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MEDIEN 45 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 7. SEPTEMBER 2014, NR. 36 DIE LIEBEN KOLLEGEN E Ich bin der Troll Die ersten Nachrichtenportale im Internet schließen ihre Leserkommentare, weil ihnen das Gerede, das Kritisieren und der Hass dort auf die Nerven gehen. Wer sind die Leute, die das Internet vollschimpfen? Besuch bei einem Leserkommentierer, bei Uwe Ostertag Nach der Zigarettenpause beginnt wieder, was Frührentner Uwe Ostertag seine Arbeit nennt: Rund 200 Kommentare schreibt er täglich ins Netz. Sein größter Wunsch ist ein richtiger Shitstorm. K rawall stiften, das dauert zwei Minuten. Uwe Ostertag scrollt durch Google News. Eine Meldung zum Jugenddrogenbericht. Ostertag überfliegt den Vorspann, den Text liest er nicht. „Das ist doch immer das Gleiche“, sagt er und springt in den Kommentarbereich. Mit den Zeigefingern haut er einen Satz in die Laptoptastatur. Er löscht ein paar Wörter, ergänzt, löscht: „Gebt den Hartz-IV-Empfängern weniger Geld, dann hat sich auch das Drogenproblem bei Jugendlichen gelöst.“ Uwe Ostertag fährt sich mit der Zunge über die Lippen, er drückt Enter. Es ist ein Kommentar von vielleicht 200, die er heute schreibt. Uwe Ostertag hat immer eine Meinung, zu allen Themen – außer Sport. Er kommentiert überall im Netz, von morgens bis in die Nacht hinein, sieben Tage die Woche. Ostertag sagt: „Provozieren, das ist wie ein Orgasmus.“ In seinen grauen Augenhöhlen funkelt es hellblau, sein Gesicht verzieht sich zum Lächeln. „Wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat.“ Jede Nachricht wird kommentiert. Wer sich in die Halbwelt endloser Diskussionsstränge begibt, wird wie von einem Strudel aufgesogen. Hunderte schalten sich täglich in die Debatten bei „Spiegel Online“, „FAZ.net“ oder „Süddeutsche.de“ ein. Die meisten diskutieren über das Thema des Textes, manche liefern zusätzliche Informationen, korrigieren den Autor. Uwe Ostertag hingegen polemisiert, er provoziert. „Ich bin der Troll“, sagt er. Troll, so nennt man in der Netzsprache Menschen, die an Diskussion nicht interessiert sind, die Streit wollen. Uwe Ostertag, 55, sitzt in seinem Wohnzimmer im fränkischen Ochsenfurt. Die Krücken sind an die Wand gelehnt. Die Hüfte ist künstlich, das Kreuz gebrochen. Mühsam ist er über alte Decken in die Sofaecke gerutscht. Früher war er Grenzoffizier in der DDR, später Schlosser. Seit 1999 ist er Frührentner. „Ich bin ein Krüppel“, sagt er. Seine Frau hat ihn vor zehn Jahren verlassen, der gemeinsame Sohn ist bei ihm geblieben. Ostertag stellt den Laptop auf seinen Schoß und wischt mit der Hand den Staub vom Bildschirm. Auf der schwarzen Schrankwand gegenüber steht ein Adventskranz, die Kerzen nicht angezündet, daneben ein kleiner Plastikweihnachtsbaum und ein Schild: „Frohe Weihnachten!“ Es ist Hochsommer. Jeden Morgen um halb acht, wenn sein 18-jähriger Sohn zur Schule gegangen ist, setzt sich Ostertag auf das Sofa. Er klappt den Laptop auf und liest, was in der Welt passiert. Dann beginnt das, was er seine Arbeit nennt. 2001 kauft sich Ostertag seinen ersten Computer, kurz darauf meldet er sich in den Foren und Kommentarbereichen an. Er durchkämmt das Internet. Er liest Blogs und Nachrichtenseiten, Hintergründe und Archive, Meinungen und Essays. „Damals habe ich angefangen zu denken.“ Während er das sagt, hacken seine Zeigefinger den nächsten Kommentar ins Netz. In Berlin haben Asylsuchende eine Schule besetzt, sie sind im Hungerstreik. Ostertag schreibt: „Die Flüchtlinge in Kreuzberg drohen mit Selbstmord. Ich betone: sie DROHEN. Um es zu tätigen sind sie zu feige.“ Am Anfang, sagt Ostertag, habe er noch schmalzig, liebevoll, philosophisch geschrieben. „Das hat aber niemanden interessiert.“ Seine Beiträge veränderten sich, sie wurden aggressiver. „Indem ich alles überspitze, in alle Richtungen, will ich die Leute aufwecken“, sagt er. Im Februar 2011 hält ein Polizeiwagen in der kleinen Wohnsiedlung in Ochsenfurt. Es klopft an Ostertags Tür, sein Sohn ist vor ein paar Minuten zur Schule gegangen. Ein Durchsuchungsbefehl, zwei Beamte und ein Gerichtsvollzieher betreten die Zweizimmerwohnung. Sie packen den Computer ein, Ostertags wertvollsten Besitz. Er ist ein Beweisstück. Gegen Uwe Ostertag liegt eine Anzeige vor. Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft Würzburg gegen ihn erhebt: Volksverhetzung. „Da war ich schon richtig baff“, sagt Ostertag. Mit einem Kommentar über körperlich Behinderte war er zu weit gegangen: „Aus einer Apfelkiste sortiert man auch die schlechten aus und wirft sie weg.“ Ostertags Krücken retten ihn. Er spricht von einer „Selbstpersiflage“, da er doch selbst schwerbehindert sei. Die Staatsanwaltschaft lässt ihm das durchgehen. Kein Verfahren, keine Strafe. „Seitdem bin ich ein Staatsfeind“, sagt er und grinst. Die Anzeige hat ihn nicht gebremst. „Ich habe gemerkt, dass ich noch viel weiter gehen kann“, sagt er. „Ich habe nichts zu verlieren, mir kann keiner was.“ Die Provokationen werden schärfer, die Beleidigungen entgleisen: Der Bundespräsident sei ein kriegstreiberisches Arschloch, die katholische Kirche eine „Kinderficksekte“, die Bundesregierung korrupt, Veganer faschistisch. Jeden Tag spuckt Uwe Ostertag seinen Hass ins Netz. Er kämpft gegen alles und nichts. Sein größter Wunsch: „So ein richtiger Shitstorm.“ Ostertag will das, wovor sich andere fürchten. Er will Streit. Er will Prügel. „90 Prozent der Bevölkerung denkt nicht. Die leben ihr Leben und interessieren sich nicht dafür, wieso es ihnen so scheiße geht“, sagt er ohne vom Bildschirm aufzublicken. Ostertag ist unzufrieden mit der Regierung, mit der Gesellschaft. „Jede Meinung ist heute gleich politisch unkorrekt“, sagt er und zieht hastig an seiner Zigarette. Die unzähligen Kommentare sind seine Form des Protests. Das Netz belohnt Provokation. Bei Twitter folgen Ostertag über 2300 Menschen. Seine Trophäen sammelt er in einem Ordner auf seinem Laptop, viele Screenshots, fein säuberlich archiviert. Je beißender die Kritik, desto mehr Beifall bekommt er. „Hier, vor zwei Tagen“, er zeigt auf den Bildschirm, „da haben 1500 Leute meinen Kommentar bei ,Süddeutsche.de‘ positiv bewertet.“ Immer wieder öffnet er neue Fenster. „Das sind die Beweise.“ Beweise dafür, dass viele denken wie er. Mal sind es 500 positive Bewertungen, mal 2000. Ostertag liest eine Nachricht vor, die er von einem Follower bei Twitter bekommen hat: „Uwe, lass dir nicht das Maul verbieten. Geig den Mächtigen mal die Meinung!“ Die einzigen Gegner, die Uwe Ostertag hat, sind die Social-Media-Redakteure der Nachrichtenseiten. München. Ein Großraumbüro am Stadtrand, 22.Stock. Jedes Mal, wenn Uwe Ostertag bei „Süddeutsche.de“ kommentiert, muss Frank Porzky entscheiden: freischalten oder sperren? Porzky ist in den Weiten der Kommentarspalten ein Jäger, der die Trolle unter Kontrolle bringen muss. Wenn Ostertag bei „Süddeutsche.de“ hetzt, kann der Verlag rechtlich belangt werden. Uwe Ostertag balanciert auf einem schmalen Grat: Geht er in seinem Beitrag zu weit, löscht ihn Porzky. Ist er zu zahm, sagt er, findet er keinen Zuspruch bei den anderen Lesern. Frank Porzky deutet auf den Bildschirm: Eine graue Seite, lange Listen. „Das ist die Akte Ostertag.“ 1500 Mal hat er bei „Süddeutsche.de“ kommentiert. Jeder zehnte Kommentar wurde gesperrt. Vier Mal ist er in den letzten zwei Jahren verwarnt worden – wegen mangelnder Sachlichkeit, fehlendem Niveau oder Schmähkritik. „Wenn er noch einmal über die Stränge schlägt“, sagt Porzky, „können wir ihn sperren.“ Für Porzky ist es ein Klick, eine kurze Entscheidung. „Das ist mir egal“, sagt Ostertag. „Dann kommentiere ich woanders. Bei der ,SZ‘ behandeln sie einen sowieso wie ein Kind.“ Anfang vergangener Woche hat „Süddeutsche.de“ die Kommentarspalten abgeschafft. Unter die Meldung zum Wirtschaftswachstum oder den Leitartikel zur Außenpolitik kann Ostertag nicht mehr seine Meinung abladen. Stattdessen stellt die Redaktion eine Frage, über die es eine Diskussion geben soll. Etwa: „Wie sollte Deutschland sein politisches Gewicht in der Welt einsetzen?“ Redakteure wie Frank Porzky wollen stärker moderieren, mehr Beiträge löschen und so die Qualität der Debatten erhöhen. Damit bedrohen sie Uwe Ostertag, und Ostertag macht das wütend. Mit den Änderungen bei „Süddeutsche.de“ werde eine „neue Ära des Medienfaschismus eingeläutet, um noch leichter unbequeme Meinungen zu zensieren“, schreibt er bei Facebook. „Scheinbar wird die Kritik der Kommentatoren immer lauter, dass man zu solchen Maßnahmen greift.“ In Ochsenfurt ist es mittlerweile dunkel geworden. Ostertag sitzt mit kurzer Unterbrechung seit zwölf Stunden vor dem Computer. Er rollt seinen gekrümmten Körper vom Sofa und humpelt zum Lichtschalter. Die Glühbirne geht an, sie baumelt einsam von der Decke. Allein ist Ostertag nicht. In den Kommentarspalten hat er Menschen kennengelernt, die sind wie er. In der Dunkelheit finden sie sich, die Trolle. Mit zwei von ihnen hat er sich mal zum Kaffee verabredet. Heute war ein guter Tag für den Troll Uwe Ostertag. Von den Dutzenden Kommentaren ist nur eine Handvoll gesperrt worden. „Samstags sind die Zensoren Foto Jana Felgenhauer nicht so aufmerksam“, sagt er und grinst selbstzufrieden. Wann hat er zum letzten Mal positiv kommentiert? „Gar nicht so lange her. Das Burka-Verbot in Frankreich“, grummelt er nach einer Minute, „das war gut.“ Uwe Ostertag hält inne, blickt nachdenklich auf Weihnachtsbaum und Adventskranz. Es vergehen ein paar Sekunden, dann schaut er wieder auf den Bildschirm. Bei „Google News“ sucht er sich einen Artikel. Überschrift. Vorspann. Kommentarbereich. Tastatur-Hacken. Enter. Die Nacht ist noch jung. TIMO STEPPAT VO N H A R A L D S TAU N s ist natürlich nicht die Nacktheit, die den Schock über jene Bilder auslöste, welche in dieser Woche unter dem Hashtag #Celebgate zu finden waren, nicht der voyeuristische Blick auf die unverhüllten Körper von ein paar berühmten Schauspielerinnen. Nur ein paar sehr fanatische Bewunderer dürfte erregen, dass man nun also durch den Hack ihrer iPhones auch weiß, wie Jennifer Lawrence oder Selena Gomez aussehen, wenn sie keine Kleider tragen. Dass es aber um eine ganz andere, eine wesentlich existentiellere Form der Entblößung geht, um einen Verlust des eigenen Geheimnisses, das muss man nicht erst beim italienischen Philosophen Giorgio Agamben nachlesen, man merkt es auch sehr schnell, wenn man unverschämt genug ist, nach den Bildern zu googeln. Wer Fotos von nackten Schauspielerinnen sehen will, muss in der Regel nicht auf ihr privates Fotoalbum zugreifen, weshalb es nicht ganz einfach ist, die gehackten Bilder von all den Papparazziaufnahmen, Dessouswerbefotos und Film-Stills zu unterscheiden. Im Fall von Jennifer Lawrence mögen Voyeure tatsächlich auf ihre Kosten kommen, aber wer Kirsten Dunst nackt sehen will, hat sicher mehr von einer DVD von „Melancholia“ oder „Marie Antoinette“. Und spätestens an den harmlosen Bikini-Fotos der offiziell viel freizügigeren Sängerin Rihanna kann man erkennen, dass das Problem der Veröffentlichung nichts mit der Nacktheit der Abgebildeten zu tun hat, sondern mit dem Einbruch in eine Privatsphäre, für den der nackte Körper nur das emblematische Bild ist. Das Verletzende an diesem Akt ist nicht die Bloßstellung des nackten Körpers, sondern eine der Gesten: In ihren Selfies, das macht sie so intim, sind die Stars (auch wenn sie Posen einnehmen) als Privatperson zu sehen, sie fallen sozusagen aus der Rolle. Indem dieser Raum zugänglich wird, verlieren sie die Kontrolle über ihre Selbstinszenierung. Und vielleicht zeigt die große öffentliche Solidarität mit den Schauspielerinnen, dass man gar kein Star sein muss, um vor diesem Verlust Angst zu haben. Aktuell im Kino „Eine großar tige Lektion über die Kraft und Macht der Diplomatie“ - F BW „Fabelhaft! Ein wunderschöner Film!“ - L E PA R I S I E N »Ein Geschenk, ein Glücksfall fürs Kino ... 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MAY UND DAS FLÜSTERN DER EWIGKEIT AACHEN: Apollo BREMEN: Schauburg HANNOVER: Kino am Raschplatz AUGSBURG: Mephisto DARMSTADT: Rex HEIDELBERG: Gloria/Gloriette DRESDEN: Kif – Kino in der Fabrik + BERLIN: Babylon Kreuzberg OmU, Programmkino Ost Blauer Stern, Eiszeit OmU, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe Kino OmU, DÜSSELDORF: Bambi Kant-Kinos, Passage FRANKFURT: Harmonie BIELEFELD: Kamera FREIBURG: Friedrichsbau BONN: Brotfabrik BRAUNSCHWEIG: Universum HAMBURG: 3001-Kino (OmU), Koralle, Passage JENA: Kino im Schillerhof KASSEL: Filmladen KIEL: Traumkino MÜNCHEN: Arena, Atelier im City-Kino (dt. + OmU), Monopol, Studio Isabella NÜRNBERG: Metropolis OSNABRÜCK: Cinema Arthouse SAARBRÜCKEN: Filmhaus STUTTGART: Atelier am Bollwerk KÖLN: Cinenova, Off-Boradway (OmU) TÜBINGEN: Museum MANNHEIM: Odeon WÜRZBURG: Central Programmkino