbot, habe ich angefangen, ernsthaft zu schuften.“ In der Bretagne, in der dritten Liga, wächst Ribéry schließlich. Er verdient 2500 Euro monatlich und schafft es zum ersten Mal, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. „Zu dem Zeitpunkt habe ich über meine Frau Wahiba den Islam entdeckt. Sie war es, die mich eingeführt und geleitet hat. Für mich ist der Glaubenswechsel unausweichlich geworden. Der Islam hat mir geholfen, in bestimmten schwierigen Momenten innere Ruhe zu finden. Vor jedem Spiel bete ich“, erklärte er der Zeitschrift „L’Equipe“. 2004 wechselt Ribéry zum FC Metz. Im August wird der Außenstürmer zum Spieler des Monats der Ligue 1 gewählt. Doch Ribéry wird in eine Schlägerei in einem Nachtclub verwickelt. Sein Präsident beschließt, ihm die versprochene Gehaltserhöhung zu verweigern. Es kracht, und es folgt die unvermeidbare Trennung. Nach schwierigen Verhandlungen macht Galatasaray das Rennen und lernt sein Talent schnell kennen: Beim Finalsieg um den türkischen Pokal gegen Fenerbahçe schießt Ribéry ein Tor und bereitet zwei vor. Im Stadion Ali Sami Yen improvisieren die Galatasaray-Fans an jenem Tag ein Lied zu Ehren des Franzosen: „I love you, Ribéry, Ribéry, Ribéry!“ Doch das Schicksal wiederholt sich. Auch Galatasaray kann das Gehalt seines Spielers nicht mehr zahlen, es folgt ein weiterer Wechsel, dieses Mal nach Marseille. In einem begeisterten Stade Vélodrome und unter dem Kommando von Jean Fernandez, seinem ehemaligen Trainer aus Metz, ist Scarface sensationell. Tore, Pässe, Dribblings, er ist Spielmacher und Animateur. Der Rest ist Legende. Nach langem Zögern beschließt Nationalcoach Raymond Domenech, den Jungen mit zur Weltmeisterschaft zu nehmen und wird belohnt. IST ES ZUFALL, DASS RIBÉRY IN SEINEM HAUS VON FREMDEN MÄNNERN BEDROHT WURDE? Daraufhin wollen große Vereine Ribéry verpflichten, der Angreifer ist wechselwillig, doch er muss in Marseille bleiben. „Um keinen Preis der Welt“ werde man ihn verkaufen, sagte Marseilles Sportdirektor José Anigo, dessen Ruf in Frankreich kaum schlechter sein könnte. Anigo hat Olympique-Finanzdirektor Thierry de la Brosse in der vergangenen Saison öffentlich mit dem Tod bedroht. Seitdem wird gerätselt: Ist es reiner Zufall, dass Ribéry in seinem Haus von unbekannten Männern bedroht wurde? Zumindest wurden seine Abwanderungsgelüste gedämpft. Doch Ribéry wird nicht ewig in Marseille bleiben: „Noch vor wenigen Monaten war ich nichts. Ich habe auf den Straßen von Boulogne herumgelungert. Nun habe ich ein Weltmeisterschaftsfinale bestritten, und so muss ich weitermachen. Ich habe mich zu sehr abgerackert, um jetzt Halt zu machen.“ RUND 40 rund1006_040_041_Ribery 40 07.09.2006 20:38:15 Uhr AM BALL Stargast Ein Leben als Baustelle: Der heutige Star Franck Ribéry arbeitete auch schon im Straßenbau RUND 41 rund1006_040_041_Ribery 41 07.09.2006 20:38:16 Uhr RUND Gleiche Höhe GLEICHE HÖHE HINTERGRÜNDIG FACHLICH KEIN ABSEITS „Als Schalke in der Zweiten Liga spielte, waren 35.000 Zuschauer da. Jetzt haben wir viele andere Gäste, aber wenn Schalke morgen absteigt, sind die weg“ FRANK ROST 44 DER SPIELER SPRICHT „Ich hätte Assauer gerne als Präsidenten gesehen“ – Schalkes Frank Rost redet Klartext 50 AUF DER LINIE Dumm gelaufen – RUND-Kolumnist Kasey Keller fragt sich, ob er noch mal Keeper werden würde 52 AUSLANDSREPORTAGE Erhobenen Hauptes unter der Guillotine – Juve trotzt dem Alltag in der Zweitklassigkeit 60 JUNGE DAME HERTHA Berliner Jugendbewegung – Hertha BSC setzt nach vielen Irrwegen auf den Nachwuchs RUND 43 rund1006_042_VorschaltHöhe Abs1:43 04.09.2006 19:36:31 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht „ICH HÄTTE ASSAUER GERNE ALS PRÄSIDENTEN GESEHEN“ Der Torhüter Frank Rost gehört zu den letzten Spielern der Bundesliga, die noch in einem Leistungszentrum der DDR ausgebildet wurden. In RUND spricht der 33-Jährige über die hohen Ansprüche des FC Schalke 04, seine Ostvergangenheit und darüber, wie Fußballer zu Popstars werden INTERVIEW EBERHARD SPOHD UND DANIEL THEWELEIT, FOTOS DAVID KLAMMER Schalke 04 hat die Meisterschaft als Saisonziel definiert, am Ende der vergangenen Saison hörte man aber immer wieder von zwischenmenschlichen Problemen im Kader. Sie selbst haben im Frühjahr angedeutet, dass die Zusammensetzung des Kaders Gefahren berge. FRANK ROST Ich habe damals gesagt, dass es schwierig sei, Mentalitäten, die völlig unterschiedlich sind, zueinanderzubringen. Man benötigt unwahrscheinlich viel Zeit, um zu lernen, wie die anderen reagieren, wie die Empfindungen der Mitspieler für gewisse Situationen sind. Es bestehen Unterschiede zwischen Menschen, die in unterschiedlichen Kulturkreisen aufgewachsen sind. Wir hatten im letzten Jahr 14 oder 15 verschiedene Nationen, da gab es schon Probleme, die man vielleicht besser hätte lösen können. Ist ein konstruktiver Umgang mit dieser Spannungslage die vielleicht größte Herausforderung für die laufende Saison? Das wird sich gerade in schwierigen Phasen zeigen. Wie verkraften wir es, mit Erfolg umzugehen? Wie bekommen wir die Ruhe, um unseren Weg zu machen? Wie vermeiden wir es, uns von gewissen Einflüssen anstecken zu lassen? Das ist ja auf Schalke alles ziemlich extrem. Wenn du zu Hause nicht siegst, dann ist gleich alles kaputt, und gewinnst du gegen Bayern München, dann wirst du Meister. Hier den Ausgleich zu finden, das ist eine große Herausforderung. Fühlen Sie sich als eingefleischter Schalker? Ich bin nicht hier groß geworden, deshalb kann ich auch schlecht sagen: Ich bin Schalker. Aber ich habe sehr viel Verständnis für die Leute hier, gerade was die Strukturen und das Umfeld angeht. Im Ruhrgebiet haben die Menschen vielleicht inzwischen genauso viele Probleme wie die Leute im Osten Deutschlands. Die Jugend wandert unwahrscheinlich ab. Die Industrie hat sich hier verdünnisiert. Auf Dauer muss man sich was einfallen lassen, wenn solche Städte wie Gelsenkirchen nicht zum Altersheim werden sollen. Schalke 04 ist nun nicht mehr die traditionelle Kämpfermannschaft aus dem Ruhrgebiet. Wie kam es zu diesem Wandel? Schalke will mehr Fußball spielen. Man hat daher Leute geholt, die das Filigrane bevorzugen. Der Klub hat sich weiter entwickelt, da muss man versuchen, diese Einheit, die man immer vorgibt zu sein, auch wirklich zu dokumentieren, jeden Tag. RUND 44 rund1006_044_048_ProfiRost 44 07.09.2006 23:58:02 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht „ICH KANN SCHLECHT SAGEN: ICH BIN SCHALKER. ABER ICH HABE SEHR VIEL VERSTÄNDNIS FÜR DIE LEUTE HIER“ RUND 45 rund1006_044_048_ProfiRost 45 07.09.2006 23:58:03 Uhr GLEICHE HÖHE Hat Schalke damit seinen ursprünglichen Charakter abgelegt und noch keinen neuen gefunden? Als Schalke in der Zweiten Liga spielte, waren 35.000 Zuschauer da, und die waren auch mit Herz und Seele dabei. Jetzt haben wir viele andere Gäste, die vielleicht auch mal ein Schalke-Trikot und einen Schalke-Schal tragen. Aber wenn Schalke morgen absteigt, sind die weg. Darüber muss man sich im Klaren sein, aber das ist ein Spagat, den Schalke, wir Spieler und der Fußball an sich machen müssen. Viele kommen und wollen ein Spektakel sehen, am besten 90 Minuten auf ein Tor. Hat Rudi Assauers Abgang den Klub atmosphärisch verändert? Natürlich ist einiges anders geworden. Ich hätte ihn hier gerne als Präsidenten gesehen. Bei allen zweifelhaften Dingen hat er einfach viele Verdienste um den Klub. Er hat unglaublich viel Herzblut und Engagement hier reingesteckt. Vielleicht taucht er ja irgendwann wieder auf, hier ist alles möglich. Bis auf Uli Hoeneß sind die großen charismatischem Manager wie Assauer und Calmund verschwunden, mit dieser Weltmeisterschaft wurde die nun endgültige Einmottung des eigenwilligen, gradlinigen Stars vom Schlage eines Effenberg, Matthäus oder Sammer vollzogen. In der Bundesliga sind Sie und Oliver Kahn vielleicht die letzten Typen dieser Sorte. Wie finden Sie diese Entwicklung? Es ist so, dass viele Spieler gearbeitet werden. Sie haben alle ihre Berater und die Promoter. Es wird versucht, ein Bild zu erzeugen, das eine bestimmte Zielgruppe anspricht. Besonders in der Nationalmannschaft. Das ist schon so ähnlich wie bei Popgruppen mittlerweile. Mir fehlt da manchmal so das Authentische. Gerade die streitbaren Charaktere sterben aus, weil sie nicht mehr in das Bild einer Popkultur passen. Sie sind einer der letzten Spieler der Bundesliga, die noch das Leistungssystem der DDR durchlaufen haben. Was war das für eine Erfahrung? Das Sportsystem der DDR war viel brutaler als hier, weil es viel leistungsorientierter war. Wenn du mit 14 Jahren etwas nicht gemacht hast, warst du draußen. Wer sagte, er wolle in den Urlaub fahren, dem wurde gesagt: Fahr ruhig, aber dann brauchst du nicht wiederkommen. Hier wird viel gestreichelt, die angehenden Fußballprofis werden wie kostbare Der Profi spricht Wirtschaftsgüter behandelt. Wenn heute ein Talent auftaucht, ist das gleich ein Diamant. Das wird wirtschaftlich gesehen und viel weniger sportlich. Es geht darum, was es dem Verein oder den Managern bringen kann. Ich habe eine völlig andere Schule durchlaufen. Was hat so ein Leistungszentrum wie in der Sportschule Leipzig ausgemacht? Die Verbindung zwischen Schule und Fußball, die umfassende schulische und sportliche Ausbildung. Zwar wurde das Schulische um das Sportliche herumgelegt. Aber wer in der Schule die Leistungen nicht brachte, hatte auch im Sport keine Chance. Hinzu kommt, dass es dort viele unterschiedliche Sportarten gab. Einzelsportarten wie Judo, Turnen oder Ringen und andere Mannschaftssportarten wie Handball und Volleyball. Dadurch lernte man auch etwas anderes kennen. Allerdings war die Fluktuation durch gesundheitliche Schäden schon groß. Wenn zum Beispiel Turner mit sechs Jahren sechs, sieben Stunden täglich trainieren, ist das einfach nicht gut für die Knochen. Heutzutage wird zum Glück mit viel mehr Rücksicht ausgebildet. Wie denken Sie heute über die Sportausbildung in der DDR? Ich fand sie sehr professionell. Wir wurden sehr gut betreut, gerade als Kinder und Jugendliche. Der Trainer war dabei, als ich auf die Jugendsportschule gekommen bin, und hat mich auf dem ganzen Weg begleitet. Das war eine Bezugsperson, die immer da war. Nicht nur im sportlichen Bereich, auch im privaten. Dadurch sind enge Bindungen entstanden. Das hört sich sehr positiv an. Dennoch beklagen Sie den Umgang mit den Sportlern aus der ehemaligen DDR. Ich will aus meiner Vergangenheit keinen Mythos machen, aber ich finde es doch schade, dass der Respekt gegenüber Leuten, die wirklich Weltklasseleistungen erbracht haben, nicht mehr da ist. Das ist für mich enttäuschend, wenn abfällig über diese Athleten gesprochen wird. Da ist sofort klar: Die Leichtathleten in der DDR waren sowieso alle gedopt. Ich sehe das ja an meinen eigenen Eltern. Die Stadt Leipzig, die einmal eine sehr große Sportstadt war, hat zu ihrem Ball des Sports verdiente Sportler der Stadt eingeladen. Mich zum Beispiel, aber nicht meine Eltern. Das ist für mich ein absolutes Unding. Viele Leute haben sich in deren Erfolgen gesonnt, und auf einmal war das alles nichts wert. Ich ziehe den Hut vor meinen Eltern. Beide waren Weltklassehandballer, Olympiasieger, Weltmeister, aber sie gehen damit sehr relaxt um und jammern nicht herum. Da bleibt einem auch nichts übrig, wenn man in einer privilegierten Position war und diese durch einen Gesellschaftswandel verliert. Was heißt hier privilegiert? Das wird gern hochstilisiert. Die Profis von heute würden sich kaputtlachen. Früher hieß es immer, die Sportler wären Reisekader gewesen. Natürlich durften die zu Wettkämpfen ins Ausland, aber da wurden sie auch dauernd überwacht. Und über das Materielle müssen wir gar nicht reden. Ob du 1000 oder 3000 Mark verdient hast, war doch egal. Das Geld war nichts wert. Es ist ärgerlich, wenn Leute darüber diskutieren, die das selbst nicht erlebt haben. Und die den Wandel, der 1989 folgte, nicht mitbekommen haben. Was ist denn für Sie der wichtigste Unterschied gegenüber früher? Das Schöne ist, dass du hier frei entscheiden kannst. Ich setze mich ins Auto und fahre nach Spanien. Das ist für jeden, der in der DDR aufgewachsen ist, etwas Kostbares, das niemand mehr aufgeben will. Das bedeutet den Menschen sehr, sehr viel. Das Hauptproblem war immer, dass du immer in deinem Land eingesperrt warst und beobachtet wurdest. Heute haben alle Angst vor einem Terroranschlag, also wird dafür plädiert, überall Kameras aufzustellen, einen Überwachungsstaat zu schaffen. Mich stört das. Es gibt immer mehr Kontrolle, immer mehr wird überwacht. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich auch nicht, aber in der Familienrunde schmunzeln „Wenn heute ein Talent auftaucht, ist das gleich ein Diamant. Das wird wirtschaftlich gesehen und viel weniger sportlich. Es geht darum, was es dem Verein oder den Managern bringen kann“ RUND 46 rund1006_044_048_ProfiRost 46 07.09.2006 23:58:08 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht „WENN ÜBERALL KAMERAS AUFGESTELLT WERDEN, STÖRT MICH DAS“ „GERADE DIE STREITBAREN CHARAKTERE STERBEN AUS“ „DAS SCHÖNE IST, DASS DU HIER FREI ENTSCHEIDEN KANNST“ wir manchmal über bestimmte Dinge, die die Westdeutschen an der DDR verflucht haben und nun selbst einführen. Dieses System nähert sich der alten DDR an? Nein, wir sind ihr noch nicht nahe, aber es gibt bestimmte Tendenzen, durch die man sich von einer Demokratie, wie ich sie verstehe, entfernt. Natürlich haben das Kapital und die Wirtschaft immer einen großen Einfluss. Man muss aufpassen, dass das nicht aus der Balance gerät, weil sonst eine große Unzufriedenheit entsteht. Wie haben Sie denn aus Ihrem Lebenszusammenhang heraus die Wende erlebt? War das für Sie eher eine Befreiung oder wurde da etwas Vertrautes zerstört? Als Sportler habe ich nicht begriffen, was da passiert ist. Ich habe es so empfunden, dass erst einmal systematisch alles kaputtgemacht wurde. Es war ja keine Wiedervereinigung, für mich war das eher eine Übernahme der DDR. Es ist vieles verschwunden, was nach einigen Jahren wieder auftauchte. Der grüne Pfeil hängt dafür als Denkmal an den Ampeln. RUND 47 rund1006_044_048_ProfiRost 47 07.09.2006 23:58:09 Uhr GLEICHE HÖHE „Ich betrachte es als Grundübel, wenn man nicht lesen oder schreiben kann. Dann kann man sich nur schwer eine eigene Meinung bilden, man bekommt ja alles vorgegaukelt“ Sportlich war das aber ein großer Einschnitt für Sie. Sie haben einmal gesagt, das Jahr in Markkleeberg in der Saison 1991/92 sei das schönste Ihrer Karriere gewesen. Das war sehr schön, weil die Zeit des Umbruchs zu Ende war. 1989 war ich 16 Jahre alt, hatte bei der Oberliga-Mannschaft von Lok Leipzig schon mittrainiert, saß bei Spielen ab und zu auf der Bank. Dann kam das Jahr, in dem sie sich für die Zweite Liga qualifiziert haben, mit dem neuen Trainer Jürgen Sundermann. Der wollte keinen jungen Torhüter, warum auch immer. Da habe ich mir gesagt: Ehe ich hier dritter Torwart werde, gehe ich nach Markkleeberg. Die waren damals in der dritten Liga, und da haben nur ehemalige DDROberliga-Spieler gespielt. Mit 17 Jahren war ich da das absolute Nesthäkchen. Bis auf zwei oder drei Ausnahmen waren alle über 30. Das war eine sehr gute Truppe. Was ist zwischen 1989 und 1991 passiert? Der Wandel bei Lok Leipzig war ganz komisch. Über Nacht wurde jeder in Frage gestellt. Dieses leidige Thema der Staatssicher- Der Profi spricht heit kam dazu, ob jemand IM war oder nicht. Da wurden viele Themen öffentlich ausdiskutiert, aber die meisten Leute, die wirklich Dreck am Stecken hatten, rennen immer noch frei herum. Man vergreift sich doch nur an den Kleinen, weil die Großen zu viel wissen. Aber Doppelmoral gibt es doch heute bei uns in Politik und Wirtschaft auch. Mit der Aussage verkürze ich die Argumente natürlich, das ist einfach ein schwieriges Thema. Und Sie machen sich mit so etwas keine Freunde. Heutzutage gibt es immer weniger Leute, die kontroverse Meinungen haben, die eine solche Diskussion schüren. Warum ist das so? Weil es Stress bringt. Wer anders argumentiert als andere, dem werden mit aller Macht Knüppel zwischen die Beine geworfen. Nutzen darum Fußballer ihre Popularität so selten, um häufiger einmal politische Aussagen zu machen? Zunächst einmal sollte man seinen Sport nicht für die Politik missbrauchen. Sport ist kein politisches Machtinstrument. Man muss ja nicht gleich Missbrauch treiben, wenn man die eigene Popularität zur Verbreitung der eigenen Überzeugungen nutzt. Wir äußern unsere Meinungen durchaus. Wir gehen gemeinsam gegen Rassismus vor. Schalke unterstützt Kampagnen gegen Arbeitslosigkeit und steht zu seinem Ruhrgebiet. Es gibt Kampagnen gegen Überalterung und Verarmung, da macht Schalke sehr viel und nimmt sehr klar Stellung. Man kann aber auch anders argumentieren: Wenn ein Sportler Schuhe von Nike trägt, muss er doch auch über die Produktionsbedingungen nachdenken, unter denen die Schuhe hergestellt wurden. Dann hast du aber alle gegen dich, weil du zu sehr polarisierst. Es ist doch im Profisport viel wichtiger, dass du Everybody’s Darling und gut zu verkaufen bist. Es wurde mir schon oft gesagt, dass wir die Wirtschaft brauchen. Wenn man zu sehr gegen die Kommerzialisierung und ihre Folgen spricht, dann reagiert der eine oder andere allergisch. Darum wird ein Sportler in der heutigen Zeit vorsichtig sein. Aber dann gerät man in moralische Konflikte. Natürlich, aber das ist doch normal. Solange die Leute das noch merken, ist das ein gutes Zeichen. Wenn sie es aber nicht mehr merken, dann ist es schlecht. Sie engagieren sich gegen Analphabetismus. Wie kam es dazu? Ich wollte gerne etwas in Deutschland machen, ich möchte gerne hier etwas zurückgeben an meine Heimat. Das Problem bei diesen karitativen Dingen in Deutschland ist, dass alle Leute spenden, wenn irgendwo in der Welt wieder eine Naturkatastrophe war, aber mit den alltäglichen Leiden in Deutschland tun sich viele sehr, sehr schwer. Ich helfe dem Herzenswünsche e. V. und bin Schirmherr des Fußball-Alphabetisierungsnetzwerks F.A.N. Haben Sie Erfahrungen mit dem Problem, eine eigene Lese- oder Schreibschwäche? Nein, aber ich betrachte es als Grundübel, wenn man nicht lesen oder schreiben kann. Dann kann man sich nur schwer eine eigene Meinung bilden, man bekommt ja alles vorgegaukelt. Ich habe großen Respekt vor den Leuten, die sich outen und das im Nachhinein lernen. Ich sehe diese Probleme selbst: Manche E-Mails, die ich bekomme, sind sprachlich hart an der Grenze. In Deutschland besteht Schulpflicht, da sollte jeder Lesen und Schreiben können, das ist elementar für die Lebensqualität. Aber heutzutage können ja auch die wenigsten Leute ein Lied singen. Können Sie singen? Nicht in der Öffentlichkeit. Aber ich singe meiner Tochter Lieder vor, und die hört auch zu. Meine Frau lacht sich kaputt, aber meine Tochter wippt ab und zu rhythmisch mit. FRANK ROST wurde am 30. Juni 1973 im damaligen KarlMarx-Stadt geboren. Er war zunächst Stürmer, bevor er fürs Fußballtor entdeckt wurde. Mit 15 Jahren kam er zu Lok Leipzig und ging nach der Wende über Markkleeberg zu Werder Bremen, wo er von 1992 bis 2002 spielte. Seit 2002 ist er Stammkeeper bei Schalke 04. Er ist neben Jens Lehmann der einzige Bundesligatorwart, dem es gelang, aus dem Feld heraus ein Tor zu erzielen. Der vierfache Nationalspieler ist verheiratet und hat eine Tochter. RUND 48 rund1006_044_048_ProfiRost 48 07.09.2006 23:59:53 Uhr GLEICHE HÖHE Auf der Linie DUM M GEL AU FEN IN SEINER ERSTEN KOLUMNE ÄRGERT SICH KASEY KELLER DARÜBER, DASS ER TORWART WURDE – OBWOHL ER SO GERNE DIE BÄLLE AUS DEM STADION SCHIESST Warum ich Torhüter geworden bin? Tja, dumm gelaufen. Niemand würde Torwart werden wollen, wenn er es besser wüsste. Man macht wohl einfach das, bei dem man früher einmal gut war, denn wenn man Erfolg hat, bleibt man dabei. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich noch einmal dafür entscheiden würde. Aber irgendjemand muss den Job ja machen. Und seit 16 Jahren mache ich ihn eben. Ich weiß, dass man in Deutschland die Torhüter und Linksaußen für verrückt hält. Nun, ich bin definitiv nicht verrückt. Oder sagen wir so: Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich todernst. Diese verrückten Aktionen wie René Higuita oder Bruce Grobbelaar sie gemacht haben, das wird man bei mir nicht sehen. Das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, den Ball nicht ins Netz zu lassen. Aber nach dem Spiel ist es anders. Dann kommt die Zeit, Spaß zu haben. Das gefällt mir an Deutschland: Wenn in England ein Heimspiel vorbei ist, gehst du vom Platz und nach Hause. Hier gibt es ein schönes Zusammenspiel mit dem Publikum. Ich lege unser Maskottchen aufs Kreuz oder trete ihm in den Hintern, und den Fans gefällt das. Die schönste Zeit für einen Torhüter ist immer die nach dem Abpfiff. Die 90 Minuten zuvor sind einfach nur Business. Ich kenne nicht allzu viele Kollegen, die das Spiel selbst genießen. Wir können nicht dem Ball hinterherrennen oder Zweikämpfe bestreiten, wir haben immer das gleiche Stresslevel. Es geht darum, sich 90 Minuten zu konzentrieren – egal ob die Leute hinterher sagen: Na, heute hattest Du ja einen ruhigen Nachmittag. So läuft das nicht. Ich muss immer aufmerksam sein, ob ich geprüft werde oder nicht. Es gab schon Torhüter, die Probleme bekamen, weil sie nach dem Wechsel zu einem Topklub weniger zu tun hatten. Die Abwehr war besser, es gab weniger Chancen, und sie schafften es nicht, sich die lange Zeit zwischen zwei Paraden zu konzentrieren. Torhüter haben eine ganz andere Dynamik im Spiel. „Die schönste Zeit ist nach dem Abpfiff“: Im Wechsel mit Timo Hildebrand schreibt Keller dann Kolumnen Für mich heißt es dabei immer: Safety first. Wenn mir die Situation brenzlig vorkommt und ich den Ball aus dem Stadion schießen muss, dann schieße ich ihn aus dem Stadion. Natürlich sagen die Leute dann, jetzt hätte er aber … – ich sage: War der Ball drin? Nein. Natürlich denke ich manchmal bei einem Rückpass darüber nach, ihn da- oder dorthin zu spielen. Dann fällt mir aber immer ein, was mein Trainer bei Aston Villa mal zu mir gesagt hat: „Kasey, wenn wir dich brauchen, um Tore vorzubereiten, dann haben wir ziemliche Probleme. Halt du den Kasten sauber. Wie Du das machst, ist mir egal. Die Tore schießen die anderen.“ Das hat mir eingeleuchtet. FOTO MAREIKE FOECKING, LOGO DAZZLER RUND 50 rund1006_050_Keller 50 07.09.2006 11:16:02 Uhr GLEICHE HÖHE Auslandsreportage Stimmungsvolle Provinz: Juve-Fan beim Freundschaftsspiel gegen Piacenza RUND 52 rund1006_052_058_Juventus 52 08.09.2006 0:04:55 Uhr GLEICHE HÖHE Auslandsreportage ERHOBENEN HAUPTES UNTER DER GUILLOTINE Nicht mehr Meister und strafversetzt in die zweite Liga: Nach dem Manipulationsskandal steht Juventus Turin zwar gebeutelt, aber nicht geläutert da. In drei Jahren will man wieder im internationalen Geschäft sein, und der geschasste Betrüger und Exmanager Luciano Moggi zieht im Hintergrund schon wieder die Fäden VON VINCENZO DELLE DONNE, FOTOS BENNE OCHS, IMAGO, HOCH ZWEI Er wollte sich in den Tod stürzen. Deswegen hielt Gianluca Pessotto einen Rosenkranz in der Hand, mit dem er sich Mut machte. Es war der 27. Juni 2006. Gegen zwölf Uhr stahl er sich aus seinem Büro. Er stieg unbemerkt auf das Dach der feudalen Villa im Corso Galileo Ferraris 32 und sprang. Aus 20 Metern Höhe. Pessotto wollte seinem Leben ein Ende setzen. Dabei war er nach elf Jahren als Profi bei Juventus Turin im Begriff, einen neuen Lebensabschnitt als Teammanager zu beginnen. Am 13. Mai hatte Pessotto sein letztes Profispiel für Juventus Turin bestritten und frenetisch den letzten Meistertitel bejubelt. Inzwischen wurde dieser jedoch vom Verband wieder aberkannt. Wie durch ein Wunder war der 36-Jährige nicht sofort tot. 36 Tage lang rang er auf der Intensivstation des Turiner Molinette-Krankenhauses mit dem Tod. Er musste ein Nierenversagen und eine Lungenentzündung überstehen. Beim Sturz hatte er zudem mehrere Knochenbrüche in der Beckengegend erlitten und drohte für immer an den Rollstuhl gefesselt zu sein. Die Ärzte operierten Pessotto in den folgenden Tagen mehrere Male. Fabio Cannavaro, Gianluca Zambrotta und Alessandro Del Piero verließen das WM-Quartier in DuisburgMeiderich, um nach ihrem Freund und Mannschaftskollegen zu sehen. Es hieß, er schwebe in akuter Lebensgefahr. Pessottos schillernde Ehefrau Reana betete einerseits für das Leben ihres Ehemanns, andererseits empfand sie unendliche Wut über die Mutmaßungen der Gazetten, die sie als Grund für den Selbstmordversuch anführten. Sie trat entrüstet vor den Journalistenpulk, der Tag und Nacht das Krankenhaus belagerte, und machte sich Luft. „Hört auf, Lügen zu erfinden“, schrie sie, „über Krankheiten, Ermittlungsverfahren, Scheidung, Doping! Alles Unsinn!“ Reana Pessotto spielte Weltstar in der zweiten Liga: Pavel Nedvěd RUND 53 rund1006_052_058_Juventus 53 08.09.2006 0:05:05 Uhr GLEICHE HÖHE auch auf den Manipulationsskandal an, in dem Juves Geschäftsführer Antonio Giraudo und Manager Luciano Moggi als die Großmeister des Fußballschwindels entlarvt wurden. Es kursierten zudem Gerüchte, Pessotto leide an einer unheilbaren Krankheit, die im Zusammenhang mit den Dopingpraktiken bei Juventus stünde. Von 1994 bis 1999 soll Vereinsarzt Riccardo Agricola die Juventus-Spieler systematisch mit dem Blutmittel Epo gedopt haben. Die Zeit von Pessottos strahlender Juventus-Karriere. Agricola, der stets freundlich und zuvorkommend ist, bestreitet einen Zusammenhang und bringt als Grund für den Selbstmordversuch Pessottos eine leichte, fast natürliche Depression ins Spiel. „Ich wurde von der Dopinganklage in zweiter Instanz freigesprochen“, betont der Arzt mit seinem freundlichen Lächeln. Pessotto ist inzwischen halbwegs ins Leben zurückgekehrt und wagt einen Neuanfang. In gewissem Sinne verkörpert der Exnationalspieler mit seiner verzweifelten Tat die Wirren, die die Turiner in letzter Zeit überstehen mussten. Nach einem Jahrzehnt der strahlenden Siege kam unversehens der Absturz in eine Depression ungekannten Ausmaßes. Das systematische Doping: Anklage, Verurteilung von Geschäftsführer Antonio Giraudo und Mannschaftsarzt Agricola in erster Instanz. Am Ende der überraschende Freispruch, der erschlichen schien. Zuletzt die Spielmanipulationen: Entlassung von Giraudo und Moggi, Zwangsabstieg in die zweite Liga mit 17 Punkten Abzug für die kommende Saison, Aberkennung der Meistertitel 2005 und 2006. Die Quittung für den „größten Skandal der Fußballgeschichte“, wie Fifa-Präsident Joseph Blatter es nannte. Die Verurteilung basierte auf Abhörprotokollen der Staatsanwaltschaft von Neapel, die eine gesamte Saison lang Telefongespräche belauscht hatte. Der Mythos der Alten Dame der italienischen Fußballgeschichte lag im Sterben. Villar Perosa, 16. August 2006: Über 5000 Tifosi empfangen Lapo und John Elkann mit frenetischen „Juve“-Rufen. Die Fans stehen zu ihrem Klub, als wäre nichts geschehen. Eine Schar von SicherheitsSTIMMEN DIE GERÜCHTE, DASS SICH DIE MÄCHTIGE AGNELLI-FA MILIE NACH 70 JAHREN VON JU VENTUS ZURÜCK ZIEHEN WILL? kräften bahnt den beiden Agnelli-Erben den Weg durch die Tifosi im Stadio Comunale. Im Tross finden sich auch der neue Präsident Giovanni Cobolli Gigli sowie der neue Geschäftsführer Jean Claude Blanc. Juventus-Ehrenpräsident Franzo Grande Stevens, der zuletzt dem Klub vorsaß und für den Skandal mitverantwortlich ist, hält sich dezent im Hintergrund. Stolz krempelt derweil Lapo Elkann sein Jeanshemd hoch, um seine neueste Tätowierung zu zeigen. Sein linker Arm zittert. Lapo zeigt das eintätowierte Emblem von Juventus Turin auf seinem rechten Unterarm. „Es ist ganz neu“, sagt er. Der frühere Werbechef von Fiat, der nach seinem Kollaps auf einer Turiner Transvestitenparty eine Drogentherapie machte, wirkt ein bisschen nervös. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt. Zuletzt gab es Gerüchte, die Agnelli-Familie wolle sich Juventus Turin entledigen. Auslandsreportage Kämpfer mit feinen Manieren: Präsident Cobolli Gigli Lapo stammelt etwas vom Samuraidenken. Sein Bruder John kommt ihm zur Hilfe. „In den schwierigen Zeiten zeigt sich der Charakter eines Klubs“, sagt verschüchtert der Lieblingsenkel des verstorbenen Patriarchen. Gianni Agnelli hatte ihn zu seinem Nachfolger auserkoren, jetzt ist er die Stimme der mächtigen Agnelli-Familie. Seit dem Tod des Großvaters ist John Fiat-Vizepräsident und an Krisen aller Art gewöhnt. Schnell fügt John hinzu: „Dass mein Bruder und ich hier sind, ist ein Zeichen unserer Verbundenheit mit diesem Verein.“ Juventus steht für die Agnelli-Familie und die Höhenflüge und tragischen Tiefpunkte in deren Geschichte. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kaufte der Fiat-Gründer Giovanni Agnelli den 1897 gegründeten Klub und machte ihn zum Spielplatz für die viel versprechenden Familienzöglinge, indem er sie als Präsidenten einsetzte: Edoardo, der mit einem Wasserflugzeug verunglückte; Gianni, der zunächst als Playboy und dann als Wirtschaftskapitän Meriten sammelte; Umberto, der mit seinem charismatischen Bruder gemessen wurde und daran erkrankte. Bei den „Bianconeri“ sollten die „ungekrönten Häupter des Landes“ die nötigen Kniffe für das raue Wirtschaftsleben erlernen. Die Agnelli-Familie entstammte diesem kleinen Bergstädtchen auf halbem Wege zwischen der piemontesischen Metropole und dem Nobelskiort Sestriere. Also findet das erste offizielle Spiel von Juventus im August traditionsgemäß in Villar Perosa statt – in diesem Jahr gegen den Zweitligaklub Piacenza. Und die Veranstaltung gerät zu einer gelungenen PR-Veranstaltung für die Agnelli-Erben. Mit der Finanzkraft der Fiat-Gruppe im Rücken sammelte der Turiner Klub Titel wie andere Briefmarken. 1986 betrat jedoch Silvio Berlusconi die Fußballszene und stoppte Juves Siegeszug jäh. „Er ist maßlos“, urteilte Gianni Agnelli nach einigen Jahren resigniert über RUND 54 rund1006_052_058_Juventus 54 08.09.2006 0:05:07 Uhr GLEICHE HÖHE Auslandsreportage Der feinste Klub Italiens: Die Agnelli-Familie besitzt die Mehrheit der Juventus-Aktien Das Sprachrohr des Agnelli-Clans: FiatVizepräsident John Elkann hält Juventus die Treue „Eine neue, große Herausforderung“: Keeper Gianluigi Buffon verdient fünf Millionen Euro im Jahr Fußballgötter in der Serie B: Dieser Tifoso von Juventus folgt Alessandro Del Piero auf Schritt und Tritt RUND 55 rund1006_052_058_Juventus 55 08.09.2006 0:05:10 Uhr GLEICHE HÖHE Auslandsreportage „Wir müssen gegen die Schakale kämpfen“: Juve-Geschäftsführer Jean Claude Blanc Begehrte Fanartikel: Auch in der Serie B läuft das Merchandisinggeschäft von Juve weiter auf Hochtouren Wartezimmer der Intensivstation: Im Molinette-Hospital kämpfte Gianluca Pessotto wochenlang mit dem Tod „Enttäuscht, dass wir Fabio Cannavaro nicht halten konnten“: Juventus-Trainer Didier Deschamps RUND 56 rund1006_052_058_Juventus 56 08.09.2006 0:05:24 Uhr GLEICHE HÖHE den erfolgsgierigen Berlusconi. Der Klub war gegen den Parvenü aus der Lombardei und seine Methoden machtlos. Der Rekordmeister war plötzlich unfähig zu siegen. Gianni Agnelli übergab daraufhin seinem Bruder Umberto das Juve-Regiment, der prompt Antonio Giraudo als Geschäftsführer und Luciano Moggi als Manager verpflichtete. Mit dem ominösen Duo an der Spitze triumphierte die Mannschaft, von Marcello Lippi trainiert, wieder. Sie gewann nach langjähriger Abstinenz wieder den Meistertitel, die Champions League sowie den Weltpokal. Durch Manipulationen und perfiden Klüngel, wie sich nun herausstellte. „Ich wollte von Juventus lediglich Schaden abwenden“, verteidigte sich Moggi und bekannte, dass seine Methoden der Einflussnahme auf Spieler und Schiedsrichter gängige Praxis in der Serie A seien. Moggis endgültiger Abgesang nach der Verurteilung und dem Berufsverbot durch das Sportgericht? Mitnichten. Hinter den Kulissen soll der umtriebige Manager die Fäden beim Neuaufbau der Mannschaft gezogen haben. Der neue Manager Alessio Secco sei Moggis Marionette, argwöhnen Kritiker. Das Freundschaftsspiel gegen Piacenza endet mit einem enttäuschenden torlosen Remis, was den Tifosi aber ziemlich egal ist. Es gab Jahre, in denen die erste Mannschaft gegen die Reserve antrat und die Reserve gewann. Kein Grund zur Beunruhigung also. Wichtiger war vielmehr die Demonstration der Stärke und Geschlossenheit der neuen Führung. „Wir werden alles unternehmen, um in der Serie A zu bleiben“, sagt Präsident Cobolli Gigli, „oder wollen so schnell wie möglich zurückkommen.“ Er ist ein Kämpfer mit feinen Manieren. Seine Spra- Auslandsreportage che wählt er stets mit Bedacht und Mäßigung. „Ich finde es gravierend und total ungerechtfertigt, wie wir mit einem völlig anderen Maßstab im Verhältnis zu den anderen Klubs beurteilt wurden“, sagt er. Leise übt er aber auch Selbstkritik. Die Klubführung habe bei der Bewältigung des Skandals einen unverzeihlichen taktischen Fehler begangen: Sie schrie nicht auf. Sie gab die Schuld zu und hoffte auf ein mildes Urteil des Sportgerichts. Die anderen in den Skandal verwickelten Klubs wie Lazio Rom, der AC Florenz und der AC Mailand verfochten vor dem Gericht eine aggressivere Strategie. Sie stellten auf stur, lehnten jegliches Schuldeingeständnis ab und kamen am Ende glimpflicher davon. Sie durften in der Serie A bleiben und bekamen lediglich empfindliche Punktabzüge für die vergangene, aber auch für die kommende Saison. Cobolli Gigli ist bemüht, dem Klub ein sauberes Image zu geben. Einen wichtigen Part spielt in dieser PR-Aktion auch der smarte Geschäftsführer Jean Claude Blanc. Der 43-Jährige arbeitet seit einem Jahr für Juventus Turin. In bruchstückhaftem Italienisch sagt er, dass er die Tour de France, die French Open im Tennis sowie die Olympischen Winterspiele von Albertville organisiert habe. „Juventus ist ein Klub mit einer großartigen Geschichte“, betont Blanc, „gemeinsam werden wir wieder an diese Tradition anknüpfen!“ Geschlossen musste der neue Verwaltungsrat gegen die „Schakale“ kämpfen, die den börsennotierten Klub billig übernehmen wollten. Fast täglich wurden Verkaufsgerüchte lanciert, die enorme Kurssprünge verursachten. Die Holding der Agnelli-Familie IFIL hält die Mehrheitsanteile am Klub. Über 20 Prozent des Aktienkapitals gehören hingegen Muammar alGaddafis Lafico-Bank. Didier Deschamps stellt sich nach dem Spiel artig den vielen Journalisten. Die Enttäuschung kann man an seinen Augen ablesen. Michel Platini, der in den 80er Jahren seine größten Erfolge mit Juventus feierte, hatte den Mittelfeldmotor als Trainer nach Turin empfohlen. Der 37-Jährige drahtige Franzose spielte von 1994 bis 1999 sechs Jahre lang für Juventus. Deschamps ist eine Führungspersönlichkeit. Er besitzt Ausstrahlungskraft und demonstriert mit seiner bloßen Präsenz Macht und Autorität. Seine blonde Ehefrau und der kleine Sohn begleiten ihn, so oft sie können. Deschamps verhinderte nach der exemplarischen Verurteilung durch das Sportgericht einen Ausverkauf der Starmannschaft. Deschamps hätte gern auch Fabio Cannavaro zum Bleiben bewegt. „Er ist ein Führungsspieler auf dem Feld und in der Kabine“, sagt er, „ja ich bin sehr enttäuscht, dass wir ihn nicht halten konnten.“ Cannavaro spielte in den zwei letzten Jahren bei Juventus. „Es sind sehr schwer wiegende Sachen passiert, und es ist richtig, dass diejenigen dafür bezahlen, die Fehler gemacht haben. Ich habe jedoch nicht das sinkende Schiff verlassen!“, verteidigte sich der Kapitän der Nationalmannschaft. JU VENTUS IN DER SERIE B – DAS IST, ALS TR ÄTE DAS SINFONIEORCHESTER DER SCAL A Zwangsabsteiger: Weltmeister Mauro Camoranesi GEGEN BL ASK APELLEN IN DER PROVINZ AN RUND 57 rund1006_052_058_Juventus 57 08.09.2006 0:05:32 Uhr GLEICHE HÖHE In der Serie B werden die Juventus-Spieler jetzt wie Fußballgötter angesehen, gegen die die gegnerischen Spieler alles geben. Jedes Spiel eine Zerreißprobe. Es ist, als träte das Sinfonieorchester der Scala gegen Blaskapellen an. Das zeigt auch das Freundschaftsspiel gegen den Zweitligisten Piacenza. „Es hat sehr viel Kraft gekostet, sich dazu bereit zu erklären, in der zweiten Liga zu spielen“, sagt Alessandro Del Piero ernüchtert. Die illustren Kollegen wie Pavel Nedvěd, Mauro Camoranesi oder auch Gianluigi Buffon denken ähnlich. Sie wollten den Klub verlassen, aber dieser stimmte sie mit fürstlichen Gagen um. WELTMEISTER GIANLUIGI BUFFON IST SICHER: „IN DREI JAHREN SPIELEN WIR MIT JU VENTUS WIEDER IM INTERNATIONALEN GESCHÄFT“ Torwart Buffon fehlte gegen Piacenza. Der Weltmeisterkeeper gehörte zu den umworbenen Preziosen des Klubs, hält ihm aber die Stange. „Die zweite Liga ist für mich eine neue, große Herausforderung“, sagt er lapidar. Buffon verdient fünf Millionen Euro im Jahr. „In drei Auslandsreportage Ex-Juve-Star, Flucht zum FC Barcelona: Gianluca Zambrotta Jahren werden wir wieder im internationalen Geschäft mitspielen“, prophezeit der Sympathieträger. Zunächst muss Juve in der zweiten Liga das Handicap eines Punktabzugs wettmachen. Die Sponsoren unterstützen den Klub weiter, als wäre er erstklassig. Als hilflos wurde die Entscheidung des Vereins angesehen, doch noch das Verwaltungsgericht anzurufen, um den Zwangsabstieg zu vermeiden. Gianluca Pessotto hat inzwischen wieder die Intensivstation des Turiner Molinette-Krankenhauses verlassen. Langsam schöpft er neuen Lebensmut. In der Chirurgie müht er sich mit einer langwierigen Rehabilitation ab. Immer wieder besuchen ihn die ehemaligen Mitspieler, um ihm Mut zu machen. Dass Pessotto nach seiner Genesung beim Rekordmeister arbeiten wird, steht jetzt bereits fest. Allein die Funktion, die er bekleiden wird, muss erst noch definiert werden. „Wenn er über den Berg ist“, sagt Präsident Cobogli Gigli, „entscheidet er allein, welche Funktion er bei Juventus bekleidet.“ Pessotto verkörpert die Leiden von Juventus. Ein bizarres Parallelschicksal. CHRONOLOGIE DES „GRÖSSTEN SKANDALS DER FUSSBALLGESCHICHTE“ (SEPP BLATTER) 3. MAI 2006 27. JUNI 2006 25. JULI 2006 Italienische Zeitungen veröffentlichen Abhörprotokolle von Telefongesprächen des Sportdirektors von Juventus Turin, Luciano Moggi (Foto links), mit Exschiedsrichterkoordinator Pierluigi Pairetto. Aus den Telefonaten geht hervor, dass in der Saison 2004/05 mehrere Spiele in der Serie A manipuliert wurden. Gianluca Pessotto, der Teammanager von Juventus, springt mit einem Rosenkranz in der Hand vom Dach seines Büros (Foto links) und überlebt den Sturz schwer verletzt. Das Berufungsgericht hat die Strafen für die vier Klubs deutlich abgemildert: Juventus muss zwar in die Serie B zwangsabsteigen, wird aber nur noch mit 17 Minuspunkten belastet. Lazio Rom (minus 11 Punkte) und der AC Florenz (minus 15) dürfen weiterhin in der Serie A spielen. Der AC Mailand bekommt nur acht Punkte abgezogen und spielt damit in der Champions League. Turin, Rom und Florenz wollen abermals gegen das Urteil Revision einlegen. 11. MAI 2006 Insgesamt neun Vereine der Serie A und B geraten in den Verdacht der Manipulation und der Absprache, darunter die vier Spitzenklubs Juventus Turin, AC Mailand, Lazio Rom und AC Florenz. Der Aufsichtsrat von Juventus Turin tritt geschlossen zurück. 14. JUNI 2006 Die Staatsanwaltschaft Neapel nimmt Ermittlungen gegen den Präsidenten des Verbandsberufungsgerichts, Cesare Martellino, auf. Er wird beschuldigt, auf Druck von Moggi Urteile zu Gunsten von Turin gefällt zu haben. Der neue Aufsichtsrat von Juventus wird ernannt. 29. JUNI 2006 In Rom beginnt der Hauptprozess im Wett- und Manipulationsskandal. 25. AUGUST 2006 7. JULI 2006 Justizminister Clemente Mastella fordert eine Amnestie für die betroffenen Personen und Vereine. 9. JULI 2006 Italien gewinnt den WM-Titel. Forderungen nach einer Amnestie werden lauter. 14. JULI 2006 Das Urteil wird verkündet. Juventus, Lazio und Florenz müssen in die Serie B. Der AC Mailand darf erstklassig bleiben, bekommt aber 44 Punkte abgezogen. Zudem starten alle Klubs mit Minuspunkten in die Spielzeit 2006/07. Alle Verurteilten wollen in Revision gehen. Didier Deschamps besucht Pessotto (Foto unten) im Krankenhaus und berichtet, dass sich der Gesundheitszustand seines ehemaligen Mitspielers langsam verbessere. 30. AUGUST 2006 Juventus verzichtet endgültig darauf, gegen den Zwangsabstieg vor einem Zivilgericht zu klagen. Ende September soll ein Schiedsgericht endgültig über die Verminderung des Punktabzuges entscheiden. RUND 58 rund1006_052_058_Juventus 58 08.09.2006 0:05:37 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha Berliner Jugendbewegung In der Hauptstadt ist man angekommen, man weiß nur noch nicht wo. ein Klub, der nur noch auf die Jugend setzt? Ist Darf man das Image der „Alten Dame“ grundlegend renovieren? Wer wird der nächste Nationalspieler? RUND hat sich auf die Suche begeben VON PETER AHRENS, FOTOS MAAK ROBERTS Man sieht es Frank Vogel nicht an, dass er der Retter von Hertha BSC Berlin ist. Ein überaus freundlicher Herr, der gerne und viel redet und seinen Bauch unter einem orangefarbenen Poloshirt zu verstecken sucht. Der Typus Herbergsvater, und im Grunde ist er auch nichts anderes. Aber die Jungs, die er betreut, sind keine Rucksackreisenden, es sind die besten Nachwuchsfußballer, die Deutschland zurzeit hat. In der Hertha-Akademie, dem Internat des Berliner Bundesligisten, wächst derzeit eine Spielergeneration heran, die Hertha in den kommenden Jahren zu einem Team machen soll, das niemandem geringeren als dem FC Bayern Konkurrenz machen will. „In ein, zwei Jahren haben wir eine Spitzenmannschaft“, sagt Hertha-Trainer Falko Götz. Jetzt muss die Stadt nur noch so viel Geduld aufbringen. Die Hertha-Akademie, das ist das Versprechen auf die Zukunft. Im Foyer des Internats hängen 15 Trikots. Das sind die Hemden der Nachwuchs im Devotionalienmeer: Frisch gekauftes Merchandising wird bei Hertha gerne signiert RUND 60 rund1006_060_065_Hertha 60 07.09.2006 21:39:03 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha Fit für die Zukunft: Chinedu Ede, Yildiray Baştürk und Malik Fathi beim Räkeln und Dehnen RUND 61 rund1006_060_065_Hertha 61 07.09.2006 21:39:07 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha Von der Schulbank ins Profiteam: Frühmorgens haben diese jungen Herren jetzt anspruchsvolleren Sportunterricht jungen Spieler, die bislang den Sprung von der Schulbank ins Hertha-Profiteam oder sogar zur Nationalelf geschafft haben. Malik Fathi, Sofian Chahed, Kevin-Prince Boateng, Alex Madlung, Pascal Bieler und die anderen, seit Neuestem hängt auch das Trikot von Patrick Ebert an der Wand, dem in seinem ersten Hertha-Heimspiel zu Saisonbeginn gleich ein Treffer gelang. „Das sind Spieler, die schon kannte, als sie noch zwölf oder 13 Jahre alt waren“, sagt Götz, der vor seiner Zeit als Chefcoach den Hertha-Nachwuchs trainiert hat. Bei Malik Fathi saß er damals gemeinsam mit dessen Mutter in der Küche und hat den ersten Vertrag für den Jungen unterschrieben. Jetzt ist Fathi Nationalspieler. Bei Vogel im Büro klingelt dauernd das Telefon. Spielerberater preisen einen jungen Kerl an, Eltern wollen ihren Sohn bei Hertha unterbringen. Letztens stand Hockey-Nationaltrainer und Klinsmann-Buddy Bernhard Peters vor der Tür, um sich die Akademie anzuschauen. Herthas Ruf als Talentschmiede hat sich herumgesprochen, die meisten Eltern werden aber mit einer freundlichen Absage abgespeist: „Versuchen Sie es mit Ihrem Sohn doch erst einmal bei Ihrem Verein um die Ecke.“ Der Anspruch ist hoch: „Unser Ziel ist es, die besten jungen Spieler zumindest aus der Nordostregion bei uns auszubilden“, sagt Vogel. Alles, was 300 Kilometer rund um Berlin aufwächst und entsprechendes Talent hat, soll irgendwann hier landen. Von der C- bis zur A-Jugend sind die Hertha-Jungs momentan ganz vorne in Deutschland, genau die Jahrgänge, die Götz jetzt und in den kommenden Jahren in den Profikader einbauen will. „Wir haben lang in dieses Modell eingezahlt, jetzt Hohe Ziele: Frank Vogel bildet aus beginnt es, Früchte zu tragen“, sagt Manager Dieter Hoeneß. Vier bis fünf Millionen Euro steckt der Verein jährlich in die Hertha-Akademie, Geld, das sich rentieren muss. RUND 62 rund1006_060_065_Hertha 62 07.09.2006 21:39:14 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha Alte Pappe, junge Spieler: Stillleben im Hertha-Internat „Hertha verändert sich, die Mannschaft bekommt zurzeit ein neues Gesicht“, sagt Arne Friedrich, und er muss es wissen. Der Kapitän ist seit vier Jahren im Verein, er hat die chaotische Fast-Abstiegssaison vor drei Jahren mitgemacht, die Begeisterung im Jahr danach, als Hertha an der Tabellenspitze mitspielte, die Enttäuschung, als die Champions-LeagueQualifikation am letzten Spieltag vergeigt wurde, dann die endlosen Wirren der Vorsaison, als zeitweilig nur noch der Zeitpunkt des Trainerrauswurfs von Falko Götz diskutiert wurde und junge und alte Spieler sich in Cliquen atomisiert hatten; Friedrich ist von Marcelinho auf dem Platz geohrfeigt worden, er ist zum Stammspieler der Nationalelf aufgestiegen, „man hat hier so einiges erlebt“. Arne Friedrich gehört zu den Erfahrenen im Team, und bei aller Jugendbewegung sind immer noch sie es, die den Ton in der Mannschaft angeben. Van Burik, Baştürk, Friedrich, Fiedler, Šimunić – „wenn man sich die ersten Elf ansieht, hat sich gar nicht so viel verändert“, rückt Kapitän Friedrich die Dinge ein wenig zurecht. Noch. Die Revolution beginnt dahinter. Gegen Hannover 96 saßen auf der Ersatzbank Sofian Chahed, 23 Jahre alt, Ashkan Dejagah, 20 Jahre, Sdrjan Lakić, 22 Jahre, Patrick Ebert, 19 Jahre, Christopher Samba, 22 Jahre, Chinedu Ede, 19 Jahre, und Ersatzkeeper Kevin Stuhr Ellegaard, 23 Jahre. Sonst saß dort niemand. Hertha mäandert zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Vergangenheit wird an diesem Mittwoch im alten Arbeiterstadtteil Wedding gefeiert. Ein paar Rentner haben sich versammelt, eine Handvoll Kommunalpolitiker, Küchendienst mal anders: Zwei Stars von morgen posieren deren Gesichter vor Stolz glänzen, Zecke Neuendorf, Torwart Christian Fiedler und Dick van Burik sind auch da. Der Platz vor dem SBahnhof Gesundbrunnen soll künftig den Namen des Hertha-Idols Hanne Sobek tragen; ein Straßenschild wird feierlich enthüllt, es fallen ein paar warme Worte, der Bezirksbürgermeister erinnert an den ehemaligen Natio- Werner Gegenbauer hält auch eine kurze Rede, bevor er wieder in Richtung Zürich entschwindet. Geschäftstermine. Gegenbauer ist ein wichtiger Mann in Berlin, er hat jahrelang die einflussreiche Handelskammer der Hauptstadt geleitet, jetzt ist Gegenbauer deren Ehrenpräsident, sein Unternehmen hat 12.000 Mitarbeiter, Umsatz 300 Millionen Euro. Ge- Mehr als 40 Millionen Euro Schulden drücken den Verein. Alternativen zum Jugendstil gibt es allein deshalb nicht nalspieler, der hier um die Ecke gewohnt hat, und spricht davon, dass „die heutige Mannschaft auf dem Weg ist, Sobeks Taten zu wiederholen“. Zecke Neuendorf grinst, Sobek war der Star der letzten Hertha-Mannschaft, die den deutschen Meistertitel nach Berlin geholt hat. Das war 1931. meinsam mit Bürgermeister Klaus Wowereit hat er dafür gesorgt, dass die LeichtathletikWM 2009 nach Berlin kommt. Nebenbei ist er der Aufsichtsratsboss von Hertha. Mehr als 40 Millionen Euro Schulden drücken den Verein, die Berliner Zeitungen waren vor einem halben Jahr voll mit Worten RUND 63 rund1006_060_065_Hertha 63 07.09.2006 21:39:24 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha „1,2,3, Oberkörper frei“: Ein künftiger Ultra gibt alles In zwei Jahren ein Spitzenteam: Trainer Falko Götz bittet um Geduld Der Verein passt gut zu Berlin. Eigentlich hat man kein Geld, aber dennoch scheint vieles möglich wie „dramatische Finanzkrise“. Doch Gegenbauer macht noch einen ganz entspannten Eindruck: „Dass der Verein im Vorjahr Probleme bekam, lag weniger an der Höhe der Schulden als vielmehr an einigen falsch gesetzten Fristen.“ Seitdem arbeite man aber daran, „die Rahmenbedingungen des Vereins weiter zu optimieren“. Mit der Deutschen Bahn hat man sich einen potenten Hauptsponsor über drei Jahre gesichert. Teure Neueinkäufe wird man sich trotzdem erst einmal nicht erlauben. „Der Kurs der Geschäftsführung, auf die Förderung der jungen Spieler zu setzen, wird von den Aufsichtsratsgremien voll mitgetragen“, sagt Gegenbauer. Er macht aber auch klar: „Wenn man sich das Team von heute anschaut von Friedrich über Baştürk bis Pantelić – das ist keine Sparversion eines Bundesligateams. Wir reden hier nicht über Hertha light. Da muss schon Leistung her.“ Hertha passt gut zu Berlin. Der Kader verändert sich massiv, junge Leute kommen hinzu, der Verein hat eigentlich überhaupt kein Geld, und trotzdem scheint vieles möglich. Hertha ist eine Baustelle, aber der Betrieb lässt sich davon nicht stören. „Wir sind im Umbruch“, sagt der Trainer. „Der Verein ist wie die Stadt, es gibt hundert Wahrheiten, und alle stimmen auf ihre Weise“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende. „Wie es mit dem Verein weitergeht? Es kann gleichermaßen aufwärts und abwärts gehen“, sagt Sofian Chahed. Chahed ist einer der Musterknaben der Hertha-Akademie. Ein Berliner Junge mit den Heimatvereinen FV Wannsee und Hertha Zehlendorf. 1998 wurde er mit 15 unter die Fittiche der Hertha-Ausbilder genommen, er ist kontinuierlich aufgestiegen, hat mittlerweile mehr als 25 Bundesligapartien gespielt. „Ich bin langsam in die Rolle des Profis hineingewachsen, das war bestimmt ein Vorteil.“ Das Internat liegt direkt auf dem Vereinsgelände, den Profis ist er jahrelang täglich über den Weg gelaufen, der Sprung in den Bundesligakader war danach nicht mehr so groß. Sein Ziel: „Nationalspieler“. So wie sein Freund Malik Fathi, der gegen Schweden in der NachKlinsmann-Ära seinen ersten großen Auftritt im Eliteteam des DFB hatte. „Junge Spieler, die sind natürlich auch für jeden Profikader erst einmal ein Faktor, der die Kosten drückt“, sagt Vogel. Den Etat der Bundesligamannschaft zu senken, indem man teure, ältere Spieler durch preiswertere Eigengewächse ersetzt, diese zu vollwertigen Bun- RUND 64 rund1006_060_065_Hertha 64 07.09.2006 21:39:32 Uhr GLEICHE HÖHE Junge Dame Hertha Aufwärmen mit Maskottchen: der Bär im Kreise der Spieler Einer von vielen: Patrick Ebert gilt als Hoffnungsträger desligaprofis macht, um sie dann für viel Geld an andere Vereine zu verkaufen – „Transferwerte schaffen“, wie Vogel das nennt –, ist für den hoch verschuldeten Hauptstadtverein überlebensnotwendig. Der Cheftrainer wehrt sich trotzdem gegen den Eindruck, es sei von den finanziellen Rahmenbedingungen diktiert, dass der Klub auf die Jugend setze. „Meine Philosophie ist, mit jungen Leuten zu arbeiten, und es ist keine von außen aufgezwungene Philosophie“, sagt Falko Götz. Es hat sich etwas Merkwürdiges ereignet in dieser Stadt. Hertha startet in die neue Saison, und niemand erwartet von dem Verein Wunderdinge. „Die Erwartungshaltung ist sicherlich niedriger als in den vergangenen Jahren“, sagt Götz, und das lässt nicht nur ihn gelassener wirken. „Wir gehen mittlerweile schon lockerer an die Sache heran“, hat auch Chahed festgestellt, „ich finde es zum Beispiel jetzt nicht mehr so hart, wenn wir gegen eine Spitzenmannschaft verlieren sollten.“ Und Hoeneß sagt: „Dieses Team wird auch Rückschläge erleiden. Darauf sind wir vorbereitet.“ Hertha entspannt sich. Zudem herrsche nach dem Abschied des Sorgenkinds Marcelinho „jetzt eine Super-Harmonie im Team“, wie Arne Friedrich sagt: „Da fühle ich mich sehr an die Nationalmannschaft erinnert.“ gertypen“ nennt. Hoeneß spricht von „Typen, die Leidenschaft mitbringen, die nicht mehr abgezockt sind“. Solche Typen „werden wir weiterentwickeln“. „Der Verein ist mittlerweile auf einem sehr guten Weg. Wir sind weiter als vor zwei Jahren“, ist Arne Friedrich überzeugt. Auch weiter als das Image, das dem Verein immer noch anhängt. Alte Dame, der Mief des alten Westberlin, Wilmersdorf-Style. Frank Zander singt nach wie vor die scheppernde Hertha-Hymne „Nur nach Hause gehen wir nicht“, obwohl Hoeneß mal darüber nachgedacht hat, sie durch etwas Moderneres zu ersetzen. Berlins Reggae-Kollektiv Seeed hat sich angeboten, ein neues Fanlied zu schreiben, aber getan hat sich nichts. „Die Tradition zu erhalten und den Verein trotzdem geschäftsfähig zu halten“, das ist auch aus Gegenbauers Sicht der Seiltanz, den der Verein wagen muss. „Beim Image kann man sicherlich immer noch etwas verbessern“, drückt sich Friedrich diplomatisch aus. Dass das Olympiastadion nur ganz selten richtig voll ist, hat für ihn allerdings weniger mit der mangelnden Attraktivität des Bundesligavereins zu tun: „In Berlin gibt es „Wir müssen nicht lange warten, bis der nächste aus dem Hertha-Internat Nationalspieler wird“ FALKO GÖTZ Mit dem Abgang von Marcelinho fehlt dem Team sportlich ein Star. Marco Pantelić könnte einer werden. Insgeheim setzen alle jedoch auf einen anderen: Kevin-Prince Boateng, zu Saisonbeginn verletzt, wurde in manch Berliner Zeitung schon mal das Zeug zum Weltstar angedichtet. Wenn Götz sagt: „Wir müssen nicht lange warten, bis der nächste aus dem Hertha-Internat Nationalspieler wird“, denkt er vor allem an Boateng. Möglichweise auch an Patrick Ebert, den der Trainer einen „Sie- einfach so viele Abwechslungen, es gibt Basketball, Eishockey, spannende Kinopremieren – hier ist einfach zu viel los.“ Man müsse als Gegenbeispiel nur nach Gelsenkirchen schauen, wo das Stadion immer voll besetzt sei: „Da gibt es eben nur den Fußball.“ Offiziell hat der Verein für diese Spielzeit kein Saisonziel ausgegeben. Manager Hoeneß hat allerdings ein Motto für diese Spielzeit formuliert. Es lautet: „Ehrlicher Fußball“. Hanne Sobek hätte seine Freude daran. RUND 65 rund1006_060_065_Hertha 65 07.09.2006 21:39:40 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Wo sind die Roten Sterne hin? Vor 15 Jahren gewann Roter Stern Belgrad den Europapokal der Landesmeister und kurz darauf den Weltpokal. Doch dann zerfiel das Land, dessen Hauptstadt Belgrad war – auch die Mannschaft von Roter Stern zerstreute sich. Wo sind die Stars von 1991 heute? QUELLE: TRANSFERMARKT.DE UND ANDERE DRAGISA BINIĆ ROBERT PROSINEČKI VLADA STOŠIĆ REFIK SABANADZOVIĆ (geboren am 20. Oktober 1961): (geboren am 12. Januar 1969): (geboren am 31. Januar 1965) (geboren am 2. August 1965): 1987/88 Roter Stern Belgrad 1988/89 Brest Stade 1989/90 Levante UD 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1992/93 SK Slavia Prag 1993/94 A.P.O.E.L. Nikosia 1994/95 Nagoya Grampus Eight 1995/96 Tosu Futures 1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1993/94 Real Madrid 1994/95 Real Oviedo 1995/96 – 1996/97 FC Barcelona 1996/97 FC Sevilla 1997/98 – 1999/00 Dinamo Zagreb (bis Februar 2000 als Croatia Zagreb bekannt) 2000/01 NK Hrvatski Dragovoljac Zagreb 2001 Standard Lüttich 2001/02 FC Portsmouth 2002/03 NK Olimpija Ljubljana 2003/04 NK Zagreb 2006 NK Savski Marof 1984/85 Roter Stern Belgrad 1985/86 Footscray JUST 1985/86 – 1986/87 Roter Stern Belgrad 1987/88 FK Radnički Novi Beograd 1987/88 FK Radnički Niš 1988/89 – 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1993/94 Real Mallorca 1994/95 – 1996/97 Real Betis 1997/98 – 1998/99 Vitoria Setubal FC 1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1995/96 AEK Athen 1996/97 – 1997/98 Olympiakos Piräus 1998/99 – 1999/00 Kansas City Wizards AKTUELLE TÄTIGKEIT: Ist mehrere Jahre Direktor des Fußballvereins FK Obilić gewesen. Er besitzt mehrere Cafés in Belgrad. Dragisa Binić ist auch heute noch sehr präsent in den serbischen Medien, da er Abgeordneter der rechtspopulistischen „Partei der serbischen Einheit“ war. Binić ist, obwohl er sich durch seine politischen Betätigungen viele Feinde gemacht hat, regelmäßig bei serbischen Fußballklubs als Trainer im Gespräch. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Ist Funktionär beim spanischen Klub Betis Sevilla. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Lebt in Sarajevo (Bosnien und Herzegowina) und kümmert sich um die Ausbildung seiner vier Kinder. Sonst entspannt er auch gerne an der montenegrinischen Küste. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Immer noch bei Savski Marof aktiv. VLADIMIR JUGOVIĆ (geboren am 30. August 1969): da hi nt 1989 – Januar 1990 Roter Stern Belgrad Januar 1990 – Juni 1990 Rad Belgrad* 1990/91 – 1991/92 Roter Stern Belgrad 1992/93 – 1994/95 Sampdoria Genua 1995/96 – 1996/97 Juventus Turin 1997/98 Lazio Rom 1998/99 Atletico Madrid 1999/00 – 2000/01 Inter Mailand 2001/02 – 2002/03 AS Monaco* 2003/04 VfB Admira Wacker Mödling 2004/05 LR Ahlen er SINIŠA MIHAJLOVIĆ (geboren am 20. Februar 1969): 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1993/94 AS Rom 1994/95 Sampdoria Genua* 1995/96 AS Rom 1995/96 – 1997/98 Sampdoria Genua* 1998/99 – 2003/04 Lazio Rom 2004/05 Inter Mailand AKTUELLE TÄTIGKEIT: Seit 2005 Mitglied des Aufsichtsrats von Roter Stern Belgrad. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Seit 2005 Assistenztrainer bei Inter Mailand. SLOBODAN MAROVIĆ MIODRAG BELODEDIĆ (geboren am 13. Juli 1964): (geboren am 20. Mai 1964): 1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1993/94 IFK Norrköpping 1994/95 Silkeborg IF 1989/90 – 1991/92 Roter Stern Belgrad 1992/93 – 1993/94 FC Valencia 1994/95 Real Valladolid 1995/96 Villareal CF 1996/97 – 1997/98 CF Atlante 1998/99 – 2000/01 Steaua Bukarest AKTUELLE TÄTIGKEIT: Lebt in Belgrad und ist Besitzer einer Diskothek. Unter anderem arbeitet er als unabhängiger Talentscout. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Seit 2001 beim rumänischen Fußballverband aktiv. Zur Zeit ist er für die Juniorennationalmannschaften Rumäniens zuständig. DEJAN SAVIĆEVIĆ DARKO PANČEV (geboren am 15. September 1966): (geboren am 7. September 1965): 1988/89 – 1991/92 Roter Stern Belgrad 1992/93 – 1993/94 Inter Mailand 1993/94 VfB Leipzig* (ab Januar 1994) 1994/95 Inter Mailand 1995/96 Fortuna Düsseldorf 1996/97 FC Sion AKTUELLE TÄTIGKEIT: Seit 1997 Fußballrentner. Lebt in Skopje und betreibt ein Sportartikelgeschäft sowie ein Café. STEVAN STOJANOVIĆ (geboren am 19. Oktober 1964): 1983/84 – 1990/91 Roter Stern Belgrad 1991/92 – 1994/95 Royal Antwerp FC AKTUELLE TÄTIGKEIT: Ist Sportmanager bei Roter Stern Belgrad. Stojanović kümmert sich um organisatorische Angelegenheiten und ergänzt somit den Trainerstab. ILIJA NAJDOSKI 1989/90 – 1991/92 Roter Stern Belgrad 1992/93 – 1993/94 Real Valladolid CF 1994/95 – 1995/96 Denizlispor 1996/97 FC Sion 1988/89 – 1991/92 Roter Stern Belgrad 1992/93 – 1997/98 AC Mailand 1998/99 Roter Stern Belgrad 1999/00 – 2000/01 Rapid Wien ab 2001 – 2003 Nationaltrainer von Serbien-Montenegro AKTUELLE TÄTIGKEIT: Hat keinerlei Verbindung mehr zum Fußball. Najdoski lebt in Skopje und betreibt ein Café. AKTUELLE TÄTIGKEIT: Seit 2003 Präsident des Montenegrinischen Fußballverbands (Fudbalski Savez Crne Gore – FSCG). (geboren am 26. März 1964): *ausgeliehen RUND 66 rund1006_066_067_Erbsenz 66 08.09.2006 0:09:16 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Der wahre Pokalsieger Den Pokal stemmen will jeder, aber was ist er wirklich wert? RUND hörte sich bei Graveuren, Gold- und Silberschmieden um. Und erstellte so das ultimative Ranking der bekanntesten europäischen Landespokale DANK AN HERRN HÄNSCH VON DER ALTONAER SILBERSCHMIEDE 1 DEUTSCHLAND 2 Wert: ca. 18.000 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 8 Liter 4 PORTUGAL TÜRKEI 5 ÖSTERREICH 8 DÄNEMARK Wert: ca. 8000 Euro Aufwand: 6 Inhalt: ca. 11 Liter 6 TSCHECHIEN 10 SCHWEIZ 9 ITALIEN Wert: ca. 8000 Euro Aufwand: 7 Inhalt: ca. 3 Liter NIEDERLANDE Wert: ca. 18.000 Euro Aufwand: 9 Inhalt: ca. 2 Liter 12 Wert: ca. 15.000 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 1 Liter 14 FRANKREICH Wert: ca. 21.000 Euro Aufwand: 9 Inhalt: ca. 2,5 Liter Wert: ca. 18.000 Euro Aufwand: 8 Inhalt: ca. 7 Liter Wert: ca. 15.000 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 1 Liter 13 UNGARN ENGLAND Wert: ca. 16.500 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 5 Liter Wert: ca. 21.000 Euro Aufwand: 9 Inhalt: ca. 5 Liter Wert: ca. 10.000 Euro Aufwand: 9 Inhalt: ca. 8 Liter 10 3 Wert: ca. 22.000 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 2 Liter Wert: ca. 22.500 Euro Aufwand: 10 Inhalt: ca. 1 Liter 7 SCHOTTLAND SPANIEN Wert: ca. 10.000 Euro Aufwand: 9 Inhalt: ca. 2 Liter 15 POLEN Wert: ca. 5000 Euro Aufwand: 5 Inhalt: ca. 6 Liter Die neue Preisfrage lautet: Wie heißt der erste deutsche Fußballpokal? Antworten bis zum 16. Oktober 2006 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg; info@rund-magazin.de, Stichwort: Pokal. Wir verlosen ein wertvolles Memo-Legespiel mit Fußballweisheiten. Die Lösung aus 9/06 lautet: Sieben derzeit im Ausland spielende deutsche Fußballer nahmen schon an WMs teil (inklusive David Odonkor, der im Antwortzeitraum nach Sevilla wechselte). Die Gewinner der Bücher aus dem egoth-Verlag werden im nächsten Heft bekannt gegeben. Die Gewinner des August-Rätsels (je ein Freitag-Fußball „Calcio“) sind: W. Morgen, Berlin; H. Kreutz, Cochem; P. Richter, Münster; T. Storch, Freiberg; R. Hornauer, Erlangen. Die Gewinner werden verständigt. !!! Hi e r g ib Gewin t’s ne !!!!! RUND 67 rund1006_066_067_Erbsenz 67 08.09.2006 0:09:20 Uhr RUND Im Abseits IM ABSEITS ABSEITIG ORIGINELL KOMISCH „Ich wäre keine gute Bestzung für einen James-Bond-Film“ SIMON ROLFES 70 LÜGENDETEKTOR „Mehr Anarchie wäre schon gut“ – Im Test auf Herz und Nieren: Simon Rolfes aus Leverkusen 74 MANNSCHAFTSHOTEL Warten auf Dunga – Warum ein Interviewtermin auch mal drei Tage dauern kann 80 FUSSBALLMAFIA Mord aus Rache – Fabrice Noël hat zwei Brüder verloren, weil er den Klub nicht wechseln wollte 88 TV-JUNKIES Fußballer müssen ins Eckige – RUND zeigt die peinlichsten Fernsehauftritte aller Zeiten RUND 69 rund1006_068_069_VorschaltAbseitAbs1:69 Abs1:69 05.09.2006 12:23:18 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „Mehr Anarchie wäre schon gut“ DER LEVERKUSENER SIMON ROLFES IST AUF DEM SPRUNG IN DIE NATIONALMANNSCHAFT. GRUND GENUG FÜR UNS, DEN BUNDESTRAINERN EIN WENIG ARBEIT ABZUNEHMEN UND SEINE CHARAKTERLICHE EIGNUNG ZU PRÜFEN. DER 24-JÄHRIGE REDET AM RUND-LÜGENDETEKTOR ÜBER SEIN FAIBLE FÜR INDIANER, WAS IHM KÜRZLICH NACH DER SAUNA PASSIERT IST UND OB ER DER GEEIGNETE MANN IST, DIE WELT ZU RETTEN Was denken Sie gerade? SIMON ROLFES Was jetzt wohl passiert. Es ist schon ein bisschen ungewöhnlich, hier so verkabelt zu sitzen. Etwas angespannter als sonst bin ich schon. Was war der peinlichste Moment, an den Sie sich erinnern können? Als meine Freundin Anfang des Jahres eine Überraschungsparty für mich organisiert hatte, ich das aber gar nicht lustig fand. Wir hatten an dem Tag ein Vorbereitungsspiel, das ziemlich scheiße war. Ich kam nach Hause, wollte meine Ruhe – und auf einmal war die Bude voll. Man merkt mir immer sehr schnell an, wie meine Laune ist. Da konnte ich mich jedenfalls überhaupt nicht entspannen – und die Gäste konnten die Party auch nicht mehr so richtig genießen. Eigentlich hätte ich mir fünf Kurze reinhauen sollen, dann wäre es lockerer gewesen. (++++) Ist es Ihnen unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen? Wenn ich weiß, dass der Fokus wie bei einer Autogrammstunde auf mich gerichtet ist, dann ist es okay. Dann kann ich mich darauf vorbereiten. Aber wenn es so überraschend kommt, ist das nicht mein Ding. Was sollte verboten werden in Deutschland? Rauchen in Gaststätten. Ich hoffe, dass das bald kommt. Mich nervt nichts mehr, wenn ich abends mal weg bin und am nächsten Morgen an meinen stinkenden Klamotten rieche. INTERVIEW SVEN BREMER UND OLIVER LÜCK, FOTOS DAVID KLAMMER Haben Sie nie geraucht? Nein, noch nie. Ich bin wirklich total allergisch dagegen. Und was sollte erlaubt sein? Mich stört, dass alles immer total geregelt ist. Ich fände es besser, wenn dem Einzelnen ein bisschen mehr Freiheit gelassen würde. Wenn man einen Laden eröffnet zum Beispiel, dann muss man erst mal fünfzig Behördengänge machen, bis man seine eigenen Ideen verwirklichen kann. Dieses typisch Deutsche, wo alles bis ins kleinste Detail geplant ist. Ich bin doch selbst für mich verantwortlich. Andererseits bin ich auch dafür, dass manche Sachen schön geregelt sind, dass ich weiß, wo dieses oder jenes bleibt. Aber ein bisschen mehr Anarchie … … wäre manchmal schon gut. Und Sie brauchen Freiheiten, aber auch gewisse Sicherheiten. Das ist schon ein schwieriger Mix: Mal bin ich etwas spontaner, mal habe ich es lieber geregelt. Gerade beim Mannschaftssport gehört Disziplin dazu. Ich bin sportlich gesehen schon sehr ehrgeizig und diszipliniert. Ich bin aber auch launisch. Das ist die andere Seite. Ich finde es gut, nicht immer in dieses Korsett eingezwängt zu sein. Ich brauche meine Freiheiten. Haben Sie ein Faible für Helden, die die Menschheit vor dem Weltuntergang retten? Manchmal finde ich das schon geil, dieses Heroische in den amerikanischen Filmen. Und so ein Happy End ist doch schöner als wenn du ein trauriges Ende hast. James Bond finde ich cool. Oder auch Bruce Willis. „Und? Robert Hoyzer?“: der RUND-Polygraf LÜGENLEGENDE Pippi Langstrumpf Pinocchio Baron Münchhausen Robert Hoyzer ++++ ++++ ++++ ++++ RUND 70 rund1006_070_072_Luegendetek 70 07.09.2006 22:01:09 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „Was passiert wohl gleich“: Leverkusens Mittelfeldprofi Simon Rolfes wird verkabelt RUND 71 rund1006_070_072_Luegendetek 71 07.09.2006 22:01:10 Uhr IM ABSEITS Taugen Sie selbst zum Helden? Nein, ich wäre keine gute Besetzung für einen James-Bond-Film. Von meiner ganzen Art und Weise. Nein, das bin ich nicht. Auch zum Willis-Double tauge ich nicht. Der hat schon ein paar mehr Muskeln als ich. Ich mag es aber sehr, wenn es im Fußball zur Sache geht, wenn Action drin ist, wenn man Körperkontakt hat. Vielleicht lebe ich da den James Bond in mir aus. (++++) In welchem Zeitalter würden Sie gerne einmal leben? Karl May habe ich schon immer gerne gelesen. Ich finde es faszinierend, wie sich bei ihm die Indianer in der Natur nur auf ihre Instinkte verlassen konnten. Ob ich da gerne hätte leben wollen, weiß ich nicht, aber auszuprobieren, ob das möglich ist, so feine Sinne zu entwickeln, fände ich spannend. Wie sehr sind Sie Indianer auf dem Platz und verlassen sich dort auf Ihre Instinkte? In meinen besten Spielen sehr. Da denke ich nicht groß nach. Die besten Szenen, die ich in einem Spiel habe, passieren immer aus dem Instinkt heraus. Ein Fußballindianer. Ja. Glauben Sie, dass die Instinkte durch die fortschreitende Technisierung mehr und mehr verdrängt werden? Ja, und das finde ich schade. Die Indianer brauchten zum Beispiel ihre Instinkte, um sich zu beschützen. Heutzutage kauft man sich eine Alarmanlage. „Neulich bin ich nach der Sauna abgeklappt – zack, weg war ich“ Sind Sie zurzeit nervös, wenn das Telefon klingelt? Nein, warum? (++++) Es könnte der Bundestrainer sein. Der hat meine Nummer gar nicht. Joachim Löw hat Sie noch nie angerufen? Nein, darüber mache ich mir aber auch keine Gedanken. Entweder es passiert oder es passiert nicht. Ich denke, dass ich auf einem guten Weg dahin bin. Wenn ich so weiterspiele, wird es sicher irgendwann klappen. Zu meiner Bremer Zeit wollte ich unbedingt den Sprung in die erste Elf schaffen. Aber ich war zu verbissen und zu ungeduldig. Jetzt bleibe ich da doch lieber locker. Lügendetektor „Groupies sind nicht mein Ding“: Rolfes ehrlich Ist es einfach, den Angeboten von Groupies zu widerstehen? Das ist kein Problem. Hier in Leverkusen gibt es nicht viele. Sie können ja mal beim Training zuschauen. Da ist nichts los in dieser Richtung. Aber das wäre auch nicht mein Ding. Da kommt wieder die Disziplin bei mir durch. Oder anders gesagt, da gibt es schon gewisse Werte, nach denen ich lebe. Noch nie heimlich in die Mädchenduschen geschaut? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Und? Robert Hoyzer? Nein, sehr ehrlich! Sind Sie schon mal in Ohnmacht gefallen? Gerade neulich bin ich nach der Sauna abgeklappt. Ich habe mich mit dem Trainer lange unterhalten, bin zu lange drin geblieben und habe danach unter der Lüftung gestanden – zack, weg war ich. Ich habe nur noch gemerkt, wie Michael Skibbe mich in die Ecke gelegt hat. Was war der letzte Traum, an den Sie sich erinnern können? Das war heute Nacht. Ich habe geträumt, dass die ganze Kabine rappelvoll war, obwohl trainingsfrei war! Im Traum habe ich mich gewundert und gedacht: Wow, so viele sind da, obwohl gar kein Training ist. Sie fühlen sich wohl in dieser Mannschaft. Ja, dieses Jahr haben wir ein super Team mit Perspektive. Der Geist, mit dem wir in dieser Saison auftreten ist ein ganz anderer. Zu sehen, dass wir mutig nach vorne spielen und Vertrauen zueinander und in unsere technischen Fähigkeiten haben, macht wahnsinnig Spaß. Kennen Sie das Spiel „Tat oder Wahrheit“? Ja, von früher. So mit Flaschendrehen – der auf den die Flasche zeigt muss entweder etwas preisgeben oder etwas Verrücktes tun. Bei uns hieß das „Wahrheit oder Pflicht“. Und? Wahrheit oder Pflicht? Hier mit Ihnen kann ich ja locker „Pflicht“ sagen. (++++) Und wenn wir uns ausdenken, dass Sie nun nackt durchs Hotel laufen müssen? Dann würden meine Mannschaftskollegen auf jeden Fall komisch gucken. Das würden sie mir ganz sicher nicht zutrauen. Dann also doch lieber „Wahrheit“. Schon mal Strippoker gespielt? Ich habe neulich im Trainingslager das erste Mal Poker überhaupt gespielt. Nach einer Runde war ich raus, weil ich gleich alles gesetzt hatte. Mir war das irgendwie zu langweilig, bis zur nächsten Runde zu warten. Deshalb habe ich wohl auch nie Strippoker gespielt.< FAZIT: Selten war jemand so ehrlich wie der Leverkusener Fußballindianer. Simon Rolfes hat keinen Spaß an unzeitigen Überraschungen und am Pokerspiel. Das kann schon sein, denn für so ein ausgebufftes Spiel ist er einfach zu launisch. Eines glauben wir ihm jedoch überhaupt nicht: Dass Bundestrainer Jogi Löw seine Nummer nicht kennt. RUND 72 rund1006_070_072_Luegendetek 72 07.09.2006 22:01:15 Uhr IM ABSEITS Spiel mit Puppen Leise sagt man … Diesen Monat in der stürmischen RUND-Puppen-Story: DER GROSSE STÜRMER-CONTEST – wenn sechs sich streiten, freut sich immer Miro Klose FOTOS STEPHAN PFLUG Sehr verehrtes RUND-Publikum, ich freue mich sehr, Sie zum allerersten alternativen Stürmer-Contest der Welt begrüßen zu dürfen! Es treten gegeneinander an … Im ungleichen Duell ist der Bayern-Sturm Roy und Poldi zu stark für van Nistelrooy: … der holländische Hurrik an: RU UD! … der bajuwarische Blizzard: ROY!! aus … die bärtige Böe dem Pott: KEVIN!!! von … der Wirbelwind !!!! der Weser: MI RO … der Münchner Mistral: PO LD I!!!!! … die hanseatische !!!! Heulboje: BE NNY!! hneeSc ker … der Schal !!! sturm: GE RALD!!!! Im Wettstreit mit dem Watteball hat Gerald keine Chance gegen Benny: PUST 5000 Lire auf Lauth! Und Kevin stürmt der Blondine routiniert die Haare trocken: PUST PUST PUST PUST PUST PUST PUST Doch einer ist und bleibt der beste aller Stürmer: Denn Miro interessiert das Ganze nicht mehr als ein leises … Im Wettbewerb mit der Regenwolke setzt sich die Erfahrung durch: GRUMMEL GRUMMEL DONNER UNDBLITZ GRUMMEL PUST PUST PUST Sc Im hw nä ei ch ••• ni s w ten ird H en ef ••• tfü t: hr t!! PUST Wir danken der Firma Revell für die freundliche Bereitstellung der Kick-O-Mania-Puppen. RUND 73 rund1006_073_Puppen Abs1:73 07.09.2006 22:16:05 Uhr IM ABSEITS Mannschaftshotel „Mehr Verantwortung als der Staatspräsident“: Carlos Dunga ist neuer Nationaltrainer Brasiliens RUND 74 rund1006_074_077_Dunga 74 07.09.2006 22:20:47 Uhr Es kommt nicht häufig vor, dass man einen brasilianischen Nationalspieler beim Pinkeln trifft. So etwas passiert ganz einfach nicht. Umso überraschter ist man, wenn plötzlich Edmilson vom FC Barcelona neben einem am Pissoir steht, freundlich grüßt und fragt, ob „alles klar“ sei. „Alles klar“, fällt die Antwort knapp aus. Es ist einer dieser Momente, in denen sich zeigt, dass auch galaktische Superhelden menschlich sind. Draußen vor dem Fünfsternehotel sitzen Edmilsons brasilianische Kollegen abfahrbereit im Mannschaftsbus wie Schulkinder vor einer Klassenfahrt. Im Winter stürzen sich hinter dem Hotel dürre Männer mit Helmen auf Skiern waghalsig den Berg hinunter. Wie eine Straße, die im Himmel endet, erhebt sich dort die Skisprungschanze des Holmenkollen. Bei guter Sicht kann man aus der Hotellobby die Schiffe sehen, die durch den Oslo-Fjord in den Hafen der Stadt einlaufen. Morgen wird das brasilianische Nationalteam zum ersten Spiel nach dem verkorksten Viertelfinal-Aus der WM im Ulleval-Stadion auflaufen. Die mit einer Kapazität von 25.000 Zuschauern größte Fußballarena Norwegens ist seit Monaten ausverkauft. Es wird ein besonderes Spiel werden, nicht nur weil die Skandinavier die letzten beiden Vergleiche mit den Südamerikanern gewinnen konnten. Es wird auch das erste Spiel des neuen Trainers sein, der in Brasilien umstritten ist: Carlos Caetano Bledorn Verri, kurz Dunga, zuvor noch nirgendwo Trainer, 1994 Kapitän der Weltmeisterelf und Mitte der 90er zwei Jahre Profi beim VfB Stuttgart. „Nun hat er mehr Verantwortung als der Staatspräsident“, sagt Rodrigo Paiva. Paiva ist Pressesprecher der Seleção, Ende 30 und braun gebrannt. Drei Wochen zuvor hatte er mir ein Interview mit Dunga telefonisch zugesichert. „Kommen Sie nach Oslo, dort wird es klappen.“ Über 5000 Menschen haben acht Euro Eintritt bezahlt, um den Ballzauberern bei einem müden Trainingskick zuzusehen. Ronaldinho, Kaká, Roberto Carlos, Zé Roberto und Ronaldo sind nicht mit nach Norwegen gereist. Doch auch wenn Robinho oder Lucio in die WARTEN AUF DUNGA Drei Tage harrte unser Redakteur in einem HOTEL IN OSLO aus, um den Nationaltrainer Brasiliens zu treffen – für acht Minuten VON OLIVER LÜCK, FOTOS FREDRIK SOLSTAD, AUGENKLICK, IMAGO RUND 75 rund1006_074_077_Dunga 75 07.09.2006 22:20:54 Uhr IM ABSEITS Menge winken, kreischen Hunderte. Mädchen und Frauen schreien hysterisch etwas von „Liebe“ und „Kindern“. Bei jedem Torschuss geht ein Raunen durch das Stadion. Für 18.30 Uhr ist eine Pressekonferenz im Bauch der Arena angesetzt. Dunga wird da sein, heißt es. 60 Journalisten warten. Eine Gelegenheit, um mit Pressesprecher Paiva auf Tuchfühlung zu gehen und vorsichtig nach dem versprochenen Interview zu fragen. Dunga kommt. Blitzlichter. Er trägt Trainingsanzug. Seine Haare hat er perfekt gedrillt. Einzelne Stacheln stehen derart akkurat nach oben, dass man sie zählen könnte. TV-Kameras surren. Dunga setzt sich auf das Podium, richtet seine Augen ins Nirgendwo und wartet auf Fragen. Er spricht von „starken Norwegern“ und seiner „neuen Herausforderung als Nationalcoach“. Nach fünf Minuten bedankt er sich und geht. Ich sichte den Pressechef. Obwohl der sich nicht an unser Telefonat erinnern kann, macht er mir Mut, dass Dunga heute im Anschluss an das Abendessen bereit wäre zu reden. „Kommen Sie ins Hotel.“ In den Sesseln im Foyer sitzen brasilianische Journalisten an ihren Laptops, schreiben Texte, schneiden ihre TV- und Radiobeiträge. Immer wieder fällt der Name Dunga. Immer wieder taucht er auf den Bildschirmen auf. Immer wieder sagt er dieselben Sätze über das morgige Spiel gegen „die starken Norweger“ und seine „neue Herausforderung“ als Trainer. Dunga esse jetzt, heißt es. Im Anschluss habe er eine Besprechung mit Ricardo Teixeira, dem brasilianischen Fußballpräsidenten. Ich solle mich noch etwas gedulden. Die Chancen stünden aber gut, dass das Interview noch am Abend stattfinden könne. Zwei Stunden später taucht Dunga auf. Wie ein König steht er auf der Empore des Foyers, hat seine Hände auf das Geländer gestützt und beobachtet die Journalisten. Jetzt wird es gleich losgehen, denke ich, und begebe mich in Startposition. Doch im nächsten Moment ist Dunga schon wieder verschwunden. Eineinhalb Stunden später bin ich in einem der Sessel mit Karomuster eingenickt. Ich wache auf, als mich jemand am Ärmel zieht. Vor mir steht ein dicker Mann. Er trägt Shorts und Mannschaftshotel ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Albert“. „Du bist der Deutsche, der auf Dunga wartet!“ Er hüpft von einem Bein auf das andere, wie ein Schulmädchen, das einen Abzählreim singt. „Ja. Und wer bist du?“ – „Ich bin Albert.“ – „Und auf wen wartest du, Albert?“ – „Ich bin Fan der Seleção und werde morgen auf das Spielfeld laufen! Das ist mein Hobby.“ Er grinst, als wäre er bei der Pointe eines raffiniert aufgebauten Witzes angekommen. Und er erzählt, wie er vor zwei Jahren im Endspiel der EM in Lissabon auf den Platz lief und ins Tornetz sprang. Für morgen wolle er sich etwas ganz Besonderes ausdenken. Ich sage ihm, dass die Norweger sich über einen Wikingerhelm freuen würden. Albert jauchzt, hält das für eine gute Idee. Wir reden noch etwas über Fußball und sein Hobby, dann wünschen wir uns Glück – ich ihm für seine morgige Aktion, er mir für das Warten auf Dunga. Es ist nach Mitternacht, als Rodrigo Paiva an der Rezeption auftaucht. Ich gehe zu ihm. Doch das Gesicht des Pressesprechers verrät nichts Gutes. Dunga sei auf sein Zimmer gegangen und habe die Tür abgeschlossen. Für heute könne er nichts mehr machen. „Kommen Sie morgen wieder.“ Gegen zehn Uhr nach dem Frühstück werde es klappen. Um zwölf Uhr am nächsten Tag noch immer keine Spur von Dunga. Doch ich habe mit Falcão sprechen können, dem großen Falcão, der in den 80er Jahren an der Seite von Zico und Socrates den schönsten Fußball der Welt spielte. Heute arbeitet der 52-Jährige als Cokommentator für das brasilianische Fernsehen und will wissen, warum Marcelinho nicht in Berlin geblieben ist, ob Hamburg schön ist und ob Tinga sich in Dortmund wohl fühlen wird. Eine halbe Stunde geht das so. Ich bin froh, mit Falcão zu reden. Als ich mich wieder in meinen Sessel setzen will, sitzt dort ein älterer Herr und schläft. Falcão klärt mich auf, dass das José Ramiz Wright sei. Der brasilianische Schiedsrichter, der Keine Spur von Dunga, doch ich habe mit Falcão sprechen können, dem großen Falcão 1990 das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und England pfiff. Etwas später sitze ich neben dem einstigen Weltschiedsrichter und frage ihn nach seinen Erinnerungen an das Spiel. „Rudi Woller“, sagt er, „ich erinnere mich an seinen Schnauzbart.“ Er lacht und zwinkert mir zu. Wir reden über die WM in Deutschland, technische Hilfsmittel für Schiedsrichter und Dunga. Gegen 18 Uhr fährt die Mannschaft zum Stadion. Dunga wolle noch immer mit mir reden, müsse sich nun aber auf das Spiel konzentrieren. Das Spiel ist langweilig. Die Norweger spielen hart, die Brasilianer schlecht. In der 33. Spielminute kommt Albert auf den Platz gelaufen. Er trägt einen Wikingerhelm und rennt bis zum Mittelkreis, ehe er unter dem Gejohle der Masse von drei Sicherheitsleuten aus dem Stadion getragen wird. Er hat seine Mission erfüllt, denke ich und überlege, was sie jetzt wohl mit ihm anstellen werden. Nach 90 Minuten heißt es 1:1. Alle sind zufrieden. Dunga steht unten in den Katakomben, dort wo sich die Spieler im Vorbeigehen mit den Journalisten treffen. „Ich bin stolz auf mein Team“, sagt er, „Norwegen war ein starker Gegner.“ Seine Stimme klingt rau und müde. Die meisten Spieler sitzen schon wieder hinter getönten Busfenstern, warten auf die Rückfahrt ins Hotel. Robinho und Cicinho feixen auf der hintersten Bank. Sie trommeln mit den Fäusten gegen die Scheibe und winken der Journalistin, die neben mir steht. Sie deuten auf ihre Mobiltelefone. Sie versteht, schreibt ihre Nummer auf ein Stück Papier und drückt es an die Scheibe. Die beiden Profis von Real Madrid jubeln wie kleine Kinder. Kurz darauf klingelt das Handy der Frau. „Morgen Vormittag“, hatte mir Paiva noch zugerufen, bevor sich die Tür schnurrend zuzog und der Bus davonrauschte, „morgen im Hotel. Dunga wird Zeit für Sie haben.“ Ab neun sitze ich wieder in der Lobby. Lange passiert nichts. Dann lässt Dunga sich entschuldigen. Nur kurz noch unter die Dusche, dann komme er, lässt er ausrichten. Ich warte, 45, 90, 120 Minuten, habe mittlerweile drei Kaffee zu je acht Euro getrunken und frage mich, was ich da überhaupt mache. Nach vier Stunden kommt Dunga. Er trägt ein blaues Hemd und eine schwarze Hose. Er begrüßt mich wie einen gegnerischen Kapitän im Mittelkreis, ein fester Händedruck, ein bestimmender Blick. Dunga ist da. Wir setzen uns in RUND 76 rund1006_074_077_Dunga 76 07.09.2006 22:20:58 Uhr IM ABSEITS Mannschaftshotel „Deutsche geben nie auf“: Carlos Dunga vor dem Osloer Mannschaftshotel die Sessel an den Tisch, wo ich zwei Tage zuvor eingeschlafen war. „Wir müssen zum Flughafen. Zehn Minuten“, befiehlt Paiva. Senhor Dunga, ich möchte mit Ihnen übers Deutsch-Sein sprechen. CARLOS DUNGA Okay. Wie wirken Deutsche auf Sie? Die Deutschen sind sehr willensstark, konzentrieren sich hundertprozentig auf das, was sie erreichen wollen, und geben nie auf. Dann sind auch Sie ein Deutscher? Nun, ich habe in Deutschland gearbeitet. Die deutsche Mentalität gefällt mir, dieses Zielgerichtete. Meine Einstellung auf dem Platz kommt der deutschen schon sehr nahe, deshalb bin ich aber noch lange kein Deutscher. Glauben Sie, dass der deutsche Fußball den brasilianischen beeinflusst hat? Ich glaube, dass der europäische Einfluss auf den brasilianischen Fußball nicht zu übersehen ist. Die meisten Nationalspieler verdienen ihr Geld in Europa, wo professioneller ge- arbeitet wird – auch in der Bundesliga, wo Lucio, Juan oder Gilberto spielen. Alles Defensivspieler. Der deutsche Einfluss auf die Defensive ist sehr deutlich. Wir haben den Vorteil, viele Einflüsse zu haben – aus Spanien, Italien, Frankreich, England und Brasilien. Die Mischung ist der Stil der Seleção. Werden Sie ergebnisorientierter spielen? Wenn es ein Tabu ist, nicht schön zu spielen, aber zu gewinnen, dann brechen wir es. Ich will gewinnen – egal wie das aussieht. Was können Sie von Klinsmann lernen? Vieles. Zum Beispiel, dass auch wir unsere Gegner vorher besser beobachten müssen. Das haben die Deutschen vor der WM gut gemacht. Ich werde mich sicher noch mit Klinsmann unterhalten und über seine Erfahrungen sprechen. Er hatte genauso wenige Vorkenntnisse als Trainer wie ich jetzt. Paiva tippt auf seine Armbanduhr. Die zehn Minuten sind um. „Letzte Frage, bitte!“ Ihr erster Gedanke an Deutschland? Guido Buchwald. Er half mir, mich zurechtzufinden. Er zeigte mir, was es in Deutschland heißt, ein Gentleman zu sein. Dunga steht auf, hebt den Daumen: „Alles klar?“ – „Alles klar“, sage ich und hebe den Daumen, „vielen Dank für Ihre Zeit.“ Das Gespräch, das nie richtig in Gang kommen konnte, ist zu Ende. Weg ist er. Ich schalte das Diktiergerät aus. Es zeigt 7:54 Minuten. Ich bleibe noch etwas sitzen, beobachte die Menschen im Foyer. Da ist Falcão, der seinen Flieger verpasst hat. Da sind die Journalisten, die an ihren Laptops arbeiten. Auch Albert ist da, der für seinen gestrigen Auftritt einige tausend Euro Strafe zahlen muss. Und auch beim nächsten Spiel der Seleção werden sie alle wieder da sein. Ich fühle mich erleichtert, nicht mehr länger auf Dunga warten zu müssen. Ich verlasse das Hotel und warte auf das Taxi. Die Frau an der Rezeption hat mir versichert, dass es in zehn Minuten da wäre. RUND 77 rund1006_074_077_Dunga 77 07.09.2006 22:20:59 Uhr IM ABSEITS Torlos glücklich „Ich kann keine Tore schießen“ DEM UNTERHACHINGER ZWEITLIGAPROFI RALF BUCHER GELANG IN ÜBER 250 SPIELEN NUR EIN TREFFER – IN DER REGIONALLIGA. DER 34-JÄHRIGE ABWEHRSPIELER ÜBER 15 TORLOSE SPIELZEITEN, GEFÄHRLICHE FLUGKOPFBÄLLE UND WARUM ER ÜBERHAUPT KEINE TORE SCHIESSEN WILL INTERVIEW MIRIAM HEIDECKER, FOTOS URBAN ZINTEL „Ich war nie torfixiert“: Ralf Bucher Herr Bucher, bitte erklären Sie uns, warum Sie keine Tore schießen? RALF BUCHER Ich bin Abwehrspieler. Auch die machen gelegentlich Tore. Das passiert meistens bei Ecken und Standardsituationen. Ich gehöre nicht zu denen, die dann nach vorne gehen. Meine Stärken liegen woanders. Wo denn? Im defensiven Bereich, ganz klar. Bei Standards halte ich den kopfballstärkeren Spielern, die mit nach vorne gehen, den Rücken frei. Ich soll Konter verhindern. Das macht Ihnen gar nichts aus? Nein, ich habe kein Problem damit. Meine Prioritäten liegen woanders. Die einen gucken, dass hinten nichts passiert. Die anderen gucken, dass vorne was passiert. Dann war Ihr bisher einziges Tor ein Unfall? In der Situation war es so, dass sich einer unserer Stürmer zurückfallen ließ und vorne drin keiner war. Deshalb bin ich einfach mit in den Strafraum, und dann kam auch tatsächlich die Flanke genau auf mich. Und dann volley rein! Nein. Per Flugkopfball? Auch nicht. Ich habe ihn aus einem Meter reingeköpft. Und? Wie war das für Sie? Das war schon eine neue Erfahrung für mich. Aber ich bin schon so lange dabei – es war ein Tor und mehr nicht. In diesem Fall das 1:0. Am Ende haben wir 5:0 gewonnen – gegen Borussia Neunkirchen. Aber Herr Bucher, das war Ihr einziges Tor in 16 Jahren. Haben Sie denn nicht gejubelt? Doch, doch, meine Freude habe ich schon zum Ausdruck gebracht. Sie müssen durchgedreht sein. Ich bin eher ein nüchterner Mensch. Wissen Sie nicht, wie man jubelt? Ich freue mich eben genauso wie andere. Bei meinem Tor habe ich aber nicht mit dem Trikot geworfen oder fünf Ehrenrunden gedreht. Die Kollegen sind zu mir gekommen, wir haben uns kurz umarmt und abgeklatscht. Dann ging’s weiter. Träumen Sie manchmal davon, wieder zu treffen? Nein. Nie? Nein, ich war nie torfixiert. Ansonsten wäre ich Stürmer geworden. Dann träumen Sie von gewonnenen Zweikämpfen. Nein. Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten … … dann würde ich mir ganz sicher kein Tor wünschen. Das wäre Verschwendung. Ich wollte schon immer mal ein Flugkopfballtor machen. Das ist eher nichts für mich. Davon geht die Schulter kaputt. Wünschen Sie sich nie denselben Applaus, den ein Stürmer bekommt? Die meisten Leute im Stadion kennen mich und wissen meine Arbeit zu schätzen. Ich komme mir nicht vernachlässigt vor. Die Abwehrarbeit hat mich schon immer faszi- Aber der war drin! niert. Ich bin eher der Ruhige, der strategisch denkt. Vorne spielen die kreativen Köpfe, die eher aus dem Bauch heraus handeln. Man wächst halt in seine Position hinein. Und ich muss das spielen, was ich kann – und ich kann keine Tore schießen. Aber Sie würden gerne noch mal. Wenn Sie so fragen: Ja. Aber es ist kein Muss. Wenn es passiert, ist es gut. Aber wenn ich vor dem Tor stehe und mein Nebenmann besser steht, würde ich den Ball auch ohne Zögern quer spielen. Angenommen Sie treffen diese Saison – schmeißen Sie dann eine Party? Bei einem Siegtreffer in der 90. Minute. Wie würden Sie dann jubeln? Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Die Wahrscheinlichkeit ist auch relativ gering. Aber inszenierten Torjubel halte ich für überflüssig. So neumodischer Kram ist nichts für mich, das sollen die jungen Burschen machen. Man soll die Kirche im Dorf lassen: Ein Tor ist ein Tor, und mehr nicht! RUND 78 rund1006_078_Bucher 78 07.09.2006 17:36:02 Uhr IM ABSEITS Fußballmafia MORD AUS RACHE „Ich weiß, wer meine Konkurrenten sind“: Fabrice Noël im Teamhotel RUND 80 rund1006_080_083_PortraetNoel 80 07.09.2006 17:39:04 Uhr IM ABSEITS Weil er den Verein nicht wechseln wollte, wurden zwei seiner Brüder erschossen. FABRICE NOËL musste seine Heimat verlassen. Heute spielt der Haitianer als Profi in den USA VON STEPHAN MUELLER, FOTOS BRIAN KENNEDY Es kommt vor, dass Fußballspieler in der Kabine weinen. Meist aus Enttäuschung nach einem verlorenen Spiel. Fabrice Noël, Stürmer bei den Colorado Rapids in der US-amerikanischen Major League Soccer weint oft vor dem Spiel. Der 21-Jährige stammt aus Haiti und hat seine Familie seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Er hofft, eines Tages genug Geld als Profi zu verdienen, um seine Mutter, seinen Vater und seinen kleinen Bruder in die USA holen zu können. „Ich fühle mich immer noch fremd in den USA. Aber es wird von Jahr zu Jahr besser. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass zwei meiner Brüder tot sind und ich sie nie wiedersehe.“ Noël ist überzeugt, dass seine Brüder ermordet wurden, weil er sich weigerte, zu einem anderen Team in der haitianischen Liga zu wechseln. Am 16. November 2002 dringen drei maskierte, bewaffnete Männer in das Haus seiner Familie ein und ermorden Noëls Brüder Luckner, der damals 26 Jahre alt war, und Kenson, 25. Seinen kleinen Bruder Jackson lassen sie am Leben – aber nur, damit er Noël eine Nachricht überbringen kann: „Wir werden dich finden und töten“, soll der 13Jährige ausrichten. Wenn Noël von diesem dunkelsten Tag seines Leben berichtet, blickt er zu Boden. Vielleicht weil er sich der Tränen in seinen Augen schämt. In einem Land, in dem Gesetzlosigkeit an der Tagesordnung ist, wird wohl nie eindeutig zu klären sein, welches Motiv die Mörder hatten. Noël ist sich sicher: „Auf Geld oder Wertsachen hatten die es bestimmt nicht abgesehen, bei uns zu Hause gab es nichts zu holen. Mein Vater arbeitet als Zimmermann, und meine Mutter verkauft T-Shirts am Strand.“ Zusammen kommen sie auf einen Monatsverdienst von umgerechnet 30 Euro. „Nein, ich bin überzeugt, dass die das aus Rache getan haben, weil ich nicht zu ihrem Verein wechseln wollte.“ Als Fabrice Noël 2003 politisches Asyl in den USA beantragt, beschreibt er im Antragsformular seine Geschichte so: „Ich war ein Star und habe die meisten Tore geschossen. Politische Parteien wollten mich auf ihrer Seite, weil es gut für ihre politischen Ziele war.“ Denn in Haiti hat laut Noël jede politische Partei ihr Team und will es um jeden Preis gewinnen sehen. Schon mit zwölf spielt Noël in der U15 Haitis, mit 14 wird er der jüngste Spieler von Racing Club Haïtien. Im Jahr 2000 schießt er mit seiner U20 beim Dana Cup in Dänemark in acht Spielen 17 Tore und wird zum besten Spieler des Turniers gewählt. Scouts aus Belgien, Fußballmafia Frankreich und anderen europäischen Ligen werden auf ihn aufmerksam. „Jeder in meiner Stadt kannte mich, und es dauerte nicht lange, da kannte man meinen Namen im ganzen Land“, sagt Noël stolz. Der Staatspräsident Haitis, René Préval, traf sich mit ihm, denn es ist immer gut für Politiker, sich mit einem von den Massen verehrten Fußballstar zu zeigen. „Er fragte mich: ‚Was kann ich für Dich tun?‘“ Noël bittet um einen Job für seine beiden Brüder. Kurze Zeit später bekommen die beiden dann auch eine Anstellung im Bürgermeisteramt von Gressier, dem Heimatort der Noëls. Seine Qualitäten wecken Begehrlichkeiten bei anderen Teams der Liga. Als er es ablehnt, zum Ligakonkurrenten Violette AC zu wechseln, erhält er Morddrohungen. Eine ernst zu nehmende Sache im einem Land, in dem schon mal das Haus eines Fußballers in Flammen aufgeht, nur um ihn vor einem wichtigen Spiel zu demoralisieren. Seine Mannschaftskameraden bringen Noël daraufhin an einen geheimen Ort, seine Mutter Marie Myrlene macht sich ernsthaft Sorgen um ihn. Doch niemand ahnt, in welch großer Gefahr seine Familie ist. Nach den Morden an seinen Brüdern ist Noëls erster Gedanke, einfach mit dem Fußball aufzuhören. Dann wäre er ein Niemand, und sie würden ihm nichts tun. In seinem Kopf stellt er sich tausendmal die gleiche Frage: Warum habe ich denn nicht einfach den Verein gewechselt? Aber Noël weiß, dass er durch nichts seine Brüder wieder lebendig machen kann. Schon als Sechsjährigem war dem Jungen klar, dass er durch den Fußball seine Armut und ein Leben voller Gefahr und Gewalt hinter sich lassen kann. Heute hat er eine Anwältin, die ihm mit Reisepässen und Visa für seine Familie hilft. Noël hofft, dass die US-Behörden nicht nur ihm, sondern auch seiner Familie politisches Asyl gewähren. Anders als in Europa, wo fußballerische Ausnahmetalente schon mal im Schnelldurchlauf bürokratische Hürden überspringen, liegt die Akte von Fabrice Noël bei den Einwanderungsbehörden im Land des Baseballs und Footballs auf dem gleichen Stapel mit Tausenden von anderen Schicksalen politischer Flüchtlinge aus aller Welt. Seine Familie in Haiti muss sich unterdessen weiterhin verstecken. Sie vermeiden es, auf die Straße zu gehen, aus Angst, jemand könnte sie erkennen. Jemand, der zu der gleichen Gruppe von Leuten gehört, die seine Brüder ermordeten. Die maskierten Männer, von denen bis heute keiner weiß, wer sie sind. Von seinem Privatleben zu erzählen, fällt Noël schwer. Er redet leise, stockt beim Sprechen, und seine Antworten klingen so, als ob er sie in seinem Kopf vom Kreolischen, seiner Muttersprache, ins Englische übersetzt. Während seiner Highschool-Zeit in den USA arbeitet Noël nebenher in Restaurants. Er kehrt Fußböden und räumt Tische ab. Mit dem Verdienst kauft er säckeweise Bohnen und Reis, die er seiner Familie schickt. Einmal reicht das Geld sogar für einen echten Fußball für seinen Bruder. Zu seinem ersten Highschool-Match erscheint Noël in hellbraunen Slippers – die hässlichen braunen Schuhe sehen seine Gegenspieler meist nur von hinten. In zwei Spielzeiten schoss er 93 Tore. 2005 wurde er zu Floridas Fußballer des Jahres gewählt. Sein damaliger Highschool-Trainer Adam Spangenthal aus Palm Beach Lakes erinnert sich: „Ich habe seit 30 Jahren mit Fußball zu tun. Einen wie RUND 81 rund1006_080_083_PortraetNoel 81 07.09.2006 17:39:09 Uhr IM ABSEITS Fabrice telefoniert mit seinen Eltern von einem geheimen Ort aus. Aus Sicherheitsgründen hat er ihre Nummer nicht im Handy gespeichert Fabrice habe ich noch nie gesehen. Er ist mit Ball genauso schnell wie ohne, und er hat so viele Tricks und Bewegungen drauf, dass ich mich manchmal frage, ob er aus Gummi ist.“ Fabrice Noëls aktueller Vertrag mit den Colorado Rapids ist nicht besonders lukrativ. Er verdient etwa 1300 Euro im Monat. Zum Star in der amerikanischen Liga MLS ist es für den talentierten Noël noch ein weiter Weg. „Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten und gute Ideen am Ball. Keine Frage, er ist was Besonderes. Aber es braucht Zeit, um sein Talent zu entwickeln“, sagt Rapids Assistenztrainer Steve Trittschuh. „Ich muss jeden Tag engagiert arbeiten“, sagt Noël, „ich weiß, wer meine Konkurrenten sind. Ich habe Respekt vor ihnen, aber keine Angst.“ Fußballmafia Wenn er vom Fußball redet, strotzt Noël vor Selbstbewusstsein. E r benutzt die passenden Vokabeln, seine Sätze kommen fehlerfrei, seine Stimme klingt entschlossen. Mit 21 Jahren ist er der zweitjüngste in einem Profikader von 27 Spielern. Noël hat ein klares Ziel vor Augen: „Ich will meiner Familie helfen, indem ich gut spiele.“ In seinem Handy hat Noël die Nummer seiner Freunde gespeichert. Die Nummer seiner Eltern ist nicht dabei. „Ich muss vorsichtig sein, wenn ich mit meinen Eltern telefoniere.“ Aus Sicherheitsgründen spricht er mit ihnen von einem geheimen Ort mit ständig wechselnden Telefonnummern. Noëls Augen leuchten, wenn er von den Telefonaten berichtet. Er sehnt die Gespräche herbei, vor allem die mit seiner Mutter. „Sie hat mir das Fußballspielen beigebracht und mir die ersten Tricks gezeigt. Und sie hat mir immer gesagt, wie gut ich bin.“ Auch sein Verein, die Colorado Rapids, hilft Noël und gründet den „Fabrice-Noël-Hilfsfonds“ mit dem Ziel, die Familie schnellstmöglich wieder zu vereinen. Er träumt von dem Tag, an dem er seine Familie einmal wieder sehen wird: „Wir werden dann die ganze Nacht wach bleiben und reden. Und uns umarmen.“ Und trotz allem, was er wegen seiner Begabung als Fußballer durchgemacht hat, sagt Noël: „Fußball macht mich glücklich.“ „Fußball macht mich glücklich“: Noël im Kreise seiner Teamkollegen RUND 82 rund1006_080_083_PortraetNoel 82 07.09.2006 17:39:10 Uhr IM ABSEITS Lexikon COCER UN GOL BAILAR CON LA MAS FEA LEPKE PONER UN AUTOBUS FOLHA SECA TIKI-TAKA DÉCROCHER LA TOILE D‘ARAIGNÉE TIKI-TAKA-LAND PARTIDO CON GAFAS Wie heißen Fliegenfänger in Ungarn? Das erste RUND-WÖRTERBUCH gibt die Antwort Die Fernsehzuschauer in Spanien konnten die Geburtsstunde eines neuen Fußballbegriffs erleben. „Sie spielen Tiki-Taka“, begeisterte sich ein Fernsehkommentator während der WM für das Spiel der Argentinier, die sich den Ball mit nur einem Kontakt hin- und herpassten. Woher kommt der Ausdruck? Es hat nichts mit einem peruanischen See zu tun, sondern mit einem Spiel, bei dem man zwei an Schnüren befestigte Kugeln gegeneinander prallen lässt. Ob sich der Begriff durchsetzt, wird sich zeigen. Immerhin: Tiki-Taka klingt schön, man hört das Klacken der Kugeln, und eine gewisse Logik steckt schließlich auch dahinter. Zu Recht vergessen ist dagegen die Bezeichnung „Rambazamba spielen“, die von den Poeten der „Bild“-Zeitung für das inspirierte Spiel der deutschen Nationalelf zu Beginn der 70er Jahre geprägt wurde, weil sie kein Bild entstehen lässt und heute nach einem spießigen Samba klingt. Jede Sprache hat ihre eigenen Fußballausdrücke geprägt. Manche liegen auf der Hand und sind in vielen Sprachen durchaus ähnlich, andere sind einmalig – und gerade deshalb besonders originell. Wie ein trockenes Blatt vom Baum fällt der Ball ins Tor, ohne dass der Keeper eingreifen könnte. „Folha seca“ (Trockenes Blatt) nennen die Brasilianer das, was im Deutschen prosaisch „Senker“ genannt wird. In Brasilien wird der geniale Didi als Urheber dieses Kunstschusses gefeiert. In Frankreich hat man es „feuille morte“ (totes Blatt) getauft, wenn Mittelfeldikone Michel Platini einen Freistoß über den gegnerischen Torwart versenkte. Besonders kreativ sind die spanischen Fans, wenn es um bildhafte Ausdrücke geht. Ein torloses Remis gilt wegen der doppelten Null als „partido con gafas“ (Spiel mit Brille). Wenn ein Team sich mit elf Spielern hinten reinstellt, also Beton anrührt, steigt es in Spanien in den Bus, der vor dem Tor geparkt wird: „Poner un autobus“ (einen Bus hinstellen). Klingt doch nicht so abgenutzt wie der Schweizer Riegel oder der italienische catenaccio. Je mehr man darüber nachdenkt, desto seltsamer erscheinen einige Ausdrücke, an die wir uns hier zu Lande gewöhnt haben. Der Fliegenfänger, die Arschkarte und die Gurkentruppe sorgten in der wörtlichen Übersetzung bei ausländischen Kollegen für Erheiterung, weil sich jeder Fußballinteressierte etwas darunter vorstellen kann. MATTHIAS GREULICH, ILLUSTRATION SONJA KÖRDEL WÖRTERBUCH UNGARISCH: SPANISCH: Lepke (Schmetterling) Torwartfehler, vulgo: Fliegenfänger Ir a por uvas (zu den Trauben gehen) verunglückter Abstoß des Keepers Bailar con la mas fea (mit der Hässlichsten tanzen) wenn man bei einer Auslosung die stärkste Mannschaft als Gegner zugelost bekommt Cocer un gol (ein Tor kochen) ein Tor mit Überlegung herausspielen Clavar el aliento en la nuca (den Atem auf den Nacken nageln) Manndeckung FRANZÖSISCH: Mayonnaise (Majonäse) Bezeichnung für einen Spieler, der zuviel dribbelt Marquer à la culotte (die Unterhose decken) enge Manndeckung Décrocher la toile d‘araignée (das Spinnennetz herunterholen) ins Tor treffen Avaler la feuille de match (das Blatt des Spiels verschlucken) das Spiel aus der Hand geben Le grand pont (große Brücke) den Ball auf der einen Seite vorbeilegen und auf der anderen Seite herumlaufen, um ihn zu wieder aufzunehmen Corea (Korea) seitdem Italien bei der WM 1966 an Nordkorea scheiterte, gilt Korea als ITALIENISCH: Synonym für eine katastrophale Niederlage Zona Cesarini (Cesarini-Zone, benannt nach Renato Cesarini, der 1931 ein sehr spätes Siegtor gegen Ungarn schoss) Nachspielzeit TSCHECHISCH: Bundesliga (Bundesliga) Vokuhila-Frisur Moses (Moses, wie er das Rote Meer in der Bibel teilt) zwischen zwei Verteidigern DÄNISCH: hindurch in den Strafraum dribbeln PORTUGIESISCH: Drible da vaca (Kuh-Dribbling) den Ball auf der einen Seite vorbeilegen und auf der anderen Seite herumlaufen, um ihn zu wiederaufzunehmen Embaixadinhas (kleine Botschaften, vermutlich von baixar, fallen lassen), den Ball hoch halten Kuvalisha kanzu (eine lange Priesterrobe tragen) den Ball über den Gegner lupfen SWAHILI: und auf der anderen Seite wieder aufnehmen RUND 83 rund1006_080_083_PortraetNoel 83 07.09.2006 17:39:13 Uhr IM ABSEITS Weltklasse NEUES & SKURRILES ausaus der der ganzen runden ganzen runWeltWelt des des Fußballs FussWarum saufen Brasilianer in Polen? „Aus Langeweile“, sagt Arbeitspsychologin Joanna Heidtmann, die schon mit Fußballern von Legia Warschau gearbeitet hat. Dort haben nun die saufenden Brasilianer das Training ausgesetzt, um gegen ihre eigene Disziplinierung zu protestieren. „Diese Fußballer sind bekannt dafür, dass sie trinken, Dummheiten machen oder in Diskotheken abhängen“ – oder an der Tankstelle, wo jetzt einige brasilianische Kicker beim Wodkakauf erwischt wurden. Darunter Elton Brandão, dem schon nach drei Spielen für Legia der Führerschein abgenommen wurde, weil er angetrunken Auto fuhr. Vor ein paar Jahren lachte das ganze Land bereits über Moussa Yahaya, einen Legia-Spieler aus Nigeria, der vollstramm vor laufenden Kameras durchs Zentrum von Krakau eierte. Nach der Affäre sollte alles gut werden mit den saufenden Ausländern. Nun hat sich der polnische Meister selbstbewusst verstärkt und seit der neuen Saison die vierköpfige VON WEGEN CAIPIRINHA LEGIA WARSCHAU hat vier Brasilianer verpflichtet. Doch anstatt anständig zu spielen, macht das Quartett die Kneipen und Tankstellen der Hauptstadt unsicher OPERATION ANGUILLA Die Berechnung der Weltrangliste ist vereinfacht worden, aber ihre kleinen Geheimnisse hat sie weiterhin. Warum rutscht Anguilla um elf Plätze nach oben, wenn der letzte Sieg fünf Jahre zurückliegt? Überhaupt: Was ist überhaupt Anguilla? Die Bewohner in Bad Neustadt wissen es: Anguilla ist ein nicht-autonomes britisches Überseegebiet in der Karibik, 13.000 Einwohner. Der Kurdirektor hatte die Mannschaft zur WM eingeladen, weil sie in der Weltrangliste ganz unten stand. Aber in Wirklichkeit steckt bestimmt Sepp Blatter dahinter. Der wollte verhindern, dass wieder ein Regisseur die schlechtesten Nationalteams der Welt zusammenbringt, um daraus einen Dokumentarfilm à la „The Other Final“ zu machen. Und damit Anguilla bei so etwas nicht mitmachen kann, hat er nach Feierabend ein wenig am Weltranglistenrechner getrickst. Tja, so wird es gewesen sein. Platz 192 193 194 195 195 197 Staat Philippinen Bahamas Anguilla Cookinseln Luxemburg Belize +/– +/–0 +/–0 +11 –1 –1 –1 „brasilianische Feiertruppe“, wie die Warschauer sie nennen, auf dem Platz. Und täglich kursieren neue Kneipenbilder von den Jungs im Internet. Na Zdrowie! OLAF SUNDERMEYER THOMAS DERRUDA RUND 84 rund1006_084_085_Weltklasse 84 07.09.2006 13:57:30 Uhr IM ABSEITS Weltklasse „BRAUCHEN SIE EINEN TRAINER?“ Chelseas Coach JOSÉ MOURINHO bessert mit einem Gastauftritt in einem norwegischen Film eher sein Image als sein Gehalt auf Wer zwar gut aussieht, aber als arrogant gilt, hat, so nennen das Werbeleute, ein lösbares Imageproblem. So ein Typ steckt quasi in der Mourinho-Falle: Der Cheftrainer des FC Chelsea gilt nämlich nicht unbedingt als freundlich oder hilfsbereit. Also dient er sich jetzt an. Der norwegische Regisseur Harald Zwart hat die Komödie „Lange flate ballær“ („Lange flache Bälle“) gedreht, in der sechs Männer zum WM-Finale nach Berlin reisen. Ihr Chef, ein Gebrauchtwagenhändler und Präsident des Fredrikstad FK, will nämlich seinen Sohn treffen, einen deutschen Nationalspieler; den holt er sogar nach Fredrikstad. Als José Mourinho anruft, um das Talent für Chelsea zu verpflichten, bekommt er einen Korb. Mourinho gefällt die barsche Antwort: Da will er auch arbeiten. So funktioniert Imagewandel in Norwegen. MARTIN KRAUSS, FOTO PIXATHLON x gibt Ga e l s rA Si Wer künftig nichts ahnend das Büro von Sir Alex Ferguson betritt, könnte annehmen, dass der ManU-Trainer einen Branchenwechsel plant. Seine Arbeitsräume erinnern stark an die Geschäftszentrale eines Autoteilehändlers: Gäste werden statt aufs Sofa auf Autositze gebeten, Schaltknüppel dienen als Garderobenhaken, in die Wand eingelassene Rückspiegel ermöglichen, jederzeit den Überblick zu behalten. Das neue Interieur entspringt übrigens Fergusons Wunsch, der Verbundenheit mit dem Sponsor Audi Ausdruck zu verleihen. Der Designer ist sicher, dass das Ergebnis „einen neuen Trend unter Vereinsbossen auslösen wird“. Aber was machen dann Klubs mit einem Joghurthersteller als Sponsor? ELKE WITTICH, FOTO PIXATHLON Vorsprung durch Technik: Alex Ferguson hat sich sein Büro mit Autoteilen dekorieren lassen „Weltmeister ist, gottlob, Argentinien“ titelte nach dem WM-Finale 1986 eine Schweizer Zeitung und brachte die global vorherrschenden Sympathien perfekt auf den Punkt. Abgesehen von 80 Da sag age noch einer, die Bundeslig iga sei in Asien nicht ppräsent genug: ug Millionen Deutschen und einem Inder. Der heißt Jaideep Gandhi, Die Bayern y haben einen Fanklub in Mumbai ist Gastronom in Mumbai und war von der holprigen deutschen WM-Performance so angetan, dass er einen Fanklub des FC Bayern München gründete. Sein Name: FC Bayern Mümbai. Da sage noch einer, die Bundesliga wäre in Asien nicht präsent genug. 60 Häupter zählt der Fanklub, 1000 Bayern-Fans soll es in ganz Indien geben. „2003 hat der Verein uns sogar offiziell anerkannt“, schreibt Gandhi stolz aus dem ehemaligen Bombay. Nur mit dem seitdem geplanten Bayern-Café hat es bisher nicht geklappt. Vielleicht hat ja die WM 2006 nachgeholfen. Bei der haben die Deutschen weltweit sicher mehr Sympathiepunkte gemacht als 20 Jahre zuvor in Argentinien. MALTE OBERSCHELP RUND 85 rund1006_084_085_Weltklasse 85 07.09.2006 13:57:47 Uhr IM ABSEITS Rasenkavalier ROTZFRECH UND SENTIMENTAL ZUGLEICH: PLATZWART HEINZ RÖMER AUF SEINER TRIBÜNE KÖNIGSBLAUE AUGEN Die Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen, heiliger Grund des Ruhrgebietsfußballs. Früher pflügte hier der legendäre Schalker Kreisel den Rasen um, heute finden hier nur noch Jugendspiele statt. Der PLATZWART ist Heinz Römer, der Mann, der seit 33 Jahren in der alten Haupttribüne wohnt VON FRANK GOOSEN, FOTOS PHILIPP WENTE RUND 86 rund1006_086_087_Platzwart 86 07.09.2006 22:05:07 Uhr IM ABSEITS Steigt man die Stufen zur noch erhaltenen Haupttribüne der Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen hoch, sieht man auf dem Absatz plötzlich einen Stuhl stehen, Marke Gelsenkirchener Barock, die Lehne oben geschwungen, das Sitzpolster abgenutzt. Gleich daneben, man droht achtlos daran vorbeizugehen, steht eine Tür offen, bewacht nur von zwei billigen Plastikschlappen. Ein kurzer Blick hinein, und man spielt mit dem Gedanken, einen Termin beim Augenarzt zu machen: an der Wand eine Keramikarbeit mit hervorspringenden Blumenintarsien, rechts, unter der Tribünenschräge, ein Kühlschrank, von links das vertraute Geräusch, das Frikadellen machen, wenn sie im siedenden Fett einer alten, gusseisernen Pfanne gewendet werden. Geradeaus aber die eigentliche Sensation: ein kunstlederner Sessel, darin ein alter Herr in Trainingshose und Unterhemd, das weiße Haar ordentlich mit Brisk an den Kopf gelegt, ein Bein baumelt über der Lehne. Wer so weit gekommen ist, steht vor Heinz Römer, dem Mann, der in der Tribüne der Glückaufkampfbahn wohnt. Offiziell ist Heinz Römer Platzwart in den Überresten des Schalker Fußballtempels, in dem heute nur noch Jugendspiele stattfinden. Tatsächlich ist Heinz Römer viel mehr: eine Gelsenkirchener Legende aus einer Zeit, in der nicht alles besser war, aber doch irgendwie schöner, jedenfalls im Rückblick. Seine Augen sind, man wagt es kaum zu sagen, fast königsblau. Geboren 1929 in Danzig kam er über ein paar Umwege 1958 nach Gelsenkirchen, wo er 1970 Platzwart der Glückaufkampfbahn wurde und drei Jahre später die dazugehörige Wohnung in der alten Haupttribüne übernahm. Der Kühlschrank steht auf der Diele, weil er genau unter die Tribünenschräge passt und in der winzigen Küche, wo Römers Gattin morgens schon die Frikadellen brät, die den Tag über vertilgt werden, keinen Platz mehr gefunden hätte. Das Wohnzimmer verfügt neben einer stilecht dunkelbraunen Kunstledersitzgarnitur über ein Ensemble modernster Unterhaltungselektronik: Satellitenfernsehen, Flachbildschirm, DVD-Rekorder. Heinz Römer ist kein Mann von gestern. Frau Römer steht neben dem Sessel ihres Mannes wie eine Herzogin auf den Bildern von Lord Snowdon. Früher hat sie in den vier riesigen Waschmaschinen in den Katakomben des betagten Stadions die Trikots, Hosen und Stutzen der Schalke-Spieler gewaschen und zum Trocknen aufgehängt. Heute hält eine ihrer Töchter eben diese Kellergewölbe sauber – eine Familie für Schalke. In den 70ern sieht man Heinz Römer auf den Mannschaftsfotos der Schalker als Betreuer. Neben den Kremers-Zwillingen, Fichtel, Rüssmann, Lütkebohmert mit ihren zeittypischen voluminösen Haarhelmen. Die haben alle bei ihm am Küchentisch gesessen und Frikadellen verdrückt. Heinz Römer kennt all die Geschichten, die wir so gerne hören wollen: wie sie sich danebenbenommen haben, die Stars, wie nett sie sein konnten und wie sie sich ausgeheult haben. Aber Römer hält dicht. Will nicht einmal bestätigen, dass er den Klaus Fischer mal beim Rauchen erwischt hat: „Dazu sarich nix!“ Dreißig Jahre sind kein Grund, illoyal zu werden. Hier auf dem Foto ist der Max Merkel zu sehen. „Ou, über den lass ich nix kommen!“ Der hat doch manchmal ganz schön auf den Putz Rasenkavalier gehauen, oder? „Ich sach nix. Aber einmal, da hattenwa sonn Mannschaftstreffen im Vereinslokal, und die Zwillinge kamen zehn Minuten zu spät. Ich dachte, die Kneipe fliecht aussenander!“ Auf die Frage, ob denn zu den Jungs von früher noch Kontakt bestehe, nickt der Mann im Unterhemd: „Abba sicher! Die kommen hier immer wieder vorbei. Die Zwillinge, den Rolli, den Klaus Fischer. Sitzen dann hier inne Küche auffen Kaffee.“ Und der Assauer? „Der auch, du, mit seine dicken Zigarre!“ Da kann der Schalker Exmanager im Fernsehen noch so sehr den Harten geben, hier vor Ort hat er Tränen in den Augen. So sind sie hier in der Gegend: rotzfrech und sentimental zugleich. Aus dieser Wohnung in der Haupttribüne der alten Glückaufkampfbahn kriegt Heinz Römer niemand raus. Nicht einmal die Weltmeisterschaft. Im Vorfeld hatte ihm die Stadt Gelsenkirchen, die hier zwischen dem Eröffnungsspiel und Finale ein großes Public Viewing nebst internationalen Topkonzerten veranstaltete, alles Mögliche angeboten, wenn er nur für die vier Wochen seine Behausung räume, vom Hotel bis zum Urlaub irgendwo, wo kein Fußball gespielt wurde. Aber Heinz Römer blieb hart: „Ich bleib hier und mach Würstchen!“ – „Für 20.000 Leute?“ – „Kein Problem!“ Das hat dann doch nicht hingehauen, wegen gültiger Verpflegungsverträge, aber die gesamten vier Wochen des Turniers hat sich Heinz Römer aus dem Stadion nicht wegbewegt. Und während über seinem Kopf die Fans zu den Erfolgen der deutschen Mannschaft auf und ab hüpften oder die Simple Minds mit einer 40.000-Watt-Anlage die halbe Stadt beschallten, saß Heinz Römer vor seinem Flachbildschirm, das Bein über der Lehne, und guckte ProSieben. Nicht etwa Fußball. Übrigens: In der Arena auf Schalke ist er bislang noch nicht gewesen: „Samstach habbich doch Spiele! Und der Platz geht vor!“ Ist wahrscheinlich auch zu weit weg. LEBEN IN DER TRIBÜNE: RÖMERS IN DER KÜCHE RUND 87 rund1006_086_087_Platzwart 87 07.09.2006 22:05:11 Uhr IM ABSEITS TV-Junkies FUSSBALLER MÜSSEN INS ECKIGE Wahre Showgrößen wie der jüngst verstorbene Rudi Carrell wussten es genau: Wenn Fußballer aus freien Stücken vor die Kameras treten, kommt viel mehr als nur ein „Ich sag mal“ heraus. In vielen Shows haben die Spieler bewiesen, dass sie als TV-Stars absolute Weltklasse verkörpern. Die Spielerinnen der Frauennationalmannschaft bändigten glitschige Seelöwen in der Manege, ein hellwacher Christoph Daum war einer der besten „Dalli Dalli“-Kandidaten aller Zeiten und noch nie redete ein Ehepaar so offen über das schwer erträgliche Schweigen in Beziehungen wie die damaligen Zimmerkollegen des FC Bayern: Uli Hoeneß und Paul Breitner im Doppelbett. Und es gibt noch mehr Szenen, an die wir uns gerne erinnern. RUND hat in den Archiven gewühlt und die besten FERNSEHAUFTRITTE der vergangenen Jahre herausgesucht FOTOS BENNE OCHS, CINETEXT, ACTION PRESS, PIXATHLON, PETER BISCHOFF, BERND SETTNIK, HORST OSSINGER, POHLERT, RTL Mit seiner Nummer „Mama Calypso“ verwandelte Jimmy Hartwig Meisterfeiern des Hamburger SV in ein Disco-Inferno. Als der schmerzfreie Exprofi für „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ mit Naddel im Dschungelcamp verschwand, musste allerdings nicht nur er würgen Ganz großer Auftritt in der ZDF-Sendung „Disco 76“. Berti Vogts und Ilja Richter schockten 1976 mit einem grenzdebilen Duett das Publikum mit schrägem Gesang. Ilja: „Du singst wunderbar.“ Berti: „Als Spitzensportler – na klar“ RUND 88 rund1006_088_091_TV 88 08.09.2006 0:12:07 Uhr IM ABSEITS TV-Junkies Das wäre ihr Preis gewesen. Jungstar KarlHeinz Rummenigge entdeckte in Rudi Carrells Samstagabenderfolgsshow „Am laufenden Band“ seine weibliche Seite. Der Holländer steckte 1976 auch Sepp Maier in Frauenkleider Das Brusthaar ist echt, die Beziehungsprobleme auch. „Wir haben uns nichts mehr zu sagen“, so Paul Breitner 1979 in einer Sendung über Bundesligaprofis über seinen schwierigen Zimmerpartner Uli Hoeneß vom FC Bayern Rod Stewart und Tina Turner hatten mit ihrem Duett „It Takes Two“ eigentlich schon genug Schaden angerichtet, da legten Toni Schumacher und Sepp Maier nach. Für seine „Prominenten Playback Show“ bei RTL überredete Altmeister Carrell die Nationalkeeper zum Auftritt Männchen machen für eine Weltmeisterin. Nationaltorhüterin Silke Rottenberg bei der Seelöwennummer von „Stars in der Manege“, Nia Künzer, Birgit Prinz und Petra Duss waren im Circus Krone ebenfalls dabei RUND 89 rund1006_088_091_TV 89 08.09.2006 0:12:09 Uhr IM ABSEITS TV-Junkies Der Revoluzzer und der CDU-Sympathisant. Hans Rosenthal lud sich gerne Fußballer in seine Sendungen ein. 1984 schmunzelte Paul Breitner bei „Musik macht Spaß“. Das damalige HSV-Führungsteam Rudi Gutendorf und Peter Nogly flog aber bei „Dalli Dalli“ früh raus Wum und Wendelin trauten ihren Ohren nicht, Wim Thoelke schunkelt mit. Ein völlig entfesselter Michael Schanze stellt den gemeinsam mit der Nationalelf eingespielten WM-Song „Olé España“ vor Der Chefsessel ist breit, der Geldkoffer verschwunden. Nach seinem Abgang von Bayer Leverkusen quält Reiner Calmund als „Big Boss“ zwölf Kandidaten mit seinen barocken Vorstellungen vom modernen Management “Hund, Katze, Maus“, Moderator Jörg Dahlmann und Christoph Daum als Gäste bei „Dalli Dalli“. Auf die Frage: „Was soll ein Papagei lernen?“ rasselte Dahlmann das Alphabet herunter, Daum assistierte mit Tiernamen RUND-WERTUNG Große Unterhaltung Vorabendserie ZDF-Fernsehgarten Nachtprogramm RUND 90 rund1006_088_091_TV 90 08.09.2006 0:12:13 Uhr IM ABSEITS TV-Junkies Als beim Superstar das Glas noch halb leer war. In der argentinischen TVShow „Dominico“ erzählt Diego Maradona von seinen Drogenproblemen. Mittlerweile hat der schlanke Diego seine eigene Sendung „El noche del 10“ Das Trash-TV machte auch vor der Kabine nicht halt. Sonya Kraus hatte Sven Beukert und Rony Nikol zu einer „unvergesslichen Trainingseinheit in Sachen Erotik“ gebeten. Die völlig verstört wirkenden Profis von Union Berlin verloren deshalb 2001 das Pokalfinale gegen Schalke Haben Sie da noch etwas Luft? In einem Schuhgeschäft im feinen Hamburg-Pöseldorf passte der damalige HSV-Manager Günter Netzer die Schuhe der Kundschaft an – sein Einsatz einer 1983 verlorenen Saalwette bei „Wetten, dass ...?“ Das Haar weht im Wind, und Dieter Kürten lässt sich auch vom Schiedsrichter nicht vom Platz vertreiben. Bei einer Live-Schaltung für „heute“ wäre der psalmende ZDFModerator 1995 beinahe umgegrätscht worden RUND 91 rund1006_088_091_TV 91 08.09.2006 0:12:17 Uhr RUND Spielkultur SPIELKULTUR KÜNSTLERISCH VERSPIELT UNTERHALTEND „Eigentlich hat auch die Bundesliga ihren Roger Federer. Er heißt eben FC Bayern München“ NICOLAS KIEFER 94 INTERVIEW „Fußball ist ein Theaterspiel“ – Tennisprofi Nicolas Kiefer ist Fan von Hannover 96 100 FUSSBALL IM KZ Das Tor zum Tod – Selbst in den deutschen Konzentrationslagern wurde Fußball gespielt 104 KOPFBALL „Sehr gefährliche Frage!“ – Philosoph Klaus Theweleit über Fußball und Nationalismus 112 AUSLAUFEN Wenn Beckham kotzt – RUND-Kolumnist Jörg Thadeusz schreibt an die Engländer RUND 93 rund1006_092_093_VorschaltSpielk93 93 05.09.2006 15:24:42 Uhr SPIELKULTUR Interview „Fußball ist ein Theaterspiel“ Der Tennisprofi Nicolas Kiefer ist von Hannover 96 so begeistert, dass er mit dem Trikot seiner Lieblingsmannschaft auf die Centrecourts dieser Welt geht. Doch all das hindert ihn nicht an harscher Kritik: Wenn er so wenig trainieren würde wie ein Fußballprofi, würde er kein Match über fünf Sätze durchstehen, sagt der Hannoveraner, der die Scorpions meist am Flughafen trifft INTERVIEW MIRIAM HEIDECKER UND CHRISTOPH RUF, FOTOS STEFAN SCHMID Herr Kiefer, waren Sie wirklich schon immer Fan von Hannover 96? Nicolas Kiefer: Ich glaube, dass es keinen Jugendlichen gibt, der noch nie Bayern-Fan gewesen ist. Ich war es auch, bis ich zehn oder elf Jahre alt war. Da sagte mein Vater: „Komm, wir fahren jetzt mal nach Hannover zu einem Spiel.“ Das war noch zu Zweitligazeiten. Keine Ahnung, gegen wen. Wir sind auf den Holzbänken gesessen, ganz oben im Stadion, unter ganz vielen Leuten, eine super Atmosphäre. Von da an wollte ich immer wieder zu den Heimspielen von 96. Waren Sie traurig, als das Stadion, an das Sie sich so genau erinnern, umgebaut wurde? Da geht natürlich etwas verloren, wenn man so einen traditionsreichen Bau abreißt. Andererseits ist man nun viel näher dran. Dieses reine Fußballstadion hat sicher auch viele dazu bewegt, sich mal wieder 96 anzuschauen. Letzte Saison waren es 16.000 Dauerkarten, diese Saison sollen es ja über 20.000 werden. Ich merke das selbst in meinem Freundeskreis, wo jeder über Fußball spricht. Gerhard Schröder, die Scorpions, Oliver Pocher – gibt es noch andere Promis, die ins Stadion kommen? Nicht, dass ich wüsste. Altkanzler Schröder trifft man in Hannover ja überall. Und die Scorpions sind genauso viel unterwegs wie ich, deshalb sehen wir uns eher am Flughafen. Sie haben zuletzt mit einem 96-Trikot gespielt, auf dem die 69 aufgedruckt war. Warum das? Letztes Jahr hatte ich meine ersten beiden Spiele mit den Roten. Ein Benefiz- und ein Freundschaftsspiel. Da brauchte ich natürlich auch eine Rückennummer. Die 96 war aber geschützt. Also haben wir die Zahl einfach umgedreht. Das Trikot kann man sogar im Fanshop kaufen, da hängt dann das Torwarttrikot mit der Nummer eins von Robert Enke und daneben die Nummer 69 von Kiefer. Super! In diesem Jahr fragte mich mein Ausrüster dann, ob wir für die deutschen Turniere dieses Trikot produzieren wollen. Damit habe ich dann auch wirklich gespielt. Und wie war das bei den Spielen mit den Profis aus Hannover? Es ist ja nicht so, dass ich der einzige Tennisspieler wäre, der Fußball spielt. Es gibt sogar richtige Länderspiele unter uns Profis. Da treten wir Deutschen gegen Franzosen oder Spanier an. Irgendwann kam eben diese Anfrage von den Roten, ob ich bei einem Benefizspiel mitmachen wolle. In der zweiten Halbzeit kam ich rein und habe auch prompt in der 60. Minute geknipst. Mit dem Kopf! Bitte erzählen Sie. Ich sah, wie Silvio Schröter den Ball reinflankt. Er kam direkt auf mich. Ich stieg hoch und drin war er. Ich habe wahnsinnig gejubelt, alle kamen auf mich zugerannt. Da bin ich abends mit meinen Freunden erst mal feiern gegangen. Und dann rief der damalige Trainer Ewald Lienen noch mal an: „Gute Leistung, Samstag nächstes Spiel.“ Wir spielten gegen eine Bezirksklassenauswahl. Und da gab es eine identische Situation. Nur dass ich ganz knapp vorbeiköpfte. Dann ging es auf den Rängen schon los: „Im Tennis haut er die Bälle ins Netz und im Fußball daneben!“ RUND 94 rund1006_094_099_Kiefer 94 07.09.2006 18:22:56 Uhr SPIELKULTUR Interview „Gute Leistung, Samstag nächstes Spiel“: Nicolas Kiefer spielte selber schon mit den Profis von Hannover 96 RUND 95 rund1006_094_099_Kiefer 95 07.09.2006 18:22:57 Uhr SPIELKULTUR Interview „Ich stieg hoch und drin war er“: Da wo Kiefer ist, ist immer auch ein Ball RUND 96 rund1006_094_099_Kiefer 96 07.09.2006 18:23:03 Uhr SPIELKULTUR Interview Hatten Sie gar keine Angst, dass Sie sich verletzen könnten? Doch, es ging ja auch ganz schön auf die Knochen. Das ist aber so beim Fußball, da sind die Eins-gegen-eins-Situationen gefragt, und nur wer sich durchsetzt, kann was erreichen. Ich liebe den Mannschaftsport. Im Tennis bist du halt immer nur mit einem kleinen Kreis von Leuten zusammen. Umso wichtiger ist die Ausstrahlung auf dem Platz. Wie beim Fußball ist alles in gewisser Weise ein Theaterspiel. Die letzten vier, fünf Prozent spielen sich nur im Kopf ab, es kommt darauf an, wie man sich auf dem Platz verhält. Wenn einer nicht gut spielt, den Kopf aber oben behält, denkt man als Gegenspieler, dass da noch was kommt. Nehmen wir Roger Federer. Der zeigt nie Schwäche und ist immer präsent. Hatten Sie schon einmal so eine Extremsituation, die Sie durch Körpersprache gemeistert haben? Bei den Australian Open, im Viertelfinale gegen Sebastien Grosjean. Da war ich fast schon draußen, aber ich habe weitergekämpft. Im fünften Satz war ich platt. Ich konnte nicht mehr, ich konnte wirklich nicht mehr stehen, habe aber gesehen, dass es meinem Gegner genauso ging. Ich bin dann eben doch stehen geblieben. Sobald er sich umgedreht hat, habe ich Luft geholt, wenn er mich angeschaut hat, bin ich rumgesprungen. Er ist dann eingebrochen. Ein echter Zweikampf. Auf jeden Fall. Man hat einen Schläger, einen Tennisball und muss versuchen, den Gegner zu schlagen. Beim Fußball wird halt jemand eingewechselt, der hilft, wenn zum Beispiel über rechts nichts geht. Und sonst hast du immer noch zehn Leute, die dir helfen. In der Bundesliga kann angeblich jeder jeden schlagen – ist das auch im Spitzentennis so? Abgesehen von Federer und Rafael Nadal, die Nummern eins und zwei der Welt, mit denen muss ich mich nicht messen. Für mich ist der Maßstab, gegen die Nummern drei bis sechs zu gewinnen. Aber eigentlich hat die Bundesliga auch ihren Federer. Er heißt eben FC Bayern. Gerade fragt sich die Nation, ob die Fußballprofis ausreichend und richtig trainieren. Wenn ich Schlagzeilen lese, dass Fußballspiele in die Abendstunden verlegt werden sollen, weil es nachmittags zu warm ist, dann denke ich nur: Bitte, bitte, bitte guckt euch doch mal andere Sportarten an. Wir haben doch in diesem Sommer das beste Wetter überhaupt gehabt. Was gibt es denn Schöneres, als bei der Wärme zu kicken? Da muss man das Training darauf einstellen, die Ernährung, alle Facetten seines Profisportlerlebens. „Tennisspieler können doch auch nicht sagen, es hat 40 Grad, setzt das Match auf 21 Uhr an“ Angeblich ist die Trainingsintensität kaum noch zu steigern. Wenn ich einmal am Tag trainiere, kann ich nicht erwarten, dass ich ein Nachmittagsspiel im Hochsommer aushalte. Wir Tennisspieler können doch auch nicht sagen, es hat 40 Grad, bitte setzt das Match auf 21 Uhr an. Die Fußballer haben doch wirklich ein schönes Leben. Die sind fast immer zu Hause, die ganze Woche, sehen ihre Familien, ihre Kinder, spielen mindestens vor 20.000 bis 30.000 Zuschauern. Außerdem wissen Fußballer immer, dass sie 90 Minuten Gas geben müssen, vielleicht mal 94. Ich weiß das nicht, weil ein Spiel mal eineinhalb, mal fünf Stunden dauert. Da geht es viel mehr über die Fitness. Fußballer haben dafür nie ein Wochenende frei. Und Tennisspieler? Fußballer haben aber den Sonntagmittag und den gesamten Montag frei. Wenn ich tauschen könnte, würde ich auf jeden Fall gerne mal ein Jahr Bundesliga spielen. Das wäre erholsam für Sie. Sagen wir diplomatischer, es wäre eine schöne Erfahrung. Ich spreche da auch oft mit Per Mertesacker drüber. Ich frage ihn dann, ob er und seine Kollegen das Gerede und die Klage über zweimal am Tag Training oder englische Wochen wirklich ernst meinen. Sie haben einmal gesagt, Ihr Traum sei es, einmal eine Bundesligaminute zu spielen. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es mir zutraue, aber Träume sind ja dafür da, dass sie wahr werden. Von der Fitness her würde ich es mir auf jeden Fall zutrauen. Sie sehen auf Ihren Turnierreisen die ganze Welt und könnten überall leben – warum wohnen Sie noch immer in Hannover? Bei vielen kommt Hannover nicht gut weg. Wegen mir muss auch nicht jeder hierher ziehen. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren aber gut entwickelt. Wir haben den Maschsee, die Eilenriede ist der größte Park Europas. Außerdem schätze ich, dass die Leute sehr dezent sind, nicht so distanzlos wie anderswo, selbst wenn sie mich erkennen. Ich lebe gerne hier. Weil es Ihre Heimatstadt ist. Gerade wenn ich mit Niederlagen oder Verletzungen umgehen muss, brauche ich das Gefühl, ein echtes Zuhause zu haben. Ich bin fast jeden Tag unterwegs. Am Anfang genießt man das noch, irgendwann ist aber ein Hotel wie das andere. Ich freue mich mittlerweile wie ein Kind, wenn ich die Haumannskost meiner Mutter bekomme oder mal mit Freunden ganz gepflegt grillen kann. Welche Städte sind Ihnen auf Ihren Weltreisen besonders ans Herz gewachsen? New York und Melbourne. In Melbourne ist alles ein bisschen ruhiger, die Leute sind entspannt, in New York gefällt mir der Trubel und das Verrückte. Man sagt ja, New York sei die unamerikanischste Stadt der USA. Die wissen wenigstens, wo Europa liegt. Wenn man sonst Amerikaner nach Deutschland oder Frankreich befragt, haben die keine Ahnung. Es ist ja auch fast unmöglich, irgendwas über Europa in den Nachrichten zu erfahren. Wie oft ist es mir passiert, dass ich gesagt habe, ich komme aus Deutschland, und mancher meinte, dass das gleich neben Russland liege. So viel Ignoranz nervt Sie? Wenn ich rüberfahre, kann ich mir die ersten zwei, drei Wochen gar nicht vorstellen, da zu leben. Irgendwann schalte ich dann komplett ab und sage mir: Ihr seid halt so. Andererseits schätze ich das Easygoing dort. Sind Ihnen solche Eigenschaften wichtig? So etwas macht Menschen zwar angenehmer, aber Ehrlichkeit ist mir zum Beispiel RUND 97 rund1006_094_099_Kiefer 97 07.09.2006 18:23:10 Uhr SPIELKULTUR viel wichtiger. Gerade im Tenniszirkus gibt es viele Leute, die dich angrinsen und dir von hinten das Messer in den Rücken rammen. Ich weiß, dass ich mit meinen Äußerungen manchmal anecke. Am Anfang habe ich noch versucht, es allen recht zu machen, habe dann aber gemerkt, dass ich das eigentlich nicht will. Von meinem Kumpel Fredi Bobic habe ich gelernt, wie wichtig es ist, dass sich die Leute nicht verbiegen. Privat unterstützen Sie zwei Projekte, die sich um Kinder kümmern, die vom Schicksal nicht verwöhnt wurden. Ich unterstütze zwei Charity-Projekte, und die sind mir beide sehr wichtig. Das eine heißt „Bed by night“. Es bietet Straßenkindern in Hannover eine Schlaf- und Unterkunftsmöglichkeit. Inzwischen haben wir dank vieler Spenden neue Containerunterkünfte besorgen können. Wenn es meine Zeit erlaubt, gehe ich dort vorbei. Das Schöne ist, dass die meisten dort nicht wissen, wer ich bin. Einmal saß ich auf einem Sofa, ein Jugendlicher setzte sich neben mich und fing ein Gespräch mit mir an. Dann schaute er mich an und fragte mich, warum ich denn eigentlich hier sei. Ich suchte dann den Augenkontakt zur Betreuerin, die es ihm dann erklärte. Er hat dann ganz locker reagiert und wir haben uns noch weiter unterhalten. Ein weiteres soziales Projekt ist die Aktion „Kindertraum“. Dabei wird schwer kranken oder mittellosen Kindern ein Wunsch erfüllt. Das ist manchmal nicht einfach. Einmal war schon eine Reise in die USA geplant und alles gebucht. Dann starb das Kind leider, bevor wir ihm den Wunsch erfüllen konnten. Wie nehmen Sie derartige Erfahrungen in Ihren Alltag mit? Wenn ich zum Beispiel ein Match verliere, denke ich: „Mann, dir geht es so gut. Was ärgerst du dich über so was?“ Ich habe mal mit einem Kind, das an Muskelschwund litt, Tennis gespielt. Es hatte zuvor noch nie einen Schläger in der Hand gehabt. Aber er hat dann über zehn Bälle am Stück übers Netz gespielt. Das ist richtig schön, wie sich ein Kind über kleine Sachen freut. Als ich das nächste Mal wieder zu Hause war, habe ich ihn gefragt, ob wir wieder ein paar Bälle schlagen sollen. Er meinte, es gehe nicht mehr, weil er zu schwach dafür sei. Dann schlug ich ihm vor, ein bisschen Fußball zu spielen. Aber selbst das ging nicht mehr. Der Kleine ist jetzt tot. Und man selbst ärgert sich über rote Ampeln. Interview „Im Tenniszirkus gibt es viele Leute, die dich angrinsen und dir von hinten das Messer in den Rücken rammen“ NICOLAS KIEFER wurde am 5. Juli 1977 im niedersächsischen Holzminden geboren. Der 29-Jährige begann mit acht Jahren, Tennis zu spielen. Zwölf Jahre später, 1997, startete er seine Profikarriere. Deren Höhepunkte waren vor allem die Silbermedaille im Doppel mit Rainer Schüttler bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen und die Mannschaftsweltmeistertitel 1998 und 2005 in Düsseldorf. Doch immer wieder brachten Verletzungen, zum Beispiel eine chronische Fußverletzung im Jahre 2000, seine sportlichen Planungen durcheinander. Dieses Jahr stoppte ihn eine Handverletzung, die er sich bei den French Open zuzog. Kiwi, wie Nicolas Kiefer auch genannt wird, belegt zurzeit Platz 30 der Weltrangliste (Stand: 1. September). RUND 98 rund1006_094_099_Kiefer 98 07.09.2006 18:23:10 Uhr SPIELKULTUR Fußball im KZ DAS TOR ZUM TOD Selbst in den deutschen Konzentrationslagern gab es Fußballspiele. Für die Häftlinge waren die Partien Ablenkung und Bedrohung zugleich VON ROGER REPPLINGER, FOTOS KZ-GEDENKSTÄTTE DACHAU, GHETTO FIGHTERS MUSEUM RUND 100 rund1006_100_103_KZfussi 100 07.09.2006 15:13:49 Uhr SPIELKULTUR Fußball im KZ kein Gefühl mehr in den Beinen und Armen haben, dann schreit eine Stimme: „Auf ihr Vögel! eine der Anreden, die SS-Männer für Häftlinge haben. Die Häftlinge haben keine Namen, ihre Identität besteht in ihrer Nummer. Vorwärts – marsch, marsch!“ „Vögel“ ist Ein baumlanger, adlernasiger SS-Unterscharführer, Lederpeitsche in der Hand, führt die Häftlinge zur Aufnahmebaracke am anderen Ende des Lagers. In den Konzentrationslagern des Dritten Reiches gab es alles, was wir kennen, und alles, was wir uns nicht vorstellen können. Es gab auch Sport. Und zwar gab es „Sport“ und Sport. Typischer für ein Konzentrationslager als das, was wir gemeinhin unter Sport verstehen, war der „Sport“, den sich die SS aus dem Quälen der Häftlinge machte. Zum Beispiel so: Eine Gruppe neuer Häftlinge kommt in einem Konzentrationslager an. Raus aus dem Viehwaggon, die Verhungerten und Verdursteten bleiben liegen. Der Proviant hat hinten und vorne nicht gereicht. Es Es beginnt zu regnen. Die neuen Häftlinge sind ein paar Schritte gelaufen, etwas mühsam, da die Beine vom Hocken in der Kniebeuge steif geworden sind, da brüllt der SS-Mann: „Alles hinlegen!“ Der letzte Häftling ist noch nicht auf dem Boden, da brüllt der Adlernasige: „Auf – marsch, marsch!“ Der „Sport“ beginnt. Hinlegen, aufstehen, hinlegen, aufstehen. Dann müssen die Häftlinge hüpfen wie ein Frosch und dazu quaken, dann müssen sie über die nasse Erde rollen. Dann brüllt der Lange mit der Peitsche wieder: „Auf – marsch, marsch!“ Die Häftlinge haben keine Zeit zum Verschnaufen: hinlegen, aufstehen. Dazwischen Fußtritte und Peitschenhiebe für jeden, der nicht schnell genug ist. So erreichen die Neuen, kaputt, dreckig und außer Atem, die Aufnahmebaracke. Einige hat der SS-Mann so mit der Peitsche zugerichtet, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Das ist „Sport“ im Konzentrationslager. Ab Herbst 1942, als Heinrich Himmler – der Reichsführer SS ist Herr über alle Konzentrationslager – den Häftlingen die Möglichkeit einräumt, sich auch ohne Peitsche sportlich zu stinkt, weil der Eimer für die Notdurft schon nach einem halben Tag voll war und die betätigen, gibt es Sport in den Konzentrationslagern. Dies ist, zuFahrt zwei Tage dauerte. Die sammen mit einem Prämiensystem für gute Arbeit, der VerHäftlinge, die kreuz und quer such, die Häftlinge nicht mehr sofort, sondern über einen länund aufeinander gestapelt im geren Zeitraum durch Arbeit umzubringen und dabei die Produktivität dunklen Wagon lagen, sind hochzuhalten. Das Dritte Reich braucht die Arbeitskraft der Häftlinge, denn die Männer, die geblendet. Grelles Licht, Hunde bellen, in den Fabriken gearbeitet haben, sind an der Front, und ohne Häftlinge und Zwangsarbeiter antreten. Kaum stehen die Männer in einer Reihe, da hören sie ihrem Rücken den Befehl: „Knie beugt! Hände in den Nacken legen!“ Alle gehen in die Hocke. Das ist, wie sie später von anderen Häftlingen erfahren, der „Sachsengruß“. Sie hocken eine Viertelstunde, bis sie bricht die deutsche Rüstungsproduktion zusammen. Rücktritt der Publikumslieblinge: Sowohl Jürgen Klinsmann (li.), Ex-Bundestrainer des Fußballs, als auch Karl Moik, Ex-Bundestrainer der Volksmusik, haben aufgehört RUND 101 rund1006_100_103_KZfussi 101 07.09.2006 15:13:50 Uhr SPIELKULTUR Fußball im KZ Auch im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg wird nun Fußball gespielt. Häftling Herbert Schemmel, Lagerschreiber und früher bei Borussia Halle und TuRa Leipzig aktiver „Für die meisten Gefangenen war es auf Grund ihres körperlichen Zustands aber unmöglich mitzumachen. Vielleicht 60 von 14.000 Neuengammer Häftlingen haben teilgenommen.“ Fußballer, sagt: Gefangene, die mit in der Hie- rarchie weit über ihnen stehenden „Funktionshäftlingen“ – Lagerältesten, Vorarbeitern, Kapos – in einer Mannschaft spielen, verbessern ihre Situation, indem sie den „Chefs“ Tore auflegen. Als Belohnung gibt es Brot und leichtere Arbeit. Also Leben. Über dem Fußball liegt, wie über allem anderen im KZ, der Schatten von Gewalt und Tod. In einigen Konzentrationslagern werden „Länderspiele“ ausgetragen. Der norwegische Architekt Odd Nansen, Sohn des Polarforsches Fridtjof Nansen und Häftling des KZ Sachsenhausen, notiert unter dem Datum vom 2. Mai 1944 in seinem Tagebuch: „Jeden Sonntag sind Fußballkämpfe. Sonntag zwischen Norwegen – Tschechoslowakei und Deutschland – Polen. Norwegen gewann, Polen verlor. Diese Kämpfe werden manchmal leidenschaftlich geführt. Das Blut gerät in Wallung, und es kommt vor, dass die Spieler mit den Fäusten aufeinander losgehen. Im Kampf zwischen Polen und Deutschland mussten zwei Spieler das Feld verlassen, weil sie die Fäuste gebraucht hatten, nachdem bereits zwei andere weggetragen worden waren – kampfunfähig.“ Die Polen hassen die Deutschen für das, was sie ihnen und ihrem Land angetan haben. Das gilt auch für polnische KZ-Häftlinge. Der Sieg über die deutschen Häftlinge ist wichtig für das Selbstbewusstsein der gedemütigten Polen, die der SS als Untermenschen gelten. Die Deutschen sind nicht unverwundbar, sie sind nicht unbesiegbar. Wenn man sie auf dem Fußballfeld schlagen kann, warum nicht auch auf dem Schlachtfeld? Ein Spiel zwischen Norwegen und Polen wird abgebrochen, weil die Spieler aufeinander einprügeln. Nansen schreibt ironisch: „Feiner Kampf! Gleich nebenan liegen Menschen und sterben. Sachsenhausen!“ Nansen erzählt eine Episode, er nennt sie „Sachsenhausen-Idylle“, die zeigt, wie nahe beieinander Sport und Tod sind: „Wäh rend der Fußballkampf am schlimmsten tobte, kamen zwei Ge- fangene, die eine Leiche auf einer Bahre trugen. Den ganzen Platz entlang, an den brüllenden Zuschauern vorbei. Plötzlich wurden auch die Träger sehr interessiert an dem Kampf. Sie setzten die Leiche hin, zündeten ihre Stummel an und begannen, dem Kampf zu folgen. Als der spannende Augenblick vorbei war, gingen sie zur Leiche zurück und setzten den Transport zum Leichenhaus fort, während von sämtlichen Lautsprechern lustige Operettenmusik ertönte.“ Sogar in Auschwitz wird gespielt. Es gibt einen Fußballplatz in Auschwitz-Birkenau, der direkt an die Krematorien grenzt. Dort spielt die SS gegen Häftlinge des Sonderkommandos, die für RUND 102 rund1006_100_103_KZfussi 102 07.09.2006 15:13:51 Uhr SPIELKULTUR den Transport und das Verbrennen der Leichen zuständig sind. Auch im „Zigeuner-Familienlager“ des KZ Auschwitz rollt der Ball. Ein neuer SS-Mann, der Rapportführer Kurt Hartmann, fragt nach Fußballern. Walter Stanoski Winter und ein paar Jungs aus Ostpreußen, die in Vereinen gespielt hatten, melden sich. Winter wird Trainer. Hartmann will, dass „seine“ Jungs gewinnen, er versorgt sie mit Lebensmitteln, die er anderen Häftlingen klaut. Die Häftlinge fragen nicht – sie essen. Winter fehlt ein Rechtsaußen: „Einmal waren wir am Spielen, ein paar Juden guckten zu. Es gab nämlich einige jüdische Handwerker bei uns im Lager, in einem gesonderten Block. Da sagt einer von ihnen: ,Ich kann auch Fußball spielen.‘ So ein kleiner Mensch, vielleicht 1,65, 1,68 Meter groß, er hatte ein bisschen O-Beine. Na. Wir haben trainiert, und der Mann war super.“ Beim ersten Spiel also trifft das „AuschwitzStammlager“ auf die mit einem jüdischen Rechtsaußen verstärkte Elf der Sinti. An diesem Tag schieben nur wenige SS-Männer in den Lagern des KZ Auschwitz Dienst, alle anderen schauen beim Spiel zu. Der Zaun steht ausnahmsweise nicht unter Strom. So lehnen die Lagerinsassen daran und stehen auf den Fußball im KZ Spielgeschehen. Die Sinti schießen das erste Tor. Winter hat Angst: „Jetzt bricht die Hölle los!“ Dächern der Blocks und beobachten das Die SS-Männer des Stammlagers Auschwitz und die des Lagers Birkenau sind verfeindet. Nach dem Tor schießt die Birkenauer SS. Mal nicht auf Sinti, sondern vor Freude in die Luft. In der zweiten Halbzeit machen die Sinti das 2:0. Winter denkt: „Junge, Junge, wenn du nur hier wieder heile runterkommst!“ Nach dem Spiel geraten sich die SS-Leute in die Haare. Beschimpfen und stoßen sich. Am Ende gewinnen die Sinti mit 2:1. Hartmann versorgt die kickenden Häftlinge weiterhin mit Paketen, damit sie auch das nächste Spiel gewinnen. Er wird später wegen Häftlingsbegünstigung vom SS- und Polizeigericht Breslau zu vier Monaten Gefängnis und Ausschluss aus der SS verurteilt. Schwierig ist es, die Fußballausrüstung zu organisieren. In Neuengamme bauen die Zimmerleute unter den Gefangenen Tore für das betonierte Spielfeld, den Appellplatz. Die Schneider nähen Trikots. Aus Kleidern von in Auschwitz ermordeten Juden. Die Sattler machen aus Lederabfällen Fußbälle. Für 600 im Lager geschnorrte Zigaretten der Marke „Attika“ und 10,50 Mark besorgt ein SS-Mann drei Gummiblasen. Sonntags, wenn die Bewohner der ringsum liegenden Dörfer am KZ Neuengamme vorbeispazieren, sehen sie die Häftlinge beim Fußball. „Kann so schlimm nicht sein im KZ“, denken sie und vergessen die stinkenden, dicken Rauchwolken, die in der Woche aus dem Kamin des Krematoriums kommen. Propaganda und Realität: Szenen aus dem Theresienstädter NS-Film IN THERESIENSTADT GAB ES EBENFALLS FUSSBALLSPIELE. DAS DORTIGE KZ WAR EIN SONDERFALL: WEIL DIE NAZIS DAS LAGER ALS MUSTERGHETTO INSZENIERTEN, WURDE DORT SOGAR IN DREI LIGEN SAMT POKALWETTBEWERB GESPIELT Kleiderkammer – Elektriker 5:1, Gärtner – Köche 2:0, Jugendfürsorge – Ghettowache 2:3. Man könnte meinen, diese Ergebnisse stammten aus einer gewöhnlichen Betriebsfußballrunde – wäre da nur nicht der Name des letzten Teams: Ghettowache. Tatsächlich sind die Resultate in einer Überkreuztabelle aufgeführt, die H. G. Adler 1958 in dem Buch „Die verheimlichte Wahrheit. Theresienstädter Dokumente“ veröffentlichte. Der Schriftsteller und Historiker lieferte den ersten Hinweis, dass es in dem Konzentrationslager einen organisierten Fußballspielbetrieb gab. Adler war selbst in Theresienstadt und Buchenwald interniert, im Gegensatz zu seiner Frau und seinen Eltern überlebte er den Holocaust. Erstmals systematisch erforscht hat das Thema Fußball in Theresienstadt die Hannoveraner Historikerin Nicola Schlichting. Bei Recherchen für das Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts fand sie im Archiv der Gedenkstätte Theresienstadt Ankündigungsplakate, Spielberichte und Material zur Organisationsstruktur des Fußballs. Fußball in Theresienstadt war, so Schlichting, ein Sonderfall. Nur hier gab es einen regelmäßigen Ligabetrieb. Ab Sommer 1943 organisierte eine aus Häftlingen formierte „Fachgruppe Fußball“ Begegnungen in drei Spielklassen: Liga, Division A, Division B. Es gab eine Auf- und Abstiegsregelung, Pokalwettbewerbe mit Setzlisten sowie eine Schiedsrichterkommission. Einige Mannschaften ließen sich vom Fußball draußen inspirieren, eine hieß „Fortuna Köln“. Die Zahl der Kicker – sieben gegen sieben, wegen der geringen Größe der Spielfelder – und die Spieldauer – zweimal 35 Minuten – wichen vom gewöhnlichen Fußball ab. Kurt Ladner, ein ehemaliger Theresienstädter Spieler, der heute in den USA lebt, sagt, der Fußball habe „abgelenkt von allem, was einem am nächsten Tage drohen konnte“. Wurde aber mal wieder ein Mitspieler abtransportiert, sei das „für alle Fußballer eine Belastung gewesen“. Man habe gewusst, „dass es jeden treffen kann“. Das 1941 in einer Festungsanlage nahe Prag errichtete Lager erfüllte drei Funktionen: Theresienstadt war ein eigenständiges KZ – hier starben 33.000 Menschen –, eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager im Osten sowie eine Art Musterghetto. Hier inszenierten die Nazis bei Bedarf ein bisschen Normalität für die internationale Öffentlichkeit – da passte die Fußballliga gut ins Bild. „Es fehlte in diesem Lager fast nichts, was nicht die Einrichtungen einer normalen Gesellschaft nachgebildet hätte“, schreibt Adler. Als Höhepunkt der Täuschung hatte das NS-Regime einen Dokumentarfilm vorgesehen, der unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt ist. Das in Fragmenten erhaltene Propagandawerk enthält Fußballszenen – aus einer Partie zwischen Meister und Pokalsieger. Die Nazis hielten den Film aber für propagandistisch untauglich. Der zur Regie gezwungene Kurt Gerron, der erste „Mackie Messer“-Darsteller in der „Dreigroschenoper“, wurde 1944 ermordet. Von den Fußballern im Film hat ebenfalls keiner überlebt. RENÉ MARTENS RUND 103 rund1006_100_103_KZfussi 103 07.09.2006 15:13:51 Uhr SPIELKULTUR Fußball im KZ kein Gefühl mehr in den Beinen und Armen haben, dann schreit eine Stimme: „Auf ihr Vögel! eine der Anreden, die SS-Männer für Häftlinge haben. Die Häftlinge haben keine Namen, ihre Identität besteht in ihrer Nummer. Vorwärts – marsch, marsch!“ „Vögel“ ist Ein baumlanger, adlernasiger SS-Unterscharführer, Lederpeitsche in der Hand, führt die Häftlinge zur Aufnahmebaracke am anderen Ende des Lagers. In den Konzentrationslagern des Dritten Reiches gab es alles, was wir kennen, und alles, was wir uns nicht vorstellen können. Es gab auch Sport. Und zwar gab es „Sport“ und Sport. Typischer für ein Konzentrationslager als das, was wir gemeinhin unter Sport verstehen, war der „Sport“, den sich die SS aus dem Quälen der Häftlinge machte. Zum Beispiel so: Eine Gruppe neuer Häftlinge kommt in einem Konzentrationslager an. Raus aus dem Viehwaggon, die Verhungerten und Verdursteten bleiben liegen. Der Proviant hat hinten und vorne nicht gereicht. Es Es beginnt zu regnen. Die neuen Häftlinge sind ein paar Schritte gelaufen, etwas mühsam, da die Beine vom Hocken in der Kniebeuge steif geworden sind, da brüllt der SS-Mann: „Alles hinlegen!“ Der letzte Häftling ist noch nicht auf dem Boden, da brüllt der Adlernasige: „Auf – marsch, marsch!“ Der „Sport“ beginnt. Hinlegen, aufstehen, hinlegen, aufstehen. Dann müssen die Häftlinge hüpfen wie ein Frosch und dazu quaken, dann müssen sie über die nasse Erde rollen. Dann brüllt der Lange mit der Peitsche wieder: „Auf – marsch, marsch!“ Die Häftlinge haben keine Zeit zum Verschnaufen: hinlegen, aufstehen. Dazwischen Fußtritte und Peitschenhiebe für jeden, der nicht schnell genug ist. So erreichen die Neuen, kaputt, dreckig und außer Atem, die Aufnahmebaracke. Einige hat der SS-Mann so mit der Peitsche zugerichtet, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Das ist „Sport“ im Konzentrationslager. Ab Herbst 1942, als Heinrich Himmler – der Reichsführer SS ist Herr über alle Konzentrationslager – den Häftlingen die Möglichkeit einräumt, sich auch ohne Peitsche sportlich zu stinkt, weil der Eimer für die Notdurft schon nach einem halben Tag voll war und die betätigen, gibt es Sport in den Konzentrationslagern. Dies ist, zuFahrt zwei Tage dauerte. Die sammen mit einem Prämiensystem für gute Arbeit, der VerHäftlinge, die kreuz und quer such, die Häftlinge nicht mehr sofort, sondern über einen länund aufeinander gestapelt im geren Zeitraum durch Arbeit umzubringen und dabei die Produktivität dunklen Wagon lagen, sind hochzuhalten. Das Dritte Reich braucht die Arbeitskraft der Häftlinge, denn die Männer, die geblendet. Grelles Licht, Hunde bellen, in den Fabriken gearbeitet haben, sind an der Front, und ohne Häftlinge und Zwangsarbeiter antreten. Kaum stehen die Männer in einer Reihe, da hören sie ihrem Rücken den Befehl: „Knie beugt! Hände in den Nacken legen!“ Alle gehen in die Hocke. Das ist, wie sie später von anderen Häftlingen erfahren, der „Sachsengruß“. Sie hocken eine Viertelstunde, bis sie bricht die deutsche Rüstungsproduktion zusammen. RUND 101 rund1006_100_103_KZfussi 101 08.09.2006 13:04:51 Uhr SPIELKULTUR Kopfball „Fußball ist Fußball“: der Berliner Autor Thomas Brussig „SEHR GEFÄHRLICHE FRAGE!“ INTERVIEW MARTIN KRAUSS UND CHRISTOPH RUF, FOTO GERALD VON FORIS RUND 104 rund1006_104_105_Theweleit_neu 104 07.09.2006 22:06:14 Uhr SPIELKULTUR Kopfball DER PHILOSOPH KLAUS THEWELEIT PUBLIZIERT IMMER WIEDER ÜBER FUSSBALL. ROTE KARTEN WEGEN EINER BELEIDIGUNG IRRITIEREN IHN EBENSO WIE DIE KRITIK AM FERNSEHEN Die WM ist vorüber. Gehen Sie jetzt wieder regelmäßig zum SC Freiburg? KLAUS THEWELEIT Die Wochenenden sind zu kostbar, um sie jedes Mal durch einen Stadionbesuch zu zerschneiden. Wir haben Besuch oder gehen in die Landschaft. Manchmal ist auch Arbeit. Die Zusammenfassungen schaue ich aber fast immer, mal in der Sportschau, mal im Sportstudio. Champions League und ähnliches: in der Kneipe. Finden Sie auch Länderspiele attraktiv? Die funktionieren ja gemeinhin nach dem Pro-Nation-contra-Nation-Schema. Pro Nation, ja. Contra Nation, nein. Das ist nur Dummheit. Ich bin doch nicht gegen England, Italien oder Brasilien, wenn ich für das deutsche Team bin. Es wird doch überhaupt erst interessant, wenn die anderen auch gut sind. Die Leute, die aus irgendeinem Prinzip heraus immer sagen, Deutschland soll bloß verlieren, sind merkwürdig, unfußballerisch. Beides entspringt einem Denken in nationalen Kategorien und ist ein Missbrauch des Fußballs. Wenn jemand nicht des Fußballs wegen hinguckt, geht ihn meines Erachtens so ein Länderspiel auch überhaupt nichts an. Wie haben Sie die „Schwarz-Rot-Geil“-Euphorie im Zuge der klinsmannschen Erfolge empfunden? Nicht so wichtig. Die Leute wollten feiern, der Sommer war schön, das richtige Team gewann lange genug, und, wenn man Fähnchen schwenkt, gibt’s keine Prügel von den Bullen. Wenn ich allerdings sehe, wie vor dem ersten Spiel der neuen Saison, Bayern gegen Dortmund, die Hymne gespielt und versucht wird, den Fahnenkram zu verlängern, wird es ärgerlich. Eine neue Nationalisierung des Fußballs, bei weit über 50 Prozent Nichtdeutschen in der Liga und einer fortschreitenden Internationalisierung der Konzepte, wäre das dümmste, was passieren kann. Mit Fahnen werden aus Feiernden schnell Feierrabauken; egal, welche Fahne. Fußball als nationales Event, Vereinsfeindschaften werden immer unwichtiger – geht da nicht auch etwas vom Fußball verloren? Ich glaube nicht. Auf die Typen, die die Klubs als Vorwand benutzen, siehe Legia Warschau, um ihren brachliegenden Machismo zu ventilieren, kann man verzichten. Sollen sie sich mit Messern im Wald treffen – oder doch lieber einen Ball nehmen. Sie haben Ihre fußballerischen Duelle mit den Jungs von der anderen Straßenseite doch auch als sublimierte Form des Machismo beschrieben. Ja, sublimiert. Fußball ist eine Form von Gewalt, unbestreitbar. Aber er ist eine Bearbeitung der Gewalt, und wenn man das ersetzt durch Kloppereien, ist das nicht die Bearbeitung der Gewalt, sondern die Bearbeitung der Fressen. Fußball organisiert äußerst massive körperliche Vorgänge: Im Spiel wird verlangt, dies körperlich Kämpferische umzusetzen in Technik, Ballbehandlung. Und in die Vorsicht, die ich immer bei Beckenbauer bewundert habe. Seine Eleganz bestand darin, dass er immer einen Bogen um Gewaltsituationen gemacht hat, aber ohne Ballverlust. So etwas wie Fanfeindschaften, Lokalderbys, stilisierte Klassenkämpfe – das brauchen Sie alles nicht? Nichts davon, kein bisschen. Ob es „badisches Derby“ heißt, wenn der KSC nach Freiburg kommt, oder ob Stuttgarter die „feindlichen“ Hauptstadtschwaben sind oder die Bremer „Fischköppe“, schnurzegal. Ich will ein gutes Spiel sehen. Und wenn schlecht gespielt wird, wenigstens einen SC-Sieg. Mein Lokalpatriotismus kommt ohne Feinde aus. Nur die Punkte sollen sie dalassen. Einen Fischkopp auf dem Platz hab ich noch nicht gesehen. Aber bitte, wer das braucht: das Stadion ist der Ort, wo man so etwas darf, Feindschaftspflege. Nicht wenigstens der Schiedsrichter als Feindobjekt? Doch, am ehesten. Gegen das läppische Schiedsrichterkontrollsystem rebellieren alle meine Impulse. Eine rote Karte wegen Meckerns! Warum soll der eine Spieler den anderen nicht „Arschloch“ nennen oder „Bratwurst“? Das entspannt doch. Die Macht des Schiedsrichters ist völlig unabhängig davon, ob ihn jetzt jemand „Pfeifenheini“ nennt oder nicht. Diese Karten entspringen einem Denken, das aus Erziehungsanstalten kommt, aus Militärischem, aus Befehl und Gehorsam. Wenn ich irgendwo „Feinde“ sehe im Fußballerischen, dann in den Aufrechterhaltern dieser lächerlichen Benimmordnungen. Gibt es in der Kurve mehr Sachverstand als auf der Haupttribüne? Ich glaube, ja. Getrübt allerdings von der Sündenbockfunktion. Der Sachverstand der Kurve sucht sich oft einen einzelnen Spieler heraus und redet alles in Grund und Boden, was der tut. Und spendet Beifall, wenn der endlich ausgewechselt wird. Ungerecht – aber der Blick selbst ist schon recht genau. Wenn Sie den Fans in der Kurve einen höheren Sachverstand unterstellen, sagen Sie doch auch etwas über die soziale Verortung des Fußballspiels aus. Teils teils. In der Kurve sind ja auch sehr viele Studenten und Lehrer. In Stuttgart zum Beispiel eher Handwerker und Angestellte. Proletarische Kurven? Findet man, glaube ich, nicht mehr. Es gibt im Stadion wechselseitigen Neid. Es gibt den Neid auf den VIP-Raum bei den Kurvenfans. Aber der gut zahlende Besucher in der VIP-Loge schielt auch neidisch auf die Stimmung in der Kurve. „Ohne den Fernseher wäre die Gewalt auf der Straße 100-mal höher. Ein eher pazifizierendes Gerät“ Wie verändern Fernsehgelder und die vielen Übertragungen den Fußball und den Blick auf den Fußball? Bisher gilt noch: Der Blick wird genauer. Und: Fußball existiert auch außerhalb des Fernsehens. Was wäre zum Beispiel Eiskunstlauf ohne Fernsehen? Oder Skifahren, wo man gar nichts sieht ohne die eingeblendeten Zeiten. Leute, die dem Fernsehen vorwerfen, dass zu viel Gewalt gezeigt wird, sehen übrigens nicht, dass ohne den Fernseher die Gewalt auf der Straße 100-mal höher wäre. Die Jugendlichen würden herumhängen, sich besaufen oder sich verprügeln. Das Fernsehen ist, so paradox das klingt, ein eher pazifizierendes Gerät. Sie sind froh, wenn die Menschen im Stadion statt auf der Straße sind. Ja. Wenn zwei Gruppen auf der Straße stundenlang Biere in sich reinkippen, kriegen sie über kurz oder lang Streit darüber, wer wessen Freundin schräg angeschaut oder angemacht hat. Oder „wer hier überhaupt hergehört“? Eine sehr gefährliche Frage. Eine Langfassung des Gesprächs finden Sie unter www.rund.magazin.de RUND 105 rund1006_104_105_Theweleit_neu 105 07.09.2006 22:06:21 Uhr SPIELKULTUR Buch IM RUND-BÜCHERREGAL Gauchos in Argentinien, Xingu am Amazonas – der britische Fotograf Levon Biss hat den Fußball in seinem Fotoband „One Love“ auf der ganzen Welt abgelichtet FOTOS BENNE OCHS LEGENDE Meister UI-Cup Platz 15 DER ZAUBER WIRKT, DER ALLTAG RUHT, DAS SPIEL BEGINNT Der Fußballfotoband „One Love“ ist keine Liebe auf den ersten Blick. Beim ersten Blättern wirkt er nur gefällig und auf perfide Weise politisch korrekt. In 26 Ländern der Welt hat der britische Fotograf Levon Biss die einzigartige Verbrüder- und -schwisterungsmacht des Fußballspiels bebildert. Das Ergebnis ist auf der einen Seite attraktiv genug, um sowohl den sponsernden Sportartikelhersteller mit werbefähigen Motiven als auch Buchladenkunden in ihrer Nach-WM-Seligkeit mit einem hübsches Geschenk zu versorgen. Andererseits wirkt alles ein bisschen zu klischeehaft – in Brasilien wird Fußball natürlich am Strand getänzelt, in Afrika bunt gewandet auf festgestampftem Lehmboden gespielt, in Irland im Hinterhof vor Wäscheleinen. Biss selbst pflegt ein recht ungebrochenes Verhältnis zu diesen Klischees. So kommentiert er das Foto von Kindern, die im südafrikanischen Duthuni natürlich barfuß auf festgestampf- tem roten Lehmboden kicken, aus geradezu naiver Kolonialistenperspektive als liebste Erinnerung, die so gut die angebliche Unschuld und Schlichtheit des Fußballs verkörpere: „Ich bemerkte, dass sie mit einem platten Ball spielten und gab ihnen einen neuen, der auf- gepumpt war. Sie dankten mir mit Gesang und Tänzen. Doch plötzlich schien ihnen das Spiel viel schwerer zu fallen. Sie hatten noch niemals mit einem Ball gespielt, der vom Boden abprallte.“ Manches wirkt da nicht nur gestellt, sondern ist es auch, etwa das Foto vom dicken Brasilianer, der an der Copacabana kickenderweise Klappstühle auf dem Kopf balanciert. Biss wirft ihm einen Ball zu und berichtet: „Freundlicherweise reagierte er sofort darauf.“ Beim zweiten Blättern gewinnt der Band jedoch, man lässt sich auf die naive Werbeästhetik ein, und das Spielgerät wird zum magischen Transformator. Egal, ob der blaue Ball mit Weltkartenmuster Gauchos in Argentinien oder Xingu am Amazonas zugeworfen wird, sein Zauber wirkt, der Alltag ruht, das Spiel beginnt. Vielleicht ist Fußball ja wirklich so einfach. JÜRGEN REUSS Levon Biss One Love Lannoo Publishers 384 Seiten ca. 20 € RUND 106 rund1006_106_109_Buecher.indd 106 07.09.2006 22:40:38 Uhr SPIELKULTUR Buch gewann. Oder Jan Wouters, der 1988 noch beim befreienden 2:1-EM-Halbfinalsieg dabei war, beim FC Bayern aber seine antideutschen Gefühle ablegte. Doch nicht alle Geschichten sind so positiv. Willi Lippens sollte für Deutschland stürmen, aber sein niederländischer Vater war wegen seiner Kriegserfahrungen dagegen. Lippens debütierte 1971 im Oranje-Team, doch vor allem Kapitän Rinus Israël war gegen den „halben Nazi“. Es blieb Lippens’ einziges Länderspiel. HARRY WALSTRA Ingo Schiweck Kicken beim Feind? Der ganz alltägliche Friede hinter dem deutsch-niederländischen Fußballkrieg Maverix Verlag 212 Seiten 19,90 € EINE KURZE GESCHICHTE DES WELTFUSSBALLS Der alte Spruch vom Runden, das ins Eckige muss, passt bei diesem Fußballbuch rein gar nicht. „Spiele, die Geschichte schrieben“ ist ein Sammelband im Ballformat, der von 22 legendären Länderspielen erzählt. Sechs WMFinals sind darunter, das erste internationale Match 1872 zwischen England und Schottland sowie – der Verlag ist in Wien beheimatet – das 3:2 der Österreicher gegen die Deutschen ligans anders? Wie viel Goethe steckt in Werner Hansch? Himmelrath kommentiert die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit viel Fußballsachverstand. Die Ironie in seinen Texten tut dem ernsthaften, wissenschaftlichen Ansatz des Buches keinen Abbruch. Himmelrath schafft vielmehr das, woran schon viele Wissenschaftler gescheitert sind: Er hat ein kurzweiliges und verständliches Buch geschrieben. SVEN KNOBLOCH Armin Himmelrath Macht Köpfen dumm? Neues aus der Fußball-Feldforschung Herder Verlag 160 Seiten 7 € bei der WM in Argentinien. „Wenn wir schon heimfahren müssen, dann sollen die Goscherten mit uns in einem Flugzeug sitzen“, sagte damals Kapitän Kurt Jara. Die kurzweiligen, aber informativen Texte sind mit Zitaten wie diesem garniert, jedes Spiel ist ausführlich bebildert. So lässt diese kurze Geschichte des Weltfußballs kaum Wünsche offen. Nur spielen kann man mit ihr nicht. MALTE OBERSCHELP Spiele, die Geschichte schrieben 11 Autoren über 22 Begegnungen zwischen 1872 und 2004 Egon Theiner Verlag 232 Seiten 29,90 € EINMAL VON KAFKA ZU KAKÁ UND ZURÜCK „Schlussball“ ist fraglos ein gutes und sehr gehaltvolles Werk. Der Kulturkritiker Helmut Böttiger packt den Fußball an seinen spannendsten Enden, um ihn auf sensible und lesenswerte Weise zu untersuchen. Mal mit wissenschaftlicher Attitüde, mal essayistisch, mal prosaisch. Die Beispiele und Berichte kreisen um Luhmanns Systemtheorie, Günther Kochs Radioreportagen und Literaturanalysen von KLEINER GRENZVERKEHR AUF DEM FUSSBALLPLATZ Rainer Bonhof war 1974 beim WM-Sieg der jüngste deutsche Weltmeister. Keine fünf Jahre davor hatte er noch einen niederländischen Pass. Wie es dazu kam, steht in „Kicken beim Feind?“ von Ingo Schiweck. Der Düsseldorfer Journalist hat dazu niederländische Spieler und Trainer in Deutschland sowie ihre deutschen Pendants befragt. Horst Blankenburg zum Beispiel, der mit Ajax den Europapokal Musil bis Matthäus. Aber warum will Böttiger zwischendurch immer wieder mit Fußball die Welt erklären, ihn als „hübsche Metapher und poetische Chiffre“ benutzen? Plötzlich steht der Catenaccio für den Machiavelli, den jeder Italiener in sich hat. Die Analysen werden dadurch zu breit, um sie zuzuspitzen. Das ist wirklich schade, denn sonst wäre „Schlussball“ nicht nur gut, sondern großartig. WIE VIEL GOETHE STECKT IN WERNER HANSCH? „Fußball ist einfach zu schnell und kompliziert, um von dem durch die Natur beschränkten Körper und dem Gehirn eines Schiedsrichters überhaupt erfasst werden zu können.“ Was Fußballfans schon lange vermutet haben, wird nun endlich wissenschaftlich bestätigt. Armin Himmelrath beantwortet in seinem Buch „Macht Köpfen dumm?“ die skurrilsten Fragen aus der Fußballforschung. Sind die Bayern ein Judenclub? Sind weibliche Hoo- HOLGER HEITMANN Helmut Böttiger Schlussball. Die Deutschen und ihr Lieblingssport Suhrkamp Verlag 192 Seiten 7,50 € RUND 107 rund1006_106_109_Buecher.indd 107 07.09.2006 22:40:42 Uhr SPIELKULTUR Kunst und DVD IM RUND-REGAL Was bleibt von der WM? Zwei schöne Kataloge für den Kunstfreund und eine XXL-DVD-Edition für den fanatischen Statistiker FOTO MAAK ROBERTS DIE ANATOMIE DES FUSSBALLS RÜCKKEHR ZUR HARMONIE Nein, eigentlich kann man es nicht mehr hören: Fußball und Kunst – eine im WM-Jahr überstrapazierte Kombination. Doch lohnt es sich in dem Band „Die Schönheit der Chance“ zu schmökern, dem Buch zu einer Ausstellung in Nürnberg. So sind beispielsweise auf den großformatigen Farbabzügen von Michael Wesely, der in Fußballarenen fotografiert, verschwommene Zuschauermassen, die vor stets leeren Spielfeldern sitzen, zu sehen. Wesely lässt die Blende seiner Kamera über die ganze Länge eines Spieles geöffnet, weswegen die Spieler im Rasengrün verschwinden. Irritierender sind die Kugelschreiberzeichnungen von Fumie Sasabuchi, die in Zeitschriftenbilder von Fußballern mit wissenschaftlicher Präzision die Anatomie einzeichnet: Wirbelsäulen, Beckenknochen, innere Organe – ein bisweilen gruseliger Anblick. „Schönheit der Chance“ stellt alle 26 Künstler und Künstlerinnen vor, ergänzt um einen einführenden Text von Stephan Trescher und literarische Miniaturen zum Thema Fußball – unter anderem von Sybille Berg, Ödön von Horváth und Ror Wolf. MARC PESCHKE Zwischen Albrecht Dürer, Max Ernst und Roy Lichtenstein einen Zusammenhang zu finden, ist nicht einfach – außer dass sie alle zu ihrer Zeit große Künstler waren. Das Berliner Pergamon-Museum hängt noch nordindische Skulpturen, japanische Farbholzschnitte und spanische Mondhornkäfer dazu und vereinigt das scheinbar Widersprüchliche gleichwohl zu einem stimmigen Ausstellungsparcours samt Katalog. „Kreis, Kugel, Kosmos“ hat alles was rund ist zum Thema. Der Fußball wirkt auf den ersten Blick nur wie der Aufhänger. Doch die Fülle der präsentierten Himmelsdarstellungen, Höllenkreise, Zifferblätter, Sonnenscheiben und kreisförmigen Ornamente schafft es unmerklich, ihn mit einer seltsamen Bedeutung aufzuladen. Wenn man dann noch in der Einleitung liest, wie der Mensch mit Ball am Fuß ganz ernsthaft eine „symbolische Rückkehr zur Urgestalt der Harmonie“ vollzieht, steht ein Fußballspiel plötzlich in anderem Licht da. Zumindest bis zur kleinen Kulturgeschichte der Seifenblase, ein paar Kapitel weiter hinten. MALTE OBERSCHELP Institut für moderne Kunst Nürnberg (Hrsg.) Die Schönheit der Chance. Positionen und Tendenzen Verlag für moderne Kunst Nürnberg 240 Seiten 28 € Moritz Wullen, Bernd Ebert (Hrsg.) Der Ball ist rund. Kreis, Kugel, Kosmos Staatliche Museen zu Berlin 119 Seiten 19,90 € RUND 108 rund1006_106_109_Buecher.indd 108 07.09.2006 22:40:46 Uhr KUNSTSCHUSS UND KOPFSTOSS Wer möchte nicht noch einmal die Euphorie erleben, die Deutschland zwischen dem 9. Juni und dem 9. Juli 2006 erfasste? Nachdem vor der WM im eigenen Lande unfassbar viele Bücher zum Thema Weltmeisterschaften publiziert worden sind, gibt es nun für alle lesemüden Menschen die WM 2006 auf DVD. In vier Teilen hat sich die ARD bemüht, die wichtigsten und unterhaltsamsten Momente dieses Spektakels zusammenzufassen. Unter der Rubrik „Die Highlights“ kann der Zuschauer noch einmal den Weg der DFB-Elf sowie der Halbfinalisten Portugal, Frankreich und Italien miterleben. Die Traumtore von Philip Lahm und Torsten Frings zum Auftakt kann man sich genauso in Erinnerung rufen, wie Zidanes Kopfstoß. Besonders anschaulich ist die stetige Steigerung der Euphorie in der Bundesrepublik dokumentiert. Der zweite Teil des Sammelwerkes enthält alle Tore des Turniers – von den Kunstschüssen Joe Coles oder Maxi Rodriguez’ bis zum einzigen Treffer Angolas. Der Zuschauer braucht nur sein Team auszuwählen und zu genießen. Die dritte DVD mit dem Titel „Große Momente“ zeigt von den Lederhosen der Eröffnungsfeier über die Sensationen bis hin zu den tragischen Helden des Turniers kompakt die sehenswerten Aktionen und Ereignisse der WM. Der vierte und letzte Teil steht im Zeichen der großen Persönlichkeiten. Von A wie Adriano bis Z wie Zidane werden nahezu alle Superstars unter die Lupe genommen – Didier Drogba scheint in der ARD allerdings nicht bekannt zu sein. Alles in allem erfüllt die DVD-Reihe die Erwartungen an einen WM-Rückblick und ist ein geeignetes Geschenk für Statistiker und Fußballästheten. Auf Günter Netzer und Gerhard Delling, die auf jeder DVD einleitend in Erscheinung treten, hätte man aber verzichten können. STEFAN HOSSENFELDER Fifa WM 2006 Edition (ARD Video) Ein Film von SÖNKE WORTMANN ANZEIGE AN OFFICIAL DOCUMENTARY FILM OF THE 2006 FIFA WORLD CUP™ rund1006_106_109_Buecher.indd 109 AB 5. OKTOBER IM KINO www.DeutschlandEinSommermaerchen.Kinowelt.de 07.09.2006 22:40:52 Uhr SPIELKULTUR Leserbriefe D sch as and reiben ere R U N über D „Freitag“, 18.8.2006 Runde Presse: Visuell überzeugende Klospülung RUND entledigt sich des Dilemmas, ein bedeutendes Thema wie die WM abzuhandeln, RUND-Ausgabe 9/06 Allgemein, RUND Komische Blicke Ihr Magazin: erstaunlich, fast schon intellektuell, nicht langweilig, gut ausgewogen – besonders beeindruckend, das leider nicht vollständig abgedruckte Interview mit Arsène Wenger und Nick Hornby. Wenn Sie die Qualität halten können, wäre das zumindest ein Lichtblick. Ich könnte mir auch irgendwie nicht vorstellen, mit der Ausgabe einer anderen Fußballzeitung abends im Bett zu liegen. Meine Frau schaut trotzdem schon ein wenig komisch! Thorsten Jäschke, per E-Mail dem man mit monatlicher Erscheinungsweise unmöglich gerecht werden kann, durch eine Bilderstrecke und einige Spielereien, zu denen eine visuell überzeugend umgesetzte Statistik der Hamburger Wasserwerke über getätigtes Klospülen während des DeutschlandPolen-Spiels gehört. Auch im direkten Vergleich liegt RUND vorn. Das Blatt überrascht mit den Fährnissen einer England-Tournee des sowjetischen Meisters Dynamo Moskau im Jahre 1945. Bei den Rezensionen erweist sich Mathias Heybrocks eingehende Betrachtung des „Lexikon des Fußballfilms“ als hilfreich. und Reportagen, die Sie rund um das Thema Fußball scharen. Die Faszination am Fußball an sich geht dabei keineswegs unter. Endlich mal ein gehaltvolles Medium um das Thema Fußball. Erfrischend anders als die Phrasen anhäufenden Berichterstattungen in der sonstigen Medienlandschaft, die um 90 Minuten Sport meist zwei Stunden heiße Luft präsentieren. Weiter so! Benjamin Dammers, Köln, per E-Mail weit und breit kein Schalker Abramowitsch bekannt. Herrn Heitmann etwa? Oder besitzt er Insiderwissen? Karl Hanisch, Gelsenkirchen, per E-Mail Wenn der Himmel die Bälle schluckt, RUND 9/06 Strom in der Höhe Allgemein, RUND Kahn, für wen? Ich bin begeistert von Ihrer Zeitschrift. RUND dient in unserer Zweier-WG als Klolektüre, und Sie haben es sogar geschafft, meinen ansonsten völlig fußballdesinteressierten Mitbewohner für Ihr Magazin zu begeistern. Das heißt schon einiges, denn zum Thema Fußball glänzt dieser Mitbewohner ansonsten mit Beiträgen wie „Warum darf Oliver Kahn denn für Bayern UND für Deutschland spielen?" Dass Sie auch jemanden wie ihn für ein Fußballmagazin begeistern können, liegt wahrscheinlich an den weit gestreuten und vielperspektivischen Berichten, Rubriken Der unaufhaltsame Aufstieg des FCB, RUND 8/06 Chelsea 04? Dass Herr Heitmann bei der Besprechung von Thomas Gütlins „Gute Freunde“ dieses Buch auch allen empfiehlt, die sich fragen, „ob sie ihre Verachtung nicht lieber den Neureichen von Schalke und Chelsea schenken sollen“, spricht nicht gerade für seine Ausgewogenheit. Schalke und Chelsea in einen Topf zu werfen, das halte ich doch für sehr waghalsig. Mir ist Heute morgen saß ich in der Bahn und habe eure letzte Ausgabe gelesen. Ich finde ja den Ecuador-Artikel toll, aber: Was ich schade finde ist, dass der Text, den ich gut finde, nicht passt, er widerspricht sogar teilweise den Bildern. Im ersten Absatz steht, dass es keine Strommasten gibt. Aber wenn man links guckt, sieht man welche. Und auf der nächsten Seite wieder. Dann wird beschrieben, wie der Fotograf Lampen im ewig dunklen Haus von Julian Coloquinga aufstellt, aber die Bilder wurden nicht gedruckt. Auch schade. Aber sonst ist der Artikel super, ich liebe diese Art von Berichten. Mike Ganio, Hamburg, per E-Mail Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe nicht oder nur gekürzt zu veröffentlichen. Zuschriften bitte mit Stichwort Leserbrief an: info@rund-magazin.de; Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg oder Fax: 040-808 06 86-99 RUND 110 rund1006_110_Leserbriefe 110 05.09.2006 17:12:38 Uhr RUND IMPRESSUM RUND #15 10 2006 VERLAG: Olympia-Verlag GmbH, Badstr. 4-6, D-90402 Nürnberg, Tel. 0911/216-0, Fax 0911/216 27 39 REDAKTION: RUND Redaktionsbüro Hamburg GmbH & Co. KG, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg Tel. 040/80 80 686-0, Fax 040/80 80 686-99 REDAKTIONSLEITUNG: Rainer Schäfer (verantwortlich für den Inhalt), Matthias Greulich (geschäftsführender Redakteur), Oliver Lück (stellv. Redaktionsleitung) CREATIVE DIRECTOR: Anna Clea Skoluda ART DIRECTOR: Tanja Poralla REDAKTION: Martin Krauß (Chef vom Dienst), Eberhard Spohd (Textchef), Malte Oberschelp, Christoph Ruf (Redaktion Süd), Steffen Dobbert (Volontär) REDAKTIONSASSISTENZ: Sabine Richter GRAFIK: Anne-Katrin Ellerkamp, Sonja Kördel SCHLUSSGRAFIK/INFOGRAFIK: Sabine Keller BILDREDAKTION: Henning Angerer, Jochen Hagelskamp, j.hagelskamp@rund-magazin.de ILLUSTRATION: Dazzler, Anne-Katrin Ellerkamp, Katharina Gschwendtner, Sonja Kördel AUTOREN: Peter Ahrens, Marc Beaugé, Sven Bremer, Vincenzo Delle Donne, Detlef Dreßlein, Frank Goosen, Uli Hartmann, Miriam Heidecker, Frank Heike, Holger Heitmann, Stefan Hossenfelder, Thomas Kilchenstein, Sven Knobloch, Wolfgang Laaß, René Martens, Jörg Marwedel, Bernd Müllender, Stephan Mueller, Holger Pauler, Marc Peschke, Roger Repplinger, Jürgen Reuss, Elke Rutschmann, Bernd Schneiders, Jörg Strohschein, Olaf Sundermeyer, Jörg Thadeusz, Daniel Theweleit, Broder-Jürgen Trede, Peter Unfried, Markus Völker, Harry Walstra, Elke Wittich KORREKTORAT: Janina Jentz ÜBERSETZUNGEN: Stefanie Knauer FOTOS: Mareike Foecking, Gerald von Foris, Antonina Gern, Axl Jansen, Brian Kennedy, David Klammer, Benne Ochs, Stephan Pflug, Maak Roberts, Stefan Schmid, Fredrik Solstad, Sebastian Vollmert, Philipp Wente, Urban Zintel Als Quelle für einige Screenshots auf den Seiten 88 bis 91 diente die DVD Kalkofes Wunderbare Welt des Sports TITELFOTO: Benne Ochs FOTOS INHALTSVERZEICHNIS: Benne Ochs (2), Firo, David Klammer, Stefan Schmid, Pixathlon, Imago, Cinetext SPIELE: Bei Gewinnspielen, die die RUND-Redaktion veranstaltet, ist der Rechtsweg grundsätzlich ausgeschlossen. 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Porto Erscheinungsweise: monatlich Für unverlangt eingesendete Manuskripte, Fotos, Dias, Bücher usw. wird nicht gehaftet. Die gesamte Zeitschrift einschließlich aller ihrer Teile ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus dem Urheberrechtsgesetz und sonstigen Vorschriften nichts anderes ergibt. Jede Verwertung ohne schriftliche Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright für Inhalt und Gestaltung – falls nicht ausdrücklich anders vermerkt – by Olympia-Verlag 2006. ISSN 1860-9279 Impressum ARBEITEN IN DER REDAKTION FOTO BENNE OCHS Kann gut lesen und sieht fast jeden Felher: Janina Jentz, Korrektorat VORSCHAU 11 2006 Am 18. Oktober erscheint die nächste RUND-Ausgabe. Mario Basler: Der Grandmaster des Trash Talk im deutschen Fußball gibt sich am Lügendetektor von seiner härtesten Seite. Spanisches Derby: Wenn der FC Sevilla auf Betis trifft, fliegen Leuchtraketen und lebende Katzen auf den Platz. Das nächste Duell steigt mit deutscher Beteiligung: Andreas Hinkel verteidigt beim FC, David Odonkor stürmt für Betis. Tim Wiese: Die neue Nummer 1 des SV Werder Bremen fliegt jetzt Düsenjet. Charlotte Roche: Die rebellische Moderatorin und Schauspielerin über ihre große Liebe, den FC Schalke 04. RUND IM NETZ Diese Höhepunkte warten im Oktober/November auf www.rund-magazin.de auf Sie: WEBSITE-EXTRA: Lesen Sie das exklusive Interview mit Christoph Daum zur Titelgeschichte „Nationalmannschaft – Die stille Revolution“ sowie weitere Zusatzinfos zum Interview mit dem Philosophen Klaus Theweleit. RUND-BLOG: Was bewegt die RUND-Blogautoren? Lesen Sie es nach! VOTING DES MONATS: Welcher deutsche Klub nach dem FC Bayern hat das Zeug, um als nächster die Champions League zu gewinnen? UND: Aktuelle News RUND um den Fußball RUND 111 rund1006_111_Impr_Rainer Abs1:111 07.09.2006 22:55:54 Uhr SPIELKULTUR Auslaufen mit Thadeusz WENN BECKHAM KOTZT Jeden Monat terrorisiert TV- und Radiomoderator JÖRG THADEUSZ in RUND liebevoll den Fußball. Dieses Mal weist er die Engländer zurecht und erklärt ihnen, warum sie Deutschland dankbar sein müssen. Und nicht nur wegen Ballack FOTO MAREIKE FOECKING Liebe Engländer, habt ihr euch schon mal überlegt, wie sehr ihr von uns abhängt? Wo müssen englische Musiker denn mit ihren Platten überzeugen, damit sie reich genug werden, um sich Landsitze in Buckinghamshire leisten zu können? Wo findet man die Randale-Prinzen immer noch total süß, auch wenn sie Uniformen tragen, in denen unsere Großväter extrem unangenehm aufgefallen sind? Mit wem würdet ihr euch in den Bars an der Costa Brava oder auf Ibiza hauen, wenn es uns nicht gäbe? Wir mögen euch nicht nur, wir demonstrieren immer wieder selbstlose Liebe. Bei der Eröffnung eurer Botschaft in Berlin hat der damalige Außenminister Jockel Fischer von den Beatles geschwärmt, die er tief verehre. In deutschen Eheverträgen muss oft der Passus eingefügt werden, dass die Treueverpflichtung für die Ehefrau hinfällig ist, wenn sie vom Engländer Robbie Williams zu einem Gespräch in seine Hotelsuite eingeladen wird. Klaglos sind wir zur Traumabehandlung in die Therapie gegangen, wenn wir von Klassenfahrten aus Brighton oder Eastbourne zurück- kehrten, wo uns Jungs zuerst mit dem Hitlergruß willkommen hießen, um anschließend die ausgestreckte Faust in unseren Gesichtern zu platzieren. Oder wo uns die weißhäutigsten Mädchen des Universums entweder brachial in den Schritt griffen oder uns in die erste Alkoholvergiftung unseres Lebens manipulierten. Schwamm drüber, wir meinen schließlich auch Freundschaft ernst. Auch fußballerisch ist die Sache ganz klar: Wir geben, ihr nehmt. 1966 durftet ihr euch im eigenen Land die Weltmeisterschaft mit Russenhilfe ermogeln, ohne dass einer eurer Spieler mit einem Kopfstoß niedergestreckt wurde. Um euren damals neuen Trainer SvenGöran Eriksson aufzubauen, hat sich unsere Nationalmannschaft im September 2001 mit 5:1 vermöbeln lassen. Jürgen Klinsmann hat euch Tauchunterricht gegeben. Mit Robert Huth sitzt bei euch das Unbarmherzigste auf der Bank, was der deutsche Fußballnachwuchs zu bieten hat. Trotz seiner tadellosen Bilanz schmäht ihr Jens Lehmann wegen ein paar Amok-Kleinigkeiten als „Mad Jens“. Statt froh zu sein, dass wir einen viel verrückteren Torhüter hier behalten haben. Und jetzt spielt mit Michael Ballack der wahrscheinlich eleganteste deutsche Fußballspieler in der Premier League. Er hat sich nur für euch eine Frisur scheren lassen, als würde er bei den Royal Marines einrücken, doch wenn er auf dem Feld sachte geschubst wird, dann simuliert er nach einer spektakulären Bodenrolle eine Art Todeskampf. Im Gegenzug springt er selbst gern mit ausgestrecktem Bein in den Gegner. Wenn ihr ihm für diese Angewohnheiten allzu böse seid, kann es passieren, dass er weinen muss. Was aber immer noch schöner aussieht, als wenn Herr Beckham auf den Platz kotzt. Auch wenn seine Frau schon viele Bücher gelesen hat und nicht magersüchtig ist, auch wenn er nicht das Zeug zum Alkoholiker hat, der hin und wieder im Flugzeug die Innenarchitektur verändert oder eine Hotelbar auseinander nimmt, ihr könntet viel Vergnügen an ihm haben. Wenn ihr ganz nett zu ihm seid, zeigt er euch vielleicht sogar, wie man Elfmeter schießt. Wir sind ja schließlich Freunde. LIEBE LESER, WIE HAT IHNEN DIESE RUND-AUSGABE GEFALLEN? BITTE SCHREIBEN SIE UNS: REDAKTION RUND, PINNEBERGER WEG 22-24, 20257 HAMBURG ODER INFO@RUND-MAGAZIN.DE – RUND IM INTERNET: WWW.RUND-MAGAZIN.DE RUND 112 rund1006_112_113_Thadesz 112 07.09.2006 16:01:13 Uhr