Spiel - NERV Magazin
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Spiel - NERV Magazin
MA G A ZI N FÜR ST UDENTISCHES SEIN 02 2014 LIEBE NERV-LESER * INNEN, CHEFREDAKTEUR Vreda Marschner GRAFISCHES KONZEPT UND LAYOUT Christine Edelmann und Katrin Pultermann HERAUSGEBER Jan Felix Bergmann (AStA) REDAKTION Nele Beck, Marvin Dreiwes, Christine Edelmann, Kornelius Friz, Aline Gallas, Julian Hocker, Vreda Marschner, Katrin Pultermann LEKTORAT Nele Beck, Christine Edelmann, Kornelius Friz, Julian Hocker, Vreda Marschner, Mareike T. EXTERNE BEITRÄGE Hendrik Buhr, Lena Discherl, Hannah Feiler, HoKi, Urs Humpenöder, Anne K., Marlene Klünker, Veronika Knaus, Marcel Kurzidim, Milan Lugerth, Kevin Momoh, Anne-Sophie Nagels, Mihau Pollak, Dustin Rauch, Eva Reuter, Julia Roth, Julia Rüegger, Eric Christopher Straube, Johann D. Thomas, Andre Vespermann Gesetzt aus Adobe Garamond Pro, GeosansLight, Geneva Papier Recymago 115 g; Resaoffset 250 g Druck B&W Druckservice, Bad Salzdetfurth, b-und-wdruck.de Auflage 1.000 Stück Finanziert aus Mitteln des AStAs der Stiftung Universität Hildesheim, Marienburger Platz 22, 31141 Hildesheim (ViSdP). Die Artikel geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Impressum alles ist Spiel, irgendwie. In all unserem Handeln, in jeder Interaktion mit der Gesellschaft, verbergen sich Komponenten des Spiels. Was ein Spiel dabei ausmacht, kann ganz unterschiedlich sein, denn unterschiedlich ist jeweils die Gestalt, die es dabei annimmt. Sei es nun das völlig vertiefte Spiel des sich selbst genügenden Kindes, für das alles Mögliche als Spielmaterial herhalten kann – ein Spiel, das oft aber auch ganz ohne Material stattfindet und das mit scheinbar völliger Zweckfreiheit daherkommt. Seien es alle möglichen Arten des Gesellschaftsspiels, allen voran das Brettspiel, mit dem sich auch Erwachsene gerne die Zeit vertreiben und das nur im Rahmen eines festen Regelwerks und mit Hilfsmitteln wie Würfeln, Spielfiguren etc. funktioniert. Außerdem natürlich Computer- und Videospiele, die auch allein gespielt werden können, oft zum Abschalten des überarbeiteten Verstands. Schließlich all unser Schauspiel in der Interaktion mit unseren Mitmenschen, bei dem wir Eigenschaften des Spiels auf unser Handeln im Alltag ausweiten und übertragen. Da gibt es Machtspiele, Kennenlernspiele, Flirtspiele oder schlicht jenes alberne Herumgeplänkel, das sich gerne unter guten Freunden einstellt. Wir spielen überall und andauernd und zu völlig unterschiedlichen Zwecken. Schiller behauptete sogar, dass das Spiel eines der Merkmale sei, die uns zu Menschen machten. Was uns doch nämlich vom Tier unterscheidet, ist unsere Fähigkeit der Imagination und die Fähigkeit, alternative (Ir)Realitäten zu akzeptieren. Im Spiel kann sich der Spielende völlig verlieren und ganz neue Welten aufbauen. Spiel hilft uns, die Welt um uns herum experimentell zu erforschen, uns in der Gesellschaft zurechtzufinden, unserem Alltag etwas Schwere zu nehmen. Spiel kann also als eine Art Instrument verstanden werden, eine Art Kompass vielleicht. Und diesen Kompass überlasse ich nun euch, macht euch mit ihm und dem neuen NERV auf in ein neues Abenteuer, begebt euch auf die Spielwiesen dieses Lebens, testet die Achterbahnen Niedersachsens, streift durch schwindende Dorfidyllen oder spielt ganz einfach eine Runde Vier gewinnt! Also: Let the games begin; auf die Plätze, fertig, los; neues Spiel – neues Glück usw. usf. HERZLICHST, VREDA MARSCHNER, CHEFREDAKTEURIN 8 Einige ernstzunehmende Bedenken zum Spiel Spiel Gesellschaft Hildesheim Spiel mit deinem Leben – fahr Achterbahn! 10 Hildesheimer Spielplätze 14 I ♥ GAMES 20 Spiel mit mir 26 Vielleicht liegt es an Tschernobyl 32 Killerspiel 36 Das Spiel des Lebens – Spielideen 38 Heimat, Nostalgie & Abrissbirnen 40 Nicht mal lächeln 44 Face – Gesichter einer Stadt 46 Studierende und die Politik 56 hilde in your face 58 »Der Homo ludens in der Universität« 64 Hilde Tag und Nacht 70 6 mal 6 Fragen an das STATE OF THE ART #6 73 Das Königreich eines Kindes 76 Kultur Inhalt Milka Luflée 80 Stadtsommer 82 STETS BEMÜHT 84 »Ich bin Swagoptimist« 90 HoKi 94 8 Einige ernstzunehmende Bedenken zum Spiel 10 Spiel mit deinem Leben – fahr Achterbahn! 14 Hildesheimer Spielplätze 20 I ♥ GAMES 26 Spiel mit mir EINIGE ERNSTZUNEHMENDE BEDENKEN ZUM SPIEL Ende der Vorbereitung. Los geht’s: Erstens. Erstens: Das Spiel wird vorbereitet. (Geschehen.) Zweitens: Spiele ahmen das Leben nach. Nachahmung ist Vereinfachung. Vereinfachung reduziert Ernsthaftigkeit. Nachahmung ahmt auch Ernsthaftigkeit nach. (So einfach ist das.) Drittens: Spiele sind unentschieden. Nicht total egal. (Nein.) Nicht wirklich wichtig. (Nein nein.) Weder unernst, noch ernst. Oder beides. Also: Wenn ein Spiel entschieden wird, ist es vorbei. Und: Über Unentschiedenheit kann man sich unterhalten. Unterhaltung ist unterhaltsam. Viertens: Spiele sind vom Leben abgetrennt. Fünftens: Spiele haben Regeln. (Das Leben auch? Ah, aber nur da, wo es Spiel ist.) Sechstens: Spiele haben einen Anfang und ein Ende. (Spiele haben keine Mitte.) Siebtens: Spiele haben eine Reihenfolge. Vierzehntens: Spiele haben ein Ende, das nicht der Tod ist. (Leben hat ein Ende, das der Tod ist.) Fünfzehntens: Spiele gelten auf Zeit. Das Leben tut immer ewig. Immer: ewige Liebe, ewiger Tod. Neuntens: Im Spiel bin ich frei. Aber Achtung: Fünftens: Spiele haben Regeln. Im Spiel bin ich gebunden. Das Spiel zwingt mich, mich an die Regeln zu halten. Nein, doch lieber Neuntens: Im Spiel bin ich frei. Aha: Regeln machen frei. Spiele haben Regeln. Im Spiel bin ich frei. Zehntens: Aus dem Spiel kann ich aussteigen. Ja, kann Siebenundzwanzigstens: Ich spiele, damit ich mich auch wieder einsteigen. Und wieder. Und wieder. Ins nicht langweile, wenn die Arbeit getan ist. (Alles Lüge. Leben: nur einmal. Einmal mit dem Leben anfangen, In Wahrheit (jetzt mal ganz ernsthaft) spiele ich gegen irgendwann (einmal) mit dem Leben aufhören. Spiele die Angst vor der Lächerlichkeit der Ernsthaftigkeit. sind wiederholbar. Leben ist einmalig. (Leben ist Schutz. Hab’ nur gespielt. NUR! Oh, großes »nur«.) pathetisch. – Ach ja, deshalb muss es ewig so tun als sei Achtundzwanzigstens: Es gibt verschiedene Spiele. es ewig. Leben ist Lüge. Oha. Ist Spiel Wahrheit?) Sehr verschiedene Spiele. (Oh ja.) Elftens: Spiel wird das, was ich als Spiel betreibe. Wenn Manche Leute finden manche Spiele doof. (Jaja.) ich mich nicht entscheide, ob ich, was ich tue, ernst Elftens: Spiel wird das, was ich als Spiel betreibe. nehme oder nicht, dann spiele ich, dann spiele ich Was ich – nur – als Spiel betreibe, ist für dich vielleicht, wohl. (Was ich als Spiel betreibe, ist für dich vielleicht kein Spiel. kein Spiel.) Achtundzwanzigstens: Manche Leute finden » Zwölftens: Wer das Spiel ernst nimmt, zermanche Spiele doof. DAS LEBEN stört das Spiel. (Alles ist gewichtig.) Wer das Einunddreißigstens: Spiele machen Spaß. Spiel nicht ernst nimmt, zerstört das Spiel. BESTEHT IN DER Ein doofes Spiel ist kein Spiel. (Alles ist unwichtig.) Das Spiel ist das Letzte, MÖGLICHKEIT Fünfunddreißigstens: Manche Leute finden ZU SPIELEN. was ich noch ernst nehmen kann. alle Spiele doof. « Sechzehntens: Das Leben. Sechsunddreißigstens: Das Leben ahmt Das Leben besteht in der Möglichkeit zu Spiele nach. spielen. Das Spiel hat aufgehört, wo die Möglichkeit zu Neunundzwanzigstens: Es ist ein Unterschied, ob spielen angegriffen wurde. (Kriegterrortoddemenzge- Erwachsene oder Kinder spielen. Kinder haben offendichte) bar die größere Erfahrung. (Was war gemeint? Die Möglichkeit, zu spielen. Oder: Zweiunddreißigstens: Es gibt professionelle Spieler Die Möglichkeit zu spielen (auszuspielen; wir spielen (Schauspieler zum Beispiel.) Bin ich nicht. Spiele das, was möglich ist. Wir spielen. Was möglich ist.) ?) trotzdem. Denke: Müssen Spieler nicht gerade AmaSiebzehntens: Spiele haben ihren Raum. Spiele haben teure sein? Antworte mal: Ja. – Ja-ha! Das ist es also ihre Zeit. Es gibt einen Spielplatz. auch, was die Professionalität der professionellen SpieAchtzehntens: Gegenüber der unvollkommenen Welt ler ausmacht: Amateur bleiben zu können, man denke: kann das Spiel für kurze Zeit Vollkommenheit aus- professionell Amateur bleiben. Das ist die Profession strahlen. (Hach.) des Spielers. Zweitens: Spiele ahmen das Leben nach. Dreißigstens: Spielen kann süchtig machen. (Vorsicht.) Sechsunddreißigstens: Das Leben ahmt Spiele nach. Denn: Neunzehntens. (Bitte wiederholen.) Fünftens: Spiele haben Regeln. Siebzehntens: Spiele haben ihren Raum. Spiele haben ihre Zeit. Vierundzwanzigstens: Das Spiel ist grenzenlos. Marcel Kurzidim 9 Zum Beispiel: Das Spiel ist das Letzte, was man noch ernst nehmen kann. Das Spiel kann man ernst nehmen, weil draufsteht, dass man es nicht so ganz ernst zu nehmen hat. Alles, was Ernsthaftigkeit behauptet, wird sofort lächerlich. Na ja. Man kann das Spiel als Spiel ernst nehmen. Aber dann so: nur als Spiel. Man nimmt das Spiel nicht als Leben (ernst). » SPIELE GELTEN AUF ZEIT. DAS LEBEN TUT IMMER EWIG. IMMER: EWIGE LIEBE, EWIGER TOD. « 8 10 Eric Christopher Straube Eric Christopher Straube (Hodenhagen) Glückwunsch, lieber Serengeti-Park, denn du wirst dieses Jahr 40 Jahre alt! Und trotzdem, der Reiz, der diesen Park ausmacht, ist nur selten in der Welt zu finden. Hier sind die eigentlichen Attraktionen die über 1.500 Tiere des Parks: 1972 wollte ein britischer Herzog im beschaulichen Zentrum Niedersachsens den größten Safaripark Europas bauen. 1974 war es dann so weit und Hodenhagen wurde zu einem neuen Erlebnismekka. Für viele immer noch unglaublich, wie man mit dem eigenen Auto durch riesige Gehege fährt, die Tiere aus dem Fenster streicheln und füttern kann. Zehn Jahre später begann dann der Ausbau zum Freizeitpark. Heute besitzt der Park nicht nur eine enorme Anzahl an Tieren, sondern mit der größten Parkfläche Deutschlands auch vier einzigartige Themenbereiche. Hier auch gleich der erste Besuchertipp: Macht die Safari durch die Expedition Tierwelt im zweiten Tages teil. Denn 90 % aller Besucher bleiben früh im Auto sitzen und fahren erst durch den Hauptteil des Parks. Ergebnis: Es kommt zu langen Staus und der Puls der Fahrer geht in die Höhe. Deswegen erst einen Parkplatz suchen und durch die drei anderen Parkteile gehen. Mittelpunkt ist die Freizeitwelt. Hier fahren die beiden Parkeisenbahnen ab, mit denen man den nördlichen und südlichen Parkteil einmal umfährt. Weiterhin findet man hier einen Hochseilgarten, in dem man kostenlos klettern kann – also unbedingt machen (diese Attraktion kostet zum Beispiel im später noch vorgestellten Heide Park zusätzlich 16 Euro). Daneben SERENGETI-PARK Beginnen wir mit dem Park, der am einfachsten zu erreichen ist, dem nur ca. 25 km entfernten Rasti-Land in Salzhemmendorf. Der seit über 40 Jahren in Familienbesitz befindliche Park wurde mit wahrer Männerkraft errichtet. Knapp die Hälfte der Attraktionen wurde ohne große Firmen der Branche erbaut und so besitzt der Park ein ganz eigenes Flair. Mit der NordWest-Bahn kommt man stündlich direkt von Hildesheim nach Osterwald. Die Fahrt dauert 30 Minuten. Zum Park sind es dann noch einmal ca. 20 Gehminuten. 21,50 Euro beträgt der Eintritt, um das Reich von Rasti, dem Parkmaskottchen, betreten zu dürfen. Danach steht man sprichwörtlich im Wald. Thematisierung besitzt der Park nur an manchen Stellen, dafür aber beherbergt er verschiedenste Baum- und Pflanzenarten, die nur vereinzelt am Wildwuchs vorbeigehen. Trotzdem immer noch besser als Parks, die gar keine Schattenflächen in heißen Sommermonaten bereitstellen. Will man zur Hauptattraktion, muss man einmal durch das gesamte Areal laufen. Im Reich des T-Rex’ findet man eine der besten Rafting-Bahnen Deutschlands. Die wilde Bootsfahrt in Rundbooten durch verschiedene Stromschnellen mit Wellenbecken, Wasserfällen und anderen Effekten lässt einen bei keiner Fahrt trocken, der Nässegrad ist perfekt bemessen. Direkt daneben befindet sich ein Splash-Battle, bei dem man sich gegenseitig abschießen kann – und auch hier bleibt kein Auge trocken. Im restlichen Park warten verschiedene Rutschen, eine Schiffschaukel mit Piratenfahrt und die weltweit erste Bob-Kart-Bahn auf die Besucher. Abgerundet wird die Landschaft von der einzigen rosafarbenen Achterbahn in Deutschland, bei der man zumindest in der hintersten Reihe leichte Airtime und damit das typische Magenkribbeln verspürt. Das Rasti-Land ist vor allem auf Familien ausgerichtet, aber auch Paare und Freundesgruppen finden hier ihren Spaß. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist vollkommen in Ordnung, da sich der Park gut an einem Tag erleben lässt und viele Attraktionen auch für mehrfache Fahrten geeignet sind. Abschließend bleibt nur zu sagen, dass man sich Topp: Sympathischer wird’s nicht, der wohl familiärste Park in Deutschland. Weiterhin: Außerhalb der niedersächsischen Ferien ist im Park nur wenig los und man muss nie anstehen. Flop: Achterbahn- und Thrillsüchtige kommen in diesem Park leider gar nicht auf ihre Kosten. Hier sollte der Park vielleicht einmal nachlegen. PLATZ 2 Zumindest vor 100 Jahren ging es noch um Leben und Tod. Heute sind moderne Achterbahnen das sicherste Transportmittel auf der Welt und dabei noch das spaßigste. In jeder Größenordnung, auf jedem Kontinent, in allen Farben und den wildesten Designs findet man heute die Großanlagen eines jeden Freizeitparks vor. Die Rangliste der Welt führt Amerika an, zur Zeit holt Asien groß auf, doch auch mit dem Angebot an Achterbahnen in Europa kann man durchaus zufrieden sein. Es geht um Kontrollverlust, Adrenalin, darum, dem Alltag zu entfliehen oder einfach nur Spaß zu haben. Ob als Paar, in der Gruppe oder mit der Familie, der Rausch eines Freizeitparks zieht jährlich Millionen Menschen in seinen Bann. Doch wir schauen heute nicht nach Amerika oder China, nein, wir sehen uns in Niedersachsen um, genauer gesagt, im Gültigkeitsbereich unseres Semestertickets. Denn Freizeitparks sind oft nicht die billigsten Ausflugsziele. Deswegen checken wir jetzt für euch drei Parks nach Spaßfaktor, Erreichbarkeit und natürlich Preis-Leistungs-Verhältnis. (Salzhemmendorf) RASTI-LAND PLATZ 3 SPIEL MIT DEINEM LEBEN – FAHR ACHTERBAHN! das Rasti-Land einmal im Studienalltag mit Freunden gegönnt haben sollte. Hier ist am Ende noch hervorzuheben: Die Wildwasserbahn des Parks wurde bis auf die Boote komplett vom Park selbst gebaut – wenn das nicht mal Engagement ist, das sich zu unterstützen lohnt. 11 Topp: Die Aqua- und Dschungelsafari sind weltweit einmalig, den Spaß den man hier hat, kann man nirgendwo sonst so erleben – unbedingt machen! Flop: Der Parkplan ist sehr verwirrend und dazu gibt es viele versteckte und nicht beschriebene Orte im Park, die es sich lohnt zu erkunden. Schade, dass hier seit Jahren nicht nachgebessert wird. 12 (Soltau) HEIDE PARK RESORT PLATZ 1 steht die älteste Achterbahn des Parks, mit Top-Spin und Breakdance. Diese zwei typischen Kirmesattraktionen, fahren hier im Familienmodus. Mit dem Riesenrad bekommt man eine wunderbare Übersicht über den Park. Hauptattraktion hier ist aber die in Europa einmalige Aquasafari. Man fährt von einem persönlichen Guide begleitet in originalen Airboats aus Florida durch einen Kanal, um anschließend mit bis zu 80 km/h über das Wasser zu schießen. Dafür lohnt sich auch das Anstehen. An diese Attraktion schließt sich die Wasserwelt an. Hier finden sich wieder diverse Fahrgeschäfte, die man vom Volksfest kennt, für Abkühlung sorgt hier aber vor allem die Wildwasserbahn. Vierter und letzter Parkteil ist die Affenwelt. Hier versteckt sich eine andere, deutschlandweit einmalige Attraktion. Doch bevor man zu dieser kommt, kann man knapp zwanzig verschiedene Affenarten im Park bestaunen – manche ohne Gitter und direkt zum Anfassen, andere durch einen speziellen Tunnel. Star ist hier seit 2013 der ehemalige Hausaffe von Justin Bieber. Speziell für »Mally« hat der Park Mally-Bu errichtet, eine Insel nur für Kapuzineräffchen, um sich von der Vermenschlichung zu lösen. Die Hauptattraktion Dschungelsafari befindet sich allerdings im Menschenaffenreservat. Hier geht es in einem offenen Jeep über wilde Pisten durch die Gehege und dann durch einen geheimen Wald mit Wasserfällen und so mancher Überraschung. Eine Attraktion, die man nur hier findet und durch den Wechsel der Fahrer auch mehrmals an einem Tag Spaß macht. Der Tageseintritt beträgt 28 Euro. Zu empfehlen ist die Anreise mit dem Auto. Oft gibt es Gutscheine für eine kostenlose Person pro Auto – kostenlos ist aber auf jeden Fall das Parken. Sollte man nicht mit dem Auto anreisen, bringt einen der Heidesprinter Erixx von Hannover aus in 40 Minuten nach Hodenhagen. Von dort aus läuft man noch einmal ca. 25 Minuten zum Park. Dazu werden für die Bussafari – die dafür aber geführt ist und moderiert wird – pro Kopf fünf Euro berechnet. Spaß finden hier aber alle zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, was in dieser Art auch einmalig ist. Zu empfehlen ist der Park nach Meinung des Autors aber vor allem für Paare. Warum? Findet es selbst heraus! Bereits 2000 kannten über 60 % der deutschen Bürger den seit 1978 familiengeführten Heide Park Soltau. 2001 übernahm die britische Tussauds Group den Park, welche 2007 wiederum von Merlin Entertainment geschluckt wurde. Heute, in der 37. Saison, kennen bereits 80 % den Park, der nach dem Europa-Park in Rust (Baden-Württemberg) der zweitgrößte Deutschlands ist. Jeder der drei Besitzer eröffnete zwei Achterbahnen, die zu ihrer Eröffnung Deutschlandneuheiten waren oder Rekorde brachen. Ist es im Park voll, kann es schon mal passieren, dass man nicht alles an einem Tag schafft, also geht es früh um 7:07 Uhr mit der S-Bahn nach Hannover und von dort im Erixx bis nach Wolterdingen. Um 9:35 Uhr steigt man aus, läuft 20 Minuten zum Park und ist leider nicht um 10 Uhr zur Parköffnung vor Ort, sondern steht an der Kasse und wartet auf sein Ticket. 43 Euro kostet der Spaß, hier sei aber angemerkt, dass es fast immer irgendwo in Deutschland gerade eine 2:1-Aktion gibt, zwei Tickets für den Preis von einem. Und wenn man diese nicht findet, bietet der Park Online-Tickets zu niedrigeren Preisen – damit entfällt auch das lästige Anstehen. Wie bereits angedeutet, bietet der Park viele Möglichkeiten für alle Besuchergruppen. Über 60 Attraktionen sind zu entdecken, darunter allein neun Achterbahnen. Herauszuheben ist die größte Holzachterbahn Europas, Colossos, die mit ca. 120 km/h auch die schnellste Bahn im Park ist. Die neuste Erweiterung ist der erste Wing-Coaster Deutschlands: Im Flug der Dämonen hat man je nach Sitzposition ein anderes Flugerlebnis mit nichts unter oder über sich. Zum Achterbahnportfolio gesellen sich weiterhin die Abschuss-Achterbahn Desert Race, der Dive-Coaster Krake mit nasser Überraschung oder die längste Bobachterbahn Deutschlands. Abgerundet durch die beiden Überschlagsachterbahnen Big Loop und Limit und die Familienbahnen Grottenblitz und Indy-Blitz, präsentiert der Park eine ausgewogene Mischung der unterschiedlichsten Typen, bei denen jeder eine neue Lieblingsbahn findet. Im Schatten der Achterbahnen gibt es viele weitere Thrill-Attraktionen, die Adrenalinräusche vom Feinsten versprechen. Hier ist der weltweit höchste GyroDrop-Tower Scream mit einer Gesamthöhe von 103 Metern positiv zu erwähnen – reine Fallhöhe 71 Meter. Ebenfalls besonders: Im Land der Vergessenen findet man einen Bereich, in dem der Park sieben Kirmesfahrgeschäfte im Maya-Stil betreibt, die allein durch den Einsatz von Bambus zu einem unglaublichen Spaß werden – versprochen. Ein anderer Adrenalinschocker ist das Horrorkabinett Krake lebt!, in dem Merlin seit 2013 die besten Effekte seiner bekannten Dungeons verbaut hat und man neben der Achterbahn eine von Schauspielern vorgeführte Geschichte erlebt – ein absolutes Parkhighlight. Das Heide Park Resort bietet natürlich noch viel mehr. Vom externen Kletterparadies über diverse Übernachtungsmöglichkeiten bis hin zu dutzenden Events im Laufe des Jahres wie der jährlichen Halloween-Nights oder den Pyro-Games. Ein Besuch im Park lohnt sich auch mehrmals – und dann lohnt sich auch eine Merlin-Jahreskarte, mit der man noch mehr Vorteile genießt. Topp: Achterbahnauswahl, wie man sie in Deutschland kein zweites Mal findet und zu ungewöhnlichen Themen gestaltete Fahrgeschäfte (auch wenn da nicht alles top ist). Flop: Der Heide Park ist ein Gut-Wetter-Park. Es gibt kaum überdachte Attraktionen, d. h. sobald es regnet, macht der halbe Park dicht. Unbedingt vor Besuch Wetterbericht checken! Über den Autor: Eric Christopher Straube ist seit über 15 Jahren begeisterter Achterbahnfan, aktives Mitglied im Freundeskreis Kirmes und Freizeitparks e.V. und schreibt seit einem Jahr für das deutschsprachige Newsportal airtimers.com. Seine gefahrenen Achterbahnen hat er aufgehört zu zählen. 13 HILDESHEIMER SPIELPLÄTZE DRISPENSTEDT HopplaHopp Indoor-OutdoorSpielplatz · Kruppstraße 5 HIMMELSTHÜR Salzwiese NORDSTADT Friedrich-Nämsch-Park OSTSTADT Steingrube MORITZBERG Am Königsteich (Bennoburg) MITTE An der Innerste-Au SÜDSTADT Bromberger Straße ITZUM Leinkampstraße 14 Katrin Pultermann, Christine Edelmann Nordstadt · Friedrich-Nämsch-Park Moritzberg · Am Königsteich (Bennoburg) 15 16 Drispenstedt · HopplaHopp, IDS Indoorspielplatz GmbH · Kruppstraße 5 · 31135 Hildesheim Mitte · An der Innerste-Au Himmelsthür · Salzwiese 17 18 Itzum · Leinkampstraße Südstadt · Bromberger Straße Oststadt · Steingrube 19 I ♥ GAMES Am Anfang war der Neid. In meiner damaligen Grundschulklasse hatte U. einen Gameboy bekommen. Der kleine U. wurde plötzlich zum coolsten Jungen der Klasse. Ein Knopfdruck katapultierte ihn vom Aus ins Zentrum. Sein sozialer Aufstieg war spätestens mit Erklingen der Melodie besiegelt. Er hatte Mutter, Vater, zwei Omas und zwei Opas. » Einer seiner Großväter war augenEIN KNOPFDRUCK scheinlich trotz seines Greisenalters KATAPULIERTE IHN VOM mit der Gabe des Zeitgeistes gesegnet: AUS INS ZENTRUM. Er hatte ihm einen Gameboy geschenkt. Ich fand das ganze damals « mäßig. Zum einen hatte ich nur halb so viele Großeltern wie U. und zum anderen wollte auch ich einen Gameboy (den sozialen Aufstieg gleich inbegriffen). Gemeinsame Stunden auf U.s Straßenteppich brachten mich Richtung Glück: Zu seinem Geburtstag bekam er einen Nintendo 64, ich seinen alten Gameboy. Damals waren mir seine tieferen Gründe egal. Hauptsache, ich konnte endlich dieses Lion´s King, von dem alle sprachen, in die Pfoten bekommen. Eines meiner selbst ernannten Ziele war es zudem, meinen Tetris–Rekord zu verbessern. Steine stapeln sagte meine Ma. Im Grunde hatte sie recht, aber unter dem Aspekt der frühkindlichen ästhetischen Bildung betrachtet war es viel mehr: Formen erkennen, Informationen analysieren, Perspektiven wandeln und dann fachgerecht einordnen. Und das binnen Sekunden. mit welcher Attacke nun am besten vorgegangen werden sollte. Der kleine Bildschirm war irgendwann nicht mehr genug, ein neues Heiligtum musste her. Auf dem Nintendo 64 von F. wurde Zelda (Ocarina of time) gespielt. Epona galoppierte mit uns durch die Felder, wir kämpften für Gerechtigkeit und lösten Rätsel, deren Aufgabenstellung auch einen Volljährigen herausgefordert hätte. (Im Ernst: Fuck you, Gohma!) Die gemeinsamen Stunden lehrten mich, dass alle ihre Stärken und Schwächen haben. Zwar wusste F., wie man jedes Versteck ausfindig machte, ihre Zielsicherheit mit dem Pfeil ließ aber zu wünschen übrig. Teamwork war das Zauberwort. Außerdem begann ich, Musik großartig zu finden. Da sich keine Ocarina auftrieben lies, kaufte ich mit meinem ersten hart ersparten Geld eine Playstation 1. Meine Eltern waren nicht begeistert, aber dankbar, dass die Kinder jetzt endlich Ruhe gaben. Dank Breath of Fire begriff ich die Wichtigkeit von Toleranz. Ich verstand, dass auch Wissenschaft (Momo!) cool sein kann und dass Schicksale selbst in die Hand genommen werden müssen. Die Begeisterung für Drachen (also ehrlich, wer findet die nicht cool?) steigerte meine Zuneigung Erst war der Neid, dann kam die Gier. Nachdem der erste Kontakt hergestellt war, wollte ich mehr. Mehr Spiele, bessere Graphiken, neue Abenteuer. Donkey Kong Land, Super Mario Land, Worms, Turtles. Ich wollte sie alle haben. Dank meines unverwüstlichen Durchhaltevermögens kam es bald zum ersten schmerzhaften Muskelkrampf im Daumen. Um nicht mehr alleine spielen zu müssen und natürlich um weiteren schmerzhaften Daumendramen zu entkommen, spielte ich mit meiner Schwester gemeinsam Pokémon. Aus mein wurde unser, wir teilten die Begeisterung und eroberten Orden für Orden. Nebenbei lernten wir, wie schön es sein kann, auch mal Verantwortung abzugeben und im Plenum zu besprechen, 20 Aline Gallas Lena Dirscherl · www.lenadirscherl.com 21 zu Ryu nur noch mehr. Verstoßen von der Gesellschaft, auf der Suche nach der eigenen Herkunft. Sehr bewegend und schön. Dass harte Kerle mit blöden Sprüchen eigentlich nur unsichere Jungs sind, wurde mir spätestens bei Grandia klar. Also ehrlich, da kämpft man sich in einer gigantischen Welt über eine kilometerhohe Mauer (hier wird CD 2 eingelegt, damals ein riesiges Drama: Wo ist die CD?), findet neue Freunde, besiegt Bösewichte und dieser Knilch braucht einfach ewig, um zu wissen, was er wirklich will. Dagegen ist Shadow Hearts II schon richtig gefühlvoll, wo wir gerade bei Männern sind, die wissen, was sie wollen. Aber genug von klischeehaften Männerhelden. Lara Croft (Tomb Raider) war eine der zentralen Frauenfiguren in meinem (Gamer-)Leben. Abenteuerlustig, taff und beladen mit Waffen. Okay, letzteres ist pädagogisch nicht unbedingt wertvoll, aber zu meiner Verteidigung muss gesagt werden: Die Wölfe hätten mich sonst zerrissen! Ja, ich gebe zu, die meisten meiner Klassenkameradinnen kannten Lara nicht und fanden die Turtles jetzt nicht unbedingt großartig. Die Pferdemädchen kannten nur die Schlümpfe 22 und das Kellog’s Smacks Spiel (Tony & Friends in Kellogg’s Land). Doch nur weil sie vorher keinen Kontakt zu richtigen Games hatten, hieß das nicht, dass die Pferdemädchen sich nicht bei Tekken prügeln wollten. Tekken, auch so eine Sache. Schnell zu verstehen, aber die richtige Handhabung ist eine Kunst für sich. Von starken Kämpfer*innen zu flotten Kisten: Grand Turismo lehrte mich, dass die schönste Karre (schwarzer matter Lack, grüne Unterbodenbeleuchtung) nicht unbedingt die beste sein musste. Es kommt auch auf den Inhalt an. Wo bei Grand Turismo eine Autoauswahl der Sonderklasse herrschte, ließ sich das Mario-Kart-Angebot gut mit einem Wort beschreiben: Dürreperiode. Dafür gab es jedoch Bananen. Bananen und Blitze. Ein geniales Konzept bleibt eben genial. Nach kurzen Intermezzi mit den Sims (und Roller Coaster Tycoon) wurde mir klar, dass ein Leben ohne Geld ein trauriges sein würde. Eine Lösung in diesem Falle: Ein »Cheat« musste her und so konnte ich den tragischen Simsfiguren (benannt nach Jungs, die ich toll fand, unter anderem Kurt Cobain – aber den ließ ich im Pool ertränken und stellte den Grabstein neben dem Briefkasten auf) teure 23 Sofas, Aquarien und weniger hässliche Teppiche kaufen. Von Steuererklärung und Studiengebühren war da nie die Rede! Wenn der ganze Trouble um die Ehefrau, den Job und die Nachbarn zu viel wurde, tauchte ich in die Welt der weniger realistischen Spiele ein. Spyro und Goofy (Kingdom Hearts) schafften es, mich wieder zum Lachen zu bringen. Mit niedlichen Helden durch die Gegend zu stapfen war schon sehr tröstlich. Zwar war Spyro schön anzusehen, aber interessant fand ich auch Spiele, bei denen der Hauptcharakter nie zu sehen war. Bei You don´t know Jack gab es nur die herrliche Stimme des Quizmasters. Der wusste, wie man den Nagel auf den Kopf trifft. Kategorien wie Sekt oder Selters würden Quizduell wahrlich simpel erscheinen lassen. Durch das geistige Aufwärmen mit Jack war ich bereit, mich den Verrätselungen von The Day of the Tentacle zu stellen. Noch kräftezehrender waren jedoch die tagelangen Erlebnisse in absurden Psychiatrieräumen (Edna bricht aus). Das Spiel rund um Edna war knatterbunt, verdreht und traurig. Proportional zur Farbenvielfalt verhält sich die eigene Begeisterungskurve. Weniger farbenfroh wurde es bei 24 Machinarium. Zwar war noch immer die Detailliebe zu finden, doch während der gefühlsduseligste Roboter aller Zeiten zielsicher durch die Metallschrottstadt stakst, bricht einem die » Tristesse beinahe das Herz. Tausend Kleinigkeiten machen aus einem Spiel ein ästhetisches TAUSEND KLEINIGKEITEN Meisterwerk. Fantasie und Farbe. Mut und MACHEN AUS EINEM SPIEL EIN Abenteuerlust. Durch diverse Entscheidungen ÄSTHETISCHES MEISTERWERK. ändert sich bei manchen Games der Spielver« lauf. Ein großartiges Beispiel dafür ist Beyond: Two Souls. Es entsteht eine ganz eigene Geschichte, die nach Belieben neu interpretiert werden kann. Wieder und wieder. Allen, die noch nie wirklich in die Welt der Games abgetaucht sind, rate ich Folgendes: Auch wenn Erkältungen, Regenwochen oder Liebeskummer nicht die schönsten Erlebnisse der Weltgeschichte sind, eine Rechtfertigung, die Konsole anzuwerfen, sind sie allemal. 25 SPIEL MIT MIR 26 Markus zieht noch einmal an der Zigarette. Der Schaffner schaut den Bahnsteig entlang und nickt ihm zu. Die Zigarette landet auf dem Boden und »Alles einsteigen bitte«. Hinter ihm schließen sich die Türen. Nachdem er ein paar Schritte getan hat, setzt sich der Zug in Bewegung. Ihr Rollkoffer steht für ihn im Mittelgang bereit. Die Rucksäcke hat sie bereits verstaut und die Jacken aufgehängt. Sie haben den Vierersitz für sich allein. Markus greift sich den Koffer und hievt ihn über die Sitze. Nachdem er sich hingesetzt hat, reicht sie ihm die Bonbonpackung und die Handcreme. Sie mag es nicht, wenn er nach Rauch stinkt. Er kramt die Zeit raus und trifft auf einen Artikel mit der Überschrift »Nur geduldet«. Es geht um die Situation von Flüchtlingen in Deutschland. Auf dem Foto sieht man eine Familie von der Elfenbeinküste in ihrem kargen Wohnzimmer. Sein Blick folgt weiter den Wörtern. Seine Gedanken driften ab. Wie wäre es, wenn er eine Asylsuchende fast am Ende ihrer Kräfte finden würde? Wickelt sie in eine Decke, nimmt sie mit nach Hause, hilft ihr und irgendwann – Clara greift seine Hand, ohne von ihrem Roman aufzuschauen. Er legt die verschränkten Hände auf seinen Oberschenkel, um sie von seinem Schritt fern zu halten. Mit einer Hand ist es schwer, eine Zeitung zu lesen. Er denkt an das vergangene Familientreffen. Ihre Mutter hatte Geburtstag und war 70 geworden. Markus hatte ihr angesehen, dass sie für ein Großmutterdasein noch längst nicht bereit war. Er hatte das stumm beobachtet und nichts gesagt. »Sorry, is’ hier noch frei?« Die junge Frau zeigt auf den Platz ihm gegenüber. Markus nickt. Früher hätte ist das irgendwie unbefriedigend.« Nachdem sie man sie vielleicht Fräulein genannt, aber mittlerweile gewonnen hat, streckt sie ihre Hand über das Spielfeld, fehlt die passende Bezeichnung für Jugendliche, die am bestätigt das gute Spiel und stellt sich als Lene Bertol Erwachsenwerden sind. Sie setzt sich mit all ihren vor. Lene ist siebzehn und macht jetzt ein zweiwöchiges Sachen und atmet noch mal durch. »Boa. Gut zu sitzen. Hab’ mich ganz schön gestresst. Fast den Zug ver- Schülerpraktikum in München bei dem Lokalteil der passt.« Markus nickt. Sie beginnt umständlich, das Süddeutschen. Ihre Mutter hat sie alleine erzogen. Chaos auf ihrem Schoß zu ordnen. Indem sie die Ohne Geschwister. Wegen dem Job der Mutter sind sie Taschen und Flaschen, Brottüten und ihren Hut drei- viel umgezogen und leben seit drei Jahren in Leipzig. mal woanders hinstellt, bis die Dinge ihren Platz Markus lächelt. Er mag, dass sie redet. Er hört zu und gefunden haben. Wo geht’s hin?« Markus räuspert sein lächelt. Am Münchner Bahnhof schaut sie mit all ihren langes Schweigen weg. »München.« »Ah super, ich auch. Also ich muss auch dahin.« Taschen den mittlerweile dunklen Bahnsteig entlang. Markus setzt den Rollkoffer ab und hilft seiner verMarkus nickt. »Ich mach da ein Praktikum. Beginnt morgen. schlafenen Frau aus dem ICE. »Na, Lene, dann wünsch ich dir schöne zwei Weiß zwar noch nicht, wo ich heute Nacht penne, aber Wochen in München!« das wird bestimmt. Wo kommst du her?« »Danke.« Gestresst schaut sie hin »Wir waren gerade in Berlin. Die » und her, versucht sich zu ordnen. Mutter meiner Frau hatte Geburtstag.« MARKUS ZUCKT MIT »Oh, ihr seid verheiratet. Voll schön. »Also dann mach es gut!« DEN SCHULTERN UND Glückwunsch.« »Ja, ihr auch!« Markus nimmt das WIRFT DEN ERSTEN Gepäck und läuft Hand in Hand mit »Danke.« STEIN IN DIE SPALTE. Clara Richtung Haupteingang. Er »Haste vielleicht Lust auf ’ne Runde « schaut sich noch einmal nach ihr um Vier gewinnt?« Markus nickt. Sie zieht das kleine Spiel aus der Tasche und verund sieht sie nach Hilfe suchen. teilt die roten und gelben Steine. »Willst du anfangen?« »Sie war nett«, sagt Clara. Markus nickt. Es klingelt. Markus öffnet Lene die Tür. Es ist Markus zuckt mit den Schultern und wirft den ersten Stein in die Spalte. Kurz betrachtet sie den Wurf und dunkel geworden und es war schon dunkel, als sie überlegt, als ob es schon viel zu entscheiden gäbe, anrief. Sie steht mit all ihren Taschen vor der Tür»Eigentlich mag ich Vier gewinnt nicht sonderlich. Es schwelle. »Komm doch rein!« »Oh danke, das is’ so lieb von euch.« Ohne etwas ist mir zu simpel und zu oft gewinnt keiner. Ich muss nicht unbedingt gewinnen, aber wenn keiner gewinnt, abzustellen umarmt sie ihn. »Tut mir auch total leid. Milan Lugerth 27 Ich wusste nicht, was ich machen soll und hatte noch Markus betrachtet nachdenklich den Tisch »Wir haben Claras Namen im Kopf. Hab ihn an ihrem Koffer gar keine Spiele.« »Was? Gar keine Spiele?« abgelesen.« »Gar keine Spiele.« Vom Treppenhaus kommt man direkt ins Wohn»Nich’ so schlimm. Ich hab noch welche dabei.« zimmer. Eine lederne Couchgarnitur füllt den Raum Sie setzen sich und er verliert erst und ist auf den Flachbildfernseher » vier Runden bei Vier gewinnt und gerichtet. Dahinter steht der Esstisch. Noch aufgeräumt bevor sie nach SIE HAT IHRE KNIE FAST DIE lernt danach Canasta. Markus lacht. GANZE ZEIT ZWISCHEN Canasta klappt besser. Lene leert Berlin sind. Das dunkle Massivholz wirkt in der sonst so modernen Ein- SICH UND DER TISCHKANTE zwischen dem zweiten und dritten Spiel die Packung mit den kalten richtung fehl am Platz. Es war eines EINGEKLEMMT. chinesischen Nudeln. Sie hat ihre der wenigen Möbelstücke, auf die « Knie fast die ganze Zeit zwischen Markus bestanden hatte. Dazu kamen noch der Kleiderschrank seiner Großmutter sich und der Tischkante eingeklemmt. Irgendwann schauen sie auf die Uhr. Fast drei. und der Nachttisch seiner Eltern. Er muss immer noch jedes Mal an die alten Kleider und den miefigen Clara liegt schon seit langem im Bett. Sie beschließen, Geruch seiner Großmutter denken, wenn er ihn öffnet. dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen. Am nächsten Abend kommt Markus nach Hause Die Faszination für den Nachtschrank begann mit seiner Pubertät. Heute gibt es ihm Nervenkitzel, seine und Lene sitzt wieder mit den eingeklemmten Knien Kondome an dem gleichen Ort zu verstauen wie sein am Tisch und hat das Spielfeld bereits aufgebaut. »Ich Vater. Zwischen etwas Verbotenem und der Logik des hab’ Siedler von Catan besorgt. Ein Klassiker«, sagt sie zur Begrüßung. »Dazu Pasta von dem Italiener um die Kreislaufs. »Dein Zeug kannst du ja erst mal irgendwo hinle- Ecke.« Sie grinst ihn an. »Setz dich und iss, während gen.« So, als ob er sie erst daran erinnert hätte, dass sie ich dich mit dem Vorwissen ausstatte und dir die noch völlig beladen dastand, beginnt sie auf einmal Regeln erkläre!« hektisch alles gegen die Couch zu lehnen. »Ich mach Sie schöpft ihm die Tagliatelle mit der Soße auf dir später noch das Sofa zum schlafen zurecht. Willst einen Teller und gießt Rotwein in sein Glas, während du vielleicht etwas essen? Wir haben noch was vom sie mit ihrem Vortrag beginnt. »Die Siedler von Catan ist der Klassiker. Eine Legende. Der Beginn einer Chinesen über.« »Nee danke, gerade nicht.« Sie schaut sich um. »Ihr neuen Ära von Brettspielen. Die ganzen Strategiespiele orientieren sich an diesem System. Hundertfach wurde habt’s aber schön hier.« »Danke.« »Auf dem Tisch kann man bestimmt toll spielen.« die sechseckige Form der Landschaft übernommen. 28 » NACH DER HÄLFTE DES SPIELS HAT ER IMMER NOCH NICHT ALLES VERSTANDEN, ABER NICKT NUR UND LACHT, WENN SIE WIEDER DEN KOPF SCHÜTTELT, WEIL ER SCHON WIEDER DIE GLEICHE FRAGE GESTELLT HAT. « Das Erwürfeln der Ressourcen bis zum Handel ist mit diesem Spiel das erste Mal aufgetaucht. Klaus Teuber hatte es eigentlich viel komplexer geplant, aber die Gesellschaft war anscheinend nicht bereit dafür. Deswegen machte er drei Spiele draus. Die Entdecker, Löwenherz und Die Siedler von Catan. Damit wollte ich nur die Tragweite klar machen, in die wir nun eintauchen wollen.« Markus beobachtet ihren Mund, wie sie die Worte formt und enthusiastisch eine Lobeshymne auf die Plastikfiguren und Pappplatten vor ihm anstimmt. Nach der Hälfte des Spiels hat er immer noch nicht alles verstanden, aber nickt nur und lacht, wenn sie wieder den Kopf schüttelt, weil er schon wieder die gleiche Frage gestellt hat. Der Wein ist alle. Die zweite Flasche wird geöffnet und die zweite Runde gespielt. Clara kommt aus dem Schlafzimmer mit ihrem aufgeklappten Buch in der Hand. »Du bist ja schon da.« Lene schaut auf den Boden und grüßt in sich hinein. Markus antwortet »Ja, sorry. Wir haben direkt angefangen zu spielen und dabei hab’ ich’s vergessen.« »Lene, du bleibst heute noch?« »Ja, tut mir leid, ich such’ morgen was anderes, okay?« Während sie sich wieder Richtung Schlafzimmer bewegt, um sich der Liebesgeschichte zu widmen, sagt sie über ihre Schulter hinweg: »Nee, nee. Ist schon okay, ich wollt’s nur wissen.« Die beiden wenden sich wieder ihrem Spiel zu. Diesmal gewinnt Markus und lächelt zufrieden in sich hinein. Sie setzen sich auf das zum Bett umfunktionierte Sofa. Er hört zu und sie redet. Sie erzählt von ihren Problemen mit der Mutter, dass ihr Vater sie schon früh verlassen hat und sie sich nur noch an die Fotos von ihm erinnert. Markus nickt. Als er am nächsten Tag nach Hause kommt sitzt sie mit Jenga am Tisch. Der Turm aus Holz steht vor ihr und sie bringen ihn an diesem Abend acht Mal zum einstürzen. Danach sitzen sie wieder auf ihrem Bett und er nimmt ihr das Versprechen ab, dass sie ihn für den nächsten Tag ein Spiel kaufen lässt. Er kauft Blokus und sie enden wieder auf ihrem Bett und reden. Nach einer Woche kauft er ein Regal für die Spiele. Nach drei Wochen ist es voll und Lene ist immer noch da. Nach vier Wochen setzt sich Clara zu Markus an den Tisch. »Schläfst du mit ihr?« »Nein. Wir spielen.« Sie lässt ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen und bleibt am Regal hängen. Versucht von Weitem die Namen zu entziffern. Mensch ärgere dich nicht. Er betrachtet sie stumm. Sie schaut auf die Uhr. »Es ist schon spät. Kommst du mit ins Bett?« »Lene hat keinen Schlüssel.« »Dann wird es wohl Zeit.« Markus nickt. Clara schaut ihm in die Augen. »Ich geh’ schlafen.« »Bis später.« 29 32 Vielleicht liegt es an Tschernobyl 36 Killerspiel 38 Das Spiel des Lebens – Spielideen 40 Heimat, Nostalgie & Abrissbirnen 44 Nicht mal lächeln 46 Face – Gesichter einer Stadt VIELLEICHT LIEGT ES AN TSCHERNOBYL 32 Anne-Sophie Nagels Ich wache auf an einem Wintertag. Im Bett neben darauf. Keiner redet darüber, weil es zu schwer ist und meinem Bruder. Die Bettwäsche weiß und sein Gesicht weil niemand weiß, warum so etwas passiert. Wir auch ganz weiß. Wie draußen der Tag sich zeigt. Ich wissen nicht mehr, wie das geht, zu sprechen, und liege direkt neben ihm, aber wir berühren uns nicht. So sagen dann gar nichts. Ich möchte gerne viel fragen. war das nie. Ich friere. Bewege mich unter der Decke Aber die Fragen sind gestorben, bevor ich sie stellen hin und her. Seine Augen sind noch zu. Große blaue kann. Ich möchte meinen Bruder umarmen und ihn streicheln. Ich möchte seinen Kopf Augen. Dunkelblau in meiner Erinne» anfassen, möchte wissen, wie er sich rung. Den Daumen hat er aus dem ICH LIEGE DIREKT anfühlt. Ich bin kleiner als er und komMund genommen, schon in der Nacht. Am Morgen kann das keiner mehr NEBEN IHM, ABER WIR me da so nicht dran. Ich traue mich sehen. Nur an den Zähnen wird es BERÜHREN UNS NICHT. nicht zu fragen. Mein Bruder hat sich zugeschlossen. Lacht nicht, weint nicht, deutlich. Er braucht eine Zahnspange, SO WAR DAS NIE. spricht nicht, fragt nicht. Ist nicht weil er sich in der Nacht festhalten muss. « wütend, ist nicht traurig, ist nicht ängstIch drehe mich zur Seite und schaue auf sein Kopfkissen. Ich sehe da etwas Braunes. Es ist ver- lich oder verzweifelt. Er zeigt gar nichts, behält alles schwommen. Meine Augen können nicht erkennen, für sich. Als ob dann am wenigsten passieren könnte. was das ist. Ich kneife sie zu, um besser schauen zu Er schützt sich, glaube ich, weil er den Schutz verloren können. Ich mache sie wieder auf, mache sie ganz weit hat, den jeder Mensch braucht. Den wir alle noch auf und bleibe still dabei, weil ich ihn nicht wecken haben. Meine Mutter. Mein Vater. Mein kleiner Bruder. will, meinen Bruder. Ich greife in seine Haare. Da ist Und ich auch. Ich habe die längsten Haare und fühle etwas locker. Das verstehe ich nicht. Ich halte sie in den mich schlecht deswegen. Ich überlege, sie mir abzuHänden. Immer noch, als ich meine Hand zurückziehe, schneiden und gleichzeitig habe ich Angst, er könne halte ich sie in den Händen und schaue sie an. Unab- sich dann erschrecken. Weil er dann sieht, wie er selbst hängig von ihm kann ich sie jetzt anschauen. Dunkel- aussieht und vielleicht will er das gar nicht sehen. Er braun und wellig, an manchen Stellen auch lockig, am sieht aus wie ein Krebskranker. Seine Wimpern sind ihm ausgefallen und seine Augenbrauen. Ganz kahl ist Nacken. Mein Bruder ist zehn Jahre alt, als er seine gesam- er geworden. Überall. Und im Winter hat er auch keine ten Haare verliert. Nicht alle auf einmal. Jeden Tag ein Sommersprossen mehr. Und er friert immerzu. Wenn paar mehr. Es bilden sich Kreise auf seinem Kopf. An wir draußen sind, friert er, weil 80 Prozent der Wärme den Stellen, wo die Haare noch nicht ausgefallen sind, über den Kopf weggehen, sagt jemand als Erklärung. hängen sie dünn herunter. Jeden Morgen wacht er auf Er muss jetzt eine Mütze tragen, damit er sich nicht und schaut wieder auf sein Kopfkissen und fasst sich an ständig erkältet. Es ist schade um die schönen Haare, den Kopf und manchmal liege ich daneben und habe sagen manche. Er hatte doch so schöne Haare. Wie Angst, bevor ich aufwache. Angst davor, dass gar keine seine Mutter. Ich glaube, dass er das nicht hören will. mehr da sind. Und irgendwann ist das dann auch so. Aber er wehrt sich auch nicht dagegen. Er ist so stolz Alle Haare, bis aufs letzte, sind ausgefallen. Ich frage und so souverän. Ein bisschen zu sehr. Ich denke mir mich, warum so was passiert. Es gibt keine Antwort aus, wie es wäre, wenn es mir passiert wäre. Manchmal Mihau Pollack 33 möchte ihm gerne die Augen sauber machen und ihm Augenbrauen malen mit Filzstift. Und das mit der Perücke kann ich auch nicht vergessen. Aber er will keine. Zumindest sagt meine Mutter das, als wir an einem Geschäft für Perücken vorbeikommen und ich sie frage, ob es nicht eine gute Idee wäre, als Überraschung eine mitzubringen. Sie sagt nein, ich glaube nicht und sieht traurig dabei aus, aber versucht es zu verstecken. Und ich habe es trotzdem gesehen und wir gehen weiter und sie nimmt mich an die Hand und drückt kurz zu. Ich weiß, dass sie da ist und ich weiß, bin ich mir sicher, dass es mir auch passieren wird. Uns dass sie traurig ist und manchmal weint sie auch und allen. Dass wir alle unsere Haare verlieren werden. das dürfen wir dann auch sehen. Sie sagt dann, wir Weil das so in der Familie liegt. Und dann denke ich, sollen uns keine Sorgen machen, es ist nicht wegen uns. ich würde ihm gerne was abnehmen davon, oder Ich weiß nicht mehr, was ich glauben kann. Alles paswenigstens etwas abgeben. Ich habe genug davon. Ich siert einfach so ohne Grund. Am Nachmittag sehen nehme mir vor, ihm zum nächsten wir eine Reportage über Menschen, die » Geburtstag eine Perücke aus meinen Haakrank geworden sind wegen Tschernobyl. ICH DENKE MIR Babys und Erwachsene. Die alle möglichen ren zu schenken. Oder zu Weihnachten. Die könnte er dann tragen, wenn er mal AUS, WIE ES WÄRE, Sachen haben deswegen. Auch Krebs und keine Lust hat auf seine Glatze. Das Wort so was. Ich schaue neben mich, schaue WENN ES MIR sagt niemand, weil das wehtut. Und weil meinen Bruder an und kann keinen UnterPASSIERT WÄRE. das nicht passt zu einem Kind. Und weil schied erkennen zu den Leuten, die im « das auch keiner so benennen will, weil es Fernsehen gezeigt werden. Die sehen fast dann Wirklichkeit werden würde und das will einfach genau so aus. Und irgendwie ist das unheimlich, aber niemand. Ich weiß nicht, ob er es will. Mein Bruder, gleichzeitig auch erleichternd. Vielleicht ist er auch was er will. Jemand sagt, es wäre gut, wenn er einen deswegen krank geworden, denke ich. Mein Bruder. Therapeuten aufsuchte. Es ist ja nicht gut, wenn er Vielleicht liegt es an Tschernobyl, denke ich, dass er darüber nicht redet. Das kann er doch gar nicht ein- krank geworden ist. Ich bin froh und auch ein bisschen fach so verarbeiten. Aber er will nicht und er will auch stolz, eine Antwort gefunden zu haben. Ich werde es irgendwann zu keinem Arzt mehr gehen. Akupunktur ihm sagen. Bald werde ich es ihm sagen und dann wird in Köln und in Münster wollten sie ihm etwas in den er vielleicht auch froh sein oder erleichtert, weil er dann Kopf einpflanzen. Ich höre, wie meine Mutter am eine Erklärung hat und vielleicht gibt es dann ja auch Telefon jemandem davon erzählt. Ich finde die Idee gut eine Medizin dagegen. Später oder morgen werde ich und kann mir das auch gut vorstellen. Dass man ihm es ihm sagen. Nur jetzt, jetzt geht es noch nicht. einfach neue Haare einpflanzt. Wie in ein Beet. Aber so ist das nicht gemeint. Sie sagt, da würde sich dann erst mal alles entzünden und dann würde es besser werden. Vielleicht. Die Ärzte wissen das selbst nicht so genau. Haben das auch noch nie gemacht. Aber sie würden sich freuen, wenn er sich dazu bereit erklären würde. Mein Bruder sagt nichts dazu. Ich glaube, er will das nicht. Ich finde die Idee jetzt auch nicht mehr so gut. Entzündungen tun weh und wer weiß, wie lange die bleiben würden. Seine Augen sind ständig entzündet, weil die Wimpern nicht mehr da sind. Das sieht so aus, als ob es weh tun würde. Da sind immer so kleine weiße Krümel am Rand der Augenlider. Ich 34 35 GRÖSSTE MILITÄRBUDGETS * % Anteil weiltweit Immer weniger deutsche Bürger*innen wollen der Bundeswehr dienen und trotzdem ist das Geschäft mit Waffen in Deutschland sehr lukrativ. Jegliche Kritik an der Rüstungsindustrie wird in der Regel mit dem Verweis auf ihre ökonomische Bedeutung zurückgewiesen. Skrupellos wird verkauft, was Geld bringt, als sei der Erhalt der bundesdeutschen Vormachtstellung wichtiger als die Verantwortung, die ein Land mit so enormer weltpolitischer und ökonomischer Macht gegenüber anderen Völkern hat. Waffen machen zwar nur 1 % aller deutschen Exporte aus, doch unter den Kunden von EADS, Thyssen-Krupp und Co. sind lange nicht mehr nur lupenreine Demokratien. Und wie kann der Westen noch seinen moralisch-pazifistischen Zeigefinger erheben, wenn mit deutschen Waffen auf regierungskritische Demonstrant*innen geschossen wird oder ganze Völker ausgelöscht werden? Die folgenden Grafiken geben einen Einblick, wie Waffen weltweit gehandelt werden. Waffen sind nach dieser Definition alles von Gewehren über Panzer bis hin zu Kampfflugzeugen oder Schiffen. Wie viele Rüstungsgüter überdies illegal gehandelt werden, ist völlig unklar. GER 2,8 % 48,8 Mrd. $ KSA 3,8 % 67,0 Mrd. $ e r e 56 % US A US 27 ND SLA% 7% DE UT L A SCH ND - AU LI USA 10 % GRIECHENLAND 8 % ISRAEL 8% REA R A KO ST N E ere and and EN N KFR A H R EI C % aller Waffenimporte INDIEN CHINA ALGERIEN 38 % 12 % 11 % Julian Hocker VER . AR A- % aller Waffenexporte WELTGRÖSSTE WAFFENIMPORTEURE 2013 HE SA PA K I S EBMISIC R ATE AR U D I AB I TA N WELTGRÖSSTE WAFFENEXPORTEURE 2013 R A IN 5% CH % 6 I EN 14 % 2 PAKISTAN 47 % BANGLADESCH 13 % MYANMAR 12 % IND INA % 4% CH % 5 5 % 26 JPN 2,8 % 48,6 Mrd. $ KOR 1,9 % 33,9 Mrd. $ USA 36,6 %* 640,0 Mrd. $ A US 9 % 13 % 11 % 10 % CHN 10,8 % 188,0 Mrd. $ FRA 3,5 % 61,2 Mrd. $ AUSTRALIEN 10 % SÜDKOREA 10 % VER. ARABISCHE EMIRATE 9% CHINA MAROKKO SINGAPUR RUS 5,0 % 87,8 Mrd. $ IND 2,7 % 47,4 Mrd. $ WAFFENEMBARGOS VON DEUTSCHLAND KILLERSPIEL UK 3,3 % 57,9 Mrd. $ Armenien Aserbaidschan China Côte d’Ivoire Eritrea Guinea Irak Iran, Islamische Republik Kongo, Demokratische Republik Nordkorea Libanon Liberia Libyen Myanmar Simbabwe Somalia Sudan Südsudan Syrien, Arabische Republik Weißrussland Zentralafrikanische Republik Quellen: Trends in world military expenditure, 2013 · Sam Perlo-Freeman and Carina Solmirano · SIPRI Fact Sheet Trends in international arms transfers, 2013 · Siemon T. Wezeman and Pieter D. Wezeman · SIPRI Fact Sheet Rüstungsexportbericht 2013 · Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Öffentlichkeitsarbeit · www.bmwi.de SPIEL DER MENSCHEN, SPIEL DER GÖTTER DAS SPIEL DES LEBENS – SPIELIDEEN Man würde nicht jedes Spiel mit jeder beliebigen Person spielen und auch nicht gegen jede*n. Auch seine Gegner*innen sollte man mit Bedacht wählen. Doch was kann man tun, wenn diese überlegen sind? Als man noch an Schicksalsgöttinnen glaubte, konnte man noch auf ein Lächeln von Fortuna hoffen. Ein Blick in die Geschichten zahlreicher Religionen bestätigt, dass göttlicher Beistand ein wirksames Mittel sein kann, um ein Spiel zu den eigenen Gunsten zu entscheiden. David gegen Goliath ist ein solcher Fall, auch wenn man hier eher von Kampf spricht als von Spiel. Warum? Weil zu viel auf dem Spiel steht? Weil die Leichtigkeit durch den Ernst der Lage verloren geht? Ein Spiel kann durchaus mit großer Ernsthaftigkeit betrieben werden und oft steht nichts geringeres als das eigene Leben oder die eigene Existenz auf dem Spiel. Wenn man selbst zum Spielball der Götter wird, ist man sich der Folgen vielleicht nicht bewusst. So wie Paris, der durch sein Urteil beziehungsweise dessen Folgen den Trojanischen Krieg auslöste. Wie so oft in der griechischen Mythologie verfangen sich die Menschen in den Spielen und Intrigen der Götter. Was als Spiel verstanden wird, ist hier eine Frage der Perspektive. Die ganze Welt ist eine Bühne. Wenn dem so ist, ist das Leben ein Spiel; die Frage ist nur, wer mit wem spielt – und was überhaupt gespielt wird. REGELN Menschen wollen mit Menschen spielen. Doch wenn aus einem vergnüglichen Miteinander ein intrigantes Taktieren wird, hört der Spaß auf. Wie in jedem Spiel gibt es auch im Leben Regeln, sogar in unbeschreiblich großer Zahl. Das Verwirrende ist zudem, dass jeder Mensch sich eigene Regeln gibt oder die bestehenden individuell versteht. Selbst die in einer Gesellschaft festgelegten Regeln sind verschieden auslegbar und werden sowohl innerhalb von Familien, als auch in anderen Zusammenhängen oder gleich vor Gericht ständig neu verhandelt. Das scheinbar starre Regelwerk ist ununterbrochen in Bewegung. Der Erfolg eines Spiels hängt von der Bereitschaft der Mitspieler*innen und deren Anzahl ab. Wenn niemand deine Regeln akzeptiert, ist dein Spiel nicht möglich. Jede*r könnte beschließen, sich über andere zu erheben und sich so zum Herrscher von eigenen Gnaden aufzuschwingen – man braucht nur genügend Leute, die dieses Spiel mitspielen. Dabei ist es zunächst nicht wichtig, ob sie dies freiwillig tun oder keine andere Wahl haben. Für eine beliebig große Gruppe zwischen 0 und 99 Jahren. Man braucht: 1 Spielführer*in; beliebig viele Gefolgsleute; 1 beliebig großes Gebiet, das man für sich beansprucht; entweder den absoluten Willen zur Macht oder eine Idee, an der man andere teilhaben lassen möchte Dauer: zwischen 1 Minute und 1000 Jahren ist alles möglich SPIEL MIT ODER STIRB Brot und Spiele fürs Volk – nicht nur in der Antike wurden Spiele als Ablenkungsmanöver veranstaltet. Dieser Vorwurf wird auch heute immer wieder erhoben, insbesondere in Zusammenhang mit großen Sportereignissen. Ein Spiel kann also sowohl ein harmloser Zeitvertreib als auch ein Ablenkungsmanöver sein, welches die Macht der Herrschenden stützt. Eindrucksvoll bekommen wir das nicht nur zu Fußball-WM und Winterspielen vorgeführt, sondern auch im Kino. »The Hunger Games« greift genau diese Mechanismen auf. SPIELVERDERBER Wehe dem, der die Ordnung stört! Was als Störung oder Regelverstoß angesehen wird, hängt von der jeweiligen Gesellschaft ab und kann ganz verschiedene Gesichter haben. Je nachdem, was gerade gespielt wird. Auf politischer Ebene lässt sich das an Staaten im Umbruch beschreiben. Heute Faschismus, morgen Demokratie – oder umgekehrt? Wer gerade an der Macht ist, bestimmt die Spielregeln. Was gestern noch galt, kann bereits morgen strafbar sein – in manchen Spielen gehört Willkür dazu: »Gehe direkt ins Gefängnis, gehe nicht über Los, ziehe nicht 1000 Mark ein.« Hannah Feiler SPIELSTRATEGIEN Betrachten wir das Leben als Spiel. Der Einsatz muss stimmen – und das bist du selbst, dein Weltbild, deine Identität, deine Existenz. Dass daraus – mitunter tödlicher – Ernst werden kann, wurde gesagt. Und doch ist der Umgang mit einer Situation das Entscheidende. Der Ökonom und Essayist Nassim Nicholas Taleb nennt dies Antifragilität. Gemeint ist damit, dass man Fehler nutzen soll, um aus ihnen zu lernen. Dies setzt eine gewisse Offenheit in jeder Situation voraus, um Auswege und Möglichkeiten zu erkennen, wenn man auf dem ursprünglich angedachten Weg auf ein Hindernis stößt. Es ist die Fähigkeit, an Schwierigkeiten oder gar Niederlagen nicht zu zerbrechen – eben antifragil zu sein; ein spielerischer Umgang mit dem, was uns begegnet und widerfährt. Vielleicht sollten wir ab und zu weniger grübeln – und einfach spielen. Es ist Mary Poppins’ Löffelchen voll Zucker, das mitunter bittere Medizin im Alltag versüßen kann: »In every job that must be done, there is an element of fun. Find the fun and – snap – the job’s a game!« Um uns an diese Möglichkeit zu erinnern, hilft es manchmal vielleicht schon, nur auf den Fugen zwischen den Pflastersteinen zu gehen. Tonnen von Stahl und Eisen umgearbeitet und weiterverarbeitet. Hundertschaften von Stahlarbeitern pilgern jeden Tag zu der großen, rauchenden, stampfenden Stahlmaschinerie. Im Dorf Watenstedt wohnen sie nicht, denn das Dorf ist kein Bauland mehr. Bereits Ende der 1980er Jahre wurde von Stadt und Land beschlossen, dass Watenstedt kein dörflicher Lebensraum mehr sein solle, um in naher Zukunft Platz zu machen für die Zulieferfirmen der Stahlwerke, die sich dort ansiedeln werden. 2011 wurde von einem Gutachten der niedersächsischen Wirtschaftsforschung angenommen, dass in einem Zeitraum von 15 Jahren der Ort vollständig in ein Industriegebiet umgewandelt sein könnte. Dafür gibt es einen passenden Begriff: Das Dorf Watenstedt soll überplant werden. Ein Lebensraum wird aufgelöst, die Menschen sollen bis spätestens 2020 sozial verträglich umgesiedelt und entschädigt werden. So zumindest heißt es im Abschlussbericht des »Projektes Salzgitter-Watenstedt « von 2009, der von der Stadt Salzgitter veröffentlicht wurde. Doch seitdem gibt es im Dorf Watenstedt noch immer keine Zulieferfirmen, die Fachwerkhäuser stehen noch, es gibt einen Bäcker, einen Kiosk, ab und an fährt ein Bus. Und es wohnen dort noch Menschen. Allerdings: Die Überplanung steht fest. HEIMAT, NOSTALGIE & ABRISSBIRNEN WIE EIN ORT OHNE ZUKUNFT AM LEBEN FESTHÄLT Ein Dorf, das in direkter Nachbarschaft mit einem schmutzigen, stampfenden Industriekoloss und unter der drohenden Abrissbirne eines industriellen Überplanungsprojekts existiert. Ich möchte wissen, inwieweit die Menschen, die hier wohnen, von der Überplanung betroffen sind, was sie an diesem Ort hält oder ob sie umziehen wollen. Wie sie ihre Zukunft sehen. Und was Heimat für sie bedeutet. Üppige Felder und junigrüne Wiesen ringsumher und dann ein überdachtes, hölzernes Ortsschild: Watenstedt. Eine kleine Ortschaft mit nunmehr knapp 450 Einwohnern. In den 1950ern ein Heimatort für viele Stahlarbeiter der boomenden Wiederaufbau-Industrie, heute ein winziger Rest-Ort hinter Salzgitter-Lebenstedt. 40 Durch die schmale Hauptstraße trifft man auf niedersächsische Dorf-Idylle: In kleinen Gassen reihen sich urige Fachwerkhäuser mit Grundstück und Garten aneinander. Vor einem Haus steht ein bunter Zoo aus Plastikstorchen und gießkannenbestückten, grinsenden Fröschen aus Ton. Einen Straßenzug weiter wirken die klobigen, schnell hochgezogenen Wohnblöcke aus den 1970er Jahren dagegen jedoch weit weniger charmant. Es ist der Tag nach Vatertag und in Watenstedt sind ungewöhnlich viele Menschen unterwegs. Ein kurdisch-islamischer Kulturverein macht ein Straßenfest. Vom einzigen Park aus – auf der kargen Grünfläche steht noch ein Maibaum – kann man die Spitzen von Industrietürmen sehen. Beinahe surreal ragen riesige, eiserne Turmspitzen hinter den nahen Bäumen hervor. Weiße Dampfwülste kriechen aus den Schornsteinen. Ab und an wird ein ungewohnter, beinahe beißender Geruch von einer Windböe herangetragen. Das Dorf Watenstedt liegt direkt neben dem Industriepark Salzgitter. Hier werden von den Stahlindustriegiganten Alstom, MAN und der Salzgitter-AG Nele Beck Nele Beck Zwischen kleinen Häusern mit Blümchengardinen und beschnittenen Hecken komme ich an ein paar großen backsteinernen Gehöften vorbei. Auf riesigen leeren Grundstücken schauen mir die Haupthäuser aus eingeschlagenen Scheiben entgegen. Hier und dort hängen in den Fenstern Pappschilder, »Grundstück zu Verkaufen«, und eine verblichene Telefonnummer. Watenstedt ist ein Ort ohne Zukunft und an diesen langsam verfallenden Leerständen bekommt man das zu spüren. Ich treffe auf Ali*, er arbeitet in seinem Garten, wohnt selbst allerdings in Salzgitter, da dort nun auch seine Freunde hingezogen sind. Er stellt mir Marianne vor, die mit Blümchenbluse und Gehwagen gerade auf ihrem Spaziergang an uns vorbeikommt. Sie ist 89 Jahre alt und wohnt seit 75 Jahren in Watenstedt. Sie sei umgezogen in die ehemalige Polizeistation, da würde ja nun keiner mehr drin arbeiten. Auf ihren Gehwagen gestützt freut sie sich, dass ich ein Foto von ihr machen möchte. Marianne lacht bei meiner Frage, ob sie schon einmal an umziehen gedacht habe. Ihre Heimat sei hier, mit ihrem Mann habe sie doch hier gewohnt und wenn jemand ihr das Haus nehmen wolle, müssten sie schon warten, bis man sie auf einer Bahre heraustragen könne. Ja, nur einsam sei sie, besuchen komme sie ja kaum einer mehr. Ich denke über Heimat nach, und darüber, dass die kleine alte Frau schon dreimal so lange an diesem Ort wohnt wie ich auf der Welt bin und ihren Kindern und Enkel*innen hier nichts hinterlassen wird. Marianne nimmt ihre nachmittägliche Runde durch den Ort wieder auf und ich werde von Ali an Frau Tosun im Wohnblock nebenan verwiesen. Im Garten spielen einige Jungs Fußball, zwei Mädchen mit Kopftuch sitzen dabei. Ich muss erst den richtigen Block finden, dabei begegnen mir auch hier bereits die Spuren des Verlassen-Seins: Die meisten Fenster der grauen Wohnkästen erscheinen leer, in einem klebt noch der Rest von einem bunten WindowColor-Fensterbild, doch das Gras wächst schon hoch über die Türschwelle. Frau Tosun macht mir auf, Kindergeschrei kommt aus ihrer Wohnung. Eine energische Frau mit strengen Augen erklärt mir in perfektem Deutsch, dass sie mit ihrer Familie bereits seit 15 Jahren in Watenstedt wohne, aber ihre Wohnung jetzt zum 31. Juli dieses Jahres gekündigt wurde. Die Wohnblöcke gehören der Stadt Salzgitter und werden ohne großes Federlesen bis Ende des Jahres geräumt und abgerissen. Mit verschränkten Armen erzählt mir Frau Tosun davon, dass ihre Klage vor dem Landesgericht abgewiesen wurde 41 In der gleichen Straße prangt gut sichtbar an der Fassade eines Hauses ein Gedichtspruch: » WENN DIESES HAUS SO LANGE STEHT, BIS AUF DER WELT DER NEID VERGEHT, DANN STEHT’S HIER NICHT GEWISSE ZEIT, DANN STEHT’S IN ALLE EWIGKEIT. « und sie nun nicht wisse, wohin. Ihr Mann ist arbeitslos und von Harz IV können sie sich in Salzgitter keine Wohnung leisten, die groß genug für alle ist. Eine ganz andere Einstellung zur Lebenssituation in Watenstedt bekomme ich über den noch rauchenden Grill einer Gruppe Männer serviert, die im Park den Vatertagskater ausklingen lassen. Sie sind alle in ihren frühen Fünfzigern, erzählen mir von ihrem Leben in Watenstedt. Alle haben hier ein Haus, einer hat seines erst vor fünf Jahren gekauft und zwar im vollen Bewusstsein der Situation. Ob man sich an die Gegebenheiten gewöhnt hätte? Ein anderer, mit etwas sonnenverbrannter Nase, erklärt lapidar, dass der Lärm des Industrieparks für ihn schon dazugehöre wie der Kuhstallgeruch zum Landleben. Und seine Fenster auf der nordöstlichen Seite, also zu den Fabriken hin, macht er schon gar nicht mehr sauber. Und doch werden die Gesichter ernst, wenn es um die Zukunft des Ortes geht. Vor drei Jahren wurde von der Initiative des »Projektes Salzgitter-Watenstedt « eine Umfrage zur Lebenssituation durchgeführt und es wurden alle Grundstücke geschätzt. Bernd, der Vorstand im neu gegründeten »Verein für Watenstedt« ist, erzählt mir vom damaligen Medienrummel und dass er von Freunden andauernd gefragt wurde, wann er denn nun endlich umziehe. Jetzt herrscht Stillstand. Die Stadt und das Land haben nicht genug Geld, um die Umsiedlung durchzuführen. Insgesamt 18 Millionen Euro waren dafür angesetzt. Trotz allem wirkt die Gruppe auf mich optimistisch. »Solange sie sich an den Bestandsschutz halten, kann uns nichts passieren! Da müssen sie schon warten, bis wir alle endlich tot sind!« Bernd lacht zwar, aber das Thema ist ernst. Jugend gibt es schon kaum mehr im Ort, die Vereine sterben aus. Erst letztes Jahr hat die Freiwillige Feuerwehr das Handtuch geworfen. Der Fußballverein das Jahr zuvor. Mir wird langsam klar, dass die Zukunftslosigkeit Watenstedts nicht von bedrohlichen Abrissbirnen herrührt, sondern der Ort stattdessen langsam von innen ausgeblutet wird. Es kann nicht mehr gebaut werden, verkaufen ist 42 beinahe unmöglich, da potentielle Käufer keine Kredite von den Banken für das Risikoland Watenstedt erhalten. Immobilienbesitzer haben also das Nachsehen. Es gibt keine Gaststätte mehr, Vereine und Traditionen sterben aus. Das Dorfleben wird zur Ader gelassen. Jedoch verblüfft mich die Resignation und gleichzeitige Heimatverbundenheit der Männer. Sie scheinen sich mit der Lage abgefunden zu haben, leben mit ihren Familien gerne in Watenstedt. Im August will der Watenstedt-Verein ein Sommerfest abhalten, auch alle aus der Stadt und die hohen Tiere aus dem Gewerbegebiet sollen eingeladen werden. Solange der letzte Bewohner nicht umgesiedelt (oder tot?) ist, kann nicht gebaut werden. Frau Essner, gestreifte Schürze und eine kleine Lesebrille auf der Nase, zeigt mir ihr charmantes Fachwerkhaus, in dem sie mit ihrer Familie schon immer lebt und die Dorfstille genießt. Nur ab und an wird ihr anscheinend der sich ansammelnde Müll des angrenzenden Lebensmittelhändlers zu viel. Ausziehen will aus diesem Haus jedoch niemand. Auch die junge, sonntagsbrötchenblonde Bäckerin ist optimistisch: »Solange die Arbeiter noch meine Brötchen mögen, ist alles in Ordnung.« Ich werde neugierig. Trotz aller hier mitschwingenden sturen Heimatverbundenheit berichtet mir die Bewohnerin erst etwas unwirsch, dann aufgebracht, davon, dass sie nichts lieber tun würde als auszuziehen. Auf gepackten Koffern säßen sie und warteten nur darauf, dass endlich das Geld für die Umsiedlung bereitgestellt würde. Aber da das nicht geschieht, bleiben sie nun mal an Ort und Stelle. Ich stelle mir vor, wie hinter der hölzernen Wohnungstür tatsächlich eine Reihe Koffer und Kisten bereitliegen. Ein interessantes Mosaik an Schicksalen macht sich hier auf, jedes mit einem anderen Bezug zur Heimat Watenstedt. Während manchen Fachwerken und ihren Bewohnern die Nostalgie regelrecht innewohnt, stellt sich an anderen Orten ein reiner Unterkunfts-Pragmatismus ein, der auch gegen eine andere Bleibe ausgetauscht werden könnte. Vor dem freistehenden »Hotel 2000 « stehen Umzugskartons. Eine junge Frau erzählt mir mit glänzenden Augen, dass sie gerade erst eingezogen seien. Salzgitter-Lebenstedt sei zu gefährlich für ihre Kinder, sie ziehe das Dorf vor. Drohende Überplanung? Davon wisse sie nichts. Watenstedt stellt sich als ein Sammelsurium von Lebensumständen heraus. Während der Ort an einigen Stellen an sich selbst zu verrotten scheint, stehen auf der anderen Seite optimistische Menschen, die ihre Heimat Watenstedt pflegen. Oder einfach stur darüber hinwegsehen, dass aus dem Dorf ein Industriegebiet werden soll. Sie fahren eben einmal mehr das erneut industrieschmutzstaubige Auto durch die Waschanlage in Salzgitter. Einige Bewohner*innen werden bis Ende des Jahres eine neue Bleibe finden müssen, andere dagegen noch weiter in der nachbarschaftlichen Obstgarten-Idylle wohnen, bis …? Immer wieder drängt sich die Frage auf, ob Heimat überhaupt unabänderlich mit einem Ort verbunden ist. Wann ist es dagegen Zeit zu gehen? Oder zu bleiben? *Alle Namen der angegebenen Personen sind von der Autorin geändert worden, die Gespräche haben in ähnlichem Umfang tatsächlich stattgefunden. Quellen zur Recherchearbeit: http://www.salzgitter.de/rathaus/downloads/Abschlussbericht_Watenstedt.pdf http://www.wis-salzgitter.de/fileadmin/user_upload/wis/downloads/newsletter/wis-newsletter_1-2013.pdf 43 Anne K. So beschimpftest du mich Und folgtest mir die Straße hinunter Als ich nicht auf deine Worte reagierte Fingst du an zu drohen Was du alles mit mir anstellen würdest Als ich dir sagte, du solltest mich in Ruhe lassen Fragtest du mich mit einer Wut, die dein Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerrte FÜR WEN ICH MICH EIGENTLICH HALTEN WÜRDE Aber weder diese Angst noch du Bestimmen wer ich bin Und was ich darf. Für wen ich mich eigentlich halte? Du verdienst keine Antwort Kein Zögern Nicht mal ein spöttisches Lachen. ICH WEISS ES. Das genügt. Du kannst mir Angst machen Weil ich und du gelernt haben Dass du immer nur Täter sein darfst Und ich immer nur Opfer Weil du und ich gelernt haben Dass du immer Sex brauchst Und ich ihn geben muss Weil du und ich gelernt haben Dass du im öffentlichen Raum stehen darfst Und ich nicht. Ich bin ich. ICH BIN. Reklamiere meinen Platz auf nächtlichen Straßen Und in Hörsälen Und Büros Und U-Bahnen Und auf Bühnen Doch wie ich mich damals aus seinem Griff befreite Und barfuß über schneebedeckte Felder rannte So weigere ich mich auch heute Die zu sein, die Du in mir sehen willst Da vergaß ich für einen Moment meine Angst Meine Angst, die du dir herausnahmst, mir überzustülpen wie eine dunkle Kapuze Denn diese Frage Sagte mehr aus als all deine verbalen Angriffe Für wen halte ich mich eigentlich? Denn nur das ist doch wichtig. Dass 26 Jahre, in denen ich erst süß, dann brav, dann lieb, dann fleißig, dann ordentlich, dann anständig, dann bescheiden sein sollte – In denen ich gelobt wurde für meine blonden Locken und meine saubere Schrift und für meinen ersten Kuchen und meine hübschen Bilder – In denen mir immer nur gesagt wurde, dass ich nicht schwanger werden sollte Aber niemals über Konsens gesprochen wurde – Oder darüber, wie schön Sex sein kann – Nicht definieren, wie ich sein will Wie ich bin. Schau mich an. Bin ich nicht Beweis genug, Dass mein Mathelehrer Unrecht hatte Und meine Mutter Und die Kommilitonen in den Wirtschaftsvorlesungen Und du in den Clubs Und du auf den Straßen Und du als mein erster Freund Der mir sagte, es wäre sein Recht Und ich sei dumm und hässlich Mit 13 wies er mir einen Platz zu In einem System, in dem ich weniger wert bin Weil ich kein Stück Fleisch zwischen den Beinen habe wie er Als ich neulich nach Hause ging Und auf deinen Spruch über meinen Hintern nicht mit schüchternem Kichern Sondern mit »Fick dich« antwortete Wurdest du wütend Wie konnte ich nur dein Recht in Frage stellen Mich daran zu erinnern, dass ich nicht mehr bin als Etwas, das zu kommentieren du dir herausnimmst ALS DEIN ERBRECHT Als dein Machtinstrument Dass ich keinen Bock mehr habe Objekt deiner armseligen Projektionen einer Welt zu sein Die im Untergang begriffen ist Dass ich nicht verpflichtet bin Für dich zu tanzen Für dich zu schwärmen Nicht mal lächeln muss ich ICH SCHULDE DIR NICHTS Wann begreifst du endlich Wann begreifst du endlich Dass ich dein Spiel nie spielen werde Weil es bitterernst ist Weil es kein Kompliment ist NIEMALS Weil du nicht das Recht hast Weil ich dich nicht darum gebeten habe Weil mein Körper keine Einladung ist Für deine Sprüche Deine Hände Deine Blicke Es ist doch nur NIMM DAS NICHT SO ERNST Hab dich doch nicht so Ich wollte doch nur Keine Angst, der will nur Sei doch nicht so Haare auf den Zähnen? Bist du verklemmt Prüde Langweilig Spielverderberin Eh zu hässlich Lesbisch oder was? NICHT MAL LÄCHELN FACE – GESICHTER EINER STADT Kann Distanz Nähe erzeugen? Ohne Inszenierung oder Pose fotografiert Kevin Momoh in seiner Serie »face« Menschen und liefert ebenso nüchterne wie eindrückliche Portraits, die gerade durch ihre Distanziertheit und Ruhe eine besondere Nähe zum Motiv aufbauen. Genau beobachtet er sein Gegenüber und sucht den Moment des Fallenlassens der Maske, den er als »reinen Ausdruck« bezeichnet. Die abgebildeten Personen sind entweder Freunde und Bekannte aus der Hildesheimer Studenten- und Kulturszene oder Fremde, die auf seinen Facebook-Aufruf hin vor seine Kamera getreten sind. Im Juli 2014 fand im Kunstraum53 eine Ausstellung von Momohs Reihe »face« statt. Seine Arbeiten sind unter the-momoh.tumblr.com zu sehen. 46 Kevin Momoh 56 Studierende und die Politik 58 hilde in your face 64 »Der Homo ludens in der Universität« 70 Hilde Tag und Nacht 73 6 mal 6 Fragen an das STATE OF THE ART #6 STUDIERENDE UND DIE POLITIK WENIG PARTIZIPATION HAT ELITÄRE EFFEKTE sionen. Insgesamt befinden sich die wesentlichen Ämter der akademischen und studentischen Selbstverwaltung an der Universität Hildesheim » 6600 STUDIERENDE in der Hand von vielleicht 30 bis 40 WERDEN ALSO IM WESENTLICHEN VON Studierenden. 6600 Studierende werden CA. 0,7 % IHRER MITGLIEDER AN DER also im Wesentlichen von ca. 0,7 % ihrer UNI VERTRETEN. Mitglieder an der « Uni vertreten. Zum 15 % Wahlbeteiligung. Das ist Vergleich: Bei Professoren*innen die magere Ausbeute der letzten liegt die Beteiligung in den Gremien Wahlen zum Studierendenparla- bei fast 100 %. ment (StuPa). Statistisch gesehen bekamen selbst Bewerber*innen, für Berücksichtigt man die diversen die nicht geworben wurde, ca. 50 % Fachschaftsvertretungsmitgliedder Stimmen, für Platz 1 reichten schaften, Mitgliedschaften in aner57 % der Stimmen. Da jede*r Stu- kannten Initiativen der Studierendierende 13 Stimmen hatte, so viel denschaft, Mitgliedschaften in wie Plätze im StuPa vorhanden ehrenamtlichen Organisationen sind, konnte jede*r Wähler*in 13 wie UNICEF oder StudCaf und Personen mit seiner Stimme unter- Mitgliedschaften in Gewerkschaften stützen. Doch die geringe Wahlbe- und politischen Parteien, wird das teiligung zeigt eindeutig: Solche Bild etwas besser. Doch den Weg in Wahlmodalitäten, oder die Wahl den harten Kern der Selbstverwalan sich, bewegten nur wenige Stu- tung an der Universität Hildesheim dierende. Welche politische Form finden nur wenige Studierende. hat also die Studierendenschaft und ihre Interessenvertretung? Damit liegt bei den wenigen Aktiven ein enormer InformationsViele aktive Studierende häufen vorsprung vor. Einfluss auf die diverse Ämter an, beispielsweise Ordnungen nehmen in der Regel sitzen zwei Studierende gleichzeitig nur einige wenige Studierende, nur im StuPa, dem Senat, einem Fach- wenn es ganz auffällige Probleme bereichsrat und der Ständigen gibt, werden größere Gruppen von Senatskommission Lehramt (SKoLa). Studierenden aktiv. Dies war beim Andere Studierende sind gleichzei- Grund-, Haupt- und Realschultig Mitglied in einer Fachschafts- masterstudiengang mit 300 Leisvertretung, einem Fachbereichsrat tungspunkten (GHR 300) der Fall, und noch in dezentralen Kommis- aber auch dort ebbte das Interesse 56 schnell ab, als die gröbsten Probleme beseitigt waren. Insgesamt sind der Masse der Studierenden viele Entscheidungen wie die Entstehung von Studienordnungen oder das Zustandekommen von Zwangsbeiträgen nicht bewusst. Bei jenen Studierenden, die über diese Kenntnisse verfügen, ist es durchaus möglich, von Herrschaftswissen zu sprechen. Hinzu kommt die hohe Fluktuation von Studierenden in den Gremien. Diese teilt die Gruppe der aktiven Studierenden in zwei Untergruppen. Die eine Untergruppe engagiert sich in den Gremien relativ kurz, vielleicht ein oder zwei Jahre, was in etwa der Einarbeitungszeit entspricht. Die andere Untergruppe besteht aus Personen, die über vier, fünf oder mehr Jahre aktiv sind und permanent Mitgliedschaften in verschiedenen Gremien halten. Bei einigen dieser Personen kommt noch ein parteipolitischer und/oder gewerkschaftlicher Hintergrund dazu und damit ganz andere Möglichkeiten des Zugriffs auf Landes- und Kommunalpolitiker*innen. Die zweite Untergruppe hat, wenn man so will, eine politische Schulung hinter sich, die einen enormen Vorteil darstellt. Denn Politik und Interessenvertretung ist auch ein erlernbarer Beruf oder eine Kunst, wie es Machiavelli nennen würde. Schon in den 1920er Jahren sprachen Bildungspolitiker, damals war Politik fast nur Männersache, Andre Vespermann über Studentenfunktionäre, also die zweite Untergruppe. An den deutschen Universitäten hält sich damit schon mehr als hundert Jahre eine Gruppe, häufig Langzeitstudierender, die die Interessenvertretung der Studierenden dominieren. Diese Gruppe von Studierenden ist politisch interessiert und weit überdurchschnittlich engagiert. Durch das hohe Interesse und den Einsatz entwickeln diese Studierenden einen gewissen sozialen Zusammenhalt und ein Bewusstsein als (politische) Gruppe. Damit grenzt sich diese eher kleine Gruppe sowohl gegen die Masse der eher unpolitischen Studierenden als auch gegen die erste Untergruppe der Engagierten ab. Dabei sind es gerade Studierende, die Themen wie Transparenz, Gerechtigkeit und eine breite Partizipation fordern. Die Utopie, dass alle Menschen gleich sind und alle Menschen über ein Recht auf politische Meinungsfreiheit und politische Betätigung verfügen, ist dabei die wesentliche ideologische Grundlage. Der Egalitarismus in verschiedener Ausprägung ist unter Studierenden(vertreter*innen) populär. Doch praktisch gab immer eine kleine Gruppe den Ton an. Zieht man elitäre Theoretiker zu Rate, dann weist die Studierendenvertretung der Universität Hildesheim klassische elitäre politische Prozesse auf. Die Interessenvertretung wird thematisch und organisatorisch von einer kleinen Gruppe dominiert, die Masse der Studierenden beteiligt sich nicht bis marginal an der Interessenvertretung und die dominierende Gruppe hat einen enormen Vorsprung im Zugriff auf Informationen und die politische Bildung. Damit liegt das vor, was man als elitäre politische Gruppe bezeichnen kann. Die Form der Interessenvertretung ist an der Universität Hildesheim eher elitär ausgeprägt, obwohl die Mehrheit der studentischen Interessenvertreter*innen ideologisch und philosophisch eher egalitaristisch denken und egalitäre Ziele verfolgen. Warum entsteht dieser krasse Gegensatz zwischen politischer Überzeugung und praktischer Tätigkeit? Zum einen spielt die allgemeine Politikverdrossenheit eine Rolle. Je weniger Menschen sich allgemein für Politik interessieren, desto stärker wirken jene, die es noch tun. Zudem ist eine Universität für Studierende eine Durchlaufstation, die heute eher kürzer als länger besucht wird. Drei Jahre Bachelorstudium sind sehr kurz, zu kurz, um auch nur ansatzweise die wesentlichen Prozesse in der Hochschulpolitik zu begreifen. Zudem kostet jedes ehrenamtliche Engagement Zeit und Nerven, die nicht allen Studierenden zur Verfügung stehen. Auch wird in Deutschland insgesamt viel politische Bildung betrieben, der Durchschlag auf die Bevölkerung ist eher gering. Vielen Menschen fehlt die historische, wirtschaftliche, juristische und philosophische Bildung, um gesellschaftliche Prozesse zu verstehen. Irrsinnigerweise gilt dies auch für Studierende und Studierte. Die Sätze »Ich kann doch eh nichts ändern!« und »Was bringt es denn?« sind häufig auch von gebildeten Menschen zu hören. Diese Einstellung ist tödlich für eine breite Partizipation. Politik läuft nicht nach den Prinzipien der direkten Nutzungsgenerierung, sondern nach eigenen Gesetzen. Einzelne Individuen handeln natürlich am Nutzen orientiert, auch in der Politik. Begreift man aber Politik als Aufrechterhaltung einer funktionierenden Gesellschaft, dann sind eben die Spielregeln der Gesellschaft als eigener Regelkomplex zu beachten. Politik ist per Definition, selbst in einem autokratisch elitären System, eine Angelegenheit von Gruppen, nicht des reinen Nutzens einzelner. »Ich ändere durch meine Beteiligung am Wir (der Gesellschaft) etwas in der Gesellschaft, was positiv auf mein Lebensumfeld zurückfällt!«, wäre eine Formulierung, die für einen Demokraten angemessen wäre. Der starke Individualismus der Menschen in Deutschland, das Berechnen des Nutzens in zu kurzfristiger eindimensionaler Form, ist die Ursache für die politischen Defizite. Schon die Fragen nach politischen Problemfeldern und Lösungsansätzen werden im politischen Kontext oft völlig falsch gestellt. Die Antworten von Politlaien, aber einiger politisch engagierter, sind meist schon gruselig. Wir Studierende be kommen im Grunde für das fehlende politische Interesse und die fehlende Beteiligung die Quittung. Eine personell dünn besetzte studentische Vertretung, die wesentlich mehr für uns tun könnte, wenn genug von uns mitmachen würden. Quellen oder zum Weiterlesen: Allgemeine Soziologie / Vilfredo Pareto, 1955, Tübingen, Mohr Die herrschende Klasse: Grundlagen der politischen Wissenschaft / Gaetano Mosca, 1950. Bern, Francke Der Fürst / Niccolò Machiavelli, 1941, Leipzig, Meiner Gedanken zur Hochschulreform / C. H. Becker, 1919, Leipzig, Quelle und Meyer 57 HILDE IN YOUR FACE Sucht man im Internet oder in Reiseführern nach Hildesheim, findet man schnell zahlreiche historisch relevante Kirchen oder namhafte Museen mit kunst- und kulturgeschichtlichen Kostbarkeiten. Doch was verbinden Hildesheimer*innen mit der Stadt, in der sie leben und arbeiten? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, entstand die folgende Portrait-Serie. Studierende wurden gebeten, spontan und frei Begriffe zu nennen, die sie mit Hildesheim assoziieren. Dustin Rauch ist Fotograf aus Hannover. Er studiert Internationales Informationsmanagement an der Universität Hildesheim und arbeitet hauptsächlich im Bereich der Portrait- und Landschaftsfotografie. www.ohdustin.de 58 Dustin Rauch Nele Beck 63 Seit zwölf Jahren ist unser Präsident Wolfgang-Uwe Friedrich im Amt. Doch was macht er überhaupt? Mit dem NERV sprach er über Christian Wulff, Edward Snowden, den Sinn von Anwesenheitslisten und seine eigene Vergangenheit. Wir sitzen an einem Konferenztisch in Raum V 106, dem lichtdurchfluteten Büro des Uni-Präsidenten. An der Wand hängen Gemälde, in einer Ecke stehen Umzugskartons. Wir mussten eine halbe Stunde warten, aber Wolfgang-Uwe Friedrich begrüßt uns trotz der Terminverzögerung freundlich und entspannt. Der Präsident setzt sich bewusst nicht hinter seinen Aktenberg. NERV: Wann und was haben Sie das letzte Mal gespielt? Wolfgang-Uwe Friedrich: Ich habe mit Freunden in einem Flugzeug Karten gespielt. Ein Kartenspiel, das so ähnlich ist wie Rommé. Das war vor etwa zwei Monaten. In meinem Alltag tauchen Spiele nicht auf. Zum Entspannen am Wochenende koche ich sehr gerne. Letzten Sonnabend habe ich zur Begeisterung meiner Frau Thunfisch mit einer neuen Senf-Dill-Soße ausprobiert, die ich mit Ahornsirup und Chili verfeinert habe. » DER HOMO LUDENS IN DER UNIVERSITÄT « Christine Edelmann, Kornelius Friz Mit welchem Spiel würden Sie ihr Leben vergleichen? Ehrlich gesagt sind Spiele nicht meine Welt. Ich wüsste keins. Vielleicht passt ein Teamsport wie zum Beispiel Fußball? Ich gucke Fußball ganz gerne. Wenn man diese Analogie wählt, verstehe ich mich schon als Spielmacher und ich sehe auch, dass man nicht alleine Fußball spielen kann, sondern eine Mannschaft braucht. Pressestelle Universität Hildesheim Friedrich denkt lange und ernsthaft nach. Er scheint sich auf das Gespräch einzulassen. Es ist Anfang Juli. Wie wird die Domäne zum Semesterbeginn im Oktober aussehen? Da wird sich wenig geändert haben. Die Bauarbeiten am Weißen Haus sind dann hoffentlich abgeschlossen. Außerdem haben wir akuten Handlungsbedarf, was einen studentischen Arbeitsraum mit einem basisgastronomischen Angebot vom Studentenwerk angeht. Es gibt aktuell eine Kontroverse, was das Atelier angeht. Ich halte es für vordringlich, dass wir einen Aufenthaltsraum haben, in dem Studierende auch mitgebrachte Speisen verzehren können und zusätzlich Speisen angeboten werden - und das in attraktivster Lage und nicht unter dem Dach. Meiner Ansicht nach bietet das Atelier diese Möglichkeit, weil bestimmte Probleme, wie Toilette und Abzug, unmittelbar lösbar sind. Für das Kunstinstitut gibt es Alternativen und gemeinsam mit studentischen Vertreter*innen und den Lehrenden werden wir eine finden. Wie wird sich das auf den Hofcafé-Betrieb auswirken? Ich hoffe sehr, dass Herr Peinzger bleibt und ich habe in diesem Jahr einige Zeit investiert, um ihm zu sagen, dass er uns lieb und teuer ist. Die Vertragsgrundlage, dass es täglich ein Mittagsmenü für etwa 2,50 Euro gibt, will ich bewahren. Auf der anderen Seite weiß ich genau, was Herr Peinzger benötigt, um seinen Betrieb 65 lebensfähig zu halten und da gehören selbstverständlich Abendveranstaltungen und Café-Kundschaft dazu. Es ist auch meine Aufgabe, ihm zu ermöglichen, dass er dort bleiben kann. Deshalb muss ich eine Möglichkeit finden, dass beide Angebote parallel bestehen. Es ist klar, dass wir auch montags ein Angebot für Studierende brauchen und deshalb will ich einen neuen Raum, wo man sich auch um 19 Uhr noch einen Kaffee drücken kann. Der Kulturcampus ist jetzt schon einer der schönsten in Deutschland, aber es gibt noch eine Menge zu tun.* Reihe hinter ein Einkaufszentrum zu setzen und fand die Idee genial. Ich habe die dringende Bitte an den Oberbürgermeister: Wenn die Stadt den Flächennutzungsplan ändert und die beiden Sportplätze aufgelöst werden, dann will ich, dass diese teilweise als Hochschul erweiterungsfläche ausgewiesen werden. Herr Meyer ist da sehr, sehr kooperativ. Allerdings werden erst die Nachfolger meiner Nachfolger zu prüfen haben, ob sie da bauen. Wie sollen denn die Studiengebühren, die jetzt weggefallen sind, kompensiert werden? Das Gute ist, dass die Landesregierung das komDie Raumproblematik entsteht ja auch dadurch, pensiert und die sogenannten Studiendass immer mehr Studierende » qualitätsmittel aus dem Landeshausnach Hildesheim kommen. Laut WIR HOCHSCHULPRÄSIhalt zur Verfügung stellt. Diese Minerva 2020 ist keine langfristige DENT*INNEN KOMMEN sollten verstärkt in Personal fließen, Zunahme angestrebt. Wie lange STÄNDIG MIT DER OFFENEN einschließlich wissenschaftlicher wird die Uni noch wachsen? Minerva 2020 sagt, dass ein HAND. ES IST KLAR, DASS DIE Hilfskräfte. Auch durch meinen POLITIKER*INNEN DESSEN Appell, alle Arbeitsverträge erst einWachstum über die jetzige Größe mal weiterlaufen zu lassen, bis wir nur realisierbar ist, wenn das Land ÜBERDRÜSSIG WERDEN. wissen, wie viel Geld wir haben, zusätzliche Ressourcen und die Stadt « wurde jetzt entschieden, alle bestezusätzliche Fläche zur Verfügung stellt. Wir werden aus Landesinteresse im Oktober aller henden Verträge um ein Jahr zu verlängern. Was mich Wahrscheinlichkeit nach 7.000 Studierende haben, mit Sorge erfüllt, ist die Absicht der Landesregierung, weil das Lehramtsstudium im Master von zwei auf vier die freiwerdenden BAföG-Mittel nicht den HochschuSemester verlängert wird. Die Aufnahmezahlen werden len zur Verfügung zu stellen, sondern für Kitas – da aber nicht hochgefahren. Ich habe gesagt, was die geht es in Niedersachsen um 110 Millionen und für Ausstattung der Universität an Personal und vor allen Deutschland sogar um knapp 1,2 Milliarden Euro. In Dingen an Infrastruktur angeht – und diese ächzt, weil einem solidarischen Akt könnte ich mir auch vorstellen, sie nicht nachgewachsen ist – dann sind wir bei 6.000 dass die Hochschulen und Schulen einen kleineren Teil Studierenden an einer Obergrenze angelangt. Vor zehn für Kitas abgeben. Aber das ist ein Affront gegenüber Jahren waren wir beim Landesrechnungshof mit unter dem Hochschulsystem, weil das Land genau weiß, was 5.000 Studierenden noch in der Kritik. Kleinen Unis wir für einen Sanierungsstau haben. Die Polemik, mit droht immer wieder die Schließung. Ich bin es gewohnt, der sich diese Angelegenheit hochschaukelt, halte ich für strategisch zu denken. Deshalb interessiert mich, was gar nicht gut. Wir sollten die Diskussion versachlichen. im nächsten Jahrzehnt geschieht. Das bedeutet: Ich Das ist allerdings auch ein Thema der Landes-Asten- will keine Maßnahmen verantworten, die die Universität Konferenz (LAK). Ihre Stimme hat da Gewicht. Wir kurz nach meiner Pensionierung in einen Abwärtsstrudel Hochschulpräsident*innen kommen ständig mit der offenen Hand. Es ist klar, dass die Politiker*innen bringen. dessen überdrüssig werden. Die LAK ist hier gefordert. Immer wieder schaut Friedrich in Unterlagen, zeigt Wir Präsident*innen sind 21 Wähler*innen und Sie sind uns aktuelle Briefwechsel, sucht direkte schriftliche 180.000. Belege für seine Antworten. Dennoch ist er ganz bei uns. » Kein Telefon klingelt, niemand klopft an. Was tut die Stadt Hildesheim für die Infrastruktur? Die Stadt hat kein Geld. Beim Bau der Uni hat man den Fehler gemacht, den Campus in die zweite 66 DIE LAK IST HIER GEFORDERT. WIR PRÄSIDENT*INNEN SIND 21 WÄHLER*INNEN UND SIE SIND 180.000. « * Inzwischen wurde der Vertrag unterzeichnet. Sowohl das Qualitätsmanagement der Uni als gibt, die sich völlig verselbstständigt haben, macht auch der AStA halten Anwesenheitslisten datenschutz- mich aber skeptisch. Ich sehe es aus der grundsätzlichen Perspektive: Im Zweifel immer für die Freiheit und rechtlich für kritisch. Wie ist Ihre Position dazu? Ich bin eigentlich prinzipiell gegen Anwesenheits- Demokratie. Es ist aber auch prekär, was Ihre Generation listen. Ich bin allerdings für harte Prüfungen. Es ist teilweise in sozialen Netzwerken von sich preisgibt. normal, dass Menschen auf unterschiedliche Weise Jedenfalls müssen wir Datenschutz zum Bestandteil des lernen. Es gibt, wie in der Medizin, bestimmte Bereiche, Qualitätskreislaufes machen, was keine Sache von wenigen Wochen ist. Aber natürwo Anwesenheitspflicht erforder» lich wird der Datenschutzbeauflich. In den klassischen GeistesES WÄRE EIN EINGRIFF IN DIE tragte Herr Mandl Unterstützung und Sozialwissenschaften erkenne ich keinen Sinn in Anwesenheits- GRUNDGESETZLICH VERBÜRGTE bekommen. listen und das habe ich auch FREIHEIT VON FORSCHUNG UND LEHRE, WENN ICH ALS PRÄSIWie sieht Ihre Vision in öffentlich erklärt. Wenn einzelne DENT VERSUCHEN WÜRDE, DEN Sachen Barrierefreiheit aus? Lehrende meinen, sie bräuchten Das ist eine unglaublich langdas in ihrem Curriculum, dann LEHRENDEN VORZUSCHREIBEN, fristige Aufgabe. Es gibt einerseits müssen sie das verantworten. Es WIE SIE LEHREN. die traditionelle Barrierefreiheit, wäre ein Eingriff in die grundge« bei körperlicher Einschränkung setzlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre, wenn ich als Präsident versuchen Zugangsmöglichkeiten zu schaffen, was bei unseren würde, den Lehrenden vorzuschreiben, wie sie lehren. Neubauten gegeben ist. Bei unseren verschachtelten Die Frage nach dem Datenschutz kann ich nicht Altbauten ist das schwierig zu gewährleisten. Beschränbeantworten, weil man dazu juristische Kenntnisse kung von Seh- oder Hörfähigkeit kann auch Prüfungen bräuchte. Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, betreffen und dann kommen wir zu dem riesigen dass wir generell ein erhebliches Datenschutzproblem Gebiet der Inklusion: Wie geht man mit mentaler haben und auf der letzten Senatssitzung habe ich Behinderung um? Das ist wahrscheinlich der schwieempfohlen, dass wir grundsätzlich nicht auf Plagiats- rigste und heikelste Gesichtspunkt. Damit sind hohe prüfungen mit Software – die ich letztes Jahr noch Kosten verbunden, weil es immer nur Einzelfälle sind, befürwortet habe – zurückgreifen, weil es sich um aber wenn wir sagen, dass wir Barrierefreiheit erreichen komplette Datensätze handelt, die extern zur Überprü- wollen, dann müssen wir diesen Punkt ernsthaft bearbeiten. Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft nicht fung vergeben werden. empathiefähig ist. In dem Moment, in dem die StudieFriedrich weiß seine Zuhörer*innen zu fesseln. Er renden gefordert sind, fassen sie selbstverständlich am variiert Tempo und Lautstärke, mal klopft er auf den Tisch Rollstuhl mit an. Aber Inklusion bedeutet weit mehr. oder pfeift zwischen den Zähnen. Wenn er ins Erzählen Wie schätzen Sie die Umsetzung der Bologna- kommt, klemmt er seine Füße hinter die Stuhlbeine. Trotz ausschweifender Antworten weicht Friedrich unseren Reform in Hildesheim ein? Die Umsetzung ist, wie überall in Deutschland, Fragen nicht aus. suboptimal. Bologna wollte, dass Sie mobiler und flexibler werden und gleichzeitig hat die Reform dazu Warum haben Sie Ihre Meinung geändert? Ich lese Zeitung und Bücher. Ich weiß, diese Ent- geführt, dass Sie an Freiheit verloren haben. Sie müssen wicklung gibt es schon seit vielen Jahren, aber ich habe Verantwortung lernen. Bologna hat viel Pauken verurdas jetzt erst im Zusammenhang mit dem NSA-Skandal sacht, was nicht zur Idee der Freiheit passt. verstärkt gelesen. Deswegen glaube ich auch, dass Vermissen Sie unseren Präsidenten-Comic, den Edward Snowden tatsächlich ein Mann mit großer Zivilcourage ist, weil er die westlichen Gesellschaften wir bis letztes Jahr in jedem NERV hatten? Nein. Ich will nicht sagen, dass ich mich darüber sensibilisiert hat. Da sehe ich schon das Schreckgespenst totalitärer Systeme. Ich glaube nicht, dass die geärgert hätte, aber ich fand mich da überhaupt nicht Bundesrepublik auf diesem Weg ist und auch die USA wieder. Man kann ja eine Person kritisch sehen, aber man haben funktionierende demokratische Institutionen. muss eine ungefähre Vorstellung haben, was die eigentSchon allein, dass es seit 9/11 so viele Regierungsbehörden lich tut. Da fand ich keine kritische Auseinandersetzung 67 mit meiner Person, sondern eine völlig realitätsfremde. Natürlich kann ein Karikaturist sich eine Story ausdenken, aber es sollte ja erkennbar um mich und meine Tätigkeiten gehen. Ich habe heute acht Termine gehabt und habe zwischendurch noch ein paar Briefe diktiert und Gutachten gelesen. Nur zum Mittagessen beim Italiener hatte ich eine Stunde Ruhe und konnte das Feuilleton der FAZ lesen. Als Storyteller müsste der Karikaturist häufiger dort sein, wo ich Termine wahrnehme. Und dann kamen noch parteipolitische Sachen dazu, obwohl ich mein Amt total unparteiisch ausübe. Friedrich spricht engagiert. Ob wir es wohl als Kompliment auffassen können, dass der Präsident sich unseren Comic zu Herzen nimmt? Ich tausche auch mit der Opposition vertrauliche E-Mails aus und das ist professionell. Der Rest ist meine Privatsache. Die Comics fand ich irgendwie wirklichkeitsfremd. So üben wir unsere Ämter nicht aus. Das ist übrigens auch eine interessante Sache: Menschen werden durch ihr Amt verändert. Mit Christian Wulff und Gerhard Schröder habe ich mehrmals darüber gesprochen und dessen Politik in Jugoslawien beispielsweise wäre vorher völlig ausgeschlossen gewesen. Jedenfalls: Ein Amt verändert. Und ob das jetzt Frau Wanka oder Frau Heinen-Kljajić (ehem. und aktuelle niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur; Anm. d. Red.) ist, beide wissen, dass sie mich als Gegner haben, sobald es gegen die Uni Hildesheim geht. Und dann renne ich nicht zur Presse, sondern spreche mit Abgeordneten. Und das erwarten die auch von mir. In dem Comic habe ich das überhaupt nicht wiedergefunden. Wäre eine Klage gegen unseren Comic denkbar gewesen? Never ever. Wer im öffentlichen Leben steht, muss mit Kritik leben. Ich habe einmal interveniert, als der AStA mein Gesicht auf einer Zielscheibe abgedruckt hat. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass eine freie Presse ein Bollwerk der Freiheit ist. Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung hat mich auch schon verunglimpft, als sie den Vorwurf abdruckte, dass ich mit stalinistischen Methoden arbeite. Das hat mich verletzt, weil ich weiß, was Stalin im Gulag gemacht hat. Ich habe dann aber keine Beschwerde beim Presserat eingereicht. Nach neunzig Minuten wird Friedrich an seinen nächsten Termin erinnert. Er rügt seine Mitarbeiterin, weil sie schon wieder Überstunden mache. Trotzdem nimmt er 68 sich Zeit für unsere letzten Fragen. Er hat kein einziges Mal auf sein Handy geschaut. Ist Hildesheim Ihre letzte Station im Berufsleben? Ja. Als mein Doktorvater einem Ruf nach Österreich gefolgt ist, brach mein Karriereweg plötzlich ab. Durch viele Zufälle war ich bei einem politischen Forum über Außenpolitik in Bonn und geriet in einen Streit mit Richard von Weizsäcker. Ich habe ihm vorgeworfen, keine wertbezogene, sondern Realpolitik zu vertreten. Heute würde ich sagen, beides muss gemischt werden. In der Kaffeepause kam dann ein älterer Herr mit Goldrandbrille auf mich zu, der sehr interessant fand, was ich gesagt hatte. Es war Karl Deutsch, ein Professor aus Harvard. Friedrich lehnt sich im Stuhl zurück lacht auf, als wäre er überrascht von seinen eigenen Erinnerungen. Als ich dann aus Harvard zurückkam, bekam ich ein Angebot aus Hildesheim und das war damals noch eine Hochschule, keine Universität, da wollte ich nicht hin. Ich wollte an eine Universität, die mindestens 200 Jahre alt und mindestens so wie Göttingen ist. Es brauchte dann einige Zeit, bis ich mich identifizieren konnte, aber meine Frau hatte sich gerade eine Existenz als Anwältin in Hannover aufgebaut, dann wurde ich entfristet. Kurzum: Ich habe mich entschieden, in Hildesheim zu bleiben. Und ich habe noch immer sehr große Freude an meiner Arbeit. Ich weiß, es gehören Probleme und schlaflose Nächte dazu, vor allem 2003/04, als ich bei der Kürzungspolitik des Landes aufpassen musste, die Uni Hildesheim nicht abwickeln zu müssen. Und in der Phase, das vergesse ich ihm » MAN WÜRDE DIE UNIVERSITÄT MISSVERSTEHEN, WENN MAN SIE FÜR EINE SPIELWIESE HIELTE « nicht, bin ich zu Ministerpräsident Wulff gegangen und habe gesagt: Ich stehe für eine Abwicklung der Uni nicht zur Verfügung. Er hat sich meine Argumente angehört und dann gesagt, dass ich von ihm hören werde – und dann lief es. Ich sehe ihn sehr kritisch, aber die Sicherung der Universität Hildesheim verdanken wir ihm. Seitdem macht mein Amt Spaß und es ist was dabei herausgekommen. Ich gestehe, ich bin stolz auf die Domäne, weil ich das Risiko eingegangen bin, dort auszubauen. Der Abschied wird Ihnen also schwer fallen. Nein. Ich bin ja noch ein paar Jahre da. Mit dem Stiftungsrat habe ich für mich eine Zielvereinbarung von fünf Jahren verhandelt. Natürlich kann ich vorher abgewählt werden, aber vertraglich bleibe ich bis zum 31.12.2018. Meine Frau findet das gut, weil sie auch weiterarbeiten will. Wir haben leider keine Kinder und mir macht die Arbeit unglaublich Spaß. Inwiefern nehmen Sie als Mitglied des ZDFFernsehrates Einfluss auf das Programm des Senders? Nein, das darf ich nicht. Einflussreich in den Öffentlich-rechtlichen sind die Verwaltungsräte. Ich melde mich regelmäßig zu Wort und lobe zum Beispiel die Klassikmusikprogramme bei Phoenix und Arte über den grünen Klee oder kritisiere einen Beitrag im heute journal. Ich will nicht sagen, dass meine Kritik wirkungslos verhallt, aber wenn es ernst wird, heißt es immer wieder, dass man nicht in die Arbeit der Journalist*innen eingreifen dürfe. Wirkungsvoll war unter anderem auch meine Position zur Darstellung von Migrant*innen in Krimis. Ich bin der Meinung, dass mit dem Thema Einwanderungsland sensibel umgegangen werden muss, das heißt, dass Migrant*innen nicht nur als Drogendealer, sondern auch als Komissar*in auftauchen sollten. Die vielen Beispiele funktionierender Integration müssen auch sichtbar werden. Es ist für mich jedenfalls eine wahnsinnig interessante Arbeit, aber wegen der Neuordnung der Gremien werde ich wohl nächstes Jahr nach meiner Amtszeit ausscheiden. Friedrich beantwortete alle Fragen sehr souverän. Wir müssen uns eingestehen, dass wir ihn nicht aus der Reserve locken konnten. Vielmehr bleibt der beängstigend unrealistische Eindruck, dass Friedrich wirklich alles für unsere Uni tut. Zum Abschluss: Bringen Sie die Begriffe Universität und Spielplatz in einen Zusammenhang. Man würde die Universität missverstehen, wenn man sie für eine Spielwiese hielte. Dass ein Bestandteil der Uni auch spielerisches Handeln und Denken ist, gehört zu ihrer Wirklichkeit, aber das ist nur ein kleiner Teil. Das gehört zur Conditio humana, weil zur menschlichen Natur auch der spielerische Umgang – auch mit ernsten Dingen – zählt. Ich sehe durchaus, dass in Verhandlungen und Sitzungen spielerische Elemente auftauchen, bei mir kommt das wahrscheinlich sehr reduziert vor. Nur ist die Universität kein Spielplatz, sondern der Homo ludens ist auch in der Universität. 69 70 Eva Reuter Eva Reuter 71 6 MAL 6 FRAGEN AN DAS STATE OF THE ART #6 1. Was wird es zu beichten geben nach drei Tagen Exzess? 2. Werden wir Dozierende zum Saunieren bewegen? 3. Wie viel Blut wird fließen? 4. Wie viel Schweiß und wie viele Tränen werden wir produzieren? 5. Wie viele Liter Bier wird das Festival verschlingen? 6. Und wie viel nacktes Fleisch werden wir zu sehen bekommen? 7. Werden wir es schaffen, einen (inter-)nationalen Diskurs anzuregen? 8. Wird Angie dieses Mal unserer Einladung folgen? 9. Und wird Herr Friedrich zur Eröffnung erscheinen? 10. Wer wird die feierliche Eröffnungsrede halten? 11. Werden wir unsere Itzumer Nachbar*innen für Performance begeistern können? 12. Wird es uns gelingen, den Besucherrekord zu brechen? 13. Wie viele Stunden am Stück werden wir wach sein? 14. Wer wird am längsten hinter der Bar stehen? 15. Werden wir es schaffen, mit einer Herdplatte alle Bäuche rund um die Uhr zu füllen? 16. Wird die Festivaltorte diesmal sechs Schichten haben? 17. Wird das Domänen-W-Lan all dem Twittern, Instagramen und Bloggen standhalten? 18. Wer wird mehr ins Schwitzen kommen: Die Künstler*innen oder das Leitungsteam? 19. Wie legendär wird die Party des Jahres? 20. Welchen Dozierenden werden wir im Morgengrauen auf dem Dancefloor begegnen? 21. Werden wir schon bei den Frühstücken diskussionsfreudig sein? 22. Werden neue Freundschaften entstehen? 23. Oder neue Feindschaften? 24. Wird es dieses Jahr jemandem gelingen, sich ein Schlafplätzchen auf der Domäne zu ergattern und Herrn Kapkes Adleraugen zu entgehen? 25. Wie viele Polizeieinsätze wird es geben? 26. Werden wir von Regen, Hagel, Gewitter und Orkanen verschont bleiben? 27. Gegen wie viele Raumauflagen werden wir verstoßen? 28. Welche/r Uniangestellte wird nach dem Festival am meisten aufgebracht sein? 29. Und wie viele Flaschen Crémant werden wir zur Wiedergutmachung brauchen? 30. Wer aus dem Leitungsteam wird im Anschluss nicht mehr miteinander sprechen? 31. Wer wird der Shootingstar des Festivals? 32. Und welches Tier wird diesmal zum Festivalliebling? 33. Wie viele Pärchen wird das Festival hervorbringen? 34. Werden die Gießener unsere Produktionen genauso rückhaltlos niedermachen wie ihre eigenen? 35. Wird es uns gelingen, die Baustellen in die Festivalarchitektur einzubauen? 36. Wie viel Pink verträgt die Domäne? STATE OF THE ART #6, 17.–19. OKTOBER 2014, KULTURCAMPUS DOMÄNE MARIENBURG, statesechs.wordpress.com 72 Julia Roth, Johann D. Thomas, Veronika Knaus 73 76 Das Königreich eines Kindes 80 Milka Luflée 82 Stadtsommer 84 STETS BEMÜHT 90 »Ich bin Swagoptimist« 94 HoKi DAS KÖNIGREICH EINES KINDES » DAS LEBEN LEISTET DEN ZUFÄLLEN, DENEN ES UNTERWORFEN IST, WIDERSTAND, INDEM ES SICH STÄNDIG AKTUALISIERT UND DIE WECHSEL ÜBERDAUERT. « Erster Teil Aἰὼν παῖς ἐστι παίξων πεσσεύων· παιδὸς ἡ βασιληίη. Aion pais esti paizon, pesseuon; paidos ä basilää.1 Spielend ist eine Lebenszeit ein Kind, spielend mit Steinchen auf dem Brett; das Königreich eines Kindes. In diesem von Heraklit überlieferten Ausspruch verbinden sich zwei Dinge, durch die etwas Denkwürdiges entsteht, das auch, wenn es uralt ist (knapp 2500 Jahre) heute noch Früchte tragen kann. Die Spannung in diesem Herkalitfragment entsteht aus dem Begriffspaar von aion und pais und führt uns direkt zur Dialektik des Spiels. Dieses aion, bezeichnet im Altgriechischen eine Zeit, aber ebenso das Rückenmark als Sitz der Lebenskraft. aion bezeichnet also eine menschliche Zeit, eine Lebenszeit, und kann sogar mit Leben übersetzt werden, jedoch auch mit Ewigkeit. aion selbst als Begriff ist widersprüchlich. Es mit Zeit zu übersetzen ist am unverfänglichsten, doch ebenso wenig gewinnbring end. Sinn gewinnt die Widersprüchlichkeit von Lebenszeit, 76 Dies aion, das wir nun also zur Genüge beleuchtet haben, ist laut Heraklit ein Kind! Nicht ein Gott oder mündiger Bürger, nein, ein Kind. Zu allem Überfluss spielt es auch noch ein Brettspiel, eine Art Mühle oder Backgammon. Nach dem Semikolon in Heraklits Zitat erfolgt schließlich noch ein Zusatz, der die Spielsituation ins Unermessliche treibt und sie in einen Kontext von Macht bettet. Beginnen wir also, dies in Beziehung zur eigenen gestalteten Lebenszeit zu setzen: Das aion ist ein pais, ein Kind. Im Begriff des Kindes kommt zusammen: ein Sprössling zu sein, d. h. Herkunft zu haben und dieser verpflichtet zu sein, schon eigenständig in der Lebendigkeit zu sein und doch auch noch nicht. Besonders ist ihm auch der Unernst, das Spielerische, über das hinaus dem Kind nichts zugetraut wird. Es ist unvollständig, noch kein Glied der Gesellschaft, es bleibt von dieser ausgeschlossen und sogar vor ihr geschützt, d.h. bevormundet. Das Kind jedoch, bei aller bloßen Mimesis des Erwachsenenlebens, lebt dennoch in seiner eigenen Welt voller Ernst, da es in seiner Welt selbstständig sein muss. Für das Kind ist das Spiel nicht nur Selbstzweck oder Abbildung, sondern ein ganz besonderer Habitus: Ewigkeit und Sitz der Lebenskraft angesichts des Chronos 2, der herrschenden Zeit und der anthropologischen Bestimmung, das als ephemeres (also flüchtiges) Wesen »jeder Aktualität, die sich einstellen mag, ausgesetzt und unterworfen«3 ist. Das aion als Zeit entzieht sich der Herrschaft des Chronos (wie es auch die Ewigkeit tut). Lebenskraft und Leben streben in ihrer Unterworfenheit nach Freiheit und Gestaltung, vor allem aber nach Dauer. Das Leben leistet den Zufällen, denen es unterworfen ist, Widerstand, indem es sich ständig aktualisiert und die Wechsel überdauert. Das aion können wir also auffassen als eine eigene, gestaltete Lebenszeit, die sich der Herrschaft des Chronos entzieht und sich darin, wie auch im Andauern-Wollen und -Können im Wechsel des Aktuellen gründet. Hendrik Buhr Es gibt sich selbst die Regeln und bricht immer wieder aus ihnen aus. Wie es sich an der Erwachsenenwelt orientiert, so missachtet es diese auch. Manchmal aus Trotz, manchmal aus Unwissenheit. Genau dies ist nun das aion selbst. Das aion handelt von tiefem Ernst im Spiel. Gegen die Zeit bäumt es sich auf, der sie doch verpflichtet ist als Voraussetzung. Den Preis des Lebens setzt das aion stets aufs Neue ein, um zu leben. Gegen diesen Ernst setzt es das Spiel, in dem es sich selbst herausfordert und mit sich spielt – in unserem Fragment spielt nur ein Kind. Es spielt mit sich und entflieht so der Scham zu verlieren, als es ebenso sich herausfordert, um sich selbst zu übertrumpfen, es ist sich genug – auch ein Grundzug des kindlichen Spiels. Der Herrschaft des Chronos entfliehend kann es nur Zuflucht bei sich finden. Die Ewigkeit, welche im Begriff des aion angelegt ist, entgeht der Unterwerfung vor der Zeit. Die Ewigkeit findet sich in diesem Spiel mit sich selbst wieder – es gibt keine Begrenzung des Spiels, die nicht im Spielenden selbst liegt. Oder andersherum: Im Spiel selbst ist Ewigkeit – da es sich selbst begrenzt. Die Zeit der anderen verliert an Bedeutung in der Selbstgenügsamkeit. Hier gibt es keinen Zeitdruck. Mit dem Spiel wird sich so gegen die Herrschaft des Chronos gewehrt (auch wenn unsere biologische Uhr ticken mag). Vergehende Zeit findet nicht statt. In der Unfähigkeit, sich der Zeit zu entziehen, liegt der Ernst der Erwachsenen, die dem Kind völlig abgeht. Kinder haben noch keine Idee ihrer Endlichkeit. Uns bedrückt unsere Endlichkeit, die für das Kind noch kein Thema ist, wie es im Spiel seine Selbstständigkeit sich selbst beweist ohne seine Eltern als seine Herkunft zu begreifen und ihnen deshalb dankend und ehrend zu begegnen. Die Eltern sind im Spiel störend und es verhält sich darin ihnen gegenüber ignorierend. In Anbetracht der Ewigkeit, die im kindlichen Spiel liegt, wird das Kind zum König. Das Spiel ist ein Königreich, das Königreich eines Kindes. Ein Herrscher ist frei, frei von allem und nicht durch alles. Nicht in der Freiheit des anderen liegt seine Freiheit begründet, sondern in der Unantastbarkeit seiner Freiheit, die nicht durch die der anderen bedingt wird. Er ist der Moral enthoben. 77 Heraklit drehte vor langer Zeit schon einmal an der Wertung des kindlichen Spielens, das, wie wir gesehen haben, nicht ohne Ernst ist, aber ohne Schuld und dennoch hat sich bisher nichts daran geändert. Spielen findet nicht im Alltag und in der Wirklichkeit statt, immer noch nicht. Wie groß sind gegen uns die Kinder in ihrem Künstlertum! » WER HAT UNS MIT WELCHER KONSEQUENZ EIGENTLICH VERBOTEN ZU SPIELEN, MIT FREIEN REGELN ZU GESTALTEN, WIE EIN GENIE? « Als Mensch der Gesellschaft kann dies nur als Ärgernis gelten, als minderwertig, als etwas, das allerhöchstens dem Kind in seiner Unwissenheit erlaubt ist. Sich dem Spiel als Erwachsener zu widmen hat den Beigeschmack von Flucht vor dem Alltag und der Wirklichkeit. Ist da die Wirklichkeit nicht ebenso erfunden wie die Spielregeln des Brettspieles? Und ist da nicht Neid dem Kinde gegenüber im Spiel? Gegenüber seinem Reichtum der Müßigkeit? Erinnern wir uns noch einmal daran, dass nicht allein das Kind so ist, sondern auch die eigene gestaltete Lebenszeit selbst. Es scheint durch diese Setzung ins Bürgerliche das Bewusstsein der Gestaltung abhanden gekommen und geradezu zu einem Sakrileg geworden zu sein. Wer hat uns mit welcher Konsequenz eigentlich verboten zu spielen, mit freien Regeln zu gestalten, wie ein Genie? 78 Zweiter Teil Im Spiel ist das Kind ein König. Unser gegen sich selbst spielendes Kind in seiner Selbstgenügsamkeit ist nicht verzweifelt. Weder an seiner Einsamkeit, noch an seiner Spaltung, noch am Grund, weshalb es spielt. Mit sich selbst zu spielen macht es zum König mit einem Reich. Dieses Königreich liegt im Spiel als etwas Vollzogenes, im Spielen des Spiels. Nur ein König kann spielen. Wie ein Spiel von zweien gespielt werden kann, so eben auch von einem. Jedoch nur von einem, der von sich selbst zurücktreten kann – sowohl sich auf sich selbst verlassen als auch sich selbst hintergehen kann. Im Spielen werden die Perspektiven gewechselt, nacheinander eingenommen und vergessen, immer mit der Maßgabe, sich selbst zu übertrumpfen. Das mit sich und damit gegen sich spielende Kind weist uns auf eine grundmenschliche Fähigkeit hin und damit auf das, was es zum Menschen macht. Das Kind ist das, was es ebenso nicht ist, es ist zu mehr fähig als zu bloßer Wiederholung. Es kann nicht nur anders, es kann sich sogar gegenüberstehen. Es kann sich herausfordern ohne Angst vor dem, was sich dabei zeigen könnte. Zu spielen bedeutet nicht allein, einmal vom Ernst des Alltags abzusehen, den Kontext zu wechseln und jemand anderes zu sein, sondern mehr noch, sich selbst zu vergessen. Das Kind kann nur mit sich spielen, weil es keine Angst hat, aus seiner Identität herausgerissen zu werden, die ihm eine einzelne Rolle gibt. Der Ausgang des Spiels ist belanglos für den König, es warten auf ihn weder Schmach, noch Ruhm und Ehre, die ihm andere zuteilwerden lassen. Im Spiel ist der König des Spiels nur sich selbst ausgeliefert und diesem steht er in jeder Partie erneut und unerbittlich gegenüber. Erst in der Auslieferung seiner an sich selbst ist der König oder das Kind Herr seiner Lebenszeit und ebenso ihrem Sinn alleine ausgeliefert. In seiner Behauptung dieser ist es geborgen und ausgeliefert. Die Spielsteine auf dem Brett werden nach festgelegten Regeln gesetzt. Sie ermöglichen erst das Spielen. Sie bringen das Spiel in Gang und stiften den Sinn der festen Grundlage, denen sich das Kind ausliefert und dafür mit der Geborgenheit in einer geregelten Ganzheit belohnt wird. Ohne Regeln könnte es nicht spielen, nicht sich herausfordern und sich selbst übertrumpfen. Im Spielen mit sich wird das Kind zum Schöpfer einer Welt, es erfährt sich darin produktiv entlang der Spielregeln als erschaffend und ergründend, als mehr als es vorher war. » ZU SPIELEN BEDEUTET NICHT ALLEIN, EINMAL VOM ERNST DES ALLTAGS ABZUSEHEN, DEN KONTEXT ZU WECHSELN UND JEMAND ANDERES ZU SEIN, SONDERN MEHR NOCH, SICH SELBST ZU VERGESSEN. « Haben wir das Spiel abgewertet, weil es zum noch zu erziehenden, unvollständigen Menschen gehört und wir uns selbst als vollständig begreifen? Wann sind wir abgeschlossen? Oder haben wir Angst vor uns selbst, vor einem nicht fassbaren Teil des Menschen in uns, der uns in einer Spielsituation mit uns ergreifen könnte? Wenn schon Kinder nach Regeln sich selbst herausfordern können, welche Welten lassen sich dann aus einem Erwachsenen produzieren? 1Fragment B52 von Heraklit von Ephesos nach Hermann Diels und Walter Kranz, Heraklit-Fragmente, hrsg. von Bruno Snell, München, Zürich, achte Auflage 1983, S. 18. 2Auch Chronos ist nicht nur ein Begriff für die Griechen gewesen, sondern auch ein Gott. Er ist der Vater des Zeus und wurde von seinem Sohn gestürzt – seitdem ist er der Herrscher der Götter und Menschen. 3Hermann Fränkel: »Ephemeros als Kennwort für die menschliche Natur« in »Wege und Formen frühgriechischen Denkens«, hrsg. von Franz Tietz, München 1955. S. 25. 79 MILKA LUFLÉE Vanessa hat ihren gelben Turnanzug an. Verena steht neben ihr und wickelt sich ihre blonden Haare um den Finger. Und beide lachen. Sie lachen und halten sich ein bisschen die Hand vor ihre kleinen Münder und schauen. Schauen mich an und an mir herunter. Ich steh da mit meiner 7/8-Sporthose von Tchibo. Die Hose ist blau und am Knie hat sie ein kleines Loch, weil ich beim Rennen hingefallen bin und dann auf dem Turnhallenboden entlangrutschte. Da haben sie auch gelacht, aber nicht so laut. Meine Turnschuhe sind mir auch zu groß. Mama meint, dass ich ruhig die Sachen von meinem großen Bruder tragen kann. Immerhin mein Sportshirt passt mir einigermaßen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich dicker bin als mein großer Bruder. Du bist doch nicht dick, sagt Mama immer. Aber Vanessa und Verena lachen trotzdem. Und dann glaube ich Mama nicht mehr. Dann lügt sie mich » an. Nachher holt sie mich von der Kindersportschule WENN ICH MIT MAMA EINKAUab und dann sage ich ihr, dass sie eine Lügnerin ist. FEN GEHE, DANN BEKOMME Vielleicht fahren wir aber auch zu Real und kaufen ein. Wenn ich mit Mama einkaufen gehe, dann ICH IMMER WAS. IRGENDWAS, bekomme ich immer was. Irgendwas, was ich mir WAS ICH MIR WÜNSCHE. ES SEI DENN, ES KOSTET MEHR ALS wünsche. Es sei denn, es kostet mehr als zehn Euro. ZEHN EURO. DANN MUSS ICH Dann muss ich mein Sparschwein mit dem kleinen Schlüssel von der Sparkasse aufmachen und das MEIN SPARSCHWEIN MIT DEM KLEINEN SCHLÜSSEL VON DER Geld da rausnehmen. Naja, Mama ist jetzt bestimmt schon da und ich renne in die Umkleidekabine, um SPARKASSE AUFMACHEN UND schnell rauszukommen. Ich renne gar nicht, ich DAS GELD DA RAUSNEHMEN. gehe langsam, damit Vanessa und Verena nicht « 80 Urs Humpenöder lachen können. Stephan erzählt in der Umkleidekabine, dass er nächste Woche operiert wird. Dass er beschnitten werden müsse, weil er nicht richtig pinkeln kann. Das erzähle ich Mama nicht. Stephan ist mein Freund, aber der ist dünn. Naja, Stephans Mama kommt immer zu uns in die Umkleide, um Stephan abzuholen. Meine wartet draußen, im Auto, auf dem Parkplatz. Tschüss Stephan, viel Glück im Krankenhaus. Hallo Mama, du bist eine Lügnerin. Ich traue mich nicht, das zu sagen. Ich steige ins Auto und wir fahren los. Wir müssen noch was einkaufen, sagt Mama und ich freue mich. Nimmst du bitte den Einkaufszettel. Mama gibt mir den Einkaufszettel und darauf stehen nur Klopapier, Nudeln, Spülmittel, Weichspüler, Tortellini, Frischkäse, Parmesan und Hackfleisch. Meinen Einkaufszettel zeige ich Mama nicht. Darauf würde stehen: Milka Tender Milch, Milka LEO, Milka Nussini Haselnuss, Milka Milketten Haselnuss, Milka Alpenmilch 100 g, Milka Schoko & Keks 300 g, Milka Riegel Daim, Milka Choco Jelly, Milka Lila Pause Nougat-Crème, Milka Mein letztes Stückchen Alpenmilch, Milka M-Joy Whole Hazelnut, Milka Choco Wafer, Milka Trauben-Nuss 100 g, Milka Choco Pause, Milka Crispello à la Vanille Pudding 30 g. Das ist nicht wegen der lila Kuh. Auch nicht, weil ich die Schokolade von Lindt nicht mag. Eigentlich ist das sogar meine Lieblingsschokolade. Die ist immer rot eingepackt und Oma bringt sie mit, wenn sie in der Schweiz ihre Verwandten besucht. Aber ich hab nur zehn Euro und will die nicht für Lindt ausgeben. Ich hab einen kleinen Korb unter meinem Bett, den ich noch im Kindergarten gebastelt habe. Da verstecke ich meine Süßigkeiten vor meinem Bruder. Mama verrät ihm auch nicht, dass ich mir immer was kaufen darf, wenn wir zusam» men einkaufen. Mein Bruder ist sowieso ICH LIEGE AUF DEM BODEN ZWIimmer beschäftigt, der spielt Posaune und Basketball und geht schon ins Gymna- SCHEN ZWEI LANGEN REGALREIHEN. LINKS UND RECHTS VON MIR IST ALLES sium. Der lernt Latein und Englisch. LILA. ICH BIN ANGEKOMMEN. Mama findet mich nicht mehr. Ich « bin weggerannt. Ich liege auf dem Boden zwischen zwei langen Regalreihen. Links und rechts von mir ist alles lila. Ich bin angekommen. 81 STADTSOMMER Ich war jung und habe die ganze Zeit geschrieben. Ich dachte nur an Kunst und nicht an Liebe, mit hohem Pulsschlag und großen Augen stand ich vor Bildern auf Asphalt und Worten an Klotüren und war glücklich, dass es nichts zu vermissen und vieles zu entdecken gab. Ich verdiente leichtes Geld und kaufte mir damit Bücher für die Bibliothek meiner Zukunft, weil ich verrückt war, zum Beispiel nach Papier, manchmal nach Körpern, nach Schweiß und anderen herben Gerüchen. Ich hatte die Schule abgeschlossen und ihre ganzen Ungereimtheiten abgeschüttelt an einem halben Tag in der Stadt. Ich musste nicht mehr ins Freibad, um mir die spaghettifeinen und melonenüppigen Bikinis meiner Mitschülerinnen anzusehen. Ich kaufte Moleskins, um die edlen Kladden unter meinen feuchten Händen und fettem Tesa auf Passfotos verwildern zu lassen. » ALS DER SOMMER VORBEI WAR, ARBEITETE ICH, UND ALS DIE ARBEIT VORBEI WAR, WAR WIEDER SOMMER. « Der Sommer war so gut wie alle Sommer, denn die Sommer waren das Einzige, das seit meiner Geburt immer gut gewesen war, stärker als alles. Groß geworden und klein geblieben gegen den eigenen Willen, auch jetzt, als ich mich hineingab in ihn bis die Taschen rissen, mit denen ich ausgezogen war, erst in meiner eigenen Stadt, dann in vielen anderen. Stadtbäume klebten meine Hände voll mit Harz. Ich hatte Reisetermine und abgebrochene Sonnenbrillenbügel, eine Taube an den Flip-Flops und ein Delirium in einer Beton-Odyssee. Die Verlockungen nach der Schule flochten mir Dreadlocks ins Haar, Sommersprossen fielen mir wie Schuppen von den Augen. Als der Sommer vorbei war, arbeitete ich, und als die Arbeit vorbei war, war wieder Sommer. 82 Julia Rüegger Wenn es zu heiß war, flüchtete ich in Buchhandlungen. Die weiblichen Verkäuferinnen waren kundenorientiert, die männlichen lasen lieber still in den Neuanschaffungen. In der Buchhandlung traf ich dich, ich sah von deinen Augen direkt in deinen Bauchnabel und entschied mich, mit dir fortzugehen. Wir sahen uns Häuser sich tot-gesoffener, südlandsüchtiger Schriftsteller an, während die Ruinen im Beat der Touristen zitterten. Wir lernten eine Frau kennen, die von morgens bis abends nur Enthüllungs-Dokus sah: Klima, Nahrungsmittelindustrie, Kapital-Konzerne und so fort. Die Welt ist schlimm geworden, aber nur vor dem Fernseher, neben dem Bildschirm ist sie so schön wie eh und je. Die Frau trug nur noch Fetzen und Federn und dachte, sie sei geschmückt. Wir fanden, dass sie es schön hatte, schöner als viele, die nicht mal mehr den Fernseher genießen konnten und trotzdem nie ein Buch lasen und im Schwimmbad ihre Beine kritisierten und keine Wasserbomben machten. » WIR SAHEN UNS HÄUSER SICH TOT-GESOFFENER, SÜDLANDSÜCHTIGER SCHRIFTSTELLER AN, WÄHREND DIE RUINEN IM BEAT DER TOURISTEN ZITTERTEN. « Der Sommer war so lang und jeder Tag so üppig, dass wir Angst hatten, unsere Vergangenheit und vielleicht sogar unsere Zukunft zu verlieren. Ich blickte lange in deinen Bauchnabel. Du sagtest, ich solle mein Notizbuch jemandem schenken, der es braucht. Die vollen oder die leeren Seiten, fragte ich und wollte dir den Bauchnabel rausreißen, mitnehmen, ihn behalten, falls du jemals weggehen solltest. Jetzt machte mich schon der Sommer aggressiv, dachte ich. So schön war er, endlos wie sonst nur der Winter, und ein paar Grad zu warm, um sich Notizen in todschwarzen Büchern zu machen. 83 04 THE MUD SHARK INTERVIEW STETS BEMÜHT 20 WORKCLIPS GETARNT ALS FRANK-ZAPPA-PLAYLIST 02 THE PURPLE LAGOON 01 A LITTLE GREEN ROSETTA Er und seine Kontrollsucht. Wenn sie ihm mitteilt, wie es unstrittig besser wäre, ist er aus Prinzip dagegen und zwingt sie dazu, hinter den Schriftzug grünen Glow zu setzen. Grünen, billigen Glow! Glücklicherweise hat sie inzwischen dazugelernt. Wenn sie direkt etwas entwirft, von dem sie weiß, dass es seine Geschmacklosigkeit treffen wird, stehen die Chancen fifty-fifty, dass es bei der Scheiße bleibt. So entgeht sie möglicherweise der Verschwendung, für etwas Grottiges doppelt so viele Nerven aufzubringen, wie für etwas Schönes. Trotzdem geraten sie regelmäßig in Streit, denn Jule wohnen noch rudimentäre Reste von Berufsehre inne. Manchmal gibt er ihr recht. Meist jedoch zieht er schon in der dritten Runde das letzte Register, welches lautet, er sei der Boss. Überhaupt hätte er solche Diskussionen früher nicht gehabt. Wenn er ihr so kommt, fühlt sie sich von Millionen mikroskopisch kleinen Penissen in jede Pore ihres Körpers gefickt. Wenn sie genügend Vergewaltigungen gesammelt hat, ist sie dreckig genug für die Selbständigkeit. 84 Er missbilligt ihre Anbetung. Jeden Mittag dasselbe. Ganz schlimm wird es, wenn sie versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Meist dreht es sich um die Arbeit, ihre einzige Gemeinsamkeit. Hin und wieder packt sie der Übermut, ihm öden Privatmüll zu offenbaren. Abgesehen davon, dass ihr Leben ihn nicht interessiert, kommt sie dabei nur weg wie eine alte Jungfer, die er dafür bewundern soll, dass sie sich trotz ihres offensichtlichen Elends nicht unterkriegen lässt. Dennoch isst er täglich wieder in der Kantine. Hat er doch keine Lust, sich als vertriebener Hund draußen in der Stadt teurer zu ernähren. 03 I’M SO CUTE Der Chef wickelt gedankenverloren das Beamerkabel. »Sie fahren Montagmittag mit Herrn Fischer. Ich bin vorher in Göttingen. Wir treffen uns alle auf dem Parkplatz und fahren hintereinander weiter.« Sie nickt und fragt lakonisch nach dem Dresscode. Er linst mit einer Mischung aus Überlegen- und Verklemmtheit. »Ich weiß nicht, ob ich das so sagen darf. Aber Sie haben doch dieses T-Shirt. Dieses Kleid, das eine da, dieses...« Seine Blick schweift rat- und rastlos über seinen Papierkram. Plötzlich verbrüdert hilft sie ihm auf die Sprünge. »Sie meinen das mit den bunten Quadraten?« »Ja, genau!!!« Er strahlt. »Wenn Sie das anziehen würden?« Aaaaach, why not, du fertiger Sack. Marlene Klünker Marlene Klünker Marcel und Rainer sitzen sich gegenüber. Durch Bildschirme getrennt sehen sie sich nicht, doch Marcel hört Rainer kauen und mit Tüten knistern, den ganzen Tag! Manchmal schluckt Rainer so laut, dass Marcel angewidert die Augen zusammenkneift und mit bewölkter Stirn um Konzentration ringt. Ganz zu schweigen von den Momenten, in denen Rainer aufstößt. Schlimm ist auch, wenn die 2-Liter-Wasserflasche kracht, weil sich das billige Plastik beim Trinken deformiert, als zerschrotte es schon in der Müllpresse. Marcel ist gereizt. »Warum isst Du nicht in der Pause, sondern über den ganzen Tag verteilt?« Rainer bringt es fertig, diese Lebensfeindlichkeit zu ignorieren. Fast liebevoll sagte er: »Ich esse gern beim Arbeiten. Dann ist die Zeit doppelt genutzt. Außerdem ist es gesünder.« Seine Dickfelligkeit ist bewundernswert. 05 SPIDER OF DESTINY »Ich habe keine so frohe Botschaft«, bekennt sie an die Glastür geschmiegt. »Frau Zobel will hinschmeißen!« »Was ist passiert?« (Was soll schon passiert sein?!) »Wir haben so viel zu tun, dass wir alle die Nerven verlieren.« Ein Vorwurf brennt im Raum, doch die Chefin trägt Asbest. Kathi fährt härtere Geschütze auf, bis sich die Geschäftsführung wie ein Panzer über den Tisch schiebt und fragt: »Soll ich rübergehen und denen mal ordentlich den Kopf waschen?« Schockiertes Luftschnappen. »Bloß nicht. Sie sind ein Drachen! Verstehen Sie mich nicht falsch, aber das würde alles verschlimmern.« Langes, verständiges Schweigen. Kathi beschließt: »Okay, ich muss einen Moment zur Ruhe kommen.« Mit beiden Händen krault sie sich die Stirn. »Ich gehe zurück und gebe den Clown! Wir müssen besonders Frau Zobel bei Laune halten.« Die Chefin reißt die Augen auf. »Tun Sie das! Ich kaufe Eis und Schokolade.« 06 FILTHY HABITS Es klingt wie ein Klischee, aber der Direktor kommt tatsächlich nur einmal wöchentlich vorbei, um die Bareinnahmen aus dem Tresor zu fischen und ein bisschen vertuschenden Wirbel zu machen. Dann zieht er sich samt Kohle in seine Kohlenhölle zurück und niemand vermisst ihn. 07 MOVE IT OR PARK IT »Wenn ich da nun präsentieren und bluffen muss, als sei ich schon fünf Jahre an Bord. Das ist doch gefährlich und total schwammig.«, findet er. »Was ist, wenn die das abklopfen. Dann stehe ich doch voll auf’m Schlauch.« Die Chefin seufzt gespielt mitleidig und rollt dann den Hautteppich ihrer Stirn auf. »Na Bluffen, das müssen Sie können. Das gehört zu Ihrem Handwerkszeug. Sie haben’s doch voll drauf ... da können Sie ja wohl auch so tun, als sei das schon länger so!« Er fühlt sich geschmeichelt. Sie fährt unbekümmert fort: »Irgendwann sind Sie tatsächlich fünf Jahre dabei und das Thema hat sich erledigt.« Fünf Jahre in diesem Laden? Sie wendet sich wieder ihren Unterlagen zu, doch er hat seinen Gutmenschentrip noch nicht überwunden. »So lügen zu müssen, das versaut doch den Charakter!« Beiden ist klar, dass er ihr damit versauten Charakter vorwirft. Sie lehnt sich belustigt zurück und gesteht: »Natürlich versaut das den Charakter.« Als hätten sie ihre Dickköpfe aneinander geschlagen, sprüht ein Funke der Ehrlichkeit. »Ich hatte früher viele schlaflose Nächte, das können Sie mir glauben. Aber was meinen Sie, wie schnell Sie das vergessen, wenn Sie erst mal Ihr weiches Polster haben.« 08 STINK FOOT Manchmal drücken ihre Pumps. Dann kickt sie sie unterm Schreibtisch von den Hacken, und in alle Nasen steigt Odeur käsigen Nylons. Ihm gefällt das, denn es macht sie so menschlich. 09 FOR THE YOUNG SOPHISTICATE Endlich wird das dicke Ding eröffnet, an dessen Entstehung ihr Büro beteiligt war. Da der Bundespräsident erwartet wird, lassen bewaffnete Polizisten ein Rudel toffeebrauner Hunde die Kulissen nach Sprengstoff abschnüffeln. Tanja bringt das in Wallung, doch den Bullen fehlt so gänzlich der Sinn für ein lockeres Flirtchen. So glotzt sie missmutig durch ein hohes Fenster in den Hof. Auch hier wird jeder Millimeter beschnüffelt. Durch alle schnurgeraden Stuhlreihen huscht ein Tier und wird in regelmäßigen Abständen dafür belohnt. Umrahmt von Prunkbauten offenbart der ganze Platz eine Bildsprache, dem nur noch die Hakenkreuzflaggen fehlen. Wo ist Tanja bloß reingeraten? 85 11 LITTLE UMBRELLAS Die Büroräume waren früher eine Wohnung. Wenn jemand pinkelt, hören es alle. 12 VALERIE Es folgen lange Reden kurzen Sinns, untermalt von Buhrufen einer Demonstrantentraube. Ein kleines Orchester weckt das Haifischbecken Publikum zwischendurch mit pathetischen Stücken. Richtig: Hier wird ja was eröffnet! Sechs Jahre lang hatten alle Beteiligten Zeit, sich zu verkrachen, und sie waren gründlich. Da helfen Sekt und Schnittchen. Der Chef hüllt sich in Nörgelei. Zu sehr liegt er mit den Wichtigen im Clinch, als dass er heute Spaß hätte. »Ich frage mich wirklich, wie ...«, »Ich habe immer wieder gesagt, dass ...«, »Als ich vorhin gesehen habe, was sie daraus gemacht haben ...«, »Das kommt davon, wenn lauter Leute, die keine Ahnung haben ...« Tanja übt sich in Geduld, doch der Faden ist nie dick genug. »Ich werde depressiv, wenn Sie so weitermachen!« Sie erinnert ihn daran, dass hier sehr vieles wunderbar gelungen sei und krönt ihre Aufzählungen mit der Frage, was ihm denn am besten gefallen habe. Er fixiert sie um eine Nuance erheitert und sagt: »Das Beste am ganzen Tag war für mich, wie Sie sich über die Sprengstoffhunde gefreut haben.« Sie schnaubt. »Nein, wirklich! Das war hier heute das einzig Ehrliche.« Jetzt hat auch Tanja schlechte Laune. 10 ZOOT ALLURES Es gab bereits zwei Anrufe mit Erkundigungen nach Verbleib der Unterlagen. Sie können leider erst verschickt werden, wenn die Chefin ihren Kringel daruntergesetzt hat. Judith pflegt grundsätzlich einen guten Draht zu ihrer Vorgesetzten. Gestern erst haben sie sich über Filme unterhalten, als seien sie Freund innen. Endlich betritt die Frau, die der ersehnten Signaturen mächtig ist, den Flur. Sie wirkt abgekämpft, da beschönigen auch die künstlich verlängerten Haare nichts. »Frau Reimann. Können Sie mir bitte noch die Sachen hier unterschreiben? Das muss alles heute noch raus!« Frau Reimann hebt demonstrativ ihre mit Hochglanztaschen teurer Geschäfte behängten Arme. Verständnislos starrt sie Judith an und schnappt: »Ich wüsste nicht, womit!« 86 Das Weihnachtsgeschäft war mühsam, nun feiert das Kollegium. Die neue Geliebte des Chefs ist eine maskulin anmutende Polizistin. Hochgewachsen, kräftig und sehnig. Das einzig offensichtlich Weibliche an ihr sind ihre Frisur und manche Bewegungen beim Tanzen. Als Philipp den Joint an sie weiterreicht, zieht sie sorglos und gibt ihn auch brav weiter. 13 HONEY, DON’T YOU WANT A MAN LIKE ME Wochenlang hat er sie auf die Palme gebracht. Zuletzt hatte sie Mühe, seine fiesen Bälle zurückzuspielen. Eines Tages reicht es ihr. Als er da mal wieder so bräsig steht, packt sie ihn und nimmt ihn direkt an ihrem Schreibtisch in den Schwitzkasten. Blitzschnell kuschelt er sich wie ein Hundewelpe an ihrem Busen zurecht, sieht sie mit großen Augen an und fragt: »Samstag schon was vor?« 14 FRIENDLY LITTLE FINGER Melanie vergiftet den Raum mit Zynismus, doch Ronja lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie weiß, wie man Kuhaugen einsetzt und fragt: »Schmusen?« Mellie springt der Kollegin auf den Schoß, dass der Drehstuhl nur so knattert. Ja, das tut gut. Wenn Ronja sie nicht hin und wieder in den Arm nehmen würde wie eine liebende Mutter, wäre der Büroalltag zwischen degenerierten Akademikern nichts als Verrat. 15 WILLIE THE PIMP Der sie abendlich ablösende Nachtportier ist ein alter Säufer, wie er im Buche steht. Bevor sie geht, brüllt er ihr quer durch die Halle nach: »Warte mal! Hast du eigentlich schon deinen G-Punkt gefunden?« Sie verdreht die Augen. Nie kann sie ihm solche Sprüche übelnehmen, denn er hat’s ja auch nicht leicht. Sie denkt an den Abend, an dem er sich beim Rasieren geschnitten hatte und sie ihm den blutigen Hemdkragen mit Tipp-Ex überpinseln musste. Und im Advent hat er ihr einen kleinen Tannenzweig mit Kerze hingestellt; das war doch nett! Am besten ist jedoch der Abend gewesen, an dem er gesagt hatte, Frauen hätten in ihren Mittvierzigern den besten Sex. Es sei die Zeit, in der sie nichts mehr zu verlieren hätten und gerade noch fit genug seien, nicht aus der Puste zu geraten. Ihre Mutter war damals eine Mittvierzigerin gewesen, und so hatte sie sich endlich mal wieder für ihre Mutter gefreut. 16 MS PINKY Sie überschlägt sich ins Telefon: »Wir haben zigtausende Euro Schaden nur durch Mitarbeiter. Das kann doch nicht wahr sein ... ich habe bald keinen Bock mehr.« Sven, der mit den Schäden nichts zu tun hat, keift: »Ich habe auch bald keinen Bock mehr, täglich zig unbezahlte Überstunden zu machen! Davon mal ganz ab.« So haben sie sich die Meinung gegeigt, aber nichts von beidem ändert des Übels Kern. 17 UNCLE REMUS Der potenzielle Auftraggeber zeigt ihnen seine Bibliothek. Er ist ein junger Wissenschaftler mit Doktortitel, der trotz graumelierter Haare jugendlich wirkt, aber angeblich schon eine erwachsene Tochter hat, die bald nach Australien geht. Seine Ohrläppchen werden vollflächig von zartem Flaum bewachsen. Der Flaum wirkt wie Schimmel an Kellerwänden, nur noch dichter und weicher. Während er spricht, observiert die Architektin den Pelz ausführlich. Das da! Hat er das von seinem Vater? Mag seine Frau das? War das schon immer so weiß oder ist es erst mit der Zeit verblichen? Litt er schon in der Pubertät darunter und wurde er dafür gehänselt? Ist er nur inspiriert von Flaumkomplexen erfolgreicher Doktor geworden? Sie wird ihn fragen, sobald die Verträge unterzeichnet sind, denn sie findet ihn eigentlich ganz knorke. 19 TOO UGLY FOR SHOW BUSINESS »Mahlzeit!«, »Mahlzeit!« – »Darf ich zu den Kunden eigentlich auch Mahlzeit sagen?« »Nee. Kunden sind Kunden, wir sind Proleten.« 20 THE TORTURE NEVER STOPS Sie hocken sich zum Rauchen hinters Haus und reden über das, was vorhin schiefgelaufen ist. Es könnte ans Eingemachte gehen. Sie könnten vielleicht sogar alles klären. Leider ist die Pause zu schnell vorüber und es warten Armeen neuer Probleme. Abgefeuert in E-Mails, zu rächen mit neuen E-Mails. »Sehr geehrter Herr ... Nee!!! Lieber Herr Dr. Hoss, wie soeben telefonisch besprochen, berufen wir uns auf unseren schriftlichen Hinweis vom 2.7., dass entgegen Ihrer Versprechen ... nein. Entgegen Ihrer ... Ihrer ... Ankündigung die Texte bis zum 30.6. noch nicht vorlagen und wir somit nicht fristgerecht ...« Das Telefon klingelt. Neuer Wahnsinn. 18 I HAVE BEEN IN YOU Sie hatten es hemmungslos miteinander getrieben. Am nächsten Morgen steht sie am Kaffeeautomaten, und ihr rechter Oberschenkel wird hinten von einer winzigen Laufmasche verziert. Er raunt ihr über die Schulter eine Anerkennung ins Ohr und legt seine Hand warm auf ihrer Hüfte ab. Ihr Ekel ist vollkommen. 87 » EIN SINN WIRD NUR VON DEM GEFUNDEN, DER IHN SUCHT. ES FLIESSEN INEINANDER TRAUM UND WACHEN, WAHRHEIT UND LÜGE. SICHERHEIT IST NIRGENDS. WIR WISSEN NICHTS VON ANDEREN, NICHTS VON UNS. WIR SPIELEN IMMER, WER ES WEISS, IST KLUG! « Arthur Schnitzler, »Paracelsus« (1898) 88 89 form ist Musiker, Journalist und Aktivist. Er lebt in Mainz und tritt niemals unter seinem Alter Ego prim auf. Mit dem NERV spricht der aus der schwäbischen Provinz stammende Rapper wie immer selbstbewusst über Gutmenschen, Hip-Hop-Magazine und sein aktuelles Album »Es gibt ein richtiges Leben im falschen: Meins.« NERV: Ist die Musik deine Spielwiese? form: Das kann man so sagen. Das zuallererst. Aber für mich findet das ganze Leben auch in der Musik statt, nicht alles ist Spiel. Auf der Wiese wird auch beerdigt, geweint und oft ist es ein Schlachtfeld. Das Spiel muss ernst genug genommen werden, dass es Spaß macht, aber nicht so ernst, dass es keinen Spaß mehr macht. Schlaue Menschen können das. » ICH BIN SWAGOPTIMIST « 90 Wann spielst du nicht mehr mit? Wenn ich gewonnen habe. Sonst immer. Kornelius Friz form » ABER FÜR MICH FINDET DAS GANZE LEBEN AUCH IN DER MUSIK STATT, NICHT ALLES IST SPIEL. AUF DER WIESE WIRD AUCH BEERDIGT, GEWEINT UND OFT IST ES EIN SCHLACHTFELD. « Analogie Fußball: Welcher Spielertyp bist du? Also ganz ohne Analogie kann ich Torwart sein und Tore schießen am besten. Mit Analogie: je nach Situation alles sehr gut. Was bedeutet es für dich, Künstler zu sein? Es bedeutet vor allem, kein Geld zu verdienen und damit real zu bleiben. Außerdem könnte ich mir hervorragend etwas auf alles Mögliche einbilden, mir fehlt bisher nur die Zeit. Ist dein Albumtitel »Es gibt ein richtiges Leben im falschen: Meins« ziemlich arrogant, verdammt zynisch oder hochpolitisch? Zynisch überhaupt nicht. Mich nervt nur dieser apokalyptische Pessimismus mancher Vulgär-Adorniten mit der Auffassung, dass alles eh verloren sei und nur Bomben etwas brächten. Sehr wohl können wir etwas tun. Der Titel ist zu hundert Prozent ernstgemeinter, hochpolitischer Humor. Bist du ein Einzelkämpfer oder ist Musikmachen eine Sache des Kollektivs? Ich bin zwar solo unterwegs, aber ich mag und brauche frei nach Nâzım Hikmet das Dasein mit befreundeten Bäumen in einem Wald, in dem nicht nur Arschlöcher stehen. Also am liebsten beides. Das ist obendrein eine sehr dichotome Frage! Ich werde dies nicht hinnehmen und weiterhin »sowohl als auch« und »weder noch« sagen. Resistencia! 91 Gangsterrap, Zeckenrap, Studentenrap: Du passt in keine Schublade. Wo verortest du dich im deutschen Rap? Oben. Alles andere sind sowieso nur Zuschreibungen, die eher einer Medienlogik entspringen als einer Rap-Realität. Was hältst du von so Spaßvögeln wie DCVDNS, Audio88 und Yassin? Meist ziemlich viel. Mit wem würdest du lieber auf Tour gehen – Cro oder Kollegah? Kollegah. Außer Sookee kennt man im deutschen HipHop kaum weibliche oder Trans-MCs (und DJs). Wie schätzt du Geschlechter- und Machtverhältnisse im Rap ein? Ich schätze sie sehr realistisch ein, als das Resultat einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen an vielen obskuren Dingen abmisst, zum Beispiel der Hörigkeit gegenüber Erwartungen, die auf die unnötige Frage zurückgeführt werden, ob jemand ohne besonderes Training oder Hilfsmittel im Stehen pissen kann. Die völlig gestörten Männerbilder von emotional verkrüppelten Volltrotteln ohne Rückgrat, die nur über Frauen sprechen können, aber nicht mit ihnen, sind aber mitnichten nur bei Rap vorherrschend. Auch wenn sie da genauso zum Kotzen sind. In einem Song nennst du deine Musik »Frauenverherrlichenden Minderheitenrap für Leute über 18«. Ist das nicht auch sexistisch? Nein: Kontext. Das ist ja zuallererst ein Kommentar zur Berichterstattung über Hip-Hop und dann noch zur epidemischen Frauenfeindlichkeit vieler Rapper. Natürlich sind Frauen nicht per se toll, aber wer schlau ist, checkt das. Wie siehst du die Rolle von Backspin und Juice? Sind das alberne Plattformen für Selbstdarsteller*innen oder die einzige Pforte zum Erfolg? Weder noch. Selbstdarstellung ist in der Kunst meist unumgänglich und für mich völlig okay. Albern sind die auch nicht. Klar ärgern mich auch da kapitalistische Zwänge und Computerspielbesprechungen sowie latent korrupte Anzeigen in Magazinlayout. Aber zum Beispiel die Juice zeigt auch öfter mal Haltung (N-Wort, Fard&Snaga-Debatte) und wenn ich mir da 92 im Vergleich den übergroßen Rest von Hip-Hop-»Journalismus« anschauen muss, bin ich doch froh, dass es auch noch Leute gibt, die nicht völlig bekloppt sind. allen Belangen, die immer noch manche Stalinist*innen als einzige Option sehen. Aber dafür scheitern wir nicht permanent. Du willst in Mainz ein Refugee-Netzwerk gründen. Was steckt dahinter? Wenn das hier rauskommt, läuft es hoffentlich schon: »Refugees Solidarity Mainz«. Leute treffen sich, lernen voneinander und es wird über die ganze Thematik geredet, dokumentiert, ins Englische übersetzt, gefilmt, für Soli-Initiativen gesammelt und so weiter. Damit das nicht, wie üblich, bis zur Erschöpfung ehrenamtlich gestemmt werden muss, gibt es ein bisschen Crowdfunding. Bist du Optimist oder Pessimist? Ich bin Swagoptimist. Ich will meine Zeit nicht mit zu viel Jammern ohne Konsequenzen verschwenden, sondern tue lieber, was in meiner Macht steht, um etwas zu ändern. Auch wenn ich Leute verstehe, die nur düstere Analysen liefern, suhlen die sich meiner Meinung nach zu oft in Angstlust und tragen so auch erst zu der ganzen Scheiße bei. Man sollte halt keine wolkigen, völlig unrealistischen Erwartungen haben, aber dennoch auch feinfühlig genug sein können, um positive Entwicklungen zu bemerken. Außerdem arbeitest du beim Magazin FICKO (für gute Dinge und gegen schlechte) mit. Wie ist dein Selbstverständnis als Aktivist? Ich bezeichne mich als Gutmensch, FICKO ist die Zentrale für Gutmenschlichkeit. Das bedeutet, dass wir uns Mühe geben, in maximaler Hinsicht keine zynischen Arschlöcher zu sein. Darum auch der affirmative Umgang mit dem Begriff »Gutmensch«. Wie dumm, das als Beleidigung zu benutzen. Und wie rückgratlos, dass so viele ständig egofixiert ihr Image im Auge haben, anstatt sich mit dem Rest der Welt zu befassen. Wir sind bei FICKO total radikal, aber nicht übertrieben kompliziert. Und radikal auch in dem Sinne, dass wir eben nicht radikal um der Radikalität Willen sind, sondern inhaltlich und formal auch ganz konkret Wege suchen, die anschlussfähig für mehr Menschen als den üblichen Zirkel schon politisierter Leute sind. Das geht von der Sprache über die Positionierung bis zu den Aktionen, die wir machen. Angesichts des Zustands der Welt braucht es radikale Veränderungen, die man aber nicht erreicht, indem man Leute anschreit. Ist dein Leben eher »double time« oder »con scious rap«? Wieso »oder«? Mit welchem Spiel würdest du dein Leben vergleichen? Risiko. Australien einnehmen und dann alle plattmachen, genau mein Ding. Würfeln, rumschreien, Braun vernichten: Der Triathlon des großen Mannes. Millionen Anrainer*innen in meinem Hinterhof haben mein Gebrüll schon ertragen müssen. Ich bin auch echt ein guter und fairer Verlierer. Aber ihr solltet mich mal gewinnen sehen! » ICH WILL MEINE ZEIT NICHT MIT ZU VIEL JAMMERN OHNE KONSEQUENZEN VERSCHWENDEN, SONDERN TUE LIEBER, WAS IN MEINER MACHT STEHT, UM ETWAS ZU ÄNDERN. « Was kannst du gegen die Dominanz weißer, privilegierter, heterosexueller Männer in linken Szenen tun? Ich kann zum Beispiel gar nicht erst mitmachen, sondern meine gutmenschlichen Kreise bilden, in denen es anders läuft. Klappt eigentlich ganz gut. FICKO arbeitet mit allen zusammen, ist aber eben nicht für die sowieso schon aktivierten Leute gedacht. Sondern will explizit zugänglich sein für alle möglichen, auch bisher nicht hardcore-politischen Menschen. Das geht dann vielleicht mitunter auf Kosten der ausschließlich knüppelharten Hundertprozentigkeit in 93 15 .10 . me Farbe Blau ist eine war 22 .10 . Ginger & Rosa MEIN RECHTER, RECHTER PLATZ IST FREI: 29.10 . ial: Halloween-Spec Rocky Horror e: Double Featur Alien Picture Show + 5 .11. PROGRAMM FÜR DAS WINTERSEMESTER 14/15 Under the skin e Angry Inch Hedwig And Th it HI_Queer) (Kooperation m Only Lovers Left WIR BRAUCHEN DAZU: Texter 12 .11. 19.11. Ein journalistisches Strategie- und Actonspiel für beliebig viele Mitspieler. Es gilt die Devise: Je mehr, desto lustiger! Layouter MITTWOCHS 20:15 UHR EINLASS 20:00 UHR AUDIMAX DER UNIVERSITÄT HILDESHEIM 1,50 € EINTRITT + EINMALIG 0,50 € MITGLIEDSBEITRAG Alive Gespielt wird JEDEN MITTWOCH UM 20 UHR IM GALERIERAUM DES »WOHNZIMMERS«, KAISERSTRASSE 41. Spontane Änderungen werden auf unserer facebook-Seite bekanntgegeben. Der Illusionist Rosenkranz & G Fotografen und Zeichner kreative oder organisierte Köpfe 26 .11. 3 .12 . Lektoren üldenstern Kommt einfach vorbei und spielt mit! Wir freuen uns auf neue Herausforderer! 12 .12 . ecial: Weihnachts-Sp uberwald Abenteuer im Za 17.12 . Snowpiercer 7.1. mein Anfang Das Ende war 14 .1. lmabend Hildesheimer Fi 21.1. g The Act of Killin 28 .1. q serie) uasinormal (Web Du bist filmbegeistert, gestaltest gern Plakate und bist an der Mitarbeit beim HoKi interessiert? Dann melde dich oder schau einfach mittwochs im Audimax vorbei und sprich uns direkt an! Mehr Infos: hoki@asta-hildesheim.de, hoki-hildesheim.de und facebook.com/HoKiHildesheim 4 .2 . hluss: Klassiker zum Sc er Berlin Der Himmel üb HoKi DER NERV MACHT SICH FREI! FÜR UNSERE nächste Ausgabe SUCHEN WIR WORT- UND BILDBEITRÄGE ZUM THEMA »nackt«. Sendet uns eure Ideen bis zum 15. Januar 2015 an nerv@asta-hildesheim.de. nervmagazin.de · facebook.com/nerv.magazin · twitter.com/NERVMagazin