- Christen an der Seite Israels

Transcription

- Christen an der Seite Israels
Zeitfenster
lsraelaktuell · Dossier
2012–2015
Ein Zeitfenster der Gnade für
Deutschland und Europa
… zum Segen für Holocaust-Überlebende
… zur Stärkung der deutsch-israelischen Beziehungen
… zur Ehre Gottes
Eine Einladung zum Gebet und zur Mitwirkung an Christen in
Deutschland mit einem Herz für das jüdische Volk und für Israel
Inhalt Seite
Ein Zeitfenster der Gnade für
Deutschland und Europa · Harald Eckert1
Rückblick auf die letzten Jahre 2
Das 70-Jahres-Gedenken in Bibel
und Gegenwart · Harald Eckert2
Holocaust-Überlebende in Israel
heute · Harald Eckert4
Ursprünge und Grundlagen der
Marsch des Lebens-Bewegung ·
Jobst Bittner5
20.–21. Januar 2012 – Tage des
Gedenkens und der Begegnung in Berlin6
Ausblick: 2012–2015
7
Perspektiven der Marsch des Lebens-Bewegung 2012–2015 · Jobst Bittner7
Medien zum Marsch des Lebens:7
Gemeinsam gedenken – versöhnt
handeln! · Harald Eckert
8
Ein Zeitfenster der Gnade
von Harald Eckert
A
m 20. Januar 2012 jährte sich die
berühmt-berüchtigte „WannseeKonferenz“ zum 70. Mal. Dieses
Treffen der Führungsriege von Hitlers
Regierung markiert den letzten Meilenstein auf dem Weg zur geplanten
Auslöschung von 11 Millionen europäischen Juden. 6 Millionen kamen
ums Leben. 5 Millionen überlebten
– oft unter dramatischen Umständen.
Am 8./9. Mai 2015 wird sich das
Ende des Zweiten Weltkrieges und
damit das Ende des Holocaust zum
70. Mal jähren. Dazwischen liegt ein
Zeitfenster von ca. drei Jahren.
Dieses Zeitfenster von drei Jahren
bildet für uns Christen in Deutschland
eine Reihe von herausragenden Chancen und Gelegenheiten, in segensreicher Weise aktiv zu werden:
1.In diesen drei Jahren ist es noch
möglich, den Hunderttausenden
von Holocaust-Überlebenden, die
es derzeit noch gibt, Gutes zu tun.
2.Diese drei Jahre bieten eine Fülle
von 70. Jahrestagen, die zum Gedenken genutzt werden können.
Am besten gemeinsam mit Zeitzeugen und mit jungen Menschen.
3.Diese drei Jahre bieten uns Christen eine Fülle von Gelegenheiten,
gemeinsam mit jüdischen Partnern,
kommunalen Partnern und vielen
Menschen guten Willens eng und
gedeihlich zusammenzuarbeiten.
4.Diese drei Jahre bieten vielfältige
Möglichkeiten, geistlich und im
Gebet aktiv zu werden. Die Zahl
„70“ (7 x 10) hat in der Bibel eine
hervorgehobene Bedeutung und
Symbolik, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Gottes Befreiungshandeln im jüdischen Volk am Ende
des babylonischen Exils (siehe
Buch Daniel 9 und 10). „Wo Sünde
mächtig geworden ist, möchte sich
die Gnade Gottes umso mächtiger
erweisen“ (Röm. 5, 20 b).
5.Diese drei Jahre bieten vielfältige
Möglichkeiten und Ansätze, sich
im gleichen Geist mit anderen
Christen aus anderen Nationen zu
verbinden. Derzeit läuft eine dynamische Entwicklung in Polen.
Potentiell gibt es jedoch vielfältige Möglichkeiten mit Christen
aus ganz Europa (insbesondere die
ehemals von Nazis besetzten Gebiete) und darüber hinaus.
6.In diesem Geist der „Versöhnung,
Freundschaft und Zusammenarbeit“
eröffnen sich viele verheißungsvolle Gelegenheiten der vertieften Zusammenarbeit mit israelischen Persönlichkeiten und Institutionen auf
unterschiedlichen Ebenen – mit positivem Potential für die Vertiefung
der deutsch-israelischen Beziehungen (wie bei den christlicherseits
initiierten Gedenktagen zum 70.
Jahrestag der Wannsee-Konferenz
schon geschehen).
7.Diese Bewegung hat unter dem
Segen Gottes viel Potential, über
Europa hinaus weltweit wirksame Impulse zu setzen – wie dies
zum Beispiel in der „Marsch des
Lebens“-Bewegung schon ganz
konkret in den USA, Südamerika
und im asia-pazifischen Raum der
Fall ist.
Diese
Veröffentlichung
möchte
Christen in Deutschland ermutigen,
sich zuerst im Gebet hinter diese Bewegung zu stellen. Es ist zuerst ein
geistliches Zeit- und Gnadenfenster,
das geistlich gewonnen und getragen
werden möchte. Gleichzeitig ist es
auch eine Einladung, sich ganz konkret und praktisch mit einzubringen.
Möglichkeiten dazu gibt es viele:
• Im Rahmen der „Marsch des
Lebens“-Bewegung.
• Im Rahmen der Bemühungen, die
Leidensgeschichten von Holocaust-Überlebenden in Deutschland zu dokumentieren.
• Im Rahmen der Zusammenarbeit
und Partnerschaften, die auf das
Schicksal notleidender Überlebender in Israel aufmerksam machen
und entsprechende Hilfsmaßnahmen unterstützen.
• Und im Rahmen manch anderer Initiativen und Projekte, die auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene im gleichen Geist
in diesem Zeitraum
noch entstehen werden.
In den vergangenen fünf
Jahren, in denen ich intensiv für Holocaust-Überlebende (vorwiegend in Israel) aktiv gewesen bin, hat
sich mir eine tiefe Einsicht
eröffnet, die ich Ihnen hiermit weitergeben möchte:
„Das letzte Kapitel der Geschichte
des Holocaust ist noch nicht geschrieben, solange noch Holocaust-Überlebende unter uns leben. Es liegt – mit
Gottes Hilfe – primär in unserer Hand
als Deutsche, wie dieses letzte Kapitel gefüllt sein wird: Ob primär von
einem Lebensgefühl der Einsamkeit,
Armut und Depression oder von einem Lebensgefühl der Versöhnung,
Wertschätzung und Hoffnung.“
Vor 70 Jahren, bei der Wannsee-Konferenz vom Januar 1942, koordinierten die führenden Männer des „Dritten Reiches“ das größte Verbrechen
der Menschheitsgeschichte. Ich glaube, dass 70 Jahre später der Heilige
Geist mehr als bereit ist, viele willige
Christen zu „koordinieren“, um von
Deutschland aus die noch unter uns
weilenden Überlebenden
des Holocaust zu segnen,
die
deutsch-israelischen
Beziehungen zu bereichern
und damit Gott die Ehre zu
geben. Harald Eckert
2
Rückblick auf lsraelaktuell · Dossier
Das 70-Jahres-Gedenken
in Bibel und Gegenwart
von Harald Eckert
E
s gibt bestimmte Zahlen, die haben eine besondere Bedeutung.
Die Zahl 70 gehört zu diesen.
Der markanteste Hinweis in der Bibel auf die Besonderheit dieser Zahl
findet sich im Zusammenhang mit
dem Geschehen um die Wegführung
und Rückführung der jüdischen Elite
in das babylonische Exil im 6. Jahrhundert vor Christus. Diese Wegführung geschah in mehreren Wellen.
Nachdem die erste Welle weggeführt
wurde, schrieben sie an den damals lebenden Propheten Jeremia und fragten
ihn, worauf sie sich in der Gefangenschaft einzustellen hätten: Würden sie
bald wieder nach Hause zurückkehren? Sollten sie Widerstand leisten? In
diesem Zusammenhang schrieb ihnen
der Prophet, sie sollten sich auf einen
Zeitraum von 70 Jahren einstellen, ehe
die Zeit des babylonischen Exils zu einem Ende kommt (s. Jer. 29).
Im Exil erweckte der Herr ebenfalls einen Propheten. Sein Name
war Daniel. Als junger Mann gehörte
er zu einer Gruppe von nach Babel
Weggeführten. Er erlebte sowohl große Verfolgung als auch große Wunder
und wie ihn der Herr zum engsten
Berater verschiedener Machthaber
beförderte, ähnlich wie es vor ihm
schon Josef erlebte. Von ihm heißt es,
dass er als alter Mann diese Prophetie Jeremias ganz neu zur Kenntnis
nahm. Dies trieb ihn – als die 70 Jahre sich zu erfüllen begannen – in einen geistlichen Prozess, in Buße und
Fürbitte für die Sünden seiner Väter
und seines Volkes (Daniel 9), was der
Herr schließlich mit der Freisetzung
seines Volkes und mit der Rückkehr
der Nachkommen der Weggeführten
nach Israel belohnte.
Aber auch sonst kommt die Zahl 70
in der Bibel immer wieder vor: In 1.
Mose 11 werden 70 Völker aufgezählt
– alles Nachkommen der drei Söhne
Noahs und ihrer Frauen: Der Ursprung
der Völkerwelt. Auch die Zahl der Familie Jakobs, die auf Einladung Josefs
nach Ägypten kam, um der damaligen
Hungersnot zu begegnen, betrug 70
(1. Mose 46). Als Mose und Aaron die
zehn Gebote am Berg Horeb in Empfang nehmen sollten, forderte der Herr
sie auf, mit 70 Ältesten des Volkes Israel an den Berg zu kommen (2. Mose
24). Auch Jesus sandte zu seiner Zeit
70 Jünger aus (Lukas 10). Weitere Beispiele für die besondere Bedeutung der
Zahl 70 in der Bibel könnten hinzugefügt werden.
Der symbolische Gehalt dieser
Zahl beruht auf der Verbindung der
Zahl 7 mit der Zahl 10. Dazu muss
man wissen, dass im Hebräischen die
Zeichen sowohl einen Buchstaben
als auch einen Zahlenwert darstellen
können. Bestimmten Zahlenwerten
wiederum wird traditionell eine bestimmte symbolische Bedeutung zugemessen. Die Zahl 7 zum Beispiel
steht, vereinfacht gesagt, für „inne-
re Vollständigkeit“, die Zahl 10 für
„äußere Vollständigkeit“. In der Zahl
70, 7 mal 10, verbinden sich die beiden Dimensionen: Sie steht also für
gleichzeitige innere wie auch äußere
Vollständigkeit. Die 70 Völker, die
70 Mitglieder der Familie Jakobs,
die 70 Jünger repräsentieren also eine
Ganzheit: Die Völkerwelt, die Kinder
Israels, die Nachfolgerschaft Jesu etc.
In ähnlicher Weise stehen die 70 Jahre für eine Epoche. Einen kompletten
Zeitabschnitt. Auch das babylonische
Exil sollte so eine Epoche sein.
Es ist aus diesem Verständnis heraus, dass Christen immer wieder der
Zahl 70 und insbesondere den 70. Jahrestagen bestimmter Ereignisse eine
besondere Bedeutung beigemessen
haben. Was die jüngere Zeit betrifft,
boten sich die 70. Jahrestage der Nazi-Geschichte an, besonders markante
Daten aufzugreifen: Januar 1933–
2003: 70 Jahre Machtergreifung Hitlers. September 1935–2005: 70 Jahre
Rassegesetzgebung. November 19382008: 70 Jahre Reichspogromnacht
(auch bekannt unter: Reichskristallnacht). Und nun im Januar 2012 das
Gedenken an den 70. Jahrestag der
mit dem Lebensrhythmus der 7-TageWoche an. Es setzt sich fort darin,
dass Gott seinem Volk auf der Wanderung durch die Wüste bestimmte
Fest- und Gedenktage einprägt und sie
lehrt, ihre Kinder darin zu unterweisen. Der ganze jüdische Festtagskalender kommt aus dieser Erziehungsmaßnahme Gottes heraus. Im Neuen
Testament stellen wir fest, dass Gottes
neutestamentliches Heilshandeln sich
mit dem alttestamentlichen verbindet
– weil Gott es so gewollt, man könnte auch sagen, so „getimed“ hat: Das
neutestamentliche Abendmahl wurde
von Jesus im Einklang mit dem jüdischen Seder-Abend eingesetzt. Der
Kreuzestot Jesu erfolgte in der gleichen Stunde, in der der Hohepriester
im Tempel das einjährige Passah­lamm
schlachtete, im Gedenken an die Befreiung Israels aus Ägypten. Die
Ausgießung des Heiligen Geistes zu
Pfingsten erfolgte an exakt dem gleichen Tag im jüdischen Kalender, an
dem Juden aus aller Welt nach Jerusalem kamen, um unter anderem auch
der Gesetzgebung am Sinai zu gedenken. Gott arbeitete schon immer mit
Zeitpunkten und Zeitabschnitten.
ten Zahlen, die eine ähnlich wichtige
Bedeutung haben, wie die drei eben
genannten, sind die Zahlen 100 und
120. Demnach müssen wir uns, was
diese biblischen Anhaltspunkte betrifft, nach dem Abschluss des 70.
Jahrestages auf eine längere Pause
von wenigstens 30 Jahren einstellen.
Es gibt noch einen ganz praktischen Aspekt, der dem 70-JahresZeitraum noch eine andere besondere
Bedeutung verleiht: Viele Kinder von
damals sind heute noch am Leben.
Wir haben noch Zeitzeugen aus der
damaligen Zeit unter uns! Das wird
beim 100. und 120. Jahrestag wohl
nicht mehr der Fall sein. Diese (Zeit-)
Zeugendimension kann in einer Zeit,
in der der Holocaust zunehmend in
Vergessenheit gerät, relativiert oder
gar geleugnet wird, nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Mir scheint, dass
der Heilige Geist selbst dahingehend
mitwirkt, dass zum Ende der Lebzeiten der Überlebenden ihnen nochmals
eine ganz besondere Aufmerksamkeit
zukommt. Wie wichtig ist es unter
diesem Gesichtspunkt zum Beispiel,
dass möglichst viele der Überlebenden
noch die Gelegenheit bekommen, ihre
Foto: Helping Hand Coalition
In Israel leben heute noch etwa 200.000 Holocaust-Überlebende
Wannsee-Konferenz. Den Abschluss
dieser besonderen Serie bildet dann
der Mai 2015 mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit verbunden
mit dem Ende des Holocaust.
In der Bibel selbst finden wir zahlreiche Hinweise, dass Gott selbst mit
besonderen Daten und Momenten arbeitet. Das fängt bei der Einsetzung
des Schabbat und damit verbunden
Was die biblischen Epochen und
Zeitabschnitte betrifft, liegt eine besondere Betonung auf dem 40. Jahr
(eine Generation), auf dem 50. Jahr
(Jahr des Schuldenerlasses) und auf
dem 70. Jahr (Vollständigkeit, Abschluss). Für uns heute gilt zu beachten, dass dann, was das biblische
Zeugnis zu diesem Thema betrifft,
eine längere Pause eintritt. Die nächs-
in der jüdischen Kultur bis heute prägend vorhanden. Dies bietet uns eine
hervorragende Grundlage zur Zusammenarbeit sowohl mit jüdischen als
auch mit gesellschaftlichen Institutionen und Persönlichkeiten.
Zurück jedoch nochmals zum biblischen Befund: Wie wir aus dem
Bericht des Propheten Daniel (Daniel 9) ersehen können, steckt in den
Jahrestagen an sich kein mystischer
Automatismus. Man darf diese Jahrestage biblisch gesehen eher als
Angebote Gottes verstehen, die man
annehmen und nutzen oder bleiben
lassen darf. Natürlich mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen. Daniel hat zu seiner Zeit das Angebot
Gottes, heute könnte man vielleicht
sagen das geistliche „Potential“, dieses Zeitpunktes verstanden – und
entsprechend gehandelt! Erst hat er
geistlich gehandelt, indem er sich und
sein Volk in die Sündenerkenntnis,
in Reue und Buße geführt hat. Das
wiederum öffnete die Tür dafür, dass
danach praktische Schritte der Veränderung (sprich: Die Rückführung der
jüdischen Exilanten in ihre Heimat)
möglich wurden. Dieses Zusammen-
Leidensgeschichte zu dokumentieren.
Und noch ein weiterer sehr konkreter und hilfreicher Aspekt mag beachtet werden: Diese biblisch verankerte
Kultur des Erinnerns und Gedenkens
hat unsere Zivilisation geprägt. Es
sind diese biblischen Schlüsselzahlen, die bis heute in der Gedenkkultur unserer Gesellschaft aufgegriffen
werden. Und natürlich sind sie auch
wirken der geistlichen und der praktischen Dimension haben wir, die wir
uns über die Jahre in dieser Weise engagiert haben, immer wieder erlebt.
Sowohl im Persönlichen als auch auf
größerer Ebene. Wer dazu ganz aktuelle, sehr eindrucksvolle Beispiele
auf persönlicher, familiärer wie auch
auf Stadtebene nachlesen möchte,
dem kann ich nur das Buch von Jobst
die letzten Jahre
3
lsraelaktuell · Dossier
Judenvernichtung in dieser Zeit, bis
hin zu den Todesmärschen im Herbst/
Winter 1944/45 gibt es kaum eine
Stadt oder Region in Deutschland, in
der es kein Unrecht und keine Blutschuld gegenüber jüdischen Menschen und Mitbürgern gegeben hat.
Ich werde, vor allem von Christen,
oft gefragt, was denn der tiefere Sinn
dessen sein soll, dass wir uns immer
wieder unter die Schuld der Väter und
der Vergangenheit beugen. Manchmal
schließt sich die Frage an, wann es
denn endlich genug damit sei. Gerade
auch junge Christen tun sich schwer,
sich mit dieser Art des geistlichen und
praktischen Engagements zu identifizieren. Ich kann hier nur ein paar kurze Hinweise geben, keine umfassende
Antwort. Aber ich gebe zu bedenken:
Das Cover des Buches „Die Decke des Schweigens“ von Jobst Bittner Bittner, „Die Decke des Schweigens“,
empfehlen.
Ich selbst habe meine eigene Geschichte und meinen eigenen Zugang
zu dieser Dimension des Erlösungshandelns Gottes. Vielleicht ist es hilfreich, diese kurz zu erzählen:
Ich kam Mitte der 1970er Jahre
als junger Teenager zum lebendigen
Glauben an Jesus. Meine Mutter und
meine Großmutter legten wohl schon
eine kostbare Saat in mein Leben –
aber richtig aufgegangen ist diese
Saat im Kontext der Jesus-PeopleBewegung und der Charismatischen
Erneuerung in München während der
geistlichen Aufbrüche dieser Zeit.
Sehr schnell kam ich in Kontakt mit
einem englischen Bibellehrer namens
Derek Prince (später wurde ich sein
Mitarbeiter und gründete den deutschen Arbeitszweig seines Dienstes
mit Namen „Internationaler Bibellehrdienst“). Es war auch in dieser Zeit,
dass sich eine biblische Verheißung in
mein Herz brannte, die mir bis heute
ein innerer Leitfaden für mein Leben
und meinen Dienst geblieben ist: „Wo
Sünde mächtig geworden ist, möchte die Gnade Gottes umso mächtiger
werden!“ (s. Röm. 5, 20 b). Ich wusste
schon damals, dass das etwas mit der
deutschen Geschichte und dem jüdischen Volk zu tun hat. Und mit dem
Auftrag, den wir Christen in diesem
Kontext haben.
Dieser Mann lebte teils in den
USA, teils in Israel und bot zweimal
im Jahr zweiwöchige Israelrundreisen
an. Nach meinem Abitur hatte ich Interesse, mich an einer solchen Rundreise zu beteiligen, und war dabei,
mich dafür anzumelden. Kurz zuvor
wurde ich jedoch von einem starken
inneren Impuls überrascht, den ich als
Reden Gottes deutete, mit folgendem
Inhalt: „Harald, geh jetzt noch nicht
nach Israel. Warte bis ich Dir eine Tür
aufmache. Und wenn Du durch diese
Tür gehst, wird das etwas mit meiner
Berufung für Dein Leben zu tun haben.“ Das war Ende der 1970er Jahre.
Zum ersten Mal kam ich nach Israel
im Januar 1992. Ich musste mich in
Geduld üben. Aber die Verheißung
erfüllte sich dann für mich auf sehr
eindrucksvolle Art und Weise!
Am 20. Januar 1992 jährte sich
die Wannsee-Konferenz zum 50.
Mal. Ich war damals Mitarbeiter
bei „Fürbitte für Deutschland“. Die
Frage nach der Schuld Deutschlands
und Gottes gnädigen Absichten im
Kontrast dazu beschäftigte uns als
Leiterschaft und auch mich persönlich intensiv. Als dann ein junger
Mann meines Alters im Herbst 1991
auf mich zukam und mich einlud,
mit ihm und einigen anderen jungen
Christen der Nachkriegsgeneration
am 50. Jahrestag der Wannsee-Kon-
unsere Bewährungsprobe: Haben
wir als deutsches Volk tatsächlich
die Substanz, wenn es darauf ankommt, dem entgegenzutreten?
Biblisch gefragt: Sind die „Früchte
der Buße“ so eindeutig, dass der
Prozess der Buße als abgeschlossen gelten kann?
Foto: TOS Dienste
1. Dass wir als Christen gerufen sind,
„Priester und Prophet“ und „Salz
und Licht“ zu sein. Dieser Aspekt
unserer Berufung hat zutiefst etwas damit zu tun, dass wir Gottes
Erlösungshandeln ersuchen auf
dem Hintergrund von Sünde und
Schuld. Aus der Seelsorge wissen
wir: Je konkreter, desto wirksamer.
Manchmal gilt es, mehrere Schichten abzutragen. Der Durchbruch
erfolgt, wenn sichtbare Änderungen geschehen. Was für die ganz
persönliche Situation gilt, hat auch
eine Relevanz auf familiärer, regionaler und nationaler Ebene.
3. Vielleicht wichtiger noch: Wie geht
es uns als „Kirche“, als „Leib Jesu“,
als Gemeinschaft der Gläubigen?
Sind wir auf dem Hintergrund unseres kirchengeschichtlichen Antisemitismus und auch unseres weitgehenden Versagens während des
„Dritten Reiches“ so weit geläutert
und verändert, dass wir innerhalb
unseres deutschen Volkes, das um
diese Fragen ringt, ein Vorbild und
eine Orientierungshilfe sein können? Können wir gemeinschaftlich
im Verhältnis zum jüdischen Volk
und zu Israel unserem deutschen
Volk einen Weg weisen, der geprägt
ist von gesunder biblischer Fundierung, vom Leben aus Gottes Gnade
und seinen Erlösungskräften, vom
„Wandel im Licht“ und all dem Segen, der daraus fließt? Es ist meine
Sicht der Dinge, dass wir als Gläubige in diesen Schicksalsfragen
unseres Volkes einen einzigartigen
Beitrag haben – auf Grund unseres besonderen Zugangs zum Wort
Gottes und zum Gott Israels in Jesus und im Heiligen Geist.
Christen aus der Kirchengeschichte
und in der Nazizeit am Holocaust.
Diese Konstellation „Deutschland,
das jüdische Volk, der Holocaust,
Jesu Gnadenverheißungen und wir
Christen“ wurde in der Tat zu einem
der prägenden Merkmale meiner Lebensberufung, der ich bis heute versuche, treu zu bleiben.
Was die kommenden drei Jahre betrifft, bieten sich eine Reihe
von Gelegenheiten an, schuldhafte
2.Was die größeren Ebenen betrifft:
Wie sicher können wir uns sein,
dass das deutsche Volk sich wirklich tief von innen her gewandelt
hat? Aktuelle Untersuchungen
besagen, dass 20 % der Bevölkerung offensichtlich antisemitisch
ausgerichtet sind. Über 50 % der
Deutschen glauben, dass die Israelis den Palästinensern in gleicher
Weise Unrecht tun wie damals die
Nazis den Juden. Die Medien stellen Israel fortwährend auf manch-
Um zusammenzufassen: Es gibt
gute biblische und gute praktische
Gründe dafür, die sich anbietenden
Jahrestage von Schuld und Unrecht
gegenüber jüdischen Menschen zu
nutzen, um Dinge, die noch schuldhaft im Dunkeln liegen, ans Licht zu
bringen, unseren jungen Menschen
die besondere Verantwortung und
Verbundenheit zu vermitteln, die
wir als Christen und als Deutsche
in Bezug auf das jüdische Volk haben, um den noch lebenden Opfern
mal manipulative Weise in ein
schlechtes Licht. Weite Teile der
moslemischen Welt betreiben oder
befürworten zumindest innerlich
die auf breiter Basis angestrebte
Vernichtung Israels. Im Gewand
einer anderen Religion bzw. Ideologie wiederholt sich vor unseren
Augen Geschichte. Ein zweiter
Holocaust wird angestrebt. Dies ist
der Verbrechen von damals, den
Holocaust-Überlebenden, ein Segen zu sein und um in diesem Geist
auch die deutsch-israelischen Beziehungen positiv zu beeinflussen.
Ich möchte uns allen Mut machen
– mit Gottes Hilfe! –, dieses außergewöhnliche Zeitfenster 2012–2015
als ein Gnadenangebot Gottes zu erkennen und zu ergreifen!
Die Gedenkkuppel im Archiv der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem
ferenz in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nach Jerusalem zu
gehen, spürte ich sehr schnell, dass
dies die offene Tür ist, auf die ich so
lange gewartet habe. Und so stand
ich am 50. Jahrestag der WannseeKonferenz als einer von drei Referenten im Auditorium von Yad
Vashem und bekannte als Christ öffentlich den schuldhaften Anteil der
historische Ereignisse in Folge der
Wannsee-Konferenz und der damit
verbundenen „Endlösung“ gegenüber
jüdischen Menschen aufzugreifen
und auf segensvolle Weise zu nutzen.
Angefangen von den Deportationen
der Jahre 1942–1944 in Deutschland
über die Aufrichtung, den Betrieb und
die Endphase von KZs und KZ-Außenstellen mit dem Schwerpunkt der
4
Rückblick auf lsraelaktuell · Dossier
Holocaust-Überlebende
in Israel heute
von Harald Eckert
A
ktuelle Statistiken aus Israel
(Frühjahr 2012) sagen uns, dass
es derzeit in Israel noch etwa
200.000
Holocaust-Überlebende
gibt. Diese setzen sich zusammen
aus ehemaligen KZ-Insassen, Ghetto-Überlebenden, Flüchtlingen vor
dem Nazi-Terror, jüdischen Partisanen (zum Teil auch Veteranen) sowie
„child-survivors“, also Kindern, die
ihren Familien entrissen wurden und
innerhalb oder außerhalb des NaziEinflussbereiches versteckt worden
sind. Die exakte Definition ist nicht
immer einfach – aber dies ist das von
der israelischen Regierung und den
zuständigen Behörden derzeit akzeptierte Bild.
Grob gesagt kann man zwei Hauptgruppen von Holocaust-Überlebenden
in Israel unterscheiden. Zum einen
diejenigen, die nach den Wirren des
Zweiten Weltkrieges in das neugeborene Israel gekommen sind und mitgeholfen haben, den Staat zu verteidigen und aufzubauen. Zum zweiten
diejenigen, die das Schicksal hinter
den „Eisernen Vorhang“ verschlagen
hat und die als ältere Menschen in
den letzten 15–20 Jahren nach Israel
gekommen sind. Die erste Gruppe ist
im Wesentlichen zentraler und tragender Bestandteil der israelischen
Gesellschaft, repräsentiert durch jemanden wie den aktuellen Präsidenten
Israels, Shimon Peres, zum Beispiel.
Die zweite Gruppe lebt oft am Rand
der israelischen Gesellschaft, spricht
häufig die Sprache nicht und kämpft
gegen Altersarmut, obwohl sie früher oft sehr hochstehende berufliche
Tätigkeiten ausgeübt haben. Die erste Gruppe war den meisten von uns,
die sich mit Israel und dem Holocaust
beschäftigt haben, bekannt. Die zweite Gruppe war vielen von uns bis vor
kurzem noch sehr fremd.
Im April 2007 bin ich auf überraschende Weise auf die zweite Gruppe
aufmerksam gemacht worden. Eines
Morgens nahm ich um die Frühstückszeit herum die „Süddeutsche
Zeitung“ (SZ) zur Hand und stieß auf
Seite 1 auf einen Artikel, in dem von
Israel die Rede war. Mit wachsender
Überraschung und schließlich Betroffenheit las ich davon, dass von derzeit
in Israel lebenden 240.000 HolocaustÜberlebenden etwa ein Drittel, also
80.000 in großer Armut leben. Der
Artikel berichtete davon, dass dies
in Israel selbst bisher kaum bekannt
war. Ein Fernsehbericht um die Passah-Zeit herum, der diese Tatsachen
ans Licht brachte, sorgte für großen
Aufruhr in Israel selbst. Diese innergesellschaftliche Diskussion war so
stark und heftig, dass internationale
Medien darauf aufmerksam wurden –
und so kam es, dass meine Münchner
Tageszeitung davon auf der Titelseite
berichtete.
Mich wühlte dieser Bericht immens auf. Zum einen war mir nicht
klar, dass es noch so viele HolocaustÜberlebende gibt. Zum zweiten fand
ich es schockierend, dass ein Drittel
davon an oder unter der Armutsgrenze lebt. Aber instinktiv und ohne weiteres Nachdenken war mir sofort eine
Sache klar: Dies ist für mich und sollte für uns Christen kein Anlass sein,
mit dem Finger auf irgendwelche
Regierungen zu zeigen. Nein! Dies
ist eine einzigartige Chance – gerade
für uns Deutsche und gerade für uns
Christen, in den letzten Lebensjahren
dieser Menschen ihnen zugute wirksam zu werden und Zeichen des Mitgefühls und der Fürsorge zu setzen.
Aber was tun? Mich trieb diese
Frage zum Herrn wie selten etwas.
Ich durfte erleben und staunen, wie
gerne und wie stark er sich in dieser
Frage finden ließ und mir Herzen und
Türen öffnete, von denen ich nicht zu
träumen wagte. In Israel wie auch in
Deutschland.
Kurze Zeit nachdem ich diesen
Artikel las, sollte ich wieder einmal
als Leiter einer Reisegruppe nach Israel kommen. Gemeinsam mit einem
Mitarbeiter entschlossen wir uns, uns
auf die Suche nach Personen in Israel
matherapie“ und Mitgründer von
AMCHA, einem von Psychologen betreuten Netzwerk von Gesprächs- und
Selbsthilfegruppen unter HolocaustÜberlebenden. Wir luden ihn später
zu einer öffentlichen Vortragsveranstaltung nach München ein. Unter
vier Augen erläuterte er mir allerdings
dann, dass er bis vor kurzem von den
Nöten der Überlebenden aus der ehemaligen Sowjetunion auch nur wenig
Kenntnis hatte.
Bei unserer Recherche im Vorfeld
der Reise im Internet stießen wir noch
auf einen zweiten Namen: Noah Flug,
Holocaust-Überlebender
mehrerer
Lager, einschließlich Auschwitz, und
langjähriger Leiter des internationalen
Auschwitz-Komitees. Uns gelang es
zu Beginn der Reise, telefonisch mit
ihm in Kontakt zu treten, und wenige
Tage später saßen mein Mitarbeiter
und ich gemeinsam mit seiner Frau in
dessen Wohnzimmer. Er erzählte mir
von seinen zahlreichen Begegnungen
mit Rau, Merkel, Köhler und anderer
deutscher Prominenz. Wir erzählten
ihm von dem Zeitungsartikel und unserer Suche. Ihm war die Situation,
von der die Zeitung sprach, im We-
Eine von vielen tausend verarmten Holocaust-Überlebenden in Israel
zu machen, die als Gesprächspartner
und als mögliche Partner für eine wie
auch immer geartete Zusammenarbeit geeignet sein könnten. Den ersten
Hinweis fanden wir in dem erwähnten
Artikel der SZ: Einen Mann namens
Nathan Durst, selbst Holocaust-Überlebender (child survivor), Professor
der Psychologie, weltweit anerkannt
für seine Arbeit zum Thema „Trau-
Foto: Andreas Bartel
sentlichen bekannt – aber von ihm
erfuhr ich erstmals von diesen zwei
einleitend erwähnten Großgruppen
von Überlebenden, die in Israel wie
in zwei verschiedenen Welten leben
würden. Zu der Masse der verarmten Überlebenden beziehungsweise
entsprechenden Organisationen oder
Schlüsselpersonen könne er leider
keinen direkten Kontakt herstellen.
Doch dann ergab sich Folgendes:
Auf unserer Rundreise kamen wir
eines Abends in einem Hotel in Jerusalem an. Während ich auf dem
Weg zum Buffet war, sprach mich
ein Mann aus Deutschland an, der
ebenfalls mit einer christlichen Reisegruppe in Israel unterwegs war.
Er lud mich zu sich an den Tisch ein
und wir kamen ins Gespräch. Dabei
erzählte ich ihm von dem Zeitungsartikel und der besonderen Recherche, die wir gerade anstellten, und
dass ich trotz guter Begegnungen zu
der eigentlichen Zielgruppe, den Armen unter den Überlebenden, noch
keinen Kontakt herstellen konnte.
Zu meiner Überraschung berichtete mir mein Gegenüber, dass er im
Rahmen einer christlichen Hilfsorganisation, die bisher vorwiegend Juden
in der Ukraine unterstützt hat, seit
kurzem gerade auch verarmte Überlebende in Israel mit humanitären
Hilfsgütern unterstützt. Und wenn ich
möchte, könnte er mich in zwei Tagen
mit seinem Partner in Israel bekannt
machen, der für eine Besprechung in
das Hotel kommen wird. Genau so
geschah es auch: Zwei Tage später
lernte ich das Ehepaar Gasiorowski
kennen, Leiter der „Helping Hand
Coalition“ in Israel. Und diese erzählten mir, dass sie gerade dabei sind, in
Zusammenarbeit mit den kommunalen Sozialbehörden ein humanitäres
Netzwerk aufzubauen mit dem Ziel,
den 5.000 Bedürftigsten unter den
in Armut lebenden Holocaust-Überlebenden in Israel auf monatlicher
Basis materielle und/oder finanzielle
Hilfe zur Linderung der größten Not
zukommen zu lassen.
In den folgenden Jahren entwickelte
sich mit allen drei Männern und deren
Organisationen eine rege Zusammenarbeit. Nathan Durst und Noah Flug
sind inzwischen leider verstorben. Die
Zusammenarbeit mit den von ihnen
bis dahin geprägten und geleiteten Organisationen hat sich verändert. Aber
inzwischen konnten wir noch weitere
geeignete Partner zur Unterstützung
bedürftiger Holocaust-Überlebender
kennenlernen, und das Netzwerk der
Hilfe und der Fürsorge für sie in Israel
hat sich bis heute weiter verbreitert (s.
Kapitel 6).
Darüber hinaus sind in den letzten
fünf Jahren viele andere christliche
Hilfsorganisationen aus Deutschland
und vielen anderen Ländern auf die
Nöte der Überlebenden in Israel aufmerksam geworden. Auch die Regierungen in Israel und Deutschland haben sich weitergehend engagiert – und
von daher ist die rein materielle Not
nicht mehr ganz so extrem, wie das vor
fünf Jahren der Fall war. Dadurch hat
sich auch der Schwerpunkt der Hilfeleistungen, insbesondere unter den
russischsprechenden Überlebenden,
im Laufe der letzten Zeit verändert.
Neben der weiter fortlaufenden Begegnung der größten materiellen Not
steht jetzt das Bemühen um Linderung von Einsamkeit und Depression
im Mittelpunkt, z. B. durch Ausrichtung von kostenlosen Kulturveranstaltungen, gemeinsamen Ausflügen, Begegnungen mit Christen (gerade auch
aus Deutschland), wöchentlichen
betreuten Nachbarschaftstreffen und
manchem mehr. Mit Hilfe der israelischen Regierung sind auf Leiterebene
auch die Kontakte zwischen den verschiedenen Verbänden und damit auch
zwischen den beiden „Welten“ unter
den Überlebenden deutlich enger geworden. In den letzten fünf Jahren hat
sich einiges bewegt.
Einen besonderen Ausdruck dieser
erfreulichen Veränderungen in der
Zusammenarbeit und Wirksamkeit
zwischen der israelischen Regierung,
christlichen Hilfsorganisationen für
Holocaust-Überlebende und humanitären Organisationen in Israel gab
es am 22. November 2011. Die Regierung Israels, repräsentiert durch
sieben verschiedene Ministerien, lud
christliche Leiter, die sich mit ihren
Organisationen für Holocaust-Überlebende in Israel engagiert haben,
zu einer besonderen Ehrung in die
Knesset, in das israelische Parlament,
ein. Über 20 Organisationen aus verschiedenen Teilen der Welt waren
repräsentiert – darunter sieben aus
Deutschland. Eingerahmt von kulturellen Darbietungen, informativen
Kurz-Präsentationen und mehreren
Ansprachen wurde im Auditorium der
Knesset allen eingeladenen Organisationen eine offizielle Urkunde der israelischen Regierung überreicht. Höhepunkt dieses Nachmittags war, dass
die Repräsentanten dieser Organisationen anschließend in den Plenarsaal
der Knesset eingeladen waren, in
dem eine halbstündige Sondersitzung
zu ihren Ehren anberaumt war. Mehrere Knesset-Abgeordnete, zum Teil
selbst Nachkommen von HolocaustÜberlebenden, brachten dort auf gleichermaßen persönliche wie offizielle
Weise ihre Anerkennung für die gute
Zusammenarbeit zum Ausdruck.
Es war in diesem Kontext, im
Auditorium der Knesset und im Bewusstsein des baldigen 70. Jahrestages
der Wannsee-Konferenz, dass es mir
gestattet war, erstmals die in diesem
Dossier weiter ausgeführte Vision für
das Zeitfenster 2012–2015 öffentlich
zum Ausdruck zu bringen.
Herausgeber:
Christen an der Seite I­ sraels e. V.
Ehlener Str. 1
34289 Zierenberg
Telefon: (0 56 06) 37 59
eMail: info@israelaktuell.de
Dezember 2012
die letzten Jahre
5
lsraelaktuell · Dossier
Ursprünge und Grundlagen der
Marsch des Lebens
Lebens
-Bewegung
Marsch des
von Jobst Bittner
W
as war eigentlich passiert,
dass wir als Gründer und Initiatoren der „Marsch des
Lebens“-Bewegung für unser Engagement an Holocaust-Überlebenden
von der israelischen Regierung eingeladen wurden, um mit zahlreichen
anderen Organisationen dafür geehrt
zu werden? Ich erinnere mich, wie ich
lange an der Kurzansprache, die ich
in der Knesset zu halten hatte, feilen
musste, um die Idee des „Marschs des
Lebens“ in richtiger Weise darzustellen. Ich möchte Sie in einige Überlegungen mit hineinnehmen, die zur
Grundlage der „Marsch des Lebens“Bewegung geworden sind.
Meine Generation bezeichnet man
als die Nachkriegsgeneration. Zu ihr
gehören die zwischen 1945 und 1960
Geborenen. Unsere Väter trugen einen Hut, bauten ihre neue Existenz
auf und sprachen vom Krieg. Ihre
schuldhaften Verstrickungen, Traumata und verdrängte Ängste kamen
in ihren Geschichten kaum vor – vielleicht haben wir deshalb nicht genau
hingehört. Auf jeden Fall legte sich
über unsere Familien in Deutschland
und die nachfolgenden Generationen
ein nahezu undurchdringbarer Nebel, der uns bis heute mehr zu schaffen macht, als wir denken. Ich nenne ihn die „Decke des Schweigens“.
Ich erwähne das, weil wir bei dem
„Marsch des Lebens“ zu schnell bei
der Aufarbeitungs- und Versöhnungsarbeit stehenbleiben. Der Startpunkt
von dem Marsch des Lebens war die
Erfahrung, dass Transformation und
Veränderung – ob im persönlichen
oder familiären Bereich oder auch
auf lokaler und nationaler Ebene –
nur geschehen kann, wenn es uns gelingt, diese Decke beiseite zu schieben und über uns zu zerbrechen. Ist
Ihnen schon einmal aufgefallen, dass
faschistische und autoritäre Systeme
nur funktionieren können, wenn sie
auf Einschüchterung und das daraus
resultierende Schweigen von Mitläufern aufgebaut sind? Jede Art von
Missbrauch stößt das Opfer in einen
Abgrund von Schweigen. Die Bibel
verbindet das Schweigen – im Gegensatz zur anbetenden Stille – mit
einer krankmachenden Finsternis
(Ps. 32,3). Ob in der Ehe, der Familie
oder in unseren Kirchen und Gemeinden: Schweigen isoliert, entmündigt
Menschen und beraubt sie ihrer Persönlichkeit. Ich bin davon überzeugt,
dass wir in unseren Kirchen und Gemeinden neue geistliche Autorität
und Kraft gewinnen, wenn es uns
gelingt, die „Decke des Schweigens“
zu überwinden. Aber – wie kann das
geschehen?
Unsere Geschichte ist an dieser
Stelle schnell erzählt. In einer Zeit der
Krise wurde uns als Gemeinde im Gebet folgender Satz zu einem geistlichen
Schlüssel: „Das Schweigen eurer Väter
ist in euch!“ Gemeint war: Es gibt in
euch ein Schweigen, das euch ebenso
zu passiven und oft auch gleichgültigen Mitläufern macht wie die Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus. Konnte es sein, dass wir beinahe
70 Jahre danach immer noch unter
dem Schatten des Holocaust lebten?
Gab es, trotz all der Aufarbeitung, der
Bußveranstaltungen und Gebetskonferenzen, noch eine andere Ebene, die
wir, vielleicht weil wir selbst zutiefst
Betroffene sind, noch nicht wahrgenommen hatten? Wir entdeckten, dass
sich hinter unseren Familienwahrheiten Geschichten verbargen, die uns
zutiefst erschütterten. Viele mussten
lernen, diese Wahrheiten zu entdecken
und ohne Anklage und Bitterkeit auszusprechen. Sie erlebten erstaunlicherweise Befreiung von Lasten, die sie
mit sich herumtrugen und aufgrund
ihrer eigenen Biographie nicht hatten erklären können. Vergebung und
Gnade wurde für sie zu einer neuen
beglückenden Erfahrung. Psychotherapeuten erzählen, wie in den letzten
Jahren das Aufarbeiten der Familiengeschichte zu einem wichtigen Thema
geworden ist. Medien berichten immer
wieder eindrücklich davon. Ihre Erfah-
Es gibt drei Ebenen des Schweigens, die wir durchbrechen müssen.
Tun wir es nicht, werden wir das Erbe
Gottes der Veränderung, Transformation und – wie ich glaube, auch das
einer neuen geistlichen Ernte – nicht
ergreifen können. Die ersten beiden Ebenen habe ich erwähnt, die
dritte führt uns zur Entstehung vom
„Marsch des Lebens“:
• Die 1. Ebene: Das persönliche
Schweigen (Psalm 32, 3)
• Die 2. Ebene: Das Schweigen in
der Familie (Jesaja 53, 7)
• Die 3. Ebene: Das Schweigen zu
Israel (Genesis 12, 3; Jesaja 62, 1)
„Das Schweigen unserer Väter ist in
uns!“ Dieser Satz hatte auch etwas mit
der nationalsozialistischen Geschichte unserer Stadt Tübingen zu tun. Die
Machtübernahme Hitlers am 30. Januar
1933 wurde in Tübingen lautlos vollzogen. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da die Rassenpolitik der Nationalsozialisten in Tübingen auf einen
Jahrhunderte alten latenten judenfeindlichen Nährboden fiel, der zum „kulturellen Kodex“ des Bürgertums gehörte.
Die Routen des Marsch des Lebens in Polen 2012 (bilden einen Davidstern)
rungen stimmen mit dem biblischen
Zeugnis überein: Immer, wenn wir
bereit sind, unser Schweigen zu beenden und die Wahrheit auszusprechen,
kommt Licht in die Finsternis und die
„Decke des Schweigens“ zerbricht.
Als Gott sprach, wurde es Licht – so
berichtet der Schöpfungsbericht – und
verwandelte Chaos und Finsternis in
einen neuen Tag! (Genesis 1, 1)
Foto: TOS Dienste
Die Universität Tübingen lieferte den
ideologischen Unterbau für den Holocaust. Sie stellte zahlreiche, vielleicht
sogar die meisten fanatischen und die
effizientesten Massenmörder, die an
vorderster Front der SS-Einsatzgruppen und des Sicherheitsdienstes an der
sogenannten „Endlösung“ teilnahmen.
Sie wurden die Tübinger „Exekutoren
der Endlösung“ genannt. Tübingen tat
sich mit der Aufarbeitung der Nazigeschichte schwer.
Wenn Christen, die für ihre Stadt
und ihr Land beten, Transformation und Veränderung sehen möchten,
wird neben der Bereitschaft, sich von
der eigenen Familiengeschichte persönlich treffen und erschüttern zu lassen, die Aufarbeitung der Judenfeindlichkeit ihrer Stadt und das eindeutige
Bekenntnis, in Freundschaft an der
Seite Israels zu stehen, eine entscheidende Rolle spielen. Erst wenn wir
bereit sind, unsere positive Haltung
zu Israel in ein aktives Bekenntnis zu
verändern, das wir im wahrsten Sinne
in der Öffentlichkeit auf die Straße
tragen, werden wir in einer Zeit des
wieder aufblühenden Antisemitismus
über unseren Städten und Nationen
Decken zerbrechen können. Wir sahen in unserer Stadt erstaunliche Veränderungen, ich berichtete an anderer
Stelle darüber. Wie aber begann der
„Marsch des Lebens“?
Die Todesmärsche können als
das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords bezeichnet
werden. Die SS ließ am Ende des
Zweiten Weltkriegs die Konzentrationslager evakuieren. Sie wollte
die Spuren des Massenmords beseitigen. Die Gefangenen irrten im
harten Winter 1944/45 wochenlang
hungernd und völlig entkräftet und
nahe dem Zusammenbruch über
die Straßen und Wege des im Chaos versinkenden Deutschlands. Die
Routen der Todesmärsche waren
von Blut getränkt. Von den 700.000
Häftlingen, die es bis 1945 geschafft
hatten, in den Konzentrationslagern
zu überleben, ließen 250.000 von ihnen bei den Todesmärschen vor den
Augen der Zivilbevölkerung ihr Leben. Diese reagierte meistens passiv,
gleichgültig, wurde manchmal zu
aktiven Tätern – und schwieg über
das, was sie gesehen hatte.
Mehrere dieser Todesrouten führten
von den in der Nähe Tübingens liegenden KZ-Außenlagern Richtung Süden
bis in die Nähe von München, wo sich
das KZ Dachau befand. Wir starteten
mit dem ersten „Marsch des Lebens“
im Jahr 2007 auf der Route der Todesmärsche in Süddeutschland und liefen zusammen mit 300 Teilnehmern,
Juden und Nichtjuden, HolocaustÜberlebenden und Nachfahren der
Tätergeneration von Tübingen bis zur
KZ-Gedenkstätte Dachau. Wir wollten auf dieser Route ein Zeichen der
Versöhnung setzen. Dieses Zeichen
konnte nur sichtbar werden, wenn wir
Holocaust-Überlebende ehrten, unsere
persönliche Familienwahrheit beim
Namen nannten und sie stellvertretend
um Vergebung baten. Das geschah bei
den Gedenkveranstaltungen auf beeindruckende Weise. Auf der Hauptseite
der Jerusalem Post war anschließend
zu lesen: „Eine deutsche Nazistadt
bittet um Vergebung!“ Das öffentliche
Bekenntis auf der Straße und die aus
einer tiefen Betroffenheit formulierte Bitte um Vergebung wurde für die
Nachfahren der Tätergeneration und
für die Holocaust-Überlebenden und
ihre Nachfahren in der zweiten und
dritten Generation zu einer für sie eindrücklichen und lebensverändernden
Erfahrung .
Wie der „Marsch des Lebens“ entstanden ist, ist für mich immer noch
ein Phänomen. Er breitete sich in
den kommenden Jahren – man kann
wirklich sagen explosionsartig – in
andere Städte und Nationen aus. Wir
konnten dabei zusehen, wie er sich innerhalb von fünf Jahren multiplizierte
und aus einer kleinen Gebetsaktion
eine Bewegung wurde, an der bereits
Zehntausende in mindestens achtzig
Städten und in zwölf Ländern beteiligt waren. Millionen wurden durch
die Medien erreicht. Gerade liegt der
„Marsch des Lebens“ in Polen hinter
uns. Er wurde von der Vizesprecherin
der Knesset begleitet. Polnische Politiker bezeichneten ihn als einen wertvollen Versöhnungsschritt zwischen
Polen und Deutschland. Der „Marsch
des Lebens“ in Polen war der erste
Meilenstein zu weiteren Veranstaltungen und Märschen, die bis zum
Jahr 2015 stattfinden werden.
Der „Marsch des Lebens“ beinhaltet alles, was wir in den Jahren über
die Decke des Schweigens lernen
durften. Ob es die persönliche Aufarbeitung der Familiengeschichte, die
Frage nach dem Erbe der Täter- oder
Opfergenerationen des Holocaust oder
das gemeinsame Bekenntnis von Juden und Christen gegen den modernen
Antisemitismus unserer Tage und für
Israel ist: Der „Marsch des Lebens“
ist zu einem machtvollen Werkzeug
geworden, mit dem wir das Schweigen
brechen und der Finsternis ihr Fundament entziehen können.
Mit seiner Botschaft steht er:
1. für Versöhnung, Heilung und
Wiederherstellung zwischen
den Nachkommen der Täterund Opfergeneration
2. für die Aufarbeitung der
Vergangenheit und gegen das
Vergessen
3. für Israel und für ein unüberhörbares „Nie wieder!“ gegen
den modernen Antisemitismus
unserer Zeit
Wer die Geschichte von HolocaustÜberlebenden gehört hat, versteht, wie
wenig Zeit uns bleibt, diese Zeitzeugen der Geschichte zu ehren, wertzuschätzen und von ihnen zu lernen. In
den nächsten drei Jahren sollten wir
ein Zeitfenster der Gnade in möglichst
vielen Städten Deutschlands nutzen.
Bis jetzt haben in dreißig Städten Multiplikatoren ihr Interesse angemeldet,
einen „Marsch des Lebens“ durchzuführen. Ich bin davon überzeugt, dass
wir mit einer gemeinsamen Stimme
über unserem Land eine „Decke des
Schweigens“ durchbrechen und nachhaltigen Segen für unsere Nation herbeiführen können.
6
lsraelaktuell · Dossier
Rückblick auf die letzten Jahre
20.–21. Januar 2012 –
Tage des Gedenkens und der
Begegnung in Berlin
Foto: Initiative 27. Januar
Die Gedenkveranstaltung am 20. Januar 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche (Berlin)
D
ie Initiative 27. Januar hat im
Januar 2012 aus Anlass des 70.
Jahrestages der Wannsee-Konferenz, bei der die „Endlösung der
Judenfrage“ besprochen worden war,
zwei Gedenk- und Begegnungsveranstaltungen in Berlin durchgeführt,
bei denen Holocaust-Überlebende aus
Israel, Repräsentanten aus Politik und
Zivilgesellschaft und viele weitere Besucher zu Gast waren. Im Mittelpunkt
standen das gemeinsame Gedenken
an den Holocaust und die Information über die heutige Situation von
Holocaust-Überlebenden. Mit jeweils
mehr als 300 Teilnehmenden aus verschiedenen Orten Deutschlands und
auch aus dem Ausland sowie aufgrund
der Öffentlichkeitsarbeit und Medienberichterstattung vor und nach den
Veranstaltungen (u. a. BILD, Jüdische
Allgemeine und mehrere christliche
Medien) konnte eine breite Öffentlichkeit mit diesen Themen und dem
konkreten praktischen Anliegen der
Unterstützung für Holocaust-Überlebende in Israel erreicht werden.
Die erste der beiden unter dem Titel „Gedenken und Begegnen – 70.
Jahrestag der Wannsee-Konferenz“
stehenden Veranstaltungen fand am
20. Januar 2012 in der Französischen
Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin in Kooperation
mit dem ökumenischen Netzwerk Gemeinsam für Berlin e.V. und unter der
Schirmherrschaft des Vizepräsidenten
des Deutschen Bundestages Dr. h. c.
Wolfgang Thierse statt. Es sprachen
folgende Rednerinnen und Redner
(Reihenfolge gemäß der Rednerliste):
• Harald Eckert (1. Vorsitzender der
Initiative 27. Januar)
• Pfarrer Axel Nehlsen (Geschäftsführer Gemeinsam für Berlin)
• Oberkonsistorialrat i. R. Jochen
Muhs (Französische Friedrichstadtkirche)
• MdB a. D. Prof. Gert Weisskirchen
(früherer außenpolitischer Sprecher
der SPD-Bundestagsfraktion und
2004 bis 2008 Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur
Bekämpfung des Antisemitismus)
• Bundestagspräsidentin a. D. Prof.
Dr. Rita Süssmuth
• Bastiaan Belder (Abgeordneter
des Europäischen Parlaments und
Vorsitzender der EU-Israel-Parlamentariergruppe)
• Emmanuel Nahshon (Gesandter
der Botschaft des Staates Israel in
Deutschland)
• Aaron Azulay (Executive General Manager, Ministry for Senior
Citizens)
• Lia Shemtov (Knesset-Abgeordnete)
• Gita Koifmann (Holocaust-Überlebende, Präsidentin der Association of Concentration Camps and
Ghetto Survivors in Israel)
Weitere Gäste waren u. a. die Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag,
Marie-Luise Beck, Bettina Kudla
und Stefan Liebich, Landtagspräsident a. D. Dieter Steinecke, Lothar
Klein, ehemaliger Abgeordneter des
Europäischen Parlaments und Stadtrat in Dresden, sowie Michael Joachim, Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Jüdischen
Gemeinde zu Berlin.
Am 21. Januar 2012 folgte in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ein „Abend der Freundschaft und Begegnung – zu Ehren
von Holocaust-Überlebenden 70
Jahre nach der Wannsee-Konferenz“
im Crowne Plaza Berlin City Centre.
Grußworte und Reden kamen von der
Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde
zu Berlin, Lala Süsskind, dem Direktor der European Coalition for Israel,
Tomas Sandell (Video-Grußwort), der
Knesset-Abgeordneten Lia Shemtov
sowie den Holocaust-Überlebenden
Alexander Berman (Präsident Front
of Respect/Hazit HaKavod) und
Sergey Sushon (Vizepräsident Association of Concentration Camps and
Ghetto Survivors in Israel). Zudem
wurde das Engagement der Organisationen AMCHA, Hadassah, Helping
Hand Coalition und Keren Hayesod
zur Unterstützung bedürftiger Holocaust-Überlebender in Israel und das
Engagement der Initiative 27. Januar
vorgestellt.
Bereits vor den beiden Veranstaltungen hatte es am Vormittag des 20.
Januar im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages auf Einladung des
Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen
Parlamentariergruppe, Jerzy Montag,
ein Treffen der israelischen GästeDelegation sowie von Vertretern der
Initiative 27. Januar und der European Coalition for Israel mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages
gegeben. Einer der Teilnehmenden
bei dieser Begegnung war auch der
Vorsitzende der EU-Israel-Delegation
des Europäischen Parlaments, Bastiaan Belder. Am 22. Januar besuchten
die Holocaust-Überlebenden aus der
Die Veranstaltungen der Initiative 27. Januar am 20. und 21. Januar 2012
sind mit Texten, Fotos, Videos und Medienberichten auf der Website www.initiative27januar.org dokumentiert.
Im Februar 2012 ist in der Zeitung Israelaktuell.de eine Dokumentation erschienen, die auch online zu finden ist unter
www.israelaktuell.de/images/stories/veranstaltungen/wannsee.pdf
israelischen Delegation die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz
und trafen deren Direktor Dr. Norbert
Kampe. Am 19. Januar hatten sie bereits an der Gedenkveranstaltung dieser Gedenkstätte zum 70. Jahrestag der
Wannsee-Konferenz in der Akademie
der Künste teilgenommen.
Während ihres viertägigen Aufenthalts in Berlin wurden die HolocaustÜberlebenden aus Israel von einem
Team junger Erwachsener des Begegnungsreisen-Projekts Israel Connect
betreut. Im Rahmen der offiziellen
Veranstaltungen und Treffen, zu denen die Holocaust-Überlebenden von
Teammitgliedern begleitet wurden,
und insbesondere auch beim weiteren Rahmenprogramm (gemeinsames
Schabbat-Essen und eine Gruppentour durch Berlin) kam es zu vielen
guten und herzlichen Begegnungen
und Gesprächen. Beim Abschied und
in den weiteren Kontakten und Berichten wurde deutlich, wie sehr die
Holocaust-Überlebenden aus Israel,
die weiteren Gäste und Gastgeber und
nicht zuletzt auch die jungen Erwachsenen aus dem Israel Connect Team
von der besonderen Gemeinschaft im
Rahmen dieser Tage des Gedenkens
und Begegnens in Berlin bereichert
worden sind.
Auszug aus der Rede von Harald Eckert zum 70.Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. 1. 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche
Sehr geehrte Damen und Herren,
70 Jahre nach der Wannsee-Konferenz, angesichts der großen Herausforderungen, denen sich Israel gegenübersieht, und damit verbundener Herausforderungen, denen wir uns auf unsere Weise in Deutschland
und Europa gegenübersehen, stellt sich die Frage: Was können wir tun?
Ich möchte einen ganz praktischen Aspekt herausgreifen, wie jeder
von uns angesichts der aktuellen Herausforderungen positiv tätig werden kann. Das Schlüsselwort ist „Vernetzung“. „Strategische Vernetzung“.
Ein Netzwerk der Versöhnung, der Freundschaft und der Zusammenarbeit. Auf zwei Ebenen:
Die erste Ebene ist eine noch stärkere Verzahnung zwischen
Deutschland und Israel. Sowohl auf zivilgesellschaftlicher Ebene, zwischen Juden, Christen und allen Menschen guten Willens, als auch in
Zusammenarbeit mit der Politik und Organisationen wie Yad Vashem,
diversen KZ-Gedenkstätten oder sonstigen Institutionen der Erinnerung
und Erziehung. Solange dies möglich ist, sollten aktive Überlebende des
Holocaust, wie unsere Gäste hier, eine sehr aktive Rolle im Zentrum die-
ses deutsch-israelischen Netzwerkes bilden. Als Zeugen und Zeitzeugen
dessen, was „schon einmal“ geschehen ist.
Die zweite Ebene ist die internationale Ebene. In Europa gibt es schon
seit acht Jahren eine Europäische Koalition für Israel. Eine asia-pazifische
Koalition für Israel ist in Vorbereitung. Auch in Afrika gibt es vergleichbare Ansätze. Meistens sind die Initiatoren christlich motiviert. Aber überall
sind gute Beziehungen zu Politik und Regierung vorhanden oder angestrebt sowie zu Fachleuten verschiedenster Fachbereiche.
Auf der Basis eines Netzwerkes der Versöhnung, der Freundschaft
und der Zusammenarbeit entsteht eine weltweite Koalition gegen das
Vergessen und die Unwissenheit, gegen zynisch-manipulative Umdeutungen und gegen die zerstörerischen Kräfte des Antisemitismus und
Antiisraelismus.
Bei meiner Ansprache in der Knesset am 22. November 2011 habe
ich vorgeschlagen, dass wir unser Bemühen um konstruktive und zielgerichtete Zusammenarbeit in den kommenden drei Jahren intensiv verstärken. Von jetzt an bis zum Mai 2015, wenn sich das Ende des Zweiten
Weltkrieges und des Holocaust zum 70. Mal jährt. In diesen drei Jahren
gibt es zahlreiche 70. Jahrestage. Jahrestage von Deportationen aus
vielen Städten Deutschlands und Europas. Jahrestage von Beginn und
Ende von Vernichtungslagern, dem Warschauer Ghetto-Aufstand, Todesmärschen und ähnlichen Ereignissen. Heute gibt es noch Überlebende
dieser Ereignisse als Zeitzeugen. Gemeinsam können wir eine Botschaft
in die Welt setzen wie wahrscheinlich nie mehr danach. Danach, wenn
keine Überlebenden mehr unter uns sind. Danach, wenn solch markante
Jahresdaten sich auf längere Zeit nicht mehr anbieten.
Liebe Überlebende, verehrte Ehrengäste aus Kirche, Politik und Gesellschaft, sehr geehrte Damen und Herren – wäre es nicht eine großartige
Reaktion auf den 70. Jahrestag des schrecklichsten Koordinierungstreffens
in der Geschichte der Menschheit, wenn wir uns heute nicht zum Bösen,
sondern zum Guten, nicht zum Tod, sondern zum Leben, nicht zum Fluch,
sondern zum Segen besser miteinander koordinieren würden?
Dazu wünsche ich uns allen viel Mut, Kreativität und Weisheit und
über allem den Segen von oben.
Ausblick: 2012–2015
7
lsraelaktuell · Dossier
Perspektiven
der Marsch des Lebens-Bewegung
2012–2015
M
it dem Titel: „Der Marsch des
Lebens in meiner Stadt! Erinnern – Versöhnen – die Zukunft gestalten!“ fand in Tübingen
eine Konferenz von Multiplikatoren
statt, die in ihrer Stadt in Deutschland
einen „Marsch des Lebens“ durchführen wollten. Wussten Sie, dass es
in den meisten Städten Deutschlands
„Todesrouten“ gibt, die wir mit unserem Bekenntnis und Gebet in Wege
des Lebens verwandeln können?
Die systematische Deportation
von Juden aus Deutschland in den Osten begann Mitte Oktober 1941, also
noch vor der Wannsee-Konferenz.
Die aus Deutschland deportierten
Juden wurden unter widrigen Bedingungen in Arbeitslagern und Ghettos
untergebracht. Viele starben dort,
andere wurden in Vernichtungslager
weitertransportiert und ermordet, nur
wenige überlebten. Zur sogenannten
„Endlösung der Judenfrage“, dem
Holocaust, trugen scheinbar politikferne, pflichtbewusste Fachleute
bei. Bei der Deportation von Juden
wirkten neben den Gestapobeamten
auch Zollbeamte, Verwaltungsbeamte, Polizisten, Wachpersonal und viele andere mit, die für den reibungslosen Ablauf unbedingt notwendig
waren. Die Deportation fand vor den
Augen der deutschen Bevölkerung
statt. Als „Auffanglager“, in dem
sich die zur „Evakuierung“ bestimmten Juden am Vortag der Deportation
einzufinden hatten, dienten Schulen,
angemietete Säle oder auch jüdische Gemeindehäuser. Gerichtsvollzieher und Finanzbeamte wurden
herangezogen, um die Enteignung
ihres Vermögens vorzunehmen. Am
nächsten Tag wurden die Juden gedemütigt und ihres Lebensrechts
beraubt, meist in größeren Gruppen
durch die Straßen vom „Auffanglager“ zum Bahnhof geführt, wo sie in
die Deportationszüge gepfercht ihrem Tod entgegensahen.
70 Jahre nach dem Holocaust hat
in vielen Städten der Jahrestag der
ersten Deportation der Juden kaum
eine Bedeutung. Deswegen möchten wir dazu ermutigen, in möglichst
vielen Städten Deutschlands diesen
Anlass zu nutzen, um auf dem Weg
der Deportation einen „Marsch des
Lebens“ durchzuführen.
Was wäre, wenn in zahlreichen
Städten in Deutschland Juden und
Christen zusammenkommen würden,
um in Gedenkveranstaltungen Zeitzeugen der Holocaust-Generation zu
ehren? Welche Auswirkungen könnte
es haben, wenn Christen aus unterschiedlichen Kirchen und Denominationen gemeinsam auf den Wegen
der Deportation gehen würden, um
die ehemaligen Todesrouten mit ihrem Gebet und dem Bekenntnis zu
den jüdischen Wurzeln ihre Glaubens
und zu Israel in Wege des Lebens zu
verwandeln?
Eine von der Bundesregierung in
Auftrag gegebene Studie ergab, dass
heute 20 % der Bundesbürger in irgendeiner Weise antisemitisch eingestellt sind. Das sind genau 20 % zu
viel. Was wird die Antwort von uns
Christen auf die jüngsten antisemitischen Attacken gegen Rabbiner
sein? Wir dürfen es nicht zulassen,
dass in den jüdischen Gemeinschaften verstärkt das Gefühl entsteht, in
Deutschland unsicher zu sein und
bedroht zu werden. Aus der Vergangenheit zu lernen heißt, nie wieder
zu Antisemitismus, Hass auf Israel
und Relativierung des Holocaust zu
schweigen. Dafür steht der „Marsch
des Lebens“.
Wir möchten das Zeitfenster der
nächsten drei Jahre von 2012 bis
2015 nutzen, um in möglichst vielen
Teilnehmer beim „Marsch des Lebens“ in Ostdeutschland 2008 Foto: TOS-Dienste
Städten auf den Routen der Deportation „Märsche des Lebens“ und Gedenkveranstaltungen durchzuführen.
Als Modell kann der „Marsch des
Lebens“ in Leipzig dienen, der am
70. Jahrestag der Deportation der Juden nach Riga stattgefunden hat. Das
städtische Kulturamt, die jüdische
Gemeinde und der Leipziger Pastorenkreis waren an der Durchführung
beteiligt. Der „Marsch des Lebens“
Marsz
wurde von vielen offiziellen VertreZycia
tern aus Politik und Wissenschaft
2012
sehr positiv aufgenommen und von
vielen als ein herausragendes Ereignis in der Stadt empfunden. Eine
Dokumentation über den „Marsch
des Lebens“ in Leipzig mit bewegenden Videolinks können Sie auf www.
marschdeslebens.org nachlesen.
Polska - Polen - Poland
Marsch des Lebens - March of Life
Weitere Informationen unter
www.marschdeslebens.org
For further information see
www.marchoflife.org
Best.-Nr. 413027 © 2012 TOS Medien
Eisenbahnstr. 124 • 72072 Tübingen
tel +49 7071/36093 • fax +49 7071/31179
info@tos-medien.de • www.tos-medien.de
4280000057228
Der Ablauf könnte folgendermaßen gestaltet werden:
Freitagabend:
• Vorbereitender Gebetsabend aller
Kirchen und Gemeinden der Stadt
Samstagabend:
• Offizielle Gedenkveranstaltung
mit den jüdischen Gemeinschaften, öffentlichen Vertretern und
Holcaust-Überlebenden sowie
anderen Zeitzeugen
Sonntagmorgen:
• Themenbezogende Gottesdienste
in der Stadt
Sonntagnachmittag:
• Der „Marsch des Lebens“ auf der
Deportationsroute oder auf einem
anderen für die Stadt signifikanten Ort
• Eine Open Air-Kundgebung: Zu
Beginn und/oder zum Ende des
Marsches bietet sie Gelegenheit
zum Gebet und einer öffentlichen
stellvertretenden Buße seitens
Kirchen und Gemeinden sowie
dazu, Zeitzeugen bzw. Historiker
zu hören und offiziellen Vertretern
eine Stimme zu geben
Medien zum „Marsch des Lebens“:
• Video mit den wichtigsten Botschaften der Multiplikatorenkonferenz: https://vimeo.com/46478738
• Buch: „Die Decke des Schweigens“ von Jobst Bittner, 16,95 €
Marsz
Der Marsch des Lebens – The March of Life
von Jobst Bittner
Zycia2012
Polska - Polen - Poland
Marsch des Lebens - March of Life
• DVD: Die Decke des Schweigens zerbrechen,
Seelsorgeseminar mit Jobst Bittner, 25,00 €
• DVD: Marsz Zycia, Eine Reportage über den
Marsch des Lebens in Polen 2012, 5,00 €
Eine Reportage über den
Marsch des Lebens
A report from the
March of Life
INFOProgramm
gemäß
§ 14
JuSchG
Bestelladresse: TOS MedienShop,
Eisenbahnstr. 124, 72072 Tübingen,
oder Bestellhotline Tel. 07071-360933,
oder unter www.tos-medien.de
Was sind die Ziele für den „Marsch des Lebens“ in meiner Stadt?
1. Die Geschichte aufarbeiten und
aus ihr lernen
2. Holocaust-Überlebende und mit
ihnen jüdische Gemeinschaften
ehren
3. Mit einer persönlichen stellvertretenden Buße die „Decke des
Schweigens“ zerbrechen
4. Das gemeinsame Bekenntnis
gegen Antisemitismus und in
Freundschaft an der Seite Israels
zu stehen
Was sind die Schritte zu einem „Marsch des
Lebens“ in meiner Stadt?
1.Informieren Sie sich auf unserer
Webseite über Rahmenbedingungen für den „Marsch des Lebens“
(www.marschdeslebens.org)
2.Stellen Sie sich selbst, bzw. Ihre
Kirche und Gemeinde, als Multiplikationsträger für den „Marsch
des Lebens“ in Ihrer Stadt zur Verfügung
3.Der „Marsch des Lebens“ sollte
ein gemeinsames Zeugnis sein.
Suchen Sie das Interesse anderer
Kirchen und Gemeinden
4.Registrieren Sie sich auf www.
marschdeslebens.org oder im TOS
Büro unter 0 70 71-36 09 20, um
weiteres Trainingsmaterial und persönliche Beratung für den Marsch
in Ihrer Stadt zu erhalten
5. Führen Sie gegebenenfalls in Ihrer
Stadt ein vorbereitendes „Decke
des Schweigens“-Seminar durch
Wir können Ihnen mit unserer Erfahrung und unserem Rat bei der Organi­
sation zur Seite stehen. Die „Marsch
des Lebens“-Veranstaltung soll jedoch
in organisatorischer Eigenverantwortung durchgeführt werden. Dabei
kommt es nicht unbedingt auf die Teilnehmerzahl an. Christen können mit
ihrem Gebet und ihrem gemeinsamen
Bekenntnis das Licht in ihrer Stadt
durchbrechen lassen und zu einem einzigartigen Zeugnis werden! Wir möchten Sie ermutigen, in Ihrer Stadt einen
„Marsch des Lebens“ durchzuführen,
und laden Sie herzlich ein, sich mit uns
in Verbindung zu setzen.
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lsraelaktuell · Dossier
Ausblick: 2012–2015
Gemeinsam gedenken –
versöhnt handeln!
Zusammenfassung und Ausblick 2012–2015
von Harald Eckert
Hinter dem Kernanliegen dieser
3-Jahres-Initiative steckt in seinem
tiefsten Kern die Frage: „Wie kann
auf dem Boden einer abgrundtief
schuldhaften und tragischen Geschichte etwas Versöhnliches, etwas
Heilsames, etwas Gutes erwachsen?“ Im Sinne des Urbekenntnisses
des modernen Europa: „Nie wieder!“
Oder im Sinne der neutestamentlichen Hoffnung: „Wo Sünde mächtig
geworden ist, möchte sich die Gnade Gottes umso mächtiger erweisen“ (Röm. 5, 20). Oder auch im Sinn
alttestamentlicher Zeugen.
Der Prophet Daniel als Inspiration
Das Zeugnis des jüdischen Propheten Daniel, an der Wende von der Zeit
des Exils hin zur Zeit der Rückkehr in
die Heimat, 70 Jahre nach dem Beginn
der Wegführung, bietet hierfür eine
gewaltige Inspiration und ein außerordentliches Vorbild: Das offene Bekenntnis der Schuld der Väter, die zum
Exil geführt hat, führte auf die richtige
Spur. Die demütige Identifikation Daniels mit der Schuld der Väter („Wir
haben gesündigt …“, Dan. 9, 5) ohne
Überheblichkeit und billige Anklage
war der nächste Schritt hin zu einer
weitreichenden Wende, deren Agent
schließlich Nehemia werden durfte:
Die Kinder Israels wurden aus dem
Exil entlassen. Ein gewaltiges Ereignis
für das Volk Israel! Über den Weg der
jüdisch-christlichen Tradition unserer
Gesellschaft prägte sich die Einzigartigkeit des 70-Jahres-Datums in unsere
westliche Gesellschaft ein.
Christen, Juden und säkulare Menschen guten Willens sind eingeladen,
auf der Grundlage dieses markanten
Gedenkdatums gemeinsam aktiv zu
werden: Gemeinsam können sie – in
Deutschland wie überall im von NaziDeutschland besetzten Europa – in
den wenigen Jahren bis zum Mai 2015
schuldhafte Geschichte ans Licht bringen, um heilsamen und versöhnlichen
Prozessen Raum zu machen. Deren
Wirkungen können ganz persönlicher
und familiärer Natur sein, aber auch
kollektiv wirksam werden bis hinein
in die Dimension der Völkerverständigung als einer generationenübergreifenden Grunderfahrung. Deutschland
und Europa bietet sich hier – um 70
Jahre zeitversetzt zwischen WannseeKonferenz und Ende des Zweiten Weltkrieges – eine Chance, die in dieser
Form einzigartig ist!
Das letzte Kapitel der Geschichte des
Holocaust
Dies gilt insbesondere auf dem Hintergrund der Tatsache, dass heute noch
Zeitzeugen, insbesondere Opfer des
Holocaust, leben, die sehr gerne bereit
sind, sich in dieses Geschehen mit einzubringen. Die vielleicht darin sogar einen Höhepunkt ihres Lebens entdecken,
Teil dieses Prozesses sein zu dürfen.
Man darf vielleicht sogar so weit gehen
und sagen: „Das letzte Kapitel der Geschichte des Holocaust ist noch nicht
geschrieben, solange noch HolocaustÜberlebende unter uns leben. Es liegt
– mit Gottes Hilfe – primär in unserer
Hand als Deutsche, wie dieses letzte
Kapitel gefüllt sein wird: Ob primär
von einem Lebensgefühl der Einsamkeit, Armut und Depression oder von
einem Lebensgefühl der Versöhnung,
Wertschätzung und Hoffnung.“
Weitere Projekte in Vorbereitung
Ergänzend zu diesem Netz von
Gedenkveranstaltungen „70 Jahre danach“ sind weitere Möglichkeiten, sich
zu engagieren, im Werden. Zum Beispiel sind wir sehr von einer Initiative
aus Israel inspiriert. Dort unternimmt
man erhebliche Anstrengungen, um
den heute noch lebenden HolocaustÜberlebenden die Möglichkeit zu geben, ihre Leidensgeschichten für die
Nachwelt festzuhalten. Innerhalb von
Was können wir tun?
Es gibt viele Möglichkeiten, sich in
diese Bewegung des Gedenkens, der Verständigung und vielleicht sogar der Versöhnung mit einzubringen. Nachfolgend
einige Anregungen:
tiv werden und wo es passt, auf mögliche
andere Partner (jüdische Gemeinde, politische Ebene etc.) zugehen. Der erste Schritt
ist dann allerdings meistens, dass man eine
kleine Gruppe Gleichgesinnter anspricht
und ein Team bildet, das sich gemeinsam
auf den Weg macht.
1) Recherchieren
3) Kreativ werden
In Deutschland ist in den letzten Jahren
viel historisch gearbeitet worden. Im großen Stil von Historikern und Akademikern
unterschiedlicher Gattung; aber darüber
hinaus auch durch Geschichtslehrer und
Schulklassen, durch Studenten, Repräsentanten verschiedener Berufsgruppen,
jüdische oder christliche Gemeinden und
ungezählte Einzelne, die bereit waren,
sich zu engagieren. In aller Regel lässt sich
inzwischen ohne viel Aufwand ermitteln,
wo es Deportationen, Konzentrationslager, Außenlager, Zwangsarbeiter-Einsatz,
Todesmärsche etc. gegeben hat.
Will man (z. B.) zum 70. Jahrestag eines
Ereignisses aktiv werden, so gibt es ein
breites Spektrum von Möglichkeiten, dies
in die Tat umzusetzen. Angefangen von
einer klassischen Gedenkveranstaltung
mit historischen Informationen, evtl. Zeitzeugen, evtl. einem kulturellen Rahmen
etc., bis hin zu Open-Air Veranstaltungen
am Ort des Geschehens, bis hin zu Veröffentlichungen aus gegebenem Anlass, bis
zu Projektarbeiten (zum Beispiel mit Schulen) und manches mehr. Der Kreativität
sind kaum Grenzen gesetzt.
2) Unterstützen und/oder initiieren
Eine besondere Form der Gestaltung eines Gedenkereignisses ist der „Marsch des
Lebens“, wie er in dieser Veröffentlichung
ausführlich vorgestellt wird. Diese Vorgehensweise bietet sich vor allem an, wenn
man verschiedene Orte des Gedenkens
miteinander verknüpfen möchte bzw. bei
Ereignissen, die nicht an einen bestimmten
Ort gebunden sind, wie z. B. die Todesmärsche gegen Ende des Krieges. Natürlich
Wenn Sie ein bestimmtes Ereignis oder
eine bestimmte Situation auf dem Herzen
haben, zu dessen Gedenken Sie aktiv werden wollen, mag es sein, dass von offizieller Seite schon Gedenkveranstaltungen
geplant sind. Dann stellt sich die Frage,
wie man diese von christlicher Seite unterstützen oder ergänzen kann. Anderenfalls
heißt es, selbst die Initiative ergreifen, ak-
4) „Marsch des Lebens“ ausrichten
drei Jahren – bis Frühjahr 2015 – sollen
noch viele Zehntausende von Überlebenden in Israel die Möglichkeit dazu
erhalten. Wäre es nicht großartig, wir
könnten uns in Deutschland diesem
Vorhaben anschließen? Vorbereitungen
dazu sind im Gange.
Die internationale Dimension des Geschehens
Die Vision für das 70-Jahres-Gedenken zwischen dem 70. Jahrestag der
Wannsee-Konferenz im Januar 1942
und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
(= Ende des Holocaust) in Europa im
Mai 2015 hat einerseits eine spezifisch
deutsche Dimension, andererseits aber
auch eine internationale Dimension.
Diese Publikation konzentriert sich
auf die deutsche Seite des Geschehens.
Die internationale sei abschließend nur
kurz angedeutet:
● Die erste öffentliche Erwähnung
dieser Vision geschah am 22. November 2011 während einer Ehrung in der
Knesset, dem israelischen Parlament.
Die zweite am Gedenktag anlässlich
des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz in Berlin, am 20. Januar 2012,
bei der eine hochrangige Delegation
aus Israel zugegen war. Dies gibt zu erkennen, dass die Mitte dieser Dynamik
auf der Achse Deutschland-Israel liegt,
mit den Holocaust-Überlebenden aus
Israel im Zentrum des Geschehens.
Abschluss kam, erregte viel positive
Aufmerksamkeit in Polen und in Israel. Der 70. Jahrestag des Warschauer
Ghettoaufstandes im April/Mai 2013
möchte diese Dynamik fortsetzen. Die
deutsch-polnische Aussöhnung ergänzt
die deutsch-jüdisch/israelische Aussöhnung. Ein Dreieck des Gedenkens und
der Versöhnung entwickelt sich (weiter).
● Im Juni 2012 haben 40 Repräsentanten aus 12 europäischen Ländern die
Vision des gemeinsamen Gedenkens
und Handelns bis 2015 gehört. Unter
anderem aus Ungarn, Rumänien, Ukraine, Bulgarien und Russland – aber auch
aus Italien, Österreich, Holland und
anderen mitteleuropäischen Ländern.
Viele von ihnen kamen aus ehemals
von Nazi-Deutschland besetzten Regionen. Prozesse wurden angestoßen,
wie Christen aus diesen Ländern diese
Vision ergreifen und umsetzen können.
Was dürfen wir bis 2015 erwarten?
Mit Blick auf das Frühjahr 2015 erwarten wir folgende Entwicklungen:
In Deutschland: Die Gedenkbewegung im allgemeinen und die „Marsch
des Lebens“-Bewegung im besonderen
möge in Dutzenden von Städten und
Regionen in Deutschland ihren jeweils
besonderen, individuellen Ausdruck
finden. Insbesondere möchten wir dazu
anregen, dass gegen Ende dieser Zeit
ein besonderes Augenmerk auf die
Todesmärsche des Winters/Frühjahrs
1944/45 gelegt wird. Möglichst unter
Einbeziehung noch lebender Opfer der
damaligen Gräueltaten.
● Im Verlauf des Jahres 2012 weitete
sich diese Dynamik auf Deutschlands
Nachbarland Polen aus, dem Ort, an
dem in der Verantwortung von NaziDeutschland die meisten jüdischen Opfer des Holocaust zu beklagen waren.
Ein „Marsch des Lebens“ im August
2012, der in Auschwitz seinen Ausgang
nahm, Todeslager wie Sobibor, Treblinka und Majdanek mit einschloss, und in
Warschau in Anwesenheit der Bürgermeisterin, von Parlamentsabgeordneten
aus Polen sowie höchsten jüdischen
und israelischen Repräsentanten zum
In Polen: Die Ghettos und Orte der Deportation, die KZs und Todeslager hatten ihre (ge-)denkwürdigen Momente in
den Jahren des Krieges bis 1945. Immer
mehr Christen in Polen setzen sich mit
dieser Chance und Herausforderung auseinander – angeregt durch den „Marsch
des Lebens“. Besonders bewegend ist
die Möglichkeit, dass Deutsche und Polen gemeinsam die Orte der Blutschuld
lässt sich so ein Marsch auch mit lokalen
Veranstaltungen (zum Auftakt, zum Abschluss oder zwischendrin) gut kombinieren. Hierzu bietet die TOS in Tübingen einiges an hilfreichem Material und beratender
Unterstützung an.
kommt einer begleitenden Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Bedeutung zu. Suchen Sie den Kontakt zu
Journalisten, die dem Anliegen offen gegenüberstehen, und lassen Sie sich in den
damit verbundenen Fragen beraten.
5) Gegenwartsbezug herstellen
7) Höhepunkte dokumentieren
Wir empfehlen sehr, im Rahmen von
Gedenkveranstaltungen auch möglichst
eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Im Rahmen des Gedenkens an den
Holocaust liegt es nahe, Wege zu suchen,
wie man mit noch lebenden Opfern von
damals eine Verbindung aufbaut. Und
wo dies nicht möglich ist, gibt es allgemeinere Möglichkeiten, Opfern des Holocaust Zeichen der Zuwendung zukommen zu lassen. Verschiedene Gruppen
engagieren sich dafür – unter anderem
auch wir als Christen an der Seite Israels.
Bitte erkundigen Sie sich nach unseren
diesbezüglichen Programmen. Aber
auch andere Signale gegen Antisemitismus, Antiisraelismus, Rechtsradikalismus
oder sonstige Ausdrucksformen von Juden- oder Israelfeindlichkeit können integriert werden.
6) Medien und Öffentlichkeit informieren
In der Regel möchte man den Anlass
und das Anliegen des Gedenkens in die
Öffentlichkeit tragen und die Zeitgenossen dafür sensibilisieren. Von daher
Bei Veranstaltungen, die einen gewissen Neuigkeitswert haben, mag es
sinnvoll sein, bestimmte Inhalte zu dokumentieren und dadurch einer breiteren
Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Dadurch kann der Effekt einer solchen
Veranstaltung nochmals erheblich verstärkt werden. Ob in Bild, Ton, Video oder
in gedruckter Form – Hauptsache ist, dass
wichtige Informationen die Chance haben, ihren Weg in das breitere Umfeld zu
finden, um auch dort wirksam zu werden.
Und wer auch immer noch in Zukunft sich
noch in diesen Fragen engagieren mag,
wird dankbar sein, wenn er auf derartige
Informationen aufbauen kann.
8) Generationenübergreifend arbeiten
Eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und der
nächsten Jahre besteht darin, das Anliegen des Gedenkens und der Ausgestaltung der besonderen Beziehungen zum
jüdischen Volk in die nächste Generation
hinein zu vermitteln. Aus diesem Grund
ermutigen wir dazu, ganz bewusst Wege
besuchen und – in einem Prozess der
Versöhnung untereinander – der Not
und der Schuld gedenken und zum Segen für das jüdische Volk heute handeln.
Mögen von Deutschland aus diese
Im­pulse weiter in andere Länder in der
Mitte Europas ausstrahlen und von Polen
aus gen Osten, so dass nach und nach das
gesamte ehemalige von Nazis besetzte
Europa sich für diese Bewegung öffnet.
Für das Frühjahr 2015 erwarten wir,
dass dieses Netzwerk seinen hoffentlich bis dahin weiter gewachsenen
Einfluss in den Monaten zwischen
dem 27. Januar 2015 (70. Jahrestag der
Befreiung des KZ Auschwitz; internationaler Holocaust-Gedenktag) und
dem 8./9. Mai 2015 (70. Jahrestag des
Endes des Zweiten Weltkriegs) entfaltet. Dabei erhoffen wir uns – und arbeiten darauf hin –, dass zusätzlich zu
dem Dreieck Israel-Polen-Deutschland
Christen aus den Ländern der Alliierten
mit den Hauptstädten Moskau, Paris,
London und Washington ihren besonderen Beitrag in dieser Bewegung des
Gedenkens und der Versöhnung leisten
werden. Sowohl in ganz eigenständiger
Weise. Aber auch integriert oder involviert im offiziellen Geschehen im Zusammenhang mit diesem historischen
Jahrestag. Ich lade dazu ein, unsere
Gebete schon jetzt in diese Richtung
zu lenken. In diesem Prozess liegt eine
große Chance und Hoffnung, dass wir
Christen öffentlich bedeutsamen Einfluss als „Salz und Licht“ entfalten
werden. Zum Segen und zur Ermutigung für das jüdische Volk und für Israel. Und zum Segen für die Völker, aus
denen wir jeweils kommen.
Sehr dankbar wären wir für die finanzielle Unterstützung dieser Vision.
Spendenkonto:
Christen an der Seite I­ sraels e. V.,
Konto-Nr. 140 000 216, Kasseler Sparkasse (BLZ 520 503 53)
zu suchen, wie die jüngere Generation in
die Vorbereitung und Durchführung von
Gedenkveranstaltungen im Rahmen des
70-Jahres-Gedenkens mit einbezogen
werden kann. In der Regel ist das für alle
Beteiligten eine große Bereicherung und
für die Veranstaltungen selbst ein Gewinn.
9) Finanzierung sicherstellen
Für diese Form der Gedenkarbeit gibt
es unter Umständen die Möglichkeit, von
Stiftungen sowie von Töpfen auf Länderund Bundesebene Gelder zu beantragen.
Das ist zum Teil mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand verbunden –
kann sich aber durchaus lohnen. Auf jeden
Fall ist es wert, sich bei Bedarf über diese
Möglichkeiten zu informieren. Darüber hinaus mag es auch private Sponsoren oder
Firmen geben, die bereit sind, ein derartiges Ereignis finanziell zu unterstützen.
10) Beten
Unsere Erfahrung ist, dass auf dem
Anliegen des Gedenkens und der Verarbeitung schuldhafter Verstrickungen ein
besonderer Segen liegt. Wir als Christen
dürfen hierbei für unser gesellschaftliches
Umfeld oft so etwas wie eine „priesterliche“ Rolle wahrnehmen. Wir ermutigen
dazu, den ganzen damit verbundenen
Prozess im Gebet zu begleiten und darauf
zu vertrauen, dass der Gott Israels und der
Nationen gerne seine Hand darüber hält.