Schattenblick Druckausgabe
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Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag BÜRGER / REPORT Planspiel Stadtbereinigung Okkupation auf leisen Sohlen Gespräch mit Flo vom AKU Interview mit Flo vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg Elektronische Zeitung Schattenblick Donnerstag, 20. Juni 2013 Getretene Würde - Teil des Problems Verantwortung wegen des Libyenkrieges verweigert Kundgebung vor dem französischen Generalkonsulat Proteste libyscher Kriegsflüchtlinge in Hamburg 19. Juni 2013 Im Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) werden "kritische Töne zu Stadtentwicklungsprozessen in Hamburg-Wilhelmsburg" [1] laut. Dies betrifft insbesondere die Internationale Bauaustellung (IBA), mit deren Auftakt 2007 das Hamburger Stadtentwicklungs- und Gentrifizierungsprojekt "Sprung über die Elbe" angeschoben werden sollte ... (Seite 4) POLITIK / REPORT Quo vadis NATO? Wandel der Feindschaften? Wölfe fressen Kreide zum Versöh nungskurs USamerikanischer Stichwortgeber Demonstrationsmarsch obdachloser Überlebender des LibyenKrieges am 18. Juni 2013 in Hamburg Foto: © 2013 by http://lampedusainhamburg.tk/ Themenblock "Neue Geostrategische Konzepte der USA und der NATO" auf dem Kongreß "Quo vadis NATO?" am 27. April 2013 in Bremen ... (Seite 10) Nach wie vor verweigert der Hamburger Senat den rund 300 Kriegsüberlebenden aus Libyen, die seit Mitte April auf Straßen, in UnterfühNATUR / CHEMIE rungen oder unter Brücken zu nächtigen sich gezwungen sehen, da es für Unbarmherzig, unbedacht die meisten von ihnen kein Obdach Werbe- und PR-Chemie gibt, ein humanitäres EntgegenkomDie brennendsten Fragen zur men. Ungeachtet zahlreicher Proteste Fracking Chemie bleiben offen und konkreter Solidarität nicht zuBad Busiasch, Westrumänien. Im letzt auch aus Kirchenkreisen hält der Vergleich zu deutschen Kurbädern Senat, der sich in diesem Punkt mit findet der Besucher eine eher be- dem Bundesinnenministerium einig scheidene ... (Seite 18) weiß, an dem Bestreben fest, die un- willkommenen Zeugen eines Krieges, den inzwischen namhafte Völkerrechtler für völkerrechtswidrig halten, so schnell wie möglich abzuschieben. Der angebotene Aufenthalt in einer leerstehenden Schule war seitens des Senats an die Bedingung geknüpft worden, daß sich alle Flüchtlinge registrieren lassen müßten - was von der Nordkirche umgehend als Versuch, die eigentlich anvisierten baldmöglichsten Abschiebungen zu ermöglichen, erkannt und zurückgewiesen worden war. Die Kriegsüberlebenden verstehen sich keineswegs als Opfer einer rigiden Flüchtlings- und Abschiebepolitik, mit der sie keineswegs nur in Hamburg, sondern in der gesamten Elektronische Zeitung Schattenblick EU konfrontiert sind. Sie treten aktiv ist ein brennendes Land voller Waf für ihre Interessen ein und scheuen fen geworden. Wir sind jetzt in Euro keineswegs davor zurück, die ohne- pa und wir werden hier bleiben. In hin offen zu Tage tretenden Zusam- Italien lebten wir zwei Jahre unter menhänge zwischen der jetzigen ab- schweren Bedingungen unter Ver wehrenden Haltung der EU-Staaten waltung des italienischen Staates. und ihrer Beteiligung an einem Nach der Anerkennung unseres hu Krieg, der dieses Flüchtlingselend manitären Flüchtlingsstatus wurden erst verursacht hat, auch zu benen- wir nachdrücklich aufgefordert, nen. So wurde in einem auf der Web- nach Nordeuropa zu gehen. Keiner seite der Gruppe "Lampedusa in der Staaten der Europäischen Union Hamburg", wie sich die in der Han- will die Verantwortung übernehmen sestadt gestrandeten libyschen und Schritte zur Unterstützung der Kriegsüberlebenden inzwischen nen- Kriegsflüchtlinge aus Libyen ma nen, veröffentlichten Aufruf zu einer chen die Zivilisten, die angeblich Kundgebung vor dem französischen geschützt werden sollten. Generalkonsulat, die am Dienstag stattfand, an die voranpreschende Einem Bericht von "Lampedusa in Rolle Frankreichs beim Weg der NA- Hamburg" [2] zufolge setzten sich am TO in den Libyen-Krieg erinnert [1]: Dienstag nach einer Kundgebung an der Hamburger Moorweide rund 120 Mit der "Opération Harmattan" be Menschen in Richtung des französigann am 19. März 2011 Frankreich schen Generalkonsulats in Bewegung. im militärischen Verband mit Groß Sie taten ihr Möglichstes, um den britannien, den USA und Kanada die Hamburger Bürgerinnen und Bürgern Bombardierung Libyens. Drei Tage zu vermitteln, wieso es sie hierher später folgten die Luftangriffe unter wie auch in andere Staaten der EU dem Kommando der NATO. verschlagen hat und warum sie die Auffassung vertreten, daß die Staaten, Die massiven Luftangriffe wurden als die damals Krieg gegen Libyen geführt "Schutz der Zivilbevölkerung" der Öf haben, auch für dessen humanitäre fentlichkeit verkauft, tatsächlich war es Folgen die Verantwortung übernehmen eine Einmischung in die inneren Ange müßten. So hieß es in dem Bericht [2]: legenheiten eines souveränen Staates mit dem Ziel eines "Regime Change". Wir selbst waren Teil der Zivilbevölke rung in Libyen. Wir gehörten keiner politischen Partei oder Fraktion an, weder auf Seiten des Regimes noch auf Seiten der Opposition. Wir haben ge arbeitet und unsere Familien versorgt. Wir wurden Opfer der Bombenangrif fe ebenso wie der Angriffe durch die verschiedenen Kriegsparteien ange heizt durch die Intervention. (...) In Ergänzung zu dem Banner, welcher die Aufschrift trug "Wir haben nicht den NATOKrieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben", wurden einige eindrucksvolle Aufnah men von den Flüchtlingen hochgehal ten. Auf diesen Aufnahmen waren Mo mente aus dem Krieg in Libyen zu se hen, um die brutale und gefährliche Situation vor Ort deutlich zu machen. Während der Demonstration wurden zusätzlich verschiedene Parolen an gestimmt; wie zum Beispiel "Kein Mensch ist illegal" oder "We are here, TO STAY" (deutsch: "Wir sind hier, um zu bleiben"). Am Rande der Demon stration wurden Solidaritätserklärun gen des Hamburger Flüchtlingsrates an Passanten_innen verteilt. Direkt vor dem Konsulat wurde eine Kundgebung abgehalten mit mehreren Reden und Wortbeiträgen Betroffener, in denen die Rolle Frankreichs im Libyen-Krieg, aber auch in Staaten wie Mali und der Elfenbeinküste thematisiert wurde. Dem Vernehmen nach waren die Konsulatsmitarbeiter zu keiner Stellungnahme bereit, sie verwiesen auf ein späteres, vereinbartes Gespräch, in dem verschiedene Aspekte und Fragen geklärt werden würden. Ob diese Unterredung inzwischen stattgefunden und zu welchen Ergebnissen sie geführt hat, ist zur Stunde noch unklar. Kundgebung vor dem Generalkon sulat des Staates, der 2011 als erstes Libyen bombardierte Foto: © 2013 by http://lampedusainhamburg.tk/ Die Länder, die im Namen von Demo kratie und Menschenrechte Krieg füh ren, verweigern uns heute jeden Schutz. Sie gehen sogar noch weiter und be drohen uns mit der Abschiebung in Länder, die wir vor langer Zeit verlas sen hatten, um in unserer neuen Heimat Libyen unsere Leben zu sichern. Wir haben alles verloren und Libyen Seite 2 www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick In der Hamburger Presse spiegelt sich die speziell gegenüber diesen Kriegsflüchtlingen ambivalente Haltung wider. Einerseits stellen sich namhafte Konzernmedien wie das Hamburger Abendblatt hinter die Position des SPD-Senats, an den beabsichtigten Abschiebungen festzuhalten und die Forderungen, den Obdachlosen ein Bleiberecht zu gewähren, zu ignorieren. Andererseits möchten auch als konservativ geltende Medien sich wohl nicht nachsagen lassen, elementarste humanitäre Forderungen, wie sie vehement auch aus Kirchenkreisen erhoben werden, abzulehnen. Die Proteste der Kriegsflüchtlinge und die Kundgebung der rund 80 Teilnehmenden vor dem französischen Konsulat in der Heimhuder Straße fanden Erwähnung im Hamburger Abendblatt [3]: So sehen das keineswegs alle Menschen in Hamburg. In einem Fernsehbeitrag des Norddeutschen Rundfunks wurde gestern darüber berichtet, daß die Kriegsflüchtlinge, die seit drei Wochen in der St.-Pauli-Kirche übernachten, verstärkt Drohanrufen und rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt seien. [4] Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Menschen in der Nachbarschaft und zahlreiche Organisationen, die praktische Solidarität üben und ein Bleiberecht für die obdachlosen Kriegsüberlebenden fordern. Sieghard Wilm, Pastor der St.-Pauli-Kirchengemeinde, in deren Kirchenschiff seit Wochen bis zu 80 Menschen übernachten, schilderte gegenüber Deutschlandradio Kultur am Dienstag, wie die praktische Solidarität aussieht [5]: Die Demonstranten forderten Unter stützung und den Verzicht auf Ab schiebung. Rund 80 Menschen betei ligten sich an dem Protest. "Wir ha ben alles verloren und Libyen ist ein brennendes Land voller Waffen ge worden", heißt es auf einem Flug blatt der Flüchtlinge. Und weiter: "Wir sind jetzt in Europa, und wir werden hier bleiben." Dass das fran zösische Generalkonsulat Ziel der Demonstranten war, ist kein Zufall. Frankreich hatte im März 2011 ge meinsam mit Großbritannien, den USA und Kanada mit der Bombar dierung der Truppen des Gaddafi Regimes in Libyen begonnen. Drei Tage später folgten Luftangriffe un ter dem Kommando der Nato. (...) Gleich neben dem Altar steht das Frühstücksbuffet: zusammengescho bene Tische, eine Kiste mit Brötchen, gefüllte Kaffekannen, Marmeladen, Plastikgeschirr, Plastikbecher, Back bleche. "Das sind alles Spenden. Dieser Kuchen, der hier heute aus gegeben wird, der ist von einer Nachbarin. Das ist alles zu Hause gebacken, da kommen Leute mit so einem ganzen Backblech vorbei. Das ist natürlich total rührend. Das Brot ist von einer Bäckerei gespendet. Das sind alles so Sachen, die vorbei gebracht werden. Das heißt aber: wir wissen nicht sicher, was wir am nächsten Tag haben werden. Das ist ein bisschen immer auch eine Wackelpartie." Kirche und Diakonie verstehen ihr Engagement für die Libyen Flücht linge als "humanitäre Nothilfe". Am vergangenen Wochenende rief Ham burgs Bischöfin Kirsten Fehrs die 171 evangelischen Kirchengemeinden der Stadt zu weiterer Unterstützung auf und bat um Spenden auf. "Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Ge sundheits und Basisversorgung sowie Unterbringung", steht auf einem Info Flyer der Nordkirche. Und: "Auch Je sus war ein Flüchtlingskind." Do. 20. Juni 2013 Der Geistliche machte jedoch auch deutlich, wie unsicher die Situation der in seiner Kirche nächtigenden Menschen nach wie vor ist. So fragte er [5]: Nur was ist jetzt die Konsequenz? Da möchte ich doch einmal wissen, was die Innenbehörde jetzt tun möchte! Also ganz konkret tun möchte. Da wir hier 80 dieser Gäste hier haben bei uns, haben wir natürlich ein ganz, ganz lebhaftes Interesse zu www.schattenblick.de wissen: Wie geht es weiter? Wird die Polizei hier bald vor der Tür stehen und die Menschen abgreifen?" Aus der Hamburger Innenbehörde sei zu vernehmen gewesen, es bestünde kein Grund zur Eile, die Kirche sei ein geschützter Raum, den die Polizei nicht verletzen werde. Doch was geschieht mit den Menschen, sobald sie allmorgendlich die Kirche verlassen? Und was ist mit all den übrigen Betroffenen, die sich nach wie vor Nacht für Nacht auf Hamburgs Straßen durchschlagen müssen, ohne ein Dach über dem Kopf zu haben und sich irgendwie ernähren zu können? Die humanitäre Situation all dieser Menschen ist nach wie vor eine so große Katastrophe, daß althergebrachte politische Kategorien von "rechts" und "links" ihre Gültigkeit verlieren. So setzt sich mittlerweile auch der Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bezirksversammlung Altona, Uwe Szczesny, für einen sechsmonatigen Abschiebestop ein. In einem Interview mit der taz erläuterte er seine Beweggründe [6]: Wenn wir uns um die Menschen küm mern, wollen wir nicht von vornher ein sagen: Ihr werdet abgeschoben. Es könnte auch eine Duldung oder ein Bleiberecht dabei herauskom men, etwa über die Härtefallkom mission. Deshalb wollen wir die Frage nach der Perspektive offen lassen, wenn wir in einen Altonaer Dialog eintreten. Auf die Bemerkung, er ziehe mit seiner Haltung - für die ihm, wie er freimütig einräumte, auch innerhalb der CDU von manchen ein Vogel gezeigt werde - links an der SPD vorbei, sagte der Altonaer Kommunalpolitiker [6]: Bei dieser Frage geht es nicht dar um, eine Partei politisch zu überho len, auf welcher Seite auch immer. Es geht ausschließlich darum, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Für uns ist das eher konservativ: Sich für Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick Menschen, die in Not sind, einzuset zen, ist weder links noch rechts, son dern urchristlich. Allem Anschein nach ist ein solches "urchristliches" Verständnis in Hamburg wie anderswo eher Ausnahme denn Regelfall. Wäre dem nicht so, müßten Kriegsüberlebende nicht mit Transparenten durch die Straßen einer Weltstadt ziehen, auf denen geschrieben steht: "Wir haben nicht den NATO-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben." BÜRGER / REPORT / INTERVIEW Planspiel Stadtbereinigung Okkupation auf leisen Sohlen Gespräch mit Flo vom AKU Interview mit Flo vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg am 29. Mai 2013 Fußnoten: [1] Demonstration zum französischen Generalkonsulat, veröffentlicht am 17.06.2013 http://www.lampedusa-inhamburg.org/ [2] Demonstration zum französischen Generalkonsulat - Bericht, veröffentlicht am 19.06.2013 http://www.lampedusa-inhamburg.org/ [3] http://www.abendblatt.de/ hamburg/article117235355/ Fluechtlings-Demo-vorfranzoesischemGeneralkonsulat.html [4] Hamburg Journal - 18.06.2013, 19:30 Uhr [5] http://www.dradio.de/ dkultur/sendungen/reportage/ 2147031/ [6] http://www.taz.de/InterviewFluechtlinge/!118308/ http://www.schattenblick.de/ infopool/buerger/ticker/ btif0031.html Seite 4 Im Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) werden "kritische Töne zu Stadtentwicklungsprozessen in Hamburg-Wilhelmsburg" [1] laut. Dies betrifft insbesondere die Internationale Bauaustellung (IBA), mit deren Auftakt 2007 das Hamburger Stadtentwicklungs- und Gentrifizierungsprojekt "Sprung über die Elbe" angeschoben werden sollte und die mit dem Präsentationsjahr 2013 ihren Höhepunkt und Abschluß findet, sowie die Internationale Gartenschau (igs), ein exemplarisches Beispiel für die Zurichtung natürlichen Wildwuchses auf die Kontroll- und Verwertungsinteressen sozialräumlicher Organisation. Flo gehört dem AKU an und beantwortete dem Schattenblick einige Fragen zum Stand der Entwicklung in Wilhelmsburg nach der Eröffnung beider Events wie den Aktivitäten des Arbeitskreises. www.schattenblick.de Flo vom Arbeitskreis Umstrukturie rung Wilhelmsburg (AKU) Foto: © 2013 by Schattenblick SB: Flo, könntest du etwas zum Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg sagen? Seit wann gibt es euch, und wie habt ihr euch zusammengetan? Flo: Den Arbeitskreis Umstrukturierung gibt es in dieser Form seit fünf Jahren. Es hat damit angefangen, daß eine Gruppe Leute sich überlegt hat, was eigentlich in diesem Stadtteil geschieht und wie dies zu verstehen ist. Unser Anspruch bestand darin, dies zuerst einmal selbst herauszufinden und einzuschätzen, um die Entwicklung schnell zu kommentieren und zu kritisieren. Denn uns war eigentlich sofort klar, daß wir mit unserer Kritik alleine dastehen und auch von anderer Seite her wenig zu Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick erwarten war. Daher war es wichtig, die Verhältnisse erst einmal zu analysieren. Zudem haben wir versucht, dieser Entwicklung in Zusammenarbeit mit Betroffenen - es handelt sich vorwiegend um MieterInnen - etwas entgegenzusetzen. Erste Kontakte wurden geknüpft, als die erste Sanierungseinheit im Weltquartier losging und es zu Auseinandersetzungen um mietrechtlich aus zweifelhaften Gründen gekündigte Mietverträge kam. Jetzt in der zweiten Phase haben wir es vor allem mit der Wohnungsbaugesellschaft GAGFAH zu tun. SB: War die Internationale Bauausstellung (IBA) eine Art Initialmoment für euch, weil die Umstrukturierung der Stadt damit richtig losging? F: Genau. Damals haben die Medien auch das Thema IBA stark aufgegriffen, so daß sehr präsent war, daß jetzt hier in Wilhelmsburg etwas anderes geschehen soll. SB: Ist die GAGFAH auch die Trägerin der Wohnungen, die im Reiherstiegviertel saniert werden? F: Nein, die GAGFAH ist vor allem im Bahnhofs- und Korallus-Viertel aktiv. Die Wohnungen im Reiherstiegviertel sind das zentrale IBAProjekt. Das Weltquartier war die erste sichtbare Baumaßnahme der IBA, die nicht zufällig in Form der stadteigenen SAGA durchgeführt wurde. Die ersten Investoren der IBA waren lange Zeit städtische Unternehmen, so daß es Jahre gedauert hat, bis tatsächlich private Akteure aufgetreten sind. Deswegen war die SAGA damals so prominent. Das sogenannte Weltquartier besteht vor allem aus SAGA-Wohnungen. Ein großer Teil der Wohnungen im Reiherstiegviertel wie überhaupt in Wilhelmsburg wie eigentlich in ganz Hamburg gehört der SAGA. Und ein ganz kleiner Teil davon wurde mit großer öffentlicher Beachtung saniert und umgestaltet. Do. 20. Juni 2013 www.schattenblick.de Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick IBAImpressionen Postmoderne Planungszentrale, unwirtliche Peripherie Fotos: © 2013 by Schattenblick SB: Bei unserem Besuch im Weltquartier heute machte das Viertel den Eindruck einer riesigen Baustelle. Die Luft war voller Staub, die Baumaschinen machten sehr viel Lärm. Sollte der Umbau des Weltquartiers zur IBA nicht abgeschlossen sein? F: Die Umbauten sind bisher nur zu einem geringen Teil fertiggestellt worden. Es gibt verschiedene Sanierungsstufen, von denen die erste bereits seit zwei Jahren fertig ist. Da wurde saniert, während die Leute in den Objekten wohnen bleiben konnten, unter reger Anteilnahme der Medien, die eine regelrechte Weltquartier-Show daraus machten. Die Bewohner der betroffenen Häuser hatten ganz andere Probleme, Stichwort: Mietrechtsverletzungen. Bereits während der Sanierung wurde deutlich, daß die SAGA sich nicht an ihre Zusagen hielt. Zudem wurde versucht, die Mietverträge derjenigen, die Umsetzwohnungen bekommen hatten und anschließend in ihre alten Wohnungen zurückziehen wollten, zu kündigen - mit dem Ziel, neue Verträge zu anderen Bedingungen abzuschließen. Ein Unding, weshalb sich viele mitSeite 6 rechtlich beraten ließen. Allerdings haben wir bis aufeinige Fälle nur zu wenigen dieser betroffenen Mieter Kontakt. Es handelt sich vor allem um diejenigen, die nicht zurückziehen können, weil ihre Wohnungen vergrößert wurden und dadurch wesentlich teurer geworden sind. Zum Teil sind es auch Hartz-4-Empfänger, deren alte Wohnungen nun nicht mehr in die für sie gültigen Bemessungsgrenzen fallen. Diese Betroffenen wollen wir ausfindig machen, weil ihre Fälle für ein modellhaftes Projekt besonders interessant sind. Die Medienberichterstattung hierüber ist spärlich, als ob dieses Thema nicht an die große Glocke gehängt werden soll. SB: Ist der Arbeitskreis Umstrukturierung mit der Kampagne IBA? Nigs DA! assoziiert? erreichen können und die Probleme beim Namen genannt. Immerhin schreiben die Medien seitdem, daß die Bauausstellung "umkämpft" und "umstritten" ist, daß es Gegenstimmen und große Demonstrationen gibt. Bei der Gartenschau gelang uns das weniger öffentlichkeitswirksam, aber bei der IBA ganz gut. Auch überregionale Medien berichten von den Problemen der betroffenen Mieter und auch von den Demonstrationen. In Hamburger Medien wurde die Kritik meinem Eindruck nach zu einem großen Teil durchaus freudig aufgegriffen. In der Bevölkerung sind die Reaktionen unterschiedlich, aber ich habe eigentlich immer das Gefühl, daß es viel Zuspruch zu unseren Aktionen gibt. SB: Wie ich in einschlägigen Blogs gelesen habe, erheben manche alteingesessenen Wilhelmsburger den Vorwurf, daß da Leute kommen, die gar nicht im Stadtteil aufgewachsen sind und jetzt ihre politischen Ziele auf ihrem Rücken austragen. Habt ihr auch solche Kritik an eurer Kampagne vernommen? F: Natürlich gibt es Reibungspunkte. Gerade in Wilhelmsburg erscheint es den Alteingessenen wichtig, daß man nur dann als Wilhelmsburger gilt, wenn man dort schon sehr lange wohnt. Diesen Vorwurf gab es. In der IBA? Nigs Da!-Kampagne allerdings arbeiten wir mit Initiativen wie den Engagierten Wilhelmsburgern, mit denen wir eine ganz enge Zusammenarbeit während der Kampagne hatten, und anderen zusammen, die dafür stehen, schon immer in Wilhelmsburg gewohnt zu haben. Das denke ich, hat derartigen Vorwürfen ein wenig den Wind aus den Segeln genommen. F: Wir sind ein Teil von IBA? Nigs DA!. Die Kampagne wurde während eines größeren Treffens, bei dem sich verschiedene Leute aus Wilhelmsburg zusammensetzten und diskuSB: Die Engagierten Wilhelmsburtierten, ins Leben gerufen. ger haben hauptsächlich, wie ich es SB: Wie ist es um die Resonanz in verstanden habe, ein Interesse an der der Bevölkerung auf die IBA? Nigs Verkehrsinfrastruktur. Weißt du, wie diese Initiative zu IBA und igs steht? Da!-Kampagne bestellt? F: Mit unserer Kampagne haben wir, F: Die alteingesessenen Wilhelmsdenke ich, nicht wenige Menschen burger sind sich eher bei der Frage www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick KünstlerInnen von ihrem Engagement für die IBA zu distanzieren. Ich denke, daß dies auch ein Erfolg unserer Kampagnen ist. Doch sind derartige Kulturoffensiven immer noch ein Teil dieser Events und werden es wohl auch bleiben. SB: IBA und igs sind nun vollständig im Gange. Hast Du den Eindruck, daß sich der Anspruch der Macher dieser Shows, die Massen anzuziehen, erfüllt hat? F: Das ist unterschiedlich. Zur igs gab es vor kurzem den taz-Artikel "80 Gärten ohne Gäste" [5]. Ich denke, die sind nahe dran am NegativBesucherrekord für Gartenschauen. Das mag am Wetter, aber auch an den krassen Eintrittspreisen liegen. Das mag auch daran liegen, daß eine Gartenschau immer, um sie durchzusetzen, unglaubliche Besucherzahlen vorgibt und dann nur die Hälfte erreicht. Das müßte man einmal mit anderen Gartenschauen vergleichen. Es ist schon absehbar, daß da nicht so viele Leute hingehen werden. Die IBA gibt an, daß sie mehr Besucher als erwartet hat, allerdings ist fraglich, ob dort überhaupt mit einem solchen Massenansturm gerechnet wurde. Die IBA ist auch nicht so sehr auf diese Ausstellung angewiesen, weil es eigentlich darum gar nicht geht. burg zur Demo gefahren. So etwas gab es alles, es hätte natürlich mehr sein können, das mag aber auch an der Verkehrsinfrastruktur einig, in unserem Wilhelmsburg-zentrierten anderen Fragen kann das ganz unter- Blick liegen. Wir erhoffen uns eben schiedlich sein. Sicherlich gab es bei immer mehr, als letztendlich eintritt. der Zusammenarbeit inhaltliche Differenzen, und die engagierten Wil- SB: Auf der Demo zur Eröffnung der helmsburger sind auch nicht Teil von IBA konnte man Transparente [3] seIBA? Nigs Da!. Doch die Zusam- hen, auf denen kritisiert wurde, daß menarbeit kann ja auch funktionie- KünstlerInnen, die sich für die IBA ren, wenn man sich nicht in allen haben einkaufen lassen, jetzt wieder auf Gentrifizierungskritik umPunkten einig ist. schwenken. Setzt sich das StadtSB: In Hamburg gibt es eine relativ Marketing nicht mehr so gut durch, starke Recht-auf-Stadt-Bewegung. oder was könnten die Gründe dafür Wie verläuft die Zusammenarbeit sein, daß sich auch im Kulturbereich zwischen ihr und den AktivistInnen Widerstand gegen diese Entwicklung SB: Was meinst du, was der hauptregt? in Wilhelmsburg? sächliche Zweck der IBA ist? F: Aus unserer Sicht haben die Ham- F: Ich weiß nicht, ob ich das so gut burger Recht-auf-Stadt-Bewegten beantworten kann. Mein Eindruck F: Ich denke, es geht erst einmal um die Chance, sich mehr auf die Kam- wäre, daß die von Kunst und Kultur eine Neubeschreibung des Stadtteils. pagne gegen IBA und igs zu bezie- getragene starke Werbung für die An diesem Wandel haben sie jahrehen, ein wenig verpaßt. Es ist IBA in der Anfangszeit wirklich Auf- lang gearbeitet, bevor sie sich entschließlich ein großes Event, das in- merksamkeit erregte, insbesondere schieden, was sie am besten ausstelhaltlich Möglichkeiten der Ausein- die Kunst- und Kultursommer. Doch len, um über den Stadtteil eine neue andersetzung bietet, gerade etwa bei es gab auch KünstlerInnen, die da Geschichte zu erzählen, die das bisden Stadt-Utopien, die von Seiten nicht mitgemacht haben. So gibt es herige Image vergessen läßt. Das ist der IBA entwickelt wurden. Zum einen offenen Brief der italienischen ihnen über die Zeit erstaunlich gut Teil gab es natürlich Berührungs- Gruppe Museo Aero Solar [4], die gelungen. Viele Interessenten bepunkte mit einigen Gruppen, die sich sich dieser Vereinnahmung verwei- sichtigen tatsächlich diese Häuser, auch an IBA? Nigs Da! beteiligt ha- gerte. Doch diese KünstlerInnen wa- die fast schon absurd isoliert in der ben. Sie haben auch zur Demonstra- ren eher in der Minderzahl. Seit die Mitte dieser Insel herumstehen. Nation aufgerufen und sind gemeinsam kritischen Stimmen lauter werden, türlich müssen sich die Leute auf eivon der Innenstadt nach Wilhelms- versuchen sich allerdings einige ner Bauausstellung auch etwas anArbeiten und Leben in Wilhelmsburg Foto: © 2013 by Schattenblick Do. 20. Juni 2013 www.schattenblick.de Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick gucken können. Aber ich denke, daß diese Bauten nicht wirklich mit dem in Verbindung stehen, was die IBA da tut. Sonst wäre es wahrscheinlich gar nicht so schlimm, wenn irgendwo ein paar neue Gebäude stehen. SB: Das ganze ist ja eingebettet in das große Konzept des "Sprungs über die Elbe". Habt ihr euch gefragt, was dieses Konzept im größeren Rahmen stadtpolitisch bedeutet, auch über die naheliegende Option hinaus, daß die Stadt natürlich ihre Grundstücke aufwerten will? F: Hierzu haben wir mehrere Ideen. Am meisten befürchte ich, daß damit auch ein neuer Umgang mit den sogenannten Problemvierteln einer Stadt erprobt wird. Die Vorstellung, aus dem alten Wilhelmsburg einen völlig neuen Vorzeige-Stadtteil zu machen, wo neue Leute hinziehen, schien vor Jahren noch absurd zu sein. Das ist schon ein sehr ehrgeiziger Plan gewesen. Inzwischen kann man sich kaum mehr vorstellen, daß daraus ein ganz normales Quartier entsteht. Es geht um Normalisierung, es geht darum, ein Problemviertel anders zu beschreiben, und zwar auf eine bevölkerungspolitische Art und Weise. Als Problem wird die Konzentration von Menschen mit weniger Ressourcen ausgemacht, und es wird davon ausgegangen, daß mit einer Veränderung dieser Konzentration auch die Verhältnisse anders werden. So wird nicht mehr beansprucht, die Menschen zu unterstützen und ihnen zu einer besseren Lebenssituation zu verhelfen, sondern man will lediglich die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern. Dies wird, obwohl kein Konzept vorhanden ist, wie das eigentlich funktionieren soll, mit der Behauptung getan, daß dies keine Verdrängungseffekte zur Folge hätte. Letztlich wird eine offene Verdrängungspolitik gefahren, die auch als solche zu erkennen ist. Wir hatten letztens einen Stadt-Geographen bei einer Veranstaltung zu Gast, der das Seite 8 so offen gesagt hat, wie wir es in der Diskussion kaum tun: Na klar ist das ein Verdrängungsprogramm, es geht darum, diese Bevölkerungsmischung strukturell zu verändern. SB: Gibt es in Wilhelmsburg Ansätze einer selbstorganisierten Gegenbewegung, die versucht, ihre Straße, ihr Viertel selbstbestimmt zu gestalten? SB: Wenn man den kilometerlangen Zaun sieht, der das Gelände der igs umgibt, dann wird greifbar, daß hier ein großes Gebiet dem öffentlichen Zugang entzogen wird. Wer nicht das Geld für den Eintritt hinlegen will, kann das Gelände nicht begehen. Einen so langen Zaun mitten in der Stadt aufzustellen ist eigentlich ein Eklat für sich. F: Das ganze Gelände ist bereits seit anderthalb Jahren gesperrt, und das wird auch im nächsten Jahr so bleiben. Das ist wirklich eine lange Zeit. Ein riesiges Gelände, das öffentlich zugänglich und auch bereits ein Park war, bleibt entgegen der Propaganda der igs einfach abgesperrt. Das geht eigentlich nur in Wilhelmsburg. Wenn man das in Altona probieren Es gibt noch andere Formen der würde, wäre was los (lacht). Selbstorganisation, die aber weniger wahrgenommen werden. Als wir an- SB: Ist es nicht schwierig, eine Gargefangen haben, uns mit dem GAG- tenbauausstellung zu kritisieren, FAH-Konflikt zu beschäftigen, sind wenn dort alles so schön grün ist? wir dauernd aufVersuche getroffen, Wie sieht eure Kritik an dieser Form sich selbst zu organisieren. Es gibt der Nutzung städtischen Raums aus? diese Netzwerke durchaus, doch sie treten nicht so sehr in Erscheinung. F: Es geht darum, wie mit öffentlichem Raum umgegangen wird, speSB: Habt ihr auch zur Eröffnung der igs ziell mit öffentlichem Grün. Als wir zu einer Demonstration aufgerufen? anfingen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, wurden auf dem für die F: Ja, es waren aber nur kleine Kund- igs vorgesehenen Gelände 5000 gebungen. Es war relativ schnell Bäume gefällt - und dies, weil dort klar, daß dieses Thema nicht so groß eine Gartenschau gebaut wird. Aus werden würde. Während die IBA biologischer Sicht ist das katastrosich ganz gut als Fokus der Anti- phal. Große Flächen wurden planiert Gentrifizierungsbewegung geeignet und anschließend verbaut. Zuvor hat, funktionierte dies bei der igs wurde sehr viel öffentliche Fläche nicht, obwohl es gute Gründe dafür einfach privatisiert. Auf großen Teigibt, sie in diesen Kontext zu stellen. len des Gartenschaugeländes sind Anders als bei der IBA hat die an der Hallen errichtet worden. Von den igs geübte Kritik so nicht funktio- Flächen, auf denen sich vorher ein niert. Die Kritik an der Gartenschau Park befand, sind viele verkauft und geht eher in Richtung Naturzerstö- auch noch eingezäunt worden. rung. Gartenschauen als Stadtentwicklungsinstrumente mobilisieren Die Fläche, auf der nun Gebäude steirgendwie nicht, dementsprechend hen, die ganze Wilhelmsburger Neue waren die Proteste kleiner. Zudem Mitte, war ursprünglich einmal Park. hat es in Strömen geregnet, vom Diese vormals allgemein zugängliWetter her war es eine Katastrophe chen Flächen sind nun größtenteils und die Medien waren in weit gerin- umzäunt. Da stellt sich die Frage, gerem Maße präsent als bei der IBA- wie lange das Gelände abgezäunt Eröffnung. bleibt und was damit gemacht wird. F: Es gibt eine traditionelle Bürgerbewegunge. Die gehört eher einem Bürgertum an, das über mehr Ressourcen verfügt, das weiß und deutsch und damit auf eine bestimmte Weise positioniert ist. Auf eine bestimmte Art gehören wir als AKU ja auch dazu. www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick Auch Planten und Blomen wird nachts geschlossen. Mit dieser Vorgehensweise hat man kontrollierte oder kontrollierbare Räume geschaffen, die auf eine bestimmte Art nutzbar sein sollen oder bestimmte Nutzungen nahelegen. Dieser Ausnahmezustand auf Zeit ist ja ohnehin Konzept in Wilhelmsburg. Hier wird auf breiter Fläche geprobt, soviel Ausnahmezustand wie möglich zu erzeugen, um dann das durchzusetzen, was schon immer angedacht und für notwendig befunden worden ist. Dadurch werden viele Hürden außer Kraft gesetzt, die normalerweise bei Bauanträgen eingehalten werden müssen. SB: Ihr habt gemeinsam das Buch "Unternehmen Wilhelmsburg" [6] herausgegeben und macht auch Ver- auch, wie größere Teile der Bevölkeanstaltungen. Wie verläuft dieser Teil rung zu erreichen sind, oder verlegt ihr euch mehr auf die Diskursebene? eurer Öffentlichkeitsarbeit? F: Gerade die Veranstaltungen laufen erstaunlich gut. Wir hatten im April und Mai mehrere Veranstaltungen, im Schnitt waren immer etwa 80 sehr unterschiedliche Leute da, es war immer ziemlich voll. Wir hatten ein paar Koryphäen wie Andrej Holm eingeladen. Bei den meisten Veranstaltungen entstanden kontroverse Diskussionen, was Teil des Konzepts ist. So haben wir ReferentInnen aus einem breiten Spektrum eingeladen, auch wenn wir mit ihnen nicht einer Meinung sind. Als es letzte Woche um Verdrängung ging, war uns im Vorfeld klar, daß es unterschiedliche Ansichten geben würde. Genauso ist es auch gekommen. Auch mit Thomas Pohl, den wir eingeladen hatten, stimmen wir nicht zu hundert Prozent überein, sonst hätten wir es auch selber machen können. Unser Ziel, eine Diskussion ins Leben zu rufen, hat meinem Eindruck nach bisher ganz gut funktioniert. SB: Euer Buch "Unternehmen Wilhelmsburg" ist relativ anspruchsvoll geschrieben, so daß es vom theoretischen Niveau her nicht für jeden sofort verständlich ist. Fragt ihr euch Do. 20. Juni 2013 F: Mit dem Buch haben wir natürlich auf die Diskursebene gezielt. Wir wollten damit diesen ganzen Veröffentlichungen, diesem Pressewahnsinn, der rund um diese Eröffnung passiert, etwas entgegensetzen. Es ging darum, eine kritische Veröffentlichung, von der wir bisher nicht gesehen haben, daß es sie gibt, genau dann zu bringen, wenn sie auch interessant ist, und zwar auf einer Ebene, auf der bislang kein Widerspruch artikuliert wurde. Wir sind in die Themen so eingearbeitet, daß es nahe lag, ein Buch zu machen, um eine Diskussion anzustoßen. Elbphilharmonie bis in den letzten Winkel Hamburgs Foto: © 2013 by Schattenblick sieht dann vielleicht anders aus. Die Auseinandersetzungen um die GAGFAH werden wahrscheinlich nicht vorbei sein, und auch andere Themen werden immer wieder aufkommen. Zudem wird seitens der Stadt versucht, die Zukunftskonferenz zu wiederholen, und dann gibt es noch einen selbstorganisierten Prozeß zur Zukunft Elbinsel. Wer da wie mitmacht, wird sich noch zeigen. SB: Flo, vielen Dank dafür, daß du die Entwicklung in Wilhelmsburg noch einmal zusammengefaßt hast. SB: Was habt ihr für die Zukunft vor, Fußnoten: wenn dieses Präsentationsjahr vorbei ist? Wollt ihr über diese städtische [1] http://akuwilhelmsburg.blogsEvent-Offensive hinaus beim Thema port.eu/ bleiben? [2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html F: Ich denke, wenn wir ehrlich sind, [3] http://www.schattenblick.de/infwerden wir uns auf jeden Fall neu opool/buerger/report/brrb0013.html aufstellen müssen und neue Vorge- [4] http://www.rechtaufstadt.net/ hensweisen entwickeln, weil wir uns 5584/museo-aero-solar-sagt-notschon stark an der Stadtentwicklung, our-name-iba wie sie gerade jetzt passiert, abgear- [5] http://www.taz.de/!116779/ beitet haben. Es gibt sicherlich eini- [6] http://www.schattenblick.de/infges, was weiterlaufen wird, aber das opool/buch/sachbuch/busar608.html www.schattenblick.de Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick Künftige Veranstaltungen des AKU: BOULEVARD / TEST & SPASS / TAGESSPALT Die Bildungsoffensive der IBA - Bildung als Event? Anforderungen an eine gelingende Bildungspolitik Kurzweiliges für Donnerstag, den 20. Juni 2013 http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/ Bürger_innenbeteiligung als "marktkonforme Demokratie" Alternativen zur Abholzpolitik von igs und Senat Stadtentwicklung durch Sport: das Modell igs 2013 http://www.schattenblick.de/infopool/ buerger/report/brri0027.html Musik Die Musik ist der vollkommenste Typus der Kunst: Sie verrät nie ihr letztes Geheimnis, (Oscar Wilde) weil sie, in den Ohren des Hörers geboren, von Geheimnissen nichts weiß. HB http://www.schattenblick.de/infopool/boule/test/tt130620.html POLITIK / REPORT / BERICHT Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? Wölfe fressen Kreide zum Versöhnungskurs USamerikanischer Stichwortgeber Impulsreferat von Hauke Ritz "Ende der USDominanz? Neueste Debatten in den außenpolitischen Eliten der USA am Beispiel Zbigniews Brzezinskis" im Themenblock "Neue Geostrategische Konzepte der USA und der NATO" auf dem Kongreß "Quo vadis NATO?" am 27. April 2013 in Bremen Was wäre ein Kongreß über die Zukunft der NATO, problematisiert aus überwiegend rechtlicher Sicht, wie ihn die IALANA (Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen und für gewaltfreie Friedensgestaltung) vom 26. bis 28. April 2013 unter dem Titel "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" in Bremen veranstaltete, ohne Rückgriff auf einen Menschen, der sich den Ruf einer "grauen Eminenz" der Geopolitik und US-amerikanischer Politikberater-Szene erworben hat? Ende der USDominanz? Impulsre ferat von Hauke Ritz auf dem Bremer Kongreß 'Quo vadis NATO?' Foto: © 2013 by Schattenblick Seite 10 www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick Die Rede ist von dem 1928 in Polen geborenen Zbigniew Brzezinski, von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater des damaligen US-Präsidenten James Carter, der als ausgesprochener "Kalter Krieger" galt und dem bis heute ein wenn auch schwer auszulotender Einfluß auf die Obama-Regierung nachgesagt wird. sehr zu destabilisieren, daß sich die Sowjetunion zu einer militärischen Intervention veranlaßt sah, was dann auch 1979/80 geschah und bekanntlich in einem fast zehnjährigen Desaster eines für die Rote Armee nicht gewinnbaren Krieges mündete, aus dem sich die Sowjetunion 1988 in einer deutlich geschwächten und ihren endgültigen Fall einleitenden bzw. begleiDie Rede ist von dem 1928 in Polen tenden Lage zurückziehen mußte. geborenen Zbigniew Brzezinski, von 1977 bis 1981 Sicherheitsbera- Brzezinski scheint dies alles zuvor ter des damaligen US-Präsidenten gewußt, beabsichtigt und geplant zu James Carter, der als ausgesproche- haben, rühmt er sich doch in besagner "Kalter Krieger" galt und dem tem Interview seiner Idee, die islamibis heute ein wenn auch schwer aus- stischen Mudschaheddin gegen die zulotender Einfluß auf die Obama- von Moskau unterstützte damalige Regierung nachgesagt wird. afghanische Regierung zu einem Aufstand anzustacheln, um im weiIn vielen seiner Bücher hat Brzezin- teren Verlauf der Ereignisse der Soski seine geopolitische Sicht der wjetunion ihren "Vietnam-Krieg" zu Dinge dargelegt. Sie wird vielfach bescheren. Aus rückwärtiger Sicht, für bare Münze genommen, so als namentlich nach dem endgültigen könnten die Analysen, Empfehlun- Ende ihrer staatlichen Existenz um gen und strategischen Planungen ei- 1991, läßt sich eine solche Behaupnes in größter Nähe zu US-amerika- tung leicht aufstellen und schwer winischen Polit-Eliten manövrierenden derlegen, da die historischen EreigFunktionsträgers losgelöst von den nisse dem ehemaligen SicherheitsbeHegemonialabsichten Washingtons rater Carters recht zu geben scheiüberhaupt bewertet werden. Brzezin- nen. ski selbst hat nicht unerheblich zur Legendenbildung um seine Person Selbstverständlich könnte es sich so beigetragen, wobei an erster Stelle oder ähnlich zugetragen haben, was, ein Interview zu nennen wäre, das er nüchtern betrachtet, keineswegs als 1998 der französischen Zeitung "Le historische Sensation zu bewerten Nouvel Observateur" [1] gegeben wäre, da es in den vielen Jahren und hat und das seitdem in der interes- Jahrzehnten der als "Kalter Krieg" sierten Presse wie eine Enthüllung allein schon wegen der opferreichen gehandelt und als ein Beleg angese- Kriege in Korea und Vietnam fehlhen wird, dessen historische Authen- bezeichneten Auseinandersetzung tizität außer Frage stünde. zwischen den beiden ideologischantagonistischen Machtblöcken Darin hat sich, auf einen kurzen Nen- nichts Ungewöhnliches war, sich paner gebracht, der ehemalige Berater ramilitärischer Verbände oder/und Carters als ein überaus pfiffiger Geo- kleinerer Satellitenstaaten zu bediestratege präsentiert, der quasi im Al- nen, um den eigentlichen Gegner leingang die Sowjetunion zu Fall ge- durch Stellvertreterkriege militäbracht habe. Die damit verknüpfte As- risch, aber auch politisch und wirtsoziationskette lautet in etwa wie schaftlich zu schwächen und wenn folgt: Die USA haben Ende der möglich zu Fall zu bringen, ohne ei1970er Jahre zur Finanzierung und ne direkte militärische Konfrontatidem Aufbau islamistischer Mudscha- on zu riskieren. Welchen Anteil ein heddin in Afghanistan beigetragen, einzelner Stratege wie Brzezinski um das an geostrategisch höchst dabei gehabt haben mag, ist eine wichtiger Position gelegene Land so eher marginale Frage. Do. 20. Juni 2013 www.schattenblick.de Ein Leben dem Antikommunismus gewidmet Zbigniew Brzezinski am 14. März 1977 Foto: freigegeben via Wikimedia Commons public domain, work of the U.S. federal government Wenn die Legende um den Schachzug, der Sowjetunion in Afghanistan mit "ihrem Vietnamkrieg" auch ihr Waterloo zu bescheren, bis heute als Beleg seines scharfen analytischen Verstandes gilt und angenommen wird, daß sich die Regierung Obama von Experten seines Schlages beraten läßt, muß die Frage erlaubt sein, wer denn wohl die USA bzw. die NATO in ihre Afghanistan-Falle tappen ließ? Wenn es eine strategische Meisterleistung war, über die Finanzierung islamistischer Kämpfer die Sowjetunion in Afghanistan in ihr Verderben rennen zu lassen, wie ist dann zu erklären, daß die USA mit ihren Verbündeten ihrerseits nun schon seit über zehn Jahren in dem Land am Hindukusch in einem offenbar für sie ebenfalls nicht gewinnbaren Krieg stehen, der zu verheerenden Verhältnissen geführt hat, über die in den westlichen Staaten aus guten Gründen nur wenig bekannt geworden ist? [2] Bereits im Jahre 2007 hatte die militärische Lage für die westlichen BeSeite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick satzungsstreitkräfte in Afghanistan so schlecht ausgesehen, daß der frühere Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walther Stützle, den möglichen Erfolg der NATO grundsätzlich in Frage stellte und von einer militärisch nicht zu gewinnenden Schlacht sprach, an deren Ende die NATO wahrscheinlich "das gleiche Schicksal erleidet wie alle, die versucht haben, Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bekommen." Die Sowjetunion hätte es versucht, die Engländer auch, doch sie wären gescheitert, und es gäbe, so Stützle, keine Anzeichen dafür, daß es der Atlantischen Allianz besser ergehen könnte. [3] Dieser Einschätzung läßt sich bis heute wenig entgegenhalten, weshalb, um auf den zur lebenden Legende der Geopolitik erklärten Zbigniew Brzezinski und der ihm auch auf dem Kongreß "Quo vadis NATO?" zugeordneten Bedeutung zurückzukommen, die Frage nach der tatsächlichen Relevanz seiner Analysen und Thesen zu stellen wäre. eine stärkere, auch finanzielle Beteiligung einfordern werde. Das Thema "partnership in leadership" stünde deshalb auch auf der "politischen Agenda der NATO", was in den "politischen Eliten in Deutschland" viele sehr gern hörten. Was da unmißverständlich anklingt, ließe sich unter das Stichwort "innerimperialistische Konkurrenz" subsumieren. So gut begründet kritische Positionen gegenüber der US-Hegemonialpolitik hierzulande - so auch auf dem Bremer Kongreß - oft formuliert werden, so unscharf bleiben dieselben Fragestellungen und Argumentationsansätze im bundesdeutschen bzw. europäischen Kontext. Der angeblich neue, gegenüber Rußland versöhnliche Trend Washingtons, auf den der vermeintliche Sinneswandel Brzezinskis nach Ansicht einiger Experten hinzudeuten scheint, würde die globalhegemonialen Ambitionen Deutschlands bzw. einer EU, in der Berlin den Ton angibt, sicherlich begünstigen. In einem vor dem Kongreß geführten Interview [4] stimmte Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Mitglied der Wissenschaftlichen Beiräte von IALANA, der These zu, daß die in jüngster Zeit innerhalb der außenpolitischen "Eliten" in den USA geführten interessanten, neuen Debatten auf mögliche Veränderungen der Hegemonialstellung Washingtons hindeuteten. Deiseroth kündigte an, daß dies auf dem Kongreß u.a. in einer Arbeitsgruppe am Beispiel Brzezinskis diskutiert werden sollte, habe dieser doch jüngst "sehr interessante neue Töne angeschlagen" und die Hauke Ritz Strategie der Neokonservativen, die Foto: © 2013 by Schattenblick in den außenpolitischen Debatten der letzten Jahrzehnte in den USA den Der Publizist und GeschichtsphiloTon angegeben hätten, scharf kriti- soph Hauke Ritz, der sich intensiv mit den Werken Brzezinskis befaßt siert. [4] und durch seine Veröffentlichungen Deiseroth prophezeite, daß die west- dazu beigetragen hat, daß Fragestelliche Hegemonialmacht "seit Jahren lungen dieser Art in der kritischen unübersehbare Schwächen" vor al- Öffentlichkeit angekommen sind, hat lem in ihrer Ökonomie zeige, wes- auf dem Bremer Kongreß in einem halb sie von ihren Bündnispartnern dem Thema "Neue Geostrategische Seite 12 www.schattenblick.de Konzepte der USA und der NATO" gewidmeten Block ein Referat zu der Frage "Ende der US-Dominanz? Neueste Debatten in den außenpolitischen Eliten der USA am Beispiel Zbigniew Brzezinskis" gehalten. Um die von ihm als brisant eingeschätzten und zumindest von einem kleinen Teil der US-amerikanischen Eliten geführten neuen Diskussionen verständlich zu machen, ging er in seinem Vortrag zunächst auf die jüngere Vergangenheit nach 1989 ein, in der mit dem Fall der Berliner Mauer die vorherige bipolare Welt zu existieren aufgehört hatte. In dieser Zeit hatte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Charles Krauthammer den Hegemonialanspruch der USA als der angeblich einzig verbliebenen Macht damit begründet, daß nur sie in der Lage wäre, im globalen Maßstab Politik zu gestalten, was die westeuropäischen Staaten und Japan sowie alle übrigen Regionen der Welt anzuerkennen hätten. Der US-Philosoph Francis Fukuyama prägte das Schlagwort vom "Ende der Geschichte", weil die liberal-kapitalistische Demokratie US-amerikanischer Prägung das einzig verbliebene Zivilisationsmodell wäre, das sich zwangsläufig über den gesamten Planeten ausbreiten würde, weshalb geschichtliche Kämpfe angesichts der Alternativlosigkeit des westlichen Konzepts ihr Ende fänden. Eine solche Vision aus den wissenschaftlichen Eliten der aus dem sogenannten Kalten Krieg als alleinige Siegerin übriggebliebenen westlichen Führungsmacht USA hat offenbar eine große Attraktivität auf weitere Zuträger und Nutznießer entfaltet. Wie der Referent ausführte, befaßten sich alsbald Wirtschaftswissenschaftler, Völkerrechtler und Militärexperten mit den ihre jeweiligen Fachgebiete in Hinsicht auf eine unipolare Weltordnung berührenden Fragen. Doch auch unter Geographen wurde diskutiert, ob es eine geographische Logik der unipolaren Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick Welt gäbe und wie diese beschaffen sei, ausgehend von der Überlegung, daß, wenn das westliche Zivilisationsmodell über die ganze Erde ausgebreitet werde, mit denjenigen Ländern und Regionen begonnen werden müsse, denen eine besondere strategische Bedeutung zukäme. Einer dieser Vordenker, der bereits erwähnte ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, entfaltete, wie der Referent darlegte, eine Geographie der unipolaren Welt ausgehend von der Annahme, daß bereits der bloßen Anordnung der irdischen Landmasse eine politische Logik eingeschrieben sei. Eurasien ist der mit Abstand größte Kontinent, auf dem 65 Prozent der Weltbevölkerung leben und sich die größten Energierohstoffvorräte befinden. Was liegt aus Sicht eines US-Strategen näher, zumal alle Großmächte, die in der Geschichte das Weltgeschehen beeinflußt haben, von diesem Kontinent stammten, als anzunehmen, daß es den USA, um ihre Weltmachtposition zu verteidigen, gelingen müßte, diesen Kontinent zu beherrschen? Brzezinski vertrat 1997 in seinem Grundlagenwerk "The Grand Chessboard" die Auffassung, daß dies sehr wohl möglich sei mit Hilfe eines "transatlantischen Sicherheitssystems", das die USA mit ihrem Brückenkopf Westeuropa zu installieren in der Lage seien. Wichtige Etappenziele waren in der Folgezeit die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine sowie Georgiens - der Ukraine, um Rußland aus Europa herauszuhalten, während Georgien der Schlüssel werden sollte, durch den die USA ihren Einfluß auf die zentralasiatischen Länder ausdehnen wollten. Hätten Brzezinskis Pläne tatsächlich umgesetzt werden können, wären die USA in der Lage gewesen, Rußland und China einzukreisen, wobei dem ehemaligen Sicherheitsberater vorgeschwebt hatte, daß der 1989 erworbene Machtvorsprung Washingtons zum Aufbau eiDo. 20. Juni 2013 ner Weltordnung US-amerikanischer Prägung genutzt werde, die dann auch den im Grunde absehbaren Machtverlust der USA überstünde mit der Folge, daß die US-Leitkultur quasi in ihr fortleben würde. Die tatsächliche Entwicklung habe dann jedoch einen anderen, nahezu entgegengesetzten Verlauf genommen. Das Scheitern dieser Pläne wurde immer deutlicher. Anstelle des noch 1997 vorherrschenden Trends einer "Verwestlichung der Welt" sei das westliche Modell immer mehr unter Druck geraten und habe seine universale Rolle eingebüßt, was Brzezinski 2008 sehr wohl konstatierte und dazu veranlaßte, in seinem Werk "The Second Chance" die US-amerikanischen Neokonservativen für diese Fehlentwicklung verantwortlich zu machen, weil sie durch ihr "offen imperiales Auftreten zu viele Widerstände geweckt" hätten, weshalb es nun umso dringender sei, daß die USA ihre "zweite Chance" auch nutzten. Diese Entwicklung, die unheilvolle Inanspruchnahme der Geopolitik sowie die Rolle Brzezinskis waren schon vor Jahren Thema und Gegenstand kritischer Analysen und Publikationen des Referenten. Wie Hauke Ritz gegenüber dem Schattenblick [5] deutlich machte, steht er seinen früheren Texten bzw. der Art und Weise, wie sie von interessierten Kreisen rezipiert wurden, inzwischen kritisch gegenüber. Seiner Einschätzung zufolge hat insbesondere sein 2008 veröffentlichter Text "Die Welt als Schachbrett - Der neue Kalte Krieg des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski" [6] dazu geführt, daß in der deutschen Friedensbewegung die Rolle Brzezinskis heute etwas überschätzt werde. Für den Referenten stellt Brzezinski lediglich eine Figur dar, die eine bestimmte Denkweise des US-amerikanischen Sicherheitsapparats repräsentiert; seine Bücher enthielten die Geographie einer unipolaren Welt, wie sie die USA nach 1991 angestrebt hätten. www.schattenblick.de Auf dem Kongreß wurde diese Thematik eher in dem inhaltlichen Rahmen abgehandelt, in den Ritz sie im Sommer vergangenen Jahres anläßlich des Erscheinens des jüngsten Brzezinski-Buches gestellt hatte. Dessen vermeintlicher Sinneswandel könnte die Organisatoren des IALANA-Kongresses veranlaßt haben, der Causa Brzezinski einen recht großen Stellenwert einzuräumen. Den Strategiewandel Brzezinskis hatte Ritz in einem im Juli 2012 veröffentlichten Beitrag folgendermaßen beschrieben [7]: Ging es in seinem letzten großen Buch "The Grand Chessboard" noch darum, die politische Kontrolle über Zentralasien zu gewinnen und sprach er 2008 immerhin noch von einer "Second Chance" zur Errich tung einer unipolaren Welt, so ge steht er jetzt ein, dass der Machtver lust der USA und die multipolare Welt Realität geworden sind. Damit kommt es zu einer ganzen Reihe von Neubewertungen. Am erstaunlich sten ist, dass er seine radikale Geg nerschaft gegenüber Russland, die in all seinen früheren Büchern direkt oder unterschwellig präsent ist, auf gegeben hat. Mehr noch: Für das Überleben des Westens sei es zentral, Russland zu integrieren. Eine genauere Analyse, so Ritz 2012, des grundlegenden Brzezinski-Buches ("The Grand Chessboard", zu deutsch: Das große Schachbrett) habe ergeben, daß sich dieser 1997 für eine versteckte Fortsetzung des Kalten Krieges ausgesprochen und Rußland als einen gescheiterten Staat angesehen hatte, der durch den Kommunismus viel zu sehr heruntergewirtschaftet worden sei, um ein brauchbarer, demokratischer Partner der USA sein zu können. Schon damals habe es Differenzen zwischen Brzezinski und den Neokonservativen, die Präventivkriege der USA offen befürworteten, gegeben, aber auch Gemeinsamkeiten, die darin gipfelten, daß beide die USA "als den legitimen Architekten einer zukünftigen Weltordnung" ansahen. [7] Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick In seinem Vortrag führte Ritz dazu aus, daß die angestrebte Vorherrschaft der USA über Zentralasien zu einer Schimäre geworden und eine Vereinheitlichung der industriellen Zentren USA, Europa und Ostasien in einer einzigen, großen Sicherheitsstruktur nicht mehr möglich sei. Stützten sich China oder auch Rußland auf eine vom Westen unabhängige Sicherheitsstruktur, entstünde eine multipolare Welt, für die Brzezinski wohl keinen Plan habe. Die von ihm nun vorgelegten Konzepte, ausgerechnet Rußland und damit den Staat, den der "Kalte Krieger" Brzezinski zeitlebens schwächen wollte, zum strategischen Verbündeten aufzuwerten, erinnere, so Ritz, an eine Ausweichstrategie. Seiner Einschätzung nach würde Brzezinski mit der von ihm propagierten Integration Rußlands in den Westen eine tatsächliche Versöhnung und ebenbürtige Verhandlungen meinen. Vorstellbar wäre allerdings auch, daß es sich bei Brzezinskis strategischer Kehrtwende um einen weiteren Schachzug handeln könnte, um Rußland innerhalb der transatlantischen Sicherheitsstruktur kaltzustellen und die europäischen Verbündeten nicht noch mehr, als es ohnehin schon geschehen ist, durch ein allzu barsches Auftreten zu brüskieren. Einbeziehung Rußlands, aber auch der Türkei in das Bündnissystem eines vergrößerten Westens, der von Vancouver bis Wladiwostock reicht und auf einer auf universale Werte ausgerichteten politischen Kultur basiert. Darf da angenommen werden, daß Brzezinski den USA eine natürliche Deutungshoheit zuerkennt bei der Definition dieser Werte? In geographischer Hinsicht wäre ein solcher "erweiterter Westen" - die Formulierung "von Vancouver bis Wladiwostock" stammt im übrigen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in der auch außereuropäische Staaten wie die USA und Kanada vertreten sind - größer als die eurasische Kernregion, die von früheren Geostrategen wie Halford Mackinder in der sogenannten Herzland-Theorie als die Zone definiert wurde, deren Kontrolle den Schlüssel zur Weltherrschaft in sich berge. Um ihre verlorene Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, müsse die westliche Staatengemeinschaft Rußland in die eigenen Reihen aufnehmen und integrieren. Ritz verglich diesen Vorschlag Brzezinskis mit einem ähnlich gelagerten Richard Nixons, der vor 40 Jahren, um einem drohenden Bündnis zwischen China und Rußland entgegenzuarbeiten, frei nach dem Prinzip "teile und herrsche" eine Bündnispolitik gegenüber China als dem seinerzeit schwächeren Partner der Achse Moskau-Peking propagiert hätte. Der einzige Unterschied sei nun, daß nicht China als inzwischen aufstrebende Weltmacht, sondern das ihm gegenüber schwächere Rußland mit ins Boot geholt werden solle. Zu den Gründen, die zum Scheitern der mit dem Namen und der Person Brzezinskis häufig gleichgesetzten Weltherrschaftspläne Washingtons bzw. des Westens beigetragen haben, gehört dessen Ausführungen in seinem jüngsten Buch zufolge auch eine "systemische Lähmung", die die USA wie in den 1980er Jahren die damalige Sowjetunion erfaßt hätte. Die Auslandsberichterstattung westlicher Medien sei zudem so einseitig geworden, daß dies den internationalen Ansehensverlust der westlichen Demokratien, in denen sich in Ermangelung einer falsche Entscheidungen kritisch diskutierenden Öffentlichkeit immer wieder die Kriegstreiber durchsetzten, weiter befördert habe. Während sich also die südliche und östliche Hemisphäre in einem wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aufbruch befänden, werde die Erstarrung der westlichen Kultur noch durch ihren auch wirtschaftlichen Niedergang verstärkt. Dies seien zwei von Brzezinski erkannte Trends, die sich wechselseitig verstärkten und, so Ritz, zu einer "Dramatik des historischen Augenblicks" geführt hätten, die Brzezinski sehr wohl bewußt sei. Interessant waren in dem Vortrag auf dem Bremer Kongreß jedoch auch die Ausführungen des Referenten zu den Gründen, die zu Brzezinskis tatsächlicher oder auch nur taktischer Kehrtwende geführt haben könnten. So habe Brzezinski in seinem 2012 erschienenen Buch "Strategic Vision" [8] ausgeführt, daß immer mehr Staaten und Regionen der Welt ein eigenes kulturelles Bewußtsein entwickelten, was mit einer zunehmenden Bewußtwerdung der vorherigen kolonialen Unterdrückung durch den Westen einhergehe. Die Doppelstandards der heutigen Außenpolitik westlicher Staaten würden in vielen Teilen der Welt als Verletzung der eigenen Würde empfunden werden, weshalb die Zeiten, in denen Bei der polnischen Regierung ein in der südlichen und östlichen Hemigerngesehener Gast Zbigniew Br sphäre den USA und Europa nachgezezinski am 9. Dezember 2010 eifert worden sei, vorbei seien. BrzeFoto: www.prezydent.pl. freigege zinski habe eingestanden, daß die USA ben via Wikimedia Commons unter diese eigenständige Identitätsbildung GNU Free Documentation License nicht hätten aufhalten können. Um Archive of the Chancellery of the diese nicht noch weiter anzuheizen, President of the Republic of Poland dürfe der Westen keine weiteren Angriffsflächen bieten und weder im NaIn Brzezinskis jüngster Strategie-Vi- hen Osten noch gegen den Iran einen Zum Abschluß seines Bremer Vorsion ist nicht nur die Rede von der weiteren Krieg führen. trags ging der Referent noch einmal Seite 14 www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick grundsätzlicher auf Brzezinski ein, als eine Ideologie mit fatalen Folgen dem er zugute hielt, im hohen Alter [9] und fragte: seine Ansichten neu bewertet zu haben. Wenn allerdings "einer der be- Doch wie real sind die vermeintli kanntesten Geostrategen unserer chen Realitäten der Geopolitik wirk Zeit" sich so irren könne, zeige dies lich? Gab es nach dem Ende des auch, "wie unzuverlässig die Geopo- Kalten Krieges wirklich eine unab litik als Wissenschaft insgesamt ist", änderliche Realität, die uns zwang, wie Ritz in einem jüngst erschiene- einen Raketenschild zu errichten? nen Beitrag ausführte. [9] Als ein Die uns zwang, die Nato nach Osten weiteres dramatisches Beispiel für auszudehnen und die dazu nötigte, die Unzulänglichkeit dieser Diszi- Russland militärisch einzukreisen? plin, deren Prognosen sich in der Re- Letztlich hat diese Politik in erster gel nicht bewahrheiteten, benannte Linie dazu geführt, dass Russland der Referent das Werk des deutschen sich vom Westen wieder distanzierte. Geographen Karl Ernst Haushofer, Heute bildet das Land zusammen mit der den vom NS-Staat aufgegriffe- China und Iran eine zwar lockere, nen Begriff des "Lebensraums" ge- aber doch wirksame Allianz gegen prägt und damit die Politik des Drit- den Westen. Die Politik des Westens ten Reiches hinsichtlich ihrer Ziel- war somit kontraproduktiv. Welche setzungen maßgeblich beeinflußt Seite war hier also in einer Fiktion hatte. gefangen, die Anhänger der Geopo Tatsächlich sei es doch wohl so, daß die politische Ausdeutung von Landkarten in den meisten Fällen ein Einfallstor für Ideologien darstelle und die Interpretation geographischer Verhältnisse von dementsprechenden Zielsetzungen bestimmt werde, so der Autor am Ende seines Vortrags. Er bezeichnete es als tragisch, daß viele Sicherheitsexperten, die die westliche Außenpolitik maßgeblich beeinflußten, noch immer an die Gültigkeit geopolitischer Analysen glaubten. Nur selten seien sie in der Lage, die Prämissen dieser Wissenschaft zu hinterfragen, da dies die Grundlagen ihrer Ausbildung und damit auch ihrer Karrieren berühre. In ihren Think Tanks, in denen um Einfluß und Forschungsgelder konkurriert werde, sei für solche Fragen ebenfalls kein Platz. litik oder ihre Kritiker? Das ist die beherrschende Überle gung, die der neuen Verteidigungs strategie für die Region zugrunde liegt. Wir müssen versuchen zu ver hüten, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen unter gefestigter Kon trolle ausreichen würden, eine Weltmachtposition zu schaffen. Sol che Regionen sind Westeuropa, Ost asien, das Gebiet der früheren So wjetunion und Südwestasien. Hauke Ritz erläuterte dazu, daß dieser aus der Feder namhafter und aus der späteren Amtszeit von Präsident Bush Junior bestens bekannter Neokonservativer stammende Plan 1992 nicht umgesetzt worden sei. Daß er an die Presse durchgereicht worden war, sei ein Versuch gewesen, ihn zu sabotieren. Tatsächlich hätten die USA in den frühen 1990er Jahren die weitere, vor allen Dingen auch wirtschaftliche Entwicklung bzw. Schwächung Rußlands abgewartet. Erst als sich die Wirtschaftskrise in Rußland 1997/98 noch verschärfte, seien in Washington Konzepte wie der No-Rivals-Plan mit dem Ziel, den USA einen uneinholbaren Rüstungsvorsprung zu verschaffen, in konkrete Planungen umgesetzt worden. Dies sei bereits in der zweiten Amtszeit Clintons wie auch ab 2001 in der Regierungszeit der Neokonservativen geschehen, doch auch in der ersten Amtszeit Obamas sei nach diesem Plan verfahren worden. Bis zum heutigen Tag seien in der USAußen- und Militärpolitik viele Trends festzustellen, die auf die Errichtung einer unipolaren Weltordnung abzielten, so bestimmte Veränderungen im Völkerrecht wie auch das fortgesetzte Raketenschild-Projekt. In der den Themenblock "Neue Geostrategische Konzepte der USA und der NATO" abschließenden Diskussion ging der Referent auf Nachfrage aus dem Publikum auf den sogenannten No-Rivals-Plan ein, einem geheimen Leitlinien-Entwurf des Pentagon, aus dem die New York Times am 8. März 1992 Auszüge für die "Defense Planning Guidance" (zu deutsch in etwa: Leitlinien zur Verteidigungsplanung) veröffentlicht hatte. Mit diesem Konzept solle der Aufstieg konkurrierender Staaten in Europa und Asien verhindert werden. Dieses Dokument spiegelt die in Washington seinerzeit und womöglich bis heute dominierenden Positionen wider, weshalb eine kritische Beschäftigung mit ihm zur Analyse auch der aktuellen Lage und der sie bestimmenden Interessen beitraAus diesen Gründen sprach sich Ritz gen könnte. Darin sollen folgende für eine öffentliche und kritische "Militärstrategische Ziele" formuDiskussion geopolitischer Konzepte liert worden sein [10]: Gäbe es tatsächlich einen Übergang aus. In seinen Texten stellt er die Präin eine Welt, in der die Multipolarimissen dieser Wissenschaft, derer Unser erstes Ziel ist, den (Wieder) tät anerkannt werden würde, so das sich außen- wie militärpolitische Aufstieg eines neuen Rivalen zu ver Fazit des Referenten, gelte dies naStrategen offenbar nach wie vor be- hüten, sei es auf dem Gebiet der frü türlich nur unter der Einschränkung, dienen, ohnehin in Frage. In einem heren Sowjetunion oder sonstwo, der daß die Überlegenheit eines einzelim März dieses Jahres erschienenen eine Bedrohung der Größenordnung nen "Pols" unter mehreren aufrechtBeitrag benannte er die Geopolitik darstellt, wie früher die Sowjetunion. erhalten bliebe. Hauke Ritz ist in seiDo. 20. Juni 2013 www.schattenblick.de Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick ner Einschätzung, Brzezinski werde in NATO- und US-kritischen Kreisen überbewertet, nur beizupflichten, ebenso in seinem Standpunkt, daß die Friedensbewegung vor einer genauen Analyse der Machtverhältnisse und -techniken nicht zurückschrecken sollte. Ihm ging es in seinem Vortrag darum, zur Aufklärung und Diskussion über die Geopolitik beizutragen am Beispiel einer kritischen Analyse der geographischen Dimension des unipolaren Weltkonzeptes, so wie Brzezinski es entwickelt hatte. POLITIK / REDAKTION / ASIEN USA und Taliban nehmen Friedensverhandlungen auf Kabul und Washington bereiten faulen Kompromiß am Hindukusch vor Als bedeutendes Datum für Afghanistan dürfte der 18. Juni 2013 in die Geschichtsbücher eingehen. An diesem Tag haben die 350.000 Mann starke afghanische Armee und Polizei von der NATO-angeführten ISAF-Truppe die Verantwortung für die Sicherheit in allen Provinzen Afghanistans übernommen. An der feierlichen Zeremonie nahmen in Kabul Afghanistans Präsident Hamid Karsai und der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen teil. Am selben Tag gaben die USA und die Taliban die Aufnahme direkter Friedensverhandlungen bekannt. Eine entsprechende Erklärung wurde bei der offiziellen Eröffnung eines Verbindungsbüros der Taliban in Katar veröffentlicht. Über den Durchbruch bei den Annäherungsgesprächen mit den Männern um Mullah Mohammed Omar hat US-Präsident Barack Obama die anderen Regierungschefs beim G8-Gipfel im nordwestirischen Enniskillen praktisch zeitgleich in Kenntnis gesetzt. Sich wie Ritz kritisch mit der grauen Eminenz der Geopolitik auseinanderzusetzen, kann nur zweckdienlich sein, um der etwaigen Faszination einer solchen Position entgegentreten zu können. Sich Brzezinskis Ansatz zu eigen zu machen, hieße, sich auf seine Denk- bzw. Analysevorausetzungen einzulassen, also die Position eines Schachspielers einzunehmen, der aus vermeintlich sicherer Distanz einen Überblick beansprucht, der ihn befähigt, Menschenmassen wie Schachfiguren zu bewegen und für bestimmte Interessen nutzbringend einzusetzen. Wer sich auf die Metapher eines großen Schachbretts einläßt, wenn von der eurasischen Landmasse und ihren Abermillionen Menschen die Rede ist [11], geht der Beanspruchung einer streitbaren Position verlustig, die nicht auf eine Teilhaberschaft am Vor dem Hintergrund des geplanten Abzugs aller westlichen Kampftrupgroßen Geschehen abzielt. pen aus Afghanistan bis Ende 2014 führen die USA und die Taliban seit zwei Jahren sporadisch indirekte Vorverhandlungen. Zu diesem Zweck hatten sich mehrere TalibanVertreter mit Einverständnis des Emirs von Katar in Doha niedergelassen. Der Durchbruch gelang jedoch erst, als beide Seiten ihre Vorbedingungen aufgeweicht hatten. Dies berichtete am 19. Juni der LonErläuterungen anhand einer Welt doner Guardian. Demnach rücken karte zur 'Bedeutung der Kontinente' die Taliban von ihrer Kernforderung Foto: © 2013 by Schattenblick nach Abzug aller Streitkräfte aus Afghanistan zwar nicht ab, sind jedoch Fußnoten siehe Seite 31 offenbar bereit, darüber zu verhanSeite 16 www.schattenblick.de deln. Das kommt den USA mehr als gelegen, hoffen diese doch, mit Karsai über die Stationierung von rund 10.000 Soldaten - hauptsächlich Spezialstreitkräfte für den "Antiterrorkampf" sowie Militärberater und Techniker, welche ihre afghanischen Kameraden ausbilden bzw. ihnen den Umgang mit den neuen amerikanischen Waffensystemen beibringen sollen - auf insgesamt neun Stützpunkten für die Zeit ab Januar 2015 einig zu werden. Im Gegenzug soll sich die ObamaRegierung vorerst damit abgefunden haben, daß die Taliban in ihrer jüngsten Erklärung den "internationalen Terrorismus" lediglich verurteilt haben. Die formelle Aufkündigung jeder Zusammenarbeit mit Al Kaida soll laut Guardian später erfolgen. Die Nachsicht Washingtons gerade in diesem Punkt stimmt mehr als bedenklich, denn angeblich bestand das Ziel darin, Al Kaida zu vernichten und der Hintermänner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 habhaft zu werden, als die Streitkräfte der USA und ihrer NATO-Verbündeten im Oktober desselben Jahres überhaupt in Afghanistan einmarschiert sind. Hängt das Herunterspielen des Themas Al Kaida in Afghanistan eventuell damit zusammen, daß die USA, Frankreich und Großbritannien seit zwei Jahren mit Hilfe der sunnitisch-salafistischen "Terroristen" versuchen, die Regierung Baschar Al Assads in Syrien zu stürzen? Eine wichtige Vorbedingung der USA für die Teilnahme der Taliban am politischen Leben in Afghanistan war deren Anerkennung der neuen Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick Verfassung des Landes. Mit dieser Forderung sollten unter anderem die Rechte der Frauen, welche die NATO von Anfang an in den Vordergrund ihres zivil-militärischen Engagements gestellt haben, geschützt werden. Doch auch hier hat die "Wertegemeinschaft" NATO aus opportunistischen Gründen der Verständigung mit den patriarchal denkenden Stammesführern von Nordallianz und Taliban den Vorrang vor der Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen eingeräumt. Wie die in Abu Dhabi erscheinende Zeitung The National am 18. Juni unter Verweis auf die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, wird dieser Tage im Parlament in Kabul auf Drängen der konservativen männlichen Mehrheit still und heimlich jenes Gesetz, das erst seit einigen Jahren eine Frauenquote in der politischen Vertretung auf nationaler und provinzieller Ebene von 25 Prozent vorschreibt, abgeschafft. Im National-Bericht wird die Parlamentsabgeordnete Farkhunda Naderi mit den Worten zitiert: "Es handelt sich um eine politische Strategie; um [den Taliban] bei den Friedensverhandlungen entgegenzukommen, sind sie bereit, die Frauenrechte zu opfern." Der Weg hin zu einem dauerhaften Frieden in Afghanistan ist jedoch mit Hindernissen gepflastert. Dies zeigt ein sonderbarer Vorfall, der sich am 17. Juni im Norden Afghanistans ereignete. Bei einem Besuch von General Abdul Raschid Dostum, dem usbekischen Kriegsherrn der früheren Nordallianz, der formell das Amt des Oberbefehlshabers der afghanischen Streitkräfte bekleidet, bei Mohammad Aleem Sayee, dem Gouverneur der Provinz Jowzjan, soll es zu einem Streit gekommen sein, der in eine Schießerei ausartete. Der Schußwechsel endete erst mit dem Abzug von Dostum und seiner Leibgarde von rund 50 Mann. Laut Sayee, der zu dem Zwischenfall am 18. Juni in der New York Times zitiert wurde, Do. 20. Juni 2013 wollte Dostum ihn, den StellvertreSCHACH - SPHINX tenden Vorsitzenden seiner eigenen Junbish-i-Milli-Partei, töten, weil er sich geweigert hatte, bei einer NeuSpott statt auflage der Nordallianz für den Fall Tage des Ruhms des erneuten Ausbruchs eines Bürgerkrieges gegen die paschtunisch- Der positionell geschulte Verstand dominierten Taliban mitzumachen. rät zur Vorsicht, zum Gang der vielen kleinen Schritte, allein, der ÜberZum Glück ist bei der etwas lebhaft mut wünscht sich einen Sieg wie gewordenen Diskussion (Dostum) weiland die Meister der romantibzw. dem versuchten Überfall schen Ära. Alle Einwände des guten (Sayee) niemand ums Leben ge- Schachgewissens beiseite schiebend, kommen. Tragischerweise ging we- begibt sich der Recke aufs Glatteis nige Stunden nach der Eröffnung seiner Träume. Sein Blick hängt gedes Verbindungsbüros der Taliban in bannt an der Kombinationen, die ihm Doha dagegen ein Mörserangriff der sirenenhaft zu sich lockt. Immer Aufständischen auf den Militärflug- wieder rechnet er die Möglichkeiten hafen Bagram bei Kabul zu Ende. im Kopf durch, bis der Schatten des Dort kamen vier US-Soldaten ums Zweifels verblaßt. Allzu schön wäre Leben, zwei weitere wurden ver- der Triumph. Also setzt er alles auf letzt. Zu dem Angriffbekannten sich die eine Karte. Die Kombination die Taliban. Währenddessen hat scheint zu gelingen, doch dann stolPräsident Karsai, der sich durch die pert der Triumphator über seine eiAnnäherung zwischen Obama-Re- gene List wie im heutigen Rätsel der gierung und Taliban düpiert fühlt, Sphinx, wo Meister Levy statt der die laufenden Verhandlungen Ka- gewissenhaften Fortsetzung buls mit Washington über ein Si- 1.Ld2xf4 Sd5xf4 2.De2-g4! - nun cherheitsabkommen zwischen Af- verböte sich 2...Sf4xg2+? wegen ghanistan und den USA, das dem 3.Ke1-f1 und der schwarze Springer Pentagon langfristige Nutzungs- hätte kein Entkommen mehr -, das und Zugangsrechte auf besagten silberhell glänzende Opfer neun größeren Stützpunkten am 1.Sg5xe6? Lf4xd2+! 2.Ke1xd2 Hindukusch gewährleisten soll, f7xe6 3.De2xe6+ Kg8-h8 4.De6xc6 noch am selben Abend bis auf wei- wählte und dank des Doppelangriffs teres ausgesetzt. Karsai beharrt dar- auf Turm und Springer zu siegen auf, daß die Taliban mit der gewähl- hoffte. Den spekulativen Hinterten Regierung in Kabul verhandeln, grund seiner Überlegungen erkannte und lehnt Sondervereinbarungen er leider viel zu spät. Also, Wandezwischen den Vertretern des "Isla- rer, was hatte Meister Levy übersemischen Emirats Afghanistan" und hen, das ihm statt des Lorbeers die den Amerikanern ab. Die kommen- Dornenkrone bescherte? den Wochen werden zeigen, ob sich Karsai mit seinem Standpunkt durchsetzen kann, oder ob die beiden wichtigsten Kriegsparteien in seinem Land ihn einfach vor vollendete Tatsachen stellen werden. http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/redakt/ asie801.html Levy - Hope Salisbury 1967 www.schattenblick.de Seite 17 Elektronische Zeitung Schattenblick NATUR / CHEMIE / UMWELTLABOR Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie Die brennendsten Fragen zur Fracking Chemie bleiben offen Von Verharmlosungs bis TransparenzStrategie Bad Busiasch, Westrumänien. Im Vergleich zu deutschen Kurbädern findet der Besucher eine eher bescheidene, ein wenig verschlafen wirkende Ortschaft vor, die ihre Glanzzeit als Kurort [1], zu dem Busiasch im Jahr 1839 amtlich erklärt wurde, längst hinter sich zu haben scheint. Die letzte Volkszählung im Jahr 2007 kam gerade mal auf 7712 Köpfe. Die Kurbrunnen und Wandelhallen im großen Park sind von Kurgästen und Urlaubern verwaist. Auflösung SphinxRätsel/4779: Polugajewsky nutzte den Umstand, daß die weiße Dame ungedeckt stand, um den weißen Angriff zu neutralisieren und seinen eigenen voranzutreiben: 1...f7-f6! 2.Dg5-h4 - 2.Dg5-f4 f6-f5! - 2...f6-f5 3.Le4-c2. Die beiden weißen Angriffsfiguren waren aus ihren guten Positionen gedrängt worden. Nun konnte Polugajewsky die Schwächen im weißen Lager - die Bauern e5 und b2 - aufs Korn nehmen: 3...Sb3-d2+ 4.Kb1-c1 Sd2-c4 5.Dh4-d4 Da5-c7 6.Dd4-d7 Sc4-e3 7.Dd7xc7 Tc8xc7 8.Td1- d2 Tc7-c5 9.Kc1-b1 Se3xc2 10.Td2xc2 Tc5xe5 11.Tc2-c4 Te5-e2 12.Tc4xa4 Te2xg2 13.Ta4-c4 e6-e5 14.Tc4-c5 Tg2-e2 und Weiß gab das hoffnungslose Endspiel auf. Das Wappen von Busiasch zeigt die drei Dinge, die für die Ortschaft kennzeichnend und wichtig sind: die Silascher Weinhügel, die römische Festung Ahihis und das Busiascher Mineralwasser, das bis heute eines der gefragtesten Heil und Tafelwasser des Banats ist. Foto: 2006 by Radufan, freigegeben via Wikimedia Commons als Public Domain Der Schein trügt: Noch werden die Brunnen immer wieder von Menschen frequentiert, die sich das köstliche Quellwasser kostenlos in Plastikflaschen abfüllen. Das Busiascher Mineralwasser ist eines der gefragtesten Heil- und Tafelwasser des Banats [2]. Bereits die Römer sollen seine belebende Wirkung genutzt haben. Die Heilkraft des Mineralwassers wurde Anfang des 19. Jahrhunderts offiziell erkannt. Seit kurzem fragen sich die Einwohner des Ortes allerdings, wie lange ihre großen Mineralwasservorräte noch Die Zukunft wirft ihre Schatten vor aus der herbstlich verwaiste Kur park von Busiasch im Hintergrund der noch aus Glanzzeiten des Kur orts stammende Pavillion der be rühmten JosefQuelle Foto: by Orvo, freigegeben via Pan oramio als CCBYNCND3.0 Un ported SCHACH UND SPIELE / SCHACH SCHACHSPHINX/04780: http://www.schattenblick.de/infopool/ schach/schach/sph04780.html Seite 18 www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick für den menschlichen Verzehr geeignet sein werden. Denn wenn es nach Wunsch der rumänischen Regierung geht, die im vergangenen Jahr grünes Licht für mehrere Schiefergas-Vorerkundungen im Land gegeben hat, sollen auch die Schiefergasvorkommen in den Gesteinsschichten des Gemeindegebiets exploriert (erkundet) und anschließend mit großen Mengen an Wasser und Chemikalien aus dem Gestein gepreßt, kurzum: "gefrackt" werden. Bei dem auch als Hydraulic Fracturing bezeichnetem Verfahren, das im Mittelpunkt der Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten steht, wird das Speichergestein aufgebrochen und Millionen Liter von mit Chemikalien versetztem Wasser hineingepreßt, damit das darin gefangene Erdgas entweichen kann. Was dabei mit den Mineralwasserreservoires geschehen wird, ist völlig ungeklärt. Manche Fracking-Kritiker fürchten allgemein, daß die beim Fracken künstlich erzeugten Risse auf bereits bestehende Risse und Klüfte im natürlichen Gestein treffen könnten, so daß Wegbarkeiten für die beim Fracking erzeugten toxischen Begleitstoffe in unterirdische Wasseradern (sogenannte Aquifer) erzeugt würden. Die Förderindustrie sieht hier keine Gefahr, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Die praktischen Erfahrungen mit ähnlichen Projekten in Amerika, das derzeit einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung aus der unkonventionellen Schiefergasförderung erfährt, oder bei der Geothermie [3] lehren jedoch, daß gerade die technische Umsetzung dieser vermeintlichen Schutzvorkehrungen riskant und keine Garantie für den Wasserschutz sind. Vor allem das Abdichten der Bohrlöcher gelingt nicht immer. Natürlich verspricht man sich vom Schwarzen Meer bis zur Grenze zu Ungarn wie auch anderswo im Fahrwasser des aktuellen, amerikanischen Fracking-Booms ein vergleichbar einträgliches Geschäft durch die Schiefergasförderung. Im Do. 20. Juni 2013 Kreis Temesch soll laut Radio Temeswar am 4. April 2013 [4] Schiefergas in den Ortschaften Busiasch, Perjamosch, Billed, Partza und Crai Nou gefördert werden. Auch weiter nördlich im rumänischen Verwaltungskreis Bihor, und zwar in den Gemeinden Tria, Tulca, Popesti und Sanmartin, will man nach unkonventionellen Gasvorkommen suchen. Bürgermeister Viorel Alger Ilas erklärte gegenüber dem Deutschlandfunk [4], man habe von den Plänen der Regierung erst in letzter Minute erfahren. Die Genehmigungen seien erteilt worden, ohne die beteiligten Gemeindevertreter, geschweige denn die Bürger anzuhören und zu informieren. Der Gemeinderat habe inzwischen klar Stellung bezogen - mit einem Beschluß gegen die Erforschung der Schiefergas-Vorkommen: Wir haben keine Ahnung, wie diese Erkundungsbohrungen ablaufen sol len. Und wir haben da gleich in zwei facher Hinsicht große Sorgen: ein mal um unser normales Trinkwasser an sich, vor allem aber um unsere Mineralwasservorkommen. Und das ist die Basis unserer wirtschaftlichen Entwicklung. [5] Die Erkundungsvorhaben in den nächsten fünf Jahren sollen zwar auch in Rumänien nur unter strengen Umweltauflagen möglich sein, das hätten der Umweltminister und der Ministerpräsident im Fernsehen versprochen. Fraglich ist nur, was man darunter versteht und ob nicht schon das erste Anstechen des Bodens bzw. die erste Probebohrung oder Aufsuchung von unkonventionellem Erdgas mit einem unkontrollierbaren Fracking-Versuch in großer Tiefe gleichzusetzen ist, bei dem bereits die Umwelt der Kontamination mit belastetem Förderwasser und Fracking-Chemie ausgesetzt wird. Vor dieser Frage steht man auch bei anderen potentiellen Förderstellen für nicht-konventionelles Erdgas. len Erdgasvorkommen solche Vorkommen, bei denen das Gas nicht ohne weitere technische Maßnahmen (d.h. Fracking) in ausreichender Menge frei einer Förderbohrung zuströmt. [6] Dies ist darauf zurückzuführen, daß das Speichergestein nicht ausreichend durchlässig ist oder das Erdgas nicht in freier Gasphase (genauer: einer Blase) im Gestein vorliegt. Bei unkonventionellen Erdgasvorkommen unterscheidet man in Schiefergas (shale gas), Gas in dichtem Sand- oder Kalkstein (tight gas) und Kohleflözgas (coalbed methane). Dabei handelt es sich immer um das gleiche Gas, nämlich Methan (CH4), das allerdings in verschiedenen Gesteinsschichten und somit auch unterschiedlichen Tiefenbereichen in der Erdkruste vorkommt. Methan ist im übrigen ein 25 mal stärkeres Treibhausgas als Kohlenstoffdioxid (CO2). Schiefergas wie das in Rumänien gehört zu den am tiefsten gelegenen Erdgasvorkommen. Hier muß man oft doppelt so tief bohren wie bei konventionellen Gasblasen, um überhaupt mit dem Aufbrechen des Gesteins zu beginnen. Daher sind die brachialen, technischen Maßnahmen für ihre Erschließung auch am aufwendigsten und naheliegenderweise mit der größten Zerstörung verbunden. In diesem Zusammenhang von "Umweltverträglichkeit" zu sprechen, scheint von vornherein ein unauflöslicher Widerspruch zu sein. Tatsächlich stößt man bei dem Versuch, die "Umweltverträglichkeit" für Fracking-Projekte genauer zu fassen, von der ersten Bohrung und Perforationssprengung über die meist nicht erwähnten verwendeten, möglicherweise hochbrisanten Sprengstoffe bis zu den üblichen toxischen Chemikalien auf unzählige offene Fragen, was, wann, wo, wie verbleiben oder hingeraten bzw. mit Der gängigen Definition zufolge ver- welchen Risiken der energetische steht man unter nicht-konventionel- Ertragsgewinn durch die Nutzung www.schattenblick.de Seite 19 Elektronische Zeitung Schattenblick mischen Hilfsstoffen des Frackings lassen sich daraus zusammenfassen? Sicher ist, daß beim Fracking entgegen anderslautender Behauptung der Förderindustrie nie auf chemische Hilfen (Additive) in den sogenannten Frack-Fluiden verzichtet werden kann. Bei der Bohrung können Teile des Schiefergases entweichen, während des sogenannten "Flarings" (dt. Ab fackeln) wird ein Teil davon ver brannt. Foto: 2012 by WCN 247, via Flickr freigegeben als CCBYNC2.0 Lizens solcher Rohstoffreserven verbunden sein könnte. Auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung in Umweltfragen (SRU) bestätigt "noch bestehende, gravierende Wissenslücken über die Umweltauswirkungen" und spricht sich deshalb dafür aus, die Technik in Deutschland vorerst nicht kommerziell zu nutzen [7]. Er impliziert allerdings, daß diese Lücken durch entsprechende Forschung zu schließen wären und nur ein akutes Wissensdefizit zwischen den offenen Fragen und einer späteren Nutzung der Gasressourcen steht. Und das scheint doch angesichts der unüberschaubaren Ausgangsbedingungen in jedem Fall sehr fraglich, selbst wenn man sich nur auf ein Detail konzentriert. Toxische Stimulation und ausweichende Darstellungen Neben den ganz offensichtlichen Umweltauswirkungen durch Luftemissionen, Lärm, Veränderungen des Landschaftsbilds durch technische Seite 20 Bauten, der Besetzung großer Flächen und dem enormen Wasserverbrauch sowie den weniger offensichtlichen, aber bekannten Einschnitten in der Biodiversität und der Entsorgung des Brauchwassers oder Flowbacks, sind es immer zuallererst die offenen Fragen zu den toxischen Fracking-Substanzen, die in großer Tiefe unkontrolliert in das Gestein verpreßt und wieder herausgespült werden, welche die Menschen so wie jetzt in Busiasch nervös werden lassen. In der öffentlichen Diskussion in den Medien immer wieder an erste Stelle gestellt, können sie weder von der Förderindustrie, die es ganz genau wissen müßte, noch von ihren Kritikern zufriedenstellend beantwortet werden und bilden somit ein Detail der gravierenden Wissenslücken ab: 1. Was enthalten Fracking Fluide und sind diese Stoffe gesundheitsgefährlich? 2. Welche Umweltgefährdung geht davon aus und können damit Trinkwasser oder Fließgewässer kontaminiert werden? Obgleich man irreführenderweise von einer "hydraulischen Stimulation" (hydraulic fracturing) spricht, was ein Verfahren nahelegt, in dem die zur Fraktionierung nötige Kraft durch eine Flüssigkeit übertragen wird, werden jeweils verschiedene Chemikalien, zum Beispiel Tonstabilisatoren maßgeblich benötigt, um den Untergrund vorzubereiten (zu härten), damit andere Chemikalien, d.h. Säuren, gemeinsam mit dem Wasserdruck das vorbereitete Gestein "fraktionieren", zerlegen können. Damit Gase fließen können, braucht es weitere Chemie, sogenannte Stützmittel (Proppants, meist Sand), um die entstehenden Risse offen und andere, Biozide oder Desinfektionsmittel, um sie frei von mikrobiellem Bewuchs zu halten. Für einen leichteren Stützmitteltransport, bei dem die einzelnen Sandkörner nicht verklumpen, sondern eine flutschig-cremige Suspension bilden sollen, werden Gelbildner (Andickungsmittel) und Schaumbildner verwendet, die wiederum zur weiteren Verbesserung Quervernetzer (um die Viskosität bzw. Ziehigkeit zu erhöhen), Reibungsminderer, aber auch wieder Kettenbrecher oder Breaker (damit die Viskosität nicht zu hoch bzw. kein fester Pudding daraus wird) und Hochtemperaturstabilisatoren (damit das Gel am Zielort durch die vorherrschende Hitze nicht vorzeitig zersetzt wird) in der Anwendung nach sich ziehen, die aus Mitteln bestehen, die wiederum die Anwesenheit weiterer Chemie erfordern, um letztere Mittel stabil, löslich und verfügbar halten usw. Selbst in umfangreichen Studien der Landes- und Bundesumweltämter finden sich letztlich nur ausweichende, wenig zufriedenstellende Antworten, die weitere Fragen nach sich zie- Bei diesen letzten Mitteln handelt es hen. Welche Erkenntnisse zu den che- sich um Ablagerungshemmer, die www.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick das Ausfällen schwerlöslicher Verbindungen verhindern, aber auch andere Ausfällungsverhinderer zum Beispiel für Eisenoxid, Schwefelwasserstoff-Fänger, schließlich Korrosionsschutzmittel zum Schutz der Rohre und Anlagen vor der ganzen aggressiven Chemie und wiederum Tenside und Lösungsmittel, die die ganzen Chemikalien in dem Wassermedium beweglich halten ... All das wird aber nur nötig, weil der unnatürliche Chemieeintrag neben seiner Funktion auch Nebenwirkungen und -reaktionen mit der Umgebung und den Begleitstoffen zeigt! Ist in diesem Zusammenhang auch noch irreführenderweise von einer "chemischen Stimulation" die Rede, handelt es sich nicht etwa um eine plastischere Beschreibung dieses Cocktails, sondern um einen Sonderfall. Das Auflösen von CarbonatGestein mittels starker mineralischer Säuren - ätzende Salzsäure (HCl) zum Beispiel, um die gewünschten Wegsamkeiten für das Gas gewissermaßen herauszulösen - wird so bezeichnet. Das funktioniert nur in Schiefergas-Lagerstätten, in denen auch Carbonat-Gestein vorhanden ist. Ideal sind Adern aus Carbonat-Gestein, die auf diese Weise einfach aufgelöst werden und das weitere Aufbrechen erleichtern, so daß möglicherweise bei einer chemischen Stimulation am Ende weniger Frack-Flüssigkeit und somit auch weniger Chemie gebraucht wird, als beim hydraulischen Fracking. Das alles ist für Laien kaum zu überschauen. Eins aber ist völlig klar: Für das immer wieder von Förderunternehmen in Aussicht gestellte "gute" oder auch gerne als "Clean-Frac" bezeichnete, umweltfreundliche Fracking ohne Chemie gibt es bislang kein Beispiel [3]. Und die benötigte Zusammensetzung hängt von den geologischen Gegebenheiten und den Anforderungen der verwendeten technischen Bauten ab. Do. 20. Juni 2013 erst vor Ort fertiggestellt werden und sich gewissermaßen als "Learning by doing" bei den Probebohrungen auf diese Weise ganz willkürliche Mischungen ergeben, deren endgültige Zusammensetzung auch nicht unbedingt erprobt sein muß. Solche Gedanken scheinen nicht abwegig zu sein, wenn man einmal die Mengen der bereits in Frackingprojekte "inNicht sicher ist hingegen fast alles vestierte" Chemie betrachtet. andere, zum Beispiel auch, aus welchen Chemikalien sich die Rezeptur Abgesehen von Salzsäure, die häufig der Frack-Lösung im Einzelfall bei auch in anderen Lagerstätten zum einem geplanten Projekt zusammen- Einsatz kommt, enthält die jeweilige setzen wird. Chemikalienmischung bis über fünfzehn verschiedene KomponentenOhne Probebohrung sind die Erforder- gruppen, die jeweils unterschiedliche nisse an die Chemie noch nicht abseh- technische Aufgaben erfüllen. Bei bar, behaupten zumindest die Vertre- 600 oder 750 möglichen Chemikaliter der Fracking-Technologie. Andere en, die diesen Gruppen zugeordnet sagen, daß die Stoffe zwar im Einzel- werden, sind allerlei Kombinationsnen bekannt wären, verweisen dann möglichkeiten gegeben. aber aufdie große und somit komplexe, für Laien nicht zu durchschauende Zu geplanten Unternehmungen lasVariationsvielfalt und darauf, daß die sen sich gewöhnlich keine Angaben Zusammensetzung der Rezepturen ge- finden. Das ist nicht ungewöhnlich, wissermaßen als jeweils passende mi- gilt so etwas doch gemeinhin als Firnimale chemische Antwort auftechni- mengeheimnis, über das es keine sche oder geologische Anforderungen Auskunftspflicht gibt. Letztere ist zusammengesetzt werden müßten, wie außerdem in der in Deutschland noch man das früher bei ökologischen geltenden "Verordnung über die Waschmitteln im Baukastensystem Umweltverträglichkeitsprüfung praktiziert hat. Das klingt logisch und bergbaulicher Vorhaben (UVP-V technisch durchdacht. Bergbau)" von 1990 begründet, wonach UmweltverträglichkeitsprüfunMan fragt sich aber doch, ob die gen, die auch die Bekanntgabe der "Einsatzmischungen" in der Praxis potentiellen Chemikalien und ihre Fayeteville Shale Arkansas, USA Wie wenig ist wenig Chemie? Der Frackingprozeß erfordert einen gan zen Cocktail von Chemikalien neben Sand und Wasser. Darüber hinaus ei ne weitere Batterie von Chemikalien, um die Nebenwirkungen und Wech selwirkungen in Grenzen zu halten. Foto: Bill Cunningham, USGS www.schattenblick.de Seite 21 Elektronische Zeitung Schattenblick Verträglichkeit einschließen würden, erst ab Gewinnungsvorhaben mit einem Fördervolumen von täglich mehr als 500.000 Kubikmeter (500 Millionen Liter) notwendig sind. [8] Paradoxerweise werden diese Mengen gewöhnlich nur bei der konventionellen Gasförderung erreicht, welche die fragliche Chemie gar nicht braucht, nicht aber beim Fracking. So können einem die von der USamerikanischen Umweltbehörde EPA im Anhang einer Studie aufgeführten 600 unterschiedlichen Additive (eine Veröffentlichung des Energie- und Wirtschaftsausschusses des US-Repräsentantenhauses geht sogar von 750 Fracking-Additiven aus), die bereits in Frack-Fluids gefunden worden sind bzw. in amerikanischen Schiefergas-Förderstellen versenkt wurden, um das Gestein erfolgreich zu fracken, bestenfalls Anhaltspunkte geben, wenn sich ein Laie ohne Führer oder chemische Dechiffrierhilfe überhaupt in dem Dschungel aus Formeln, chemischen Latein und Begrifflichkeiten zurechtfindet. [9] Da ist man um jede Deutung dankbar. gebaut wird und dessen Einnahme zu Erblindung und Atemlähmung führen kann, war in den USA Bestandteil von 342 Frack-Fluids [[9] b)]. Es wird in der vergleichbar kritischen Studie allerdings nur als gefährlicher Luftschadstoff geführt. Eine neue umfangreiche Studie der amerikanischen Umweltbehörde EPA mit genaueren Angaben bezüglich der Toxizität dieser Stoffe soll sich immer noch in Vorbereitung befinden, während wiederum nicht auszuschließen ist, daß an vielen Förderstellen in den USA nach wie vor mit diesen Stoffen gefrackt wird. Ebenso ungeklärt bleibt die Frage, inwieweit man auf die gängige Chemie verzichten bzw. auf andere, weniger toxische Substanzen umrüsten kann. potentielle Gefährdung, indem sie betonen, es würde a) im Verhältnis zum Wasserverbrauch nur sehr wenig (je nach Quelle etwa 1 bis 3 Prozent, 0,5 bis 5 Prozent, zusammengefaßt letztlich irgendetwas zwischen 0,2 bis 10 Prozent) von den chemischen Substanzen (reine Additive ohne sogenannte Stützmittel oder Proppants [10]) eingesetzt und diese wären b) mit gewöhnlichen und harmlosen Haushaltschemikalien vergleichbar. Greifen wir aus dem verwirrenden Angebot eines der kleinsten heraus: 0,5 Prozent klingt nach sehr wenig Chemie, heißt aber übersetzt ein halbes Teil "Chemie" auf 100 Teile Wasser. Das wäre bei einem gewöhnlichen Einsatz von Haushaltschemikalien schon sehr viel. Einige Vorgaben gibt es schon Laut dem von der nordrhein-westfälischen Regierung in Auftrag gegebenen Gutachten über "Fracking in unkonventionellen Lagerstätten in Nordrhein-Westfalen" ergab die Auswertung einer Auswahl dieser Additive bereits, daß einige dieser unverzichtbaren Verbindungen bedenkliche Eigenschaften (u.a. sehr giftig, canzerogen, mutagen, reproduktionstoxisch) aufweisen. In den amerikanischen Listen [z.B. [9] b)] werden allein 29 gefährliche Luftbzw. Wasserschadstoffe aufgelistet, die bereits Bestandteile von 652 verschiedenen, bereits verwendeten Frack-Fluiden sind. Das humantoxische Methanol (Methylalkohol), das im Körper in die nervenschädigenden, toxischen Abbauprodukte Ameisensäure und Formaldehyd abSeite 22 Auch die Instanthaltung des gesamten Systems, sein Schutz vor der aggressiven Chemie, erfordert weitere Chemie. Foto: Bill Cunningham, USGS Chemie ja, aber nur ganz wenig! Die Befürworter des Frackings weichen dieser mit einer Gegenfrage aus, ob die verwendeten Konzentrationen für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt überhaupt relevant sind. Sie verharmlosen die www.schattenblick.de Ein Beispiel: Bei einem vergleichsweise harmlosen "Meister-SauberPutzmichnichttot"-Haushaltsreiniger werden gemeinhin eine Verschlußkappe Mittel auf einen 10 Liter Eimer Wasser empfohlen, um "mit einem Wisch alles sauber und glänzend" zu bekommen. Eine Verschlußkappe kann etwa 5 ml fassen. In 10 Liter Wasser kommt man dann bestenfalls auf 0,05 Prozent und dennoch würde ein Gartenbesitzer weder dieses noch das vom Putzen mit gewöhnlichem Hausschmutz verdreckte "Brauchwasser" bzw. den Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick Reinigungs-"Flowback" auf dem Erdbeerbeet "verklappen". Bei einem entsprechend höheren Anteil von 0,5 oder sogar 10 Prozent würden der Boden des besagten Erdbeerbeets noch monatelang bei jedem Regenguß aufschäumen. Dazu kommt, daß in Fracking-Termini nicht von einem 10 Liter Wassereimer die Rede ist, sondern pro Fracking-Einsatz werden je nach Bohrstelle für das Zubereiten der Fracking-Flüssigkeit im Durchschnitt 20 Millionen Liter, also 20.000 Kubikmeter bzw. 20.000 Tonnen oder 666 gewöhnliche Tanklastwagen Wasser benötigt, was summa summarum einen Chemikalieneinsatz (bei einer Konzentration von 0,5 Prozent reine Additive ohne Proppants) von 100 Tonnen ergäbe. Bei den höheren Prozenten 1 bis 3 Prozent, die beispielsweise ExxonMobil von bereits abgeschlossenen Fracking-Projekten angibt, kommt man auf 200 bis 600 Tonnen. Allerdings sind die Angaben des Wasserverbrauchs und der darin gelösten Chemikalien, die dazu bisher veröffentlicht wurden, sehr widersprüchlich [9, 11], was von den Förderfirmen und Befürwortern situationsbedingt begründet wird. Das trägt nicht gerade zur Verständlichkeit bei, läßt sich aber dadurch erklären, daß manche schwerer aufzubrechenden oder tiefer liegenden Gesteinsformationen einen wesentlich stärkeren Wassereinsatz erfordern und dieser wiederum größere Mengen an Chemikalien. So sind die teilweise wesentlich geringeren Angaben der Hersteller für den Wasserbedarf als Mittelwerte zu verstehen, die bestenfalls einen Anhaltspunkt liefern, aber keine Wahrheiten. Da man aber davon ausgehen kann, daß in Zukunft in immer schwerer zugänglichen Bereichen gefrackt werden muß, ist aber eher mit einer Zunahme, denn mit einer Abnahme des Wasser- und Chemikalieneinsatzes zu rechnen. Do. 20. Juni 2013 Falsche Angaben? Dazu kommt, daß Wunschdenken und werbewirksame Pseudo-Transparenz der Förderfirmen bei der Herausgabe solcher Daten offenbar Hand in Hand gehen. So machte bereits vor zwei Jahren die Fracking-kritische Internet-Seite: "Unkonventionelle Gasförderung Berichte, Informationen und Nachrichten zur unkonventionellen Gasförderung und Erdgassuche in Deutschland, Europa und der restlichen Welt" [12] auf eine im Landtag von Niedersachsen veröffentlichte Drucksache aufmerksam, in der in einem Fallbeispiel verschiedener von ExxonMobil durchgeführter Bohrungen in Söhlingen deutlich wird, wie sehr die real verwendeten Chemikalienmengen von den oben behaupteten idealen Mittelwerten abweichen können. Im Diagramm aufbereitet, lässt sich gut erkennen, daß bei 12 von 21 Bohrlöchern der Anteil der Chemikalien bei über 5 Prozent an der Gesamtmenge liegt. Bei 7 von 21 Bohrlöchern liegt der An teil sogar bei über 10 Prozent. Spitzenreiter ist die Bohrung Söhlingen Ost Z1 mit 20,06 Pro zent Anteil Chemikalien. [...] Die Angaben für die Bohrung Söhlin gen Z15 zeigen darüber hinaus, daß mehr als 5 Tonnen Diesel beim Fracking eingesetzt wurden. [12] www.schattenblick.de Nun könnte man besagter Förderfirma vielleicht in diesem Beispiel zugute halten, daß sie mit ihrem Wasserverbrauch bei allen 21 Förderstellen in einer Zehnerpotenz unter den oben angegebenen Werten bleibt, da der höchste Wasserverbrauch der Söhlingen Z14 nicht einmal 3.679.000 Liter übersteigt. 1 bis 4 Millionen Liter mit 20 Prozent Chemikalienanteil verseuchtes Wasser pro Bohrloch lassen sich allerdings nicht so einfach relativieren. In den USA kommen einige Förderstellen sogar auf 35 Millionen Liter pro Bohrloch, zumal dort die Hälfte aller Bohrlöcher in Gebieten liegen, in denen Wassermangel vorherrscht [13]. Mit der Veränderung klimatischer Verhältnisse könnte aber selbst ein geringerer Wasserbedarf zum Problem werden. Harmlose Chemie ist ein Widerspruch in sich, wie sollte sie sonst ihre Funktion erfüllen ein willkürlich zusammengemischter Cocktail kann verheerend wirken. Foto: © 2013 by Schattenblick Nur Chemikalien, wie man sie aus dem Haushalt kennt Im Gegensatz zu 0,05 Prozent Fußbodenreiniger im Wischwasser sind die in Fracking-Zubereitungen verSeite 23 Elektronische Zeitung Schattenblick wendeten, sogenannten Haushaltschemikalien keineswegs harmlos. Frei nach dem für Heilmittel geltenden Grundsatz "keine Wirkung ohne Nebenwirkung" gibt es auch keine wirksame und gleichzeitig harmlose umweltneutrale Alltags-Chemie. Eine willkürliche Mischung von manchen Haushaltschemikalien mit Wasser kann von exotermen Reaktionen (Hitzebildung) bis zur Explosion manche toxischen Produkte erst hervorbringen [14]. In dem Fall spricht man von falscher Handhabung. Hatten wir bereits die Entsorgung von Putzmitteln im Erdbeerbeet in Frage gestellt, so würde man dies sicher bei den möglicherweise noch geringeren Konzentrationen an vermeintlich gängiger Alltags-Chemie wie Schwimmbadreinigern (= Salzsäure), Sterilisationsmitteln für medizinische Instrumente (= Glutaraldehyd), Tafelsalz (NaCl, Natriumchlorid, stabilisiert das Gel), Lösungsmitteln für viele Kunststoffe, hier: Korrosionsschutz (= N,N-Dimethylformamid), Hilfsmitteln in Handseifen, Kosmetika und Waschmitteln (= Borate, sorgen für gleichbleibende Viskosität auch bei ansteigenden Temperaturen) tun, um bei den ersten Beispielen einer Liste zu bleiben, welche die Fracking-Chemie entteufeln will. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall: - Glutaraldehyd ist für Landbewohner und Wasserorganismen stark giftig, verursacht schwerwiegende Augen-, Nasen-, Hals- und Lungenreizungen, die mit Kopfschmerzen, Benommenheit und Schwindel einhergehen und gilt als ökotoxisch. - N,N-Dimethylformamid ist giftig, lebertoxisch und fortpflanzungsgefährdend - Borate sind Salze der Borsäure, die seit 2010 durch die ECHA auf die Kandidatenliste für SVHC (substance ofvery high concern) aufgenommen wurden und keineswegs harmlos, sondern u.a. reproduktionstoxisch sind. Seite 24 Bei genauerer Betrachtung dieser Liste erweist sich nur, daß die Stoffe, die sowohl in Frack-Fluids als auch in Bodenstrukturverbesserern (= Polyacrylamid), Make-Up-Entfernern und Abführmitteln (Petroleumderivate, letztlich Dieselöl), Kosmetika, Gummibärchen und Eiscreme (Andickungsmittel, Strukturbildner = Guargummi), Lebensmittelnzusatzstoffen (= Zitronensäure), natriumarmem Kochsalz (Kaliumchlorid), Cola und Getränkefärbung (= Ammoniumsulfit-Zuckercoleur), in Wasserenthärtern, bei der Glas und Keramikherstellung (Natriumcarbonat und Kaliumcarbonat), Enteisern, Frostschutzmitteln und Haushaltsreinigern (= Ethylenglycol) und Fensterreinigern (= Isopropanol) enthalten sind, eben gerade nicht besonders harmlos sind und einige davon wurden sogar in den letzten Jahren aus dem Verkehr gezogen. ren, sondern auch Milz, Leber und Knochenmark schädigen. Beinahe jede der hier in vermeintlich harmlosen, alltagschemischen Anwendungen vorkommenden Substanzen ist auf irgendeine Weise umwelttoxisch und gesundheitsschädlich. Selbst Kochsalz (NaCl) oder das ebenfalls salzig schmeckende Kaliumchlorid (KCl), das hier als Zusatzstoff für natriumarmes Salz erwähnt wurde, kann sich ab einer bestimmten Dosierung negativ auf die Gesundheit auswirken. Kochsalz erhöht den Blutdruck. Kaliumchlorid kann bei einer intravenösen Applikation zum Herzstillstand durch Hyperkaliämie führen. Dies wird beim Einschläfern von Tieren, bei der Hinrichtung durch die Giftspritze und zur Verhinderung von Lebendgeburten bei späten Schwangerschaftsabbrüchen ausgenutzt. Die tödliche Dosis bei normaler, oraler So sind Petroleumderivate als Ab- Einnahme liegt bei Ratten bei 2,6 führmittel wegen ihres Gehalts an g/kg (LD 50). giftigen und teils krebserregenden Bestandteilen wie Benzol, Toluol, In der bereits erwähnten Fallstudie Ethylbenzol und Xylol (kurz BTEX) Söhlingen [12] wurden außer den längst obsolet. Formaldehyd, früher hier erwähnten Substanzen wie Kaebenfalls in vielen Kosmetika ent- liumchlorid (in Söhlingen Z-15: 46,6 halten und ein gängiges Biozid in Tonnen, in Söhlingen Z-14: 211 TonFracking-Rezepturen, gilt als cance- nen), Diesel (in Söhlingen Z-15: 5,3 rogen (krebserregend) und wurde Tonnen) und Methanol (in Söhlingen deshalb durch das Bedarfsgegen- Z-15: 29.5 Tonnen, in Söhlingen Zständegesetz von Produkten, die auf 14: 1 Tonne) auch weitere brisante der Haut oder im Körper Anwendung Stoffe wie das stark toxische 2-Bufinden, gestrichen. toxylethanol (0,8 Tonnen) oder Nonylphenolethoxylat (1,6 Tonnen) Eine Vergiftung mit Ethylenglycol verwendet. kommt zwar selten vor, ist aber potentiell (mit 1,4 g/kg) möglich. Ethy- Letzteres war 1984 als Nonylphenolenglycol kann bereits durch die le in Verruf geraten, weil bedeutenHaut aufgenommen werden, wirkt de Mengen davon aus Reinigungsreizend und in höheren Dosierungen mitteln in die Fließgewässer gelangnerventoxisch. Eine Einnahme hat ten, wo sie nicht nur toxisch, sondern Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel- auch eine östrogene hormonaktive störungen und lebensbedrohliche Wirkung auf Wasserorganismen Nierenschädigungen zur Folge. zeigten. Dies hatte zunehmend zu eiEthylenglycolmonobutylether, ein ner unnatürlichen GeschlechtspräfeDerivat davon und ein vielbenutztes renz bei Amphibien geführt. Gleitmittel in Frack-Fluids (damit die darin enthaltenen Sandkörner an Man könnte die Liste endlos fortsetihren Bestimmungsort rutschen), soll zen, denn unter den 150 bis 750 vernicht nur rote Blutkörperchen zerstö- schiedenen Stoffen (auch hier variiewww.schattenblick.de Do, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick ren die Angaben je nach Quelle) gibt es kaum einen Stoff, der in den eingesetzten gewaltigen Mengen tatsächlich für Mensch und Umwelt verträglich wäre. Selbst der hier bisher nicht erwähnte Sand, der momentan das beliebteste Stützmittel (Proppant) darstellt, weil er noch kostengünstig zu haben ist, stellt bei einer fortgesetzten Handhabung in diesem Stil ein Problem dar, denn die beim Verschütten erzeugten Quarzhaltigen-Feinstäube sind ähnlich wie Asbest lungengängig und können dort zu Verletzungen und Entzündungen führen. Allein in den USA wurden nur 2011 28,7 Millionen Tonnen Sand beim Fracking in den Boden verpreßt, um die erzeugten Risse begehbar zu halten. Auch diese quantitative Beschaffung wird zunehmend kompliziert. Wo soll das alles herkommen, fragen sich die Kritiker. Welche gewaltigen Bodenbewegungen ein Abbau von einer Stelle und Verpressen an anderer mit sich bringt, fragen sich allerdings die wenigsten. Eines läßt sich allerdings angesichts dieser losen Reihe der in FrackingZubereitungen zu findenden, "ganz gebräuchlichen, herkömmlichen und deshalb harmlosen" Alltags-Chemie klar erkennen. Für den Laien klingen schon die Einzelstoffe wie Siliciumoxid (Quarzsand) oder auch "Dihydrogenmonoxid" (H2O, Wasser) furchterregend. Was sollte ein Nichtchemiker also mit den dezidierten Listen anfangen, in denen Betreiber und Förderer die von ihnen verwendeten Chemikalien genauestens auflisten, ohne Angaben darüber, was daraus entstehen kann und wo diese Stoffe verbleiben, geben Aufzählungen, die mit 1-(1-Naphthylmethyl)quinolinium chlorid und 1(Phenylmethyl)-ethyl pyridinium, methyl-Derivat anfangen und mit Zirconium,tetrakis[2-[bis(2-hydroxyethyl)amino-kN]ethanolato-kO]und α-[3.5-Dimethyl-1-(2-methylpropyl)hexyl]-w-hydroxy-poly(oxy1,2-ethandiyl) aufhören, wenig her. Do. 20. Juni 2013 [9] Die immer wieder geforderte Transparenz kann also gleichermaßen dazu genutzt werden, überhaupt keine Antwort auf die brennenden Fragen zu geben, wie die vermeintlich gut gemeinte, verharmlosende Übersetzung dieser Hieroglyphen in die aus dem Alltag bekannte Chemie, vor deren Anwendungen wie Mineralwasser, Sanduhren oder Nagellackentfernern, Shampoos, Putzmitteln, Fleckensalz, Abflußreinigern, Desinfektionsmitteln u.ä. man sich nur nicht graust, weil man sie darin für beherrschbar hält. Und weil niemand auf die Idee kommen würde, alles zusammen in einen Bottich zu kippen und miteinander reagieren zu lassen. und Natur auf seiner Oberfläche nicht kratzen. Vergessen wird, daß in solchen Tiefen wesentlich höhere Temperaturen vorherrschen, die (siehe [3]) u.a. zur Gewinnung von Erdwärme kommerziell genutzt werden und die zum Teil aus der Entstehungsgeschichte der Erde und zum anderen aus dem radioaktiven Zerfall der dort lagernden uran- und radonhaltigen Erze stammt. Je höher die Temperatur, sagt eine alte Chemikerweisheit, um so schneller laufen die Reaktionsprozesse ab (deshalb gärt der Fruchtsaft in der Sonne und bleibt im Kühlschrank länger frisch). Die hier herrschenden Reaktionsbedingungen (Druck und Temperatur) könnten alle erdenklichen Reaktionen zulassen, die im ReaVermeintlich vorbildliche Transpa- genzglas so nicht vorstellbar sind. renzlisten, in denen man Angaben zur humantoxischen oder ökotoxi- Vergessen ist auch, daß diese Bereischen Wirkung der verwendeten che der Erdkruste noch zu den unerChemie nachschlagen könnte [15], forschtesten Gebieten überhaupt geben nur die mittels Gefahrensym- zählen. Wie künstlich induzierte bol und entsprechend chiffrierten Prozesse hier an der Oberfläche Codes für reizende, ätzende, gesund- spürbar werden können, gehört heitsschädliche und sonstwie toxi- ebenfalls zu den "Unbekannten" in sche Substanzen an. Wird ein Stoff der Rechnung bzw. den Wissensdenormalerweise als Einzelsubstanz fiziten in einer Umweltverträglich"harmlos eingeschätzt" (was in keitsabschätzung. Untersuchungen Kombination mit anderen bekannt- zur Flüssigmüllverklappung oder der lich nichts zu bedeuten hat) steht statt Verpressung von flüssigem Kohlendes chemischen Namens nur "Das stoffdioxid in der Erde (CCS) [16] Produkt ist nach der Richtlinie zeigen bereits, daß chemische Flüs1999/45/BG als nicht gefährlich ein- sigkeiten nicht nur geplante Minigestuft" und sonst nichts. Erdbeben (Fracking) auslösen können, sondern unter bestimmten BeFür Laien wie Chemiker sind Wir- dingungen die seismischen Risiken kungen und Nebenwirkungen der erhöht. Auch kleine Lebewesen (MiFracking- Chemie kaum absehbar, kroorganismen) können in dieser zumal nicht nur die Einzelstoffe der Tiefe nicht ausgeschlossen werden, nicht geklärten Mischungen unter- was der Einsatz von Bioziden in aleinander reagieren können, wie sich len Frack-Flüssigkeiten beweist. Mit bereits aus den bekannten oder er- welchen natürlichen Mineralien die wünschten Reaktionen (s.o.) ablesen Chemikalien der Frack-Zubereitung läßt, sondern auch die daraus entste- reagieren, ob und in welchen Menhenden, nicht weiter definierten und gen sich radioaktive Elemente darin unbekannten Produkte. Dazu lösen, all das läßt sich in Laborexpekommt, daß Fracking-Chemie ge- rimenten nicht abschätzen, auch wöhnlich in 2.000 bis 5.000 Meter nicht, was mit dem sogenannten Tiefe zur Anwendung kommt. Auch Flowback ans Tageslicht gefördert damit will man gemeinhin Gemüter wird, der - wenn alles nach Plan läuft beruhigen: Was so tief unter der Erd- - als Sondermüll entsorgt werden kruste geschieht, kann doch Mensch muß. www.schattenblick.de Seite 25 Elektronische Zeitung Schattenblick So wie in Rumänien befürchtet wird, daß nur ein Fingerzeig der Regierung das Anrücken der Bohrtürme ermöglichen könnte - die Firmen, die hier unlängst die Schürfungsrechte erwerben konnten [17], haben vor, mit allen verfügbaren Mitteln den größtmöglichen Profit aus dem Gestein zu holen -, scheinen nun nach dem gescheiterten Versuch in Deutschland, eine Rechtsgrundlage für solche Anliegen zu schaffen, die Wege dafür auch hierzulande vorerst wieder offen zu sein. Zwar gingen die darin enthaltenen Einschränkungen den Kritikern des Verfahrens noch lange nicht weit genug. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung in Umweltfragen (SRU) hält eine praktische oder kommerzielle Annäherung an das Thema wegen der noch bestehenden Wissenslücken für unvernünftig [7]. Doch ohne gültiges Moratorium bleibt alles beim Alten und damit auch das Risiko für deutsche Lagerstätten, aufgrund des geltenden Bergrechts mit entsprechender Genehmigung vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Clausthal-Zellerfeld - und damit von der Wirtschaftsbehörde als vorgesetzte Fachbehörde - von Förderfirmen erkundet und gefrackt zu werden. Zwischen der Erlaubnis und der Durchführung solcher Vorhaben stehen derzeit nur die Aufmerksamkeit und der Widerstand der besorgten Bevölkerung. Proteste wenden sich derzeit gegen ExxonMobil, die bereits offiziell in Hamburg und Umgebung prüfen dürfen, ob in den Bezirken Bergedorf und Harburg eine Förderung möglich und sinnvoll ist. Die gewaltsamen Anstrengungen, die unternommen werden, um in einem relativ schiefergasarmen Land wie Deutschland gegen alle Proteste und gegen die gegebene Vernunft Frackingvorhaben durchzusetzen, deuten allerdings weitere Wissensdefizite bezüglich der Energiesituation an, die möglicherweise bewußt nicht an die Öffentlichkeit geraten sollen. Sie werfen die Frage auf, welSeite 26 che weiteren Risiken noch mit den hundert Metern Länge Gas freigeschwindenden fossilen Ressourcen setzt werden kann. Entsprechend hoch müssen auch die Risiken und gerechtfertigt werden? Gefährdungen eingeschätzt werden, die sich daraus für Umwelt und Was(Fortsetzung folgt) ser ergeben. Fußnoten: [1] Einige historische Bilder aus der Glanzzeit von Bad Busiasch findet man hier: http://www.dampflokomotiven.net/Galerie1/Galerie1.html [2] Banat (Banschaft, ungarisch Bánság, auch Banat von Temesvar) ist eine historische Region in Mitteleuropa, die heute in den Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Der Begriff Banat leitet sich vom Herrschaftsbereich eines Ban (eine Art Markgrafen) ab. [3] Mehr dazu siehe: http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html [4] http://www.funkforum.net/ print.php?page=ARTICLE&particleid=1852 http://www.adz.ro/artikel/artikel/ banater-protestierten-gegenschiefergasgewinnung/ [5] http://www.dradio.de/dlf/ sendungen/umwelt/2121218/ [6] Technische Maßnahmen Fracking: Gemeint ist das durch den weiterentwickelten, direkt angetriebenen Bohrkopf neu konzipierte Verfahren, erst vertikal und dann horizontal in vielen Strängen gleichzeitig und parallel zu bohren, und dadurch mit einer um ein Vielfaches höheren Menge an Wasser und Chemikalien und 100fach stärkerem Druck in 1000 bis 5000 Metern Tiefe eine Kettenreaktion auszulösen eine Art unterirdisches Mini-Erdbeben -, welche das gashaltige Gestein aufbricht, so daß aus den erzeugten Rissen und Wegbarkeiten von bis zu www.schattenblick.de [7] "Fracking sei energiepolitisch nicht notwendig, leiste keinen maßgeblichen Beitrag zur Energiewende und sei wegen gravierender Wissenslücken riskant." So argumentiert der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) gegen kommerzielles Fracking, aber für Pilotprojekte zur Schiefergasgewinnung. Der SRU sieht seine Empfehlungen auch als Beitrag zur europäischen Fracking-Debatte. Unter "Gutem Fracking" versteht der SRU ausschließlich Pilotprojekte, die an eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung gebunden sind und wissenschaftlich begleitet werden sollen, wobei nur wenige harmlose bzw. keine Chemikalien zum Einsatz kommen sollen. Solche Demonstrationsvorhaben sollten transparent unter Beteiligung der Öffentlichkeit geplant und umgesetzt werden. Alle Kosten sollten dabei "im Sinne des Verursacherprinzips" von fördernden Unternehmen getragen werden. Würden diese Forderungen hinsichtlich der bestehenden Unsicherheiten wirklich ernst genommen, käme das einem Moratorium gleich. http://www.euractiv.de/energie-undklimaschutz/artikel/sru-expertenzum-fracking-enbehrlich-und-riskant-007595 [8] http://www.gesetze-im-internet. de/bundesrecht/uvpbergbv/ gesamt.pdf [9] Eine Liste davon findet sich im Anhang E1, einer 190 Seiten lange Studie der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, Seite 119 a) http://water.epa.gov/type/groundwater/uic/class2/hydraulicfracturing/upload/hf_study_plan_110211_final_508.pdf weitere Informationen: b) http://democrats.energycommerDo, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick ce.house.gov/sites/default/files/documents/Hydraulic-Fracturing-Chemicals-2011-4-18.pdf c) http://www.epa.gov/safewater/ uic/pdfs/cbmstudy_attach_ uic_ch04_hyd_frac_fluids.pdf [11] wie diese scheinbar kritische Veröffentlichung, die rechnerisch bestenfalls von einer Chemikalienkonzentration von etwa 0,15 Prozent ausgeht: http://www.kiefermedia.de/news/article/oelkonzerne-erkunden-europasschiefergas-reserven-bis-20-mio-literwasser-und-35-t-chemikalien-pr.html [16] http://www.schattenblick. de/infopool/natur/chemie/ chula272.html [17] Laut ADZ vom 15. März 2013 handelt es sich um die Firma "Prospectiuni SA" des bekannten TemesDie nach Verwendungszweck warer Magnaten und Multimillionärs sortierte Liste des NordrheinOvidiu Tender, die derzeit SchürfunWestfälischen Gutachtens liefert gen und Ausbeutung von Erdöl, Erdweitere Anhaltspunkte: [12] http://www.unkonventionelle- gas, Schiefergas und anderen wertd) http://www.umwelt.nrw.de/ gasfoerderung.de/2011/05/29/bis- vollen Mineralen im Land, aber auch umwelt/pdf/gutachten_fracking_ zu-20-prozent-chemikalien-imin Afrika durchführt. Diese habe es nrw_2012_lang_04.pdf frackwasser-bei-soehlingen/ Ende Februar geschafft, die Schürund dazu: fungsrechte für Schiefergasvorkom[10] Die Prozentangaben der einge- http://www.landtag-niedersachmen in der Zone dieser Ortschaft zu setzten Chemikalien variieren in den sen.de/Drucksachen/Drucksaerlangen. einzelnen Studien. 0,5 Prozent ist da- chen_16_5000/3501-4000/16http://www.adz.ro/artikel/artikel/ bei eine der geringsten. In dem Gut- 3591.pdf das-dorf-gegen-die-millionaersfirma achten von ExxonMobil geht man [13] Siehe auch: von generell 1 bis 3 Prozent Additi- http://www.schattenblick.de/info- Laut einem kürzlich erschienenen ven aus, die hier ebenfalls als "gerin- pool/umwelt/redakt/umre-143.html ADZ-Bericht vom 2. Juni 2013, mußge Menge" eingestuft werden. Im ten Lokalbehörden der Gemeinde Gutachten von NRW wird die [14] So wird aufVerpackungen von Sanmihaiu Roman im Kreis Temesch Spannbreite auf von 0,2 bis 10 Pro- (natriumhypochloridhaltigen) Ab- die bereits an ein Unternehmen erteilzent eingeschätzt. Bei dieser Rech- flußreinigern gewöhnlich davor ge- ten Schürfrechte auf Druck der Benung werden die sogenannten Stütz- warnt, das Mittel mit säurehaltigen völkerung wieder zurückziehen. mittel oder Proppants (weitere 20 Reinigungsmitteln in Berührung zu http://www.adz.ro/artikel/artikel/Prozent), bei denen feiner Sand, aber bringen. Die Säure setzt aus dem Hy- schiefergas-fracking-in-europaauch synthetisch erzeugte Keramik- pochlorit extrem toxisches und ät- traum-oder-albtraum/ kügelchen oder Kunststoffe in Frage zendes Chlorgas frei. kommen, ausgeschlossen. http://www.schattenblick.de/ Siehe auch [15] http://www.erdgassucheinfopool/natur/chemie/ http://frackingfrei.wordpress.com/ in-deutschland.de/files/ chula277.html studien-und-gutachten/ damme_3_materialverbrauch.pdf BUCH / ROMANE / REZENSION Elsie Chapman Du oder Ich (Thriller, Science Fiction) Angesichts der Tatsache, daß am 1.5.2013 in Cumberland/Kentucky ein Fünfjähriger seine zweijährige Schwester mit einer Waffe erschoß, die er gerade zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und man weiß, daß jedes Jahr in Amerika Do. 20. Juni 2013 30.000 Menschen durch den Gebrauch von Schußwaffen sterben, denkt man im ersten Moment "typisch Amerika", wenn man dem Gespräch zwischen der 15-jährigen West Grayer und ihrem ein Jahr älteren Bruder Luc zuhört, mit dem das www.schattenblick.de Elsie Chapman Du oder Ich Deutsche Erstausgabe Titel der Originalausgabe: Dualed Aus dem Amerikanischen von Alexandra Baisch Knaur Verlag, München 2013 329 Seiten, € 16,99 ISBN: 9783426653296 Buch "Du oder Ich" von der in Kanada lebenden Autorin Elsie Chapman beginnt. Die zwei Jugendlichen unterhalten sich über ihre Kampfausbildung als "Substitute" und es entblättert sich ein Gesellschaftssystem, in dem jeder Mensch einen Seite 27 Elektronische Zeitung Schattenblick Doppelgänger hat, den er von Geburt an zu hassen hat und den innerhalb eines Monats zu töten er irgendwann im Alter zwischen 10 und 20 den Auftrag vom "Board" bekommt. Das nächste, was man sich fragt ist: Beruht dieser Roman auf einem Computerspiel? Denn assoziativ verbindet man den Begriff "Board" gleich mit Tastatur. Aber wenn man im Wörterbuch nachschlägt, findet man auch die Bedeutung "Behörde", die hier wohl zutreffender ist. Wieso die Doppelgänger allerdings "Substitute" heißen, bleibt bis zum Ende unerklärlich, denn "Substitute" bedeutet eigentlich "Ersatz", "Vertretung" oder "Austausch". Die Menschen, die ihre Doppelgänger ermorden, ersetzen sie jedoch nicht. Sie reißen eine Lücke in Familien, Freundeskreise, Liebesbeziehungen. Denn diese Doppelgänger sind einfach andere Mitmenschen, die in anderen Familien aufgewachsen sind und nur durch genetische Manipulationen dasselbe Aussehen haben. Kersh, die letzte kriegsfreie Zone der Welt. gewinnen, ist die größte Herausfor derung für jeden Kämpfer. (Seite 5051) Aber der Preis um hier leben zu kön nen, ist hoch. Um innerhalb der Grenzen einigermaßen sicher zu sein, müssen wir uns im Gegenzug auf die Gefahr im Außen vorbereiten. Der Krieg im Surround dringt als konstante Bedrohung zu uns vor, bro delt immerzu direkt unter der Ober fläche. Deshalb zieht man uns zu Soldaten heran. Denn eine Stadt vol ler Killer zu überwältigen, wäre kein leichtes Unterfangen. Einmal davon abgesehen, daß Genkarten zu erstellen und neu zu gestalten noch keine veränderten Menschen erzeugt, fragt man sich doch, wozu ein solcher Umstand betrieben werden soll. Gegen wen, bitte schön, soll denn hier gekämpft werden? Davon, daß die Stadt tatsächlich gegen ein feindliches Umfeld verteidigt wird, ist nämlich nirgendwo die Rede. Die Erwachsenen müssen sich weder fit halten noch zu irgendwelchen Reserveübungen antreten oder sich gar als Soldaten bewähren. Genausowenig bekommt man irgendetwas vom Krieg im Surround, der auf Kersh überschwappen könnte, mit. Und selbst wenn eine Bedrohung existent wäre, müßte man sich doch fragen, welchen Sinn es haben soll, die Hälfte der Gesellschaft zu eliminieren, bevor sie überhaupt die Stadt verteidigen kann. Da die Stadt vom Rest der Welt ab geriegelt ist, Raum und Mittel also begrenzt sind, sind hier nur die Be sten von uns erwünscht. In seiner Genialität hat das Board Substitute kreiert, indem es die Gene so mani pulierte, dass zwei identische Kinder von zwei unterschiedlichen Eltern paaren gezeugt werden. Jedem Paar kommt dabei die Aufgabe zu, den be sten Killer heranzuziehen, den, der am härtesten im Nehmen ist. 'Was soll das Ganze?', fragt man sich. West Grayer, aus deren alleiniger 23 Seiten weiter wird erklärt, wie Sicht dieser dystopische Roman ge- diese Genmanipulation funktionieschrieben wurde, gibt dem Leser auf ren soll: Seite 27 eine eher dürftige - und auch nur auf diese eine Textstelle be- Wenn Eltern ein Kind wollen, ruft schränkte - Erklärung, die auch wie- das Board ihre individuelle Genkar der eher wie die Einleitung in die te ab und erstellt eine neue, daraus Hintergrundwelt eines Computer- kombinierte. Das nächste Elternpaar spiels klingt: durchläuft dieselbe Prozedur. Dann Damals, als der universelle Gripp eimpfstoff die unschöne Nebenwir kung irreversibler Unfruchtbarkeit mit sich brachte, gelang es dem Board, die menschliche Rasse durch ein System von konstanten und sorg fältig überwachten biologischen Eingriffen am Leben zu erhalten. Doch die menschliche Natur ist dar auf ausgerichtet, sich zu zerstören, egal wie viele Chancen sie erhält, und Krieg überzog die Welt. Eine Untergruppe des Boards spaltete sich ab, beanspruchte die obere Westküste Amerikas für sich und kehrte allen anderen den Rücken. Die stark bewachte Stadt nannten sie Seite 28 nimmt das Board die Genkarten bei der Babys und generiert das, was man einen SubstituteCode nennt. Dieses künstliche Genmaterial wird codiert, damit es die Gene so steuert, daß die äußeren Merkmale überein stimmen. So gesehen sind Substitute wie Zwillinge. Das macht es ihnen leichter, sich gegenseitig zu finden sie müssen einfach nur nach ihrem eigenen Gesicht Ausschau halten. Manchmal überschreitet die Substi tutenCodierung ihre Parameter und greift auf andere Gene zu, so daß die beiden Substitute über ähnliche Re flexe, Hirnmuster und Sprachfähig keiten verfügen. Sich selbst zu besie gen und einen Weg zu finden, um zu www.schattenblick.de Die Kinder durchlaufen in der Schule zwar eine Ausbildung, die sie dazu befähigen soll, ihre Doppelgänger zu ermorden, hat ein Kind jedoch das Pech, schon mit 10 Jahren den Auftrag zu bekommen, muß es eben versuchen, ohne Vorbereitung seinen Zwilling zu meucheln. Wenn es Glück hat, hat es noch Geschwister, die dafür sorgen, daß es sich frühzeitig im Gebrauch von Waffen übt. Doch nicht selten sind alle Geschwister schon zuvor diesem abartigem System zum Opfer gefallen und es muß sich allein durchs Leben schlagen, in dem die Substitute nicht nur der ständigen Angst ausgesetzt sind, umgebracht zu werden, sondern auch ein Leben zweiter Klasse führen müssen, denn Substitute dürfen nur minderwertige Nahrung kaufen und bekommen nur die niedrigsten Jobs. Erst als Vollendeter, also als Mörder seines Doppelgängers, darf ein Kersh-Bewohner sein Leben so gestalten, wie er es möchte. Und das drückt sich darin aus, einen bequeDo, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick men Job zu ergattern, heiraten zu rem Antrittsgespräch den Auftrag, dürfen und Kinder zu bekommen. ein 13-jähriges Mädchen zu killen, was ihr mehr schlecht als recht geFür West Grayer liegt dieses Ziel lingt. Das kaltblütige Abschlachten noch in verhältnismäßig weiter Fer- Minderjähriger, deren Überlene, als Lucs Freund Chord mit der benschancen sie gerade durch den Hiobsbotschaft zu ihnen stößt, gera- Umstand minimiert, daß diese nicht de aktiviert worden zu sein, also den mit einem Gegner rechnen, der nicht Auftrag bekommen zu haben, inner- so aussieht wie sie, scheint ihr morahalb der nächsten 31 Tage sein Eben- lisch keine Probleme zu bereiten. bild zu ermorden. Sollte das weder ihm noch seinem Widersacher gelin- Die einzigen Emotionen, wenn man gen, werden beide eliminiert, denn es überhaupt so nennen will, äußern alle Substitute haben eine Zeitschalt- sich in der stereotyp wiederkehrenuhr im Kopf, die nach Ablauf der 31- den Trauer über den Verlust ihrer GeTage-Frist das Gehirn zerstört. schwister und in der Angst um das Leben ihres Freundes, der ihr beisteHat man die Abscheu, sich in eine hen will und den sie ständig zurücksolche Gesellschaft hineinversetzen weist, was sich auf so nervtötende zu müssen, erst einmal überwunden, Weise wiederholt und mit oberflächkann man sich zumindest mit der lichen Dialogen und aneinandergeHoffnung ans Lesewerk machen, daß reihten Belanglosigkeiten durchsetzt es der Protagonistin vielleicht gelin- ist, daß gelegentlich auftretende gen kann, dieses menschenverach- Spannungsmomente im Nu verpuftende System irgendwie zu Fall zu fen. bringen. Die Diskrepanz zwischen ihrer TrauDiese Annahme, sollte man meinen, er und der Kaltblütigkeit, mit der ist bei einem solch abartigen Kon- West andere Teenager ermordet, ohstrukt menschlicher Barbarei selbst- ne das geringste dabei zu empfinden, verständlich. Jedoch gibt es nieman- läßt kein stimmiges Charakterbild den in diesem Plot, der das System aufkommen und schon gar keine wirklich in Zweifel zieht. Es geht Sympathie. Zeitweise könnte man den Protagonisten gar nicht darum, obwohl man auch über sie nichts eretwas gegen das Regime zu unter- fährt - eher mit ihrer Widersacherin nehmen, sondern zu lernen, wie man sympathisieren, da die sich wenigsich am besten in das System einfügt stens mit ihrem Freund zusammenund das Überleben sichert. Auch die tut. Und es stellt sich die berechtigte Striker, jene Auftragskiller, die vor- Frage, weshalb es die Andere wenigeben, sich dem System zu widerset- ger verdient hat weiterzuleben? zen, indem sie gegen Bezahlung den Auftrag eines Substituten überneh- Sollte sich West solche Fragen auch men, stützen es, da sie den Wohlha- gestellt haben, hat sie das dem Lebenden ermöglichen, ihr Leben frei- ser nicht mitgeteilt, obwohl ihr Verzukaufen. halten einen solchen Schluß zulassen könnte. Als sie nämlich selbst Schwer nachzuvollziehen bleibt bis ihren Auftrag bekommt, ist sie zwar, zum Schluß, warum West beschließt, was das Ermorden von Menschen sich dieser Killerorganisation anzu- betrifft, schon recht geübt und es dienen. Da sie zu jung für die schu- wäre für sie ein leichtes gewesen, lische Waffenausbildung ist, vermu- ihre Doppelgängerin auf dieselbe tet man zunächst, daß ihr dort eine Art und Weise ins Jenseits zu beförentsprechende Ausbildung im Mord- dern wie die Opfer ihrer anderen handwerk zukommt. Doch weit ge- Aufträge. Dennoch geht sie ihr alfehlt. Nach dem Motto 'learning by lem Anschein nach wochenlang aus doing' bekommt sie gleich nach ih- dem Weg, wobei dem Leser erst Do. 20. Juni 2013 www.schattenblick.de nach einem Zeitsprung von drei Wochen erlaubt wird, daran teil zu nehmen. Die letzten der ihr verbliebenen 10 Tage flieht sie von einem Stadtteil zum nächsten. Dies irrationale Verhalten klärt sich auch nicht durch das beharrliche Drängen ihres Freundes, es zu erklären. Es dient lediglich dazu, das Buch mit statischen Umgebungsbeschreibungen zu füllen. Denn im Laufe des Romans durchstreift man als Leser drei der vier Bezirke Kershs: Jethro, das Industrieviertel, in dem West heimisch ist und sich gut auskennt, Gaslight, das ähnlich wie Jethro aufgebaut ist, allerdings statt mit Fabrikgebäuden mit Wasseraufbereitungsanlagen ausgestattet ist, und Leyton, den Sitz des Boards, Geschäftsviertel und damit reichster Distrikt. Calden, in dem wohl hauptsächlich landwirtschaftliche Erzeugnisse produziert werden, wird nur am Rande erwähnt. Bei dieser Einteilung und auch dadurch, daß Kersh rundum durch eine riesige, unter Strom stehende eiserne Barriere vom Surround abgetrennt wird, hat man unwillkürlich ein Brettspiel vor Augen, das dem Spieler nur so viel Informationen liefert, wie ein Spielfeld aufzuzeigen vermag. Natürlich schmückt die Autorin diese Informationen noch mit einigen Details aus, dennoch erlebt man diese Umgebung nicht, sondern betrachtet sie lediglich. Die seelenlose Handlungsweise der Protagonistin nebst den farblosen Darstellungen der Nebenpersonen machen das Lesen zu einem nur schwer erträglichen Unterfangen. Hinzu kommt, daß man das ganze Geschehen immer nur aus Sicht West Grayers geschildert bekommt. Ein Perspektivwechsel hätte diesem Roman wenigstens ein wenig Farbe verleihen können. Was denkt der Freund beispielsweise, und vor allem, was geht in der Doppelgängerin vor? Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Doppelgängerin wäre sicher interessant gewesen. Daraus hätten sich nicht nur viele interesSeite 29 Elektronische Zeitung Schattenblick sante Konflikte ergeben, sondern dies hätte eventuell auch zu weiterführenden Fragen führen können, ob das mörderische System nicht vielleicht im Zusammenschluß angreifbar wäre. Doch solche Fragen sind in diesem Roman nicht vorgesehen. Jeder nicht einmal vorhandene Widerstandsgedanke gegen das System versickert zum Schluß dann auch - Hollywood läßt grüßen - in erfüll- daß ihre Regierung mit ihren Drohnen in Pakistan und wo imter Zweisamkeit. mer es ihr beliebt reihenweise Dieser Roman paßt in eine Welt, Menschen abknallt. in der ein Menschenleben nicht mehr wert ist als der Bildschirm- Nur, muß man sich eine Lektüre auf pixel, den es mit einem Tasten- dieser Grundlage wirklich antun? druck zu eliminieren gilt. Und er http://www.schattenblick.de/ paßt zur Mentalität einer amerikainfopool/buch/romane/ nischen Mehrheit, die offensichtburor140.html lich nichts daran auszusetzen hat, SPORT / BOXEN / MELDUNG Wachsender Widerstand gegen Profiauftritte bei Olympia Profiverbände befürchten Abwanderung namhafter Akteure Nachdem die Pläne des Weltverbands der Amateurboxer (AIBA), bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro auch Profis zuzulassen, fast schon die Konsistenz einer unumstößlichen Faktenlage angenommen hatten, formiert sich nun immer massiverer Widerstand gegen dieses Vorhaben. So haben sich der Nordamerikanische Boxverband NABF, der Profiverband World Boxing Council (WBC) und die Europäische Boxunion (EBU) entschieden gegen diese Option ausgesprochen und wollen gemeinsam einen Protest formulieren. Wie es in einer Stellungnahme der NABF heißt, sei Amateurboxen auf den Rückhalt aller Länder angewiesen und sollte nicht an den Rand gedrängt werden, wie dies die AIBA offenbar bei den Olympischen Spielen beabsichtigt. Profiboxen würde ohne den Amateursport gar nicht existieren. Man sei "entschieden dagegen, Profiboxen bei den Olympischen Spielen einzuführen, weil weniger entwickelte Länder einen deutlichen Nachteil hätten". die eine Disziplin wie Boxen mit sich bringe. Da sich die Athleten gegenseitig schlagen, bestehe erhöhte Gefahr, daß ein unerfahrener Amateur im Kampf gegen einen Profi Verletzungen davontragen könnte. Auch die EBU weist daraufhin, daß Boxen ein gefährlicher Sport sei, in dem professionelle Sportler Gegner aus weniger entwickelten Ländern verletzen könnten. Man habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, den Standpunkt des World Boxing Councils zu unterstützen und eine Protestnote gegen eine solche Entwicklung an die AIBA und das Olympische Komitee zu senden. [1] José Sulaimán, seit 1975 Präsident des im Jahr 1963 gegründeten WBC, das neben der WBA, IBF und WBO zu den vier maßgeblichen Weltverbänden des Profiboxens gehört, kämpft mit harten Bandagen in eigener Sache. Er droht dem Amateurbox-Weltverband AIBA sowie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Präsidenten Jacques Rogge mit Klagen. Wie der inzwischen 81jährige Verbandsveteran erklärt hat, erwarte er eine AntAls zweites Argument führen die wort auf seine Einwände. Sollte diedrei Verbände Sicherheitsaspekte an, se weiterhin ausbleiben, müßten sich Seite 30 www.schattenblick.de "Herr Rogge, das IOC und die AIBA" auf Klagen einstellen. Er vertrete nicht nur die Interessen des WBC, sondern spreche im Namen aller, die sich gegen die Errichtung von Monopolen wehren. Vor einigen Wochen hatte sich der WBC-Präsident in schriftlicher Form bei IOC-Präsident Rogge über die jüngsten Pläne der AIBA beschwert. Dabei monierte Sulaimán insbesondere, daß der Amateurverband immer mehr Profis anlocke und diese im Alleingang nach Olympia bringen wolle. Diese Vorgehensweise generiere plötzlich einen riesigen Zuspruch des Amateurlagers, während den Profiverbänden das Wasser abgegraben werde. Offenbar fürchtet Sulaimán, daß das WBC seine Weltmeister und damit seine wichtigste Einnahmequelle an die AIBA verliert, mithin sein Lebenswerk in Gefahr ist. Seinen Aussagen zufolge soll Rogge der AIBA schriftlich zugesichert haben, daß das IOC voll und ganz hinter der Professionalisierung der AIBA steht. Der scheidende IOC-Chef sieht darin offenbar eine Chance, die angestaubten olympischen WettDo, 20. Juni 2013 Elektronische Zeitung Schattenblick kämpfe aufzupolieren. Allerdings ist Rogge demnach auch bekannt, daß die AIBA für ihr neues Profiprogramm noch 130 Millionen Euro benötigt. Da AIBA-Präsident Wu Ching-Kuo eine Kandidatur als Rogge-Nachfolger erwogen hat, wäre im Falle seines Erfolgs das Programm der AIBA nicht mehr aufzuhalten. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, daß Wu Ching-Kuo tatsächlich das Rennen machen könnte. [2] Startplätzen sowie ein Qualifikationsmodus, so daß er Jahre vor den Spielen nicht mehr für seine eigene KMG-Promotion boxen dürfte. Dessen ungeachtet zeichnet sich die Bereitschaft der Funktionäre ab, das Unmögliche möglich zu machen. Nach den Ringern fürchten auch die Boxer den olympischen Tod, weshalb unter den bedrohten Sportarten der Druck wächst, sich spektakulär und fernsehtauglich zu präsentieren. Die bloße Diskussion über einen möglichen Auftritt Klitschkos in Rio bescherte dem olympischen Boxen größere Aufmerksamkeit, als diese Disziplin während der gesamten letzten Spiele in London verbuchen Wie diese Kontroverse zeigt, sind die angeführten Sachargumente gegen die Professionalisierung des olympischen Boxturniers zwar durchaus bedenkenswert, jedoch im Grunde nur der Schaum auf dem Gebräu konkurrierender Profitinteressen. Die seit Jahrzehnten von schweren Korruptionsfällen, Manipulationsvorwürfen Fortsetzung von Seite 16 und katastrophalen Fehlentscheidungen geprägte AIBA steht nach wie vor Fußnoten: "How Jimmy Carter and I Started the Mujahimit dem Rücken an der Wand und [1] deen." Interview mit Zbigniew Brzezinski, in: Le träumt vom großen Befreiungsschlag. Nouvel Observateur, 15.1.1998. Zitatangabe aus: der Westen Russland braucht. Die erstaunIhr derzeit wichtigster Bündnispart- Warum Wandlung des Zbigniew Brzezinski. Von ner ist Wladimir Klitschko, der sich liche Hauke Ritz, in "Blätter für deutsche und internain den Kopf gesetzt hat, an den Olym- tionale Politik" 7/2012, S. 89-98, pischen Spielen 2016 in Rio de Janei- http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/juro teilzunehmen und dort seine zwei- li/warum-derwesten-russland-braucht te Goldmedaille nach 1996 in Atlan- [2] Zur aktuellen Lage in Afghanistan zu empfehSkype-Interview mit Reiner Braun vom 27. ta zu gewinnen. Wenn der Weltmei- len: Mai 2013 im Schattenblick unter INFOPOOL → ster erklärt, es gehe ihm dabei nicht POLITIK → REPORT: INTERVIEW/173: In Kanichts Neues - Afghanistan getreten, geschunum Geld, sondern um Ruhm, zeugt bul den und verlassen (SB), http://schattenblick.de/dies von einem ausgeprägten Instinkt infopool/ für eine erfolgreiche Selbstinszenie- politik/report/prin0173.html [3] Interviewäußerung von Walther Stützle, NDR rung und -vermarktung. Info, Streitkräfte und Strategien, 10.03.2007, zit. n.: Nach dem geltenden Reglement der AIBA ist seine Olympiateilnahme schlechterdings unmöglich. Demnach dürfen nur Profis an den Spielen teilnehmen, die das 40. Lebensjahr nicht vollendet und maximal 15 Profikämpfe bestritten haben. Beides trifft für den Ukrainer nicht zu, der bereits 62 Profikämpfe absolviert hat und gut vier Monate vor der Olympiade in Rio de Janeiro 40 Jahre alt wird. Überdies müßte er sich der Profisparte der AIBA anschließen, was für ihn angesichts der Regularien mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden wäre. Hinzu kommt eine begrenzte Anzahl von Do. 20. Juni 2013 Ende im Grab, 16.03.2007, www.german-foreignpolicy.com [4] Interview von Reiner Braun mit Dieter Deiseroth aus der Zeitschrift "W & F 1/2013". Aus: Konferenzinformationen "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht. IALANA - Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen. Für gewaltfreie Friedensgestaltung, S. 4 [5] Siehe auch das Interview mit Hauke Ritz am Rande des Bremer Kongresses "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 28. April 2013 im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT: INTERVIEW/174: Quo vadis NATO? - Hegemonialmißbrauch, Hauke Ritz im Gespräch (SB), http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0174.html [6] Die Welt als Schachbrett - Der neue Kalte Krieg des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski. Von Hauke Ritz, in gekürzter Fassung erschienen in "Blätter für deutsche und internationale Politik", 7/2008, www.schattenblick.de konnte. Wladimir sei ein besonderer Botschafter seines Sports. Das wisse auch die AIBA, ist sich Klitschkos Manager Bernd Bönte der Zugkraft des Champions bewußt. Fußnoten: [1] http://www.boxen.de/news/immer-mehr-verbaende-gegen-profisbei-olympia-27132 [2] http://www.handelsblatt.com/boxen-olympia-profiboxer-wollenrogge-verklagen/8221890.html http://www.schattenblick.de/ infopool/sport/boxen/ sbxm1123.html In ungekürzter Fassung veröffentlicht vom Nachrichtenmagazin "Hintergrund", http://www.hintergrund.de/20080826235/ politik/welt/die-welt-als-schachbrett-der-neue-kalte-krieg-desobama-beraters-zbigniew-brzezinski.html [7] Die Rückkehr der Geopolitik - Eine Ideologie und ihre fatalen Folgen. Von Hauke Ritz, in "Blätter für deutsche und internationale Politik" 3/2013, S. 71-80 http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/maerz/die-rueckkehr-der-geopolitik [8] Warum der Westen Russland braucht. Die erstaunliche Wandlung des Zbigniew Brzezinski. Von Hauke Ritz, in "Blätter für deutsche und internationale Politik" 7/2012, S. 89-98, http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/juli/warum-der-westen-russland-braucht [9] Zbigniew Brzezinskis geostrategisches Grundlagenwerk "The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives" von 1997 erschien auf deutsch unter dem Titel "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft". 2007 erschien "Second Chance - Three Presidents and the Crisis of American Superpower" und 2012 "Strategic Vision - America and the crisis of global power". [10] "No Rivals"-Plan: Den Aufstieg konkurrierender Mächte in Europa und Asien verhindern. Auszüge aus dem neuen Leitlinien-Entwurf des Pentagon. GLASNOST archiv, Dokumentationssystem für Gesellschaftstheorie, Geschichte und Politik, http://www.glasnost.de/militaer/92 norivals.html Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/1992, übersetzt von der Redaktion [11] Siehe auch das Interview mit Nikolay V. Korchunov, dem Stellvertretenden Ständigen Repräsentanten Rußlands bei der NATO in Brüssel, am Rande des Bremer Kongresses "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 28. April 2013 im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT: INTERVIEW/171: Quo vadis NATO? - Hegemonialschaft USA - Nikolay V. Korchunov im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/politik/ report/prin0171.html Seite 31 Elektronische Zeitung Schattenblick ______I n h a l t_____________________________________Ausgabe 769 / Donnerstag, den 20. Juni 2013______ Getretene Würde - Teil des Problems Planspiel Stadtbereinigung - Okkupation auf leisen Sohlen - Gespräch mit Flo vom AKU Kurzweiliges für den 20.06.2013 - Musik Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? USA und Taliban nehmen Friedensverhandlungen auf Spott statt Tage des Ruhms Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie Elsie Chapman - Du oder Ich (Thriller, Science Fiction) Wachsender Widerstand gegen Profiauftritte bei Olympia Und morgen, den 20. Juni 2013 BÜRGER - TICKER BÜRGER - REPORT TAGESSPALT POLITIK - REPORT POLITIK - REDAKTION SCHACH-SPHINX NATUR - CHEMIE BUCH - ROMANE SPORT - BOXEN DIENSTE - WETTER Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite 1 4 10 10 16 17 18 27 30 32 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 20. Juni 2013 +++ Vorhersage für den 20.06.2013 bis zum 21.06.2013 +++ Auslaufender Regen, gewittrig und schwül, mit Grollen erregen Jean-Lucs Hochgefühl. © 2013 by Schattenblick IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. 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