Paargeschichten Reader

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Paargeschichten Reader
Gestaltungslehre 2
SoSe 2015
Paargeschichten
Vorwort
Paargeschichten
Fachhochschule Münster
Fachbereich 7 Design
Sommersemester 2015
Schrift: Chronicle
Umschlagillustration: Silvia Berheide
Druck: Franke & Franke GmbH Münster
Sämtliche Arbeiten sind im Kurs Gestalterische Grundlagen 2, Zeitbasierte
Erzählformen, bei Vertr. Prof. Thomas Henseler entstanden.
© FH Münster 2015
„Paargeschichten“ war das Thema des Sommersemesters 2015 in Gestaltungslehre
2. Mit den Erzählformen Songtext und Reportage sollten die Studierenden die
Bandbreite zwischenmenschlicher Beziehungen ausloten. Im Songtext­- Seminar
erprobten wir, wie sich mit Hilfe von Metaphern ein Text thematisch strukturieren lässt und Bilder im Kopf des Hörers bzw. Lesers entstehen. Hendrik
Otremba, Dozent in der Schreibwerkstatt an der FH Münster und Sänger in
der Band Messer unterstützte uns dabei. Im Seminar stellte sich heraus, dass es
gar nicht so einfach ist, Gefühle preiszugeben und in eine Textform zu gießen.
Einer der beiden Songtexte, es gab eine Variante mit positiven und eine mit
negativen Gefühlen, sollte zudem eine „Bridge“ aufweisen, einen erzählerischen
Wendepunkt, einen Wechsel in der Perspektive. Sprachbilder zu entwickeln
ist eine Fähigkeit, die z.B. im Bereich der Editorial Illustration verstärkt Anwendung findet, wo komplexe Sachverhalte auf einfache und ansprechende
Weise bildlich dargestellt werden.
Die Reportage sollte die Studierenden weg vom Schreibtisch und nach draußen führen, um interessante Geschichten aufzuspüren: Leute in ihrem Umfeld
beobachten und interviewen, die eigenen Sinne auf Empfang stellen, und diese
Eindrücke auch dem Leser vermitteln. Wie bei jeder Erzählung, ob fiktional
oder non­fiktional, geht es hier auch um den Konflikt: Mit welchen Problemen
bzw. Hindernissen hat die Hauptfigur zu kämpfen? Eine Reportage ist zwar ein
subjektiv gefärbter Tatsachenbericht, im Kern aber auch eine Nachricht, das
heißt, der Leser sollte auch allgemeine Informationen bekommen, die über
das Einzelschicksal hinausgehen. Was könnte ein interessanter Einstieg ins
Thema sein, der den Leser neugierig und ihn die Geschichte weiter lesen lässt?
Was ist der rote Faden? Wie könnte ein gelungener Abschluss der Geschichte
aussehen? Dramaturgische Überlegungen, die auch in anderen Erzählformen
wie Bildergeschichten, Ausstellungen und Filmen von Bedeutung sind.
Von Hebammen, Dating­-Apps, Fernbeziehungen, Flirtberatern über Liebe
zwischen verschiedenen Kulturen bis zu Swingerklubs und Sex im Altersheim
reicht das Spektrum der gefundenen Geschichten.
Nun viel Vergnügen beim Lesen und Mitsingen!
Herzlich,
Ihr Thomas Henseler
Zwischen Bienen und Blümchen
Auf einem roten Rennrad kommt sie mir entgegen geradelt. Ihr Name ist
Sofia. Sie ist knappe 1.60, hat eine schlanke Figur und steckt voller Energie.
Heute trägt sie sportlich legere Klamotten. Genau das richtige Outfit um einen frühlingshaften Sonntagnachmittag ausklingen zu lassen. Wir schieben
unsere Räder. Sie schlägt vor, in ihren Garten zu gehen. Ich willige ein. Als
wir den Südpark durchqueren verlangsamt sie ihre Schritte und erzählt, dass
ihr Garten so groß wäre, dass sie manchmal sogar andere Leute reinlasse. Ich
beobachte das bunte Treiben, auf der großen Parkwiese und erwähne grinsend,
wie überaus freundlich das doch von ihr sei. Wir überqueren die Grünfläche,
lehnen die Räder an einen Baum und suchen uns ein gemütliches Plätzchen.
Ich habe zwei Bier dabei, sie eine große Decke. Sofia setzt sich mir im Schneidersitz gegenüber. Der Wind spielt mit den braunen Locken, die ihr schmales
Gesicht umrahmen. Von ihren Haaren schweift mein Blick über die in Sonne
getränkte Wiese, auf der sich allerlei Menschen tummeln. Jeder dort scheint
sich ordentlich Mühe zu geben, den schönen Tag zu genießen. Unweit von uns
beschäftigen sich einige Rentner mit Wikingerschach, einem Spiel, bei dem
man mit einem Stock Holzklötze abwirft.
Das gelegentlich Klackern der Hölzer mischt sich mit arabisch anmutenden
Handymelodien, welche aus einer anderen Richtung herüber wehen. Normalerweise empfinde ich diese Art der Musik als penetrant und nervig. Heute
passt das aber irgendwie ganz gut. Etwas weiter von uns entfernt picknicken
zwei Frauen, geschätzte Anfang dreißig. Eine der beiden hat einen kugelrunden
Bauch. „Der geb’ ich noch maximal eineinhalb Wochen“, sagt Sofia, die ebenfalls
das ungleiche Pärchen entdeckt hat.
Sofia ist Hebamme. Wir beginnen uns über ihren Beruf zu unterhalten. Mit
16 Jahren erlebte sie ihre erste Geburt. Damals rief nachts die Landhebamme
an, bei der sie etwa ein halbes Jahr zuvor ein Schülerpraktikum machte. Eine
Frau läge in den Wehen. Sie habe nichts dagegen, wenn noch jemand anwesend
sei. Ihre Mutter fuhr sie dann dahin, erzählt Sofia. „Mitten in der Nacht. Ich
hatte am nächsten Tag Schule. Und das war irgendwo am Arsch der Heide.“
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Für sie war es ein total schönes Erlebnis, wie das Kind früh morgens schlüpfte. Da war dann endgültig klar: Sie möchte eine von rund 21.000 deutschen
Hebammen werden.
Nach dem Abitur bewarb sie sich für eine Ausbildung und arbeitete einige
Jahre freiberuflich. Sie machte Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung.
Keine Geburten. Heute kommt es generell kaum noch zu Hausgeburten, weil
es keinen Anbieter mehr gibt, der eine Haftpflichtversicherung für Hebammen anbietet. Deshalb gerät der Berufsstand der freiberuflichen Hebamme
massiv in Gefahr. Sofia blinzelt in die Sonne. Sie ist nicht betroffen, weil sie
mittlerweile angestellt ist. Dennoch hofft sie stark darauf, dass der Staat eine
Lösung für diese Problematik finden wird. Sonst würde es zu einem großen
Versorgungsproblem kommen. „Das wird der Bevölkerung und den Familien
auf die Füße fallen“, meint sie mit gerunzelter Stirn.
Seit einiger Zeit ist Sofia Chefhebamme in einem Krankenhaus. Ihr elfköpfiges Team begleitete letztes Jahr 530 Geburten. Keine Massenabfertigung.
Sofia ist es wichtig, sich Zeit für die Familien nehmen zu können. Trotz ihrer
dreißig Jahre wirkt sie extrem jugendlich, wie sie so über ihren Beruf spricht,
ein Zeichen, dass sie noch immer Feuer und Flamme dafür ist. Sie bestätigt
das. „Hebamme bist du von Herzen. Das ist mehr eine Berufung als Beruf“,
sagt sie und lächelt dabei.
Am schönsten sei es für sie eigentlich, wenn sie während der Geburt merke,
dass sie die werdende Mutter einfach machen lassen kann. Da gibt es Frauen,
die sind ganz ruhig und gehen in sich. Instinktiv wissen die, wie sie zu atmen
haben. Das könne etwas ganz natürlich, meditatives haben, trotz der riesigen
Schmerzen. Doch mit den Schmerzen gehen Frauen ganz unterschiedlich um,
erzählt sie. Es gibt auch welche, die trauen sich nicht zu, ein Kind zu gebären.
Gerade letztens war eine bei ihr, die meinte: Geburt sei nichts für sie. Sie wolle
´nen Wunschkaiserschnitt. So habe sie ihr Erstes bekommen und beim Zweiten,
tue sie sich so´n Scheiß nicht an. Sofia blickt auf den Boden.
Behutsam wählt sie ihre Worte. Das müsse man auch akzeptieren, sagt
sie. Die müsse sie nicht missionieren, diese Frau. Das werde sie sich schon
überlegt haben. Oder auch nicht. Zumindest habe sie sich entschieden, dass
das ihr Weg ist, ihr Kind zu bekommen. Die Hebamme wirkt nachdenklich als
sie fortfährt, dass sie es natürlich toll fände, es auf dem natürlichen Weg zu
probieren. Ihre Miene hellt sich auf. „Weil ich einfach davon überzeugt bin,
dass Frauen gebären können.“
Ich frage sie, wie das denn mit den Vätern während der Entbindung so sei. Also
in Ohnmacht gefallen, sei in ihrem Kreißsaal noch keiner. Aber dennoch gäbe
es da Männer aller Couleur. Manche könne man während der Geburt richtig
gut gebrauchen. „Die machen das ganz toll mit ihren Frauen. Die wissen auch
wie ihre Frau tickt. Die unterstützen. Die sind… super, einfach.“ Aber es gäbe
auch Männer, die kontraproduktiv seien oder für eine schlechte Stimmung bei
der Mutter sorgen. „Da denkste dann: alles klar. Du holst jetzt erst mal Zeitung.
Und danach musste ´n Kaffee holen. Und dann schick ich dich noch dreimal
um ´n Pudding. Und...“ Sie seufzt schwer, verdreht die Augen und zwinkert
mir zu. Ernst fährt sie fort, manchmal merke man auch, da sei gerade total viel
Unausgesprochenes zwischen den beiden werdenden Eltern. Sobald der Mann
dann mal noch schnell heimfährt um den Hund wegzuorganisieren, oder eine
Tasche zu holen, ginge dann alles ruck, zuck mit der Geburt. Oft sind es auch
die Schwiegereltern, die auf diskrete Nachfrage der Mutter, von der Hebamme
vor die Tür des Kreißsaals bzw. zum Kaffeetrinken geschickt werden.
Sofia sieht ihre Rolle als Hebamme aber keinesfalls darin, den Rausschmeißer
zu spielen. Vielmehr geht es ihr darum, die optimalen Bedingungen für eine
Geburt zu schaffen. Jede Geburt ist anders. Denn jede Mutter ist anders. Diese
müsse man bei der Entbindung bestmöglich unterstützen. Und wenn es nötig
ist, müsse man dann eben auch schon manchmal aufräumen.
Gerade auch weil die Menschen so unterschiedlich sind, ist eine Geburt
dann auch immer extrem spannend. Deshalb wollte Sophia früher immer jede
Geburt miterleben. Auch wenn diese zwölf, fünfzehn oder gar zwanzig Stunden
dauerte. Heute beendet sie pünktlich zum Schichtwechsel ihren Dienst und
sieht sich dann am nächsten Tag das Protokoll an. Sie ist routinierter geworden.
Trotz der Routine kann natürlich immer etwas passieren. Die Hebammen
müssen eine Menge auf dem Schirm haben. Und zu Überraschungen kann
es jederzeit kommen. Gerade letztens hob eine Mutter ihr Kind nach einer
Wassergeburt in die Luft. Dabei riss die Nabelschnur. Eine gefährliche Situation: Im warmen Wasser hätten sowohl Mutter als auch Kind rasch verbluten
können. Da war dann schnelles Handeln angesagt und die beiden Enden der
Nabelschnur mussten schnell abgeklemmt werden, was glücklicherweise auch
gelang. Bei einer anderen Wassergeburt wiederum hatte die Hebamme die
beiden Eltern und den Säugling nach der Entbindung kurz alleine gelassen.
Als sie zurückkam, saß der Vater komplett entkleidet bei Mutter und Kind im
Wasser. Das störe sie doch nicht, fragte er nach. Da musste Sofia im wahrsten
Sinne des Wortes beide Augen zudrücken. Sie zeigte Verständnis dafür, da sie
weiß, dass ein so emotionales und freudiges Ereignis wie eine Geburt, eine
Menge bei den Beteiligten auslöst.
Eine ganz andere, ganz besondere Atmosphäre herrscht bei den sogenannten
stillen Geburten. So werden Geburten genannt, bei denen ein totes Kind zur
Welt kommt. Während das Kind normalerweise schreit und Freude herrscht,
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ist es in diesem Fall ganz still und eine große Trauer liegt auf dem Kreißsaal. Als
dies vor einiger Zeit geschah, wollten die Eltern später noch mal ihren kleinen
Sohn sehen. Sofia holte ihn aus der Leichenhalle, packte ihn ein und brachte ihn
den Eltern. Diese verabschiedeten sich noch mal von ihm. Sofia redet langsam.
Man spürt, wie nahe ihr dieses Erlebnis geht, welches sie als sehr würdevoll
beschreibt. Sie spreche dann auch noch mit den Kindern. Wünscht Ihnen alles
Gute. Zündet eine Kerze für sie an. Will den Eltern die Möglichkeit geben, das
Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen.
Wie die Geburt auch abläuft, die Hebamme ist sich sicher, dass eine Geburt
extrem viel mit einer Beziehung macht. „Hallo, du wirst Eltern. Wie krass ist
das denn?“
Sie selbst hat keine Kinder. Ob sie mal welche haben will? Sie ist sich nicht
so ganz sicher. Bei diesem Thema wirkt ihre Körperhaltung plötzlich angespannt. Obwohl die Sonne noch kräftig scheint, zieht sie sich nun ihre Jacke
an. Ernst sagt sie, sie habe Schiss vor der Aufgabe, sich ein Leben lang um ein
Kind zu kümmern. Eine Lebensaufgabe sei das ja. Das nehme sie schon ernst
und wolle ihrem Kind konstante Rahmenbedingungen geben. Und das passt
ihr gerade nicht so ins Leben.
Sie genießt die Freiheit, die ihr der Schichtbetrieb einer Hebamme bietet,
weil sie da auch oft abends weggehen und am nächsten Tag ausschlafen kann.
Allerdings würde sie es auch mal gerne erleben, wie es ist schwanger zu sein.
Oder auch wie sie gebärt. Trotz der Hammer Schmerzen habe sie keine Angst
davor. „Aber…“ fährt sie fort und ich sehe, wie ihr das Reden sichtlich schwerfällt „…ich finde Kinder auch relativ nervig.“ Das verstünden die Leute dann
oft nicht. Aber sie sei doch Hebamme, ob sie denn die Kinder nicht süß fände?
„Nee“, sagt sie dann, „ich find die nicht süß.“ Bestimmt fände sie aber ihr
eigenes Kind auch süß, fährt sie fort. Und falls ein Unfall passiere und sie
schwanger werden sollte, dann wäre das auch nicht so wild. „Dann krieg ich
das Kind.“ Und lächelnd fügt sie hinzu: „Aber sicher.“ Sofia und ihr Garten
werden von den wärmsten Farben der Abendsonne in Szene gesetzt. Ich bin
mir sicher du gibst eine super Mutter ab, Sofia, denke ich mir.
Komm flanier mit mir
Vergiss den Alltag und lass uns ein wenig flaniern
Einfach 'n bisschen rumlatschen und dann schau'n was passiert
Zwei schöne Menschen wie wir, sind wohl nicht zufällig hier
Glaub mir, es ist das Geilste, wenn wir jetzt ein wenig flaniern
Wir verfolgen gerade einfach kein Ziel – komm flanier mit mir
Seh'n das Ganze mal so eher als Spiel – komm flanier mit mir
Erwarten von dem Trip hier bloss nicht zu viel – Komm flanier mit mir
Lass uns einfach mal sehn was geschieht – komm flanier mit mir
Komm entspann dich und lass uns ein Stück weiter gehn
Ganz egal wohin, Hauptsache wir bleiben nicht stehn
Weil wir kein Ziel haben können wir es auch nicht verfehl'n
Leute schau'n, als hätten sie noch nie jemand flanieren geseh'n
Wir verfolgen gerade einfach kein Ziel – komm flanier mit mir
Seh'n das Ganze mal so eher als Spiel – komm flanier mit mir
Erwarten von dem Trip hier bloss nicht zu viel – komm flanier mit mir
Lass uns einfach mal seh'n, was geschieht – komm flanier mit mir
Es fühlt sich gut an, wie sich unsre Hände berühr'n
Ich fänds echt traurig, würden sie sich wieder verlier'n
Es tut so gut die Nähe von 'nem andern Menschen zu spür'n
Doch plötzlich hast du das Gefühl, ich würde dich festschnür'n
Du verfolgst ja gerade wirklich kein Ziel –Du flanierst mit mir
Siehst das Ganze ja wirklich eher als Spiel –Du flanierst mit mir
Ich erwart von dem Trip hier wohl viel zu viel –Du flanierst mit mir
Ich kann nicht glauben, was hier gerade geschieht –Du flanierst mit mir
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Liebe zwischen Rollator und Rollstuhl
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Date. Sie sind schon sehr aufgeregt und haben
Ihr gutes Jackett mit den glänzenden Silberknöpfen angezogen, Sie hoffen ihr zu
gefallen. Sie haben die Dame zum Essen eingeladen und warten schon ungeduldig
am Tisch, es ist halb sechs. Endlich kommt sie zur Tür herein, sie ist ziemlich adrett,
verlegen blickt sie zu Ihnen herüber. Sie winken sie freudig heran, da bemerken
Sie, dass Ihre Verabredung nicht allein ist. Sie kommt in Begleitung eines jungen
athletischen Mannes, Arm in Arm durchqueren die beiden den Raum. Sie sind
verwirrt, doch lassen sich nichts anmerken, denn er begrüßt Sie so freundlich, ist
höflich und verlässt ja schließlich Ihren Tisch. Im Laufe des Abends tut er beschäftigt, doch behält Sie immer im Auge, Sie ignorieren es. Ihr Gegenüber ist sichtlich
nervös und keiner von ihnen hat schon Appetit, aber das ist egal, es ist halb sechs.
Am liebsten würden Sie einen Wein bestellen, um auf den Abend anzustoßen
und die Zungen zu lockern, doch die Kellnerin erklärt Ihnen mit sanfter Stimme:
‘‘Abends gibt es Tee, möchten Sie Minze, Früchte oder Kräuter?‘‘ Also trinken Sie
das, dazu lauwarmes Essen, doch Sie unterhalten sich gut. Fast vergessen Sie die
einsamen Blicke der Menschen um Sie herum, allein an ihren Tischen stochern
diese in den zu weichen Gerichten. Plötzlich öffnet sich die Tür, drei Männer in
weißer Kleidung schieben eine Frau auf einer Trage herein, sie hängt an einem
Tropf, das linke Bein in einem dicken Gips. Sie drehen sich besorgt um und schauen
ihr nach. Außer Ihnen nimmt keiner von ihr Kenntnis, keiner hat sich gerührt. Die
höfliche Begleitung Ihres Dates steht wieder bei Ihnen am Tisch. Er räuspert sich
ungeduldig, möchte, dass Sie zum Ende kommen. ‘‘Frau Wessing, es ist Zeit für
ihre Pillen! ‘‘ Es bleibt kaum Zeit für ein vernünftiges Auf Wiedersehen, da wird
Ihre Begleitung schon unsanft unterm Arm gepackt und aus dem Raum geschoben. Nun sitzen Sie allein am Tisch und stochern wie die anderen Gäste in Ihrem
inzwischen kalten Erbsenbrei. Erneut kommt jemand auf den Tisch zu, diesmal
werden Sie aus dem Raum geschoben. Es ist ein stämmiger Kerl, er begrüßt Sie mit
folgenden Worten: ‘‘Na, da haben sie der Frau Wessing heute wohl ganz schön den
Kopf verdreht. ‘‘ Erstaunt schauen Sie zu ihm hoch, und während Sie sich fragen,
wie er sie belauscht haben könnte, lesen Sie das kleine Schild, das an seinem blauen
Hemd steckt. ‘‘St. Annen Rosengarten Altenpflegeheim‘‘.
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Dass ein solches Date wohl in den seltensten Fällen zu einem Zweiten führen
würde, ist wohl auch jedem klar, der es bisher erfolgreich verdrängt hat, dass
auch ältere Menschen mit den Problemen des Datings und Beziehungen zu
kämpfen haben. Doch lebt man als Pflegebedürftiger in einem Altenheim, dann
hätte man wohl keine andere Wahl, als romantische Gespräche neben Pfleger
und Betreuer zu führen. Aber spielt das überhaupt eine entscheidende Rolle?
Um herauszufinden, welchen Stellenwert Beziehungen in Pflegeheimen haben,
traf ich mich mit einer Pflegerin im St. Annen Rosengarten in Herzfeld. Also
wie wahrscheinlich ist der zweite Frühling zwischen Rollator und Rollstuhl?
Betritt man die Räumlichkeiten des St. Annen Rosengartens, fällt einem
direkt auf, dass mit großer Mühe versucht wird dem Heimcharakter entgegenzuwirken. Die Ecken sind vollgestopft mit großblättrigen Zimmerpflanzen,
die Gardinen auffällig mit gelben Blumen bedruckt und von jeder Kommode
springt einem knallbunte Deko entgegen, die nach Frühling schreit. Doch
während eines Besuches in dieser Pflegeeinrichtung kommt man nicht umhin
zu bemerken, dass all diese Versuche nicht über den allgegenwärtigen Geruch
von Desinfektionsmittel hinwegtäuschen können, auch verdecken sie nicht die
Absperrungen der Treppen oder die ständige Sichtung eines Pflegers, der mit
Gummihandschuhen bewaffnet durch die Gänge hastet.
An der Rezeption werde ich von einer Frau in einem mintfarbenen Kittel
begrüßt. Mit breitem Lächeln bietet sie Kaffee und Gebäck an, während wir
uns in den kleinen Aufenthaltsraum setzen. Schnell werden noch diverse
Unterlagen vom Tisch gefegt, bevor Tassen, Kanne, Zucker und einige Tüten
mit Süßigkeiten nach und nach darauf zusammenfinden. Noch vor dem ersten
Schluck entschuldigt Anette sich energisch für den angeblich zu schwachen
Kaffee. ‘‘Der schmeckt eigentlich nie, der kommt unten aus der Küche, ist eben
für die Bewohner. Aber unsere Kaffeemaschine hier ist kaputt.‘‘ Direkt nach
meinem ersten Schluck, stimme ich ihr zu. Wir beginnen unser Interview.
Nach ein paar Minuten Small talk und einigen allgemeinen Infos zu Haus und
Angestellten, verstummt die Pflegerin abrupt und einem verlegenen Lachen
folgt ein zu großer Schluck des faden Kaffees. Einige Huster später gelingt ihr
ein ‘‘Oh nein, also ein Date gab es hier noch nie. Das wär ja was.‘‘ Darauf folgt
weiter verlegene Stille, also geht es erst mal mit leichter verdaulichen Fragen
weiter. Sichtlich entspannter setzt Anette die Tasse ab und lehnt sich in den
hellbraunen Polsterstuhl, bereit für einen Wasserfall an Informationen über
Essenszeiten, Dienstplanungen und der morgendlichen Pflege. Plötzlich
schrillt ein lauter Pieps-Ton auf, der in regelmäßigen Abständen durch die
Räume hallt. Jeder andere wäre vor Schreck zusammengezuckt, jeder andere,
doch die Leute auf dem Flur und auch die Pflegerin scheinen total unberührt
davon. ‘‘Ach das ist nur der Zimmeralarm, wahrscheinlich Herr Posch, der
hat immer irgendwas.‘‘ Einen kurzen Moment hält sie inne und starrt auf den
Flur, bis eine kleine untersetzte Frau im knallpinken Kittel vorbeihastet. Und
wie Anette es schon unauffällig angedeutet hat, ertönt dieser Alarm im Laufe
des Tages nervenaufreibend oft. Natürlich ist er sinnvoll, sogar unbedingt
erforderlich, aber auch ein weiteres nicht zu überhörendes Indiz dafür, dass
wir uns hier in einem Pflegeheim befinden, und daran wird man hier an jeder
Ecke erinnert. Durch den Alarm an etwas erinnert kramt die blonde, etwa 30
Jahre alte Pflegerin die Unterlagen doch wieder hervor und notiert hastig etwas
auf mehrere Seiten, gedankenverloren fährt sie ihre Ausführungen über das
Leben im St. Annen Rosengarten fort: ‘‘Ja also jeden Dienstagabend gibt es hier
einen Filmabend und zweimal wöchentlich gemeinsames Erinnerungstraining,
außerdem machen wir auch Kegelrunden und Bingospieleabende …‘‘ Anette
zählt rund ein Dutzend Aktivitäten auf, von der morgendlichen Messe bis hin
zu speziellen Männerrunden mit Kartenspielen und Zigarren, alles natürlich
spezielle Gruppenaktivitäten, um die zwischenmenschlichen Bindungen zu
stärken ... und dennoch, wenn man aus der Glasfront hinausblickt, die in diesem
Moment den Pausenraum vom Leben der Menschen in den Gängen trennt, sieht
man vereinzelt nur ein paar Leute, die allein in einem Stuhl sitzen, lesen oder
Löcher in gegenüberliegende Wände starren. Angeblich so viel Potenzial um
soziale Kontakte aufzubauen, egal ob romantisch oder freundschaftlich und
doch scheint sich dieser Umstand hier nicht einstellen zu wollen.
Und obwohl die bisherige Unterhaltung sehr informativ war und man Anette
nun wirklich nicht vorhalten kann, sie wolle sich nicht unterhalten, fehlen
dennoch gerade die Informationen, die die Liebe im Altersheim scheinbar so
schwierig machen. Also, zweiter Versuch. ‘‘ Wenn die Bewohner hier so viele
Freizeitmöglichkeiten haben, entwickeln sich da auch echte Freundschaften?‘‘
Wieder gibt es eine längere Pause, aber schließlich antwortet Anette grübelnd:
‘‘Also es gibt schon einige Grüppchen, die sitzen halt beim Essen immer zusammen. Dann unterhalten die sich auch, aber wirklich enge Freundschaften, da
bin ich mir nicht sicher …‘‘ Diese Antwort überrascht nicht besonders, allerdings enttäuscht sie ein wenig. Nach Anettes Angaben tut die Einrichtung im
Vergleich zu anderen Pflegeheimen wirklich viel, um den Pflegebedürftigen das
Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber so angenehm wie möglich
bedeutet für die meisten eben doch eine Veränderung, die ihr vorheriges Leben
komplett auf den Kopf stellt.
Die Pflegerin wird aus ihren Grübeleien gerissen, denn es klopft an der Tür.
Eine ältere Dame im Rollstuhl möchte hereingelassen werden. Anette öffnet
ihr. Sie möchte auf den Balkon, nicht um die ersten warmen Sonnenstrahlen
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des Jahres zu genießen, sondern um die mittlerweile vierte Zigarette heute
zu rauchen. Es ist halb drei. Anette lacht laut auf: ‘‘Meinen Sie nicht, dass Sie
heute schon genug geraucht haben? ‘‘Die Dame entgegnet: ‘‘Ja und? Meinen
Sie das könnte es noch schlimmer machen? Ich bin doch eh schon hinüber.‘‘
‘‘Na das haben Sie jetzt behauptet, nicht ich.‘‘ Sie scherzen beide herum, dann
schiebt Anette die Bewohnerin auf die Terrasse und stellt auch ihr einen Teller
mit Nussgebäck hin. Der Umgangston ist locker, fast freundschaftlich, doch
die Pflegerin erklärt, dass das weiß Gott nicht bei jedem so sei. Viele reden nur
sehr wenig, gerade am Anfang, wenn sie noch neu auf der Station sind. ‘‘Es gab
mal eine Frau, die hat zwei Wochen lang mit niemandem geredet, aber auch
heute sagt sie nur das Nötigste. ‘‘ Anette blickt hinaus auf den Flur, seufzt kaum
hörbar und erklärt dann: ‘‘Man muss bedenken, für fast alle Bewohner ist der
Einzug in ein Pflegeheim eine Extremsituation, sie müssen ihr gewohntes
Umfeld, ihr Zuhause verlassen und leben von heute auf morgen mit 23 fremden
Personen zusammen. Die Freunde und Verwandten, ehemalige Partner, sind
der Verbindungspunkt zum alten Leben. An vergangene und schöne Tage. Eine
Dame erzählte mir einmal, dass wir alle sie hier drin daran erinnern, dass sie alt
und schwach geworden sei. Sie war depressiv, aber ich kann mir das schon gut
vorstellen, dass es einigen so geht. ‘‘ Und so ist es für Anette durchaus verständlich, dass viele sich hier nicht auf neue Menschen einlassen möchten. Vielleicht
auch, weil alles hier in einem gewissen Rahmen der Öffentlichkeit geschieht,
kein Wunder natürlich, wenn so viele Menschen auf einem Raum leben. Auf der
Station, wo Anette arbeitet, gibt es drei Gruppenräume und eben die Zimmer
der einzelnen Bewohner. Die trotz der orangefarbenen Tapete, dank Ausstattung und Aufteilung, Krankenhausatmosphäre versprühen. Einen speziellen
Rückzugsraum, indem man allein oder auch zu zweit etwas Privatsphäre hätte,
gibt es hier zum Beispiel nicht. ‘‘Das wär schon was Gutes.‘‘, gesteht Anette.
‘‘Die Privatsphäre ist schon extrem eingeschränkt, aber meistens geht das gar
nicht anders. Viele können sich gar nicht mehr allein waschen oder mühelos
aus dem Bett aufstehen, da muss dann halt immer jemand dabei sein. Und
dass man das Zimmer nicht abschließen kann, ist ja wohl klar. Aber bevor ich
irgendwo reingehe, klopfe ich immer an und warte dann noch so 1-2 Minuten,
damit die Bewohner sich darauf vorbereiten können. Also zumindest mach ich
das so, für die anderen kann ich natürlich nicht sprechen.‘‘
Wir sind mittlerweile aufgestanden und machen einen kleinen Rundgang
durch das Gebäude. Während wir durch die langen Flure und an den vielen
beschilderten Zimmertüren vorbeilaufen, stelle man sich mal vor wie an
einigen Klinken ein Schild mit der Aufschrift ‘‘Bitte nicht stören!‘‘ oder eine
Socke hängt. Ich frage Anette danach, sie lacht. ‘‘Also seitdem ich hier arbeite,
hab ich das noch nicht erlebt. Wir hatten hier mal ein Pärchen auf der Station,
die haben in einem Doppelzimmer gewohnt. Für die war das bestimmt nicht
einfach, man will ja auch ein bisschen Zweisamkeit, aber mitbekommen hab
ich da nie was. ‘‘Also spielt Sexualität und Liebe im Alter gar keine Rolle mehr?‘‘
‘‘Oh doch, doch‘‘, sagt Anette. ‘‘Sex spielt noch eine Rolle. Aber eher hinter verschlossener Tür, viele gehen ihren Gelüsten eben allein nach. Bei einem Mann,
der war schwerhörig, da hab ich geklopft und gewartet, aber als ich da rein bin,
hatte er das doch nicht mitbekommen, der war dann auch grad zugange. Dann
bin ich leise wieder raus, um ihn nicht zu stören.‘‘ Zudem erklärt Anette dann
noch, dass einige Bewohner, gerade Demenzerkrankte, schon oft und sehr
offen über das Thema Sex reden. Da sind anzügliche Geschichten oder derbe
Witze ganz normal. Sexualität im Alter also definitiv ja, aber dennoch keine
Zweisamkeit. Klar, es scheint viele Störfaktoren zu geben, aber dass man sich
hier gar nicht näher kommt, obwohl man jeden Tag zusammenlebt, das scheint
doch paradox. Anette bleibt in einem großen Raum stehen, in dem sich mehrere
Tischgruppen befinden. In einem Regal an der Wand stapeln sich verschiedenste
Gesellschaftsspiele sowie eine kleine Auswahl an Büchern, am Ende des Raumes
steht eine kleine Sofalandschaft. Während wir den Raum durchqueren, folgen
uns die neugierigen Blicke der Menschen, die vereinzelt an den Tischen sitzen.
‘‘Du musst wissen, die meisten kommen hier hin, nachdem ihre Partner schon
verstorben sind. Und bei den meisten ist das so, da heiratet man, ist seinem
Partner für immer treu, auch nach dem Tod. Die meisten möchten sich aus
Respekt vorm Partner nicht noch einmal auf jemanden einlassen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Entweder erzählen die Bewohner hier gar nichts
aus ihrer Vergangenheit oder aber, und das ist bei den meisten so, reden sie fast
ausschließlich von ihren ehemaligen Partnern. Und ich höre diese Geschichten
immer wahnsinnig gerne.‘‘
So scheint es also, dass die unterschiedlichsten Gründe zusammenkommen und
an einem Strang ziehen, um so die zweite Liebe im Altersheim zu einer schwer
überwindbaren Herausforderung zu machen. Da spielen das sterile Umfeld, die
kaum vorhandene Privatsphäre, die Krankheitsbilder und die Vergangenheit
der Bewohner zusammen, um dem Zweiten Frühling entgegenzuwirken.
Wir haben unseren Rundgang beendet und sind wieder in dem kleinen Aufenthaltsraum angekommen, ich trinke den letzten Schluck des mittlerweile
kalten Kaffees aus und bedanke mich höflich bei Pflegerin Anette. Sie begleitet
mich noch zur Tür, und während ich hinaus in den Innenhof trete, hallt mir
immer noch der schrille Pieps-Ton in den Ohren…
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Papierherz
Kriegstrophäen
Strophe 1:
Wir waren einst eine Einheit
Du mein Kämpfer und Held
Aber Ruhe hält nie lange Zeit
Dast Waffen gegen mich gestellt
Fielst ein, überranntest mein Land
Diest Schutt und Asche zurück
Dich zu neuen Opfern bekannt
Verloren, Geflohen viel Glück
Refrain:
Dein Leben ist ein Krieg
Weißt nicht, wofür du kämpfst
Siehst Liebe nicht als Sieg
Doch es ist leichter als du denkst
Denn du ringst mit dir selbst
Bitte lass mich endlich gehen
Könntest loslassen fort von hier
Doch du brauchst deine Trophäen
Strophe 1:
Deine Augen blickten verlegen
Dein erstes Hallo, viel zu leise
Doch war dir direkt erlegen
Erahnte die kommende Reise
Meine Seiten sind weiß und leer
Du aber gezeichnet vom Leben
Füllst meine Kapitel seither
Ihr Anfang und Ende gegeben
Refrain:
Dein Leben ist ein Krieg
Weißt nicht, wofür du kämpfst
Siehst Liebe nicht als Sieg
Doch es ist leichter als du denkst
Denn du ringst mit dir selbst
Bitte lass mich endlich gehen
Könntest loslassen, fort von hier
doch du brauchst deine Trophäen
Bridge:
Irgendwann dann die Erkenntnis
Mein Unrecht, mein Geständnis
Der Kampf wütend allein in mir
Ich hebe die Hände, ich kapitulier‘
Refrain:
Und mein kleines Herz aus Papier
Schreibt jeden Takt nur von dir
Deinen Namen schon 1000 Mal
Jede Seite ist dein Denkmal
Ein Buch und alle Kapitel
Tragen dein Lächeln als Titel
Strophe 2:
Heimlich dann stehst du da
Nicht in der Rolle des Gegners
Bist verwirrt, denkst nicht klar
Soldat sag mir, wieso der Fehler?
Deine Blicke reden von Sehnsucht
Doch bevor die Bomben hochgehen
Hast du die Chance auf Zuflucht
Ich bleib in der Schusslinie stehen
Refrain(geändert):
Mein Leben ist ein Krieg
Weiß nicht, wofür ich kämpfe
Sah die Liebe nie als Sieg
Es ist leichter als ich denke
Denn ich ringe mit mir selbst
Lass dich nun endlich gehen
Wollte loslassen, fort von hier
Doch brauchte meine Trophäen
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Strophe 2:
Jeder Zentimeter meiner Haut
Zeigt dein Leben, deine Figur
Und flüstern so unendlich laut
Jede Seite, deine Signatur
Hab‘ mir deine Tränen kopiert
Und jedes Lächeln nachgemalt
Alles in mein Papierherz notiert
Gebunden in deiner Gestalt
Refrain:
Und mein kleines Herz aus Papier
Schreibt jeden Takt nur von dir
Deinen Namen schon 1000 Mal
Jede Seite ist dein Denkmal
Ein Buch und alle Kapitel
Tragen dein Lächeln als Titel
Strophe 3:
Das letzte Blatt, kein Happy End
Denn es kommt, wie es kommen muss
Unsere Leben wie Silben getrennt
Schrieb noch schnell den letzten Kuss
Und hör nicht auf, dich zu skizzieren
Jeden Moment trag ich auf der Haut
Deine Worte kann keiner radieren
Flüstern noch immer so unendlich laut
Refrain(geändert):
Und mein kleines Herz aus Papier
Schrieb jeden Takt nur von dir
Dein Name, ewig im Gedächtnis
Jede Seite ist dein Vermächtnis
Ein Buch und alle Kapitel
Trugen dein Lächeln als Titel
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Ein Wisch - und weg
Ein halbdunkler Raum. Die Jalousien sind hinuntergelassen. Durch die Ritzen
fällt spärliches Licht. Lediglich eine kleine Lichtquelle lässt grobe Umrisse
der Möblierung des Zimmers erahnen. Es scheint einfach eingerichtet zu sein.
Auf der Fensterbank steht eine Pflanze, die ihre Blätter hängen lässt. Darüber
hinaus sind ein Schreibtisch, zwei Regale mit Ordnern, ein Schrank und ein
ungemachtes Bett mit einer großen Gestalt zu erkennen. Das Bett ist auch der
Ursprung der Lichtquelle. Es handelt sich um ein Handy, dessen Display hell
aufleuchtet und das Gesicht der Person erkennen lässt.
Wir befinden uns im Zimmer von Markus B. (Name geändert). Er ist 26 Jahre
alt, Sport- und Managementstudent an der BSA - Akademie in Saarbrücken.
Seine noch vom Schlaf ganz kleinen Augen sind leicht zusammengekniffen
und starren auf den kleinen Bildschirm. Dunkle Bartstoppeln umrahmen sein
kantiges Gesicht. Unter seinem weißen T-Shirt zeichnet sich ein durchtrainierter Oberkörper ab. Ansonsten trägt er eine kurze Jeanshose und Socken,
die unterschiedlich hoch gezogen sind. Er fährt sich durch sein verstrubbeltes
Haar und gähnt laut. Sein Atem riecht nach Kaffee. Die Luft ist noch von der
Nacht verbraucht. Immerhin bietet er mir einen Kaffee an, den ich dankend
ablehne. Heute ist unser erstes Interview zum Thema Dating App.
Er schaut auf das Display. Ein Lächeln umspielt seine Lippen.
„Lust gleich zu treffen?“
„Klar, wann denn genau?“
„Um 20 Uhr im Barcelona?“
„Gerne, freu mich, bis später.“
Es ist 12 Uhr mittags und „MrAesthetic“, 26 ist online. Oben rechts auf dem
Display ist der Schriftzug Lovoo zu erkennen, eine Dating-App, die in Single
Kreisen hoch im Kurs steht. Sie ist größte europäische Kennenlern-App, seit
2011 auf dem Markt, und setzt ihren Fokus speziell auf das mobile Dating. Lovoo
zeigt zusammen mit anderen Apps, wie beispielsweise Tinder, dass Angebote
dieser Art großes Potenzial haben und ein enormer Andrang auf mobiles
Dating, Flirts und Kennenlernen besteht. So wie Markus unter dem Namen
„MrAesthetic“ firmiert, tummeln sich noch 20 Millionen weitere Menschen
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weltweit auf dem Portal. Täglich kommen 20.000 neue Nutzer hinzu. Er sei
durch Freunde an die App geraten und hätte sie, ohne große Ansprüche an
diese, einfach mal ausprobiert, erklärt er mir.
Er zeigt mir die Bilder von seinem bevorstehenden Date mit „Caroline91“
(Name geändert). Sie hat nur ein Bild hochgeladen, auf dem man dafür aber
ihren kompletten Körper erkennen kann. Sie ist groß und hat lange schlanke
Beine, eine hübsche Brünette mit großen braunen Augen, die verschmitzt in
die Kamera lächelt. Laut Angabe ist sie 23 Jahre alt, Studentin, Nichtraucherin und Single. Auf Sinn für Humor beim Partner legt sie viel Wert und findet
einen durchtrainierten Körper erotisch. „Das passt doch ganz gut“, murmelt
Markus mehr zu sich selbst. „Mal sehen, was sonst noch so auf dem Markt ist.
Es wird Zeit für ein Spielchen“.
Gesagt, getan. Markus führt mir vor, wie das „Kennenlernen“ bei dieser App
funktioniert. Er berührt unten in der Leiste das Icon mit den zwei Kartensymbolen. Sofort springen einem diese mit Bildern von Frauen entgegen. In
der Mitte sind zwei Kreise abgebildet, in denen ein X und ein Haken zu sehen
sind. Mit einem Wisch ist die abgebildete Frau weg. Es erscheint ein neues
Bild auf dem Bildschirm.
„Ein Wisch nach rechts bedeutet ‚hot’, einer nach links ‚not’“, kommentiert
Markus. Die aktuell zu sehende Frau ist nicht sein Typ. Er zieht ihr Bild mit dem
Finger nach links und es verschwindet mit einem rot aufleuchtenden Kreuz.
Die Nächste, bitte! Er tippt das soeben aufgepoppte Bild an und bekommt
weitere Fotos zu Gesicht. Zu jedem Bild wird auch gleich angezeigt, ob eine
Interessenübereinstimmung besteht.
Nach rechts: ‚Hot’! Match! „Schmetterling90“ hat auch Interesse an dir.
Nehmt jetzt Kontakt miteinander auf und lernt euch kennen!“, blinkt plötzlich
die Nachricht auf. Jetzt besteht die Möglichkeit ein Chat mit „Schmetterling“
zu starten oder dies auf später zu verschieben. Sein Finger wandert auf den
Button „später“ und es erscheinen weitere Bilder von Frauen in seiner unmittelbaren Umgebung. Die Reichweite des Flirtradars, die mithilfe des GPS
ermittelt wird, kann man unter Einstellungen variieren und so das Gebiet
beliebig eingrenzen oder ausweiten.
Aber reichen allein Bilder aus, um herauszufinden, ob eine Person passt
oder nicht?
Die prompte Antwort von Markus: „Klar, im realen Leben entscheidet doch
auch erst einmal das Äußere bei der Frage, ob eine Person passt oder nicht und
erst danach berücksichtigt man auch innere Werte“. Ein Freund allerdings, so
erzählt er, fand seine jetzige Freundin auf den ersten Blick nicht so attraktiv,
jedoch im Laufe des Gespräches wurde sie für ihn immer interessanter- und
jetzt sind sie ein Paar. Manchmal lohnt es sich also auch einen zweiten Blick
zu riskieren und genauer hinzusehen.
Er blickt wieder auf sein Handy. „Eine richtige Sucht-App“, so sagt er. „Einmal
dran geschnuppert, kann man nicht mehr damit aufhören!“
Markus erzählt mir Näheres über seine Erfahrungen mit Lovoo. Es sei immer
wieder interessant, wen und was man alles bei der App entdecke. Viele seiner
Freunde und Bekannten nutzten diese App auch. Allerdings seien manche
Chatanfragen schon grenzwertig, es sei ihm schon passiert, dass Kontakte
ihm nicht ganz jugendfreie Bilder geschickt hätten. Bei dieser Erzählung
kann er ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. Dieses gerät jedoch in
Schieflage, als er von einem speziellen Angebot einer reifen Frau berichtet,
die ihm liebend gerne ihre reichhaltigen sexuellen Erfahrungen nahebringen
wollte und ihn gerne unter ihre Fittiche genommen hätte. Auch Angebote von
Männern waren darunter, die „einen schönen Arschfick wollten“, obwohl in
seinem Profil heterosexuell angegeben war. In der Regel komme aber lediglich
ein unkreatives „Hi, wie geht’s?:)“, wenn überhaupt. Meist müsse der Mann
Eigeninitiative ergreifen. Und wehe es handle sich nur um ein langweiliges
„Hey wie geht’s, deine Bilder sehen schön aus. Würde dich gerne kennenlernen.“
Er lacht mich herausfordernd an.
Die App ist gut für Flirts und ein wenig Spaß, aber man findet auch viele
Personen, die nach was Festem suchen. Unter „Details“ kann man persönliche
Angaben machen, unter anderem, auch wonach man sucht, sodass von vorneherein geklärt ist, worauf man aus ist. Markus präsentiert mir nochmal stolz
seine Matches des heutigen Tages, zu denen er auch schon einige Treffen für
die nächsten Tage vereinbart habe.
Seine Erfolgsquote sei mäßig. Die meisten seien zwar ganz nett, nur für mehr
als etwas Spaß, reiche es dann doch nie aus. In der Realität sehen viele auch etwas
anders aus als auf den Bildern. „Frauen sind schon gerissen. Sie wissen es, sich
vorteilhaft in Szene zu setzen“, lacht er. „Männer sind da weniger talentiert“.
Inzwischen ist es bereits Nachmittag des nächsten Tages. Wir haben uns
verabredet, um uns über den Ausgang seines gestrigen Dates auszutauschen.
Bei dem Gedanken an den Abend verzieht sich sein Gesicht. „Es war kurz und
knackig. Immerhin bin ich so mal früher ins Bett gekommen!“, lacht er.
Am Treffpunkt angekommen, so erzählt er mir, schien er trotz Verspätung
der Erste zu sein. Keine Frau, die an ihm vorbei lief, stimmte mit dem Bild auf
Lovoo überein. „Ich fühlte mich schon versetzt, als ich hinter mir eine Stimme
fragen hörte: „Hey bist du Markus?“, erinnerte er sich. „Ein Lächeln breitete
sich auf meinem Gesicht aus. Ich drehte mich auf der eigenen Achse um und
wollte es gerade bestätigen, aber als ich die junge Frau zu Gesicht bekam, ver-
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schlug es mir die Sprache. Das sollte Caroline sein?! Mein Lächeln erstarb. „ ...
bin ich nicht. Tut mir leid, Sie müssen mich verwechseln.“.
Denn vor ihm, so erzählte er mir, stand eine hochgewachsene Frau, die allerdings keinerlei Ähnlichkeiten mit ihrem Profilbild aufwies. Sie habe zwar
braunes Haar gehabt, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden über
ihren Rücken flöße und braune Augen, doch da hören die Gemeinsamkeiten
auch schon auf. Er habe sich schnell wieder umgedreht und frustriert die
Kneipe verlassen. Als er mir dieses Erlebnis berichtet, spiegelt sich auf seinem
Gesicht Enttäuschung wider.
„Schade, dass man in der realen Welt die Personen nicht auch „wegwischen“
kann, wenn sie einem nicht gefallen“, grinst er schief.
Wisch und weg.
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Schokolade
Achterbahn
Im MP3-Player
Songs von Coldplay und John Mayer
In Dauerschleife jeden Beat auf Repeat
Doch je lauter die Musik, desto tiefer
der Schmerz
Kann nicht lachen - über keinen Scherz
Kann bloß weinen mit zerrissenem Herz
Der Moment der Trennung - lang wie
eine Ewigkeit
Verschwunden ist die Heiterkeit
Verschwunden die Zweisamkeit - das
Ende der Einheit
Und beim nächsten Verlieben,
Wird es wieder höher und schneller
schlagen
Schmetterlinge fliegen durch den Magen
An meinem Stolz wird nichts mehr nagen
Sondern er wird wie ein Wolkenkratzer
emporragen
Genesung ist wie eine Achterbahn
Wechsel zwischen Ruhe und Wahn
Im Looping steht man Kopf verkehrt
ist die Welt
Hab Angst dass man hinunterfällt
Und am Ziel, was ist mein Part?
Ausstieg oder neue Fahrt?
Ich kann nur stärker werden
Werde jemanden finden wie dich oder anders
Mein Herz ist in Reparatur
Bald wieder voll intakt
Und schlägt im Rhythmus exakt
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Beim ersten Blick auf deine Bilder
bei Tinder
So wunderschön, das sieht sogar ein
Blinder
Das erste Treffen auf neutralem Boden
Trinkst heiße Schokolade, statt Latte
macchiato
Ich denk: "Ti amo!"
Wir spüren gleich eine Konnexion
Viel Emotion, das Herz in Rotation
Der Startschuss für unsere Liaison
Denn Liebe ist wie Schokolade
Hab ich keine, ist dies schade
Die Endorphine bringen mich in Fahrt
Jeder Biss so süß und zart
Der Abschied naht, Nervöses hin und
her wippen
Ich wage den Schritt und gebe dir den
ersten Kuss
Mir wird ganz heiß, die Knie weich
Ich schmecke Schokolade auf deinen
süßen Lippen
Sie verführt meine Sinne, Gänsehaut
von oben bis unten
Ich konnte einfach nicht widerstehen
Und hoffe wir werden uns bald wiedersehen.
Ich hoffe es wird kein Hundertmeterlauf,
Wir springen über jede Hürde und
jedes Hindernis
Unsere Liebe soll lang halten, wie ein
ewiger Marathon
Laufen bergauf
Laufen bergab
Wenn du nicht mehr kannst, nehme
ich dich huckepack
Oder gebe dir ’nen Stück Schokolade
aus meinem Rucksack
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Türkisch Heiraten
- Liebe zwischen Prunk, Tradition und Ehre -
Allah sagt: „Wer nicht heiratet, obwohl er in der Lage dazu wäre, gehört nicht
zu mir.“ Kein Wunder eigentlich, dass Dilay Y. schon morgen wieder auf eine
Hochzeit eingeladen ist.
Es ist bereits die Zweite in dieser Woche und das im April, also außerhalb der
typischen Sommer- und Herbstsaison, die in etwa von Mai bis November geht.
Zu diesen Hoch-Zeiten ist Dilay mit ihrer Familie im Schnitt jeden Samstag
und Sonntag auf einer Hochzeit - manchmal auch auf zweien an einem Tag.
Dilay lacht und streicht sich eine Strähne ihres langen dunklen Haares aus
dem Gesicht. Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und weiß deshalb
genau, wie verrückt sich so ein Hochzeitsmarathon für uns vergleichsweise
„heiratsfaule“ Deutsche anhört. Morgen geht es für sie auf die Hochzeit einer
alten Freundin aus Kindheitstagen. Dass man bei dieser Vielzahl an Hochzeiten
das Brautpaar persönlich kennt, ist nicht selbstverständlich.
Dilay wohnt in Köln Chorweiler zusammen mit ihren Eltern, die beide
bereits als Kinder nach Deutschland kamen. Sie studiert Journalismus und
Unternehmenskommunikation und macht gleichzeitig ihre Ausbildung zum
Mediengestalter Bild und Ton. Mit ihren 22 Jahren ist Dilay außerdem im
besten Heiratsalter, das im türkischen Kulturkreis für Frauen idealerweise
zwischen 18 und 24 Jahren liegt. Das durchschnittliche Heiratsalter deutscher
Frauen von 31 Jahren, käme hiernach nur für die wenigsten infrage. Tatsächlich
sind nach Dilays Erfahrung auch hier in Deutschland die ältesten türkischen
Bräute im Schnitt 25 bis 26 Jahre alt. Bei türkischen Männern liegt das ideale
Alter höher, bei 25 bis 29 Jahren.
Heute finden die Paare größtenteils selbst zueinander. Dilay glaubt, dass in
Deutschland arrangierte Ehen nicht mehr weit verbreitet seien, dass es das in
seltenen Fällen aber noch gebe, auch wenn so etwas für sie selbst nie infrage
käme. Doch in der ländlichen Osttürkei, wo die Menschen altertümlich in kleinen Dorfgemeinschaften leben, seien Zwangsehen nach wie vor gang und gäbe.
Ob arrangiert oder nicht, wenn sich ein Paar schließlich gefunden hat, ist
das nur der erste Schritt von vielen, denn im Gegensatz zu dem Ablauf einer
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deutschen Hochzeit, wirkt eine traditionelle türkische Hochzeit wie eine
regelrechte Prozedur. Für die Mehrheit der Deutschen ist bereits nach der
standesamtlichen Eheschließung Schluss - für nur etwa ein Viertel der Paare
folgt noch die kirchliche Trauung. Das anschließende Fest wird dann hier und
dort mit einigen individuellen Ideen und Bräuchen ausgeschmückt, von deren
Existenz die meisten erst bei den eigenen Hochzeitvorbereitungen erfahren.
Dilay hingegen kann wie selbstverständlich und ohne groß nachzudenken den
genauen Ablauf und die Bräuche einer traditionellen türkischen Eheschließung
wiedergeben. Die prunkvolle Hochzeitsfeier am Schluss markiert dabei nur
den Höhepunkt vieler einzelner Etappen, von deren Ablauf und Reihenfolge
in den seltensten Fällen abgewichen wird.
Zu Beginn steht der sogenannte Bewilligungsbesuch, bei dem die Eltern des
Jungen bei den Eltern des Mädchens um dessen Hand anhalten. Obwohl das
Paar heutzutage oft selbst zueinanderfindet, wird dieser Schritt wegen seines
symbolischen Wertes nicht übergangen. Die Eltern treffen sich zu Kaffee und
Kuchen im Haus des Mädchens, um sich kennenzulernen. Im Laufe des Gespräches ergreift der Bräutigamvater das Wort, um mit einem traditionellen Satz
bei den Eltern des Mädchens eine Heiratserlaubnis zu erbitten: „Mit Erlaubnis
Gottes und mit Einwilligung des Propheten bitte ich im Namen meines Sohnes
um die Hand deiner Tochter“. Der Brautvater stimmt daraufhin mit dem Satz,
„Wenn unsere Kinder es so wollen, soll es ihnen Glück bringen“, der Ehe zu.
Anschließend kocht das Mädchen für alle türkischen Kaffee. Der Bräutigam
muss nun beweisen, dass er bereit ist, alles für seine Zukünftige zu tun, indem
er seinen Kaffee mit Salz, Pfeffer und Zitrone serviert bekommt. Dilay verzieht
das Gesicht, als sie erzählt, dass inzwischen gerne noch Unangenehmeres als
Prüfung verlangt wird: „Manche spucken in den Kaffee. Das find ich dann schon
ekelhaft. Das muss einfach nicht sein.“
Das anschließende Versprechen und die Verlobung werden oft in den Bewilligungsbesuch integriert. Die Bräutigamfamilie bringt die Verlobungsringe
mit, die mit einer roten Seidenschnur verbunden sind. Nachdem die Ringe
getauscht wurden, wird das Band zerschnitten. Oft wird das Band in kleine
Stücke geschnitten, von denen die unverheirateten Mädchen eines essen
müssen, um ähnlich wie bei unserem „Brautstraußwurf“ bald selbst einen
Ehemann zu finden. Dabei gilt, je größer das Stück, desto schneller wird man
fündig. Dilay selbst durfte auch schon eines probieren.
„Ich würd’s nicht weiterempfehlen“, sagt sie und lacht.
Anschließend an das Versprechen kann eine Verlobungsfeier ausgerichtet
werden, die immer die Brautfamilie finanziert. Ohnehin ist alles, was mit den
Kosten einer Hochzeit zusammenhängt, durch die Tradition streng und ein-
deutig geregelt. Auch auf die Größenordnung, in denen bei türkischen Festen
gedacht wird, gibt die Verlobung bereits einen Ausblick. Sie werde eher im
kleinen Kreis gefeiert, sagt Dilay, natürlich nie größer als die eigentliche Hochzeit. Manchmal werde dafür ein Saal gemietet, denn „kleiner Kreis“ bedeutet
für Dilay 200 bis 250 Gäste.
Anschließend kommt es zur standesamtlichen Hochzeit und danach wird
zum Essen eingeladen, immer von der Familie des Bräutigams.
Die darauf folgende Trauung vor Gott findet nicht wie eine kirchliche Hochzeit
in Deutschland am selben Tag wie das große Fest statt. Es handelt sich eher
um eine intime Zeremonie, bei der der Hoca, der islamische Geistliche, zum
Brautpaar in die Wohnung kommt, nur noch die Eltern sind manchmal auch
anwesend. Der Hoca fragt das Paar dreimal, ob sie einander heiraten wollen
und erst nach dem dritten Jawort sind sie vor Allah vermählt. Passend zu der
festgelegten Finanzierung der Feierlichkeiten, wird nach der Trauung vor
Gott eine Art mündlicher Ehevertrag verhandelt, indem der Hoca die Eheleute
fragt, was sie im Falle einer Trennung vom jeweils anderen erhalten würden.
Noch kurz vor der eigentlichen Hochzeitsfeier findet der sogenannte „Henna-Abend“ statt - finanziert von der Familie der Braut. An diesem Abend wird
der Abschied des Mädchens aus dem Elternhaus zelebriert. Die Zeremonie
findet eigentlich nur unter Frauen statt, bei moderneren Paaren dürfen aber
oft auch Männer teilnehmen. Wieder spricht Dilay von einem „kleinen Kreis“
an Gästen und meint damit rund 200 Leute. Es wird getanzt und gegessen,
bis schließlich der Raum abgedunkelt wird. Es werden Kerzen angezündet
und die Frauen ziehen traditionelle Gewänder an. Die Braut selbst trägt
einen sogenannten „Bindalli“, ein besticktes, reich geschmücktes Kleid und
ein rotes Kopftuch mit Pailletten, damit man nicht sieht, dass sie darunter
weint, wenn anschließend die Mädchen in einem sehr emotionalen Moment
Abschiedslieder für sie singen. Es wird sogar erwartet, dass sie weint, da es zeigt,
wie traurig sie ist, das Elternhaus zu verlassen. Eine ältere Frau gibt Henna in
die Handflächen der Braut und es wird anschließend ein Goldader dazugelegt.
Auch die Gäste dürfen sich Henna an die Fingerkuppen geben und es wird bis
in die Nacht gefeiert.
Oft findet eine Woche nach dem Henna-Abend die Hochzeitsfeier statt.
Sie ist groß, sie ist bunt, sie ist glitzernd. Eine Gästeliste von 500 bis 1000
Menschen ist ganz normal. Für die Kosten kommt ausschließlich die Familie
des Bräutigams auf. Eine Ausnahme bildet hier nur der Hochzeitsanzug des
Bräutigams, den die Brautfamilie bezahlt.
Der Tag der Hochzeit beginnt mit der Abholung der Braut. Früher in Pferdewagen, heute in Limousinen fährt der Bräutigam mit Freunden und Bekannten
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im Autokorso zum Haus der Braut. Dort angekommen, öffnet sich die Tür
jedoch erst, wenn eine gewisse Summe an Geld bezahlt wurde. Abhängig von
der Familie der Braut schwankt dieser Betrag zwischen 20 und 700 Euro. Bevor
die Braut das Haus verlässt, bindet ihr der älteste Bruder zum Zeichen ihrer
Jungfräulichkeit ein rotes Band dreimal um die Hüfte. Hier stockt Dilay, denn
sie glaubt, dass dabei noch irgendetwas etwas gesagt wird. Sie ruft nach hinten
„Anne“ - schnelle türkische Sätze unterbrochen von deutschen Wortfetzen.
Dilays Mutter weiß, dass bei dem Brauch ein Gebet gesprochen wird und
manchmal hängt der Brautvater noch einen Goldtaler an das Band als „letztes
Taschengeld“.
Begleitet von zwei Musikanten, die mit Davul und Zurna (Pauke und Oboe)
Volkslieder spielen, führt der Bräutigam die Braut aus dem Haus. Bevor es
dann für das Paar zum Fest geht, haben sie einen Fototermin und machen eine
Stadttour, während die Gäste bereits den Saal betreten und tanzen. Zwei bis drei
Stunden später kommen Braut und Bräutigam mit den beiden Musikern dazu.
Jetzt darf der Bräutigam der Braut den Schleier öffnen und ihr eine Kleinigkeit schenken. Dann wird natürlich wieder getanzt. Man isst Fladenbrot mit
Dips und traditionell Hähnchen oder Rind mit Reis und Salat. Anschließend
folgt die Zeremonie der Geschenkgabe. Hierfür wird oft eigens ein Moderator
engagiert. Beginnend mit den engsten Verwandten bilden die Gäste eine lange
Reihe, um die Geschenke zu überreichen. Es wird öffentlich verkündet, was
geschenkt wurde, um zu gewährleisten, dass im Falle einer Gegeneinladung
ein Geschenk mit ähnlichem Wert zurückgeschenkt werden kann. Die engsten
Familienmitglieder schenken traditionell viel Gold in Form von Münzen und
Schmuck. Bei 1000 Gästen kann dieses Prozedere gut ein bis zwei Stunden
in Anspruch nehmen. Dann wird der Kuchen angeschnitten und kurz darauf
gehen die ersten Gäste, der Rest tanzt weiter und feiert bis zum Morgengrauen.
Hier und da ist es Brauch, dass man sich nach der großen Feier nochmals
trifft, um als Aussteuer Kisten mit ersten Haushaltsartikeln zu verschenken.
Dilay ist aufgefallen, dass vor allem in Deutschland lebende Türken sehr stark
an den Traditionen und der Einhaltung aller Hochzeitsrituale festhielten. So
würde man hier zum Beispiel auf türkische Musik Wert legen, während in der
Türkei viel amerikanische Popmusik gespielt würde.
Zu diesem Festhalten am Überlieferten gehört auch der Umgang mit dem
Begriff der Ehre. Zumindest nach außen muss sie gewahrt werden. Auch wenn
man weiß, dass das Mädchen schon in anderen Beziehungen war, wird ihr am
Tag der Hochzeit dennoch das rote Band zum Zeichen der Jungfräulichkeit
umgebunden, so wie deutsche Bräute das weiße Kleid als Zeichen der Unschuld
tragen. In diesem Zusammenhang erinnert sich Dilay an ein Erlebnis auf einer
Hochzeit, von dem ihr eine gute Freundin erzählt hat. Das Mädchen war zuvor
schon einmal in einer Beziehung gewesen und hatte ihren damaligen Freund
verlassen. Ihr Ex-Freund fühlte sich in seiner Ehre so verletzt, dass er auf
der Hochzeitsfeier intime Bilder aus der gemeinsamen Vergangenheit zeigte.
Die Feier wurde abgebrochen und auch ihr Ehemann war so in seinem Stolz
gekränkt, dass er sich von dem Mädchen trennte.
Obwohl sie schon auf so vielen Hochzeiten war und viele der Etappen
miterlebt hat, ist Dilay die Lust am Heiraten nicht vergangen. Selbst wenn
ihr zukünftiger Mann kein Moslem sein sollte, möchte sie auf jeden Fall eine
türkische Hochzeit feiern. Natürlich würde sie ihn da ein Wörtchen mitreden
lassen, sagt sie, aber nach ihrer Erfahrung haben Paare, bei denen nur einer der
beiden türkisch war, am Ende trotzdem immer türkisch geheiratet.
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NACH HINTEN GEHEN
KLOPFT LEISE
Da ist ein zweites Klopfen
Du bist nicht weit entfernt
Klopft im selben Takt
Zusammen werden wir gehört
Klopf. Klopf. Klopf. Klopf
Wer ist denn da schon wieder?
Sicher dieses Eine
Von schräg unten gegenüber
Hinter meinen Rippen
Klopft es ständig nur herum
Ich weiß nicht, was es will
Denn leider ist es taub und stumm
Mein Kopf er sieht und hört und denkt
Er hätte Plan, versteht und lenkt
Mein Herz bleibt überseh’n und hört
Fühlt nur leise, still empört
Klopft leise weiter, still empört
Mein Kopf er sieht und hört und denkt
Er hätte Plan, versteht und lenkt
Mein Herz klopft leise und bleibt still
Zeig du mir, was es sagen will
Dann weiß ich, was ich sagen will
Hin und wieder glaub‘ ich dann
Zu wissen, was es will
Der Kopf wird überrumpelt
Ist für kurze Zeit ganz still
Doch wenn er dann begreift
Was dieses Eine wieder fühlt
Denkt er schnell was and‘res
Merkt nicht, dass dann etwas fehlt
Mein Kopf er sieht und hört und denkt
Er hätte Plan, versteht und lenkt
Mein Herz bleibt überseh’n und hört
Fühlt nur leise, still empört
Klopft leise weiter, still empört
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Du sagst, ich würde dir den Kopf verdrehen
Sagst, du willst uns gerne tanzen sehen
Ich weiß, das wird nichts, will schon gehen
Du rufst "warte", ich bleib stehen
Fragst wie man denn mein Herz gewinnt
Es ist kein Preis, den man sich nimmt
Nichts, worum man Schlachten schlägt
Etwas das fühlt und sich verliebt
Sich einfach ab und zu verliebt
Du willst nicht kampflos untergehen
Deine Armeen siegen sehen
Willst, dass ich ein Stück näher komme
Doch unter glühend heller Sonne
Kann ich die Waffen glänzen sehen
Werd Schritt für Schritt nach hinten gehen
Du willst nicht kampflos untergehen
Deine Armeen siegen sehen
Willst, dass ich ein Stück näher komme
Doch unter glühend heller Sonne
Kann ich die Waffen glänzen sehen
Werd Schritt für Schritt nach hinten gehen
Du findest, ich bin wunderschön
Würdest mich gerne wiedersehen
Sagst, das mit uns muss einfach sein
Ich sag' Ja und meine Nein
Du willst nicht kampflos untergehen
Deine Armeen siegen sehen
Willst, dass ich ein Stück näher komme
Doch unter glühend heller Sonne
Kann ich die Waffen glänzen sehen
Werd Schritt für Schritt nach hinten gehen
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Schließlich heiratet man heute nicht jeden
Ein kräftiger Regenschauer ergießt sich über die Parkanlage. Dicke Tropfen
fallen vom Himmel und laufen über das runde weiße Zelt zum Boden. Unter
einem großen, alten Baum hängen Kronleuchter, die aus kleinen aneinander
geketteten Reagenzgläsern bestehen und viele Blumen in Rosa und Grün halten. Leise klirren sie im Wind, während der Regen sich in die Erde saugt. Die
Tische und Stühle sind leer, nur unter dem weißen Zelt stehen einige Leute, die
eifrig einige letzte Vorbereitungen treffen. Irgendwann ziehen die schweren
grauen Wolken vorbei und die Sonne bricht durch. Die vielen Stühle und Tische
können gerade rechtzeitig trocknen, als die wenigen besonders ausgewählten
Gäste ankommen und Platz nehmen. Um 15 Uhr fährt eine kleine Limousine
vor und aus ihr tritt eine in weiß gekleidete Frau. Sie reicht ihre zittrige Hand
ihrem Vater und richtet sich auf. Der Blumenstrauß, den sie in der Hand hält, ist
nicht sehr groß und eher schlicht. Einige Meter vor ihr unter dem großen Baum
steht ein Mann, der den gleichen Blumenstrauß nur in kleinerer Ausführung
an seinem schwarzen geöffneten Anzug trägt. Seine Hände schwitzen, doch das
will er sich heute nicht anmerken lassen. Schließlich ist es ein wichtiger Tag.
Als sich die beiden gegenüberstehen beginnt ein freier Redner ausführlich die
Geschichte ihres Kennenlernens vorzutragen. Anschließend begeben sie sich
zur Sandzeremonie an den Tisch, die so funktioniert, dass jeder eine Vase mit
verschieden farbigem Sand erhält. Der Mann beginnt etwas Sand in die Vase
zu schütten, anschließend ist die Frau dran. So geht das im Wechsel immer
weiter. Am Ende entleeren beide gleichzeitig den jeweiligen Rest des Sandes
in das Gefäß, um so die neue Einheit zu verdeutlichen. Dann geben sich beide
das Ja-Wort und Gitarrenmusik erklingt. Nun zittert keiner mehr von beiden.
So beginnt die Hochzeit von Klara und Simon. Beide sind noch sehr jung,
haben sich aber schon immer eine freie, lockere Sommerhochzeit in einem
Garten gewünscht. Obwohl sie sehr traditionsorientiert sind, wollten beide keine
Hochzeit, in der Kitsch die Oberhand gewinnt und beschlossen deswegen alles
recht schlicht zu halten und eine moderne Hochzeit im Vintage-Stil zu gestalten.
Zwischen den Gästen steht die Frau, die das alles organisiert und realisiert hat.
Sie nickt dem Paar zufrieden zu, als sich dieses an ihr vorbei zum Buffet begibt.
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Andrea ist Hochzeitsplanerin und übt ihren Beruf schon seit sechs Jahren sehr
gerne aus. Dabei versucht sie für jedes Brautpaar ein individuelles Konzept zu
entwickeln, das sich nach Interessen und Geschichte des Paares richtet. Die
meiste Zeit arbeitet sie zu Hause, doch auch ihr Büro in der Innenstadt und vor
allem den großen Besprechungsraum nutzt sie, um dort Kunden zu empfangen.
In dem hellen modern eingerichteten Raum steht ein großer weißer Tisch mit
leuchtend grünen Stühlen, auf dem sich unzählige Flyer und Zeitschriften
über Hochzeiten verteilen. Oft ist sie an einem Samstag die Einzige, die in den
Büroräumen noch arbeitet. Ihre Kunden sind meist finanziell besser gestellte
Personen wie Akademiker, Unternehmer oder Firmenleiter. Nicht jeder kann
sich eine aufwendige Hochzeit leisten. Wenn genug Geld vorhanden ist, übernimmt sie die gesamte Planung von dem Konzept und dem Ablauf bis hin zum
Blumenschmuck oder der Einladungskarten. Dabei hat sie sich in den letzten
Jahren ein großes Netzwerk aus Dienstleistern aufgebaut, mit denen sie eng
zusammenarbeitet, um eine Hochzeit auch so zu realisieren, wie es sich ihre
Kunden vorstellen. So eine Hochzeitsplanung und Vorbereitung dauere dann
meist mindestens ein Jahr. Viele wollen dabei mit ihrer Hochzeit Prestige zeigen oder sich selbst repräsentieren. Doch es geht auch anders. „Vom Event her
werden die Hochzeiten heute eigentlich sehr locker, sehr entspannt gefeiert“,
sagt sie, „da gibt es gar nicht mehr diese strengen Regeln. Wer, wie, wo sitzen
muss, wer eine Rede halten muss, wer was anzieht. Die Hochzeiten sind fast
alle schon so wie Sommerfeste.“ So spiegelt eine Hochzeit wohl auch das neue
Lebensgefühl wider, das sich in unserer Gesellschaft breitmacht. „Zurück zur
Natur“ heißt hier das Motto, viele laufen bereits wieder mit Blumen im offenen
Haar oder lockerer Kleidung herum und halten ein Bier in der Hand anstatt
eines Sektglases.
Aber vielleicht ist es auch einfach das Bedürfnis mit alten Konventionen
zu brechen, alte Traditionen hinter sich zu lassen. Die neue Generation will
schlicht sein, individuell sein, selbst bestimmen und vor allem sich neu erfinden. Überall wird darauf geachtet, etwas vor allem anders zu machen. Wenn
dann auch mal eine Hochzeit in einer alten Industriehalle, im Wald oder auf
einem Feld stattfindet, ist das eher besonders als ungewöhnlich. Erinnert das
nicht alles stark an die sechziger Jahre? Ist die junge Generation also eine neue
Hippie-Bewegung? Andrea meint dazu, dass es sich dabei wohl nur um einen
Trend handelt. „Das hat alles mit Freiheit, mit freier Liebe zu tun. Es ist eine
sehr ähnliche Lebenseinstellung. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es dann
in ein paar Jahren so ist, dass wieder alle auf einem Schloss heiraten wollen.“
Andrea hat schon viele unterschiedliche Kunden gehabt. Die einen bevorzugten
eine pompöse, protzige Hochzeit, wieder andere eine ganz einfache, schlichte
und entspannte Feier. Das hänge in erster Linie mit der Persönlichkeit und
der Geschichte des Paares zusammen. „Das hat zum einen viel mit den Farben
zu tun, die die Paare auswählen und auch mit der Stilrichtung. Es ist immer
etwas angelehnt an das, was man darstellen möchte.“ Auch wenn viele Paare
meist eher Probleme haben über sich selbst und ihre Beziehung zu reflektieren,
findet Andrea immer eine Möglichkeit die Besonderheit aus einer Beziehung
herauszuholen und in der Hochzeit auszudrücken. So hatte sie auch schon ein
Ärztepärchen, das eine EKG-Linie als Symbolik hatte. Auf dieser EKG-Linie
sind die Umrisse zu sehen von Sehenswürdigkeiten und Orten, auf denen sie
schon oft zusammen waren. Oder eine Hochzeit am Strand unter Palmen, weil
das Paar sich im Urlaub kennengelernt hatte.
Klara und Simon sind nun beim Fotografen und lassen Fotos von sich machen.
Der Park bietet dabei eine gute Kulisse. Im Nachmittagslicht der Sonne lassen
sie sich vor allem vor dem großen Baum oder am Waldrand fotografieren. Beide
fühlen sich in der Natur sehr wohl und wollen das auch zeigen. Am Abend beginnt
die Band zu spielen und die Gäste bedienen sich an dem reich ausgestatteten
Buffet. Immer wieder werden spontane Reden gehalten oder dem Brautpaar
gratuliert. Irgendwann erscheint ein Eisfahrrad auf der Hochzeit. Klara und
Simon waren schon immer große Liebhaber von Eiscreme und da darf ein eigener kleiner Eiswagen auf der Hochzeit natürlich nicht fehlen. Als es dunkel
wird, zünden die Gäste Fackeln an, die sie im Boden rund um das Zelt verteilen.
Das Zelt selbst leuchtet in grün und blau inmitten des schwarzen Waldes. Bis
spät in die Nacht wird ausgelassen getanzt und gefeiert.
Eine Heirat ist wohl für jedes Paar auch heute noch ein großer Schritt. Sie
bedeutet wohl wie nichts anderes einen neuen Lebensabschnitt. Man hat sein
Studium überstanden, eine feste Arbeitsstelle gefunden und möchte jetzt eine
Familie gründen und ein gemütliches Haus mit Garten kaufen. Es besteht
nicht mehr der Zwang einer Heirat, wie es jahrhundertelang vorgeschrieben
war. Früher wurde man nur schwer von der Gesellschaft akzeptiert, wenn man
im hohen Alter noch unverheiratet war. Viele Ehen waren arrangiert oder die
Partner wurden von den Eltern ausgewählt. Heute ist das anders. Eine Hochzeit
dient dabei in erster Linie dem Feiern– die Feier der eigenen Liebe, die Feier
mit sich selbst, ja, dass man überhaupt die wahre Liebe gefunden hat, was in
unserer heutigen Gesellschaft gar nicht mehr so einfach ist. Eine Ehe hat heute
eine andere Ernsthaftigkeit, eine andere Verbindlichkeit. Schließlich heiratet
man nicht jeden. Diesen Schritt überlegt man sich erst einmal genau. Für viele
wird so die Hochzeit zu einem Event. Und im Vergleich zu früher bieten sich
hier auch deutlich mehr Möglichkeiten.
Vor allem freie Trauungen sind jetzt sehr beliebt. Eine freie Zeremonie,
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die von einem freien Theologen oder Redner geleitet wird. Der Ort, Ablauf
und der gesamte Inhalt sind selbst bestimmbar. Diese sind heute besonders
attraktiv, weil viele keine traditionellen kirchlichen Trauungen mehr wollen.
Viele Leute sind heute nicht mehr so an die Kirche gebunden, wie das vielleicht
vor zehn oder zwanzig Jahren der Fall war. Bei den meisten fehlt schlichtweg
der Glaube oder eine kirchliche Heirat ist einfach aufgrund unterschiedlicher
Religionen oder gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht möglich. Auch
Andrea geht dabei immer direkt auf ihre Kunden ein. „Spielt das eine Rolle in
deinem Leben? Und wenn du jetzt heiratest, brauchst du dann Gottes Segen?
Das ist die Frage, die ich meinen Brautpaaren auch immer stelle.“ Nur der
Kulisse wegen in einer Kirche zu heiraten wäre hier wohl Heuchelei. Eine
freie Trauung ist in dieser Hinsicht deutlich persönlicher. Dennoch finden
sich immer noch genug junge Paare, denen die Kirche wichtig ist und die eine
kirchliche Trauung vorziehen. So sei doch der Entschluss vor Gott zu heiraten,
etwas das auf eine besondere Art verbindet.
Und wie würde ihre eigene Hochzeit aussehen? Da muss Andrea erst lachen.
Sie selbst ist nicht verheiratet, ist aber mit ihrem Freund schon lange glücklich
zusammen. „Ich würde das ganz anders machen als die Hochzeiten, die ich
immer plane. Irgendwo in Südafrika auf einem Weinberg in einem ganz engen
Kreis. Oder ganz alleine auf Fuerteventura an einem Strand, den wir damals
sehr schön fanden.“ Auch Andrea möchte es anders machen, vielleicht weil sie
einfach schon so viele andere Hochzeiten gesehen hat und sich auch für sich
selbst etwas Besonderes wünscht. Aber Heiraten möchte sie auf jeden Fall.
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Eine enge Weste
Ein in sich ruhender Sturm
Lange schon kann ich sehen
Wie du weiter kannst nur gehen
Nie ein Blick, nie ein Wort
Ich möcht dich kennen, sofort
Eine Feder, eine Droge
Bin wie vergessen, wie verloren
Dich zu haben ist wie zu leben
Ein Puzzle aus Löchern zu weben
Wir waren wie Kinder am Meer
Alles war voll, nichts war leer
Wir holten aus, ließen uns treiben
Wollten die Lippen aneinander reiben
Wir sind eine Weste
Wir sind ein Wir
Ich lasse nicht los
Warum gebe ich mich dir?
Da ist ein gesenkter Blick
Wie ein nerviger kleiner Tick
Wir laufen und wir gehen
Doch nie bleiben wir stehen
Hier zu wissen, dich zu kennen
Die Tiefe zu erklimmen
Deine Nähe ist wie ein Turm
Ein in sich ruhender Sturm
Doch du spieltest ein Spiel
Und wolltest mich nicht mehr
Ich vertraute dir zu viel
Plötzlich fühlte ich mich leer
Eine enge Weste sind wir
Nur Rauch gibst du mir
Doch ich geb dir mich
Ich geb dir mich
Hier zu wissen, dich zu kennen
Die Tiefe zu erklimmen
Deine Nähe ist wie ein Turm
Ein in sich ruhender Sturm
Eine enge Weste waren wir
Viele Wolken gabst du mir
Doch ich gab dir mich
Ich gab dir mich
Tausend Blicke, tausend Wege
Eh die Hand auf den Mund ich lege
Eines Tages nur ein Wort
Mit dir ein neuer Ort
Leise drückst du mich herab
Die Luft wird langsam knapp
Ein Spiel, ein Stich, ein Loch
Warum gab es uns noch?
Hier zu wissen, dich zu kennen
Die Tiefe zu erklimmen
Deine Nähe ist wie ein Turm
Ein in sich ruhender Sturm
Eine enge Weste waren wir
Nur Rauch gabst du mir
Doch ich gab dir mich
Ich gab dir mich
Ich ließ mich treiben
Ich ließ mich sinken
Du kannst nur von oben
Zu mir herunterwinken
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Man schaut sich an und weiß genau, was der andere denkt:
heute Abend nicht mehr.
Als Stefanie, Julia und Claudia vor einigen Jahren Kinder bekamen, änderte sich
alles für sie. Sie sitzen zwischen dicht bepackten Kinderwagen und Fahrrädern
mit überfüllten Kinderanhängern im Park, unterhalten sich und verfolgen
mit Adleraugen das Geschehen auf dem Spielplatz. „Jonas! Mit Stöcken wird
nicht geworfen!“ Es geht einem in Fleisch und Blut über, immer überall seine
Augen zu haben. Mit einem Mal hat man nicht mehr sich selbst im Fokus seiner
Entscheidungen. Alles dreht sich um das Wohl des kleinen Familienzuwachses.
Am Anfang braucht es Zeit, sich zu sortieren. Man versucht alles so zu machen,
wie vor der Geburt und zusätzlich das Kind zu umsorgen, bis man ganz automatisch immer mehr Abstriche macht. Effizienter einkaufen, putzen, waschen.
Zeit sparen, wo es nur geht. „Man gerät in einen passiven Trott, manchmal
fühle ich mich total fremdgesteuert“, erzählt Julia. Sie steht morgens auf und
weckt ihren Vierjährigen. Jeden Tag denkt der sich neue Sperenzchen aus, um
den Morgen kompliziert zu machen. Immer in letzter Minute aus dem Haus.
Für Gespräche mit dem Ehemann bleibt zwischendurch kaum Zeit. Immer
quakt der Kleine dazwischen. Hauptsache für den Kindergarten ist alles da:
Regenkleidung, Butterbrote, der letzte Elternbrief. Die eigene Regenjacke
und der Führerschein liegen noch auf dem Küchentisch. Wird schon gut gehen,
Hauptsache pünktlich. Nach der Arbeit wäre eine Pause gut, aber dann muss
der Kleine auch schon wieder mit nach Hause. „Man geht mehr Arbeiten und
hat trotzdem weniger Geld.“ Die anderen Beiden stimmen lachend zu. Und zu
Hause geht die Arbeit weiter: Immer ist irgendetwas dran. Die Spülmaschine
fertig, die Waschmaschine fertig, Essen auf den Tisch, aufräumen, heute kommt
Besuch. „Man hilft sich doch gegenseitig. Wenn die eine gar nicht mehr kann,
gibt es eine Verabredung zum Spielen. Wenn sie alt genug sind, können die
sich dann ruhig mal drei Stunden mit sich selber beschäftigen und man hat die
Hände frei für andere Dinge.“ Aber dies sind dann auch wieder die wichtigen
Dinge, die seit Tagen und Wochen liegen bleiben, weil man die Zeit nicht hat.
Rechnungen, Behördenpapiere, Anrufe. Für Freizeitfreuden wie Einkaufbum42
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mel, Restaurantbesuch oder Kino reichen Zeit und Energie schon lange nicht
mehr. Und die Gelegenheit, dass sogar beide Elternteile grade etwas davon
aufbringen können, gibt es fast nie.
Man kann natürlich einen Babysitter anheuern. Claudia verzieht das Gesicht.
Ihr gefällt der Gedanke nicht, ihre Kinder mit jemand Fremdem allein zu
lassen. Aber irgendwann war es dann doch mal dran. Ihr Mann plante einmal
ein schönes Essen. Der Babysitter war also bestellt, die Kinder versorgt. Die
letzten Erledigungen im Haushalt sind gemacht. Als es dann daran gehen soll,
sich fürs Restaurant schön zu machen, lässt die Energie schon wieder nach.
Man könnte ja auch entspannt ein bisschen Fernsehen und dann früh schlafen
gehen. Dann hat man auch mehr Energie für den nächsten Tag. Man schaut sich
an und weiß genau, was der andere denkt: Heute Abend nicht mehr.
Natürlich ändert sich der Alltag auch mit dem Älterwerden der Kinder. Wenn
sie noch ganz klein sind, schlafen sie so viel, dass man zwischendurch mal eine
Stunde Ruhe hat. Dafür ist die restliche Zeit so anstrengend, dass man in dieser
Zeit nur schlafen will. Später kommen immer neue Herausforderungen hinzu,
die Kinder werden aber auch selbstständiger. Doch genug Zeit für Zweisamkeit
bleibt selten. „Wenn wir dann mal richtig ausgehen – tanzen oder mit Freunden feiern – holt es uns jedes Mal wieder ein“, erzählt Stefanie mit bitterem
Gesicht. „Ein paar Mal haben wir das gemacht. Aber wenn man dann um fünf
wieder nach Hause kommt, kann man fest davon ausgehen, dass die Kinder an
diesem Morgen um halb sechs wach sind.“ Die nächsten drei Tage hat man dann
noch was vom Schlafentzug dieser Nacht. „Also haben wir damit aufgehört.“
Die gemeinsame Zeit wird also hauptsächlich dazu eingesetzt, den Alltag mit
den Kindern durchzuorganisieren, zu besprechen und mit den Erledigungen
hinterherzukommen. Man könnte sich also denken, dass die fehlende Zeit
füreinander an der Beziehung zehrt. Offenbar verhält es sich mit Kindern anders, weil dieser Mensch als gemeinsames Projekt der beiden angesehen wird.
„Wenn man sich selbst in ihnen wiedererkennt, geht uns beiden das Herz auf
egal, wie gestresst wir sind.“ Man geht gemeinsam den „Leidensweg“, um den
Kindern alles zu geben. Es gibt nichts, was einen so eng zusammenschweißt.
Die Beziehung verändert also ihr Gesicht vom romantischen zweisamen
Beisammensein zum gemeinsamen Meistern und Gestalten des Alltags. Und
in dieser Art von Beziehung lernt man den Anderen dann erst richtig kennen.
„Die Kinder sind das Beste, was meiner Ehe passieren konnte.“
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Nur Feuer
Campari oder Bier?
Wenn ich morgens aus der Türe geh‘
Und schon den ersten schönen Menschen seh‘
Entdeck ich gleich mein‘ Mann in spe
Im Bus tret ich dir auf den Zeh
Du sagst: "Nicht schlimm tat gar nicht
weh!"
Du fragst mich: "Gehen wir mal aus?"
Wir kriegen Kinder, Hund und Haus
Ich kann nicht ungeschminkt zum
Einkaufen gehn'
Vielleicht wird dort die wahre Liebe
steh'n!
Wenn meine Haare dann nicht top
ausseh'n
Könnte was Großes mir entgeh'n
Wenn wir abends in der Bar rumsitzen
Und deine Augen zu mir rüber blitzen
Fängt mein Gehirn an los zu flitzen:
Du trinkst den gleichen Schnaps wie ich
Ich sag "Zufälle gibt es nicht!"
Du stimmst mir zu und kniest dich hin
zückst einen gold‘nen Ehering
Ich kann nicht ungeschminkt zum
Einkaufen geh'n
Vielleicht wird dort die wahre Liebe
steh'n!
Wenn meine Haare dann nicht top
aussehn
Könnte was Großes mir entgehn
Ich frage dich:
"Hast du mal Feuer?"
Du sagst, das sei dir nicht geheuer
Du hättest gleich bei dir gedacht
Ich hätte dich so angelacht
Und dann noch meine Körpersprache:
Das mit uns wär ne klare Sache
Ich frag mich
Was ist denn hier los?
Das find ich gar nicht grandios
Kommt für die Menschen heut zutage
Ein bisschen Spaß nicht mehr infrage?
Oder falln mir ständig bloß
Die falschen Leute in den Schoß?
Aber ich kam gar nicht ran an den Zeh
von dir
Außerdem trinkt ich Campari und du
ein großes Bier
Aber das macht gar nichts denk ich mir
Die nächste große Liebe steht bestimmt
schon vor der Tür
Wir könnten mal ein‘ trinken gehen‘
Und uns dann täglich wiedersehn‘
Bald darauf schenkst du mir dein Herz
Alter, das ist ja wohl ein Scherz
Und da ist guter Rat jetzt teuer
Denn Mann ich wollte doch nur Feuer!
Wir könnten mal ein‘ trinken gehen‘
Und uns dann täglich wiedersehn‘
Bald darauf schenkst du mir dein Herz
Alter, das ist ja wohl ein Scherz
Denn Jung ganz ehrlich mal
Ich bin kein Heiratsmaterial
Ich kann nicht ungeschminkt zum
Einkaufen gehn‘
Vielleicht wird dort die wahre Liebe
steh'n!
Wenn meine Haare dann nicht top
aussehn
Könnte was Großes mir entgehn
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Ich frag dich:
"Hättest du gern Spaß?
Denn für den Spaß da weiß ich was
Wir flüchten gleich aus dem Gedränge
Hinaus aus der besoffnen Menge
Denn außer Bier und Schnaps und so
Macht bisschen Blödsinn einfach froh!"
Wir könnten mal ein‘ trinken gehen‘
Und uns dann täglich wiedersehn‘
Bald darauf schenkst du mir dein Herz
Alter, das ist ja wohl ein Scherz
Denn was der Herr völlig vergaß:
Ich wollte nur ein bisschen Spaß!
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Kuscheltierhase, Gummihai, Stoffpenis
Der aus Holz geformte Schriftzug „relax“ verziert eine gläserne Eingangstür.
Die Öffnungszeiten lassen sich darunter auf einem Schild ablesen. (Mo. und
Mi. von 15:00-18:00 Uhr, Termine nach Vereinbarung). Sonnenstrahlen
scheinen durch das großzügig mit Plakaten dekorierte Schaufenster auf den
hellbraunen Parkettboden. Fotos von grinsenden Promi-Gesichtern, wie das
von Boris Becker oder Cameron Diaz, hängen an einer Magnetwand, die auf
einer grauen Wand angebracht ist. Gleich neben den Promi-Bildern sind Muster
von Hauttonfarben in verschiedenen Farbabstufungen angeheftet. Auch ein
Schminktisch mit unzähligen Make-up Artikeln schmückt den Raum. Rechts
davon ein gepolsterter Barhocker, der zu einem beleuchteten Schminkspiegel
hin ausgerichtet ist. Der ganze Raum ist in einem schlichten Grauton gehalten.
Es wirkt alles sehr sorgfältig platziert und irgendwie an Ort und Stelle. Ich bin
zu Besuch bei der „Agentur Anziehungskraft“. Doch wie bin ich hier gelandet
und was genau passiert hier eigentlich?
Etwa drei Stunden zuvor wurde ich beim durchblättern der Zeitschrift
„Nadann“ unter der Kategorie „Sehnsucht“ auf eine Anzeige aufmerksam, die
folgendermaßen betitelt war - „Flirtkurs: Nie wieder sprachlos! Jetzt Anmelden - noch Plätze frei“. Mein Interesse war sofort geweckt mehr über diesen
Kurs zu erfahren, beziehungsweise über die Person, die hinter dieser Anzeige
steckt. Ich vereinbarte ein Interview mit der selbst ernannten Flirtexpertin.
Bianca Büning ist Mitte dreißig und seit 2011 selbstständig als Coach und
Typberaterin tätig. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin hat bereits
eine 10 jährige Berufserfahrung als Marketing & Vertriebsassistentin. Bei
unserem Treffen erzählt Sie mir begeistert von Ihrem, auf den ersten Blick
doch ungewöhnlich erscheinende Berufswahl. Auf die Frage, wie Sie zu diesem
Beruf gekommen ist, muss sie ein wenig schmunzeln. Sie war selbst über eine
lange Zeit Single und hat sich im Online-Dating ausprobiert, wurde daraufhin
immer wieder von Männern gefragt: „Mensch, ich weiß immer nicht was ich
einer Frau schreiben soll“. Sie erkannte die Marktlücke und kam so auf die
Idee, Männern und auch Frauen dabei zu helfen einen offeneren Umgang
miteinander zu ermöglichen und zu vermitteln. Das Angebot an Kursen und
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Seminaren ist groß aufgestellt. Es reicht vom Einzelcoaching für 69,-- €/Std.
bis hin zu verschiedenen Typberatungen, die mehrere Hundert Euro kosten.
Es werden aber auch Make-up Workshops, Kleiderschrankchecks und Stilberatungen angeboten, um nur einige der Kursangebote aufzuzählen. In den
Coaching-Kursen hilft Bianca Büning Ihren Klienten bei den unterschiedlichsten Anliegen. Das kann beispielsweise das Erstellen eines Online-Dating
Profils, die Beratung für das äußerliche Auftreten, das Trainieren von Small
Talk und Körpersprache mit dem anderen Geschlecht oder das Simulieren
eines bevorstehenden Speeddating sein.
Die Nachfrage von Coaching Sitzungen wird zu 90% von Männern wahrgenommen, wovon die meisten noch nie eine Beziehung und/oder auch noch
nie Sex hatten. „Das hatte ich nicht so auf dem Schirm“, erzählt Bianca Büning.
Diese Gruppe nennt Sie die „Absoluten Beginner“ abgeleitet von einem bekannten Song von David Bowie, der sich mit dem Tabuthema beschäftigt. „Das ist
jetzt so mein Klientel, mein Spezialgebiet“, betont sie. Die Altersstruktur der
Kursteilnehmer zieht sich von Anfang 20 bis Mitte 50.
Um zu demonstrieren, wie so eine Coaching Sitzung ablaufen kann, greift
Bianca Büning kurzerhand neben den Tisch und holt einen Silber schimmernden Stoffbeutel hervor. Mit einem etwas beschämenden Lächeln greift Sie in
den Beutel und zieht einen lustig daher grinsenden Stoffpenis hervor. „Das
hört sich jetzt ein bisschen esoterisch an“, aber um sein Problemthema auf
spielerische Art zu behandeln, soll der Klient sich eine von vielen zur Auswahl stehenden Figuren, aus dem Beutel aussuchen. Sie greift nach weiteren
Figuren die sich im Beutel befinden. Auf dem Tisch liegen jetzt alle Püppchen
ausgebreitet. Darunter ein Kuscheltierhase, ein Gummihai und ein Playmobilmännchen im Doktorkittel. Durch die Wahl einer bestimmten Figur sollen
die Eigenschaften des Klienten ermittelt werden, die dann auch auf die Problemthemen hinweisen. „Nehmen wir mal an, einer der Klienten entscheidet
sich für den süßen Stofftierhasen“. Seine Wahl könnte also darauf schließen,
dass er sich vielleicht gegenüber dem anderen Geschlecht zu schüchtern und
zurückhaltend verhält. Ebenso kann man auch sein Problemthema durch die
Wahl einer Figur definieren. So können zum Beispiel Themen wie „die letzte
Beziehung“ oder „Ich hatte noch nie Sex“ in einer ungezwungen Atmosphäre
besprochen werden. „Es ist niemals zufällig, was man sich aussucht“ erwähnt
die Expertin. Dieser Teil des Coaching nennt sich „Die Aufstellung“ und dient
als eine Art Warm-up.
Nach den Seminaren oder Einzelcoachings sind die Beteiligten meist total
euphorisch und gestärkt, mit mehr Mut in die Welt hinaus zu gehen. „Ich habe
neulich noch zufällig einen ehemaligen Klienten getroffen und ihn gefragt, wie es
denn so in letzter Zeit gelaufen ist. Er war wirklich vor 2 Jahren bei mir“ betont
Bianca. „Bei ihm kam jetzt ganz klar die Rückmeldung, es hat sich noch nichts
geändert“. Gerade weil es sich bei den meisten Klienten um die schwierige
Gruppe der „Absoluten Beginner“ handelt, hängt der weitere Erfolg nach den
Seminaren und Coachings von der Eigeninitiative und Motivation der Klienten
selbst ab. Aber auch finanzielle Probleme, familiäre Angelegenheit und oft
auch eine begleitende Therapie spielen eine große Rolle erklärt Bianca Büning.
Das Interview mit der Flirtexpertin neigt sich dem Ende zu und ich stelle Ihr
zu guter Letzt die Frage, was sie überhaupt antreibt, diesen Job auszuüben?
Nach kurzem Innehalten erwidert sie, „Mein größter Wert im Leben ist die
Liebe. Sie steht an erster Position, sei es jetzt zur Familie, zu Freunden oder
zum Partner, und wenn ich das irgendwie weitergeben kann und das Leben
eines Klienten dadurch erfüllter wird von Liebe, dann gebe ich das gerne weiter.“
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Tagträume bei Nacht
Als sich das erste Mal unsere Blicke trafen
Hab ich es dir nie verraten
Ich konnte nachts nicht mehr einschlafen
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Vielleicht bist du der Deckel und ich der Topf
Tagträume bei Nacht
Hab Zigaretten aber keinen Schmacht
Zähle Schäfchen bis zur Unendlichkeit
Durch dich vergesse ich Raum und Zeit
Du sollst nur wissen, dass ich an dich denke
Jede freie Minute an dich verschenke
Ob es dir wohl genauso geht?
Und für uns beide Hoffnung besteht
Ich will gemeinsam mit dir Geschichten schreiben
Erinnerungen die ewig bleiben
Wie wir beide nebeneinanderliegen
Und Stunden wie im Schlaf verfliegen
Ich meine Augen schließe
Und den Moment mit dir genieße
Du sollst nur wissen, dass ich an dich denke
Jede freie Minute an dich verschenke
Ob es dir wohl genauso geht?
Und für uns beide Hoffnung besteht
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Soundtrack meines Lebens
Du klingst anders und das mag ich an dir
Auf meinem Mixtape - Track-Nummer vier
Du bist etwas besonders
Mein Highlight jeden Sommers
Dein Beat geht Tick-Tack
Du bist genau mein Musikgeschmack
Du bist mein absolutes Lieblingslied
Läufst dauernd auf Repeat
Keine Melodie berührt mich so wie deine
Manch einer sucht dich vergebens
Du bist der Soundtrack meines Lebens
Berauscht von deinen Klängen
Losgelöst von allen Zwängen
Tanzen wir total beknackt
Neben der Spur und nicht im Takt
Euphorie macht sich breit
Das hier wird unsere Zeit
Du bist mein absolutes Lieblingslied
Läufst dauernd auf Repeat
Keine Melodie berührt mich so wie deine
Manch einer sucht dich vergebens
Du bist der Soundtrack meines Lebens
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Bis dass der Tod Euch scheidet?
Das Fenster ist gekippt, fühlt sich an wie ein Luftballon, aus dem langsam die
Luft entweicht. Und man ist froh drum. Das Gemisch aus Gerüchen von Desinfektionsmittel, Kantinenessen, älteren und kranken Menschen führt einem
immer wieder vor Augen, wo man sich befindet. Schnell das Fenster kippen ...
Herr F. hatte sich zunächst den Oberschenkelknochen gebrochen. Als dieser
gerade verheilt war und er sich mit dem Rollator wieder frei bewegen konnte,
stürzte er erneut und zog sich einen dreifachen Beckenbruch zu. Wieder
Krankenhaus, wieder Reha. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Er: Jahrgang 1926, seine Frau: vier Jahre jünger. Sie kommt nicht täglich, zu
hoch ist die psychische Belastung mittlerweile. Wenn sie ihn besucht, dann
in Begleitung eines ihrer drei Kinder. Die beiden haben einen Sohn und zwei
Töchter erfolgreich groß gezogen. Er war Postbeamter, sie Hausfrau und
Mutter. Es herrschte die klassische Rollenverteilung. Doch zuletzt ging es
zunehmend bergab mit Herrn F., die Anzeichen einer beginnenden Demenz
waren nicht mehr zu ignorieren. Früher hatte er alles selber erledigt und auch
handwerklich war er sehr geschickt. Vor ein paar Jahren mussten die beiden
dann den liebevoll gehegten Schrebergarten verkaufen, weil es körperlich
nicht mehr so ging. Seitdem ging er ihr zu Hause mit seiner Langweile auf die
Nerven. Als dann auch noch die Schwerhörigkeit dazu kam, wurde es schwierig.
Herr F. schaltete bei jeder Gelegenheit seine Hörgeräte aus. So konnte ihn
nichts mehr erreichen, seine Frau eingeschlossen. Einige Zeit später war sein
Gehirn die ständige Reizüberflutung bei eingeschalteter Hörhilfe nicht mehr
gewohnt, jedes Geräusch trieb ihn in den Wahnsinn. Das Problem wuchs, als
die zunehmende Abschirmung von Reizen von außen die Demenz vorantrieb.
Auf Frau F.‘s Mahnen, er solle die Geräte anmachen, reagierte er trotzig mit
Missachtung. Mittlerweile trägt auch sie welche. Und macht es ebenso.
Nun beschäftigt er sich schon seit einigen Stunden mit dem Speiseplan für
die kommende Woche – aus drei Menüs soll er eins für jeden Tag auswählen.
Vollkommene Überforderung. „Ich weiß sonst gar nichts, ich bin ja doof. Mit
so was habe ich ja noch nie was zu tun gehabt.“ Den Tränen nahe, sein Kopf ist
rot, den Blick hat er nach unten gerichtet. Er sieht niemanden an, schämt sich.
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Fühlt sich minderwertig. „Ich mach’ das jetzt für dich, ich weiß ja, was du magst.“
Frau F. geht die Liste durch. „Ja, danke“ entgegnet er ihr. Das mag er. Das nicht
... Leise spricht sie vor sich hin. Käsecremesuppe, Lachs, das Hähnchen nicht,
das ist oft so dröge. Herr F. hat indes den Kopf in seine Hände gelegt. Fisch
oder Germknödel will sie wissen. Er fasst sich ans Herz, das Gesicht verzerrt.
„Dann lieber den Fisch, Fisch Natur“, beschließt sie. Sein Blick geht ins Leere
und er schüttelt resigniert den Kopf.
Als Demenz wird im Allgemeinen das Nachlassen der Denkfähigkeiten und
Verlust der Gedächtnisleistung bezeichnet, welches auf einer Störung der
Kommunikation der Gehirnzellen beruht. Hauptsächlich betroffen ist dabei
das Kurzzeitgedächtnis, häufigster Grund für eine Demenz die Alzheimer-Erkrankung (ca. 60 Prozent). Daneben können jedoch auch z.B. Depressionen,
weitere Krankheiten oder Medikamenteneinnahme die Ursache sein. Das
Risiko an Demenz zu erkranken ist dabei statistisch gesehen für Frauen mit
einem Verhältnis von 3:2 höher als für Männer. Im Jahr 2010 waren ca. 16,8
Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland betroffen, bis 2040 wird ein
Anstieg auf 23,9 Prozent erwartet. Die betroffene Person bemerkt gerade im
Anfangsstadium seinen Verfall und realisiert sein Schicksal, was Depressionen
und Minderwertigkeitsgefühle zur Folge haben kann. Dies belastet selbstverständlich auch das Verhältnis zu Freunden und Familie. Da diese ohnehin mit
der Pflege des Erkrankten ausgelastet sind, sind die Personen in seinem Umfeld
enormer psychischer Belastung ausgesetzt – so auch bei Herrn F. Seine Frau,
selber Mitte 80, fand sich auf einmal in der Rolle der Pflegerin wieder. Die
Verstimmungen ihres Mannes trafen sie immer häufiger. Alles lud er an ihr
als die Person, die ihm am nächsten steht, ab. Dazu kamen die körperlichen
Beeinträchtigungen, welche Hilfe beim Waschen und auch dem Toilettengang
unumgänglich machten. Herr F. ist mittlerweile permanent müde, er möchte
um acht Uhr ins Bett gehen. Als problematisch stellte sich dabei heraus, dass
die gemeinsame Zwei-Zimmer-Wohnung neben dem Wohnzimmer, in dem das
Schlafsofa steht, auf dem er schläft, weil er schnarcht, nur noch ein weiteres
Zimmer mit ihrem Bett enthält. Wenn er sich nun zum Schlafen hinlegt, ist
sie gezwungen, sich in dem kleinen Zimmer aufzuhalten. Den Fernseher ganz
leise, sonst wacht er auf und das Gezeter geht los. Die Betten möchte er nicht
tauschen, das ist für ihn keine Option und so fügt sie sich ihrem Schicksal.
Obwohl sie sowohl körperlich als auch geistig vollkommen vital ist, lebt Frau F.
das Leben ihres Mannes. Zwangsläufig. Verlässt sie die Wohnung, um sich mit
ihren Freundinnen zu treffen, hat sie ihn als ständigen Begleiter im Hinterkopf.
Weil sie gleich, wenn sie wieder nach Hause kommt, von ihm mit Missachtung
gestraft wird. Dafür, dass sie ihn seiner Meinung nach wieder viel zu lange
alleine gelassen hat. Dabei war sie nur eine halbe Stunde bei der Nachbarin,
aber sein Kurzzeitgedächtnis spielt ihm einen Streich.
Die Tür geht auf, das Abendessen kommt. Viertel vor sechs. Herr F. atmet
schwer. Zwei Scheiben Graubrot, Wurst, Margarine, zwei Scheiben Tomate und
warme Milch in der Schnabeltasse. Die Luft im Zimmer ist warm, viel zu warm.
Draußen einer der ersten warmen Sommertage, drinnen läuft die Heizung.
Frau F. hat ihm sein „Bütterchen“ geschmiert und in neun Stücke geschnitten.
Stück für Stück auf die Gabel und ab in den Mund. Zu Hause hatte er sich immer
Grießbrei gekocht, jeden Abend ein Töpfchen. Zu Hause roch es immer nach
selbst gekochtem Essen. Und nach Vanille, weil das Frau F.‘s Lieblingsduft ist.
Sie fragt ihn, ob sie ihm mal Grießpudding mitbringen soll. Ja, das könne sie mal
machen, meint er. Drei Kinder haben sie zusammen großgezogen, mit warmer
Milch gefüttert. Jetzt muss er sie gereicht bekommen. Wenn sie nicht da ist
und auch keins der Kinder, muss er alleine essen. Letztens hatte er anstatt in
den Käse in die Serviette gebissen.
Kennen gelernt hatten sie sich 1946. Damals war sie 16 und Schülerin der
Mittelschule und er, 20, arbeitete als Postbeamter. Beide waren im Jugendkreis
der evangelischen Kirche engagiert. Dort traf man sich zur Bibelstunde, es
wurde gesungen und Theaterstücke aufgeführt. Der Pastor wollte Jungen und
Mädchen immer trennen, geklappt hatte das nur mäßig, denn auf der Straße
traf man sich dann doch wieder. Es gab kein Fernsehen. Man ging raus, sie lud
ihn ins Theater ein. Die Karten hatte sie in der Schule bekommen. So ging das
zwei Jahre, sie trafen sich unverbindlich im Kreis der Freunde, gingen ins Kino,
unternahmen Radtouren bis nach Schloss Burg oder schwammen im Baldeneysee. „Was man so als Jugendlicher da so gemacht hat, man war durch die Kriege
ganz bescheiden geworden“, fasst Herr F. es zusammen. An die Vergangenheit
kann er sich gut erinnern, und wenn er so erzählt, spürt man nichts von seiner
Krankheit. Ein üblicher Verlauf. In den späteren Stadien der Demenz ist allerdings zu erwarten, dass diese auch vor den lang gehegten Erinnerungen keinen
Halt machen wird. „Dass man sich einfach ins Kino gesetzt und geknutscht
hat – das gab es nicht.“ Mit 18 und 22 kamen sie dann zusammen. Aber alleine
zu Hause treffen konnten sie sich auch dann noch nicht. Sie wohnte mit ihrer
vierköpfigen Familie zusammen in einem Zimmer. Er hatte zusammen mit
seinen Eltern zwei Zimmer. Daher fassten die beiden im Alter von 21 und 25
den Entschluss zu heiraten, um eine eigene gemeinsame Wohnung beziehen
zu dürfen. Ganz unromantisch, ganz rational, kein Heiratsantrag. Schließlich
wollten sie zusammenbleiben und hatten immer gespart, um sich Möbel kaufen zu können. So schwer nachvollziehbar es auch scheint, aber sie sind sich
einig: Die Zeit war damals freier. Zunächst heirateten sie standesamtlich und
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ein halbes Jahr später kirchlich, denn das war notwendig, um gemeinsamen
Urlaub machen zu dürfen. Auf der Hochzeitsreise passierte es schließlich, sie
wurden schwanger. Völlig unerwartet, denn zwei Ärzte hatten Frau F. gesagt,
sie müsse sich erst operieren lassen, bevor es mit Kindern klappen könne. Zwei
weitere Kinder folgten, ohne Komplikationen.
Die Kirchturmglocke schlägt, es ist sieben Uhr. Die beiden schwelgen gemeinsam in Erinnerungen. Damals wurde noch alles zu Fuß erledigt. Unerlaubt in
der Ruhr geschwommen. Die Stimmung ist plötzlich gelöst. Früher hatte Frau
F. viele ihrer Kleidungsstücke selbst genäht („Wir hatten ja nix ...“, wirft sie ein,
ich muss grinsen und mache sie auf ihren klischeehaften Spruch aufmerksam),
und er kann sich an jedes ihrer Kleider erinnern. Sie lachen gemeinsam und Herr
F. schenkt seiner Frau ein Ferrero Küsschen. Guten Freunden gibt man doch
ein Küsschen. „In der Hoffnung, dass so was nicht wieder kommt, verbleiben
wir mit freundlichen Grüßen“, scherzt Herr F. völlig unerwartet. Seine Laune
hat sich in kurzer Zeit um 180 Grad gedreht und ich wurde Zeuge eines der
häufigen Symptome der Demenz – Stimmungsschwankungen.
Das gemeinsame Schicksal? Ungewiss. In einer Woche kann er bis auf
Weiteres wieder nach Hause. Als er ins Krankenhaus kam, war Frau F. erst
mal froh, dass sie die Verantwortung abgeben und sich erholen konnte. Mittlerweile vermisst sie ihn und will ihn wieder zu Hause haben. Dann wird er
ein gesichertes Krankenbett in das kleine Zimmer gestellt bekommen. Und
sie schlafen wieder in einem Raum. Solange sie noch kann, wird sie sich um
ihn kümmern. Und über das, was danach kommt, will sie sich solange es geht
noch keine Gedanken machen.
Herr F. blickt auf die Uhr. „Oh, schon halb elf.“ Eigentlich ist es erst zwanzig
nach sieben. „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“ Der Krankenhausmief
ist nun aus dem Zimmer. Frau F. schließt das Fenster, wir gehen. Von Weitem
kommt es ganz schwarz. Morgen soll aber wieder die Sonne scheinen.
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Sandburgen
Er nahm ihre Hand, dann sah er sie an
Da war es passiert, er war jetzt ihr Mann
Zehn Jahre später, da war er nicht da
Vergessen der Schwur, sie strich durch ihr Haar
Und wenn du nicht mehr daran denkst, passiert ein Wunder
Erzwingen lässt sich nichts, denk daran
Baust du wieder Luftschlösser, komm lieber runter
Und zieh in eine Sandburg ein
Zwanzig Jahre später, sie glaubte es kaum
Stand er vor ihr im Regen, ein einziger Traum
Als wär nichts gewesen, nahm er ihre Hand
Seitdem unzertrennlich
– der Sandkastenmann
Und wenn du nicht mehr daran denkst, passiert ein Wunder
Erzwingen lässt sich nichts, denk daran
Baust du wieder Luftschlösser komm lieber runter
Und zieh in eine Sandburg ein
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Liebe erwischen
Tinder. Dieses Wort höre ich zum ersten Mal, kurz, nachdem ich mich von
meinem Freund getrennt habe, eine Empfehlung von Freunden. Im Nachhinein kann ich mir nicht erklären, wie sie bis dahin an mir vorbeigehen konnte,
die App mit inzwischen 2 Millionen deutschen Nutzern, die eine neue Art zu
daten verspricht.
Ich melde mich schließlich an. Wenn so viele von meinen Freunden Tinder
benutzen, muss es etwas haben, denke ich, vielleicht ein netter Zeitvertreib.
Nachdem ich technische Schwierigkeiten überwunden habe, die neuesten
Facebook- und Tinder-Apps heruntergeladen habe und mein Handy auf meinen
Standort zugreifen lassen, tinder ich los.
Das Profil ist schnell angelegt, das Alter wird per Facebook erkannt.
Bilder, mit denen ich mich präsentieren möchte, darf ich nur aus meinen
Facebook-Ordnern wählen. Die Möglichkeit, einen kleinen Text über mich
zu schreiben, ignoriere ich. Für andere sind jetzt meine Bilder, Name, Alter
und Wohnort zu sehen. Und klar ist auch: Ich bin Single. Ein eindeutiges
Profil, keine komplizierten Fragebögen, die mir versprechen, einen perfekten
Partner zu finden.
In den Einstellungen passe ich dann noch schnell die Suchoptionen (Umkreis,
Alter, Geschlecht) an, dann kann es losgehen.
Ein Foto springt auf. Und ihm folgen Dutzende. Fotos, von Männern, die mir
äußerlich nicht zusagen oder in ihrem Text nur darüber schreiben, wie groß
und sportlich sie sind. Bis schließlich auch manche Profile angezeigt werden,
die mir zusagen. Schnell gibt es „Matches“, was nicht direkt heißt, dass man
Kontakt zueinander aufnimmt. Es entsteht nur die Möglichkeit dazu. Trotz der
hohen Anzahl der schnell gesammelten Matches und der Gewissheit, dass man
sich äußerlich nicht abstoßend findet, schreibe ich höchstens mit der Hälfte
von ihnen, schnell bricht der Kontakt ab.
Nachdem mir erneut die Frage gestellt wird, wonach ich bei Tinder suche,
stelle ich mir diese Frage selber. Und komme zu dem Entschluss, dass ich sie
nicht eindeutig beantworten kann. Keine Beziehung, keine One-Night-Stands,
keine Freundschaft. Ich entscheide mich schließlich dazu, die Antwort auf
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diese Frage im echten Leben zu suchen und beende meinen Tinder-Ausflug.
Da ich mich frage, welche Erfahrungen andere mit der App sammelten, mache
ich mich auf die Suche nach Geschichten. Schnell muss ich feststellen, dass
Tinder zwar sehr verbreitet ist, jedoch kaum jemand offen darüber redet, die
meisten behaupten, die App zwar installiert zu haben, aber kaum zu benutzen.
Oder bisher nur uninteressante Gespräche geführt zu haben. Doch dann treffe ich
Anna. Anna ist 20, studiert Kulturwissenschaften in Hildesheim, Schwerpunkt
Literatur und hat sich im Dezember 2014 ein Tinderprofil zugelegt, nachdem
ihr eine Freundin zum dritten Mal davon erzählte, sagt sie.
Anna ist relativ groß und wirkt selbstbewusst. Wenn ich sie etwas frage,
überlegt sie vorher genau, was sie sagt, achtet auf ihre Worte, wirkt aber locker
dabei. Für sie scheint es vollkommen normal zu sein, Tinder zu benutzen. Was
sie erlebt hat, hätte sie sich jedoch nicht erhofft.
Zu dem Zeitpunkt, als sie die App installierte, war sie in keiner festen
Beziehung, erwartete aber auch nicht, diesen Zustand per Tinder zu ändern.
Was sie sich vor allem erhoffte, war ein Zeitvertreib für lange Zugfahrten oder
Sonntagabende. Nichts erwartend, aber auch nichts gegenüber abgeneigt.
Profilbilder wählte sie unterschiedliche, die sie in verschiedensten Situationen
zeigten, jedoch keine Ganzkörperfotos. In ihrem Text schreibt Anna nur kurz,
woher sie kommt, dass sie studiert und was sie mag. „Bier, Musik, Festivals und
Seifenblasen“. Sehr reduziert. Dass sie in der App auf ihr Äußeres reduziert wird,
glaubt sie jedoch nicht. Zumindest nicht, nach der ersten Entscheidung und
bei ehrlichem Interesse. Für sie zählt eher das Schreiben, der Austausch von
Wörtern, Gedanken. Daran merkt sie dann auch schnell, ob der Chatpartner
ihr gefällt, ob es vielleicht zu einem Treffen kommt.
Auch Anna stellt schnell fest, dass es ermöglicht wird, in kürzester Zeit dutzende Männer kennenzulernen. Angenehm findet sie, dass die erste Barriere
genommen wird, dadurch, dass man die Gewissheit hat, dass eine gewisse
Sympathie besteht. Oft brach der Kontakt jedoch schnell ab.
Insgesamt vier Dates hatte Anna, seitdem sie sich bei Tinder angemeldet
hat. An die Treffen stellte sie keine hohen Erwartungen, sie wollte einfach
gucken, was kommt. HIER FEHLT WAS? Wer weiß, ob es dann zu einem
Treffen gekommen wäre.
Anders als Anna erging es Paula, 20, aus Köln. Sie wird im Sommer eine
Ausbildung im Hotelfach beginnen.Ich würde sie als attraktive, junge Frau
beschreiben, die bestimmt keine Probleme hat, Männer kennenzulernen.
Ihre Einzimmerwohnung in der Kölner Altstadt ist detailliert dekoriert, an
der Kleiderstange hängen bunte Sommerkleidchen. Sie wirkt fröhlich, aber
um richtig glücklich zu sein, fehlt ein Partner, sagt sie. Um die Suche nach
diesem zu erleichtern, meldete sie sich vor einigen Monaten bei Tinder an.
Dort sei es leicht, Kontakt aufzunehmen, die Auswahl groß. Ihre Ansprüche
seien zwar hoch, aber äußerlich sagen ihr einige Männer zu, sagt sie uns lässt
mich einen kurzen Blick auf die Liste ihrer aktuellen Matches werfen. Keine
schlechte Ausbeute.
Doch geklappt hat es bisher mit keinem von ihnen. Da gab es z.B. Alexander.
Zunächst schien alles zu passen. Wochenlang wurde geschrieben, stundenlang
telefoniert, bis es schließlich zum ersten Date kam. Zu diesem Zeitpunkt hatten
beide bereits die App gelöscht, für den anderen. Das Date läuft gut, Paula denkt,
dass sie wahrscheinlich sogar zusammenkommen. Doch dann geht irgendwie
alles zu schnell, es kommen Meinungsverschiedenheiten auf. Man erwartet
Unterschiedliches – und ebenso schnell wie Paula Alexander kennenlernte,
streicht sie ihn auch wieder aus ihrem Leben. Und installiert die App erneut.
Über Alexander denkt sie nicht mehr lange nach, an seine Stelle tritt bald
ein neues Match, die ersten Dates laufen gut. Aber auch hier müssen beide
sich irgendwann eingestehen, dass sie nicht richtig zusammenpassen. Paulas
Suche geht also weiter, bisher ohne Erfolg.
Für Paula ist es kein Problem, viele Männer kennenzulernen, egal ob in
der Realität oder mithilfe von Tinder. Letztendlich zeigt sich erst nach dem
ersten Aufeinandertreffen, wie gut man zusammenpasst. Nur kann man sich
bei Tinder zurechtlegen, was man schreibt, muss nicht direkt reagieren, das
gibt Sicherheit. Am Ende bedeutet Tinder für Paula eine Abwechslung, keine
erhöhte Erfolgschance.
Die Geschichten von Anna und Paula zeigen, dass es eben doch so ist, dass
man Liebe manchmal dann findet, wenn man nicht damit rechnet. Deswegen
sollte Tinder nicht zu ernst genommen werden. Trotzdem darf alles einkalkuliert werden. Genauso wie es möglich ist, One-Night-Stands bei Tinder zu
finden, versteckt sich dort manchmal auch die große Liebe.
Außerdem fällt es leichter bzw. wird es erst ermöglicht, Menschen kennenzulernen, zu denen man in der Realität keinen Kontakt aufnehmen würde.
Denn über Tinder erhält man gleich das Signal, dass das Gegenüber einen
sympathisch findet.
Tinder ist allem in allem also ein interessanter Zeitvertreib, der für Überraschungen gut ist. Und man ist nicht mehr gezwungen, in die Bar zu gehen, um
eine nette Unterhaltung zu führen.
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Lieblingsmensch
Kölner Gold
Denke auf dem Klo: was ein guter Tag
Und dabei so froh dass ich wirklich
alles hab
Im kalten Februar will fliehen aus der
Zertanzte Schuhe, doch kein bisschen
Stadt
Die grad nur Schminke und Bier zu matt
bieten hat
Am Morgen auf den Trümmern der Stadt
Packe sieben Sachen drei Schritte zum
Gleis acht
Schweigen ist Gold, die Wahrheit kannte
Dass ich bleib hat dann deine SMS ich nicht
geschafft
Denn Gold schenkt uns Köln, nur durch
sein Licht
"Geht ihr als Stress?", der einzige Satz
Eli mit mir aufm Weg, Chlodwigplatz Heut werde ich nur zu deiner Musik
Weiß, dass ich heut von nichts die Fin- tanzen
ger lass
Der Tod der Nacht wird dann alles
zerstören
Zertanzte Schuhe, doch kein bisschen Denke ich noch bevor die Sonne dann
matt
aufgeht
Am Morgen auf den Trümmern der Stadt Doch wir tanzen blind weiter, noch bis
halb zehn
Schweigen ist Gold, die Wahrheit kannte
ich nicht
Und berühren sich jetzt unsere Lippen
Denn Gold schenkt uns Köln, nur durch Schmeckt das nicht nur nach Kippen
sein Licht
Zertanzte Schuhe, doch kein bisschen
Eine Reise, die durch Bars und Kioske matt
führt
Am Morgen auf den Trümmern der Stadt
Uns lenkt und am Ende nur uns gehört
Rauche Freiheit durch die Lucky Strike Schweigen ist Gold, die Wahrheit kannte
will nur rennen
ich nicht
Da sind Leute die, denken dass wir uns Denn Gold schenkt uns Köln, nur durch
schon ewig kennen
sein Licht
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Erinnerst du dich an die tausend Stunden?
Sobald die Sonne rauskam, an den
Knien die Wunden
Wo du mir zeigst, dass der erste Eindruck nicht zählt
So lang man nicht die Liebe wählt
Spürte immer den ersten Kuss
Kam dann zu spät, doch ließ mich
nicht los
Bis wir den Zweiten zu Weihnachten
hinrotzten
Im Gespräch danach dann nur noch
Gemotze
Kenn dann mehr und mehr von dir
Wird zum Geheimnis und Glauben
von mir
Deine Bücherdiebin klaut mein Herz
Und Melancholie schreit der "richtige
Schmerz!"
Du gabst mir eine Knarre, ohne den
Schuss zu verlangen
Wusste nicht, wohin wir so jemals
gelangen
Wusste nicht, dass sich Wellen im
Meer nie legen
Für all das werd ich dir immer vergeben
Du gabst mir eine Knarre, ohne den
Schuss zu verlangen
Wusste nicht, wohin wir so jemals
gelangen
Wusste nicht, dass sich Wellen im
Meer nie legen
Für all das, werd ich dir immer vergeben
Die Narbe eine der Guten
Schmerzt nicht mehr, gibt nur Mut
Auf dem Festival das Handy in die Luft
genommen
"HOFF ES GEHT DIR GUT; DA WO
DU BIST!"
Seh inzwischen die drei Worte nur
verschwommen
Immer gewusst, dass uns das nie ganz
verlässt
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Die Quelle der Liebe
An einem Ort wie diesen bedeutet hinter der Theke vor der Theke. Wer hier
seinen Arbeitsplatz wählt, muss damit rechnen, dass sein Gehalt gleich nach
Feierabend wieder ausgegeben oder die große Liebe gefunden wird.
Freitagabend, 22 Uhr. Die erste Sommerwärme lässt es zu, dass ich nicht den
Haupteingang, sondern gleich den Nebeneingang zur Terrasse nutze. Das rege
Treiben der kleinen Gaststätte namens “Umtrunk“ (Name geändert) ist bereits
aus weiter Ferne zu hören. Bunte Lichterketten hängen in den Bäumen und
elektronische Musik ertönt dezent aus zwei kleinen Boxen an der Hausfassade.
Wer die Stadt Bergisch Gladbach kennt, dem ist auch das “Umtrunk“ sofort ein
Begriff. Ich selbst kenne das Lokal schon seit einigen Jahren, zähle jedoch nicht
zu den Leuten, die dieses regelmäßig besuchen. Die kleinen Paargeschichten
der Gaststätte konkurrieren allerdings schon lange mit den Geschichten der
Stadt. Personal und Gast stehen hier in besonderem Verhältnis zueinander.
Ich treffe mich heute mit einem der beiden Köche des Lokals. Timo (Name
geändert) ist Anfang 20 und diesmal selber als Gast bei seiner Arbeitsstätte. Ich
sehe ihn an einem der großen Klapptische sitzen und zu meiner Überraschung
in voller Gesellschaft. Jeder der knapp acht langen Tische ist besetzt. Das
Durchschnittsalter geschätzte 18 Jahre. Ich schiebe mich durch die sitzende
Menge trinkender Leute. Der bunte Kiessand unter meinen Füßen knirscht
laut und die Hitze der Heizpilze schlägt mir ins Gesicht. Als ich den Tisch von
Timo erreiche, ertönt es lauthals: „Jenny ist das Herpes!“ Schallendes Gelächter
ertönt in der Runde. Timo schiebt einen der Holzklappstühle an die Ecke des
Tisches und ich nehme Platz.
Der Tisch ist bedeckt mit Biergläsern. Die einen halb voll, die Mehrzahl jedoch
leer. Ein Keks steckt in dem überquellenden Aschenbecher und aufgeweichte
Servierten und leere Pommes-Schalen schwimmen in kleinen Bierpfützen über
das dunkle Holz. Kerzen in Papiertüten und Decken gegen die frische Abendluft
sorgen dabei für eine eher gemütliche Atmosphäre. Das junge Mädchen, das gerade
zum “Herpes“ ernannt wurde, nimmt einen tiefen Schluck Bier und schüttelt
den Würfelbecher mit wahrnehmbarer Spannung. Sieben! Ein schmaler Typ mit
dunklen Haaren und halb geöffneten Hemd, verdreht die Augen und jault ein
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unüberhörbares: „Nicht schon wieder!“ Es folgt ein kräftiger Schluck.
Timo erzählt mir, dass dies ein sehr beliebtes Trinkspiel sei. Jeder Spieler wird
einer Zahl zugeordnet. Das arme “Herpes“ muss bei bestimmten Zahlkombinationen sein Glas komplett leeren, es sei denn, jemand anderes wird dazu ernannt.
Ich blicke mich um und stelle fest, dass auch an den anderen Tischen “Herpes“ im
vollen Gange ist. Die Leute kreischen herum und schütteln sich vor Lachen. Am
Nachbartisch wird unterdessen eifrig ein Turm aus leeren Zigarettenschachteln
gebaut. Ein amüsanter Anblick und keiner scheint sich wirklich ernst zunehmen.
Das “Umtrunk“ ist ein beliebter Treffpunkt der Bergischen Jugend und
steckt zugleich voller Tradition. Während die älteren Stammgäste vor allem
zum Fußballgucken kommen, genießt die junge Generation das Flirtleben mit
allen Facetten. Getrunken wird dabei ausschließlich Kölsch.
Laut Timo geht es hier am Wochenende immer so wild zu. Spätestens nach
23 Uhr ist in der Regel keiner mehr nüchtern. Ich bestell mir bei der nächsten
Runde ein Bier mit. Die junge Bedienung kennt die Gäste gut. Während sie das
Bier auf der Anschreibliste vermerkt, scheppern gleich drei Gläser irgendwo
zu Boden.
In einer Spielpause erzählt mir der Koch, dass er bereits seit zwei Jahren
hier im “Umtrunk“ arbeite. Ein Nebenjob. Ansonsten studiert er. In der Regel
absolvieren hier alle Hilfskräfte neben dem Job ihr Abitur. Es gibt lediglich
nur einen Festangestellten. Dass die Servicekraft nach Feierabend gleich den
Laden verlässt, kommt eher selten vor und auch er habe vor allem am Anfang
Erfahrungen mit finanziellen Verlusten machen müssen. Bis zu dreitausend
Euro Schulden sollen allein durch die Feierabendgestaltung bei manch einem
Angestellten erreicht sein. Ich blicke durch den verglasten Anbau zur Theke
rüber. Auch dort herrscht reger Menschenbetrieb. Knutschende Pärchen und
singende Gruppen und fast alle scheinen sich untereinander zu kennen. Ein
junger Mann spült Gläser, während das kleine Mädchen die Kundschaft an der
Bar bedient. Belustigt greift Timo zu seinen Zigaretten. „Jaja, die Zwei haben
sich auch vor einem Jahr hier kennengelernt. Die sind unzertrennlich. Belegen
immer dieselbe Schicht zusammen.“ Er zündet die Zigarette an, ich greife zum
Kölsch. Letzter Schluck. - Na so was! Die kleine Kellnerin kommt zu mir und
stellt mir überraschend ein neues Bier auf den Tisch. „Hat dir der Typ da vorne
ausgegeben. Der mit dem Fahrrad.“ Ihrem schlanken Finger folgend, erblicke ich
nur noch einen davon radelnden Mann, der Richtung Bahnhof steuert. „Du fällst
hier auf!“, sagt Timo. Er zieht noch einmal kräftig an dem qualmenden Stängel.
„Doppelherpes!“, ertönt es in der Runde und der ganze Tisch fängt an zu jubeln.
„Durch das Umtrunk haben sich bereits viele Paare gefunden“, erzählt Timo.
„Nervig wird es nur, wenn sich die Paare untereinander zoffen, trennen oder
durch den Suff Scheiße bauen. Fremdgehen und so. Wenn die Servicekraft in
solchen Beziehungsdramen verwickelt ist, wirkt sich das oft auf die anderen
Gäste und den ganzen Laden aus. Jeder ist dann irgendwie darin verwickelt, weil
er als Beratung, Verursacher, Zeuge oder Gerüchtestifter seinen Senf dazugibt.
Die Stimmung ist dann am Boden, und wenn der Chef das mitbekommt, ist das
gar nicht cool. Dieses Chaos meine ich.“ Timo würfelt und ich muss trinken.
Das Mädchen neben mir setzt den Kritikpunkt fort: „Wenn man sich den Chef
anguckt, ist das doch alles kein Wunder! Der versucht doch auch immer bei
all seinen Angestellten zu landen. Stellt generell nur junge Mädchen ein, der
Jäck! Aber der hat auch kein Problem damit, wenn er lauter Körbe kassiert. Ist
halt selbst noch recht jung.“ - Zustimmung in der Runde! Die Würfel landen in
der Pommes-Schale. Ein Grund wieder kreativ zu werden und diese mit zwei
Zahnstochern heraus zu fischen.
Der Koch versucht mir zu erklären, wer sich an dem Tisch durch das “Umtrunk“
wie kennengelernt hat. Ich arbeite mit Zahlen und ziehe Verbindungslinien über
meinen Block. Vergebens. Solche verstrickten Paargeschichten habe ich noch
nie gehört. Mir wird klar, dass man in dieses Konstrukt von Freundschaft und
Liebesbeziehung reingeboren sein muss, um es zu verstehen. Ein Generationen
prägender Ort, der sich durch die Beziehungsgeschichten seiner Gäste ganz
besonders von anderen Gaststätten abhebt. Das Angebot des Lokals ist breit
gefächert. Oft werden Konzerte organisiert, Fußballspiele ausgestrahlt oder
auch private Feten in einem Nebenraum unterstützt.
„Die Pärchen kommen gerne zum gemeinsamen Trinken. Sind sie dann ohne
Partner unterwegs, kann sich auch schnell etwas Neues in Sachen Beziehung
ergeben. Eine Sache, von der generell abgeraten wird. Das sind dann die sogenannten “Stressphasen“. Später ist dann alles wieder gut.“, sagt Timo belustigt.
Als er versucht seine eigene Geschichte zu schildern, nehmen meine Aufzeichnungen fast schon mathematische Züge an. Eine Runde Schnaps geht auf mich.
Mittlerweile ist es 1:00 Uhr. Die ersten Drecksäcke (ein Mischgetränk aus
Cola und Bier) werden bestellt. Fast jeder an diesem Tisch hatte sich vorgenommen, heute nur zwei Bier zu trinken. Eine tendenzielle Unmöglichkeit.
Morgen arbeiten... Typisch “Umtrunk“!
Ich bekomme an diesem Abend gleich zweimal ein sogenanntes “Anonym-Bier“
ausgegeben. Oft wurde mir zugezwinkert oder ein Platz am Tisch angeboten.
„Zeit zu gehen“, denke ich. Ein Blick ins Portemonnaie bestätigt mir, dass man
hier nur finanzielle Verluste machen kann, wenn man nicht gerade auf der
Suche nach einem Partner ist.
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Nachbarschaftsliebe
Liebeskater
Ich streich dir den Kopf und du blickst
mich an
Deine funkelden Augen, oh man oh man
Wir kennen uns lang und vertrauen
uns sehr
Damals fing ich dich auf, verdammt
war das schwer
Du warst so schüchtern und ich erzählte dir viel
Neugier war da und Mut war das Ziel
Wir durchstreiften die Felder und du
vertrautest mir schnell
Sodass die Gefühle fuhren Karussell
Ich hab den absoluten Kater nur von Dir
Und er wird immer rabiater ich will
zurück zu dir
Ein echter Liebeskater nur von Dir
Liebeskater
Manchmal bist du gestresst und du
fauchst mich an
Keifst wie ein Löwe im Kampfe, doch
das bin ich gewohnt
Ich setz` mich dann zu dir und du
stupst mich an
Ich rücke näher und du verfällst mir dann
In tiefer Trance und sabberst mich an
Vibration
Und mein Kopf fängt wieder an
Ich hab den absoluten Kater, nur von Dir
Und er wird immer rabiater, ich will
zurück zu dir
Ein echter Liebeskater, nur von Dir
Liebeskater
Vögel zwitschern und die Sonne scheint
Stille im Garten und nur ein Baby schreit
Ich blicke nach drüben und da sitzen sie
Die Nachbarn am Fester mit ganz spezieller Energie
Du bist die Begleitung meines Lebens
und ich verwöhne dich sehr
Mache dir ständig Essen und du futterst es leer
Musst du zum Arzt, dann bring ich
dich hin
Halte deine Pfote und erklär dir den Sinn
Tiefe Freundschaft verbindet uns
Hast mir soviel gegeben
Sodass mein Kopf anfängt zu beben
Ja das ist Liebe im Garten
Liebe im Garten
Ich hab den absoluten Kater, nur von Dir
Und er wird immer rabiater, ich will
zurück zu dir
Ein echter Liebeskater, nur von Dir
Liebeskater
Und immer wenn wir rausgehen ja da
sitzen sie
Hoch oben am Fenster mit ganz speziUnd immer wenn wir rausgehen, ja da eller Energie
sitzen sie
Sie starren uns an und beschimpfen
Hoch oben am Fenster mit ganz spezi- uns schwer
eller Energie
Wir weichen zurück und suchen Abwehr
Sie starren uns an und beschimpfen
uns schwer
Ja das ist die Krise im Garten
Wir weichen zurück und suchen Abwehr Krise im Garten
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Nicht lange her und wir waren eins
Tobten zusammen ohne Deins und Meins
Eine Zeit mit Vertrauen Hilfe und Spaß
So wie man im Garten eben gerne
leben mag
Viel wurde gesprochen und man hatte
sich gern
Die Chemie stimmte egal ob nah oder fern
Nachbarschaft funktionierte
Doch was passierte intern?
Ja das ist tote Liebe im Garten
Liebe im Garten
Eine traurige Wende ohne Grund und
Verstehn
Was ist nur passiert und wie konnte
es geschehn
Hochspannung im Garten die jeder sieht
Sodass auch der letzte Vogel von uns flieht
Plötzliches Schweigen breitet sich aus
Wir suchen nach Antwort und gehen
hinaus
Worte mit Fäusten schlagen jetzt bei
uns ein
Große Verzweiflung, ja wie kann das sein
Und es fällt zunehmend schwer
Diese Krise im Garten
Und ein Zuhause voller Glück muss
plötzlich warten
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Sex & Gewalt
Part 1 Anonymität
Bevor man auf ein Date geht, zieht man sich am besten etwas Schickes an vielleicht etwas Aufreizendes oder etwas Verführerisches - je nachdem wie
das Date ausgehen soll. Das, was ich mir zu unserem heutigen Date anziehe,
ist Anonymität. Die in der heutigen Zeit vielversprechendste Art Menschen
kennenzulernen.
Nach meinen Recherchen lernen sich: 27% im Freundeskreis, 16% an der Bar,
11% im Büro und 2% über Singleportale kennen. 2% ist vielleicht nicht die größte
Zahl, aber wenn man das Ganze auf eine Szene bezieht, die es nicht so leicht
hat sich öffentlich kennenzulernen, klingt diese Zahl sehr vielversprechend.
Part 2 BOY MEETS BOY
Wie in einem großartigen Film schon zitiert, sind wir doch alle nur ein Mädchen,
das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben.
Allein die Vorstellung davon, vielleicht nicht auf das gleiche Maß von Gegenliebe zu stoßen, treibt den meisten jungen, sich nach Liebe sehnenden Boys
and Girls schon Schweiß auf die Stirn. Trotzdem ist das angeführte Beispiel
noch eine leichtere Variante der Liebesspiele, die von allen so geliebt werden.
In der Fortgeschrittenenversion des Spiels spielen die Homosexuellen die
Hauptrolle. Denn diese, sowieso schon sexuell bestraften Bürger, müssen in
der Öffentlichkeit viel länger, mit einer erhöhten Aufmerksamkeit nach einem
Partner suchen. Leider reagieren die meisten Hauptcharaktere auf Nachfrage
eines Außenstehenden auf ihre vermeintliche Homosexualität eher mies
gelaunt. Den Hardcore-Modus im Expertenlevel des „FindYourLove“ Indie
Games allerdings, spielen die Homosexuellen, die ländlicher Leben. Fern ab
von den sexuellen Freiheiten legitimierender Großstädte.
Wer keine Lust hat seine Liebe in Neonfarbe getränkt, auf Klischee-Techno
wummernden Tanzflächen, auszutragen und dafür mit der handverlesenen
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besten Freundin weit zu reisen, um die angeführte Schwulen-Party zu besuchen,
sucht sich unauffälligere Wege seiner Sexualität nachzugehen.
Was macht also der Otto Normal Schwule vom Land? Derjenige, der seine
Augen so zärtlich aufschlägt wie sein Spiegelei? Er betritt bekleidet, mit weit
aufgespannten Augen, getarnt durch einen sorgfältig, nach seiner Persönlichkeit ausgewählten Namen, ein Single-Portal. An genau dieser Stelle beginnt
meine Recherche.
Part 3 Die schmierigen Pommesbuden machen die besten Pommes.
Um nachzuempfinden wie sich eine unbelastete Person in der digitalen Welt der
Partnerbörsen, oder wie wir später noch rückwirkend sagen können: „Wie man
sich in Bumsbörsen zurechtfindet“, starte ich hiermit meinen Test.
Ich habe mir die Ziele gesetzt, herauszufinden wie sehr es in diesen digitalen
Liebeshöhlen ums „Liebe finden“ geht. Wie einfach ist es? Wie viele haben dort
ihr Glück gefunden? Gibt es dort bereits Pärchen? Wenn es nicht um Liebe geht,
warum findet dort ein BOY MEETS BOY statt?
Ich finde schnell nach einer Runde Google Bingo eine angepriesene Homo-Pärchen Börse. Diese scheint in der Szene sehr bekannt zu sein und wird dort als
„Blaue Seite“ betitelt. Nach einem kleinen Klick finden wir uns schon auf besagter
Seite wieder – das Blau des Himmels wurde also nicht als Farbpalette zur Gestaltung der Seite genutzt. Alles ist in dunklem Blau gehalten, soll wohl bei der
nächtlichen Jagd nach Liebe und Ähnlichem nicht zu sehr in den Augen brennen.
Nach einer kurzen Anmeldung, den wichtigsten Angaben zu Penis Länge und
sexuellen Vorlieben, von denen ich einige (meinem Wortgefühl nach zumindest)
für Krankheiten hielt, möchte die Seite auch noch ein Paar Hobbys, mein Gewicht, Lieblingsessen und andere Größen von mir wissen. Dann kann es auch
schon losgehen. Vor mir stehen anklickbare Chaträume und diverse andere
auswählbare Themenchats, die dem sich hier tummelnden Publikum die Suche
nach dem passenden Partner-Profil leicht machen sollen.
Mein erstelltes, frei erfundenes Profil ist 18 Jahre alt, hat eine mittlere Größe
und blonde Haare. Die Fotos, die mein vermeintlich echtes Fake-Profil vervollständigen, sind aus dem Internet gesucht und mit Photoshop manipuliert. Mal
sehen, ob meine kleine, zusammengebastelte Singlemaus einen Abnehmer findet.
Der Plan zu meiner kleinen Recherche war die Suche nach ein paar netten
unterschiedlichen Probanden, die bereit waren, sich anonym ein paar Fragen
zum Thema „BOY MEETS BOY“ stellen zu lassen. Doch was dann auf mich ein
hagelte, hätte wahrscheinlich so manche langjährig eingesetzte Kiezschwalbe
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erröten lassen. Es mag nicht auf alle zutreffen, aber ein Großteil der mich erreichenden Mails sagte mehr als deutlich aus, was Anonymität aus einem Menschen
machen kann. Ein Zitat von Edgar Allan Poe sagte mal: “Erstaunlich, dass der
Mensch nur hinter seiner Maske ganz er selbst ist.“
Die ersten 3 Mails, die ungefragt und unverbindlich in meinem Profil-Briefkasten auftauchten, waren von älteren Herren geschrieben (laut Altersangabe
zwischen 46 und 53). Auf Ihren Bildern waren nur behaarte, alte Körperteile
zu sehen. Sie fragten mich, ob ich entweder an Sex interessiert wäre, oder TG
möchte. TG, eine von vielen gängigen Bezeichnungen, die zum guten Ton des
Sex-Vokabulars gehörten. Zu meinem bis hier gesammelten Sex Jargon sollte
allerdings noch einiges an Fachbegriffen hinzukommen. Ich beschloss, dass mein
Test-Charakter trotzdem weiterhin nach Liebe suchen würde und nicht nach TG,
oder wie wir sagen: „Taschengeld von digital vergreisten Herren“.
Auch die Mails, die sich in den nächsten Tagen in meinem Profil Postfach
sammelten, waren wenig charmant und so verlor ich langsam die Angst davor,
die versammelte Sex Gemeinde anzuschreiben und zu befragen. Zwischen “Dreamboys“, “BigCocksJocks43“ und anderen vielversprechenden Usernamen fand
sich leider wenig Pärchen-Glück und wenige Anfragen nach der großen Liebe.
Viel mehr begegnete mir oft die Fragen: „Hast du Pixs“ und „Suchst du Fun?“ Den
Fun hatte ich inzwischen aber leider verloren. Sollte mich die digitale anonyme
Liebeswelt so enttäuschen?
Es begegneten mir Profile mit lustigen Sammlungen kurioser Bilder – von
bis zur Hüfte fotografierten Hinterteilen, aus dessen oberen Jeansabschluss
Windeln ragten, bis hin zu Nahaufnahmen von unrasierten Männerbeinen in
Frauen-Strumpfhosen. Das Ansehen dieser Bilderreihen versprach mir eine
andere Art von „Boy meets Boy“ zu treffen. Die Frage, ob ich ein BOY MEETS
BOY mit jemand hatte (das möchte ich hier vorwegnehmen), kann ich direkt
verneinen, denn bis zum Schluss meiner Recherche wurde ich nur vom Kuriositäten-Kabinett der Blauen Seiten immer wieder negativ überrascht. Immer, wenn
ich ein paar interessierte Fragen gestellt hatte, war die Antwort: No response!
Oder ich bekam weiterhin nette Angebote meinen jungen Körper irgendwelchen
sexuellen Treffen hinzugeben. Nein danke!
Part 4 Pimmelbingo
Zwischen meinen Zweifeln an der Menschheit und der Überlegung, ob Hetero Dating Portale wohl noch schlimmere Benimmregeln haben, erreichten
mich meine Highlight Mails, die ich definitiv niemandem vorenthalten möchte.
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Außer er ist streng gläubig, oder unter 18 Jahren. Sollte das nicht der Fall sein,
befreien Sie sich in (und zwischen) den nächsten Zeilen von Ihrem Glauben
an die Gute Seite des Internets.
Abgesehen von einer beachtlichen Sammlung zugeschickter Pimmel Bilder,
erhielt ich sexuelle Vorlieben und Ergüsse, die so machen 50tyShadesofGrey
Kino Besucher neidisch machen sollten. Es ging um Sex, oder Zwang zum Sex,
oder Gewalt und Sex.
Ein Mann mit Bildern, in denen er unkenntlich fotografiert im Rollstuhl sitzt,
fragte, ob ich nicht Lust habe ihn voll zu++++, und ihn zu benutzen.
Ein weiterer junger Mensch, etwa um die 20 Jahre, wollte sich in einem Stall
mit mir treffen, damit ich ihm auf die Stiefel w+++
Robert, wie sein Name erstmal nicht vermuten ließ, suchte kein “BOY MEETS
BOY“, sondern begrüßte mich nett mit:
„Hi, bin bi, gut im f+++, Glatze, gut bestückt, mag es gern zärtlich und intensiv.
Ich suche netten Freund, auch für zärtlichen Sex.“ Schon fast ein Romantiker
zwischen den Irren.
Mein persönliches Highlight möchte ich natürlich nicht vorenthalten. Das
Beste kommt zum Schluss - Ein Name, der hält was er verspricht.
Genussf+++er – und der Name war bei ihm wohl Programm. Denn er schickte
mir eine nette Liste seiner Ideen für ein nettes “BOY MEETS BOY“.
Er wollte Rollenspiele. Ein Sandwich, das sicher nichts mit Nahrungsmitteln
zu tun hatte und er wollte von mir an sein Bett gefesselt werden.
Das Ganze brachte mir außer Angst, Würgereiz und dem baldigen Ende der
Befragung in diesem Portal nicht viel, außer einer weiteren Mail von ihm. Die
bekam ich ohne Vorwarnung, ohne auf seine vorherige Mail geantwortet zu
haben. Die zweite Mail enthielt folgendes:
Eine Anleitung für sein Rollenspiel „Vater und Sohn“. Wie das ablaufen sollte,
darf sich jeder gerne selbst ausmalen!
Ok, ich bin raus hier.
78
Part 5 Go Hard or Go Home
Was sind nun also meine Erkenntnisse und mein Abschlussfazit zur digitalen
Liebes-Traum-Welt? Sind aus meinen Hoffnungen irgendwann Befürchtungen
geworden? Aus den Befürchtungen die nackte Wahrheit? Kann man, wenn
man einem normalen Menschen eine Portion Anonymität spritzt, daraus einen sexuellen Fetisch Superheld werden lassen? Oder ist es schön, dass in der
digitalen Welt ein vollkommen neues, freies Land entstanden ist, in dem jeder
selbst interpretieren kann, wie sein perfektes „BOY MEETS BOY“ aussieht?
Beeinflusst das oben geschilderte Verhalten die Szene, in der ich mich bewegt
habe, oder wird das Verhalten von der Szene bestimmt?
Ich weiß auf jeden Fall, dass ich diese wilde Fahrt auf der digitalen sozialen
Achterbahn nicht noch einmal machen werde, denn am Ende ist mir schwindelig und ich muss kotzen.
79
Ich will dich noch so lange sehen wie möglich
Du bist ein
Du bist ein
Du bist mein
Du bist mein
Du mein Schiff, das sicher untergeht
Mein Vertrag, der nicht lang besteht
Meine Wäsche im Gewitter und meine
Kälte, zu der ich zitter
Du mein Schiff, das sicher untergeht
Mein Vertrag, der nicht lang besteht
Meine Wäsche im Gewitter und meine
Kälte, zu der ich zitter
Doch als ich an deine Küste kam
War da kein Hafen
Ich schlug an die Steine und sah, wie
die Wellen mich warfen
Ich weiß noch
Ich segelte so schön mit meinem Schiff
an deine Küste
Lila Wolken und Gelüste
Du mein Schiff das sicher untergeht
Mein Vertrag, der nicht lang besteht
Meine Wäsche im Gewitter und meine
Kälte, zu der ich zitter
Ich sah dich da und mir war klar
Jetzt zugreifen... bei dem Angebot
Lass das nicht zu lange schleifen
Zweifel gab es nicht... Zweifel brauchte
ich nicht
80
Was immer ich bin
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Wohin ich auch geh, trag ich etwas bei mir
Mein kleines Paket, kommt es mit auf
den Weg
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Wohin ich auch geh, trag ich etwas bei mir
Mein kleines Paket, kommt es mit auf
den Weg
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Ich gehe mit dir, und du gehst bei mir
Fein ist es, klein ist es
Es klebt an mir ,ich kleb an dir
Es wiegt so schwer, es wiegt so leicht
Schön, dass es mir nie von der Seite
weicht
Manchmal pack ich es ein, und damit
bin ich nie allein
Ich trag dich und du trägst mich
Du hast mich verwickelt, in Fäden
gesponnen
Deine Begleitung ist schön, so viel mit
dir dazu gewonnen
Reiße nicht von mir ab, brich dein
Geleit nicht ab
Schenkst mir Freude und nimmst
nichts zurück
Du tust mir nichts und das tut so gut
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Wohin ich auch geh, trag ich etwas bei mir
Mein kleines Paket, kommt es mit auf
den Weg
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Wohin ich auch geh, trag ich etwas bei mir
Mein kleines Paket, kommt es mit auf
den Weg
Was immer ich bin, ich hab was im Sinn
Eine mysteriöse Silhouette, ein zweiter
Mantel
Im Sommer nicht zu warm und sicher
in meinem Arm
Ich fühl mich so verfolgt, und begleitet
ungewollt
Doch werde ich nicht beengt und nicht
vom Weg gedrängt
Und wird es dir irgendwann in meiner
Tasche zu eng
Dann komm zurück wo du hingehörst
Wenn ich so lache und du strahlst weiß
ich genau
Du begleitest mich
Meine Erinnerung an dich
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Partnersuche im Wandel der Zeit
Herr M. prüft die Wetterstation im Flur und geht zum Kühlschrank. Der Inhalt
lässt sich an einer Hand abzählen. Mehr brauche er schließlich nicht und sonst
würde ja nur etwas schlecht werden.
Heute trägt Herr M. eine rote Cordhose und einen roten Wollpulli mit einem
Hemd darunter. Die braunen Lederhausschuhe hat er schon viele Jahre was
man ihnen aber nur bedingt ansieht. Der 67-jährige, groß gewachsene Mann
mit dem strahlenden Lächeln hat sich mittlerweile gut in seiner Singlewohnung eingelebt. Es ist sein Reich mit diesem speziellen Altherren-Duft, den
wahrscheinlich nur Besucher anderer Altersklassen wahrnehmen. Überall
stehen selbst gemachte Holzskulpturen herum und an den Wänden hängen
Schwarz-Weiß Fotografien von ehemaligen Zechengeländen im Ruhrgebiet.
Vor allem hängen dort aber Fotos von seiner Familie. Ein Sohn aus erster Ehe
und eine Tochter und ein Sohn aus zweiter Ehe. Herr M. lebt seit einem Jahr
von seiner Frau getrennt. Vorher waren sie 22 Jahre lang verheiratet gewesen.
Nach einer schweren Zeit mit einigen kräftezehrenden Monaten war nach
dem Umzug in die neue Wohnung erst einmal nicht an eine neue Beziehung
zu denken. Er habe nicht den Kopf dafür gehabt und musste sich in seinem
neuen Lebensabschnitt positionieren.
So sitzt heute ein in sich ruhender Rentner in seinem gemütlichen Wohnzimmersessel und legt die Beine hoch. Seine Bewegungen sind zwischendurch
etwas beschwerlich, jedoch nicht leidend. Herr M. ist optisch und auch seelisch
jung geblieben. Er wolle einfach nicht allein bleiben, erklärt er und nimmt
einen Schluck Kaffee. Bei seinen täglichen Spaziergängen halte er die Augen
offen nach ansprechenden Damen. Genauso wenn er zu Konzerten, Lesungen,
VHS-Kursen oder ins Kino gehe. Man müsse allgemein offen in Situationen
gehen, findet Herr M.
Seine neueste Errungenschaft ist jedoch ein ganz anderer Weg des Kontaktaufnehmens: Eine Partnerbörse im Internet. Als Herr M. die Seite am
Laptop aufruft, fällt direkt die Information „Eine neue Nachricht“ ins Auge.
Er bekomme pro Woche ca. 2-3 Vorschläge für potenzielle Partnerinnen, was
wohl in Ordnung sei, findet er.
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Die Seite gleicht alle Informationen, die man dort angibt, mit den Angaben potenzieller Partner ab und gibt dann das Ergebnis der sogenannten
Matchingpoints bekannt. Umso höher die Matchingpoints, desto höher die
Wahrscheinlichkeit, dass man sich versteht und gut zusammenpasst. Herr M.
ruft sein eigenes Profil auf, woraufhin erst einige Minuten vergehen, bis sich
die Seite aufgebaut hat. Sein Laptop sei immer so langsam und er habe schon
alles versucht, um das Problem zu beheben. „Jetzt ist es aber nun mal so, ist
schon in Ordnung. Ich habe ja Zeit“, sagt er.
In der oberen Zeile sind die drei Adjektive zu lesen, die Herr M. ausgewählt
hat, um sich selber zu beschreiben: humorvoll, selbstbewusst und attraktiv.
Daneben sind einige Fotos von ihm zu sehen, die seine positive Ausstrahlung
deutlich werden lassen. Die Fotos der Frauen kann man nur ansehen, wenn
diese bereit sind, sie für den Betrachter freizuschalten. Herr M. lehnt sich
zurück und erinnert sich an das erste Treffen mit einer Frau, die er über
diese Plattform kennengelernt hat. Er sei extra mit der Bahn nach Wuppertal
gefahren, um dort den Tag mit ihr zu verbringen. Am Bahnhof angekommen,
stieg er aus dem Zug und hielt Ausschau. Als er sie nicht sah, habe er sie
gerade anrufen wollen, da fiel sein Blick auf eine Frau. Sein direkter Impuls
sei es gewesen umzudrehen und wieder in den Zug zu steigen, aber da war es
schon zu spät. Sie hatte ihn gesehen und so folgten drei relativ unangenehme
gemeinsame Stunden. So etwas Ähnliches habe er dann noch einmal erlebt.
Es sei eben problematisch, wenn auf den Fotos nur die Gesichter der Frauen
zu sehen sind. So komme es dann vor, dass eine recht beleibte Frau, mit nicht
mehr ganz so blondem Haar und einem etwas fragwürdigen Humor bei einem
Treffen erscheint. Und dann müsse man die Zeit rumkriegen. Genauso hat
Herr M. aber auch schon eine positive Erfahrung gemacht. Mit einer Dame aus
Frankfurt hat er sich des Öfteren getroffen. Sie konnten sich gut unterhalten
und hatten ähnliche Interessen. Trotzdem sei es in letzter Zeit nicht mehr
zu einem Wiedersehen gekommen, weil immer etwas dagegen sprach. Schon
wieder etwas zu kompliziert findet Herr M.
Grundsätzlich sei er aber entspannter geworden. Mit dem Alter werde man
gelassener, könne mehr über sich selber lachen und alles mit etwas Abstand
betrachten. Trotzdem werde es nicht gerade einfacher, noch mal eine passende
Partnerin zu finden. Humorvoll, neugierig, aktiv, sportlich und attraktiv sollte
sie sein. Möglichst interessiert an ähnlicher Musik und Literatur, sowie gerne
auch ein Faible für Soziales haben. Herr M. ist pensionierter Sozialarbeiter
und nach wie vor sehr interessiert an diesem und verwandten Metiers. Nun
spielen aber auch noch andere Dinge eine wichtige Rolle, erklärt Herr M., als
er sich wieder in seinen Sessel setzt.
Er habe in seinem Leben schon einige Beziehungen gehabt, sowie zwei Ehen
erlebt. „Ich bin mittlerweile reich an Erfahrungen und weiß somit, welche Eigenschaften eine Frau lieber nicht haben sollte, wenn es mit einer gemeinsamen
Zukunft klappen soll“, erklärt er. Ist man offiziell geschieden? Will man wieder
heiraten? Wie und wo leben die Kinder? Wie flexibel ist man? Und wie sieht
die finanzielle Lage aus? Es stellen sich einfach viele Fragen, die pragmatisch
angegangen werden müssten, sonst mache das keinen Sinn.
Früher, Mitte der 80er Jahre, hat Herr M. nach dem Ende seiner ersten Ehe
Kontaktanzeigen in der Zeitung aufgegeben. Dies sei eben damals der übliche
Weg gewesen, die Suche anzutreten. Alles war noch etwas lockerer und man
verguckte sich schon mal ab und zu. Heute passiere das nicht mehr so schnell.
Bei der Suche übers Internet gehe er langsam vor und taste sich vorsichtig heran. Es gelte schließlich zunächst, einige Dinge zu prüfen und dann noch das
Gefühl zu haben, dass man sich verstehen könnte. Wenn das auf beiden Seiten
gegeben ist, verabrede man sich zu einem Telefonat. Das sei immer noch so
aufregend wie früher, findet Herr M. Er sei gespannt auf die Stimme der Frau
und ihre Art und Weise, sich auszudrücken. Wenn man sich dann sogar zu
einem Treffen verabredet, würde sich die Aufregung noch mal mehr steigern.
Wie wirkt sie in echt, ihr Geruch, ihre Bewegung, ihr Lächeln.
Herr M. schaut ruhig aus dem Fenster und nimmt den letzten Schluck Kaffee. Es gäbe wirklich einiges zu beachten. Dann komme noch hinzu, dass die
Auswahl in diesem Alter sowieso schon geringer sei.
Der Tod sei durchaus ein Thema, gibt Herr M. zu. „So trivial es auch ist, die
Zeit läuft eben ab.“ Aber man müsse einfach offenbleiben. Gut, dass das Alter
ihm Gelassenheit geschenkt habe und gut, dass er mit seinen 67 Jahren nicht
wie 67 aussehe.
Herr M. steht auf und geht in den Flur. Auf der Wetterstation ist Sonnenschein für den Nachmittag angekündigt und Herr M. macht sich fertig für
einen Spaziergang.
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Seidener Faden
Fallen lassen
Immer zusammenhalten
Hast du mir versprochen
Doch dein Netz hat Risse bekommen Hätte mir das jemand früher gesagt
Und mein Vertrauen hast du gebrochen Du bist ein Fass ohne Boden
Und ich lobte den Abend vorm Tag
Deine Worte verblassen
Und deine Arme spüre ich nicht mehr Die Prioritäten verschoben
Aber nie ganz verzagt
Du hast mich fallen lassen
Wir waren jung und froh
Wussten alles voneinander
Die Geheimnisse und Macken
Unsere Träume sowieso
Wie durch ein dickes Seil verbunden
Immer für den anderen da
Wird das Seil gekappt?
Oder wird es halten?
Wie weit bist du weg und wie nah dabei?
Ich kann nichts sehen
Was werden wir noch wagen?
Alles hängt am seidenen Faden
Alles hat gestimmt
Nur die Zeit war falsch
Ein unsichtbares Band zwischen uns
Und ein Versprechen für die Zukunft
Dass wir wieder zusammen sind
Gefühle für die Zeit ganz blind
Alles hat gestimmt
Nur die Zeit war falsch
Ein unsichtbares Band zwischen uns
Und ein Versprechen für die Zukunft
Dass wir wieder zusammen sind
Gefühle für die Zeit ganz blind
Hätte mir das jemand früher gesagt
Du bist ein Fass ohne Boden
Und ich lobte den Abend vorm Tag
Die Prioritäten verschoben
Aber nie ganz verzagt
Jahre später viel geschehen
Haben uns ewig nicht gesehen
Das Seil ist merklich dünn geworden
Vieles hat es schwachgemacht
Ich denke an dich und an morgen
Sich anvertrauen ist nicht leicht
Aber unsere Liebe hat gereicht
Und ich habe mich fallen lassen
Du hast mir ein Netz gespannt
Und das Glück war schwer zu fassen
Die Risse selber knüpfen
Wir sind nicht mehr wir
Ich fahr allein mit meinem Tretboot
weiter
Und mein Horizont wird breiter
Ich bin nur halb so schnell wie mit dir
Aber keine Chance zu scheitern
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Phasen der Liebe
Liebe ist eine Kraft, die Leute zu verschiedenen Handlungen bringen kann. Sie
verursacht zarte, wundervolle Gefühle in einigen Menschen, und ist gleichzeitig dazu fähig, Gefühle und Beziehungen zu zerstören. Hier ist eine dieser
Geschichten, in der Liebe kein Happy End bereitet, sondern eine unübliche
Wendung nimmt.
Die Geschichte der beiden Partner begann in einer der Kneipen Münsters, im
Tinnef, das heute den Namen Nippes trägt. Dort verbrachte Frau R. aus M, die
anonym bleiben will, ihre Zeit. Es war ein üblicher Abend für sie, nach einem
anstrengenden Arbeitstag besuchte sie immer die kleine Kneipe, um sich dort
von der Musik und einem Bierchen entspannen zu lassen. Zufällig landete ihr
Blick auf einem der Tische, an dem ein Mann allein saß. Als sie ihn genauer
anschaute, merkte Frau R, dass er groß und hübsch war. Außerdem strahlte
der Mann irgendwie eine mysteriöse Aura aus. Ihr Interesse war nun völlig
geweckt. Frau R. ging zu dem mysteriösen Mann herüber. Als sie miteinander
sprachen, stellte es sich heraus, dass der Mann gerade auf eine andere Frau
wartete. Diese Antwort überraschte sie, obwohl sie sich diese Möglichkeit
im Kopf schon überlegt hatte. Frau R. ließ sich aber nicht entmutigen und
sie unterhielt sich weiter mit ihm. Irgendwie zog dieser Mann sie an und es
konnte ja nicht schaden, ihm ein paar Fragen zu stellen. Der Mann, trotz seiner
anfänglichen Zweifel, entspannte sich schnell und schien auch nichts gegen
das Gespräch zu haben.
Ihr Mut lohnte sich schließlich. Es stellte sich heraus, dass der Mann, Herr
S, in die Kneipe gekommen war, um sich mit einer Frau aus einer Anzeige
zu treffen. So sprachen sie weiter und erfuhren mehr über einander. Herr S.
fand sie interessant, ein bisschen zurückhaltend aber sehr sympathisch und
intelligent. Das Gefühl war anscheinend gegenseitig, da er sie anschließend
nach ihrer Telefonnummer fragte. Sie trafen sich weiter ab und zu. Er spielte
Billard und sie kam mit. Langsam fing Frau R. an zu begreifen, dass sie ähnliche
Interessen und die gleiche Weltanschauung der Dinge hatten. Das brachte sie
mehr und mehr zusammen. Bald waren sie ein Paar und kurz darauf schon,
zogen sie gemeinsam in eine gemütliche neue Wohnung mit einem Garten ein.
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So vergingen zwei Jahre glücklicher, junger Liebe. Eines Tages erfuhr Frau
R. aber, dass sie schwanger war. Diese Nachricht brachte ihr bisher ruhiges
Leben durcheinander. Sie war jung und Kinder waren derzeit nicht in ihren
Plänen. Außerdem wusste sie nicht, ob sie überhaupt bereit war, eine Familie zu
gründen. Weiterhin wurde mehr Druck erzeugt, weil Herr S. unbedingt heiraten
wollte, ein Wunsch, den Frau R. nicht teilte. Er war aber davon überzeugt, dass
das der richtige Weg war und dass es seine Verantwortung war. Am Ende traf
sie die Entscheidung zu heiraten und bald hatte die neue Familie einen Sohn.
Die Ängste, die Frau R. vor dem Ehe-Leben hatte, verwirklichten sich
langsam. Herr S. schien keine Arbeit finden zu können und sie musste auf ihr
neugeborenes Kind aufpassen und konnte auch kein Geld verdienen. Auch
einige Jahre später, als sie wieder arbeiten ging, war sie diejenige, die gleichzeitig das Geld verdienen und den Haushalt führen musste. Seine Unfähigkeit
oder vielleicht Unwilligkeit, einen richtigen Job zu finden, wurde schnell zu
einem häufigen Grund für Streit. Was Frau R. aber am meisten auffiel, war die
plötzlich entstandene Distanz zwischen ihr und Herrn S. Sie schienen sich
nicht mehr für das Gleiche zu interessieren und seine Anwesenheit brachte ihr
keinen Trost mehr. Er schien auch immer distanzierter und verschlossener zu
werden. Die Spannungen und der Stress fingen an, die Beziehung zu belasten,
und die intensive Liebe begann langsam zu schwinden.
Als der Sohn 6 Jahre alt war, hatten sich die Eltern komplett auseinandergelebt. Die Erinnerungen an diese Jahre bringen immer noch etwas Dunkles
und Kaltes in Frau R’s Augen hervor. Schließlich nahm sie ihren Sohn und zog
aus der gemeinsamen Wohnung aus. Sie brauchte jetzt einen neuen Anfang
und ihr erster Schritt war ihr Leben neu zu organisieren. Sie fand eine neue
kleinere Wohnung, wo sie und ihr Kind sich wohlfühlen konnten und ihr gelang
es, ihren alten Job in einem Möbelhandel zurückzubekommen. Es war nicht
einfach, ein Kind allein zu erziehen aber sie hielt alle Schwierigkeiten aus. Ihre
Beziehung mit Herrn S. war aber immer noch angespannt also entschieden
sich die Beiden, einige Zeit ohne einander zu verbringen.
So verließ die Liebe das Paar und hinterließ in ihrem Gefolge eine zerteilte
Familie und ein kleines Kind mit getrennten Eltern. Auch auf diese Weise
funktioniert sie manchmal, die Liebe. Sie bringt Leute zuerst zusammen, um
sie später zu verlassen. Und es passiert häufiger als man denken mag. Fast ein
Drittel der Ehepaare in Deutschland befindet sich in der gleichen Situation.
Die Folgen solcher Liebe müssen aber nicht immer katastrophal sein. Falls
zwei Leute reif genug sind und ihre Differenzen beiseitelegen können, dann
kann aus der erfolglosen Liebe eine neue Beziehung erblühen.
Weil das Paar einen Sohn hatte, konnten sie einander nicht einfach igno-
rieren. Beiden wollten das Beste für ihr Kind und so verabredeten sie sich so,
dass der Sohn auch genug Zeit mit seinem Vater verbringen konnte. Als die
Bindung zwischen dem Sohn und den beiden Eltern sich verstärkte, erwuchs
eine neue Bindung zwischen dem ehemaligen Paar. Sie waren beide sicher,
dass es zwischen ihnen keine romantischen Gefühle mehr geben würde aber
da war etwas anderes, etwas Neues. In Gesprächen, die sie manchmal im Park
führten, während ihr Sohn mit den Nachbarkindern spielte, entdeckten die
Beiden neue gemeinsame Interessen, deren sie sich nicht bewusst gewesen
waren. Die alte Spannung verließ das ehemalige Paar und anstelle der vergangenen Liebe entwickelte sich ein neues Gefühl. “Wir haben eine Möglichkeit
gefunden, uns auf eine neue Weise kennenzulernen. Wir wurden Freunde.” Als
die Liebe schwand, konnten sie sich von einer anderen Seite sehen und fanden
neue Gemeinsamkeiten und Interessen.
Seitdem treffen sich Frau R. und Herr S. alle zwei bis drei Monate und verbringen ihre Zeit in Kneipen oder, wenn das Wetter schön ist, draußen. Manchmal
nehmen sie sich die Zeit, um gemeinsam zur See zu fahren. Dort können sie
sogar den ganzen Tag verbringen und die Gesellschaft des anderen genießen.
Ihr Sohn ist schon 15 Jahre alt, er wohnt bei seiner Mutter, fährt aber fast jedes
Wochenende zu seinem Vater und übernachtet dort. Frau R. hat einen Mann
aus einer Anzeige angeschrieben und ist jetzt in einer Beziehung. Herr S. hat
zurzeit keinen Wunsch nach einer neuen Beziehung und konzentriert sich auf
seine Arbeit und andere Ziele.
Obwohl die Liebesgeschichte dieser zwei Leute kein übliches Happy End
hat, haben sie im Endeffekt mehr durch ihre Beziehung gewonnen als verloren.
An der Stelle, an der ihre Liebe endete, fing für die Beiden eine Freundschaft
an. Diese Metamorphose stellte diese Beziehung auf eine andere Stufe. Auch
wenn dieser Text nun vorbei ist, ist dies noch nicht das Ende der Geschichte,
sondern nur ein geschlossenes Kapitel in der Geschichte des Lebens.
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Handschuh
Spiele
Einmal spielten sie Darts und er hat ihr Herz getroffen
Sie war nun sein Preis er hat ihn aber weggeworfen
Sie schoss ihren Bogen und traf ihr Ziel
Jetzt hatte sie einen Preis, doch er blieb nicht bei ihr
Er nutzte sie aus, hat ihren Bogen genommen
Am Ende hatte sie nur Kopfschmerzen gewonnen
Man spielt dieses Spiel, ohne klare Idee
Was passieren wird - es tut manchmal weh
Sie war verletzt und müde von all diesen Spielen
Sie wollte nur Ruhe, doch jemand wollte auf sie zielen
Ein Stein traf sie dann und hat sie verletzt
Wie konnte das passieren? Das hat sie entsetzt
Verwundet und wütend nahm sie eine Pistole
Und schickte den Steinwerfer direkt in die Hölle
Man spielt dieses Spiel, ohne klare Idee
Was passieren wird - es tut manchmal weh
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Niemand wusste, woher er kam
Vielleicht war er von Anfang an da
Ein Handschuh aus braunem Leder war er
Er lag da verloren, seine Seele war leer
Dann kam jemand vorbei, eine Hand hob
ihn auf
Die Wärme versetzte sein Herz in schnellen Lauf
Doch dieses Gefühl, es dauerte nicht lang
Da der Handschuh bald schon im Fundbüro hang
Die Wärme verließ ihn, doch es blieb eine
Spur
Ein eiskaltes Feuer spürte er nur
Nun ein Teil eines Ganzen
Er ist nicht mehr allein
Wird er endlich vollständig sein?
Der Handschuh erzählte von seinen Gefühlen
Endlich konnte er all dies spüren
"Wir fanden einander warum bleiben wir hier?
Wir verlassen das Fundbüro komm doch
mit mir!"
Der Andere starrte ihn nun lange an
"Mein lieber Freund du hast dich vertan
Ich bin doch keine Hand Wir sind nur ein Paar"
Das Feuer in ihm war beißend und kühlend
Einen Teil von sich konnte er nicht mehr
fühlen
Nur ein Teil eines Ganzen
"O.k. wie du meinst. Viel Glück und bleib froh
Verlassen und allein
Damit verließ der Handschuh das Fundbüro
Wird er jemals wieder vollständig sein?
Etwas später konnte er das Loch in sich
spüren
Es spürte ein Wesen direkt neben ihm
Ein anderer Handschuh der plötzlich Es ließ sich auf das Feuer zurückführen
erschien!
Er schien freundlich zu sein, war gefärbt Nur ein Teil seines Ganzen
wie die Erde
Verlassen und allein
Sie entschieden sich dann, ein Paar zu werden Wird er jemals vollständig sein?
Doch dann spürte der Handschuh wieder
die Wärme
Wie damals von der Hand, wie aus weiter
Ferne
Er wollte sie schützen, zur zweiten Haut
ihr werden
Er würde sogar für den Anderen sterben
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Kein einziges WORT
Drei Mal klingelte es an meiner Tür stürmisch, bevor ich den Hörer abnahm
und die Tür öffnete. Ich wohne im vierten Stock in einer Altbauwohnung in
Münster und erwartete meinen eingeladenen Besuch aus Köln. Langsam aber
zunehmenden lauten Schritten näherte sich eine große, schlaksige junge Frau
mit lockigen blonden schulterlangen Haaren, nähert sich mit immer lauter
werdenden Schritten, bis sie mich am Türrahmen erreicht.
Wir begrüßten uns mit einem Handgruß in der Luft, lächelten uns an und
geben uns eine lange, freundschaftliche und innige Umarmung. Heute ist das
Wetter traumhaft und ich habe für meinen Besuch den Balkon hergerichtet,
sodass wir gemütlich zusammensitzen und plaudern können. Die Sonne knallt,
es sind sommerliche 21 Grad, der Kaffee und Kuchen steht bereit zum Verzehr.
Für das Interview, das ich heute vorbereitet hatte, kam mein Besuch extra
zu mir und ich wollte es so gemütlich wie möglich gestalten.
Diese junge Frau, die vor mir im hübschen sommerlichen Blümchenkleid
sitzt, heißt Mandy und ist 26 Jahre alt. Sie ist in der Großstadt Köln in NRW
geboren, lebt im Stadtteil Deutz und ist von Beruf Monteurin. Beim ersten
Eindruck ist Mandy eine ganz normale junge Frau, die auf eigenen Füßen
steht und das Leben zu schätzten weiß. Sie nippte an ihrem Kaffee, bevor ich
mit der ersten Frage begann. Vor ihr liegt ein Notizblock und ein Kulli. Wieso
das so ist, das verrate ich jetzt.
Was viele Menschen gar nicht erkennen, sehen oder wissen ist, dass Mandy
eigentlich gehörlos geboren ist und keine Lautsprache sprechen kann, sondern
nur die Gebärdensprache. Sie sagt, dass sie in der 3. Generation gehörlos ist,
das heißt Ihre Mutter sowie ihre Großmutter sind ebenfalls gehörlos. Ihr
Vater und seine Familie sind hörend aufgewachsen. Warum Mandy und ihre
Familie gehörlos sind, weiß niemand so genau. Aber Tatsache ist, dass sie es
ist. Mit jungen Jahren lernte sie zwischen der gehörlosen und der hörenden
Welt beide Sprachen kennen.
Sie beherrscht beides recht gut. Natürlich überwiegend mehr die Sprache
der Gehörlosen, die sogenannte Gebärdensprache. Diese Sprache ist überall
auf der Welt verständlich. Ihr Vater, der hörend ist, hat für Ihre Mutter, die er
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kennen und lieben gelernt hat, die Gebärdensprache gelernt. In der Familie war
das Hauptbestandteil des Lebens, aber Mandy fand es zu wenig und beschloss
sich in beiden Welten zu bewegen. Sie erklärt fest und deutlich, dass sie sich
in beiden Welten wohlfühlt und sich nicht nur für eine entscheiden möchte.
Auch wenn sie weiß, dass es sehr anstrengend und eine Last sein kann. All das
erzählt Mandy mir in Gebärdensprache, die ich selber auch ein wenig beherrsche,
und mit dem Notizblock und Stift für komplizierte Sachen und Unklarheiten.
Sie zeigt mir mit viel Gestik und Mimik in Gebärden auf die Frage, wie gut
sie mit ihrem Handicap zurechtkommt: „Eigentlich gut, weil ich weltoffen bin,
ich bin mutig und nicht scheu vor den hörenden Leuten. Ich kenne mich gut
aus, aus eigener Erfahrung, wie ich mit den hörenden Leuten umgehe. Im Beruf
bin ich alleine unter den Hörenden, ich ruhe mich ein bisschen dort aus oder
alberne mit ihnen rum. Im Alltag gehe ich einfach auf das ein, was auf mich
zukommt, zum Beispiel, ein hörender Mann fragte mich nach der Straße und
ich antwortete dann freundlich: Ich bin gehörlos, nehme die Karte und schaue,
welche Straße er meint. Manche hauen ohne ein Wort zu sagen einfach ab. Aber
ich gebe nicht auf und muss auch nicht aufgeben, weil alle nur Menschen sind,
egal welche Behinderung sie auch haben. Ich habe einen besten Freund, der
hörend ist, ich habe ihn mal zu einer gehörlosen Veranstaltung mitgenommen,
damit er uns besser verstehen konnte, wie wir so sind und warum wir so sind.
Er fand die Gehörlosen sehr sympathisch, offen und integriert.
Mit anderen Worten: Er war begeistert, wie toll doch gehörlose Menschen
sind ohne jegliche Lautsprache.
Nach den ersten 10-25min Unterhaltung ist mir aufgefallen, dass Mandy
weder ein Hörgerät noch ein Cochlea Implantat (Innenohr-Prothese) trägt. Das
fand ich unglaublich überraschend und interessant und fragte, warum es so sei.
Die Sonne wandert langsam Richtung Westen, strahlt in vollen Zügen auf den
Balkon, die Wasserkaraffe schimmert und Mandy trinkt ihren letzten Schluck
Kaffee aus ihrer Tasse, bevor sie zu gebärden begann:
„Nein, ich trage weder Hörgeräte noch ein Implantat. Ich fühle mich nicht wie
ich selbst, wenn ich die Hörgeräte trage. Es fühlt sich nicht dazugehörig an. Ich
habe es natürlich schon mal ausprobiert, aber es war grausam für mich. Weil
ich nur noch das Sprechen lernen musste, um mich selber mit den Hörgeräten
zu verstehen. Ich wollte schon immer frei und selbstbewusst entscheiden und
das tue ich heute immer noch. Ich glaube dadurch eröffne ich den hörenden
Leuten, dass manche Gehörlose mit dem Hilfsmittel mehr große Last als Hilfe
haben. Gerade wenn man selbst nichts hört, so wie ich mit 120% an Taubheit.
Auch wenn das Cochlea Implantat mehr helfen würde, lehne ich dies ab, weil
man da sonst auch nicht man selbst ist und dadurch keine Selbstbewusstheit
hat. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mehr respektiert und
akzeptiert wird, wenn man zeigt, was man hat und dazu steht und daraus das
Beste macht. Auch mein Freund Eric trägt auch nichts davon. Keine Hörgeräte
bzw. CI“
Sie ging damals auf die Schule für Hörgeschädigte und besuchte in Ihrer
Freizeit hörende Vereine und übte Sachen wie Leichtathletik, Yoga oder
Meditations-Sportarten aus. In diesem Verein hat sie Ihren jetzigen Freund
Eric kennengelernt, das war im Jahr 2002. Eric ist 30 Jahre alt, auch gehörlos
und kommt aus Frankfurt an der Oder. Seine Familie ist hörend und er selbst
ist stark hörend aufgewachsen, beherrscht aber die Lautsprache und die
Gebärdensprache. Viele verstehen ihn besser als Mandy. Mit seinen Eltern
kommuniziert Eric völlig normal trotz seines Handicaps. Mandy und Eric
haben sich im Leichtathletik Verein kennengelernt, leider aber aus den Augen
verloren und stoßen 10 Jahre später bei Facebook wieder aufeinander und
lernten sich kennen und lieben.
Sie sind jetzt seit 2 Jahren ein Paar und führen eine Fernbeziehung. „Gar nicht
so einfach“, sagte Mandy mir. Es gibt ab und zu Kommunikationsschwierigkeiten,
die nicht gravierend sind aber aufgrund des Schreibens über Whatsapp und
anderen Messenger Diensten auftauchen und passieren können. Sie sagt, dass
das typisch ist für eine gehörlose Partnerschaft. Es ist nicht immer leicht, aber
man muss sich Zeit geben, sich gegenseitig vertrauen und verstehen.
„Er hat ja mehr hörende Freunde. Manchmal fühle ich mich unwohl, weil alle
schnell sprechen und gegenseitig mehr mitbekommen als ich selbst. Ich bin
offen und auch direkt, aber ich lache dann nicht mit ihnen mit, nur, weil andere
den Witz verstanden haben und hake dann nach. Wir Gehörlosen verstehen
nicht was Hörende für Witze erzählen, oft müssen sie uns erklären, was der
Witz war. Das ist das größte Problem zwischen Hörenden und Gehörlosen.
Manchmal fühle mich wie eine „Extrawurst“.
Mandy ist wie erwähnt in einer gehörlosen Familie aufgewachsen und bekam
somit auch alles mit: Diskussionen, Meinungen, Witze und alles, was schnell
kompliziert abläuft, war „hörbar“ für sie. Es gibt einige Freunde von Eric, die
auch gut gebärden können. Es ist sehr unterschiedlich, aber ich gebe nie auf
und gebe mein bestens. Eric und ich unterstützen uns dabei gegenseitig und
geben uns Mut den nicht zu verlieren.“ Das junge Paar trennt täglich 650km.
Man braucht einen ganzen Tag, um von Köln nach Frankfurt an der Oder oder
umgekehrt zu kommen. Wie hält das die junge Liebe aus, vor allem wie läuft
eine Kommunikation zwischen Gehörlosen trotz dieser Entfernung.
Mandy erzählt, dass sie und Eric ein Mal am Tag versuchen über FaceTime
den Kontakt in Echtzeit zu halten. Die Whatsapp oder Messenger Schreiberei
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ist dagegen zu lästig und mit zu viel Arbeit und Konzentration verbunden. Da
das Telefonieren, welches bei hörenden Partnern ein Muss ist, nicht möglich
ist, müssen sie zu anderen Mitteln greifen. Aber auch das klappt nicht immer.
Beide sind voll berufstätig, haben Hobbys und andere Sachen neben der Beziehung im Leben. Trotzdem versuchen sie, so oft wie möglich Kontakt zu halten.
Und wenn sie sich dann sehen, dann versuchen die beiden das ganze Wochenende zusammen zu sein. Und wenn sie zusammen sind, wie läuft dann
so eine Partnerschaft unter Gehörlosen eigentlich ab, wie sieht z.B. ein Streit
zwischen ihnen aus oder haben sie Tricks/Tipps eine „stumme“ Partnerschaft
erfolgreich zu meistern?
Mandy nickte mir zu, setzte Ihren Notizblock auf dem kleinen Tisch auf
dem Balkon ab. „Wenn wir uns streiten, nehmen wir meistens die Mimik wahr.
Da ich sehr starke Mimik und Gestik aufgrund meiner gehörlosen Familie
gelernt habe und die anwende, missversteht Eric diese manchmal. Danach
muss ich ihm in Ruhe erklären, was meine Mimik meinte oder nicht meinte.
Manchmal vergesse ich, was mein Gesicht für Ausdrücke oder Erscheinungen
macht. Also kann man zusammenfassen, dass wir von Auge zu Auge streiten.
Es wird dann schlimmer, wenn wir uns beim Streiten nicht in die Augen sehen
und uns wahrnehmen.“
Hörende Menschen nehmen sich eher verbal und akustisch wahr, als sich
auf das Visuelle zu beschränken. Das ist ein großer Unterschied zwischen Gehörlosen und Hörenden Menschen. Gehörlose Menschen fühlen und spüren
mehr miteinander und durch die Gestik und Mimik wird eine emotionalere
Basis bzw. Verbundenheit geschaffen.
Mandy wohnt alleine in Ihrer kleinen, aber feinen Drei-Zimmer-Wohnung
in Köln. Wie gut kommt sie alleine zurecht, wenn sie doch nichts hören kann
und immer ein Teil fehlt, der für andere Menschen normal und wichtig ist. Sie
hat da bestimmt ein paar Tricks, dachte ich und hakte nach.
„Wenn ich alleine wohne und lebe, gibt es für alles eine Hilfe und Unterstützung.
Es gibt eine sogenannte Blitzklingel, so eine brauche also in jedem Zimmer.
Ich habe kein Telefon Zuhause, ich bin mit E-Mails immer erreichbar, aber
ich freue mich immer über Briefe. Wenn es mal ein Notfall gibt, dann sage ich
meine Nachbarin bescheid, die schon sehr lange mit mir in einem Haus wohnt,
sie soll für mich anrufen. Ich habe auch den Wecker mit dem Vibrationskissen,
damit ich täglich pünktlich zur Arbeit gehen kann. Also es gibt für viele Dinge
eine nützliche Lösung.“
Ein weiterer Punkt in Ihrer gehörlosen Beziehung ist, dass sie sich vor oder
nach dem Streit gegenseitig fragen, ob sich die Auseinandersetzung lohnt
oder nicht. Meistens schreiben sie sich das auf, um den Streit festzuhalten.
Schriftlich fällt dann dem jungen Paar mehr auf, warum sie sich gestritten
haben oder worum es ging. Jeder für sich allein und danach wird sich ausgetauscht. So kann der eine oder die andere das Geschehene besser verstehen
und nachvollziehen. Da dies nicht verbal möglich ist, bringen sie es eben halt
auf Papier. Alles kein Problem!
Mandy sagt, dass sie sehr zufrieden und glücklich in ihrer Beziehung mit Eric
ist. Sie sind sich sehr ähnlich, einfühlsam und verständnisvoll. Streiten tun sich
die Zwei nicht all zu oft, allein schon wegen ihrer Distanz und Fernbeziehung
muss man sich gegenseitig vertrauen und verstehen können. Akzeptieren und
Zusammenhalten ist das A und O.
Sehr erstaunlich wie die beiden trotz Handicap alles meistern und durch das
Leben gehen. Kein Wunder, Mandy strahlt eine sehr lebensfrohe und weltoffene
Art aus. Sie akzeptiert ihr Handicap und macht das Beste daraus. Ich fragte sie,
wo sie sich am besten wohlfühlt und zu Hause ist.
Bei dieser Frage war es ein paar Minuten still. Sie nahm sich ihre Zeit und
überlegte: „Beides. Ich bin sehr neugierig auf ihr Wissen, Alltag, Sprache usw
... Aber für mich persönlich fühle ich mich mehr mit den Gehörlosen wohler,
weil wir einfach Spaß zusammenhaben und wissen, was wir wollen. Wir müssen
den hörenden Leuten erklären, warum wir dies und das machen. Egal wo ich
hingehe oder stehe ich gebe den hörenden Leuten gerne weiter, wie toll die
Gehörlosenkultur sein kann. Sie sollten einfach mehr über uns wissen und
das wir auch nur Menschen sind.“
Es ist fast alles gesagt, aber eins interessierte mich noch sehr und wollte es
für den Schluss aufheben. Ich stellte mir die Frage, warum sie sich für einen
Freund mit Handicap entschieden hat.
Sie überlegte nicht lange und blickte mich an und sagte dazu mit klaren und
festen Worten: „Weil ich keine Lust habe, jemandem immer wieder zu erklären,
dass ich immer die Augen zum Unterhalten brauche, oder er sollte mich nicht
unterbrechen, wenn ich mit jemandem spreche. Das ist typisch Hörende, die
lassen sich immer leicht und schnell durch ihr Gehör ablenken. Ich würde dann
vielleicht misstrauisch sein, weil ich dann wahrscheinlich nie alles erfahren
werde, ob er mir treu ist oder nicht“
Kurz gesagt: „Ich habe immer Gefühl, der Mann braucht eine Stimme zum
Hören und das Kommunizieren in Lautsprache ist mir dann doch zu anstrengend und schwierig.“
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Zu schnell vorbei
Unvergesslich
Die Tage mit Dir, waren unvergesslich
Es war Sommer, unsere gemeinsame Zeit
Lippen öffnen sich Hände berühren sich
Wir haben alles miteinander geteilt
Sonnenstrahlen verblassen sich
Kälte zog sich zu und die ersten Blätter fielen
Was Du wohl so machst, fragte Ich mich
Wie konnte das Schicksal nur mit so Karten spielen
Unvergesslich, nur mit Dir
Unvergesslich, nur mit Dir
Unvergesslich, nur mit Dir
Aus und vorbei
Wir haben in den Tag gelebt
Die Nacht durchgemacht und uns geliebt
Ich liebte alles, von Kopf bis Fuß von Dir
Du wirst’s nicht glauben
Ich war verrückt, bis ich fast explodier
Unvergesslich, nur mit Dir
Unvergesslich, nur mit Dir
Unvergesslich, nur mit Dir
Es war viel zu kurz, ich verstehe das alles nicht
Es war viel zu kurz, ich verstehe das alles nicht
Es war viel zu kurz, ich verstehe das alles nicht
Unser Sommer kommt mir wie eine Ewigkeit vor
Erinnerungen sind nun wie Puzzlestücke zu sehen
Haben uns zu schnell aus den Augen verloren
Mein Herz blutet, ich versuch’ nicht durchzudrehen
Aus und vorbei!
Mein Glück, dass teilte ich nur mit Dir
Gingen auf Festivals, in Freibäder und tranken Bier
Schrieben uns nächtelang, stellten uns die Zukunft vor
Du mit deinem Bass auf der Bühne
Mein Herz ganz an Dich verlor
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Eine lustvolle Begegnungsstätte
Ich stehe vor einem alten zweistöckigen Haus mit schwarzen Dachziegeln. Die
Wand ist weiß verputzt und die Fensterrahmen sind aus rotem Klinker. Die
Tür befindet sich in der Mitte unter einem kleinen Vordach. Ein ganz normales
Haus. Nur, dass die Fenster des Erdgeschosses aus Milchglas bestehen, macht
einen etwas stutzig. Ich gehe nun drei kleine Stufen hinauf und stehe vor der
bronzefarbenen Eingangstür. Eine junge Frau öffnet mir die Tür und bittet
mich herein. Michael (Name geändert), ein dunkelhaariger, etwas untersetzter
Mann ende Zwanzig begrüßt mich freundlich. Er ist der Geschäftsleiter des
Swingerklub Amoroso.
Ich befinde mich nun in einem offenen Raum mit orange-roten Wänden.
Gegenüber des Eingangs befindet sich eine Theke. Mit Walnussholz verkleidet
und einer marmornen Arbeitsplatte, macht sie einen edlen Eindruck. Einige
Leute wuseln hektisch herum. Michael führt mich in einen kleinen Raum
neben dem Eingang. Dort stehen ein bis zwei Dutzend rote Spinde und ein
paar Bänkchen und Stühle. „Hier können die Gäste sich umziehen“, erklärt
er mir. Eine Tür gibt es nicht und auch keine Geschlechtertrennung, da man
sich ja hinterher vermutlich sowieso nackt sieht. Wir gehen nun rechts an der
Theke vorbei durch einen kleinen Flur und kommen in einen Raum mit einem
Whirlpool. Die Laternen an der grob verputzten Wand schaffen eine gemütliche
Atmosphäre. Von dort kann man direkt in den Duschraum kommen, der durch
die Naturkacheln und die großen Duschköpfe einen gewissen Wellnesscharakter hat. Direkt neben an befindet sich die hauseigene Sauna, die Platz für
ca. neun Leute bietet. Michael erklärt mir, dass so ein Wellnessbereich in fast
jedem Swingerklub zu finden ist.
Wir gehen wieder auf den Flur und stehen vor einer schmalen Treppe, als ein
Mitarbeiter vorbei kommt. „Wenn jemand fragt, wie wir (der Mitarbeiter und
Michael) uns kennengelernt haben, sag ich immer: Ich hab’ seine Frau gevögelt“ sagt der groß gewachsenen Mann lachend und geht weiter. Michael führt
uns nach oben in einen dunkles Zimmer. Als er die roten Lampen einschaltet,
erkennt man, was sich dort befindet. „Das ist unserer Gloryhole-Zimmer“, sagt
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er und zeigt mir eine Kabine mit schwarzen Wänden, die weder bis zur Decke,
noch bis zum Boden reichen, wie in einer öffentlichen Toilette. Der einzige
Unterschied: In einer der Wände sind vier Löcher in unterschiedlicher Höhe,
durch die sich der Mann von der Frau „verwöhnen lassen kann“, wie Michael
mir erklärt. Dann zeigt er mir stolz seine Erfindung. Ein etwa hüfthohes
Holzpodest, auf dem eine schmale, gepolsterte Liegefläche angebracht ist.
Die Liegefläche liegt auf einer Schiene und lässt sich der Länge nach hin und
her bewegen. An einem Ende des Podests ist ein ca. einen Meter breites und
gut zwei Meter hohes Holzbrett aufrecht befestigt. Auf Höhe der Liegefläche
hat es ein großes herzförmiges Loch, durch welches man die Liegefläche
durchziehen kann. Über diesem Loch sind nebeneinander zwei Lederriemen
montiert. Um die Apparatur zu benutzen, legt sich die Frau rücklings auf die
Liegefläche, mit dem Hintern vor das herzförmige Loch. Ihre Füße schnallt sie
an den Lederriemen fest. Nun kann der Mann von der anderen Seite die Frau
ein Stück weit durch das Loch ziehen. Dadurch werden ihre Schenkel an den
Bauch gedrückt, sodass für den Mann nur der Hintern und die Vulva zusehen
sind, die er dann stimulieren kann. Es ist also eine Version des Gloryhole bei
dem der Mann den aktiven Part übernimmt. Diese Konstruktion hat er selbst
entworfen und mithilfe eines Schreiners gebaut. Wir gehen weiter. Der nächste
Raum beinhaltet einen Gynäkologenstuhl, einen Käfig und ein sogenanntes
Andreaskreuz, welches aus zwei schlecht verschraubten Holzlatten besteht.
Dort kann man sich fesseln lassen. Aber bis auf das Kreuz macht alles einen
soliden Eindruck. SM sei in den letzten Jahren immer beliebter geworden, erzählt uns der Geschäftsführer. Auf die Frage ob er Fifty Shades of Gray gelesen
habe, antwortet er: „Warum sollte ich das lesen? Ich habe so etwas jeden Tag“.
Wir verlassen den „Folterkeller“ und kommen direkt in den Dschungel. Tigerfelle auf dem Boden, ein Camouflage-Netz an der Decke und eine Felshöhle.
Dort können sich Pärchen zurückziehen, wenn sie ein bisschen Privatsphäre
bevorzugen. Doch so ganz intim ist es dann doch nicht, da andere Besucher
ihre Hände durch Löcher in die Höhle stecken können und so am Geschehen
teilhaben können. Für diejenigen, die vollkommen ungestört sein wollen, gibt
es noch „Poseidons Reich“, eine Art Schlafzimmer im Unterwasserthema. Der
Raum ist ganz in blau mit Fischernetzen und Plastikfischen an der Decke. Die
Gestaltung stammt noch von den Vorbesitzern. Michael hat den Laden erst vor
ein paar Monaten mit seiner Freundin übernommen und findet das Fischthema
eher abtörnend: „Fische versetzen mich nicht gerade in Stimmung“, meint er.
Die Gäste, die mehr den öffentlichen Verkehr bevorzugen, können sich auf
der orientalischen Spielwiese austoben. Vier große Matratzen, Rotlicht und
orientalische anmutende Laternen sorgen für eine erotische Atmosphäre.
Fünfunddreißig Leute sollen sich dort mal auf einmal getummelt haben. „Bei
so vielen Leuten, die sich alle ausgiebig vergnügen, kommt man nicht drum rum
mal das ein, oder andere Fenster aufzumachen, ein einfacher Luftentfeuchter
reicht da nicht mehr aus.“
Nachdem ich die Räumlichkeiten begutachten konnte, gehen wir wieder nach
unten. Wir kommen wieder an der Theke vorbei, wo einige Mitarbeiter, die
letzten Vorbereitungen für die bevorstehende Swingerparty erledigen. Durch
einen Backsteinbogen gelangen wir in den Tanzsaal des Hauses. Zur Linken
stehen einige schwarze Ledersofas und schwarze Couchtische. Auf der anderen
Seite des Raumes ist eine kleine Bühne. Aus den kleinen Lautsprecherboxen,
die in den oberen Ecken montiert sind, ertönt leise Musik.
Ich setze mich auf ein Sofa, während Michael uns etwas zu Trinken holt.
Dort erzählt er mir dann, dass er auf einem Jungeninternat war, wodurch er
kaum Kontakt zu Mädchen in der Pubertät hatte. Da er den Umgang mit dem
anderen Geschlecht nie richtig lernte, hielt sich der Erfolg bei den Frauen erst
mal in Grenzen. Also informierte er sich darüber, was es noch für Möglichkeiten
gibt, um an Sex zukommen. So kam er dann in die Swingerszene. Seine ersten
Paarpartys organisierte er in seiner WG. Michael erkannte schnell, dass er
ein Händchen für so etwas und Spaß daran hatte. Er hatte mit seinen Partys
Erfolg und als er erfuhr, dass die Besitzer des Swingerklub Amoroso eine neue
Geschäftsleitung suchten, hatte Michael die Chance sein Hobby zum Beruf
zumachen.
Schließlich kommt Michaels Freundin Sandra (Name geändert) hinzu. Die
beiden haben sich auf einer Swingerparty kennengelernt. Sie studiert Jura.
„Michael ist sehr offen, was das Swingen angeht und erzählt es wirklich jedem.
In dem Berufszweig, den ich anstrebe, kann man das nicht einfach so herausposaunen. Das Swingen hat eben einen schlechten Ruf“, erzählt sie mir. Sie
sind der Meinung man solle das Ganze gar nicht mehr Swingerklub nennen.
Sie sehen ihren Laden eher als Begegnungsstätte.
Um Werbung zu machen, nutzt man hauptsächlich das Internet, da es ja eine
spezielle Zielgruppe gibt, die darauf anspringt. Die Internetplattform Joyclub
sei das Facebook für Sextreffen, erklären die beiden uns. Hierüber wird vieles
organisiert. Mitglieder können sich über Joyclub für die Swingerpartys anmelden,
wodurch sie weniger Eintritt zahlen. Erotische Fotos in außergewöhnlichen
Locations sind in der Community sehr beliebt. Sandra und Michael wollen die
alten Kellergewölbe für solche Fotoshootings nutzen, um so für ihren Klub zu
werben. „Allerdings muss man dort noch einiges herrichten“, sagen sie. Neben
dem Internet nutzen sie auch Flyer um Gäste ins Haus zubringen. Die beiden
drücken uns einen Flyer ihrer U40-Party in die Hand. Er zeigt eine Schwarzweiß-
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fotografie eines weiblichen Oberkörpers. Eine offene, karierte Bluse verdeckt
gerade noch das nötigste. Auf der Rückseite stehen ein paar Infos: Paare 55€,
Männer 80€, Frauen 15€. „Frauen 15 und Männer 80€ ?“ frage ich die beiden.
„Damit man keinen Überschuss an Männern hat“, klären sie mich auf.
Das Internet ist dennoch der beste Weg um Kunden anzulocken, da die
meisten Gäste von weiter weg kommen, um nicht ihren Nachbarn zu treffen.
Aber auch wenn man 200 km fährt, kann es sein, dass man seinen Nachbarn,
seinen Arbeitskollegen, oder gar seine Eltern, oder Kinder trifft. Sandra und
Michael finden, dass man mit seinen Kindern darüber reden sollte, wenn sie
alt genug sind, um möglichen peinlichen Begegnungen vorzubeugen. Aber
auch das Ansprechen dieses Interesses in einer Beziehung kann schwierig sein.
Man sollte so etwas deshalb früh klären. Sandra erzählt uns von einem Paar,
bei dem beide Partner bei Joyclub angemeldet waren, ohne es voneinander
zu wissen. Als einer der beiden beim Surfen auf dieser Seite vom anderen
„erwischt“ wurde, schloss er schnell die Webseite und behauptete, er würde
etwas für die Arbeit tun. Der Partner hatte die Seite aber erkannt gehabt und
so klärte sich dann alles auf.
Es sei wichtig mit seinem Partner über diese Sache zu sprechen, bevor man
eine Swingerparty besucht, berichten sie. „Wer hier hin kommt, um seinen
Partner zu hintergehen, ist bei uns sofort unten durch“, sagt Michael. Auch
wer Single ist und nur eine „schnelle Nummer“ sucht, sei hier fehl am Platz.
Wenn man eine Party besucht, wird man erst einmal begrüßt und wer zum
ersten Mal so etwas macht, dem wird auch alles gezeigt, falls er dies wünscht.
Man zieht sich um, trinkt und isst etwas und unterhält sich mit den anderen
Gästen. Es soll eine lockere und entspannte Atmosphäre geschaffen werden,
bei der sich alle wohlfühlen. Wer dann Lust auf etwas mehr Spaß bekommt,
kann dann die entsprechenden Räumlichkeiten aufsuchen, um sich dort zu
vergnügen. Dies ist aber kein muss. Das sei auch ein Grund, weswegen viele
Leute Angst haben so etwas mal auszuprobieren, dass sie denken, sie müssten
mit allen Leuten Sex haben, wenn sie dort hingehen. Es passiert alles freiwillig
und durch gegenseitiges Einverständnis.
Auch mein Bild von einem Swingerklub war zu nächst so, doch durch die
Eindrücke, die ich im Swingerklub Amoroso sammeln konnte, habe ich ein
anderes Bild bekommen. Ein Swingerklub ist eine lustvolle Begegnungsstätte
zum wohlfühlen und amüsieren und um sexuellen Vorlieben auszuleben.
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Der Bäckers Junge
Schatzkiste
Du läufst entlang an weißem Strand
Die Wolken machen der Sonne Platz
Du findest etwas im weißen Sand
Vergraben wie einen Schatz
Du gräbst den weißen Sand beiseit’
Hältst eine Kiste in der Hand
Sie erstrahlt in schönem Glanz
Doch der Schlüssel einst verschwand
Du kannst dich nicht entscheiden
Das Risiko ist hoch
Dass kein Schatz in der Kiste
Und du sie für immer los
Die Wolken werden dunkler
Du hältst es nicht mehr aus
Du nimmst dir einen Hammer
Und schlägst verzweifelt drauf
Du hast ’ne Kiste ohne Schlüssel
Doch das ist dir egal
Du hast ’ne Kiste ohne Schlüssel
Doch das ist dir egal
Du hattest ’ne Kiste ohne Schlüssel
Nun hast du einen Schatz
Denn die Kiste ohne Schlüssel
War der Schlüssel zu deinem Schatz
Du hörst nicht auf sie zu betrachten
Denkst immerzu an sie
Du fängst an dich zu fragen,
Was sie wohl verbirgt
Aus Neugier wächst Verlangen
Nach Nahem was zugleich ist fern
Doch um Gewissheit zu erlangen
Musst du sie zerstör’n
Als der Bäckers Junge sie das erste Mal sah
Da wusste er nicht, was mit ihm geschah
Er schaute sie an, sein Blick war gefang’
Seine traurig’ Geschichte begann
Er wollte ihr Herz, das wurde ihm klar
Beweisen, dass er der Richtige war
Er backte ihr Kuchen und Torten mit Fleiß
Doch ihr Herz war wie aus Eis
Wie eine lodernd’ Flamme,
War sie schön anzuseh’n
Wie eine lodernd’ Flamme
Konnt’ er sie nicht berühr’n
Sie war schon versprochen einem anderen Mann
Es stach ihm durchs Herz, wie ein Schwert
Denn wurde dem Bäckers Jung endgültig klar
Dass sie ihm für immer verwehrt
Wie eine lodernd’ Flamme
War sie schön anzuseh’n
Wie eine lodernd’ Flamme
Konnt’ er sie nicht berühr’n
Wie eine lodernd’ Flamme
War sie schön anzuseh’n
Wie eine lodernd’ Flamme
Er wusste nicht, was er noch tun könnt’ Konnt’ er sie nicht berühr’n
Um zu ergreifen die köstliche Frucht
So besuchte er sie und nahm ihre Hand
Und sagte ihr, was er empfand
Du hast ’ne Kiste ohne Schlüssel
Es ist dir nicht egal
Du hast ’ne Kiste ohne Schlüssel
Es ist ’ne einz’ge Qual
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Wenn ich nicht drangehe, dann war´s das für die Woche
Gegen 8 Uhr war unter einem grauen, Wolken behangenem Himmel nur noch
die Schiffsbesatzung an Bord. Alle Verwandten und Bekannten mussten das
Schiff verlassen und blickten nun von Land aus in die Gesichter ihrer Lieben,
oben an der Reling des grauen Stahlriesen, den die Soldaten für die nächsten
sechs Monate ihr Heim und ihren Arbeitsplatz nennen. Das Ablegen der Fregatte
war für 8:30 Uhr angesetzt, das Marineorchester setzt zu einem weiteren Stück
an. Aufgrund eines technischen Defektes verzögert sich die Abfahrt um gut 45
Minuten. 45 Minuten, in denen Annika am Anleger steht, auf den Regen nicht
vorbereitet und bis auf die Knochen durchnässt ist. Die Stunden zuvor hatte
sie mit ihrem Freund Thomas noch ihren Geburtstag auf dem Schiff verbracht,
Thomas hatte schon früh am Morgen seine Kabine bezogen, um sich dann
ganz auf sie konzentrieren zu können. Dies waren die letzten gemeinsamen
Stunden vor seiner Abreise nach Somalia. Zum Abschied der Soldaten auf die
Operation Atalanta spielt das Marineorchester ein weiteres martialisches
Stück Marschmusik, während die Angehörigen ihren Töchtern und Söhnen,
Brüdern und Schwestern, Freunden und Partnern auf der Fregatte zuwinken,
ihnen alles Gute wünschen und hoffen, dass sie alle heile wieder nach Hause
kommen. „Es war ganz furchtbar, diese Blasmusik ... Und ich hab irgendwann
gedacht, gleich nimmst du dir den Regenschirm von dem Opa neben dir und
stichst in diese große Trommel!“
Annika taumelt zwischen Nervosität und Verzweiflung. Wann legt das
Schiff endlich ab? Es soll nicht ablegen! Aber dieser schreckliche Moment
soll vorbei gehen. Der Regen verdeckt die Tränen in den Augen aller, die von
Kummer verzerrten Gesichter können aber die Qual des Abschiedes und der
sich verzögernden Abfahrt nicht verstecken. „Ja und dann siehste ihn da oben
stehen, und denkst dir: Ich würd´ dich jetzt gern auch noch ne halbe Stunde in
den Arm nehmen.“ Aber ein weiteres an Bordgehen ist Annika nicht erlaubt.
Annika beschreibt die Situation als ganz absurd. Der Freund der Marinesoldat,
ein Abschied für eine lange Zeit, die pathetische Blasmusik, technische Störung beim Ablegen, der Regen. Die Szene wirkt wie aus einem Hollywoodfilm.
Die ersten Wochen nach Thomas' Abreise beinhalten für Annika das Ge110
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wöhnen ans wieder alleine sein. Sie baut sich einen Schutzwall, sagt sie, der
aus Arbeit und intensiver Freizeitgestaltung geformt ist, um möglichst wenig
darüber nachdenken zu müssen, was er grade macht und ob es ihm gut geht.
Schließlich befindet er sich in einer der gefährlichsten Regionen der Erde. Seit
2008 werden von der EU militärische Schiffe zum Horn von Afrika geschickt,
um neben dem Schutz der freien Seefahrt und humanitärer Hilfeleistungen
für Somalia vor allem gegen die Piraterie vor der Küste Somalias zu kämpfen.
Eine Arbeitskollegin, deren Partner ebenfalls Marinesoldat ist, bestätigte
ihr, dass es normal sei, in den ersten Wochen nach Einsatzbeginn zu trauern,
es aber irgendwann normal wird alleine zu sein, man sich dran gewöhnt. Für
Annika war es nach zwei Monaten des Ablenkens durch Arbeit und Unternehmungen zu viel. Sie war fertig vom ganzen beschäftigt sein, vom nie Pause
machen, vom Verdrängen und sie fiel in ein seelisches Loch. Annika war traurig
und demotiviert.
Thomas wurde rund um Ostern eine Woche Heimaturlaub genehmigt. Schon
drei Wochen bevor er wieder nach Hause kam war Annika innerlich ganz aufgewühlt. Sie war voller Vorfreude, hatte allerdings Angst, dass sie ihn vielleicht
nicht wiedererkennen würde. Was könnte in den letzten Monaten passiert
sein? Thomas hatte von früheren Einsätzen schreckliche Geschichten erzählt,
von Zivilisten, die von den Piraten angegriffen, gefangen genommen oder gar
getötet worden sind. Dabei bewahrt er immer die Fassung. Nicht, dass es ihn
nicht berührte, sein Gemüt erlaubt es ihm jedoch ganz sachlich und entspannt
davon zu erzählen und im nächsten Moment euphorisch über die von ihm frisch
abgeschlossene Restauration seines Alfa Romeo Oldtimers zu reden. Mit dem
dunkelgrünen Alfa verbringen Annika und Thomas die Osterfeiertage. Sie
gehen auf Partys, diskutieren bei Rotwein am Osterfeuer und holen alles das
nach, was in den letzten Monaten nicht möglich war. Das Wetter zu Thomas'
Rückkehr steht im starken Gegensatz zu dem seiner Abreise im Januar. Beide
tragen Sonnenbrillen, die Jacken haben sie nur eingepackt, weil der Fahrtwind
durch die offenen Fenster des Sportwagens im April noch etwas kühl ist.
Sein Heimaturlaub spiegelt ein komprimiertes Bild des Lebens Zuhause
wieder. Nicht nur Annika wünscht sich Zeit mit ihrem Freund, auch Thomas'
Tochter, aus einer früheren Beziehung, möchte Zeit mit ihrem Vater verbringen.
Und dann sind da noch die Eltern und Freunde denen man zumindest kurz
„Hallo!“ und „mir geht es gut“ sagen möchte.
Am Donnerstag nach Ostern muss Thomas wieder abreisen. Mit dem Flugzeug
nach Abu Dhabi und von da aus wieder aufs Schiff. Die Kommunikation zwischen
Annika und Thomas ist jetzt wieder nur über E-mails möglich, allerdings nur
beschränkt. Auf dem Schiff gibt es nur alle 24 Stunden für eine kurze Zeit eine
offene Verbindung um E-mails zu senden und zu empfangen. Ein Skype Chat
oder ein Grußvideo verschicken ist gar nicht möglich, Bilder nur in äußerst
geringer Auflösung und Qualität und die Mails kommen teilweise mit tagelanger
Verspätung erst bei ihr oder ihm an. Es gibt noch ein Satellitentelefon, dass
jeder der Besatzung ein bis zwei Mal die Woche benutzen darf. Dafür wird jedem
ein Platz in einer Warteliste gewährt, 15 Minuten darf dieses Telefonat dann
maximal lang sein. Dann ist der Nächste an der Reihe. „Wenn er mich anruft,
dann muss ich auch dran gehen, wenn ich nicht drangehe, dann war´s das für
die Woche. Das hatte ich einmal ...das war richtig scheiße ...“
Und sowieso ist das eine schwierige Art und Weise so komprimiert zu
kommunizieren sagt Annika. Dieses Telefonat möchten beide unter allen
Umständen wahrnehmen, es tut ihnen gut, wenngleich in Somalia die Piraten
wieder für höchste Alarmstufe sorgen. Die Gespräche sind dann oft nicht so
erbaulich, wie sie sein sollten. Auch wenn es schön ist, den Partner am anderen
Ende der Leitung zu hören, die Ruhe, um dem Gegenüber etwas anderes als
seinen groben Tagesablauf mitzuteilen, fehlt bei diesen Telefonaten. Das Bild,
was man von seinem Partner hat, verschwimmt nach einer Zeit, sagt Annika.
Wenn man sich so lange nicht sieht und nur so eingeschränkt Kontakt über
zeitverzögerte E-mails und kurz angebundene Telefonate führen kann, das kann
auch zu Konflikten führen. „Du weißt nicht mehr, wie sich seine Haut anfühlt,
wie er sich bewegt ...“ sie leidet darunter sehr und kann es gar nicht verstehen,
wie ein Mensch, den man so gern hat, nach einer Zeit einem so fremd werden
kann. „Da musste ich erst mal wieder mit warm werden.“
Thomas ist seit ein paar Tagen wieder auf See, Annika ist wieder alleine zu
Hause. In ihrer Wohnung hat jedes Möbel und jede Dekoration seinen Platz.
Es hängen kaum Bilder an den Wänden, Fotos von Thomas hat sie auf ihrem
Smartphone und ihn damit immer bei sich, sollte sie mal sein Lächeln sehen
wollen. Annika hat außerdem eine Flasche seines Parfüms, das gleichermaßen
die Sehnsucht stillen und wecken kann. An die Marine erinnert nichts.
Sie sitzt auf dem Balkon vor der Küche. Die Vögel in den nahen Fichten
singen ihre Lieder, die Sonne am späten Nachmittag hält eine angenehm
milde Temperatur, hin und wieder pustet ein kalter Windstoß zwischen den
Häusern hindurch über den Balkon. Ihr ist kalt, ihre Arme verschränkt sie vor
ihrer Brust. Es scheint als würde sie sich nicht nur vor der Kälte des Windes
schützen wollen, sondern auch nach der Wärme von Thomas sehnen. Die
Tränen in ihren Augen unterstreichen diesen Eindruck.
Jetzt beginnt wieder die Zeit der Umgewöhnung. Durch die offene Balkontür
hört man ein Rascheln in der Küche. Stefan, einer von Annikas beiden Katern
steht auf den Hinterläufen, die vorderen Pfoten in die Tischplatte gekrallt, und
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versucht eine Zigarettenschachtel vom Tisch zu schubsen. Sie ruft den Kater
zu sich, er gehorcht und setzt sich auf ihren Schoß. Sie krault ihn hinterm Ohr,
er schließt die Augen.
In etwas weniger als drei Monaten ist Thomas' Einsatz vorbei. Sie haben jetzt
schon Pläne, was sie unternehmen wollen, wenn er wieder da ist. Vielleicht
nach Rügen, Konzerte besuchen, vor allem aber nicht an Somalia denken.
Wenn alles gut läuft, ist Thomas dann ein Jahr zu Hause.
Der aktuelle Einsatz ist für Annika der Erste und sie hofft, dass ihre Arbeitskollegin recht behält und sie sich in Zukunft an die Abschiede und das
Alleinsein gewöhnen wird. Zumindest soweit, dass sie die Ruhe findet, sich
nicht durchgehend Sorgen zu machen. Thomas hat schon übers Aufhören
nachgedacht, schließlich ist er schon einige Jahre dabei. Zwei oder drei Einsätze
will er aber noch fahren.
Die Sonne verschwindet langsam hinter den Nachbarhäusern, es wird kalt.
Annika nimmt ihren Kater auf den Arm und geht in die Wohnung. Das für den
Vormittag geplante Telefonat mit Thomas konnte nicht stattfinden. Für sie ist
der Tag heute gelaufen.
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Sicher entfernen
Calcium
Ich will dir nicht die Knochen brechen
ich möchte für dich Calcium sein
Ich will dir nicht die Zähne ziehen
In der Menge lass´ ich dich nicht allein
Du hast mich nicht sicher entfernt
Du hast mich einfach rausgezogen aus deinem System
Ohne sicherzustellen, dass alles ok ist
Musste ich gehen, auf dein Begehren
Das Mineral das dich stärkt, das dich hält, das dich stützt
Deinen Armen die nötige Kraft geben, die dir nützt
Allem zu trotzen, zu entgegnen, zu erwidern, zu verneinen
Was dir nur schadet und nicht hilft
Ich will dein Calcium sein
Du bist für meinen Verlust verantwortlich
Dafür, dass ich nicht mehr richtig geh´
Und alle mich ständig fragen "ist alles O.k.?"
Zu wertvoll, um zu zerbrechen
Essenziell bin ich für dich
Starke Hilfe kann ich dir versprechen
Was ich dir gebe, erschaffst du nicht allein
Und wenn ich doch mal nicht bei dir bin
Und du dann fällst und du sogar zerbrichst
Dann will ich da sein, damit es besser wird
Dann fang ich ganz klein an
Das Mineral, das dich stärkt ,das dich hält das dich stützt
Deinen Armen die nötige Kraft geben, die dir nützt
Allem zu trotzen, zu entgegnen, zu erwidern, zu verneinen
Was dir nur schadet und nicht hilft
Ich will dein Calcium sein
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Alles, was ich früher zu besitzen glaubte
Gehört nun zu den Dingen die du mir raubtest
Nur noch beschädigte Erinnerungen
Fragmente eines Ganzen
Du bist für meinen Verlust verantwortlich
Dafür, dass ich nicht mehr richtig geh´
Und alle mich ständig fragen "ist alles O.k.?"
Und was soll ich nun mit all den Stücken?
Ich werf´ sie weg ich setz´ alles auf null
Keine Lust auf sicher entfernen
Ich bin froh, wenn ich all das hier nicht mehr seh´!
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Kassetten hören
In dem kleinen Zimmer befinden sich lediglich ein Bett, ein Schrank und ein
kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Die Wände sind weiß. Bernard* sitzt auf seinem
Bett, als es an seiner Tür klopft. Gerade hört er eine Kassette von Benjamin
Blümchen, weshalb er das Klopfen erst beim zweiten Mal wahrnehmen kann.
Es ist Lina*. Sie lugt mit dem Kopf gerade so zwischen Tür und Türrahmen
durch und ein breites Grinsen blitzt in ihrem Gesicht auf: „ Darf ich mit dir mit
hören?“, fragt sie Bernard. „Ja!“, und auch seine Mundwinkel gehen automatisch
nach oben. Seine grünen Augen fangen an zu leuchten- wie Sterne - findet Lina.
Seit über 20 Jahren sind Bernard, 53, und Lina, 49, ein Paar. Gemeinsam
mit 10 anderen Bewohnern wohnen sie in einem 2-stöckigen Wohnheim. Es
gehört zu einer sozialtherapeutischen Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Beide haben das Downsyndrom, jedoch ist es bei Bernard wesentlich
ausgeprägter. Die Bewohner des Heimes arbeiten tagsüber in einer Werkstatt
an verschiedenen Aufgaben. Bernard beispielsweise verpackt Dekoartikel wie
seine Mutter mir erzählt. Lina ist für die Produktion und Verzierungen dieser
handgefertigten Dekorationsartikel zuständig.
Als Gertrud* über die Beziehung der beiden spricht, fangen ihre Augen an
zu glänzen: „Ja das ist sogar ganz innig mit den beiden. Manchmal kann das
auch zu viel werden. Aber wie sie sich umarmen, ist ganz toll.“
Kennengelernt haben sich die beiden in dem Wohnheim. Damals wohnten sie
auf zwei unterschiedlichen Etagen und fingen an sich gegenseitig zu besuchen.
Sie hörten gemeinsam Kassetten oder spielten zusammen Musik. Lina spielt
Blockflöte, und wie Bernard sie so spielen sah, wurde er in ihren Bann gezogen.
Es war so wundervoll, dass Bernard sich ihr anschloss und sie gemeinsam
musizierten. Im Lauf der Zeit wurde Bernard so durch Lina beeinflusst, dass
er alles tat, was sie von ihm verlangte. Gertruds Blick wurde ernster. Wir saßen
gemeinsam auf ihrem kleinen Sofa, während sie so erzählte. Plötzlich wurde sie
ganz nervös: „Ich hab dir ja gar keine Tasse Kaffee angeboten! Wie unhöflich
von mir. Möchtest du irgendetwas trinken?“ Ich sagte: „Ja, das wäre sehr nett,“
und schnell huschte sie in die Küche um etwas Kaffee auf zusetzten: „So, also,
wo waren wir stehen geblieben?“ Mit einem freundlichen Lächeln kam sie
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zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf einen Holzstuhl, der gegenüber
dem braunen Sofa stand. Den Kaffee stellte sie auf dem kleinen Tisch mit den
hübschen Holzverzierungen an den Tischbeinen ab. Nachdem ich ihr erklärt
hatte, dass wir bei Lina stehen geblieben waren, die scheinbar sehr dominant
über Wolfgang bestimmen konnte, fuhr sie fort: „ Ja richtig! Alles, was Lina
gesagt hat, hat Bernard auch getan. Das ging sogar so weit, dass Bernard kein
Fußball mehr gucken durfte - er hatte ja dann in dem Moment keine Zeit mehr
für sie. Aber die Heimleitung hat dann dafür gesorgt, dass er sich da durchsetzen
durfte und weiter Fußball sah. Und das ist auch gut so! Er kann ja selbst gar
nicht so gut damit umgehen was mit ihm passiert und was nicht, aber er sollte
schon seine Hobbys beibehalten. Also nachdem er das eine Zeit lang mitgemacht
hatte, dass sie alles bestimmte, was er durfte und was er nicht durfte, wurde sie
ihm sogar zu aufdringlich. Das konnte er nicht haben.“ Gertrud blickte ständig
von ihrer Kaffeetasse zu mir und wieder zurück. Sie wirkte etwas angespannt
und dennoch lächelte sie mich freundlich an. Ich nippte an meiner Kaffeetasse
und probierte eines der selbst gebackenen Plätzchen, die Gertrud mit auf den
Tisch gestellt hatte: „ Oh, die schmecken wirklich sehr gut! Wie ging es weiter
mit den beiden? Hat Lina ihm noch mehr verboten oder hat es sich dann wieder
eingerenkt?“ „Lass mich überlegen. Also beispielsweise, wenn Bernard gerne
zu mir nach Hause wollte, verbot sie ihm das. Sie wollte einfach nicht alleine im
Heim bleiben. Da habe ich mich dann aber auch durchgesetzt, dass er hierhin
kommt. Es ging einfach nicht, dass er immer nur macht, was sie will. Dafür
war dann die Freude umso größer, als er wieder ins Heim zurück kam. Das ist
schon wirklich sehr süß, wie sich die beiden dann freuen. Es ist wie, als wären
sie ständig frisch verliebt.“
Linas Krankheit ist nicht so ausgeprägt wie Bernards Downsyndrom. Ihr war
es möglich eine Schule zu besuchen, sodass sie Lesen und Schreiben kann. Auch
wenn sie spricht, ist sie deutlich besser zu verstehen als Bernard. Ihm war es
aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht möglich eine Schule zu besuchen.
Ich nippe wieder an meinem Kaffee und stelle die Tasse zurück auf den
mit Blümchen verzierten Unterteller: „Haben dich die beiden denn auch
schon mal zu zweit besucht?“ Auch Gertrud stellt ihre Tasse wieder auf den
Tisch, nimmt sich eines der Plätzchen und fährt fort: „ Ja, zwei Mal waren
sie zu zweit hier. Das hat den beiden auch supergut gefallen aber mir war das
einfach zu anstrengend, das kann ich leider nicht noch einmal machen.“ Gut,
das ist durchaus verständlich. Gertrud ist 80 Jahre alt und Bernard braucht
ständige Betreuung. Also stelle ich eine neue Frage: „Und was machen die
beiden so, wenn sie zusammen sind? Also unternehmen sie die Dinge wie
jedes andere Paar auch oder gibt es da Unterschiede?“ Gertruds Blick wandert
zum Holzregal, das an der Wand steht. In diesem befinden sich eine schwarze
Musikanlage, ganz unten sind einige Schallplatten und die oberen Fächer sind
komplett mit Hörspielkassetten versehen: „Ja also das Kassetten hören ist ja
ein großes gemeinsames Hobby der Beiden.“, antwortet sie. „Aber sie gucken
auch gerne zusammen fernsehen oder schmusen rum. Das ist schon wie bei
anderen Liebespärchen auch, aber sexuell nicht, nur küssen und schmusen.“
Gertrud dreht ihren Kopf wieder zu mir: „Einmal wollte die Heimleitung,
dass sie in unterschiedliche Häuser ziehen „aber wenn Lina nicht mitkommt,
ziehe ich auch nicht aus!“, also da ist Bernard sich dann wieder sicher. Das
will er auf gar keinen Fall. Zusammen frühstücken und so weiter wollen sie
schon gerne. Einmal war es aber so weit, dass Lina nachts aufgestanden ist
und sich zu Bernard ins Bett gelegt hat. Dann ist er in der Werkstatt bei der
Arbeit einfach eingeschlafen, also wurde Lina das verboten. Sie hat dann ihr
Kissen genommen, und sich bei ihm auf die Erde gelegt.“ Ein Lächeln blitzt
über Gertruds Gesicht. „Jetzt achtet die Heimleitung aber darauf, dass das
nicht mehr passiert.“ Sie ist weiterhin ganz vertieft in ihre Erzählung. Sie redet
gerne über die beiden, das ist ihr anzumerken. Die Zeit vergeht so schnell, dass
ich es selbst kaum wahrnehme. In den Werkstätten arbeiten Lina und Bernard
jedoch nicht zusammen, damit sie nicht zu viel Zeit miteinander verbringen.
Auch ihre Urlaubstage nahmen sie sich anfangs oft zusammen, mittlerweile
achtet die Leitung darauf, dass auch das nicht mehr passiert. Jeder soll die
Möglichkeit haben auch Dinge für sich zu tun.
Gertrud erzählt mir noch, dass die beiden anfangs sehr viel zusammen
unternommen haben. Mittlerweile ist dies auch wieder getrennt voneinander
möglich. Bernard erzählt ihr selbst allerdings eher weniger über die Beziehung
der beiden und wenn er darüber redet, begreift sie vieles nicht: „Lina ist immer
lieb, aber manchmal kann ich sie nicht leiden“- Schluss machen will er aber
auch nicht. Auf gar keinen Fall. Denn Lina hat den Bernard „ja soo lieb“!
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*Namen geändert
Schallplattenladen
Tag am Meer
Jetzt genau da, wo du liegst
Ein kleiner Fleck in der Sonne
Im Schatten, im Licht
Ein Lächeln im Gesicht
Sollte ich zu dir geh‘n oder nicht?
Jetzt genau da, wo ich lieg
Allein auf der Wiese am Berg
Keine Sonne und kein Meer
Ich vermisse dich so sehr
Doch wo kommt dieser Traum nur her?
Ein Tag am Meer
Ein Tag mit dir
Den wünsch ich mir
Ein Tag am Meer
Im Hier und Jetzt
Wenn uns die Zeit nicht hetzt
Ein Tag am Meer
Ein Tag mit dir
Den wünsch ich mir
Mein Vater hat Geburtstag und ich denk: Ich husch rüber, er heißt Bill
"Was wär denn wohl ein passendes Ich frag ihn, ob er Kaffee will
Zögernd lächelt er mich an
Geschenk?"
"Gerne komm ich mit zu dir
Ich gehe in den Plattenladen
Und schau mich ‘n bisschen um
Nur schnell weg von dem Klassik Scheiß
Da steht ‘n wirklich süßer Typ mitten hier"
in der Klassik rum
Neulich gab‘s im Plattenladen
Neulich gab‘s im Plattenladen
Nicht nur Schallplatten zu haben
Nicht nur Schallplatten zu haben
Mitten in dem Klassik Scheiß
Mitten in dem Klassik Scheiß
Steht die first love of my life
Steht die first love of my life
Ein Verkäufer quatscht mich an
"Gibt‘s was, wo ich helfen kann?"
Leider ist mir nicht zu helfen
Warum bin ich noch mal hier?
Ich hab grade nur noch Augen für den
Hübschen Typ vor mir
Jetzt genau da, wo du liegst
Verträumt neben den Dünen
Am Wasser, am Strand
Und doch elegant
Komm reichst du mir deine Hand?
Ein Tag am Meer
Ein Tag mit dir
Den wünsch ich mir
Ein Tag am Meer
Im Hier und Jetzt
Wenn uns die Zeit nicht hetzt
Neulich gab‘s im Plattenladen
Nicht nur Schallplatten zu haben
Mitten in dem Klassik Scheiß
Steht die first love of my life
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Liebe geht durch den Magen
Während wir das rote Backsteingebäude betreten, steigt eine Mischung aus
abgestandener Wartezimmerluft und Desinfektionsmittel in meine Nase. Wir
melden uns kurz am Empfangsschalter und werden von einer freundlichen,
bedachtsamen Frau abgenickt. Begleitet werde ich von einem Freund namens
Philipp, aus meiner Heimatstadt. Mit dem Fahrstuhl begeben wir uns in den
dritten Stock und betreten einen Gang, mit weißen, gelblich angelaufenen
Wänden. Links und rechts stehen Krankenbetten, und kleine Vorratsschränke
auf Rollen, in denen sich diverse Handschuhe, Schutzkleidungen und Utensilien
befinden. Wir gehen noch ein paar Schritte ohne etwas zu sagen, klopfen und
betreten das Zimmer 350. Vor mir ein alter Mann, halb liegend, halb sitzend auf
seinem Krankenbett. Zwei dünne Plastikschläuche, durch welche eine dunkelrote
Flüssigkeit rinnt, stecken in seinem Arm. Chronisches Nierenversagen, so war
die Diagnose. Mit der Fernbedienung schaltet er den Fernseher aus, auf dem
gerade noch Nachrichten liefen. Philipp stellt mir seinen Großvater vor. Alberic
besucht viermal wöchentlich das Knappschaftskrankenhaus in Recklinghausen,
zur Blutdialyse. Wir reden kurz über das Wetter, Alberics Wohlbefinden, und
darüber, dass Krankenhäuser durchaus unangenehme Orte sind. Schließlich
erkläre ich dem Mann, weshalb ich ihn aufgesucht habe und nach einer kurzen
Denkpause, fängt er an zu erzählen. Um seine Geschichte zu rekonstruieren
springt der 86 Jährige zurück in die Zeit, als das heutige Miedzyrzecz, ein
18.000 Einwohner starkes Kaff in Polen noch zum Preußischen Landkreis
Meseritz gehörte. “Ich glaube damals war ich so 18 Jahre alt.”, beginnt der alte
Mann. “Ich bin auf’s Gymnasium gegangen und war auch sehr gut in der Schule.
Weil ich aber zu den Wehrpflichtigen gehörte, hatte ich ständig Angst davor,
einberufen zu werden.”, erklärt er. Zu dieser Zeit schien es, als würden sich
die internationalen Konflikte langsam dem Ende neigen. Während ein Teil der
Bevölkerung bereits aufatmete, wurden hier und dort weitere junge Männer
im kampffähigen Alter zum Wehrdienst einberufen. Alberic war ein durchaus
schmächtiger junger Typ, der viel im Kopf hatte, aber wenig in den Armen. Er
war sich nahezu sicher, von seinem Pflichtdienst verschont zu bleiben. Als er
jedoch eines Nachmittags nach Hause kam, erwartete ihn seine Mutter, mit
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Tränen in den Augen und einem Einberufungsbescheid in der Hand. Alberic
blickt aus dem Fenster und wird nachdenklich. Er murmelt leise vor sich hin
und erzählt betrübt, wie er und einige seiner Kameraden nahezu unvermittelt
von “den Russen” gefangen genommen wurden.Auf seinem müden Gesicht
zeichnet sich ein wehleidiger Ausdruck ab, und Alberic lässt uns seine Unlust
spüren, über die Zeit bei der Wehrmacht zu sprechen. Als die Stimmung im
Raum geradezu unangenehm wird, betritt ein Krankenpfleger das Zimmer,
um nach dem Rechten zu sehen. “Jaja, alles gut.”, versichert der alte Mann.
Ebenso versichere ich ihm, das wir nicht weiter über das Kriegsgeschehen
sprechen müssen. Vielmehr interessiert mich, was Alberic erlebte und wen er
kennenlernte, als er zurück in seine Heimatstadt gelangte. Ich bitte ihn also
darum, an der Stelle fortzufahren, als er nach Meseritz zurückkam.
“Als ich zurück bin, hab’ ich erst mal nach meinen Eltern gesucht, aber die
waren in dem Durcheinander nicht aufzufinden. Vielen Jungs die aus’m Krieg
zurück kamen ging es genauso, es war halt sehr chaotisch.”Alberic erzählt, wie
er den Kontakt zu Freunden seiner Eltern wiederfinden konnte. Diese lebten
nach seiner Rückkehr noch im selben Haus wie früher, ein kleines Stück außerhalb der Stadt. Als der junge Alberic ihnen seine Situation schilderte, sahen
sich die Hellerts gezwungen, ihn vorübergehend bei sich aufzunehmen. “Die
hatten selbst zwei Söhne und eine Tochter, aber auf der Straße sitzen lassen
wollten sie mich auch nicht.”, erklärt alte Alberic, während sich seine faltigen
Mundwinkel zu einem mitfühlenden Lächeln verziehen. Die beiden Söhne der
Hellerts kannte er bereits von früher. Tim, mit 21 Jahren der Älteste, wurde
ebenfalls zum Wehrdienst einberufen und kam zeitgleich mit Alberic zurück
in die Heimat.Johannes, zwei Jahre jünger, hatte seinen Abschluss an der
Volksschule gemacht und versuchte nun Anschluss zu finden. Hilde, knapp
ein Jahr jünger als Alberic, war ein aufgewecktes Mädchen mit kurzen, brünetten Haaren und dunkelbraunen Augen. Dem alten Mann zufolge war sie
um einiges begabter als ihre beiden Brüder und besuchte das Lyzeum, quasi
ein Gymnasium für Mädchen. Bei den allsonntaglichten Kirchgängen, oder
Treffen des elterlichen Bekanntenkreises hatten Alberic und Hilde sich schon
öfters getroffen. Und nicht nur dort, denn in einer Kleinstadt wie Meseritz lief
man sich sowieso ständig über den Weg. In der örtlichen Badeanstalt, auf dem
Sportplatz, oder beim gemeinsamen Steine Werfen von der Eisenbahnbrücke war
der junge Alberic schon mehrmals auf Hilde und ihre Mädchenclique getroffen.
“Meiner Erinnerung zufolge hatte die sich nach meiner Rückkehr kaum
verändert. Immer noch genauso frech wie hübsch. Wobei, um einiges reifer ist
sie schon geworden. Und ihr unverschämtes Grinsen hatte sich mehr zu einem
anmutigen Lächeln entwickelt.”, berichtet der alte Alberic, auf dessen Gesicht
sich nun Freude abzeichnet. Zurück in Meseritz, besuchte sein jüngeres Ich
wieder das Gymnasium und lebte - bis auf sein Gastquartier bei den Hellerts
- den normalen Alltag eines jungen Mannes. “Eigentlich war alles ganz in Ordnung. Ich hab’ bei den Hellerts gewohnt, bin zur Schule und war immer noch
richtig gut.”,sagt der alter Mann und erklärt mir im Weiteren, wie sich seine
Beziehung zu Hilde mit der Zeit veränderte. Die früher kindliche, spielerisch
unbeschwerte Beziehung verwandelte sich langsam und wich einer allmählich
aufkommenden emotionalen Spannung zwischen den beiden. Es bestand kein
Zweifel daran, dass Alberic und Hilde sich mochten.Der alte Mann erzählt, wie
begeistert sein jüngeres Ich von Hildes intelligenter Eigenart war - und immer
noch ist. Sie war tugendhaft, aber nicht gehörig und sie konnte sich keine ihrer
frechen, aber geistreichen Bemerkungen verkneifen. Und wie es irgendwann
kommen musste, standen Hilde und Alberic eines späten Abends allein in der
Küche. Hilde spülte die letzten Teller und Alberic lungerte um sie herum. “Es
fühlte sich ein bisschen befremdlich an, weil ich ja so was wie ihr Adoptivbruder
war. Aber verwandt waren wir natürlich nicht. Und an diesem Abend konnte
ich es mir einfach nicht verkneifen, den ersten Schritt zu machen.” Ein Knuff
an die Schulter, ein flüchtiges Lächeln, dann ein kurzer Moment unerträglicher
Spannung, während sich die beiden langsam näher kamen. An diesem Abend,
erzählt Alberic, sei es um beide geschehen. “Manchmal kamen Hilde und ich
von der Schule nach Hause, wenn die anderen Jungs und Vater Hellert noch
unterwegs waren. Dann haben Hilde und ich gesagt, wir würden zusammen
Hausaufgaben machen, oder lernen, oder was auch immer. Natürlich waren
wir dann nur am herumknutschen.”, erzählt der Großvater und schmunzelt
vor sich hin. Nicht alles jedoch erschien so rosig, wie die frische Beziehung
der beiden Jugendlichen. Alltagswaren sowie Lebensmittel wurden auch in
der Nachkriegszeit stark rationiert. Familien wie die Hellerts hatten oftmals
nur wenig zur Verfügung, um über die Runden zu kommen. Alberic, wie die
meisten jungen Männer in seinem Alter, war ein Typ mit großem Hunger. Seine
zugeteilten Portionen waren nur selten genug, um ihn vollständig zu sättigen,
und so war er oftmals nach der Schule unterwegs, um seinen knurrenden Magen
zu stillen. “Wir sind dann immer mit ein paar Jungs aus der Schule “Hamstern”
gegangen”, erklärt er mir.Anders gesagt, liefen die jungen Männer von Haus
zu Haus, um die Bewohner nach übergebliebenen Essensresten zu fragen.
“Manchmal war ich so hungrig, dass ich nachts aufgestanden bin. Dann hab’
ich so getan, als wäre ich zum Klo, bin aber runter in die Küche, um mir eine
Scheibe Brot abzuschneiden.”, beichtet der alte Mann mit betrübtem Lächeln.
“Hilde hat das schnell bemerkt, und als die beiden Jungs Wind davon bekamen,
hat sie Tim und Johannes davon überzeugt, mich nicht zu verpfeifen.” Hilde
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unterstützte ihren Freund, wo sie nur konnte. Ihr Mittagessen aß sie nie ganz
auf und schob Alberic ihre Reste zu unter dem Vorwand, bereits satt zu sein.
“Ein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich dabei immer. Aber sie meinte, das
wäre schon Ok. Sie könne sowieso ein wenig abnehmen.”, schmunzelt der alte
Mann. “So ein Quatsch.”
Als jedoch die Haushälter davon erfuhren, dass Alberic sich heimlich an den
Vorräten bediente, sahen sie sich nicht mehr in der Lage, ihn bei sich zu behalten. Weil der junge Bursche nun stets so großen Hunger und außerdem keine
Unterkunft hatte, sah er sich nicht mehr in der Lage, weiterhin das Gymnasium
zu besuchen.“Um über die Runden zu kommen, brauchte ich halt eine Lebensmittelkarte mit Schwerarbeiterzulage”, erklärt mir der Alte. Der junge Alberic
sah sich gezwungen, eine Maurerlehre zu beginnen und hauste von nun an mit
zwei weiteren Gesellen in einer engen Bude. Hin und wieder besuchte Hilde
ihn auf der Baustelle. Die Hellerts jedoch wollten nicht, dass sich ihre Tochter
weiterhin mit dem Jungen trifft. Und so passten die beiden Söhne stets auf, dass
ihre Schwester nach der Schule keinen Abstecher zu ihrem Geliebten macht.
Der Kontakt wurde immer weniger und schließlich hatten Alberic und Hilde
sich gänzlich aus den Augen verloren. Verwundert schaue ich den Großvater
an, wie er vor mir sitzt.“Dann sind Sie heute gar nicht mit Hilde verheiratet?”
Dieser ist amüsiert über meine Betroffenheit und er lacht:“Die Geschichte ist
ja noch nicht zu Ende!” Was nach ihrer Trennung folgte, war eine harte Zeit für
Alberic. Der Verlust seiner ersten Liebe hatte ihn arg mitgenommen und weder
die mühselige Maurerlehre, noch die enge Behausung konnten Trost spenden.
Schließlich erfuhr der Junge, dass Hilde ihre Heimatstadt nach Abschluss des
Lyzeums verlassen hatte, um über tausend Kilometer Richtung Westen zu
reisen - in das heutige Nordrhein-Westfalen. Wissend, dass er wahrscheinlich
nie mehr von ihr hören würde, versank er in einem lethargischen Kreislauf
aus Arbeit, Essen und Schlaf.Einige Jahre vergingen und Alberic erholte sich
von seinem Verlust. Während er seine Lehre beendete, stellte er fest, dass seit
geraumer Zeit eine Aufbruchstimmung unter den jüngeren seiner Heimatstadt
herrschte.Sowie Hilde damals machten sich viele auf, um Richtung Westen zu
ziehen, denn unter der Bevölkerung war durchgesickert, dass der Landkreis
Meseritz nicht mehr lange zum deutschen Volk gehören sollte.„Ich wollte Hilde
damals auf keinen Fall nacheifern. Aber es sind sowieso alle Richtung Westen,
und ich hatte ja nichts zu verlieren. Also hab‘ ich einfach Tschüss gesagt und
mich auf die Socken gemacht.“, berichtet der alte Mann. Gelandet ist der junge
Alberic in „der Goldenen Stadt“ - heute bekannt als „Herne“, das Urgestein
des Ruhrpotts. Die Innenstadt Hernes war während des Krieges zum Großteil
von Bombenangriffen verschont geblieben, und deshalb zu einer beliebten
Anlaufstelle für Anreisende geworden.Die 64 Bombenangriffe auf die restliche
Stadt hinterließen jedoch eine schreckliche Trümmerbilanz und somit gab es
vieles wieder aufzubauen. Schnell fand Alberic einen Arbeitsplatz im Rohbau
und eine dezente Wohnung am Rande der Innenstadt, die er sich zunächst mit
einem Arbeitskollegen teilte. Den jungen Mann kannte Alberic zwar erst seit
Kurzem, aber die Ansprüche in der Nachkriegszeit seien nicht besonders hoch
gewesen. Es stellte sich außerdem heraus, dass sein Mitbewohner ebenfalls vor
einer Weile aus dem brandenburgischen Land hergezogen war. Die Monate
vergingen und Alberic fand alsbald Anschluss in seiner neuen Heimat. Er lernte
viele neue Freunde kennen und ging nach der Arbeit regelmäßig mit seinen
Arbeitskollegen auf die Piste. „Was man halt so als Junggeselle macht!“, lacht
der Alte. „Hab‘ natürlich auch ein paar Mädels kennengelernt, aber‘s hat nie
länger gedauert als ein paar Monate.“ Zwei Jahre später erst, sollte der junge
Alberic eine Begegnung mit seiner Vergangenheit machen. Wie junge Menschen
im Alter von nicht mal dreißig Jahren heiraten konnten, war für Alberic nie
verständlich. Trotzdem besuchte er gerne die eine oder andere Hochzeit, auch
wenn es nur Freunde von Freunden waren, die sich dort vermählten. Warum
auch nicht? Junge Menschen, die viel Spaß haben, viel Alkohol und gute Musik
waren damals nicht so alltäglich, wie wir es heute kennen. So traf sich Alberic
eines Nachmittags mit zwei Freunden, in guter Stoffhose, weißem Hemd und
Krawatte, um gemeinsam zur Hochzeit eines Bekannten aufzubrechen. Es war
bereits im Spätsommer und für die jungen Männer wahrscheinlich die letzte
Gelegenheit im Jahr, eine warme Nacht durchzufeiern. Zu Fuß machten sich
die Junggesellen auf, um der Hochzeitsfeier im Stadtgarten des neben liegenden
Wanne-Eickel beizuwohnen. „Was dann passiert ist, nachdem wir ankamen, ist
fast schon filmreif. Oder vielleicht kam es mir auch nur so vor.“, berichtet der alte
Mann vor mir. „Ich hab‘ mich zunächst unters Volk gemischt und ein paar Bier
getrunken. Und dann, nach nicht mal ‚ner Stunde, hab ich meinen Augen kaum
getraut.“ Ungefähr zwanzig Meter vor ihm, erkannte Alberic eine junge Frau
mit brünettem Haar, spitzen Gesichtszügen und dunkelbraunen Augen. Alberic
wusste sofort, dass es sich um Hilde handelte. Ein gemischtes Gefühl aus Glück
und Übelkeit überkam den jungen Mann. Hilde unterhielt sich offenbar angeregt
in einer kleinen Gruppe junger Männer und Frauen, von denen Alberic keinen
einzigen kannte. Während er die Gruppe aus sicherer Entfernung beobachtete,
wirbelten seine Gedanken im Kreis und er überlegte, schnellstmöglich von der
Hochzeit zu verschwinden. Er erinnerte sich an den großen Schmerz, mit dem
die Trennung von Hilde vor all den Jahren verbunden war. Aber auch an das
unglaublich gute Gefühl, das er hatte, wenn er mit ihr zusammen war. Während
Alberic, weiterhin zögernd zu Hilde starrte, schaute sie plötzlich zu ihm herüber.
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Alberic wusste nicht, ob sie ihn erkannt hatte, aber seine Gedanken wurden auf
einen Schlag klar und ihn überkam ein Gefühl von Sicherheit, während er sich
rührte und auf sie zu schritt.
„Wie gesagt, filmreifer Auftritt!“, lacht der alte Mann vor mir. „Wir sind uns
natürlich nicht weinend in die Arme gefallen, oder so. Aber es war schon ein
verrückter Moment. Hilde hatte mich natürlich erkannt und sich gefreut mich
wiederzusehen. Sie hat mich dann ihren Freunden vorgestellt, und naja, der Rest
kam wie von selbst. Heute sind wir immer noch verheiratet.
Wie Alberic erfuhr, hatte sich Hilde nach ihrem Aufbruch aus Meseritz in
Datteln niedergelassen. Einige zeit später zog es sie in die damalige Großstadt
Wanne-Eickel, welche heutzutage ein Teil von Herne ist.Nachdem sich also das
einstige Paar in ihrer Jugend aus den Augen verlor, sind sowohl Hilde als auch
Alberic quer durch Deutschland gereist, um zwei weitere Jahre so nahe beieinander, aneinander vorbeizuleben - bis sie sich letztendlich wiederfanden. Wir
stellen fest, dass sie Blutdialyse längst abgeschlossen ist. Ich atme durch und bin
beeindruckt von dem alten Mann, der trotz seiner belastenden Umstände durch
und durch aufgeblüht ist, während er mir die Geschichte vom jungen Alberic
und seiner Hilde erzählte.
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Fairtrade
Wir trafen uns auf eine Tasse
daraus wurden zwei, drei, vier
Die Sucht nach meinem Heißgetränk Sie wurde schnell zur Sucht nach dir
Kein' Kaffee trinken könnt' ich nie
Und wenn ich denk, ich schalt' gleich aus
Gibst du mir Kraft und Energie
Gibst mir 'nen kick und holst mich raus
Aromatisch, elegant
So steht sie da, im grellen Licht
Seh' ich vor mir noch meine Tasse
Oder seh' ich nur noch dich?
Kein‘ Kaffee trinken könnt' ich nie
Und wenn ich denk, ich schalt' gleich aus
Gibst du mir Kraft und Energie
Gibst mir 'nen kick und holst mich raus
Doch der Kaffee wird zu schwach
"Ich tu doch schon sechs Löffel rein!"
Zu viel des Guten tut nicht gut
Und Kaffee hält uns nicht mehr wach
Kein' Kaffee trinken könnt' ich nie
Doch du magst keinen Kaffee mehr
Ich geb' dir alles, du mir nichts
Ein solcher Handel, ist nicht fair
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Tauchen Sie ein
Ein langer roter Tresen gegenüber der gläsernen Eingangstür. Leise, rhythmische
Musik. Ein heller, großer, offener Verkaufsraum mit beige gefliestem Steinboden.
In warmen Grau gestrichene Wände mit Aubergine farbigen Akzenten und
vereinzelten hohen Spiegeln zwischen den Regalen. Sorgsam drapierte und
arrangierte Waren auf schwarzen Tüchern in schmalen hohen Vitrinen und
auf dunklen Regalbrettern und einzelnen Verkaufstischen.
In einem visuell abgegrenzten Teil des Raumes befindet sich eine Sitzecke.
Dort stehen auf einem dunklen Teppich mit floralem Muster, ein graues
Sofa, ein schlichter ebenfalls grauer Sessel und ein schmaler, quadratischer
Glastisch. Einige Kleiderstangen sind an der einen Seite montiert, während
auf der anderen zwei breite bodenlange goldfarbene Vorhänge und ein großer
prunkvoll gerahmter Spiegel angebracht sind.
„For Ladies And Gents“ könnte eine ganz normale Modeboutique sein. Modern und geschmackvoll eingerichtet mit einem sehr freundlichen und offenen
Verkaufsraum. Wären da nicht die delikaten Auslagen, die stilvoll und mit viel
Bedacht sortiert in der erotischen Boutique präsentiert und vertrieben werden.
So reicht die breit gefächerte Produktpalette von sinnlichen Spitzendessous,
zarten Stoffmasken über lederne Fesseln und Gerten bis zu flauschigen Federn. Duftende Öle, Kerzen und Geschmackspuder, Gleitgel, einigen Sex-Toys
wie Tenga-Egg Eiern und Dildos bis zu erotischen Romanen, inspirierenden
Büchern und DVDs.
Sandra ten Weges, die Besitzerin der sinnlichen Boutique kommt strahlend
auf mich zu und begrüßt mich freundlich. Sie ist eine schlanke Frau mit blondem Kurzhaarschnitt im mittleren Alter. Wir gehen in den hinteren Teil des
Raumes und nehmen in der Sitzecke platz.
Nach ein paar Sätzen Small Talk kommen wir schon zum Thema meines
Besuches und ich frage Sandra, wie sie ihren Laden bezeichnet und was eigentlich der Unterschied zu einem Sexshop ist. Sie wird sehr ernst und sagt: „Wir
sind komplett jugendfrei. Ein Sexshop ist von außen immer zugeklebt, damit
Jugendliche und Kinder nichts sehen können. Bei uns sind auch auf den Werbeaufnahmen der Produkte keine Genitalien zu sehen. Außerdem haben wir auch
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kein Kino, wo Pornos laufen.“, erklärt sie mir den grundlegenden Unterschied.
Sie meint sogar, dass sie hin und wieder Familien mit Kleinkindern hier hat.
Jetzt lächelt Sandra wieder und scheint sehr amüsiert darüber, wie die Kinder
dann unbefangen mit ihren Eltern „Erwachsenenspielzeuge“ einkaufen gehen.
Natürlich interessiert nun, wie sie überhaupt zu der erotischen Boutique
gekommen ist und so erfahre ich, dass die Vorbesitzerin die Boutique schon an
die 10 Jahre erfolgreich geführt hatte. Diese sei aber leider letztes Jahr wegen
einer Krankheit verstorben. „Ich musste die Boutique übernehmen oder sie
wäre geschlossen worden“, meint Sandra. Sie ist schon seit über 20 Jahren im
Verkauf tätig, hatte aber bisher noch keine Erfahrungen mit dem erotischen
Geschäftsbereich gehabt. „Ich lerne ja selbst noch was dazu“, strahlt sie förmlich
und scheint äußerst zufrieden damit, dass sie sich durch die Übernahme des
langjährig gut laufenden Geschäftes selbst weiterentwickeln kann.
Sie lacht und sagt, „neue Werbung war wichtig und mir gefällt es dabei mit
den Erwartungen der Menschen zu spielen.“ Bei einigen Messen hätte sie
schon früher gerne damit gespielt. Derzeit reicht es ihr aber vollkommen die
festgesetzten Bilder der Gesellschaft zu zerstreuen und überrascht gerne mit
ihrem „außergewöhnlich“ normalen Kleidungsstil. Sie trägt eine schlichte
helle Stoffhose und eine mit Blumen gemusterte Bluse mit dezenten Knöpfen.
Alles in sanften, hellen Farben.
Ebenso wichtig wie die Werbung, die hauptsächlich über Mundpropaganda
läuft, ist ihr auch der Slogan des Ladens: „Tauchen Sie ein.“ Damit möchte Sandra
ihren Wunsch für jeden ihrer Kunden ausdrücken, sich bei ihr ganz fallen und
frei zum Stöbern inspirieren zu lassen. So beschreibt sie die Boutique auch ein
bisschen als „Anlaufstelle“ für diejenigen, die auf der Suche nach Abwechslung
und mehr Spaß im Schlafzimmer sind. Hier soll man ganz unbedarft nach neuen
Möglichkeiten suchen um sich selbst und seinem Partner etwas Gutes zu tun.
„Heute hat man immer Stress und wenig Zeit. Vieles bleibt da auf der Strecke,
die Erotik ist da eine der ersten Sachen. Hier kann man dann herkommen und
sich etwas Gutes tun“, meint Sandra.
70-80% der Frauen kommen beim Geschlechtsverkehr nicht allein durch
Penetration zum Orgasmus. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch wesentlich höher und dem entsprechend hat Frau beim Sex meistens einfach weniger
Spaß als Mann. Da Frauen durch die Frauenbewegung, vor allem um 1974/75,
wesentlich mehr Rechte erhalten haben, hat sich auch die Einstellung der
Gesellschaft zum Thema Sex und der Rolle der Frau zum Thema Sex etwas
gewandelt. Frauen dürfen und sollen sich laut ihren Partnern beim Sex selbst
berühren, jede Menge Spaß haben und dies auch lautstark kundtun. Das meinen
viele Männer, wenn sie gefragt werden, was sie sich für den gemeinsamen Sex
mit einer festen Partnerin wünschen.
„Wir sind nicht nur Verkäufer, wir sind auch Seelsorger“, sagt Sandra und
besonders toll fand sie es, als eine Dame Mitte 40 ganz aufgeregt hereinkam
um sich ihren ersten Vibrator zu besorgen. Sie soll dann zu Sandra gemeint
haben: „Danke, ich habe mich selbst wieder kennengelernt.“ Solche Momente
sind für die Verkäuferin dann besonders schön, da sie so merkt, dass sie die
Menschen wirklich erreichen und ihnen auch helfen kann. Es gibt natürlich
auch Paare, bei denen es auf den ersten Blick weniger gut läuft, denen Sandra
aber trotzdem durch ihre Beratung zu mehr Komfort im heimischen Schlafzimmer verhelfen kann.
Dabei scherzt sie auch: „Ich bin die Mutter Theresa vom Münsterland.“ Gemeint
ist damit aber hauptsächlich, dass sie sehr feinfühlig auf ihre Kunden eingeht und
jeden dort abholt, wo er sich gerade wohlfühlt. Das ist ihr sehr wichtig und eines
ihrer Prinzipien. „Ich verkaufe nichts, womit sich der Kunde nicht wohlfühlt.
Auch wenn etwas anderes vielleicht besser steht, wenn die Dame oder der Herr
dann die ganze Zeit daran rumzupfen und sich in dem Teil nicht wohl fühlen,
dann empfehle ich etwas anderes.“
Um auch die Kunden zu erreichen, die sich in einen „gewöhnlich“ Sexshop nicht
hineintrauen würden, sagt Sandra von sich selber, dass sie sehr „soft“ aufgestellt
ist. Das heißt selbst die „härteren“ Spielzeuge bei ihr sind besonders für zarte
Gemüter und Einsteiger geeignet. Außerdem sagt sie: „Wir sind hier sehr diskret.
Privates ist bei uns privat.“ Das zeigt sich dann auch sogleich, als ein Kunde den
Laden betritt und klar wird, dass einige Klamotten anprobiert werden sollen.
Damit der sportliche junge Mann in Trainingsjacke Anfang 30 mit den blonden
Haaren und hellen Augen in Ruhe die Teile seiner Wahl anprobieren kann, werde
ich trotz Umkleidekabinen in das angrenzende Büro geschickt. „Das ist immer
so“, sagt Sandra noch zu mir, bevor sie die Schiebetür schließt.
Das Büro ist klein und in Weiß und Grau gehalten. Es gibt eine schmale
Küchenzeile an einer der Stirnwände, an der andern ein hohe Glastür, die zur
gepflasterten Terrasse führt. Zwei Orchideen stehen in farbigen Blumentöpfen
auf einem Regalbrett, das über dem Schreibtisch an der Wand montiert ist.
Außerdem gibt es ein sehr volles Bücherregal, das zwischen Schreibtisch und
Terrassentür steht. Ein paar einzelne Dessous und Kunstlederoberteile hängen
auf Kleiderbügeln an einer Kleiderstange. Ein Kalender mit erotischen aber jugendfreien Männerakten befindet sich an der Wand gegenüber dem Schreibtisch.
Als der Kunde seine Wahl getroffen hat und den Laden wieder verlässt, verabschiede ich mich auch langsam von Sandra und trete nach einer kurzen Beratung in Sachen Gleitgel wieder den Heimweg an. Mal sehen, wann ich wieder
eintauchen kann.
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Biest und Tier
Ich will fliegen
Du erschienst wie ein Engel einst
Kraft und Liebe du vereinst
Mit wallend Haar mit wehend Tuch
Mit aufrecht Blick und kessem Spruch
Was lag ich dir zu Füßen bar
Was liebtest du mich doch zurück
Ich gab mein Leben dir
Du flochtest es zu unsrem Glück
Gebunden stellst du mich in deine Mitte
Rahmst mich nur durch deine Kraft
Eisern schwingen, stählern Hand
Kalte Ketten, kein Verstand
Schwingen, die einst mich schützten
Jetzt ums Leben mich gebracht
Kann nicht atmen, kann nicht sehen
Muss ganz allein‘ bei dir vergehen
Ich will fliegen himmelweit
Will treiben grenzenlos
Das Ende unsrer Zeit
Die ich einst so sehr genoss
Ich steh‘ im Sturm
Sitze in der Stille
Du bist der Wind, der Turm
Zerstörst alles
War das dein Wille?
Du warst Gefährte mir zu aller Zeit
Hast von jeder Bindung mich befreit
Ich flog ohne Kette, ohne Bann
Flog ohne Last und ohne Zwang
Ich flog der Freiheit grad entgegen
Da konntest du nicht ohne mich leben
Nahmst die Kette schnell zur Hand
Fesselst mich mit Tuch und Band
Ich will fliegen himmelweit
Will treiben grenzenlos
Das Ende unsrer Zeit
Die ich einst so sehr genoss
Ich will fliegen himmelweit
Will treiben grenzenlos
Das Ende unsrer Zeit
Die einst so sehr genoss
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Schön, lässig, cool und klug
Eroberst jedes Herz im Flug
Sie verfallen wie die Fliegen
Trotzdem kann dich niemand kriegen
Was du suchst, ist weiter drin‘
Macht für niemand andren Sinn
Nett? Normal? Natürlich? Triebe!
Sie sind der Grundsatz deiner Liebe
Lässt dich gehen und fallen
Forderst Kratzer, Bisse, Krallen
Kraftvoll, wild und ungestüm
Trägst Schweiß als dein Parfüm
Strahlen, zwinkern, lächeln
Müssen sie sich Luft zu fächeln
Charmant wie eh und je
Sind alle Beute, Wild und Reh
Du folgst jeder schwachen Fährte
Ist das Wachs von einer Kerze?
Du folgst jeder kleinen Spur
Denn nur mein Blut ist deine Kur
Hast du deinen Durst gestillt?
Tiefe Wollust mich noch füllt
Willst du hasten willst du jagen?
Ich werd‘ stolz die Male tragen
Schlag mich, beiß‘ mich
Lieb, zerreiß mich
Lass mich heulen, weinen
Wenn wir uns in Lust vereinen
Denn nur hier bei mir, mir
Bist du du
Das Biest und Tier
Wispern, keuchen, schreien
Endlich bin ich wieder dein
Streicheln, kratzen, greifen
Lass mich mit der Peitsche streifen
Ich such nicht weiter nach dem Sinn
Lass das Grübeln endlich sein
Seh‘ das Tier tief in dir drin
Endlich bin ich einzig dein
Schlag mich, beiß‘ mich
Lieb, zerreiß mich
Lass mich heulen, weinen
Wenn wir uns in Lust vereinen
Denn nur hier bei mir, mir
Bist du du, das Biest und Tier
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Etwas anders
„Ich war schon immer so“, sagt Janina und schaut nachdenklich auf das große
Feld. „Aber habe es zuerst nicht bemerkt.“. „Ist angeboren“, fügt Ronja hinzu.
Janina und Ronja (beide 20) fühlen sich zu Frauen hingezogen. Beide jungen Frauen sind lesbisch. Laut einer Umfrage von EUROGAY sind 3,1% aller
Frauen in Deutschland homo- oder bisexuell orientiert, wobei es aufgrund
von Zurückhaltung vermutlich weitaus mehr sein könnten. Bisher ist es noch
ungeklärt, ob es eine genetische Ursache gibt oder das Umfeld bzw. ein Ereignis
im Leben die sexuelle Orientierung beeinflusst.
Es war ein Tag wie jeder andere. Draußen knallte die Sonne auf den hellen
Asphaltboden des Schulhofes und der frische Luftzug durchs Fenster im warmen Klassenraum schien binnen Sekunden zu verschwinden. Leere Blicke,
gähnende Mäuler und stöhnende Laute erschwerten den Unterricht. Der Lehrer
analysierte irgendwelche Textstellen aus dem Schulbuch, doch für Janina gab
es eine interessantere Sache. „Wir bekamen an jenem Tag in der 5. Klasse des
Gymnasiums eine neue Schülerin aus Hamburg. Sie sah nicht außergewöhnlich
aus und doch beobachtete ich sie stundenlang. Ich weiß nicht warum, aber ich
wollte unbedingt eine Freundschaft erzwingen.“ Ronja fügt hinzu: „Das war der
erste Tag, an dem wir uns das erste Mal im Leben gesehen hatten. Meine Eltern
haben sich geschieden und meine Mama zog mit ihrem neuen Freund hierher.“
Janina erzählt weiter „Mit jedem Tag kamen die Sommerferien näher, ich
aber Ronja leider nicht. Sie ist sehr zurückhaltend gewesen, und wenn wir in
der Schule miteinander sprachen, so schwieg sie mich im Bus an, wenn wir
nebeneinandersaßen. Wir hatten nicht viel gemeinsam und dennoch gab es
irgendwie eine gute Basis für eine beste Freundschaft. Wir sprachen nicht
viel miteinander, aber verstanden uns auch ohne Worte, wenn wir über die
gleichen Situationen kicherten. „Als die Sommerferien anfingen, war ich im
Urlaub gewesen.“ „Ich war zu dieser Zeit in Hamburg bei meinem Vater zu
Besuch“, fügt Ronja hinzu.
Nach den Sommerferien stellte Janina fest, dass Ronja für die 6. Klasse nicht
versetzt wurde und fortan die Realschule besuchen würde. Sie war enttäuscht
und verletzt, dass Ronja nie ein Wort davon erwähnte, dass sie die Schule
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wechseln müsste. Es war eine kurze Begegnung der beiden, die etwa 4 Wochen
anhielt. Somit vergaßen beide langsam einander.
Nach etwa einem Jahr kippten Janinas schulische Leistung rapide und sie
war den schulischen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Sie entschloss
sich dazu, das Gymnasium zu verlassen und in die 7. Klasse der Realschule
versetzt zu werden.
„Ich weiß es noch bis heute. An meinem ersten Schultag auf der Realschule
traf ich auf einige Freunde aus meiner Grundschulzeit. Wir standen an dem
sonnigen Tag auf der Treppe und unterhielten uns, während immer mehr Schüler
meiner neuen Klasse eintrafen. Ich drehte mich immer wieder neugierig in alle
Richtungen um, bis ich plötzlich Ronja erblickte. Sie grinste mich wortlos an.“,
erinnert sich Janina. Beide waren in derselben 7. Klasse. In den laufenden 2
Jahren entwickelte sich eine sehr gute Freundschaft und sie trafen sich auch
außerhalb der Schulzeit immer öfter. „Wir waren beste Freundinnen aber so
sollte es wohl nicht sein“, sagt Ronja.
In der 9. Klasse, einen Tag vor Janinas Geburtstag, kam Ronja auf sie zu und
gab ihr zu verstehen, dass sie sehr bald wieder zu ihrem Vater nach Hamburg
zieht. Was Janina zunächst als Scherz auffasste, bewahrheitete sich jedoch
einige Wochen später.
Ronja war wieder weg. Janina fiel es sehr schwer, dies zu akzeptieren. Sie
weinte tagelang und konnte sich die weitere Schulzeit ohne Ronja nicht mehr
vorstellen, obwohl sie noch viele andere Freunde dort hatte. Sie wollte Ronja
bei sich haben und schaute sich oft Bilder von den beiden am Computer an.
Sie fühlte sich unvollständig und alleine.
Nach einem Jahr besuchte Janina ein Berufskolleg in der Nachbarstadt
und fand dort einen neuen Freundeskreis, jedoch war sie in Gedanken oft
noch bei Ronja.
Dass sie eine Neigung zu Frauen hat, wurde ihr kurze Zeit später, nachdem
Ronja nach Hamburg zog, klar und sie gestand sich ihre Homosexualität ein.
Ob die Gefühle für sie bereits in der 5. Klasse darauf zurückführen, kann sie
nicht zu 100% sagen, ist sich aber sicher, dass es schon irgendwie in dem jungen
Alter „geknistert“ haben muss oder dass es irgendeinen Auslöser gab. „Meine
Mutter wusste es vor mir. Es war aber nie ein großes Thema“, erzählt Janina.
„Alle haben es später einfach hingenommen. Haben es entweder toleriert und
akzeptiert oder sogar bewundert.“.
Während Janina sich in ihrer Ausbildung befand, erfuhr sie zwischenzeitlich von ihrer Schwester, welche in einer Frauenmannschaft Fußball spielt,
dass Ronja wieder in ihrer Stadt sei und sich in der Mannschaft angemeldet
habe. „Zwar ist es ein Vorurteil zu glauben, dass prozentual mehr Lesben
Frauenfußball spielen, dennoch glaubte ich fest daran bzw. hoffte, dass Ronja
dazugehört.“, sagt Janina.
Als Janina ihre Schwester vom Training abholt, erblickt sie nach 4 Jahren
Ronja. „Es war, als würde mein Herz zusammenkrampfen und als ob ich auf
Gummibeinen stehen würde. Es war dann tatsächlich Liebe, von der man nun
sprechen konnte, auf den dritten Blick“ erinnert sich Janina und lacht. Von
ihrer Schwester erfuhr sie in den nächsten Tagen, dass Ronja bereits eine feste
Freundin hatte und somit erschien es nun mehr als eindeutig, dass sie ebenfalls
an Frauen interessiert ist. „Von da an war mir klar, dass ich nur sie haben wollte
und es sogar von ihrer Seite aus auch eine Chance geben könnte.“,sagt Janina.
Heute sind beide seit fast einem Jahr in einer Beziehung. Janina strahlt „Es
ist so unglaublich, dass ausgerechnet wir beide uns so entwickelt haben und
bereits Gefühle von beiden Seiten aus vorhanden waren, ehe wir voneinander
wussten, homosexuell zu sein geschweige denn, es von uns selbst genau zu
wissen.“ Ronja hatte bereits zwei feste Freunde. „Die Jungs, mit denen ich
zusammen war, sind eher distanziert gewesen. Natürlich kann es an deren
Persönlichkeiten gelegen haben. Aber eine Beziehung mit einer Frau empfand
ich als viel intensiver, verständnis- sowie gefühlvoller.“ Dabei schaut sie Ronja
grinsend an und nimmt ihre Hand.
Sie gehen den Feldweg Händchen haltend entlang. Eine ältere Dame mit
einem kleinen Hund kommt vorbei. Ihr Blick ist dabei auffällig auf das verliebte
Pärchen fixiert. Als wäre sie einem Außerirdischen begegnet. Janina und Ronja
grinsen. Dann schauen sie sich sehr ernst an. „Wenn ich die Chance hätte, auf
Knopfdruck heterosexuell zu werden, dann würde ich selbstverständlich ablehnen.
Ich habe es nie bereut so zu sein, wie ich bin. Mittlerweile bin ich gegenüber
einer sexuellen Beziehung zu einem Mann sehr abgeneigt. Es reizt mich in
keinster Weise und ich bin glücklich mit meinem Liebesleben“, erzählt Ronja.
Die jungen Frauen schauen zu, wie die Abendsonne immer schwächer wird.
„Es gibt einfach mehr Vor- als Nachteile als Lesbe.“, sagt Janina. „Man glaubt
gar nicht, was man an Geld für Verhütungsmittel spart!“ „Und man kann nicht
ungewollt bzw. versehentlich schwanger werden.“ ergänzt Ronja „Letztendlich
liebt man doch den Menschen und nicht sein Geschlecht.“
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Reset
Trampolin
Oft halt‘ ich dich an kurzer Leine
Doch dann kannste ruhig Leine ziehen
Bin stolz zu sagen "Ich bin Deine"
Doch dann kommt’s anders als es schien
Fängst mich auf wie’n Trampolin
Dann stößt du mich auf einmal ab
Du bist meine Medizin
Auf die ich nicht verzichten mag
Als auch meine Krankheit
Die ich zu bekämpfen wag’
Tust mir gut und tust mir leid
Machst mich schwach und machst
mich stark
Bist ‘n Fliegenpilz: Hübsch aber giftig
Zuviel von Dir? Das wäre nicht richtig
Trotzdem gewagt? Überdosiert
Das Ende vom Lied? Qualvoll krepiert
Du bist Tesa ich bin Kleber
Du bist Nehmer und ich Geber
Du bist Wodka, ich die Leber
Du am stürzen und ich heb’ ab
Du bist Döner und ich Kebab
Du bist Tinte, ich die Feder
Du gehst weg und ich steh’ da
Du kommst wieder und ich geh ma
Du hast ne Lösung ich hab Fehler
Bist du mein Obst, bin ich dein Schäler
Beide so gleich und doch so verschieden
Oftmals am hassen, letztendlich am lieben
Hass oder Liebe, die ewige Wende
Ist wie GZSZ
Es nimmt nie ein Ende
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Ich lese gerade Zeitung
Das Tageshoroskop
Bist weg seit langer Zeit und
So bleibt‘s beim Monolog
Damalige Bilder
Haften noch im Hirn
Zeig auf Ausgangsschilder
Und fass mir an die Stirn
Ein Liebespaar auf ewig?
Ohne Pech und Leid?
Horoskop sagt: geht nicht
Keine Neuigkeit
Du bist ein langes Wimpernhaar
Sitzt fest in meinem Auge
Du störst. Musst raus. Wär‘ wunderbar
Ein Traum an den ich glaube
Erst war ich hin
Dann warst du weg
Wo bleibt der Sinn?
Hab‘s nie gecheckt
Du Säure, ich Lauge
Und beides vermischt
Das Fazit, ich glaube
Es knistert wohl nicht
Hab kein Bock und bin es leid
Will vergessen voll komplett
Als wäre es ne Kleinigkeit
Knopf Gefunden. Gedrückt. RESET
Es ist mit uns wie Haarausfall
Es wurd immer weniger
Das mit uns war nie so prall
Dass das nicht hält, das seh‘ ich ja
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Ich würde es für mich tun!
„Nächste Woche ist es so weit ...“, berichtet Sabrina B. (Name geändert) und
schenkt ein Glas aus einer Karaffe mit gefiltertem Wasser ein, stellt es vor mich
und setzt sich zu mir auf das rote Sofa mit den gelben Kissen. Einige Notizen
über internationales Marketing liegen neben einem Laptop auf dem Couchtisch, anscheinend hat sie sich vor meinem Eintreffen auf eine anstehende
Klausur vorbereitet. „Ja, nächste Woche entscheidet sich dann, wie es weiter
gehen wird ...“ fährt die junge Frau, groß, schlank und mit langen, zu einem
Pferdeschwanz zusammengebundenen, blonden Haaren fort. Sabrina B. ist
Auszubildende bei dem Veranstalter EUROFORUM und studiert nebenbei an
der Fernuniversität Hagen BWL; später möchte sie gerne als Veranstaltungskauffrau Karriere machen.
„Nachdem ich in der elften Klasse ein Jahr in Amerika war, bin ich auf das Berufskolleg gewechselt, weil ich dort Abitur mit dem Schwerpunkt „Wirtschaft“
machen konnte und dort haben wir uns kennengelernt. In der Schule selber
hatten wir eigentlich gar nichts miteinander zu tun, erst auf der Abschlussfahrt
Anfang Mai 2011 haben wir das erste Mal richtig miteinander gesprochen und
seit Ende Mai sind wir ein Paar.“
Fast vier Jahre sind Sabrina B. und ihr muslimischer Freund Faris M. (Name
geändert), der mit zehn Jahren aus seiner Heimat Pakistan nach Deutschland
kam, nun zusammen. In den ersten zweieinhalb Jahren haben sie sich nur
selten gesehen, nach der Schule oder bei Sabrina B. zu Hause, da niemand
von ihrer Beziehung wissen durfte, denn als gläubiger Moslem ist es Faris M.
nicht erlaubt eine andersgläubige Freundin zu haben, und obwohl er bereits
volljährig ist, muss er sich an strenge Ausgehzeiten halten. „Manchmal war
es wie in einer schlechten Komödie“, erzählt Sabrina B. zuerst mit leicht
amüsierten, dann mit einem traurigen Ausdruck im Gesicht. „Einmal war
ich bei ihm zu Hause, weil seine Eltern in Urlaub waren und dann kamen
spontan zwei Tanten vorbei und ich musste mich tatsächlich im Schrank
verstecken. Und vor unserem Abiball waren wir heimlich zusammen beim
Fotografen, weil wir auf dem Abiball vor seiner Familie so tun mussten, als
ob wir uns nicht richtig kennen würden.“
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Unbenannt-1 1
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26.05.2015 17:37:01
Vor anderthalb Jahren dann haben die beiden der Mutter von Faris M. von Ihrer
Beziehung erzählt: „Das war ein großer Schritt, Faris und seine Mutter stehen
sich sehr nahe, ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn sie gesagt hätte, er
solle sich von mir trennen ...“ Eine kurze Pause entsteht, Sabrina B. greift zu
ihrem Wasserglas und nimmt einen Schluck. Ich lasse meinen Blick derweil
durch das Zimmer der 23-Jährigen schweifen: Schreibtisch, Bett, Fernseher, das
Zimmer ist hell und modern eingerichtet, an der einen Wand hängt ein Bild mit
einem Zebra und ein Poster mit einem Sonnenuntergang darauf. Gegenüber eine
Fotocollage: ein Selfie von Sabrina mit ihren Freundinnen, wie sie Grimassen
ziehen, ihre Familie und sie vor dem Weihnachtsbaum und ein Bild von Faris
und ihr am Strand. Sabrina B. sieht meinen Blick und erklärt, dass das Bild aus
ihrem letzten gemeinsamen Urlaub in der Türkei stammt. Obwohl Faris Mutter
zu dieser Zeit von der Beziehung ihres Sohnes wusste, mussten sie den Urlaub
vor ihr geheim halten und bis heute glaubt sie, dass ihr Sohn den Sommer mit
einem Freund verbracht hat; Sabrinas Eltern hatten das Pärchen zum Flughafen
gefahren und auch wieder abgeholt. Die beiden mögen Faris und glauben seit
dem ersten Treffen mit dem Freund ihrer Tochter auch nicht mehr, dass die
Pakistaner noch in Lehmhütten hausen und Internet für sie ein Fremdwort sei.
Schwieriger war es, als Sabrina ihrem Großvater von Ihrer Beziehung erzählte
„Er ist total ausgeflippt und hat sich fürchterlich über die Ausländer und meine
Naivität aufgeregt, bis ich dann weinend nach Hause gefahren bin“. Sabrina
weiß, dass nicht nur ihr Großvater, sondern auch viele andere, insbesondere
vor dem Hintergrund der aktuellen Gräueltaten des Islamischen Staates,
viele Vorurteile gegenüber Muslimen haben. „Faris hofft jedes Mal, wenn ein
Anschlag geschieht, dass es kein Moslem war, der unter dem Deckmantel der
Religiosität seine Attentate begeht. Es ist unglaublich, mit welcher Abneigung
die Leute plötzlich allen Muslimen gegenüberstehen, dabei wissen die meisten
gar nicht richtig, was der muslimische Glauben beinhaltet; vielen ist gar nicht
bewusst, dass sie an den gleichen Gott glauben wie die Christen“.
Aber nicht nur die Vorurteile der Menschen gegenüber den Muslimen
erschwert die gemeinsame Zeit des jungen Paares, sondern auch der Glaube
selbst: „Wenn wir gemeinsam in den Urlaub fahren wollen, müssen wir uns
immer nach dem Ramadan richten und im Urlaub selber ist es manchmal
schwer, Restaurants zu finden, die koscheres Essen anbieten. Auch die täglichen fünf Gebete kann er oft nicht einhalten, wenn wir zusammen unterwegs
sind. Komisch war auch, dass er letztes Weihnachten im Fitnessstudio war,
während ich gemeinsam mit meiner Familie feierte.“ Bei diesen Worten fällt
ihr Blick auf das Foto von ihr und ihrer Familie vor dem Weihnachtsbaum
und auf die Frage, ob sie schon darüber gesprochen hätten, wie die Feierta-
ge und auch die Kindererziehung in ihrer gemeinsamen Zukunft aussehen
sollen, antwortet sie nur ausweichend, dass das ein schwieriges Thema sei.
Hier ist zum ersten Mal Unsicherheit zu spüren und es wird deutlich, dass
die junge Frau, die zuvor selbstbewusst von Ihrem Tränenausbruch nach
dem Gespräch mit Ihrem Großvater und den Vorurteilen Fremder und ihr
nahe stehenden Menschen gesprochen hat, hier vor einem Problem steht,
das sie noch nicht gelöst hat.
Aber der erste Schritt vor der Familienplanung ist sowieso erst einmal der
Einzug in eine gemeinsame Wohnung. Die Zwei suchen schon seit mehreren
Monaten nach einer passenden Immobilie und im Mai, spätestens im Juni
wollten sie dann offiziell zusammenziehen. Auf den Einwand hin, ob es nicht
problematisch sei, wo sie selbst ihren gemeinsamen Urlaub geheim halten
mussten, erwidert Sabrina B. wie selbstverständlich: „Wir müssen uns vorher
schon verloben, sonst würde das nicht gehen … ich glaube, dass er mir diesen
Monat noch einen Antrag macht ...“ Bei diesen Worten ist die Vorfreude in den
Augen des hübschen Mädchens zu erkennen, ein leichtes Lächeln umspielt
ihre Lippen und fast ein bisschen aufgeregt erzählt sie, dass Faris sie schon
unauffällig nach Ringvorlieben gefragt habe, aber dass sie sich da überraschen
lassen möchte und auf seinen guten Geschmack vertraue. Dann wendet sie
aber noch ein, als wolle sie selbst ihre Vorfreude ein wenig bremsen „Aber
erst einmal müssen wir seinem Vater von uns erzählen, Faris Mutter wird
es ihm nächste Woche sagen und dann müssen wir schauen, wie er reagiert
und dann sehen wir weiter.“
Eine Hochzeit würde sowieso erst nach Beendigung ihres Studiums infrage
kommen, also frühestens in zwei Jahren; aber trotzdem hat sich Sabrina B.
bereits mit der Frage beschäftigt, noch vor ihrer Hochzeit zu konvertieren.
„Wir können auch heiraten, wenn ich katholisch bleibe. Faris erzählt mir auch
wenig über seine Religion, weil er mich keines Falls bei meiner Entscheidung
beeinflussen möchte, aber natürlich wäre es ihm und seiner Familie lieber, wenn
ich muslimisch wäre. Ich war nie richtig religiös und mich hält auch nichts in
meiner Religion. Ich hab einige Bücher über den islamischen Glauben gelesen
und auch Biografien von Leuten, die konvertiert sind, ich glaube schon, dass es
was für mich sein könnte. Aber ich würde es für mich tun, nicht für ihn!“ Die
junge Frau sagt dies voller Überzeugung und Selbstsicherheit, aber würde sie
auch konvertieren wollen, wenn sie mit einem Christen zusammen wäre? Und
ist es dann nicht doch eher für ihn als für sie? Aber was sie auf jeden Fall für
sich tut, ist ihren Namen trotz Heirat zu behalten, um Ihrer Karriere keine
Steine in Weg zu legen, wenn auf Ihrem Lebenslauf Sabrina Muhamet und
muslimisch steht anstatt Sabrina Bauer und römisch-katholisch.
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Ihre berufliche Zukunft ist Sabrina B. sehr wichtig, genau wie Faris. Bis vor
drei Monaten hat dieser neben dem Studium seinem Vater bei dem Vertrieb
von Kleinmetallgegenständen geholfen, dann aber begonnen sich seinen eigenen Onlineshop für Uhren aufzubauen. Durch seinen Shop ist er finanziell
unabhängig von seinem Vater, denn es könnte durchaus passieren, dass er ihn
hinauswirft, wenn er von der Beziehung seines Sohnes erfährt. Seit letztem
Jahr sucht er für Faris bereits potenzielle muslimische Frauen in Pakistan,
wobei sich sein Sohn bisher immer geweigert hat, mit ihm in die Heimat zu
fliegen mit der Begründung, dass er zunächst sein Studium beenden wolle. „Das
ist schon komisch, wenn du weißt, dass deinem Freund Bilder von Mädchen
gezeigt werden, die er kennenlernen und heiraten soll. Zeitweise sah es auch
so aus, als müsste er mit seinem Vater fliegen und sie persönlich kennenlernen
... da war ich schon ziemlich erleichtert, als Faris sich durchgesetzt hat und das
Thema von Tisch war!“
Ganz aktuell wird das Thema allerdings nächste Woche wieder, wenn Faris
Vater von den Zukunftsplänen seines Sohnes mit der blonden Katholikin
erfährt. „Nächste Woche ist es soweit, ich hab schon ein bisschen Angst vor
der Reaktion aber ich bin auch froh, wenn die ganze Versteckspielerei endlich ein Ende hat und egal wie er reagiert, dann wissen wir es jedenfalls und
können sehen, wie es weitergeht.“
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Liebe – eine Reise ohne Ziel
Wie die zwei Seiten einer Münze
Es wagen, aufbrechen losgeh`n
Auch ohne Karte, Plan und Ziel
Wo es lang - und wo es hingeht
Das werden wir schon seh`n
Getrennt durch unsere Welten
Unvergleichbar wie Süd und Nord
Wo unterschiedliche Gesetze gelten
Und man fremd ist am anderen Ort
Liebe – eine Reise ohne Ziel
Nach Japan, Namibia oder entlang am Nil
Unsere ganz eigene Route nehmen wir
Schauen nicht zurück, nicht nach vorn – leben im Hier
Wie Sonne und Mond, Ebbe und Flut
Berg und Tal, Böse und Gut
Mal ist es einfach, mal ist es schwer
Vieles gibt es zu entdecken
Der Reiz des Neuen, des Fremden
Manchmal auch müde und leer
Liebe – eine Reise ohne Ziel
Nach Japan, Namibia oder entlang am Nil
Unsere ganz eigene Route nehmen wir
Schauen nicht zurück, nicht nach vorn – leben im Hier
Geprägt von der Reise – es gibt kein zurück
Gemeinsam geht man weiter
Für immer oder nur ein Stück
Mal bedrückt und einsam mal unbeschwert und heiter
Getrennt in unseren Köpfen
Unvergleichbar wie Nase und Mund
Mauern in unseren Köpfen
Und dazwischen ein tiefer Schlund
Wie Sonne und Mond, Ebbe und Flut
Berg und Tal, Böse und Gut
Getrennt und doch untrennbar
Unerreichbar und doch so nah
Wie die zwei Seiten einer Münze
Ich glaube, es ist wahr
Liebe – eine Reise ohne Ziel
Wir gehen immer weiter, weiter, weiter
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Liebe mit Aussicht auf...
Am einprägsamsten an Maries Wohnung ist insbesondere die muskelbepackte
und bauchfreie Anime-Figur auf einem Regal, dessen schwarze Haare sich
senkrecht etwa 30 cm in die Luft türmen. Sie pikt mich spaßeshalber mit dem
spitzen Ende der Haare, als wäre die Figur ein Schwert. Die Figur thront über
einer ganzen Reihe weiterer Figuren von Sailor Moon.
Ansonsten ist ihr Einzelappartement mit dem Nötigsten ausgestattet. Der
Eingangsbereich ist sowohl der Flur, als auch die Küche und das Esszimmer,
mit einem dreieckigen Grundriss. Rechts ist ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen
und auf dem Boden sind Kartons. Nicht unordentlich. In wenigen Schritten
ist hinter dem Tisch die Tür zu ihrem Zimmer, schätzungsweise 15qm groß.
In der Hausordnung steht, dass an den Wänden nicht gebohrt werden darf,
ansonsten wird man aus der Wohnung geworfen. Marie hat trotzdem eine
Pinnwand aufgehängt, auf der bereits Notizzettel gepinnt sind. “Ach, ich habe
selber welche aus dem Studentenwohnheim bohren hören”, sagt Marie dazu.
Sie ist Mitte zwanzig, hat bereits eine Ausbildung abgeschlossen, gearbeitet
und studiert nun. Sie kann kochen und ist nicht wie viele, die zum Beispiel
direkt aus der Schule kommen, auf das Mensaessen angewiesen. Außerdem
redet und lacht Marie gerne und viel.
Bis jetzt hat sie aber noch nie alleine gewohnt. Das ist für sie eine neue
Erfahrung, mit der sie sich anfreunden möchte und muss. Marie ist aber der
Ansicht, dass sie das Zusammenleben mit ihrer Partnerin Claudia schöner
findet. Vor dem Umzug nach Münster, lebten sie nämlich 2 Jahre zusammen.
Ihre Beziehung hält seit 4 Jahren stand. Die andere Hälfte ihrer gemeinsamen
Zeit war es eine Fernbeziehung und die Zwei haben sich bestenfalls alle 6 Wochen gesehen. Kennengelernt haben sie sich über die Internetseite Animexx,
wo beide ihr Interesse für Anime und Manga ausleben. Auf Beziehungssuche
waren sowohl Marie als auch Claudia zunächst nicht. Bevor sie sich näher kamen, trafen sie sich auf dem Japan-Tag und Claudia besuchte sie im Sommer.
Am 15. Dezember kamen sie zusammen.
“Kommunikation ist in jeder Beziehung wichtig”, betont Marie. “Und ob jemand
für eine Fernbeziehung geschaffen ist, muss jeder für sich selbst einschätzen.
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Man muss sich auch nicht dafür schämen, falls es nicht klappt. Ich selber war
sehr unsicher. In einer vorherigen Fernbeziehung hat es nicht geklappt, weil
beide Parteien sich kein Ziel gesetzt haben. Man muss eine Fernbeziehung als
eine Art Übergangsding betrachten.”
Da sie nun im selben Bundesland wohnen, können sie sich mit dem Semesterticket jedes Wochenende in Person treffen. Claudia suchte eine Universität,
damit sie ihren Master machen konnte und passenderweise bot eine in Maries
Stadt diesen Studiengang an. Sie sahen es als Chance, zusammenzuziehen.
Wenn beide miteinander reden, quillt Marie fast über mit ihrem Wissen, ihren
Erlebnissen und Meinungshaltungen, während Claudia geduldig zuhört. Hin
und wieder necken sie sich.
Dass Marie heute offen und mit wichtigen Informationen über sexuelle
Orientierungen reden kann, hat lange gedauert. Sie selbst identifiziert sich
als bisexuell bzw. pansexuell und hat einige gescheiterte Beziehungen hinter
sich. Während ihrer Schulzeit und Ausbildung ist sie möglichen Konflikten
aus dem Weg gegangen und hat sich deshalb nicht geoutet. Claudia kann das
gut nachvollziehen. “Ich habe relativ früh erkannt, dass ich mich zu Mädchen
hingezogen fühle. Als ich das meinem Vater mitteilte, war ich 13 und er erst
mal überfordert. Seine Reaktion hat mich allerdings nicht verletzt.” Mit 13
hatte Marie ihren ersten Freund und bei ihr machte sich eine Erleichterung
breit. Sie konnte also ein normales Liebesleben haben. Allerdings war sie
zeitgleich in ihre beste Freundin verliebt. Mit 17 hatte sie ihre erste Freundin
und ihr Vater konnte sich 4 Jahre lang darauf vorbereiten, dass seine Tochter
mal eine Freundin haben würde.
Claudia hingegen ist, wie sie sagt, ein “Spätzünder” gewesen. Aufgewachsen
in einem Dorf, wo jeder jeden kennt, hat sie irgendwann mal bemerkt, dass sie
kein Interesse am anderen Geschlecht hat. Sobald sie Zugriff zum Internet
hatte, hinterfragte sie sich selbst. Dass sie lesbisch ist, hätte ihre verstorbene
Großmutter wahrscheinlich austicken lassen. “Ich hatte ein krasses Verhältnis
zu meiner Großmutter. Sie war ziemlich homophob. Nur die Leute, die mir
wichtig sind, wissen darüber Bescheid. Mein Opa wusste es und hat nichts
gesagt. Er ist toleranter und respektvoll. Einmal fragte er mich, wie das denn
funktioniere, wenn ich Kinder haben wolle.” Kinder wollen beide unbedingt
haben. “Wie war das? Ich bekomme einen Sohn und du Zwillinge?”, lacht
Marie. Claudia hingegen wirkt ernster. “Erst mal 1 Kind und dann abwarten.”
“Was? Aber kennst du nicht die ganzen Vorurteile gegenüber Einzelkindern?
Du als Einzelkind bist eine Ausnahme, die Erziehung hat bei dir geklappt. Aber
wenn ich nur ein Kind erziehe, dann geht das nach hinten los.”
Claudia ist immer noch skeptisch. “Ich habe irgendwo mal über Pärchen gelesen,
für die es ein Grund gewesen ist sich zu trennen, weil einer der Partner keine
eigenen Kinder bekommen konnte. Und Adoption kam für sie nicht infrage.”
Auf die Frage hin, wie Marie und Claudia sich vorstellen können, Kinder zu
haben, sagt Marie aufbrausend: “Wir machen das über eine dritte Partei. Man
will es nicht glauben, aber es gibt immer noch genug Leute, die das missverstehen und sich fragen, ob das eine polygame Beziehung werden soll. Als ob sie
nicht wissen, dass es auch übers Labor mit einer Samenspende funktioniert.”
Sie verdreht die Augen und gestikuliert wild mit den Händen.
“Genauso wie es Leute an meiner Schule gab, die sich total kindisch aufführen und Dinge über Homosexuelle sagen wie: Ich fühl mich unwohl in der
Anwesenheit von dieser und jener homosexuellen Person, vielleicht hat sie
ein Auge auf mich geworfen.
Gott sei Dank meinte die Lehrerin, dass das Unfug ist.” Maries Missbilligung
ist kaum zu übersehen. Claudia reagiert darauf prompt: “Das finde ich gut, dass
eine Lehrerin so was sagt!”
An Claudias Universität gibt es oft offene Treffs für Homosexuelle, aber weder
sie noch Maria sind “in der Szene unterwegs” oder haben jegliche Erfahrung
damit gemacht. Sie empfinden es als bedeutungsvoll, aber Claudia ist der
Meinung, dass die Plakate dazu relativ penetrant sind. Außerdem wollen sie
lieber von Mitmenschen umgeben sein, die sie mögen, wie sie sind. Sie wollen
nicht sagen: “Ah, diese Menschen haben die gleiche sexuelle Orientierung wie
ich, zu denen geselle ich mich mal.”
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Ich halte dich fest
Mausklick
Sprich mich an, fass mich an
Das was in mir aufwallt
Kommt nicht über Finger
Und Tasten an dich ran
Ich wusste nicht woran du dachtest
Obwohl wir das Gleiche aussprachen
Das wusste ich schon längst
Ich musste dich ausfragen
Das Display vor Augen
Deine Worte im Blick
Wie soll ich’s dir sagen
Nur mit einem Mausklick
Unsicherheit verfolgte mich nun lang genug
Vertrauen hatte ich nie in mich
Aber die frische Brise die einzog
Umschmiegte mich behaglich
Ich entspannte mich
Solange ich empor hob
Ich lieb dich liebst du mich
Seh’ ich dich in Smileys
Ob grinsend ob rollend
Das ist nicht mehr wichtig
Langsam enthülltest du dich
Ich beobachtete schweigend
Deine Antwort war ehrlich
Und dein Ausdruck bildgebend
Das Display vor Augen
Deine Worte im Blick
Wie soll ich’s dir sagen
Nur mit einem Mausklick
Solange ich nichts wusste, hielt ich dich fest
Sobald ich dich kannte ließ ich dich nicht gehen
Stürmisch ziehst du mich mit
Ich lasse mich treiben
Ich hab dich, HASST du mich
Wirst du dich abwenden
Angesichts anderer
Daran dachte ich nicht
Unsicherheit verfolgte mich nun lang genug
Vertrauen hatte ich nie in mich
Aber die frische Brise die einzog
Umschmiegte mich behaglich
Ich entspannte mich
Solange ich empor hob
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Man weiß ja schon, worauf man sich einlässt
Ein hektischer, von Maschinengeräuschen erfüllter Raum. An langen Tischreihen und Fließbändern wird im Akkord gearbeitet. Es riecht nach Pappkartons
und Industrie. Es gibt bessere Orte als diesen, um mit einer geliebten Person
Zeit zu verbringen. Doch Willi und Erika Hoffmann (Namen geändert), haben
ihn als ihren gemeinsamen Arbeitsplatz ausgewählt.
Nun ist Pause in der Versandabteilung der Firma „Arvato“. Geschlossen
gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach oben in den Pausenraum,
vorbei an den Fließbändern und Regalen, dann die Treppe hinauf an den Büros
und Toilettentüren vorbei. Oben ist es deutlich ruhiger. Ein Automat steht
dort an der Wand: Kaffee und andere Heißgetränke für 35 Cent. Neben einer
Zimmerpflanze ist der Raum mit einem Kleiderständer und vier Tischgruppen
ausgestattet. Auf einen der Tische hat jemand eine kleine Vase mit Blumen
gestellt; Narzissen und Weidenkätzchen.
Erika Hoffmann stellt die Vase beiseite, setzt sich mit einigen Kolleginnen
an den Tisch und unterhält sich angeregt mit ihnen. Sie ist eine Frau in ihren
Sechzigern, mit Brille und fransigem, blonden Kurzhaarschnitt, heute „passend
zum Frühlingswetter“ im gelben Baumwollpullover.
Man hört das Klimpern von Münzen und das Surren des Kaffeeautomaten,
dann kommt auch ihr Ehemann Willi dazu. Für sein hohes Alter wirkt auch er
noch recht fit. Mit seinem kahlen Kopf, der eckigen Brille und dem karierten
Oberhemd, das er sich in die Hose gesteckt hat, erscheint er wie ein Großvater
aus dem Bilderbuch. In jeder Hand hält er einen der kleinen, dampfenden
Plastikbecher. Einen davon reicht er Erika und setzt sich auf den Stuhl neben
sie. „Pass auf, dass der nicht wieder umkippt“, mahnt er, worauf sie scheinbar
genervt, aber mit dem Anflug eines Lächelns „Ja, ja“ antwortet.
Die beiden Rentner arbeiten auf Teilzeit in der Firma und gehören zu den
ältesten Mitarbeitern. Und dazu sind sie momentan das einzige Pärchen, das
zusammen dort arbeitet. „Das ist auch nicht immer so einfach“, meint Erika
leicht neckisch. „Andere sehen sich ja nicht den ganzen Tag, weil beide woanders
arbeiten.“ „Aber hier kann man sich ja ganz gut aus dem Weg gehen“, fügt Willi
hinzu. Ihre Kollegen grinsen, für solche Neckereien kennen sie das Ehepaar.
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Nur wenigen von ihnen ist bewusst, dass Erikas und Willis erstes Treffen nicht
sehr lange her ist. Vor zehn Jahren haben sich die Beiden kennen gelernt. Zuvor
sind die Zwei schon einmal verheiratet gewesen, doch die Lebenspartner beider
sind ihnen genommen worden. Bei Willis Ehefrau kam der Tod ganz plötzlich,
sie erlitt einen Herzinfarkt. Inzwischen redet er gefasst über diesen Vorfall, die
Betroffenheit merkt man ihm aber immer noch an. Der unerwartete Todesfall
hat ihn damals völlig aus der Bahn geworfen.
Da er es gewohnt war, dass seine Frau den Haushalt übernahm, während er
arbeitete, fand er sich in einer völlig neuen Situation wieder. Von Willis damals
schon erwachsenen Sohn kam zwar Hilfe, doch dies war keine dauerhafte Lösung, da er selbst gerade dabei war eine Familie zu gründen. Willi musste der
Trauer standhalten und lernen allein zu leben. Damals hätte er es sich nicht
vorstellen können, erneut zu heiraten.
Erika erging es ähnlich. Ihr Mann starb nach einer Lungenerkrankung im
Krankenhaus. Kurz vor seiner Entlassung bekam Erika einen Anruf. Ihr Mann
sollte nie wieder nach Hause kommen. „Ich dachte im ersten Moment, das
wäre ein schlechter Scherz. Ich wollte das gar nicht glauben“, erinnert sie sich.
Nach dem Tod ihres Mannes suchte sie Ablenkung in der Arbeit. Heute weiß
sie, dass ihr das nicht gut tat und sie sich lieber hätte Zeit nehmen sollen, um
zu trauern. „Zum Glück hatte ich Hilfe von meinen Geschwistern. Die haben
verhindert, dass ich mich zu sehr überlaste.“
Erst Jahre später sah sie sich bereit dazu, eine neue Beziehung anzufangen.
Willi steht auf und öffnet das Fenster. Die kühle Luft weht herein. Es ist
sonnig draußen. Die einzelnen Bäume an der Straße tragen Blüten.
An einem solchen Tag hat sich das Paar zum ersten Mal getroffen. Willis
Sohn setzte damals ein Inserat für seinen Vater in die Zeitung. Mit der Zeit
hatte dessen Trauer zwar nachgelassen, doch Willi dachte nicht selten darüber
nach, wieder jemanden kennenzulernen. „Man bekommt dann aber so was wie
Schuldgefühle“, gibt der 75-Jährige zu.
„Ich hab´ mich gefragt, ob es nicht noch zu früh ist. Wenn man so lange verheiratet war, kann man sich das schlecht vorstellen, noch mal mit jemandem
zusammenzukommen.“
Wie Willi geht es vielen verwitweten Menschen. Die Verbindung zum verstorbenen Partner ist noch da, aber von Person zu Person verschieden stark. Eine
feste Eingrenzung, die besagt, wann es in Ordnung ist, wieder einen Partner
zu suchen lässt sich nicht machen. Doch seine Frau hätte ihn nicht einsam
sehen wollen, so sagt Willi nun.
Neben Erika meldeten sich viele Frauen auf seine Anzeige. Nach Sichtung
ihres Fotos entschied sich Willi dazu sie zu treffen. Die ersten Gehversuche
ihrer Beziehung waren jedoch recht holprig: „Als Erika mich zum ersten Mal
gesehen hat, ist sie erst mal weggelaufen, als da auf einmal so ein alter Opa vor
ihr stand“, erinnert sich Willi. Sie kannte sein Gesicht im Gegensatz zu ihm
noch nicht. Als sie nach dem ersten Blickkontakt einfach umdrehte, folgte Willi
Erika sofort. Nach diesem ersten „Schock“ stimmte die Chemie dann doch.
Erika leert ihren Kaffeebecher und schaut auf die Uhr. Um 2 Uhr ist Feierabend, dann will sie mit ihrem Mann und seinem Sohn nach Wiedenbrück in
die Altstadt gehen. Sie versteht sich gut mit ihm und seinen Kindern, ihren
Enkeln, obwohl sie nicht blutsverwandt sind.
Auch ihre erneute Hochzeit haben die Verwandten der beiden gut aufgenommen. Das Paar war sich einig, keinen großen Aufwand zu betreiben und
verzichtete auf eine riesige Feier.
Generell gingen sie ihre Beziehung nüchterner an, als in ihren jungen Jahren.
„Man weiß ja schon, worauf man sich einlässt“, meint Willi. „Aber man hat
nicht mehr diese rosarote Brille oder die Vorstellung von der einen großen
Liebe. Es reicht einfach, jemanden bei sich zu haben.“
Es sei aber nicht immer einfach. Man könne den alten Partner nie ganz
vergessen, sagt Erika. Vor allem am Anfang hat das Paar oft darüber geredet,
da der jeweils andere sich in ihre Lage versetzen konnte. Am Ende hat es aber
beiden gut getan, nicht mehr zu sehr an der Vergangenheit festzuhalten.
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Die Frau ohne Gegenstück
Fallen gelassen
Ich bin bei dir
Doch wie soll es anders sein
Du nicht bei mir
Zu zweit, doch du lässt mich allein
Gönnst du dir nicht zu viel?
Du leierst mich noch aus
Zu weit treibst du dein Spiel
Doch ich, wie kann ich raus?
Wieder zurück
Ein netter Abend, mehr auch nicht
Sie hat kein Glück
So schwindet ihre Zuversicht
Nun Schluss damit
Was macht sie sich Gedanken auch
Warum denn "Mit?"
Denn "Ohne" geht doch sicher auch
Die Waage schwankt
Bin federleicht, du schwer wie Blei
Schuldest mir Dank
Denn sind ein Paar nicht immer zwei?
Ich trag´ dich wie auf Händen
Zu schwer bist du ich bin am Ende
Weißt du, ich lass dich fallen
Mein Körper hält es nicht mehr aus
Kann sie ihr Gegenstück nicht finden?
Ist sie nicht fähig, sich zu binden?
Kann sie ihr Gegenstück nicht finden?
Ist sie nicht fähig, sich zu binden?
Gönnst du dir nicht zu viel?
Du leierst mich noch aus
Zu weit treibst du dein Spiel
Doch ich, ich kann nicht raus
Ja, du gönnst dir zu viel
Du leierst mich noch aus
Zu weit treibst du dein Spiel
Doch endlich brech ich aus
Kein Puzzleteil das passt zu ihr
Und sie fragt sich: Was tu ich hier?
Kein Jemand da für sie, na und
Zum Traurig sein gibt´s keinen Grund
Sieh mich doch an
Ich bin hier, nur wegen dir
Ich seh´ dich an
Doch du, nein du entziehst dich mir
Doch braucht sie es?
Nur ein Gefühl doch, mehr auch nicht
Macht sie sich Stress?
Hat dieser Fehlschlag denn Gewicht?
Kann sie ihr Gegenstück nicht finden?
Ist sie nicht fähig, sich zu binden?
Kein Deckelchen für ihren Topf
Sie hat halt ihren eig´nen Kopf
Ich trockne aus
Während ich dir einfach alles gebe
Wann komm ich raus
Ob ich den Tag je noch erlebe?
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Den Mut haben sich außerhalb der Norm zu bewegen
Marie (Namen geändert) sitzt auf dem dunkelbraunen Teppichboden ihres
Wohnzimmers, während sie ungeduldig den vor ihr liegenden Stapel Videospiele durchsucht. Als sie fündig wird, hält sie einen Moment lang inne und
erinnert sich an die letzten Jahre. „Call of Duty und Battlefield - Diese sinnlosen
Ballerspiele sind genau sein Ding.“, bemerkt sie und fügt hinzu, dass sie die
als Erstes einpackte.
Auf dem Weg ins Badezimmer nimmt sie seine riesigen Yeti-Hausschuhe
mit, die sie ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, sowie diverse Kleidungsstücke, zwischen denen zwei länger nicht gewaschene, blau karierte
Hemden stecken. Alles, was sie von ihm in ihrer Wohnung findet oder auch nur
im Geringsten etwas mit ihm zu tun hat, packt sie in eine ranzige, alte Plastiktüte von ALDI, die bereits am Boden mehrere Löcher hat und allein durch die
lediglich aus Plüsch bestehenden Hausschuhe so aussieht, als würde sie jeden
Moment platzen. Gegen den Rat ihrer Mutter, das Problem mit ihrem Freund
Paul anders zu lösen, steigt sie in ihren silbernen Opel Corsa, legt den ersten
Gang ein und fährt mit aufheulendem Motor über den Schotterweg, welcher
eine dicke Staubwolke mit sich zieht, davon.
„Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir uns im November 2011 kennengelernt haben.“, sagt Marie, während sie neben mir ins Leere blickt, um sich die
Erinnerungen genauer vor Augen zu führen. Eigentlich wollte sie sich einen
entspannten Samstagabend machen, bis sie ihr Klassenkamerad Sebastian
noch nach Mitternacht dazu überredet, mit ins “Roxy” zu kommen. In der
Stadt Damme mit knapp 17.000 Einwohnern gibt es nicht viele Möglichkeiten
am Wochenende loszuziehen. Genau genommen ist das Roxy hier die einzige
Diskothek, in der man vernünftig tanzen und trinken kann.
Draußen vor dem Eingang wird man bereits mit den allerneusten Beats von
House und Electro bekannt gemacht, während eine schmale Wendeltreppe aus
rotem Backstein die Besucher in den kleinen, aber geräumigen Diskokeller
führt. Die Wände des Flurs und des Innenbereiches schmücken exzessive,
schwarzweiße Partybilder, während man auf den Frauentoiletten großflächige
Collagen von entkleideten Männern begutachten kann. Die Wände der Män166
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nertoiletten haben dementsprechend andere „Muster“. Vielleicht eine ganz
hilfreiche Methode, sich völlig betrunken nicht ausversehen auf die falsche
Toilette zu begeben.
Der spontane Besuch wird schnell zum spontanen Partyabend. Zwei Lederhirsche, ein Becks und das fünfte Glas Cola-Korn– dann hört Marie auf zu
zählen, begibt sich sichtlich betrunken auf die Tanzfläche und lässt sich von
der Musik mitreißen, während sie und die anderen Partygäste im Qualm der
Nebelmaschine verschwinden. Danach erinnert sie sich nur noch an Bruchstücke
des Abends, welche sie nur mit Hilfe von Erzählungen ihrer Klassenkameraden
rekonstruieren kann.
Sebastian macht sie wenig später mit seinem Kollegen Paul bekannt, der sie
gleich nach ihrer Handynummer fragt. Es funkt bereits an diesem Abend zwischen den beiden, obwohl sie gleichermaßen betrunken sind. Marie erinnert sich
aufgrund ihres Alkoholkonsums am nächsten Morgen nur sehr verschwommen
an ihn, weiß aber noch, dass sie ihn für sehr muskulös und attraktiv befunden
hat. Sie schmunzelt ein wenig, als sie erzählt, dass sich dieses zunächst wahrgenommene Bild nach der ersten nüchternen Begegnung widerlegte.
„Ich hätte bis zu diesem Abend nie gedacht, dass Alkohol die Körperform
eines Menschen derart verändern kann“, sagt sie mir mehrmals mit weit aufgerissenen Augen, als würde sie mich versuchen eindringlich davor zu warnen.
Ungefähr zwei Wochen lang halten sie Kontakt über Facebook sowie Whatsapp
und verbringen viel Zeit damit, sich näher kennen zulernen. Sie merken beide
ziemlich schnell, dass sie denselben Humor teilen und es langsam Zeit für ein
gemeinsames Treffen ist. Paul lädt sie daher eines Abends spontan zu einem
DVD-Abend seiner Freunde ein.
Nach langer, gut durchdachter Outfitwahl sagt sie ihm schließlich zu und er
holt sie kurze Zeit später mit seinem blank polierten, schwarzen Mercedes ab.
Als Marie zu ihm ins Auto steigt, ist sie sichtlich nervös und muss sich eingestehen, dass sie sich bereits ein wenig in ihn verguckt hat. An diesem Abend
stellt Paul sie bei seinen Freunden bereits als seine feste Freundin vor, obwohl
von einer Beziehung noch nie die Rede war. Sie schaut ihn für einen Moment
lang ziemlich überrascht und ein wenig entsetzt an.
Als Paul das bemerkt, lächelt er sie an, kneift ihr neckisch in die Hüfte und
geht, ohne ein weiteres Wort zu sagen an ihr vorbei. Marie lächelt zurück,
überlegt eine Weile und kommt zu dem Entschluss, dass es sich nicht falsch
anfühlt, eine Beziehung mit ihm einzugehen, und obwohl sie sich noch nicht
lange kennen, lässt sie es zu.
Nach zwei Monaten glücklicher Beziehung stellt sich plötzlich durch einen
Zufall heraus, dass Paul nicht wie gedacht 25, sondern bereits 30 Jahre alt
ist. Bis zu diesem Zeitpunkt nimmt Marie an, dass er genauso alt wie sein
Klassenkamerad Sebastian ist, der die beiden im Roxy miteinander bekannt
gemacht hat. Sie bekommt ein mulmiges Gefühl, während sie realisiert, dass
das zwölf Jahre Unterschied bedeutet. Zwölf Jahre! Und sie ist gerade mal 18.
Gleichzeitig schämt sie sich in Grund und Boden, ihren eigenen Freund
nicht nach dem Alter gefragt zu haben. „Ausgerechnet meine Mutter fragt ihn
danach“, sagt sie mit aufgeregter Stimme.
Als ihre Mutter erfährt, dass er bereits 30 ist, schaut sie Marie fragwürdig und
ziemlich entsetzt an, während sie bemerkt, dass ihre Tochter sie gleichermaßen
fragend anblickt. Natürlich erzählt sie Paul nichts von ihrer Sorge und lässt
sich ihm gegenüber nichts anmerken, doch auch Tage danach kann sie keinen
klaren Gedanken fassen, geschweige denn schlafen oder essen.
Sie fühlt sich, als würde sie ein Verbrechen begehen, denn es ist alles andere
als leicht der Familie, Freunden und dem Umfeld verständlich zu machen, dass
eine Beziehung nicht gleich zum Scheitern verurteilt ist, nur weil sich das Paar
im Alter deutlich unterscheidet.
Laut einer Statistik von 2009 beträgt der Altersunterschied allerdings bei
nur 6% aller Paare in Deutschland mehr als zehn Jahre. Die meisten Menschen
haben nicht den Mut sich außerhalb der Norm zu bewegen und lassen sich von
Beziehungen mit großem Altersunterschied irritieren und abschrecken. Im
Durchschnitt liegt der Altersunterschied bei ca. drei bis vier Jahren.
Marie überlegt durch den Druck und die heftigen Meinungen ihres Umfeldes die Beziehung mit Paul ernsthaft zu beenden. Während sie an die letzten
schönen, zwei Monate zurückdenkt, ist sie sich allerdings unsicher. Natürlich
gibt es auch Paare, die sich trotz ihres hohen Altersunterschiedes wunderbar
ergänzen. Der Schauspieler Bruce Willis ist beispielsweise 24 Jahre älter als
seine Frau Emma Heming. Sie sind seit sieben Jahren glücklich verheiratet und
haben zwei Töchter. Den Politiker Franz Müntefering und Michelle Schumann
trennen sogar 40 Jahre.
Schließlich entscheidet Marie sich für die Beziehung mit Paul, der bereits
seit ihrem Kennenlernen über den hohen Altersunterschied bescheid weiß.
Nachdem sie eineinhalb Jahre neuen Mut schöpft und ihre Beziehung völlig
normal verläuft, hat Paul nun verstärkt den Wunsch eine Familie zu gründen.
Zwar sagt er, dass er sie zu nichts drängt, aber redet trotzdem ständig auf sie
ein. Marie fühlt sich unter Druck gesetzt, da sie aus ihrer Sicht noch viel zu jung
dafür ist und sich außerdem noch in der Ausbildung befindet. „Ich befürchte,
dass er mir das ziemlich übel nahm, denn dann änderte sich alles“, sagt sie ernst.
Er interessiert sich nicht mehr dafür, etwas mit ihr zu unternehmen. Paul
macht ihr klar, dass er bereits überall auf der Welt gewesen ist, alles gesehen
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hat was er sehen wollte und seine Zeit am Wochenende loszuziehen, bereits
abgelaufen ist. Doch Marie war jung und unternehmungslustig, ungebunden
und in der Blütezeit ihres Lebens. Sie möchte feiern, nächtelang Wachbleiben
und das Leben genießen. Seit Monaten sehen sich die beiden, wenn überhaupt,
für ein paar Stunden am Wochenende.
Ihm fallen immer neue Ausreden ein, weshalb er nicht bei ihr sein kann.
Paul ist kaum wiederzuerkennen und hasst plötzlich alles an ihr. Er hasst ihre
bunten, mit Blümchen bedruckten Hosen, ihre allgemein farbenfrohe Kleidung,
die er sonst doch so gemocht hatte. Er hasst ihr Aussehen und ihr Gewicht und
vor allem ihren jugendlichen Elan. Marie befasst sich mit dem Gedanken die
Beziehung einfach aufzugeben.
Letztendlich streben sie durch ihren Altersunterschied jeweils unterschiedliche Ziele an, welche das reibungslose Zusammenleben erheblich erschweren.
Wenn es zum Streit kommt, nimmt er seine Schlüssel, fährt seinen Mercedes
mit quietschenden Reifen davon und wartet, bis sich das Problem von alleine
löst oder Marie sich bei ihm entschuldigt. „Mehrfach habe ich ihn um ein Gespräch gebeten, doch er beschäftigte sich mit diesen sinnlosen Ballerspielen
intensiver als mit unserer Beziehung. Seine Gelassenheit und seine festgefahrene Meinung ärgerten mich sehr“, fügt sie hinzu. Wenn man sich auf eine
Beziehung mit einem hohen Altersunterschied einlässt, sollte man offen und
ehrlich sein, nicht nur gegenüber dem anderen, sondern auch vor allem zu sich
selbst. Darüber hinaus muss man lernen die verschiedenen Lebensphasen, in
der sich die Partner befinden, zu akzeptieren.
Das wichtigste ist jedoch, dass die Partner gerade in dieser Art von Beziehung
Probleme und Zukunftsperspektiven offen diskutieren und die Meinung des
anderen akzeptieren lernen. Im April 2014 wartet sie den ganzen Abend und
die ganze Nacht auf Paul. Doch er taucht nicht auf. Marie macht sich Sorgen,
da sie sich bereits um 18 Uhr verabredet haben. Er nimmt ihre Anrufe nicht
entgegen und auf ihre Nachrichten antwortet er auch nicht. Als sie am nächsten
Morgen von seinen Freunden erfährt, dass er bei einer anderen Frau übernachtet
hat, zögert sie nicht länger und fängt an seine Sachen zu packen, da sie eine
Trennung nun als unumgänglich ansieht.
Marie parkt ihren silbernen Opel Corsa direkt auf dem Gehweg, der zu Pauls
Haustür führt. Sie umklammert die beiden Henkel der Plastiktüte mit zittriger
Hand und wartet einen Moment, bevor sie aussteigt. Als sie darüber nachdenkt
wieder nach Hause zu fahren, führt sie sich die letzte Nacht und sein Verhalten
der letzten Monate vor Augen. Ihre Hände ballen sich bei dem Gedanken zu
Fäusten. Doch dann erinnert sie sich daran, dass das Ende der Beziehung auch
das endgültige Aus bedeuten würde.
Marie erinnert sich, dass sie Paul einmal fragte, was er von Beziehungen hält,
die es nach einer Trennung noch ein zweites Mal versuchen. Daraufhin nahm
Paul das neben ihr stehende Glas und schmiss es mit aller Kraft zu Boden,
während er sagte: „So - und jetzt versuch das mal wieder zusammenzusetzen.“
Sie holt tief Luft und steigt aus dem Auto. Wer den Mut hat eine durch Altersunterschied geprägte Beziehung einzugehen, sollte auch den Mut haben sie
wieder zu beenden, wenn sie maßlos zu scheitern droht und daran zerbricht.
Dann hämmert sie mit zusammengeballten Fäusten gegen seine Haustür.
Als er öffnet, schmeißt sie ihm die Plastiktüte direkt vor die Füße. Mit wutverzerrtem Gesicht, unter dem sie ihre Tränen nicht verstecken kann, sagt sie
ihm, dass es aus ist. In der Hoffnung eine Erklärung für sein Verhalten letzte
Nacht zu bekommen, bleibt sie noch einen Augenblick stehen. Doch Marie
wartet vergebens auf eine Antwort, geschweige denn eine Reaktion, die alles
vielleicht ein wenig verändert hätte. Mit seinen Händen in den Hosentaschen
beobachtet er das Geschehen und alles was er sagt bevor er die Tür schließt
ist: „O.K.“ Das hätte sie von einem Mann, der in seinem Alter eigentlich längst
erwachsen sein sollte, nicht gedacht.
Marie hat nie erfahren, was in der Nacht wirklich geschehen ist. Alles, was
sie weiß ist, dass ihm die Trennung anscheinend nichts ausmachte. Vielleicht
kam sie ihm sogar gerade recht. Auch wenn sie heute froh ist, die Beziehung
beendet zu haben, wünscht sie sich im Herzen nichts sehnlicher als das eine
Gespräch, mit dem sie die Beziehung endgültig abschließen und offene Fragen
hätte beseitigen können.
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Auf eigene Gefahr
Rettungsboot
Du könntest mein Kompass sein
Für die Reise der Freifahrtschein
Das ruhige Meer nach jedem Sturm
Der Hafen und der Leuchtturm
Könnten wir nicht beides sein?
Schiff und Rettungsboot vereinen
Dem Horizont entgegen treiben
Zusammen auf den Meeren bleiben
Das unfassbar große Loch
Wird vielleicht heilen, doch
Unter Schutt und Asche begraben
Kann es nicht im Rhythmus schlagen
Ich könnte dein Anker sein
Und im Regen der Sonnenschein
Der Wind als treibende Kraft
Aus uns die besten Schiffer macht
Ja, wir sind das Rettungsboot
Wenn das Schiff zu sinken droht
Wenn es nicht mehr weiter geht
Und sich einfach nichts bewegt
Ja wir sind das Rettungsboot
Helfen uns auch in der Not
Mit Steuer, mast- und Segel bloß
Werden wir die Zweifel los
Ja wir sind das Rettungsboot!
Die Verbindungen sind getrennt
Waren nicht verlässlich, denn
Diese Trümmer sind von dir
Warst vor langer Zeit schon hier
Sag bist du mein Rettungsboot
Wenn das Schiff zu sinken droht
Wenn ich nicht mehr weiter weiß
Und der Strick des Segels reißt
Sag bist du mein Rettungsboot
Und mein Retter in der Not
Kein Steuer, mast- und segellos
Wie werden wir die Zweifel los?
Sag bist du mein Rettungsboot?
Mein Herz ist eine Baustelle
Der Zugang nur für Notfälle
Betreten auf eigene Gefahr
Für die Liebe unbewohnbar
Die weiträumige Absperrung
Schützt das Umfeld, und
Soll warnen, ganz und gar
Vor baldiger Einsturzgefahr
Mein Herz ist eine Baustelle
Der Zugang nur für Notfälle
Betreten auf eigene Gefahr
Für die Liebe unbewohnbar
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Zwei Geschichten, eine Berufung
Liebe ist der Grund, warum sie heute da sind, wo sie sind.
Das haben beide Frauen gemeinsam, mit denen ich mich treffe. Der Raum,
in dem wir uns befinden ist hell und ein grüner Teppich verschönert den Boden. Er erinnert an das frische Gras, das der Frühling nun auch überall hervor
bringt. An der Wand hängt ein großes Bild, auf dem ein lichtdurchfluteter
Wald abgebildet ist. Die Menschen sollen sich hier wohlfühlen. Sie sollen ihre
Ängste und die Scheu verlieren.
Ich befinde mich im Gruppenraum der Hospizbewegung Münster. Jede
Woche treffen sich hier Gruppen von Trauernden, um über ihre Erfahrungen
zu reden. Die beiden Frauen sind dort ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Die
Bewegung ist ein 1991 gegründeter gemeinnütziger Verein der Menschen in
ihrer letzten Lebensphase begleitet.
An einem langen Tisch sitzen wir uns gegenüber. Ich lehne mich mit dem
Rücken an eine Holzbank. Zwischen uns auf dem Tisch steht eine Vase mit
frischen Rosen. Anita (Name geändert) hat ihre Arbeit erst vor Kurzem begonnen. In einem mehrwöchigen Grundkurs wurde sie für die Sterbebegleitung
ausgebildet. Nun kommt sie zu den Sterbenden, um ihnen Gesellschaft zu
leisten und die Angehörigen zu entlasten. In den meisten Fällen sind es alte
Leute, viele haben niemanden mehr. Ihre erste Begegnung mit der Bewegung
hatte sie nach dem Tod ihres Mannes, der im Mai 2004 an Krebs starb. Beide
waren Musiker, und sie ist es noch immer. Sie spielt die Geige, er spielte das
Cello. Lächelnd erzählt sie davon, wie sie sich im Orchester kennenlernten. Am
2. Juni 1982. Er war 20 Jahre älter, hatte damals noch eine Frau und schon zwei
Kinder. Dann stand er auf einmal vor ihrer Tür, den Cellokoffer gefüllt mit seiner
Kleidung. Während die Frau mit dem blauen Schal erzählt, lächelt sie. Es war,
eine schwierige Zeit nachdem er starb, erzählt sie. Ihr Sohn war erst 13, und auf
einmal war sie alleinerziehende Mutter. Als sie dann in die Rente kam, wollte
sie etwas tun, Menschen helfen. Da entschied sie sich bei der Hospizbewegung
anzufangen. Ihr Mann wurde vor seinem Tod im Johanneshospiz betreut, das
hat sie sehr entlastet. Dieses gehört auch zum sogenannten „Trauernetz Müns174
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ter“, zusammen mit der Hospizbewegung und einigen anderen Einrichtungen
wie zum Beispiel auch dem Universitätsklinikum Münster.
Sie bemühen sich vor allem auch um eine palliative Behandlung der Sterbenden. Als palliative Therapie oder Palliativtherapie bezeichnet man eine
medizinische Behandlung, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung abzielt,
sondern darauf, die Symptome zu lindern. Die Sterbenden sollen in ihren
letzten Momenten keine Schmerzen mehr haben.
„Als mein Mann starb, war das noch nicht so selbstverständlich wie heute“
erzählt Anita. „Er wurde jedoch sehr gut versorgt. Aber das Morphium hat er
nicht vertragen.“ Morphium ist ein starkes Opiat. Es wird zur Behandlung von
starken und stärksten akuten und chronischen Schmerzen verwendet. Anita
kommt nun oft mit ihrer Geige zu den Sterbenden. „Die Musik versteht jeder.
Sie trifft alle genau hier.“ sagt die zierliche Frau und deutet auf ihre Brust. Eine
Kollegin hat einmal ein Bild auf dem Tisch einer sterbenden Frau gesehen, das
ihren Mann mit einer Geige zeigte. Da sei sie auf Anita zugekommen und hatte
gefragt ob, sie einmal für sie spielen wolle. „Sie war schon sehr teilnahmslos,
aber als sie meine Musik gehört hat, ist sie richtig aufgelebt, hat auch mit uns
gesprochen. Das war ein schönes Erlebnis.“
Auch meine zweite Interviewpartnerin hat ihren Mann verloren. Er hatte
eine Hirnblutung, davon gibt es meistens vorher keine Anzeichen. „Es war als
würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen.“ Von einem auf den
anderen Tag war alles anders. Die gemeinsamen Pläne, und Zukunftswünsche
hatten keinen Bestand mehr. „Irgendwie hatte ich die irrationale Hoffnung, dass
alles noch besser werden könnte.“ sagt die Frau mit den dunklen, von weißen
Strähnen durchzogenem Haar. „Ich wollte es nicht verstehen. Ich wollte ihn
nicht gehen lassen.“ Er war ihre Jugendliebe. Zum ersten Mal trafen sie sich
im Gymnasium als sie die gleiche Klasse besuchten. Sie schrieb ihm einen
Liebesbrief auf einem dieser Sarah Kay Briefpapiere und danach waren wir
dann immer zusammen. Sie studierten gemeinsam in Münster. Sie Biologie
und er Geschichte. „Er war Autor. Sein letzter Roman ist dann leider nie fertig
geschrieben worden. Nach seinem Tod konnte ich mir nicht vorstellen, jemals
wieder zu lieben.“
Auch für Judith (Name geändert) wurde der Tod zu einem wichtigen Thema.
„Damals hatte ich auch die erste Begegnung mit der Hospizbewegung“ erzählt
die schlanke Frau. Sie war zu einer der Trauergruppen gegangen, ins Trauercafé.
Hier treffen sich trauernde Menschen bei Kaffee und Kuchen, um mit anderen
Hinterbliebenen über ihren Verlust und über das Leben mit der Trauer zu
reden. Jeden 1.Freitag im Monat findet in der Sonnenstraße 70, um 15.00 Uhr
ein solches Treffen stand. „Ich konnte das dort nicht ertragen. All diese alten
Menschen, die davon erzählten, dass sie ihren Partner nach so vielen Jahren
verloren hatten. Mein Mann war 39 gewesen. Ich wollte sie anschreien. Sie sollten
glücklich sein, dass sie so viel Zeit miteinander hatten.“ Sie lacht traurig. „Das
war natürlich falsch. Aber damals konnte ich nur an meinen eigenen Schmerz
denken.“ Trauer lässt sich nun mal nicht messen. Das Trauercafé gehört zu
einem der vielen Angebote, die die Hospizbewegung anbietet. Genauso werden
einem auch Einzelgespräche, Trauergruppen oder gemeinsame Aktivitäten
wie Spaziergänge und Kochen angeboten. Alle Angebote sind kostenfrei. Die
Hospizbewegung organisiert sich über Spenden.
Sie soll ein Ort sein, an dem Menschen Trost finden und sich mit anderen
auseinandersetzen können, die vielleicht ein ähnliches Schicksal teilen. „Nach
seinem Tod war jede Erinnerung so schmerzhaft, auch die schönen“ erzählt
Judith. „Nun bin ich froh. Es gibt Menschen, die leben ein Leben lang und
finden niemals das, was ich hatte.“
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Der Samen
Waldspaziergang
Meine Augen trafen auf Augen
Die tosend die Welt in sich saugten
Das Gesicht eine steinerne Maske
Die ein trauriges Lachen einfasste
Du pflanztest in meinen Kopf einen Samen
Und er schlug Wurzeln ohne Erbarmen
Bis aus meinen Augen sie traten
Und durch mein Gehirn sie sich fraßen
Mit einem Pinsel malte ich Farben
Die in deinen Lachfalten starben
Zart umfassten die dünnen Glieder
Meine Schultern wieder und wieder
Schon bald trug ich an meinen Trieben
Die Früchte von all diesem Lieben
Und mit den Früchten
Ich fasste sie sachte
Zerschlug ich die steinerne Maske
Pflanztest in meinen Kopf einen Samen
Und er schlug Wurzeln ohne Erbarmen
Bis aus meinen Augen sie traten
Und durch mein Gehirn sie sich fraßen
Du pflanztest in meinen Kopf einen Samen
Und er schlug Wurzeln ohne Erbarmen
Bis aus meinen Augen sie traten
Und durch mein Gehirn sie sich fraßen
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Geschlechter und Namen gingen verloren
Und wir wanderten durch leere Straßen
Prall trat uns die Liebe aus all unseren
Poren
Während wir Freiheit auflasen
Und am Ende der Straße sah ich ein Schild
Dessen Worte die Ankunft versprachen
Du trugst das Wissen und ich trug ein Bild
Und an den Füßen schmerzten die Blasen
Hinter uns in der Ferne verbrannten
sie Geld
Der Geruch stach in unsere Nasen
Wir lachten und weinten über die Welt
Die Lungen gefüllt mit berauschenden
Gasen
Und am Ende der Straße sah ich ein Schild
Dessen Worte die Ankunft versprachen
Du trugst das Wissen und ich trug ein Bild
Und an den Füßen schmerzten die Blasen
Wir fühlten uns frei und waren allein
Genau an dem Platz wo wir saßen
Wir waren verloren in unserem Dasein
So das wir die Wahrheit vergaßen
Und am Ende der Straße sah ich ein Schild
Dessen Worte die Ankunft versprachen
Du trugst das Wissen und ich trug ein Bild
Und an den Füßen schmerzten die Blasen
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Kursteilnehmer
Adrian Szymanski S. 124–132
• Liebe Geht durch den Magen
• Fairtrade
Alina Graeser S. 134–139
• Tauchen Sie ein
• Ich will fliegen
• Biest und Tier
Alina Pickshaus S. 18–25
• Ein Wisch - und weg
• Achterbahn
• Schokolade
Anna Breitling-Stenner S. 174–179
• Zwei Geschichten, eine Berufung
• Der Samen
• Waldspaziergang
Annika Bauchrowitz S. 54–60
• Bis dass der Tod Euch scheidet?
• Sandburgen
Helena Klaas S. 82–87
• Partnersuche im Wandel der Zeit
• Fallen lassen
• Seidener Faden
Jana Kerkmann S. 118–123
• Kassetten hören
• Tag am Meer
• Schallplattenladen
Jonas Neudorf S. 102–109
• Eine lustvolle Begegnungsstätte
• Schatzkiste
• Der Bäckers Junge
Judith Becker S. 68–73
• Quelle der Liebe
• Liebeskater
• Nachbarschaftsliebe
Katrin Uude S. 146–153
• Ich würde es für mich tun!
• Liebe – eine Reise ohne Ziel
• Wie die zwei Seiten einer Münze
Clara Klein S. 42–47
• Man schaut sich an und weiß genau,
was der andere denkt: heute Abend Laura Niggemeier S. 94–101
• Kein einziges Wort
nicht mehr
• Unvergesslich
• Campari oder Bier?
• Zu schnell vorbei
• Nur Feuer
Dominik Kolm S. 68–75
• Offroad Richtung Liebe
• In Ruhe lieben
• Ein Riss durch mein Geschicht
Laura Tschorn S. 10–17
• Liebe zwischen Rollator und Rollstuhl
• Kriegstrophäen
• Papierherz
Malin Neumann S. 26–33
• Türkische Heiraten - Liebe zwischen
Prunk, Tradition und Ehre
• KLOPFT LEISE
• NACH HINTEN GEHEN
Eva Scholz S. 166–173
• Den Mut haben, sich ausserhalb der
Norm zu bewegen
• Rettungsboot
• Auf eigene Gefahr
Marina Polezajeva S. 88–93
• Phasen der Liebe
• Spiele
• Handschuh
Silvia Berheide S. 160–165
• Man weiß ja schon, worauf man sich einlässt
• Fallen gelassen
• Die Frau ohne Gegenstück
Menso von Ehrenstein S. 110–117
• Wenn ich nicht drangehe, dann wars
das für die Woche
• Calcium
• Sicher entfernen
Nora Däuper S. 62–67
• Liebe erwischen
• Kölner Gold
• Lieblingsmensch
Philip Hüwel S. 48–53
• Kuscheltier, Gummihai, Stoffhase,
• Tagträume bei Nacht
• Soundtrack meines Lebens
Sasha Düvel S. 74–81
• Sex und Gewalt
• Ich will dich noch so lange sehen wie möglich
• Was immer ich bin
Valentin Krayl S. 4–9
• Zwischen Bienen und Blümchen
• Komm flanier mit mir
Veronica Broll S. 34–41
• Schliesslich heiratet man nicht jeden
• Ein in sich ruhender Sturm
• Eine enge Weste
Vivien Filipzik S. 140–145
• Etwas anders
• Trampolin
• Reset
Vivien Helders S. 154–159
• Liebe mit Aussicht auf...
• Mausklick
• Ich halte dich fest