utopie - NERV Magazin
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magazin für studentisches sein #02/2012 UTOPIE Editorial Ein neues Semester beginnt und in der Hand haltet Ihr die neue NERV-Ausgabe mit neuem Format, neuer Chefredakteurin und vielen weiteren Neuigkeiten. Liebe Studierende, liebe Leserin, lieber Leser, seit wann gibt es das NERV-Magazin überhaupt? Unsere Campus-Lektüre wird seit 2006 von Uniarchivar Dr. Friedrich Winterhager und in der UniBib Hildesheim (Signatur Z ALL: N18[-B]) sowie seit letztem Jahr in der Leibniz-Bib Hannover und nun auch in der DNB gesammelt. Ausgaben, die vor dieser Zeit entstanden, bleiben bisher verschollen. Das Überthema dieser Ausgabe Utopie wirkt schwer greifbar. „Utopie“, aus dem Griechischen von den Begriffen ou und tópos, bezeichnet laut Duden das „Nichtland, Nirgendwo“. Einen Ort also, den es eigentlich gar nicht gibt. Dennoch oder gerade deshalb haben wir nach ihm gesucht. Foto: Julia Schendrikow Wir haben die Utopie auf Großmarkt-Parkplätzen gesucht, auf den Festivalwiesen dieses Sommers, auf dem Unicampus und in den religiösen Anwandlungen schwedischer Raubkopierender. Wir haben sie gesucht in Gedankenprotokollen und Reportagen, in politischen, philosophischen oder soziologischen Auseinandersetzungen, in lyrischen Ergüssen, mit der Kamera und in Euren spontanen Antworten. Haben wir sie gefunden? – Urteilt selbst. Viel Freude beim Durchblättern, Lesen, Anschauen, Wieder- und Neuentdecken dieser Ausgabe und natürlich einen wunderbaren Start in das Wintersemester! Paula Emilia Huppertz Chefredakteurin Impressum Chefredakteurin Paula Emilia Huppertz Stellvertretende Chefredakteure Olaf Bernstein Marvin Dreiwes Grafisches Konzept Angelika Schaefer Herausgeber Manuela Domanits Verena Häseler An dieser Ausgabe beteiligt Olaf Bernstein Hendrik Buhr Marvin Dreiwes Paula Emilia Huppertz Martina Krafczyk Gudrun Kramer Marie-Luise Schächtele Julia Schendrikow Marion Starke Lektorat Olaf Bernstein Hendrik Buhr Marvin Dreiwes Christine Edelmann Paula Emilia Huppertz Martina Krafczick Layout Tilmann Cordes Christine Edelmann Natascha Häutle Elvira Ladner Angelika Schaefer Endlektorat Franzisca Fuchs Jennifer Rentzsch Cover Angelika Schaefer Illustrationen der Themenbereiche Christine Edelmann Elvira Ladner Angelika Schaefer Externe Beiträge Laura Armbrust Claudius Dorner Franzisca Fuchs Olga Helm Marlene Klünker Julia Mauritz Jan Pröhl Johannes Rieder Andre Vespermann Kai Weber HI_Queer: Anna Blädtke, Lena Wagner HoKi KHG/ESG: Björn Stöckemann Kulturcafé: Hans-Ulrich Borchert Gesetzt aus Gingar, Adobe Garamond Pro, Letter Gothic Std Papier Recymago 115g; Resaoffset 250g Druck B&W Druckservice, Bad Salzdetfurth, b-und-w-druck.de Auflage 2000 Stück Finanziert aus Mitteln des AStA der Stiftung Universität Hildesheim, Marienburger Platz 22, 31141 Hildesheim. Die Artikel geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. UTOPIE KULTUR 8 72 POLITIK 28 INTERNATIONALES 50 Das schimmern des anderen ortes diskusaren und havelschwäne Kann ich mich eigentlich ernsthaft als Utopist verstehen? Für Jean Die sich wandelnde Kreativwirtschaft WAhlen Abschaffen und ihre alten Umhängetaschen voller Ziegler ist die Utopie eine Mission, Bürokratie bereiteten viel Kopfzer- der Philosoph Ernst Bloch rückt sie Unsere Demokratie muss sich den Zeiten brechen bei der ersten Pfingstakademie in seinem „Prinzip der Hoffnung“ ins anpassen. Eine kritische Idee zur des Instituts für Kulturpolitik der Zentrum unserer handelnden Existenz Dynamisierung unserer Regierungsform Universität Hildesheim. Von armen und Henri Lefebvre würde es sogar erklärt Poeten und einem Sommerschloss in als Kompliment auffassen, als Utopist prinzip für obsolet und ruft zum bezeichnet zu werden. Ein Plädoyer Umdenken auf. das althergebrachte Wahl- für das Herumspinnen. 12 Freisein im Schlammbad 32 Campus Stimmen: 32 Brauchen wir Utopien? der Mark. Wissen und kommunik ation sind heilig Copy and Paste als die obersten 76 Woran forschen Komponisten heute? 78 Goldrausch Gebote einer neuen Internet-Religion? 15 Muße als Widerstand 34 Absage an die Prostitution Kein Witz. Ein Philosophie-Student 84 Nassmacher aus Schweden hat sie erfunden: Die 17 Öl an den Rädern 23 Von schmackhaften Mensen und 23 gebühremfreien Studieren 38 Der Lean-Produktion 38 und das europäische Bildungssysthem 3 8des 21. Jahrhunderts 53 Die Entwicklung hat Vorrang 88 Cinematische Leckerbissen 40 Peniskekse 56 Das Reich der Zwecke 89 Es weihnachtet sehr! 44 Comic 60 Hildesheimer Wald für Tansania 90 Kirche macht Kultur 64 Atomare Eigenständigkeit 91 Wir haben (keine) Angst missionarische Kirche des Kopimismus. 66 Hildesheimer Rassenkunde 86 Ohrenschmaus 02 12 6 UTOPIE 02 12 8 9 Das Schimmern des anderen Ortes Kann ich mich eigentlich ernsthaft als Utopist verstehen? Für Jean Ziegler ist die Utopie eine Mission, der Philosoph Ernst Bloch rückt sie in seinem „Prinzip der Hoffnung“ ins Zentrum unserer handelnden Existenz und Henri Lefebvre würde es sogar als Kompliment auffassen, als Utopist bezeichnet zu werden. Ein Plädoyer für das Herumspinnen. Text: Marvin Dreiwes J ean Ziegler läuft dieser Tage sicher wut- – wirklich spannend wird es, wenn die Utopie von schnaubend durch sein Arbeitszimmer. den Entwürfen und Blaupausen aufersteht und sich Statt des Aufbegehrens und der Empörung im Begehren der Menschen offenbart. Die Utopie, versenkt sich eine von Krisen und Kapitalismus die nicht mehr nur auf ihre soziale, politische oder gebeutelte Welt in Nichtigkeiten der Konsum- gesellschaftliche Prophezeiung reduziert, sondern gesellschaft und der kurzfristigen Rauschzustände. als eine prinzipielle Komponente unseres Lebens Bis zur Perversion stehen sich Armut und Dekadenz verstanden wird, ermöglicht eine Neubewertung des gegenüber, dazwischen nur noch zynische Lethargie; Phänomens. Vor allem der Philosoph Ernst Bloch Taumeln im Augenblick – gedämpft durch Watte schaffte es in seiner meisterhaften Sprache, die zu der öffentlichen Meinung. Ziegler fehlt der hoffnungs- diesem Zeitpunkt negativ konnotierte Utopie zu rehabilitierten und in das Zenvolle und konstruktive Blick auf trum des menschlichen Daseins die Zukunft; eine Vision, die sich zurück zu rufen. freimacht von den Sachzwängen Vom Nicht-Ort zum der Realität. Noch-nicht-Ort Sie wird dann mehr, die Der Schweizer ist Autor des Utopie – mehr als nur die verBuches „Imperium der Schande“, zweifelte Ablehnung des status das sich zugleich als Rundumschlag gegen die Multi- quo; auf einmal entsteht der feste Wille, dass es Konzerne der Welt und als Manifest der Menschen- anders geht, und zwar genau so. Dass die Utopien rechte versteht. In seinen einleitenden Passagen das zündende Material liefern, an dem sich die spricht er über die Utopie – sie ist grundlegend für Veränderung entfacht, zeigt sich schon in der sein Werk. französischen Revolution, wie Ziegler in seinem Der Reiz, der von gewissen Utopien ausgeht, Buch beschreibt. Es waren die Utopisten, die als ist der Gedanke ihrer potentiellen Verwirklichung, erste auf Basis der aufklärerischen Gedanken soziale der über das freie Spiel des „als ob“ hinausgeht. Gerechtigkeit sowie politisches Mitspracherecht Auf dem Reißbrett mögen die Konstrukte von einforderten und das „Recht auf Glück“ als erstes Gesellschaftsformen im ersten Moment nur belehrend Menschenrecht artikulierten. Sie alle starben jung, bis erschreckend wirken – gerade die Literatur hat in den meisten Fällen durch die Guillotine oder den sich diesem Thema hingebungsvoll angenommen Dolch. Ihre Hoffnung nun zynisch als „utopisch“ zu bezeichnen, unterschlägt den ursprünglichen Impetus. Für Bloch wären diese Zyniker, die sich einer Phrase der Provinz, der Engstirnigkeit bedienen, „garniert mit [der] Angst vor der Zukunft“. Könnte man sich eine Occupy-Bewegung überhaupt sinnvoll denken ohne das Ideal einer globalen Gerechtigkeit? Die Formung eines Rechtsstaats in Libyen ohne die Idee der Demokratie? Oder eine ACTA-Demonstration, ohne die Vision von Transparenz und Partizipation? utopischer Denker, den der französische Philosoph Henri Lefebvre einst sinngemäß äußerte, könnte sein: „Wer nur auf das schaut, was er sieht, wird niemals etwas verändern können“. Jede Utopie bewegt sich, sofern sie überhaupt ernstgenommen werden soll, auf dem Balanceakt zwischen prophetischem Idealismus und realistischer Welteinschätzung, zwischen anbiederndem Pragmatismus und maßloser Überschätzung. Was gibt uns die Gewissheit, dass Utopien Wirklichkeit werden können? Eigentlich nur die (Tag-)Träume unserer Das Utopische zeichnet sich Utopien selbst, und so ist für Ziegler, und in gewisser Weil wir das, was ist, als ihre Funktion nicht nur Weise auch für Bloch, nicht Anderes denken können, ein Experimentierfeld für primär durch die scheinbare richtet die Utopie. Sie Literaten und Philosophen, ist der MaSSstab und die Unmöglichkeit der VerwirklichUrteilskraft über das, ung aus, sondern durch ihre sondern auch die Triebfeder, was ist. hochgradig neuartige und überdie in uns das Gefühl bestärkt, im Kleinen als greifende Innovation. Jene, die sich prinzipiell in jedem Ding auch im Großen etwas zu ausfindig machen lässt. Die Möglichkeiten, die Dinge verändern. Nicht umsonst denkt man bei Bloch an in sich trägen, werden hier vollkommen fassbar und das beinahe geflügelte Wort „Prinzip Hoffnung“. nicht idealistisch gedacht. Hoffnungen, Erwartungen Das Potential von allem, was ist – für Bloch oder schon Intentionen haben ihre Pendants in gewissermaßen das „Noch-nicht-Seiende“ – müssen der objektiven Wirklichkeit. Die „planetarische wir uns vor Augen führen, um den Mangel als Gerechtigkeit“ zeigt sich im Vorschein der Zukunft. Veränderungsmotor zu sehen. Eine Hoffnung entUnd ohne die „Dimension Zukunft [...] hält es kein steht aus dem (Noch)-nicht-haben. Gemäß Bloch ist Dasein lange aus“ – wir brauchen sie. Der Leitspruch diese Kraft nicht beliebig, sondern immer schon 02 12 10 ein „Vor-Schein“, der sich zum Beispiel in der Kunst ankündigt und zeigen kann. Die Kunst gibt den Raum für das Prozesshafte und Offene. So ertragen wir das Leid und die Ungerechtigkeit nur durch die „unabgeschlossene Willensmasse“ die auf eine zu füllende Leerstelle verweist, auch nach unserem Ableben. Es bleibt die Erde, es bleiben „die Waffen“ wie Bloch es nennt, die auch nach unvollendetem Werk der Nachwelt zu Verfügung stehen, um weiter an dem Projekt „Menschheit“ zu arbeiten. Die Utopie bleibt ein Enigma, das sich zwischen dem Wirken im Hier und Jetzt aufspannt, sich anderseits aber nie gänzlich realisiert. Die Wirkung lässt sich also im Konkreten ablesen, ihr eigentümliches Wesen aber zeigt sich nicht im Horizont des Individuums, des Subjekts. Die Utopie ist geschichtsbildend, nicht Geschichte. Genanntes gilt auch im Individuellen für jeden von uns: Welche Zukunftspläne, welche Visionen würden wir jemals verfolgen, wenn wir ihnen nicht ein kleines Nochnicht-Sein zusprechen würden? Das Potential ist überhaupt der Grund für das aktive, schöpferische Leben jenseits des Fatalismus. Wir sollten diese Leben wagen, denn es wird etwas passieren, vielleicht sogar das, was wir uns er-hofften. Die Utopie ist „Die Sehnsucht nach dem Anderen“, wie Ziegler sie auch bezeichnet – die völlige, nicht punktuell, andere Welt, das radikal neu Gedachte. Sie erscheint uns deswegen abstrakt, unvermittelt; getragen und genährt wird sie durch die Hoffnung auf den Umbruch. Weil wir überhaupt die Annahme haben, dass sich Dinge verändern können, sind wir fähig, ein Leben zu führen, in dem wir uns als handelnde Wesen verstehen. Für Bloch ist es die Bedingung der Möglichkeit schlechthin. Indem wir gegen die Missstände der Gesellschaft angehen können, kämpfen wir gegen die Entfremdung, die wir empfinden. Selbstverwirklichung und Selbsterkenntnis fallen hier zusammen. Weil wir 11 das, was ist, als Anderes denken können, richtet die Utopie. Sie ist der Maßstab und die Urteilskraft über das, was ist. Sie ist das, was unsere Wirklichkeit widerlegt und umfasst die „einklagbare Gerechtigkeit“. Zieglers Buch – etwas näher an unserer Zeit – ist mittlerweile über sieben Jahre alt, dennoch spricht es eine Sprache der Utopie, wie sie aktueller nicht sein könnte. Das gegenwärtige Geschehen liefert ausreichend Material, das nach einer Verwandlung fordert. Europa ist beispielsweise solch eine Baustelle. Wir können immer weiter an ESF, ESM und Schuldenbremsen arbeiten – solange wir keine Vision am Rand des Horizonts erspähen, verlieren wir das Ziel aus den Augen; wird jede Handlung ergebnisloser, leerer Aktionismus. Wenn es ein hehres Vorhaben ist, so gilt vielleicht, dass es utopisch, statt nüchtern und realistisch sein darf. Die Revolution endet für Ziegler mit einem Wort des französischen Utopisten Louis Antoine Saint-Just bei der „Vollkommenheit des Glücks“, oder bei dem, was Bloch schlicht und ergreifend „Heimat“ nennt. Zum Nachlesen: Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie I [1961]. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 1963. Ders.: Geist der Utopie [1923]. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1964. Jean Ziegler: Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung. Bertelsmann Verlag, München 2005. Anti-ACTA-Demonstration, Februar 2012 Foto: Franzisca Fuchs 02 12 12 13 Freisein im Schlammbad Es ist sauber, es gibt Klopapier, es ist nicht zu warm und nicht zu kalt. Meine Unterhose wurde noch nicht geklaut und meine Freunde schreien sich nicht an. Oder doch? Das Festival als Kurzzeitutopie. F Text: Martina Krafczyk estivals bringen Menschen dazu, sich frei sollten, wurde das Festival von fast einer Million zu fühlen – so frei, wie sonst nirgendwo Menschen statt der erwarteten 60.000 angesteuert. anders. Unter Freunden und Fremden, Letztlich kamen 400.000 Festivalgänger an und unter Musikliebhabern und Bierschluckern, unter konnten kostenlos dem Spektakel beiwohnen. Harmlosen und Mimosen oder unter Regentänzern Alles eingepackt, an alles gedacht? Dosenöffner, kann sich ein Festivalgänger wohlfühlen – oder auch dazugehörige Dosen, Zelt, Isomatte, Schlafsack, nicht. Die Erfahrung, das erste Mal auf ein Festival Mückenspray, Streichhölzer, Gummistiefel, Regenzu gehen, kann ein Schock sein: In Bier getränkte T-Shirts, heruntergelassene Hosen, volle Dixi-Klos, jacke, Gaskocher, Sonnencreme, Klopapier, Campingschlammige Wiesen – und alles klebt. Andererseits stuhl, Sonnenhut und die Digitalkamera (darf kaputt erlebt man tanzende Menschenmengen, Beer-Pongoder gar verloren gehen). Festivalatmosphäre kommt Duelle, Lagerfeueratmosphäre am späten Abend mit diesen Utensilien von ganz alleine auf. Die und das leise Zirpen der Festivalgrillen, während Fahrt im vollen Zug tut für die Einführung ihr die Fans mit Vorfreude auf das morgendliche Bier Übriges. Alle wollen an denselben Ort, alle dasselbe langsam eindösen. Gefühl spüren. Verschwitzt und schwer – so muss es sein. 1969 findet das Woodstock Die Mischung aus Music and Art Festival statt, der Unterhaltung und Höhepunkt der Hippiekultur. Es Ein weiteres Utopia entSelbsterhaltungsverstand sich als Verkörperung wickelte sich in den letzten dieses Freiheitsgefühls, aber auch als Jahren in Polen. 1995 wurde das trieb muss stimmen. Auseinandersetzung mit der politFestival Przystanek Woodstock ischen Situation Amerikas, zur („Haltestelle Woodstock“) geZeit des Vietnamkrieges. Es sollte gezeigt werden, gründet, welches das erste Mal in Czymanów, und dass es auch ein anderes Amerika gab. Auf einer nicht wie heutzutage in Kostrzyn an der deutschFarm in Bethel im US-Bundesstaat New York traten polnischen Grenze, stattfand. Das Festival verschrieb an einem Wochenende 32 Bands auf. Ursprünglich sich der Idee, allen Freiwilligen und Helfern des Wielka sollte es das Aufnahmestudio des Musikproduzenten Orkiestra Świątecznej Pomocy („Großes Orchester Michael Lang finanzieren und durch zusätzliche der Weihnachtshilfe“) für ihr Engagement zu danken. Investitionen der Unternehmer John Roberts und Die Organisation sammelt durch rund 120.000 Joel Rosenman sogar noch Profit erwirtschaften; Helfer an jedem zweiten Sonntag in einem neuen der eigentliche Eintritt: 18 Dollar. Da sich jedoch Jahr Geld für wohltätige Zwecke. Um das Festival, herumgesprochen hatte, dass Bands und Künstler wie das jedes Jahr im August stattfindet, zu finanzieren, Jimi Hendrix, Joe Cocker und Janis Joplin auftreten werden die Spenden jedoch nicht benutzt. Hierfür Foto: Martina Krafczyk finden sich das ganze Jahr über Sponsoren. Durch die Ausrichtung dieses einzigartigen Musikspektakels können unbekannte wie auch berühmte Bands aus Polen oder dem Ausland auftreten. Beispielsweise kamen die Festivalbesucher schon in den Genuss von Raz Dwa Trzy, Dżem oder Die Toten Hosen und den Beatsteaks. Da es kostenlos ist, streben jedes Jahr mehr und mehr Festivalwütige in die Stadt mit rund 18.000 Einwohnern und erweitern sie für fast eine Woche um circa 700.000 Menschen aus aller Welt. Wir schlendern immer noch über das Gelände. Vielleicht finden wir noch einen Platz oder wir bleiben einfach auf dem Fleckchen Erde stehen, auf dem wir uns gerade befinden. Es ist voll, sehr voll. Bald fangen die Bands an, zu spielen und wir haben unsere Freunde noch nicht gefunden, die garantiert einen Platz für unser Zelt freigehalten haben. Ah, ein Supermarkt! Mitten auf dem Festivalgelände. „Ein gelungenes Festival macht aus, dass gute Bands spielen und dass man Leute dabei hat, die man kennt, um sich frei und entspannt zu fühlen“, sagt ein Bekannter von mir. „Die Mischung aus Unterhaltung und Selbsterhaltungstrieb muss stimmen“, denke ich in diesem Moment. Festivals bringen Menschen dazu, sich frei zu fühlen. Eine Atmosphäre von „alles-ist-gut“ bis „es-wird-nur-noch-besser“ breitet sich über dem Gelände aus. Es sind diese bestimmten Leute, diese gemeinsam verbrachten Tage. Ein Festival kann eine Utopie sein, ein Nicht-Ort, in dem Sinne, dass dieser 02 12 14 15 Ort für einige Zeit zu einem vollkommen Anderen wird. Wir entfliehen dem alltäglichen Geschehen; Gewohnheiten werden abgelegt, andere Bräuche angenommen, die zu Hause vielleicht nichts mit einem selbst zu tun haben. Eben ein Schlammbad nehmen, nach Bierdusche riechen, die Hosen runterlassen und sich bei alldem sauwohl fühlen. Gesellschaftliche Regeln werden zwar nicht ausgeschaltet, aber doch umsortiert. Sodass wir entspannt mit einem Grashalm im Mund, den Hut tief im Gesicht, in der Sonne liegen, sodass wir die schwüle Luft genießen und die Klänge der Tiere, welcher Art auch immer, um uns herum aufsaugen. Um zu Beginn der Alltagswoche die abgelegten Gewohnheiten wieder auszugraben und nach einer utopischen Auszeit in die Wirklichkeit zurückzukehren. Muße als Widerstand Du musst kommunizieren, doch wollen wir das? Erst wenn wir nicht mehr rein aus Höflichkeit antworten, können wir der Oberflächlichkeit entkommen. Eine Diagnose unseres „studentischen Seins“. Z Fotos: Julia Schendrikow um Seminar, zum Projekt, dann Sport, Nachbereitung der Vorlesung, Geldverdienen und noch mindestens eine Party am Abend, zu der man hingehen muss, um den Erlebnishorizont der Mitmenschen nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sind mit allen vernetzt, kommunizieren in unglaublich großen sozialen Kontexten und sind rund um die Uhr verfügbar. Ohne Filter im E-Mail-Fach ist nicht mehr auszukommen, im Netz ist das zweite zu Hause, und schon längst haben wir den Überblick im Twitterrauschen verloren. Noch schnell eine Kurznachricht unter dem Tisch getippt, denn die, mit denen man reden möchte, sind gerade nicht da. Mit der andauernden Telekommunikation ist jeder dazu aufgerufen, sofort zu antworten und selbst das Gespräch fortzuführen. Meistens halten wir dieses Moment der Höflichkeit ein, da wir fürchten, die gleichen Menschen könnten plötzlich hinter der nächsten Ecke auftauchen. Nähe und Ferne sind eins geworden und die Anwesenheit hat jede Möglichkeit der Abwesenheit aufgesogen. Die ständig geforderte Verfügbarkeit, auch im Privaten, lässt kaum noch die Möglichkeit zu, nichts zu tun, denn antworten muss man und die Mailbox vorzuschieben ist schon ein Fauxpas. Kommunikation ist zu einem Abarbeiten geworden. Kann jedoch Inhalt erledigt werden? Der Arbeitsaufwand wird größer, der Inhalt jedoch verringert sich immer mehr. Brauchen wir nicht eigentlich viel Zeit, um Text: Hendrik Buhr Wichtiges zu sagen und zu verstehen? – Zeit, die wir nicht haben, da es zu viel Interessantes und zu Besprechendes in greifbarer Nähe gibt. Haben wir Angst, zurück zu bleiben, wenn wir nichts tun würden? In der Schnelligkeit findet sich die Gefahr der Oberflächlichkeit, die wir bei allem Erlebnishunger immer wieder nur durch erhöhten Konsum versuchen auszugleichen. Paradoxerweise rücken wir allerdings genau hierdurch immer weiter an die Oberfläche. Einem ständigen Strom von Nachrichten ausgesetzt, müssen wir selektieren, was im Sozialen jedoch der Höflichkeit geschuldet, kaum möglich ist. Die Überforderung mit der Frequenz der unterschiedlichen Kontakte drängt die Teilnahme am Einzelnen zurück und somit auch uns selbst. Es unterdrückt unsere Bedürfnisse, verhindert das wahre Aufgehen in einer Sache und treibt damit die Muße aus uns hinaus. Denn die Muße als ein Zeitnehmen liegt jenseits des Erledigens, das immer einen äußeren Grund hat, dem nachgekommen werden will. Aus Angst, etwas zu verpassen oder den Anschluss zu verlieren, kommunizieren wir immer mehr – einer Tätigkeit bewusst nach zu gehen oder sich frei zu nehmen, glänzt da schon als Akte der Freiheit, die diese Angst überwinden. Die Muße wird damit plötzlich zum Widerstand gegen den Betrieb, der unsere Arbeit und Freizeit organisiert. Seine Verwirklichung ist zumeist nur eine Utopie, dieser kann jedoch zum Beispiel in einer Mittagspause ohne Computer und Handy ein kleiner Raum gegeben werden. 02 12 16 17 Öl an den Rädern – Probleme der konkreten Umsetzung einer Utopie Text: Olaf Bernstein Wir reproduzieren Wünsche und Vorlagen auf’s Papier Copy + Repro Center Der perfekte Partner für’s Studium Wir drucken - plotten - kopieren und schaffen Termine !!! Bachelor- Master- Abschlussarbeiten Poster- und Leinwandplot’s in brillianter Fotoqualität Buch- und Spiralbindung - Laminierung Farblaser Druck und Kopie Grossformat Scan - Repro Grosskopien - Schneidplotter Broschüren- Flyer- Geschäftspapierdruck ... Christiana Grimberg - Steingrube 18a - 31141 Hildesheim FON 05121 - 39300 - Mobil 0172-2566737 E-mail copycenter@gmx.net MO-DO 8.30 - 17.00 Uhr - FR 8.30 - 16.00 Uhr u.n.V. K onzerne vernichten langsam, aber sicher die Menschheit. Welches utopische Konzept kann da noch helfen? Wir steuern auf eine monopolisierte Welt zu. In naher Zukunft wird es nur noch einige wenige Konzerne geben. Der Einfluss bereits existierender Unternehmen auf unser tägliches Leben ist heute so groß, dass wir ihn teilweise gar nicht mehr bemerken. Gerade in den für unser Überleben grundlegenden Branchen ist dies erschreckend: So wird ein Viertel der weltweit konsumierten Lebensmittel von den „großen 100“ wie Nestlé, Kraft Foods und Unilever produziert. Es handelt sich um internationale Industriekonglomerate, deren Mitarbeiter – wie bei Nestlé – unter anderem ein Grundrecht auf Wasser bestreiten oder Bauern – wie bei Monsanto – auf Jahrzehnte hinaus an patentiertes Saatgut ketten. Der Mensch wird heute von Systemen gelenkt, die er selbst erschaffen hat. Wie konnte es soweit kommen? Die Abhängigkeit vom Kapital Systeme, die der Mensch annimmt, folgen Strukturen. Teil dieses festen Rahmens stellt meist ein definiertes, absolutes Bedürfnis dar. Bei Konzernen lautet dieses oberste Bedürfnis profitable Selbsterhaltung. Diese Selbsterhaltung ist ein primär amoralisches, inhumanes Bedürfnis; es setzt den Menschen nur insoweit voraus, wie er nützlich für die Befriedigung des Bedürfnisses ist. Damit behandeln die Konzerne den Menschen nicht anders als das Kapital bei Karl Marx. Überhaupt wird bei der näheren Betrachtung von Marx' „Ökonomischphilosophischen Manuskripten“ deutlich, dass die modernen Konzernstrukturen ihrem Wesen nach nur eine bestimmte Ausformung des Kapitals darstellen. Kapital ist nach Adam Smith eine „gewisse Menge aufgespeicherte[r] Arbeit“. Sie wird vom Arbeiter entäußert, wodurch er abhängig wird von der Annahme seiner Tätigkeit durch den Kapitalisten, der das Kapital akkumuliert. Arbeiter schaffen 02 12 18 19 Menschheit im Niedergang gewissermaßen aus ihrer Arbeit einen Vorrat an „Macht, zu kaufen“. Sie setzen die Manifestation ihres Konzernes in die Welt, der nur aus Anteilen des Kapitals einzelner besteht. Wird das gesammelte Kapital dem Arbeiter entzogen – ganz gleich, ob aus einem „nothwendigen oder willkührlicher Einfall“, wie Marx es formuliert – „kann er sich begraben lassen“ oder „verhungern“. Der Arbeiter ist also abhängig vom fortgesetzten Funktionieren der Wirtschaft, weshalb sich auch die Nationalökonomie nicht für den unbeschäftigten Arbeiter interessiert, wie Marx sarkastisch anmerkt. Konzernstrukturen, die nichts anderes darstellen als die entfremdete Form von akkumuliertem Kapital, befriedigen die Bedürfnisse des Arbeiters nur insoweit, „daß das Arbeitergeschlecht nicht aus[stirbt]“. Der Arbeiter selbst ist somit nichts anderes als eine Zustandsform von Arbeit. Wie auch eine Maschine kann er Arbeit ausführen und tritt deshalb letztlich sogar mit dieser in Konkurrenz. Er muss ebenso wie die Maschine instandgehalten werden, damit sich sein Kapital mit Zinsen vermehren kann: „Die Nachfrage nach Menschen regelt nothwendig die Produktion d[er] Menschen, wie jeder andern Waare“, wie es bei Marx heißt. Konzerne erhalten ihre Mitarbeiter somit nur, um ihre Arbeitskraft zu bewahren und sie noch leistungsfähiger zu machen. Ihre Konzepte für WorkLife-Balance sind nichts anderes als ein Zugeständnis an das Notwendigste, „das Oel, welches an die Räder verwandt wird, um sie in Bewegung zu halten.“ Anders ausgedrückt: Konzerne sind eigenständig agierendes Kapital, das – unabhängig vom Kapitalisten oder gar vom Arbeiter – nur ein Ziel verfolgt: Zu existieren und dabei beständig zu wachsen. Sie sind damit der sich selbst bewusst gewordene Geist des Kapitalismus. Sobald der Mensch für die SelbstErhaltung des Konzerns nicht mehr von Bedeutung ist, wird er im System negiert. Der Mensch ist nichts weiter als „Menschenwaare“, ein „so geistig wie körperlich entmenschtes Wesen“, dass sich selbst entfremdet ist. Der Mensch ist sich selbst entfremdet, weil er seiner Arbeit entfremdet ist. Arbeit im gegenwärtig vorherrschenden System ist nach Marx Zwangsarbeit. Sie erfolgt unfreiwillig und wird sofort abgebrochen, sobald die äußeren Zwänge, die den Arbeiter an seine Tätigkeit binden, wegfallen. Damit ist die Arbeit für ihn kein inneres Bedürfnis mehr, sondern eine entäußerte Tätigkeit, welche die Freiheit des Arbeiters beschneidet. Indem sich, laut Marx, der Mensch nur mehr in seinen „tierischen Funktionen“ frei fühlt, also unter anderem beim Essen, Trinken und der Fortpflanzung, beraubt er sich in seinen menschlichen Funktionen der Menschlichkeit. Er entartet also gerade in seiner Arbeit ins Tierische. In der für den Kapitalismus wichtigsten Aufgabe, der Arbeit, wird der Mensch unproduktiv und geistlos. Dies ist die Tragödie des Kapitalismus, welche langfristig in der Katastrophe des Kapitalismus enden wird. Wenn das Interesse des Menschen an seiner Arbeit erlahmt und dieses auch nicht mehr zu stimulieren ist, bricht die gesamte Nationalökonomie mit ihrer beschränkten Arbeitsteilung in sich zusammen. Prozesse der Arbeitsteilung, die früher größer als die Summe ihrer Teile waren, drohen, fehlerhaft in allen Teilen zu werden. Die arbeitende Weltbevölkerung verkommt zu Morlocks, affenartigen Wesen unter Tage, die H. G. Wells in seinem Werk „Die Zeitmaschine“ als Sklaven des Volkes der Eloi beschrieb. Diese wiederum waren blasse Schatten unseres heutigen Selbst, die ihre eigenen Schöpfungen nicht mehr verstanden und von den kannibalischen Morlocks des Nachts langsam, aber sicher aufgefressen wurden. Die Utopie des ewigen Fortschritts der Menschheit verkehrte sich bei Wells in eine ferne Dystopie. Schon zu Wells' Zeiten war also offenbar eine Entwicklung abzusehen, bei der die industrialisierte Welt die idealen Ziele der Utopisten zunächst übererfüllen und anschließend unter ihrer eigenen Perspektivlosigkeit zusammenbrechen würde. Wells' einzige Fehldeutung war, dass es dazu die ferne Zukunft bräuchte. Vom heutigen Standpunkt aus hat uns der Kapitalismus enorme Fortschritte ermöglicht – um uns im Gegenzug langsam, aber Das Überleben des Systems sicher zu entmündigen. Der Mensch muss notgedrungen degenerieren in einem System, das Anpassung fördert und Veränderung unterdrückt. Die aktuellen Konzernsysteme entziehen sich zuerst unserer Kontrolle und dann unserer Wahrnehmung, bis wir schließlich gar nicht mehr bemerken, dass wir Räder im System sind. Die Entartung ins Tierische bedingt die vollkommene Entfremdung von uns selbst, wir transformieren in einen Zustand der fortgesetzten Abgestumpftheit bar jeder Innovation. Jedes große System, das primär seine Selbsterhaltung zum Ziel hat, erzwingt diese Geisteshaltung nachgerade. Die Geschichte der Konzerne ist untrennbar mit der Arbeitsteilung verbunden. Nur mit der Hilfe vieler spezialisierter Arbeiter ist es möglich, ein komplexes Produkt in kurzer Zeit herzustellen. Je kleinteiliger die Arbeit jedoch wird, desto mehr verschwinden die „menschlichen“ Bedürfnisse und „menschlichen“ Einflüsse in Konzernen. Die Arbeit muss paradoxerweise jedoch umso kleinteiliger werden, je mehr Bedürfnisse der Mensch entwickelt. Der Konzern wiederum, diese „umfassende Verbindung eines grössern sächlichen Vermögens mit zahlreichen und vielartigen intellektuellen Fähigkeiten und technischen Fertigkeiten zu einem gemeinsamen Zwecke der Production“, wie Marx notiert, ist in einer idealen Position, um „eine fremde Wesenskraft über d[en] andern [Menschen] zu schaffen, um darin die Befriedigung seines eigen eigennützigen Bedürfnisses zu finden.“ Und das grundlegende Bedürfnis eines Konzerns ist, wie bereits festgestellt, sein eigenes Überdauern und unendliches Wachstum. Der gegenwärtige Kampf der Menschen gegeneinander begünstigt die Unternehmen, ja, er ist der Ausdruck ihrer Macht. Heute stehen sich keine Armeen im offenen Kampf gegenüber, sondern von Waffenkonzernen gebaute Drohnen, die über weite Entfernungen hinweg gelenkt werden. Ihrem Benutzer sind sie örtlich entfremdet; noch weitaus mehr entfremdet sind ihm jedoch die Opfer, die er nicht einmal mehr bewusst wahrnimmt. Schon die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg waren unvorstellbare Massaker; das Morden in den Gaskammern der Nationalsozialisten ein Paradebeispiel für die Unterdrückung der Menschlichkeit zugunsten einer automatisierten Maschinerie. Die Getriebenheit der Täter findet dabei auf einer anderen Ebene statt als die der Opfer; dennoch ist sie vorhanden. Das rechtfertigt nicht das Handeln der Täter; es marginalisiert sie zusammen mit den Opfern. Der einzelne Soldat ist im modernen Kampf ebenso wenig wert wie der einzelne Zivilist; sobald er verletzt ist, der vorherrschenden Struktur also nicht mehr dienlich ist, wird er ermordet – wie in Syrien. Dort wurden laut den Berichten 02 12 20 21 geflohener Mitarbeiter verwundete Soldaten in Krankenhäusern getötet, um Kosten zu senken. Kosten, die ein Staat, der um sein Überleben kämpft, in allen Bereichen so niedrig wie möglich halten will. Das Überleben des Systems steht hier als einzig übriggebliebene Maxime über allem. Wenn dafür Kriege geführt werden müssen, ist das nicht nur akzeptabel, sondern zwingend notwendig. Die Macht des Geldes Um sich der fremden Wesenskraft des Konzerns zu erwehren, benötigt der Mensch laut Marx Geld: „Der Mensch wird um so ärmer als Mensch, er bedarf um so mehr des Geldes, um sich des feindlichen Wesens zu bemächtigen.“ Freiheit erlangt er so jedoch nicht, denn „die Macht seines Geldes fällt grade im umgekehrten Verhältnis als die Masse der Production, d. h. seine Bedürftigkeit wächst, wie die Macht des Geldes zunimmt.“ Je mehr also produziert wird, umso geringer sind die Chancen des Arbeiters, sich aus seiner Situation zu befreien; ganz gleich, wie viel Geld er haben mag. Im beständig angestrebten Wachstum der Konzerne schnurrt seine Macht zusammen. Konkurrenz ist laut Marx die einzige Hilfe gegen Kapitalisten. Sie ist allerdings nur dann möglich, wenn sich die Kapitalien in verschiedenen Händen vermehren. Eine Vermehrung des Kapitals ist allerdings nur möglich, wenn dieses auf dem Markt reinvestiert wird. Diese Akkumulation hält das Kapital jedoch in wenigen Händen. Je mehr also ein Konzern besitzt, umso mehr kann er also auch anlegen und umso notwendig schwächer muss seine Konkurrenz oder gar der einzelne Kapitalist werden. Foto: Julia Schendrikow Maximale Entfremdung Der Kapitalismus in seiner derzeitigen Phase hat sich somit in ein Wesen transformiert, dass nicht mehr einzelne Kapitalisten bevorzugt; mit dem Wandel des Geldes auf die virtuelle Ebene haben sie einzelne Konzerne als tragende Säulen des Systems ersetzt. Momentan verschmelzen diese Unternehmen zu einer Verkörperung einer an sich abstrakten Idee, die dem Menschen so weit entfremdet ist wie nur möglich. In dieser maximalen Entfremdung zeigt sich der Höhepunkt und das Ende des Kapitalismus. Nach dem Erreichen des maximalen Profits müssen sich Paradigmen ändern, um das System überleben zu lassen – und vieles deutet darauf hin, dass der nächste zu streichende Faktor der Mensch sein wird. Weshalb? Zunächst kann Karl Marx' grundsätzliche Frage: „Wer entscheidet, wer wo arbeitet?“ nicht endgültig mit „das System“ beantwortet werden, da das System der Konzerne keine Entscheidungen trifft, die dem Arbeiter oder der Menschheit insgesamt dienlich wären. Nach Marx ist immerhin „das Unglück der Gesellschaft der Zweck der Nationalökonomie“. Erst wenn das Konzernziel der profitablen Selbsterhaltung an seine Grenzen stoßen, sprich, die Ressourcen der Erde übernutzt sein sollten, wird jeder Konzern auf nachhaltiges Wirtschaften umstellen – oder so viele Menschen töten, wie es notwendig ist, um seiner „unmenschlichen Intelligenz“ das Überleben zu sichern. Ohnedies ergeben sich aus dieser Situation zwei Folgeprobleme: Erstens wird die Erde zu diesem Zeitpunkt bereits irreversibel geschädigt sein; und zweitens wird die Menschheit höchstwahrscheinlich kein initiativer Teil des Systems mehr sein, sondern nur noch ein degeneriertes Anhängsel desselben, wie bei Wells beschrieben. Als Vorboten dieser Entwicklung werden Geld und Unternehmen mit der Zeit im gleichen Maße abstrakter. Von der Entwicklung des Hartgeldes bis hin zu Schecks, Überweisungen und schließlich der neuen Sparkassen-Karte, die das „kontaktlose“ Zahlen mit girogo möglich macht – ohne dass ein physisch wahrnehmbarer Vorgang erfolgt – immer 02 12 22 23 Ansporn zur Veränderung handelt es sich um Schritte, die für eine weitergehende Entfremdung des Konsumenten von seinem Lohn sorgen. Der Lohn, den ein Arbeiter für seine Tätigkeit erhält, entfremdet ihn weiter von seiner eigentlichen Arbeit, da die Arbeit nunmehr „die Eigenschaft eines materiellen Dings“ außerhalb des Menschen annimmt, wie Marx es formuliert. Das Geld mutiert zum Mittler, anstatt dass „der Mensch selbst der Mittler für den Menschen“ bleibt. Es wird so zu einer maßlosen „unabhängigen Macht“, da die ursprünglichen Werte aller Gegenstände verloren gegangen sind. Wertvoll ist heutzutage etwas allein deshalb, weil es Geld repräsentiert. Der sich selbst entfremdete Mensch ist somit nicht nur von seiner Arbeit entfremdet, sondern auch von seinen ursprünglichen Idealen, Werten und Visionen der Aufklärung. Haben sich damit die klassischen Utopien angesichts der modernen Entwicklung überlebt? Sind wir gezwungen, in unseren selbstgeschaffenen Fesseln den Weg in eine zukünftige Sklaverei anzutreten, die wir zu allem Überfluss auch noch lieben werden? Nicht unbedingt. Die Auf-Lösung des Ganzen liegt in einer Formulierung einer Utopie nach dem Bloch'schen Begriffsschema (siehe dazu „Das Schimmern des anderen Ortes“, Seite 8). Dabei handelt es sich um eine Utopie, die wir als Noch-Nicht-haben bezeichnen. Sie dient als Ansporn zur Veränderung, nicht als Ende aller Veränderung. Sie ist eine Utopie, die sich als Blaupause eignet für zukünftig notwendige Handlungen. Diese Handlungen sollten die konkreten Umsetzungen von Vision darstellen, denn nur mit visionärer Kraft lassen sich Dinge ver wirklichen, die ansonsten inexistent blieben. Dabei käme es weniger auf das Erreichen des absoluten Zieles an – welches der Definition einer Utopie nach ohnehin unerreichbar bleiben muss – sondern auf die konkrete Realisierung der notwendigen Veränderungen auf dem Weg dorthin. Dazu gehörte unter anderem eine radikale Reflexion unseres eigenen Arbeitsverhaltens, der gesellschaftlichen Bedeutung des Geldes und damit letztlich der Macht der Konzerne. Zum Nachlesen: Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M. 2009. H. G. Wells: Die Zeitmaschine. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996. Von schmackhaften Mensen und gebührenfreiem Studieren Existiert die Beste aller möglichen Universitäten bereits? Sind wir den idealen Studienbedingungen näher als wir denken? Ein Situationsvergleich deutscher Universitäten könnte uns die Richtung weisen. Text: Paula Emilia Huppertz Ü ber Kommilitonen oder Freunde Hoffnung, wenn man sich bestimmte Kriterien an kommt mir immer wieder Wunder- unterschiedlichen Unis unserer sechzehn Bundesliches, und zugleich Wunderbares zu länder ansieht. Zunächst stellt sich die Frage: Welche Aspekte Ohren. Ich höre von Semestertickets, in denen ICEFahrten inbegriffen sind oder mit denen man am sind denn überhaupt entscheidend dafür, dass ich Abend und an den Wochenenden eine Begleitperson die eigenen Verhältnisse während meiner Studienzeit als angenehm empfinde? Und was ist hierbei ausmitnehmen darf. Dazu noch ein Belegungs- und Bewertungs- reichend, um erfolgreich studieren zu können? Es sind einige, vergleichbare Kategorien denkbar; system, das ich durchschaue und das funktioniert, ohne dass ich dafür fünf Mal zwischen Dozent was wahrscheinlich mit eine Ursache dafür ist, dass und Prüfungsamt pendeln muss. Kurse, die mich wohl keine (deutsche) Universität allen Ansprüchen wirklich interessieren und die ich nicht nur belege, zugleich gerecht werden kann. Komplexe Ziele, um die Module meiner Studienordnung auszufüllen. beziehungsweise umfangreiche Projekte lassen sich Zum Mittag dann eine wohlschmeckende Mahlzeit meist nur in kleinen Einzelschritten erreichen und zum kleinen Preis vom freundlichem Küchenpersonal. arbeiten oft gegenläufig. Aus diesem Grund habe ich Kein Jobben im Restaurant oder auf der Messe, exemplarisch für die vielzähligen Aspekte, die eine am Abend oder in der vorlesungsfreien Zeit, um die Rolle für gutes Studieren spielen könnten, die oft Studiengebühren fristgerecht überweisen zu können. diskutierten Studiengebühren betrachtet. Wie viel ist dran an diesen schier unerfüllbar Laut der Internetplattform Studis Online wirkenden Studierendenwünschen? (www.studis-online.de) erheben nach dem Stand vom Klingt das für dich nach einer utopischen 27. März 2012 noch drei Bundesländer allgemeine Studienzeit? Möglicherweise ist die ideale Uni- Gebühren von bis zu 500 Euro für ein Erststudium; versität, da sie als „ideal“ laut Duden nur in der und zwar Bayern, Hamburg und Niedersachsen. Vorstellung vorhanden, tatsächlich unerreichbar. Im Südlichsten der drei Länder zahlen Studierende Doch Ansätze besserer Umstände sind bereits zu berufsbegleitender Studiengänge sogar bis zu 2.000 finden. Auch wenn es wohl Euro. Überzieht man in keine Universität gibt, bei niedersächsischen Studiender alle Qualitätsbereiche orten die Regelstudienzeit mit dem ice vom studienort wird es ebenfalls teurer. nach hause ohne beim zufriedene Studenten hintersemesterticket dafür lassen, so gibt es zumindest Dann liegen die Kosten drauf zu zahlen? 02 12 24 25 Illustration: Angelika Schaefer Studierenden-Wanderung dank Studiengebühren? Studiengebühren 2012 (Laut: Studis Online) Allgemeine Studiengebühren Studiengebühren für Langzeit-/ Zweitstudium Keine Studiengebühren Geringster Gebührenbeitrag Wintersemester 2010/12 (Laut Destatis) Abwanderung von Studenten Zuwanderung von Studenten bereits bei 600 bis 800 Euro. Für Langzeit- oder Zweitstudium muss man allerdings auch noch in Rheinland-Pfalz, in Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Bremen einiges berappen. Hinzu kommen meist noch die Semesterbeiträge für Studentenwerk und Studierendenschaft, in denen auch das Semesterticket enthalten ist. Doch eigentlich sollte man hier PositivBeispiele nennen: Den geringsten Preis für ihre Ausbildung zahlen Studierende derzeit in BadenWürttemberg. Im Dezember vergangenen Jahres wurden dort die Studiengebühren von der rotgrünen Regierung komplett abgeschafft und auch die Verwaltungsgebühren von 40 Euro pro Semester sind bundesweit die geringsten. Gefolgt von Berlin und Brandenburg mit 50 beziehungsweise 51 Euro. Übrigens: am 20. Januar 2013 sind Landtagswahlen in Niedersachsen. Bei diesen könnte sich auch die Frage der Studiengebühren noch einmal neu stellen. Denn ein Regierungswechsel würde womöglich für deren Abschaffung sorgen, und somit einen gerechteren Zugang zu den niedersächsischen Hochschulen ermöglichen. Und wie sieht es nun mit der Zufriedenheit und dem Erfolg im Studium aus? Das Statistische Bundesamt veröffentlichte auf seiner Homepage (www.destatis.de) unter dem Titel "Hochschulen auf einen Blick – Ausgabe 2012" eine aktuelle, landesweite Hochschul-Studie. Abgesehen von Hamburg haben demnach alle Bundesländer, die noch allgemeine Gebühren verlangen, im Wintersemester 2010/11 einen Verlust an Studierenden erlitten. Allerdings erging es so auch einigen von den komplett gebührenbefreiten Ländern, unter diesen auch dem „kostengünstigen“ Baden-Württemberg. Es ist klar, dass die Studiengebühren nicht der einzige und womöglich auch nicht der bedeutendste Gesichtspunkt für die Studienortsentscheidung sind. Ich persönlich habe mich beispielsweise trotz niedersächsischer Gebührenpflicht für mein Studium in Hildesheim entschieden. Solch eine Entscheidung ist sehr individuell und manchmal durch mangelndes Angebot auch nicht ganz freiwillig. Es ist schwer anhand von abstrakten Daten und Zahlen, ein zufriedenstellendes Studium zu finden. Denn Zufriedenheit und Erfolg haben natürlich in hohem Maße mit der eigenen Einstellung und Kontinuität zu tun. Doch für die Motivation der Studierenden sind die Voraussetzungen und Lebensbedingungen während des Studiums nun mal nicht ohne Bedeutung. Daher halte ich den Versuch eines Vergleiches nicht für sinnlos. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise lässt sich ein Zusammenhang zwischen den Gebühren und der Wahl des Studienorts klar feststellen. Seit dem Wintersemester 2011/12 müssen die Studierenden dort keine Studiengebühren mehr zahlen. Während im Studienjahr 2010 noch viele Studierende abwanderten, nahm die Anzahl der Studienanfänger, sobald die Gebührenbefreiung absehbar war, wieder zu. Ein weiteres Anzeichen für die mögliche Verbindung von Gebührenfreiheit als möglichem Vergleichsbereich und dem Studienverlauf ist das Erfolgsquoten-Ergebnis der Destatis-Studie: In Baden-Württemberg lag die Quote im Jahre 2010 mit 83,5 Prozent am höchsten. Der weitere Vergleich einzelner Aspekte, wie etwa der Studierenden-Betreuung, der Campus und Unigebäude, der Kursangebote, der Partneruniversitäten oder auch der Trägt gebührenfreiheit Mensen, wäre durchaus eine zu einem zufriedenen interessante Aufgabe. Die und erfolgreichen studieren bei? hier abgedruckte Grafik in Form einer ergänzten, digitalen und interaktiven Deutschlandkarte, in der man bestimmte Kriterien auswählen und miteinander in Beziehung setzten kann, wäre ein möglicher Anfang. Anhand dieser könnte man anschließend ermitteln, welche Problemfaktoren bei einzelnen Unis für eine Verbesserung der Studierendensituation als Erstes in Angriff genommen werden müssten. Und die Konsequenz daraus ziehen. Ein utopisches Vorhaben? Schon möglich, aber nicht unmöglich. 02 12 26 Politik 02 12 28 29 Liquid-Feedback (LQFB) ist eine Möglichkeit, im demokratischen Prozess direkt teilhaben zu können. Jedes Mitglied des Systems hat eine Stimme in verschiedenen Themenbereichen, die vorher festgelegt wurden. Jetzt steht es einem frei, entweder selber Abzustimmen oder seine Stimme an ein anderes Mitglied zu delegieren. Der, der die Stimme erhält, spricht nun für zwei Personen. Natürlich ist die tatsächliche Zahl der Delegationen nicht begrenzt. Und man kann selbstverständlich jederzeit eine Delegation beenden oder auf andere Mitglieder übertragen. Wahlen abschaffen! Unsere Demokratie muss sich den Zeiten anpassen. Eine kritische Idee zur Dynamisierung unserer Regierungsform erklärt das althergebrachte Wahlprinzip für obsolet und ruft zum Umdenken auf. D as Bild des Politikers ist zu dieser Zeit nicht besonders gut. Kein Wunder, haben doch die meisten Menschen, nachdem sie alle vier bis fünf Jahre ihre Kreuzchen gemacht haben, nicht wirklich viel mit den gewählten Vertretern zu tun. So stößt man nach vielen Überlegungen, was an unserer Demokratie nicht wirklich gut funktioniert, schnell auf die Wahl unserer Abgeordneten. So manche Probleme sind eng mit dem Wählen und den damit zusammenhängenden Prozessen verknüpft. Dies erklärt auch, warum einige Menschen mehr Einfluss auf Themen und Personen wünschen – oft fällt dabei der Begriff „Direkte Demokratie“. Gewiss eine schöne Utopie, die ich allerdings nicht für die beste Idee halte. Das größte Problem dürfte dabei wohl der Zeitaufwand sein, der in solch einem System investiert werden müsste, um alleine Text: Johannes Rieder die Entscheidungen bearbeiten zu können, die einen direkt betreffen. Also brauchen wir eine radikale Lösung: Wahlen abschaffen! Nein, dies soll weder ein Aufruf zur Anarchie, noch zur Diktatur sein. Es ist vielmehr ein Apell, die Politik der aktuellen Zeit anzupassen. Zuerst einmal halte ich ein System, bei dem Vertreter gewählt werden, trotz allem für die sinnvollste Umsetzung. Allerdings müssten diese mit einem weitaus schnelleren und direkten Einfluss gewählt werden können als es derzeit möglich ist. Der Vorschlag, eine Amtsperiode auf ein Jahr zu reduzieren, geht dabei in die richtige Richtung. Die reine Wahlkampfpolitik würde sich verringern; vor einer Bundestagswahl zum Beispiel wären es womöglich nur noch drei bis vier Monate, doch wahrscheinlich würden die Probleme dadurch nur gestaucht. Es wäre keine echte Lösung – der direkte Einfluss wäre noch nicht genug gestärkt. Gehen Unterstützung zukomwir aber weiter, zu einer Verkürzung auf einen men zu lassen. Sobald Monat dagegen, würden wir uns dem eigentlichen ich der Meinung wäre, Ziel nähern: Direktem Einfluss, auch bei aktuellen von meiner derzeitigen Ereignissen. Je nachdem, was die Menschen zurzeit Wahl nicht mehr ausbeschäftigt, könnte ein Parlament abgebildet reichend vertreten zu werden – eine sehr demokratische Lösung. Auch sein, könnte ich mein für reine Wahlkampfpolitik wäre keine Zeit mehr. Stimmengewicht verDoch wer würde schon jeden Monat wählen gehen? schieben. Die Ergänzung einer „aktiven EntDer logistische Aufwand wäre enorm und am Ende haltung“ wäre dafür natürlich Voraussetzung. würden vor allem jene Leute zur Urne schreiten, Sollte ich keiner der möglichen Auswahlen meine und somit auch vertreten werden, die ein aktuelles Zustimmung zukommen lassen wollen, wäre es Anliegen haben. Der Lösung mir trotzdem erlaubt, meine kommt man also nicht allein vorherige Stimme zu entziehen. durch die Änderung gewisDie ebenfalls in der Übersicht Sobald ich der ser Zeiträume näher, die Meinung wäre, meine aufgeführten Enthaltungen Strukturen selbst müssten derzeitige Wahl ließen Schlüsse darauf zu, wie verändert werden. Durch vertritt mich nicht viele Menschen sich gar nicht für Liquid Feedback inspiriert mehr ausreichend, die aktuelle Politik begeistern kam mir folgende Idee: Man könnte ich mein können. Eine Wahlpflicht – ein müsste die Stimme mehr als nach wie vor sensibles Thema – Stimmengewicht eine Art „Pflicht-Delegation“ könnte unter diesen Umständen, verschieben. betrachten. zusammen mit der Möglichkeit der aktiven Enthaltung, realiIn dem neuen Wahlsystem würde es immer – und das ist dabei wirklich siert werden. Eine starke „Wahlbeteiligung“ wäre wichtig – möglich sein, seine Stimme zu vergeben, gewissermaßen gesichert. Zwar könnte es nun also quasi zu wählen. Welche der sechs Stimmen passieren, dass jemand aus Faulheit, Vergesslichkeit (Erst- und Zweitstimme auf Kommunal-, Landes- oder Zeitmangel seine Stimme nicht ändert und und Bundesebene) verändert werden sollten, somit von einer Partei vertreten würde, die er stünde dabei frei. Jedem Bürger sollte hierbei die nicht mehr will, doch traue ich dem mündigen gleiche Möglichkeit gegeben sein. Das Besondere: Bürger genug Verantwortung zu, seine politische Die Stimmen würden nicht verfallen, es wäre Stimme selbst priorisieren zu können. Außerdem also möglich, nur einmal (sogar im Leben) seine gehe ich davon aus, dass dies lediglich bei einer Kreuzchen zu machen und dennoch einer Partei verschwindend geringen Anzahl von Personen der beziehungsweise einem Politiker dauerhaft seine Fall sein würde. 02 12 30 Die Stimmen würden stündlich „ausgezählt“ und in einer Statistik sinnvoll aufbereitet. So könnten alle Beteiligten den aktuellen Trend zeitnah nachvollziehen und Politiker sogar nach Reden oder Entscheidungen direkte Einflüsse feststellen. In Kraft treten würde die Stimmvergabe Wer jetzt einwendet, dass Arbeit, die innerhalb am Ende jedes Kalendermonats. Die Sitze würden eines Monats keine besonderen Fortschritte bringt, so genau wie möglich anhand der Prozente direkt zur Abwahl des Mandates führe, hat nur vergeben. Der Einzug in das Parlament wäre ohne dann Recht, wenn der Volksvertreter es nicht eine prozentuale Hürde geregelt, sodass besonders schaffen würde, nachvollziehbare Gründe dafür regionale Kleinparteien gestärkt werden würden. zu vermitteln. Somit wäre auch eine einfache Für Amtsträger, wie beispielsweise BürgerArbeitskontrolle geschaffen, ohne sperrige büromeister, wäre eine etwas erweiterte Legislaturperiode kratische Aufsichtsämter einvon etwa einem Quartal anführen zu müssen. gebracht Bundeskanzler und Ich würde dem Einwand, Minister sollten tatsächlich Die in der Übersicht dass keine funktionierenden sogar ein ganzes Jahr erhalten. aufgeführten politischen Entscheidungen Hier böte sich allerdings die Enthaltungen lieSSen Möglichkeit an, sie direkt zu Schlüsse darauf zu, dabei entstünden, da die wählen. Eine simple Ab- und wie viele Menschen Mandatswechsel zu schnell Neuwahl-Möglichkeit dieser sich gar nicht für stattfinden entgegnen, dass Posten wäre dabei genauso sich die Fluktuation auf das die aktuelle Politik anzustreben wie eine stärkere begeistern können. jetzige Niveau reduzieren Synchronisation mit dem würde. Wenn es einsichtig ist, Wählerwillen. dass Entscheidungen ihre Zeit Generell wären Politiker, in allen Positionen, brauchen, warum sollten dann jeden Monat grunddazu angehalten, konstruktiv zu arbeiten und legend andere Parlamente entstehen? Auch beim ihre Ergebnisse offen zu präsentieren, um die aktuellen System sind Schwankungen von mehr Zustimmung der Wähler zu erhalten. Ein Punkt, als zehn Prozent bei einer Partei selten. Ich kann der die Transparenz und Bürgernähe weiter stär- mir nicht vorstellen, dass sich daran viel ändern ken würde. würde, doch sähe man dann die Zwischenschritte wesentlich besser – was den Parteien wiederum die Möglichkeit einräumen würde, wesentlich schneller auf diesen Umschwung zu reagieren. Und selbst ein Jahr Übergangszeit wäre weniger dramatischer als man vielleicht annehmen würde. Auch Belgien ist infolge der einjährigen Abstinenz der Regierung nicht in Chaos und Anarchie versunken. 31 Wahlen abschaffen? – Das ist doch nur eine sehr kurze Wahlperiode könnte man an dieser Stelle einwenden! Wenngleich der Titel etwas provokanter anmutet als das System selbst vielleicht aussieht, handelt es sich explizit nicht einfach um eine bloße Reduktion der Zeit von Wahl zu Wahl. Die vielen – im Einzelnen eventuell nur sehr klein erscheinenden – Unterschiede würden eine stärkere Integration der Bürger in die Politik bewirken, die mit dem Begriff „Wahl“ zu lapidar abgetan wäre. Dynamischere und an aktuelle Ereignisse angepasste Politik wäre die Folge. Allein die Möglichkeit, dieses Grundgerüst später mit ein paar einfachen Anpassungen in ein Konstrukt wesentlich direkterer Demokratie umzuwandeln, ist genug Rechtfertigung für diesen revolutionären Titel. So könnte man beispielsweise die übliche Einteilung in Erst- und Zweitstimme aufbrechen oder sie um spezielle Themengebiete ergänzen. Doch natürlich kann der zweite Schritt nicht vor dem ersten gemacht werden. Was jetzt aussteht, wäre die konkrete Umsetzung der Wahlmöglichkeit und Stimmerfassung in einem sicheren und leicht verständlichen System. Eine auf das Wahlgebiet lokal zentralisierte Datenbank scheint hierbei die sinnvollste Variante zu sein. Jedoch birgt dieses System ein nicht zu unterschätzendes Problem in sich: Die Geheimhaltung der Wahl wäre gefährdet, denn für jede Änderung einer Stimme müsste auch die zuvor abgegebene Stimme eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet werden können. Gerade die Geheimhaltung der eigenen Wahl aber ist es, welche die Stimme von sozialem Druck unabhängig macht. Darüber hinaus macht sie das Kaufen einer Stimme sinnlos, da nicht überprüft werden kann, wie jemand gewählt hat. Natürlich wäre es möglich, diese Zuordnung über Hilfstabellen und Verschlüsselungen nicht einsichtig und nur indirekt durchzuführen, doch letztlich müsste jemand, wie zum Beispiel ein Administrator, in der Lage sein, das System zu überprüfen und die Verknüpfungen zu erkennen. Mir widerstrebt der Gedanke, diese Offenheit jedem Wähler aufzuzwingen. Und solange sich für diese direkte Beteiligung keine adäquate technische Lösung findet, wird sie wohl weiterhin eine Utopie bleiben. Diese aber zeigt doch wenigstens, welche Herausforderungen es zu meistern gilt, um die Souveränität des Volkes auch in schnelllebigen Zeiten zu sichern. 02 12 32 33 Campus-Stimmen: „Brauchen wir Utopien?“ Wir haben auf dem Hildesheimer Unigelände nachgehakt. Text: Paula Emilia Huppertz Gestaltung: Angelika Schaefer Fotos: Julia Schendrikow Dominik, Lehramt Deutsch und Sport, 2. Semester Kai, Lehramt Geschichte, Politik und Philosophie, 6. Semester „Auf eine Gesellschaft bezogen würde ich sagen: Wenn es sich um eine Richtung handelt, die die Menschenwürde achtet, ohne dabei irgendeinen Teil auszuschließen und somit für jeden vertretbar ist, dann sind Ideologien sogar notwendig und erstrebenswert.“ Luca, Kulturwissenschaften, 2. Semester „Ja, wir müssen hohe Ziele anpeilen, denke ich, damit wir kleine Ziele erreichen können, ohne dabei den Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren.“ „Ich finde es schon sinnvoll, Ideale zu haben, nach denen man streben kann. Allerdings ist es wichtig, die Sache nicht zu verbissen anzugehen. Und natürlich kommt es auch auf die Art der Utopie an, die man hat.“ „Meiner Meinung nach brauchen wir Utopien als Motivation, etwas Besseres erreichen zu wollen, als das, was bereits besteht. Dabei sollte es nicht nur um Ziele gehen, die für mein eigenes Leben relevant sind, sondern auch für andere Menschen oder sogar spätere Generationen.“ Maren, Kulturwissenschaften, 4. Semester „Ja, eigentlich brauchen wir Utopien sogar sehr. Denn ohne Utopien gäbe es keine Wünsche und Träume und ohne diese wäre das Leben nur halb so spaßig und schön, wie mit ihnen.“ Tobias, Lehramt Mathematik und Politik, 6. Semester Sabine und Jannika, Sozial- und Organisationspädagogik, 2. Semester „Utopien als Zukunftsziele sind wichtig, da sie Orientierungspunkte für unser Leben darstellen.“ Lilli, Lehramt Mathematik und Sport, Master „Utopien halte ich für wichtig, solange es sich dabei um persönliche Zukunftsvorstellungen und -bestrebungen für das eigene Leben handelt. Für die ganze Welt finde ich solche Ideale allerdings schwierig.“ „Warum nicht?“ Timo, Lehramt Mathematik und Sport, 4. Semester „Man könnte sagen: Wir Menschen brauchen zumindest das Streben nach gewissen Idealen – auch wenn diese als Utopie per Definition nicht erreichbar sind, beziehungsweise wenn sie erreicht werden sollten, keine Utopie mehr darstellen können.“ Lorenz, Philosophie – Künste – Medien, 4. Semester 02 12 34 35 Absage an die Prostitution Der Beruf des Designers in der Zukunft – wie Arbeiten wir? Welche Strukturen finden wir vor? Und vor allem: Welche Unternehmensphilosophie wird sich durchgesetzt haben? Drei Studierende der HAWK Hildesheim entwarfen im Rahmen des Kurses „Designwissenschaften“ unter der Aufgabe „Designbüro2030_ Zukunftsszenario“ ein Bild, das hierfür Antworten, aber auch Aufgaben formuliert. Text: Laura Armbrust, Olga Helm, Jan Pröhl E s wirkt immer noch ein wenig surreal, wenn die Schanze an mir vorbei rauscht und kein einziges Auto zu sehen ist. Fahrradfahrer, Mütter mit ihren lachenden Kindern, ein altes Pärchen, das ich jeden Morgen auf dem Weg zur Uni sehe. Mir kommt es vor, als wäre es gestern, als Mutter mit Maja und mir ein letztes Mal durch die Stadt fuhr, bevor alle Städte autofrei wurden. War ich acht? Ich muss acht gewesen sein. Maja war gerade vierzehn geworden und stand mit Mutter auf Kriegsfuß. Hamburg wirkt jetzt wie ausgewechselt. Die Atmosphäre hat sich nach der großen kulturellen Revolution völlig geändert. Eigentlich hat sich die gesamte Denkweise, das meinte zumindest Mutter, schon zwei Monate nach der Entscheidung, die Städte verkehrsfrei zu machen, geändert und darauf folgte die Revolution. Im Nachhinein klingt es immer noch ein wenig utopisch. Eine Revolution, das hätte niemand gedacht. Vor allem nicht die Politiker und die Wirtschaft. Die Jugend bäumt sich doch nicht wirklich auf, die beruhigen sich auch wieder – doch es kam anders. Ich klinge dann immer ein wenig wie ein Öko, wenn ich sage, die Umwelt bekommt ihre längst fällige Erholung von der Menschheit ... verdammt, vor lauter Tagträumen habe ich schon wieder die Haltestelle verpasst. Heute soll ich Stefan kennenlernen, den DesignKoordinator von Design und Fragment. Es geht nur um ein Praktikum und trotzdem bin ich nervös. Ich denke: Achtes Semester, einer der besseren Leute, kurz vor dem Diplom –, wovor kalte Füße bekommen Jasper? Ich hätte nie gedacht, dass die reale Arbeitswelt so angenehm ist. Ich blicke zurück, was das Praktikum bis jetzt gebracht hat und fühle mich schon als Teil des Kollektivs. Ich glaube, dass es ein Riesenglück war, dass Thimo mir zu geteilt wurde, einer unserer Hauptdesigner, mein Mentor, mein neuer Freund. Maja ist schon wieder zu spät. Eigentlich ist das doch den Kreativen vorbehalten. Aber der Kaffee ist sowieso noch nicht fertig. Ich frage mich, ob es früher möglich gewesen wäre, sich so erholt nachmittags um drei Uhr auf einen Kaffee zu treffen? Ich glaube nicht, kenne das ja nur aus Mutters Erzählungen. Arbeit, Arbeit, immer mehr, immer besser, Konsum und Kommerz. Sie hatte schon Recht, wenn sie ihre alte Werbeagentur als Konsumhure beschimpfte. Mittlerweile redet sie kaum noch darüber, schien schlimm gewesen zu sein. Heute kommen alle zusammen. Das erste Treffen mit einer der größten Umweltorganisationen in Europa. Ich bin gespannt auf die Kampagne. Groß muss sie werden. Selten hatte Stefan so aufgeregt so viele Designer für diesen neuen Job angeworben. Mich fasziniert es nach wie vor, wie diese festen Strukturen der Designbüros zersprengt wurden, sich neu geordnet haben. Ich glaube, dieses Kollektiv würde jedes Großraumbüro von früher sprengen. I ch fasse es kaum, wenn ich an die Bilder erbittert über die ersten Ideen. Ich weiß überhaupt denke, die uns Maja zum Auftakt des nicht, wie man sich so lange diese schrecklichen Treffens zeigte. Jeder kennt sie und doch will Fotos anschauen kann, ohne wütend zu werden. sie niemand sehen. Der Krieg um das Wasser ist Gleich werde ich die neuen Fotos zeigen – ein noch unfassbarer als der Krieg um das Öl. Als China zusammenbrach Das Umweltdenken steht vor und Indien so stark Kommerz und wirtschaftlichen gewachsen ist, konnte Machenschaften. niemand mehr versorgt Früher wäre das wohl werden. Die indischen ein undenkbarer Werbeslogan Massenflüchtlingslager gewesen. und die chinesischen Millionenstädte, die der Auslöser für diese Katastrophe waren, sind Wasserauf bereitungsgerät. jetzt nichts Besseres als Lager für Krankheiten, Schließlich dreht sich die Armut und Tod. Man kann sich immer noch gesamte Kampagne darum. nicht vorstellen, dass Millionenstädte zu urbanen Es macht mir fast ein wenig Massengräbern geworden sind, obwohl jeder in Angst, dass alle Arbeitsräume der Bevölkerung jeden verdammten Tag mit diesen für die Kreativ-Kollektive gleich gestaltet sind. Egal Fotos konfrontiert wird. Deshalb versucht unsere neue Kampagne, wieder wo ich später mal hin muss, finden werde ich einen kleinen Teil zur Aufklärung beizutragen. alles auf Anhieb. Dies war der tiefere Sinn, als die Ich wüsste nicht, ob ich früher an so etwas hätte Bürostruktur der Designszene aufgelöst wurde. mitarbeiten können. Design prostituierte sich Es bildeten sich Kollektive, die danach lechzten, damals für die Kommerzgeilheit der westlichen Sammlungsstätten des kreativen Austausches Welt und das Propagieren unnützer Wegwerfartikel. zu kreieren. Mit Glück werde ich später oft zu so Niemand konnte ahnen, dass sich die Denkweise wunderbaren Projekten eingeladen. Falls ich nicht aller so drastisch und positiv für die Umwelt ändern direkt Design-Koordinator werde, um dann selbst würde. Unser Umweltdenken steht vor Kommerz zu neuen Projekt einzuladen. Doch erst einmal und wirtschaftlichen Machenschaften. Früher wäre möchte ich mich beweisen, ich denke, das war das wohl ein undenkbarer Werbeslogan gewesen. früher so und wird sich auch in Zukunft nicht Was für ein Einstieg in die Kampagne, alle sehen ändern. Der große Unterscheid zu damals ist die geradezu übermotiviert aus. Ein Kollektiv von Absage an die Geldgeilheit, der Drang, die Sache zu Designern der verschiedensten Fachrichtungen verkaufen. Heute geht es vielmehr darum, ein gutes steht vor den Präsentationswänden. Niemand führt und ausgewogenes Design zu schaffen. sich als Chef auf, alle stehen da und diskutieren Ich kann mir kaum vorstellen, wie es früher war. 02 12 36 Ich erinnere mich noch daran, wie geschafft meine Mutter immer war und unter was für einem Druck sie stand. Sie war nie wirklich zufrieden und auch Vater überforderte die Situation. Ich weiß nicht, ob er deswegen den Herzinfarkt hatte. Wie in Zeitlupe streifen Schatten an mir vorbei, ich nehme sie nicht war, wenn ich dieses Plakat sehe, gleich verpasse ich wieder den E-Bus. Wie unglaublich traurig das kleine Mädchen auf dem Plakat einen anschaut, hilflos, und doch strahlt sie eine solche Hoffnung aus. Wie leise diese Elektrobusse doch sind, man merkt nicht einmal, wenn sie anfahren oder stoppen. Wenn nicht die Magnetspuren wären, die alle Busse wie Schäfchen in Hamburg hielten, wäre ich schon längst vor lauter Ablenkung außerhalb der Stadt. Mir ist schlecht und das heute, wo wir doch für die neue Kampagne nach Indien fliegen. Stefan meinte, man könne kein gutes Design machen ohne die Atmosphäre des Ortes in sich aufzunehmen. Das mag ja richtig sein, aber ich habe doch ein wenig Bammel vor dem Fliegen. Dazu dann noch das Warten beim Zoll, alles nur wegen der großen europäischen Grenze und der immer und überall präsenten Überbevölkerung. Ich hoffe, man bekommt dieses Problem irgendwann in den Griff, aber so wie es aussieht wird es nur noch schlimmer. Genau deswegen fliegt aber das Design-Kollektiv an den Ort des Geschehens. Mutter ist schon wieder zu spät. Ich glaube, dass sie sich das nie abgewöhnen wird. Mir läuft die Zeit weg und jetzt lasse ich die anderen schon im Stich beim gemeinsamen Mittagessen. Zum Glück können wir uns unsere Zeit selbst einteilen. Am Anfang war das wirklich schwierig, ich weiß noch genau wie Stefan mir alles erklärte: „Jasper du kannst dir deine Zeit selbst einteilen, du musst einfach nur deine Sachen schaffen und denke immer daran, dass du auch ein Privatleben hast.“ Es dauerte, bis ich da drin war, aber Thimo meinte schließlich auch, dass es eine Übungssache sei, die Struktur der Kollektive und 37 besonders die Arbeitsweisen zu lernen. Arbeite von Es wäre schön, wenn sich für das nächste Projekt zu Hause aus, arbeite im OpenOffice oder setz dich auch wieder so viele engagierte Designer bewerben einfach in den Park, an den See. Wenn man so viele würden. Maja schaut mich an, als platze sie gleich Möglichkeiten hat, muss auch der kleine Jasper vor Stolz. Diesmal begegnen wir uns auf Augenhöhe. erst einmal damit klar Eine Situation, die ich mir so nicht vorstellen kommen. Aber alle konnte. Viele Designer Designer von Design Es bildeten sich Kollektive, kamen am Anfang des und Fragment haben die danach lechzten, Sammlungsstätten des mir dabei wirklich unProjektes zusammen, glaublich geholfen. so viele verschiedene kreativen Austausches zu Fachbereiche wurden kreieren. Morgen ist es nun soweit: vereint und ich als Präsentationstag. Alles wird vorgestellt, der AbPraktikant durfte ebenschluss einer Kampagne, die so wichtig ist, nicht nur so meinen Teil dazu beitragen. für mich. Wenn dieses Wasseraufbereitungsgerät Die Luft riecht frisch und leicht. Die Straßenfunktioniert, dann löst es zwar nur einen bahnfenster rauschen wieder an der Schanze vorbei, kleinen Teil der Probleme mit dem weltweiten als würde ein alter Film vor mir laufen, Bild für Wassermangel, aber für jeden wird sauberes Bild, immer wieder ein neuer Ausschnitt, wieder Trinkwasser erschwinglich und möglich sein. Alle das alte Pärchen, die etlichen Fahrradfahrer auf werden sie morgen da sein, die Ingenieursgruppe von dem Weg zur Arbeit, Mütter mit Kinderwagen. Die dem Wasseraufbereitungsgerät, zwei Regierungs- Kinder, die so lachen, dass man geradezu mitlachen sprecher, alle Designer, die sich für dieses Projekt muss. Und trotzdem gehen die Bilder nicht aus in dem Kollektiv zusammengefunden haben und meinem Kopf, die sich während des Praktikums in ich muss dann vorne stehen und mein Ergebnis mein Gedächtnis eingebrannt haben. Warum sehe präsentieren. Hoffentlich kann man sich danach ich immer zwei Welten, wenn ich die lachenden irgendwo in diesem Riesenraum verstecken, erster Kinder an mir vorbeirauschen sehe? Und warum Nachteil dieser OpenOffices. Oder ich setze mich stelle ich mir immer wieder die Frage, wie viel die danach einfach ganz ruhig und lässig wieder hin Kampagne aus meinem Praktikum ausrichten wird? Auch in Indien habe ich die Kinder immer lachen und ziehe mir eine Tüte über den Kopf. Maja ist nicht anders als Mutter mit ihrer sehen, aber ich konnte nie lächeln. Ich musste mich Pünktlichkeit. Gleich legt das Skyshuttle am Dock immer fragen, wie ich mit Design einen Teil dazu an und sie ist immer noch nicht da. Ich habe keine beitragen kann, das alles zu ändern. Warum hat Lust, wie damals im Zug eine Stunde lang zu stehen. sich unsere Denkweise hier geändert und warum Viel lieber möchte ich am Fenster sitzen, das grüne nicht bei allen? Ich will etwas bewegen mit meinem Beruf, aber schaffe ich das? Kann ich mich so vielen Meer unter mir beobachten und träumen. Später dann, Applaus. Es fühlt sich an als würde ich gesellschaftsrelevanten Problemen stellen? Immer neben mir stehen und mit applaudieren. Aber ich wieder aufs Neue. Schaffe ich das? Schafft es das stehe vorne, mit allen, mit dem gesamten Kollektiv. Design weiterhin? 02 12 38 39 Die Lean Produktion und das europäische Bildungssystem des 21. Jahrhunderts I Schlanker, effizienter und kostengünstiger. Das sind Worte, die so oder so ähnlich fast jede_r einmal gehört haben dürfte. In der Betriebswirtschaftslehre schon ein alter Hut, haben sie mittlerweile auch in den Universitäten Einzug genommen. Ein Trend der Industrie, der einmal angestoßen wurde und sich immer weiter ausbreitet – seit nunmehr 30 Jahren. Text: Andre Vespermann n den 1980er Jahren untersuchte das MIT (Massachusetts Institute of Technology) in 17 Ländern, welche Unternehmen im Automobilsektor erfolgreicher waren als andere. Die Analyse war überraschend: Die japanischen Fabriken produzierten doppelt so schnell, mit der Hälfte des Aufwandes für Neuentwicklungen, der Hälfte der Investitionen in Werkzeuge und der Hälfte des Fertigungspersonals. Dabei waren die Fahrzeuge von besserer Qualität und die Unternehmen verfügten über eine größere Produktvielfalt. Damit war der alte Grundsatz – Hohe Qualität = Hohe Kosten – der Produktionsmanager_innen widerlegt. Das „Lean Management“ war geboren. Standardisierung, Modularisierung, Rationalisierung, Ausbringungsorientierung, Kostenreduzierung und Ausschussreduzierung bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung prägen seitdem die Organisation der Produktion in der Industrie. Lean Management wurde zum Ziel der Manager_innen rund um den Globus bei der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Weitere, auf Rationalisierung und Qualitätssteigerung ausgerichtete Managementansätze, folgten. „Total Quality Management“ und „Supply Chain Management“ sind nur einige Beispiele. Aber auch die politischen Protagonisten eines anderen wichtigen Bereiches der europäischen Gemeinschaft kamen auf die Idee der Wettbewerbssteigerung durch Konzepte, die aus dem Lean Management ableitbar sind. Um die Hochschulstrukturen zu verändern kamen 1998, noch vor dem Pisa-Schock, die Bildungspolitiker_innen Europas in Bologna zusammen. Ziel waren Strukturen, die schnellere und f lexiblere Studiengänge und Abschlüsse ermöglichen. Dafür wurden das nordamerikanisch-britische Bachelor-Master-System übernommen sowie Änderungen in der Hochschulstruktur und -finanzierung vorgenommen und den Universitäten so mehr Autonomie verliehen. Natürlich sollten durch diese Reformen auch die Kosten der Hochschulen für die Länder gesenkt werden Externe und interne Vergleichbarkeit, Modulstruktur, Berufsqualifizierung und Abbruchsreduzierung ergaben sich daraus als neue Anforderungen an neue und bestehende Studiengänge. Dafür wurde als Evaluation für die Studierbarkeit und Qualifizierung der Studierenden durch das Studium eine Art Überprüfungssystem geschaffen. Die sogenannte Akkreditierung der Studiengänge und Hochschulen wurde eingeführt. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass eine Hochschule von einer unabhängigen Organisation eine Art Bescheinigung für das Anbieten von studierbaren und für Studierende qualifizierende Studiengänge bekommt. Und nun ein kleines Gedankenexperiment in zwei Situationen. Die erste Situation: Ein Unternehmen hat 20 Prozent Ausschuss seiner produzierten Güter, sprich die Qualität ist zu schlecht, um diese Erzeugnisse zu verkaufen. Also werden die Vorgänge standardisiert, moduliert und mit den Rückmeldungen der Arbeiter_innen optimiert. Der Ausschuss sinkt auf zehn Prozent, das Unternehmen vermeidet Ausschusskosten, finanziert aber gleichzeitig die Umstellung. Die Verbesserung ist kostenrechnerisch messbar und ökonomisch nachvollziehbar. Die zweite Situation: An den Hochschulen eines beliebigen Landes in Europa brechen 20 Prozent der Studierenden ihr Studium, ohne Abschluss, ab. Nun wird modularisiert, standardisiert und evaluiert. Die Studierenden studieren im Schnitt schneller und es erreichen mehr ihren Abschluss. Nur zehn Prozent brechen nach der Umstellung ab. Und das Land finanziert nur Teile der Umstellung, verringert aber die Kosten pro Studierenden. Dies wird als Verbesserung angesehen, da die Qualität gesteigert wurde. Dabei gilt die Annahme, dass kein Studierender ohne zügigen formalen Abschluss berufsqualifiziert sei und damit die gewünschte „Ausbringung“ darstellt. Daher ist also die Qualität der Bildungsstätte gesteigert worden. Was ist hier aber verglichen worden? Nun in beiden Fällen wird quantitativ „Ausschuss“ aus ökonomischer Sicht gemessen. Aber dabei wird ein Trugschluss sichtbar: Die Fähigkeiten eines Akademikers lassen sich nicht allein im Tempo des Abschlusses und dessen formaler Vergleichbarkeit messen. Denn ein Bachelor mit 180 Punkten in sechs Semestern zu schaffen, das sagt noch keine hohe Berufsqualifizierung aus. Aber eben die Qualifizierung für die Berufstätigkeit müsste gemessen werden, wenn Studiengänge sinnvoll bewertet und miteinander verglichen werden sollen. Dies erfolgt bei der quantitativen Abbruchquotenmessung nicht. Und das ein Studium ausschließlich berufsqualifizierend sein soll, ist auch nicht korrekt. Ein Studium kann auch zur Persönlichkeitsentwicklung, zum Verständnis wissenschaftlicher Konzepte und der Fähigkeit zum eigenständigen Lernen, Lehren, Forschen, Kultur schaffen und anderen vielfältigen Prozessen und Kompetenzen fernab einer reinen ökonomischen Verwendung führen. Daher ist die schlichte Analyse: Ein Hochschulsystem darauf umzustellen, formale Berufsqualifizierung für möglichst viele Absolvent_innen generieren zu wollen handelt wie ein nur quantitativ ausgerichtetes Produktionssystem. Überspitzt ausgedrückt, es wird so versucht, gebildete Menschen zu produzieren. Aber gebildete Menschen lassen sich leider nicht produzieren, wie Autos oder Waschmaschinen. Die „Denkfabrik“ folgt anderen Gesetzen als denen industrieller Fertigungsanlagen des 21. Jahrhunderts. Ein sinnvoller, ökonomischer Umgang mit Geld ist sicher notwendig bei jeder Einrichtung, aber Produktionstheorien lassen sich nicht einfach auf Menschen anwenden. 02 12 40 41 Peniskekse Die Hochschulinitiative HI_Queer kann mittlerweile von ihren ersten Erfolgen und Teigwaren der besonderen Art erzählen. Zwei Berichterstattungen aus einem Semester Arbeit an einer Utopie. P eniskekse. Da lagen sie und wurden belustigt gegessen. Den Abend vorher saßen wir noch in Evas viel zu kleiner Küche und formten Geschlechtsteile aus Plätzchenteig: Penisse, Vulven und namenlose Formen. Geschmeckt haben sie dann alle gleich gut. Ja, natürlich war das ein Statement; ja, ein bisschen albern war es auch, oder besser: lust- und liebevoll. Aber auch mit Kalkül, weil Peniskekse in Erinnerung bleiben, als Give-away auf dem ersten öffentlichen Treffen von HI_Queer oder eben als Aufhänger für einen Artikel. Es hat funktioniert, das muss ich dazu sagen. Du liest weiter und an jenem 24. April 2012 kamen Menschen zusammen, haben Kekse gegessen und sich über Normvorstellungen ausgetauscht – nicht nur im Bereich der primären Geschlechtsmerkmale. Bei diesem Anlass entstand die Gelegenheit für eine offene Auseinandersetzung, die wiederum schnell zu einem Aufbrechen der Zweiheit führte, als Besuchende begannen, selbst neue bunte Geschlechtsteile auf Plakatrollen zu malen und phantasievoll Namen dafür zu erfinden. Von da aus starteten Gespräche in verschiedene Richtungen, gefüttert mit Theoriehäppchen in Form von ausgedruckten Zitaten oder Videos. Kategorien Text: Anna Blädtke, Lena Wagner wurden entdeckt und hinterfragt, was bisweilen so manch einen spürbar verwirrte. Nach diesem ersten Treffen verblieb ich vor allem froh, aufgewühlt und erwartungsvoll. Es waren Menschen ins Gespräch gekommen, die andernfalls wohl weiterhin wortlos aneinander vorbei gegangen wären. Als dann auch noch neue Gesichter auf den internen HI_Queer-Sitzungen auftauchten, schien das Konzept aufgegangen zu sein: Wir wollen zusammen lernen und wachsen, und uns selbst bestimmen, anstatt in den festen Kategorien zu verweilen. Ich habe Menschen in dieser Gruppe wachsen sehen. Der Möglichkeitsraum, sich, Klischees, Rollenbilder, Nie-Gesehenes zu thematisieren und auszuprobieren kann überraschendes hervorbringen. Im Sommersemester 2012 haben wir unter anderem viel mit Drag-Aktionen gearbeitet. „Drag“ („dressed as any gender“) bezeichnet das bewusste Spiel mit Geschlechtercodes, sodass zum Beispiel eine sonst als Frau gesehene Person plötzlich als Mann verstanden wird. Solche Aktionen eröffnen das, was Judith Butler „eine offene Zukunft kultureller Möglichkeiten“¹ nennt: Es geht auch anders! Ich habe mitgespielt, neugierig auf die Effekte, die ein Bart und Hemd im Gegensatz zu einem Kleid und Schminke auf mich haben. Nicht, um ein Geschlecht zu tauschen, sondern um ein Gefühl für meine Möglichkeiten zu bekommen. Erstaunt stellte ich dann fest, dass ich, die ich seit Jahren keine Kleider mehr trug, mich im Sommer sehr wohl in Kleidchen fühle. Und das auch „trägt Kleid“ oder „trägt kein Kleid“ als Kategorie funktioniert, und ich demnach so sehr in die Kategorie „trägt kein Kleid“ verwachsen war, dass ich mir selbst verwehrt habe, was mir doch momentan gefällt. Diesen Selbstkategorisierungen ist HI_Queer mindestens genauso hinterher, wie den Fremdkategorisierungen. Unsere Utopie: Statt in Kategorien wollen wir in Identitätsfacetten leben, die nach eigenem Ermessen gewählt und wieder abgelegt werden können. So wie jede_r Einzelne in der Gruppe wächst, wächst auch die Gruppe an sich, an Mitgliedern, Bekanntheitsgrad und Ideenreichtum. Mittlerweile werden wir von offizieller Seite in Seminare und zu Vorträgen eingeladen, um uns vorzustellen, zu diskutieren und neue Anstöße in unsere Arbeit einzubauen. So haben wir in der „Einführung in die Gender Studies“ praktische Beispiele zur Umsetzung der Queer theory gegeben und in „Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Geschlechterpolitik“ das Festhalten an einer binären Denkweise kritisiert. Für das nächste Semester bereiten wir die Aktionstage „gesellschaft – macht – geschlecht“ gegen Sexismus und Homophobie vor, für welche die großartige Berliner Rapperin Sookee bereits zugesagt hat. Wir wollen weiterwachsen Lena Wagner, seit November 2011 bei HI_Queer Foto: HI_Queer ¹ Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main, 1991, S. 142. 02 12 42 HI_Queer ist eine Hochschulinitiative für selbstbestimmte L(i)ebensweisen. P eniskekse. Die gab es unter anderem auf dem ersten öffentlichen Treffen von HI_Queer am 24. April 2012. Dies war die erste Aktion, die mich mit dieser Gruppe zusammen brachte. Ich bin übrigens Anna. Ich dachte mir: interessant, auch wenn ich nicht sofort verstand, worum es geht. Irgendwie alternative Lebensformen und so. Während und nach meinem ersten Kontakt war ich neugierig, aber doch überwiegend skeptisch. Was ist das für eine Gruppe? Sind sie gegen jede_n, der sich in seiner Geschlechterrolle wohl fühlt? Alles nicht unbedingt positiv und doch dachte ich mir: Geh erst mal hin und hör ihnen zu, bevor du dir ein Urteil bildest! Und so war ich da. Es war großartig. Dieser offene Umgang und diese mehr als freundliche Aufnahme haben mich umgehauen. Gemeinsam zu reflektieren, in welchen Kategorien man steckt und denkt, ist einfach spitze! Gemeinsam Identitäten kennen lernen, ist für mich sehr erfüllend! Das haben wir dann auch während unseres Workshops „VielfältIch“, der im Rahmen des umWELTevents stattfand, getan. Aber bevor ich dazu mehr sage, möchte ich kurz noch von unseren wöchentlichen Treffen erzählen. Diese finden vor dem StudCaf statt, bei schönem Wetter gerne auch draußen auf dem Campus. Zuerst besprechen wir Organisatorisches, Termine sowie Erlebnisse. Hierauf folgt meistens ein Theorieinput von einem Gruppenmitglied mit anschließender Diskussion. Auch ich als eher 43 ruhiger Mensch kann einfach dort sitzen und zuhören. Es wird nicht erwartet, dass jemand immerzu redet. Wir sind eine offene Gruppe und freuen uns über jeden Menschen, der Lust hat, vorbeizuschauen und vielleicht neue Ideen einzubringen! Neue Ideen brauchten wir dann auch bei der Planung unseres „VielfältIch“-Workshops. An einem Sonntag saßen wir zu viert bei mir am Frühstückstisch und arbeiteten die Ideen aus, die wir vorher gemeinsam gesammelt hatten. Insbesondere durch die tollen Teilnehmer_innen wurde der Workshop ein voller Erfolg. Wir haben uns gemeinsam bewusst gemacht, in welchen gesellschaftlich konstruierten Kategorien wir stecken und was uns, davon abgesehen eigentlich noch ausmacht. Es war ein Wechsel von Gruppen- und Einzelarbeit, sowie der Präsentation verschiedener theoretischer Ansätze. Ich bin bei diesem Workshop in mich gegangen und habe mich, aber besonders auch meine Mitmenschen, besser kennen gelernt. Es ist immer wieder faszinierend, wie viele Unterschiede zwischen einzelnen Personen bestehen und doch sind wir alle gleich: Wir sind Menschen! Jeder und jede muss die Chance haben, so zu sein, wie er oder sie sein will! Egal, ob man sich Kategorien zuordnet, sie neue erfindet oder versucht, alte aufzubrechen! Auf jeden Fall sollte man sich bewusst sein, in welchen Kategorien man lebt und denkt! Ich merke es immer wieder, dass ich andere Menschen oder auch mich selber vorschnell einordne. Aber Schubladen sind der Anfang von Diskriminierung und daher wünsche ich mir, dass wir alle offen, aufmerksam und sensibel durch die Welt gehen, und somit jeder und jedem seinen und ihren ganz individuellen Freiraum lassen! Anna Blädtke, seit April 2012 bei HI_Queer Foto: HI_Queer 02 12 44 45 02 12 46 47 Internationales 02 12 50 51 Wissen und Kommunikation sind heilig! Copy and Paste als die obersten Gebote einer neuen Internet-Religion? Kein Witz. Ein Philosophie-Student aus Schweden hat sie erfunden: Die missionarische Kirche des Kopimismus Text: Marion Starke . L etztens saß ich mit meinem Mitbe- betrachtet Informationen als heilig, das Kopieren als wohner in der Küche – Wein leer, Sakrament und Kopierschutz und Überwachung als Flasche Met halb voll. Wir schauten Sünde. Und sie rufen es in die Welt hinaus: „Jedes zahlreiche sinnlose Videos im Internet, da las ich Wissen gehört allen Menschen! Das Kopieren und auf einer Seite, dass wir jetzt an etwas wirklich Weitergeben von Information ist moralisch richtig, Wichtiges glauben dürfen. Gut, dachte ich mir, an ja sogar heilig.“ Kurz gesagt: Filesharing ist gut, Kopierschutz böse. Sie appellieren an alle Menschen etwas wirklich Wichtiges, das wäre doch mal was. Ich las weiter: „Seit kurzem haben die Schweden mit einer Internetverbindung: „Kopiert! Kopiert uns eine neue Religion geschenkt, die der weiter! Die neue Religion kann sich nun in der Welt Kopimisten. Anfang 2012 zählten sie beinahe verbreiten. Strg + Z euer altes Leben! Seid Kopimi!“ 5.000 ‚Anhänger‘ weltweit.“ Aha, dachte ich Der Sinn der kopimistischen Religion ist dann, Kopimisten klingt nicht sehr religiös. Einige auch gar nicht so abwegig. Sie wollen die Videos später stand für mich fest, dass es sich um Informationen auf der ganzen Welt für jeden gleich zugänglich machen. Es einen News-Hoax handeln müsse; irgendeine Blödelei zwischen all ist moralisch ein gutes und den anderen bekloppten Pröddelgroßes Anliegen. Ja, es ist philoDie Jünger des nachrichten, die im Internet zu Copy und Paste. sophisch. Kein Wunder: Der finden sind. Aber siehe da, auch Und ihr Gott, das Begründer der Kirche, Isak Internet. Zeit Online berichtete über Gerson, ist Philosophie-Student. Zwei Jahre lang hat er für diese moderne Religion, derenheiligen Sakramente „Ctrl+C“ und die offizielle Anerkennung seines Glaubens gekämpft. Zwei Mal ist er „Ctrl+V“ sind. War da also doch etwas Wahres dran? Ja! – und es ist gut durchdacht und tief dabei gescheitert, doch im Januar 2012 bekam philosophisch: Die Gemeinschaft der Kopimis er letztendlich Recht: Seitdem die Kirche des Die Befehle „Ctrl+C“ und „Ctrl+V“ für Kopieren und Einfügen sind für die Anhänger der Gruppe heilige Symbole. Kopimismus vom schwedischen Staat anerkannt Denkprozesses ist. Alle unsere Ideen und Inspiwurde, ist sie offiziell keine Sekte mehr, sondern rationen entspringen aus Konversationen, die wir mit anderen Leuten führen und aus der Kunst und eine Religion. Und irgendwie sind wir ja alle schon ein der Kultur anderer Menschen.“ Teil dieser Internet-Religion, die eine neue Allerdings gäbe es in unserer Gesellschaft Mächte, Kommunikationskultur erschaffen hat. Wir die das Monopol kultureller Information für sich updaten und downloaden, mailen und chatten, behielten und nicht dulden möchten, dass das Wissen in den endlosen Raum betwittern alle Welt und des Internets zu seiner Freiheit schauen uns Youtube-Videos zum Frühstück oder beim Eine revolutionäre gelangt. Der Freiheitsbegriff WG-Umtrunk an. Die Kopiist bei den Kopimisten so weit Botschaft: misten sind nur eine logische Filesharing ist gut, gefasst, dass sie den Remix Fortführung dessen und geben Kopierschutz böse. von Informationen – wie etwa dem Internet einen DachverBildern oder Musik – als ein band in Form einer Religion, Zeichen des Respekts und um alle Informationen unserer Kultur zu nutzen. der Anerkennung gegenüber dem Original und Das Phänomen „Filesharing“ existiert weltweit. dessen Schöpfer verstehen. Einige tun es aus Mangel an Alternativen oder All das klingt absurd, aber hinter all der purem Geiz zur Beschaffung von Filmen, Musik, Absurdität steckt ein pragmatisches Anliegen, denn und sonstigem digitalem Material. Andere – wie das Kopier(t)e schafft einen Mehrwert für alle. Das die bekennenden Piraten aus Schweden – tun Problem ist nur: Die Vervielfältigung widerspricht es aus religiöser Überzeugung. Warum, erklärte dem Urheberrecht, Raubkopieren ist eine Straftat – Isak Gerson im Interview mit dem Vice-Magazin: und das kann bekanntlich teuer werden. Auch für die „Weil das Kopieren die Basis des menschlichen Kopimisten. Denn der offizielle Status der Religion 02 12 52 53 Die Entwicklung hat Vorrang zu werden – so klingt das zwar auch nach einem originellen Märchen, hat damit aber wenig zu tun. Als ob nicht obskur genug, dass nach über hundert Jahren eine Gemeinde ihre Stadt verlässt (so als flüchte sie vor dem nächsten chinesischen Staudammprojekt) tut sie das auch noch samt ihrer vier Wände. Der Mythos Baba Jaga hat, so scheint es, Einlass gefunden in die Wirklichkeit. Doch die Realität schreibt nüchternere Skripte als die Märchenwelt – das lehrt uns die Wirtschaft. n unserer Familienbibliothek steht Denn wäre die nicht gewesen, müsste der Großteil ein anti-quiertes Buch mit slawischen der Population von Kiruna nicht ab diesem Jahr peu Märchen, dessen Hauptgestalt, die Hexe à peu umsiedeln. Der nahe gelegene Eisenerzabbau Baba Jaga, mich als Kind oft in meinen hat in den vergangenen hundert Jahren die Erde Träumen verfolgte. Die meiste Zeit hockte sie auf so erfolgreich zur Ader gelassen, dass die Stadt dem Dach ihres Hauses, einer schiefen Baracke auf heute auf ausgehöhltem Grund steht und nun Hühnerbeinen, und jagte mir nach. Heute sehe ich zu versinken droht. Zumindest der historische mir die Abbildungen der gackernden Hexenhütte an und frage mich: Welche Bedeutung lag Stadtkern soll nun originalgetreu östlich von Kiruna hinter dem Haus auf Beinen? Vermutlich war wiedererrichtet werden. Der Rest wird größenteils dem Abriss zum Opfer fallen. Der Bergbau hat Baba Jaga lediglich die historische Märchengestalt der Region Wohlstand gebracht, daher soll lieber halbnomadischer Erzählkunst und zog als verdie Stadt weichen als der Stollen. Kiruna bedroht körpertes Überbleibsel dieser Kultur zwischen vor dem Verschlucktwerden, Kiruna das moderne saisonalen Lagerstätten hin und her. Oder sie mochte Wohnwunder auf Schneehuhnbeinen. Das sind einfach keine Besucher und befahl dem Haus sich Urangst und Sehnsuchtsdenken bei unerwünschten Gästen umzudrehen, bis es ihnen die zugleich, denen auch eine Gruppe Rückwand zeigte. Ganz gleich, „Die Entwicklung von Künstlern unter dem Motto Kirunatopia neuerdings auf dem der Stadt folgte weshalb es Hühnerbeine waren, Grund geht. Baba Jaga war nicht einfach das von Anfang an Das Künstlerkollektiv, das typische Gespenst polnischer der Blaupause der unter der Schirmherrschaft des Kindermären. In ihrem LebensÖkonomie.“ Goethe-Instituts Kirunas alte wandel liegt auch ein Quäntchen Wirklichkeit. und zukünftige Geschichte Wenn die schwedische Bergbaumetropole Kiruna ästhetisch hinterfragt, kollidiert mit der akkuraten in den kommenden Jahren ihre Häuser um fünf Beharrlichkeit, unter der die Umzugsmaßnahmen Kilometer nach Osten verlagert – und zwar Stein für vorbereitet werden. Der Kritik folgt oft das Stein und Schraube für Schraube, nebst denkmalStirnrunzeln. Lara Almarcegui inspizierte den geschützten Häusern und Straßenlaternen, um neuen, bis dato „leeren“ Flecken Erde, auf dem schließlich wie aus dem IKEA-Karton rekonstruiert die urbane Neuversion errichtet werden soll, und Eine Stadt zieht um. Medien, Wirtschaftsunternehmen und Künstler nehmen sich Schwedens nördlichste Ortschaft Kiruna zur Brust und bauen sie im Namen der Utopie gedanklich neu. Nun geht die Gemeinde und was bleibt, ist ein Loch im Boden. Text: Gudrun Kramer I bedeutet nicht, dass Urheberrechtsverletzungen nur noch kopieren und niemand mehr bezahlt, für sie nun legal sind. Wandern die Kopimisten also wie sollen Künstler dann Songs schreiben oder Regisseur Filme drehen? Hätten wir schließlich bald wegen Datenklau hinter schwedische Gardinen? nur noch Reality Shows wie Big Ginge es nach den Firmen, Brother oder Youtube-Tutorials denen die Urheberrechte gehören, und Selfmade-Sketche? Hieße Wie eine Religion dann ja. Für sie entsteht ein erheblicher Schaden Religionsdie gesamte das keine Blockbuster, keine gründer Isak Gerson hingegen Hörspiele, kein Vinyl mehr? Kulturbranche Es gibt Kunst, die aufwendig zerstören kann. hofft, dass der schwedische Staat, die „Jünger“ schützt und beruft produziert wird. Einen neunzig sich auf das verfassungsmäßige Minuten langen 3D-Kinofilm Recht auf freie Religionsausübung. Denn das wiegt realisiert niemand einfach so ohne großes Budget seiner Meinung nach stärker als der Datendiebstahl. und ohne teure Technik. Die Firmen müssen Ein schwedisches Sprichwort besagt: „En liten einnehmen, um es dann wieder ausgeben zu können. läcka kan sänka ett stort skepp.“ ( „ Ein kleines Leck Da hinkt die Logik der Kopimisten etwas. kann ein großes Schiff versenken.“ ) Und das Mittlerweile ist die Flasche Met auch leer. Die ist auch Gersons Devise, Gedanken schwirren in meinem Kopf. Ich glaube, Die Bezeichnung „Kopimi“ leitet am liebsten will er die also kopiere ich? Ich kopiere, also glaube ich? Keine sich – phonetisch – vom englischen gesamte Kulturbranche Ahnung. Am besten ist es wohl, wenn ich morgen „copy me“ („kopiere mich“) ab. auf den Kopf stellen. Denn früh erst einmal die zehn Gebote der missionierenden genau das tun die Kopimisten lese. Und dann entscheide, ob auch ich Kopimisten. Wenn alle daran glaube oder nicht. Mit nüchternem Kopf. 02 12 54 1 ließ sich auf die Vergänglichkeit des Hier und Jetzt ein: "I didn’t know what I would find, but I thought that Toullavaara should have a reality different than the one being discussed now, and I wanted to try to present it", sagt die gebürtige Spanierin über den Ort, "most of it will cease to exist if the land is developed and that makes it interesting to me. I am always shocked when I consider that a certain place is scheduled to disappear from the face of the earth." Die Angst mancher Bewohner vor dem Sturz in den Abgrund, wie es wiederum Künstlerin Agneta Andersson formuliert, trifft sich mit „Restauration dem Schicksal des auserkorenen Standerfordert ortes, dessen Realzustand eine absehbar Zerstörung.“ befristete Zeit gesetzt wurde. Die allgemeine Bereitschaft der Lokalbevölkerung, fortzuziehen, und zwar für immer, und bei Toullavaara einfach ein neues Kiruna zu errichten, erstaunt die Gastkünstler. Die Stadt, heißt es in einigen Blogeinträgen der Kirunatopia-Teilnehmer, sei ein merkwürdiger Ort, den man nicht erfassen könne.1 Die Skepsis sitzt tief. Es gibt unterschiedliche Meinungen, die, ob direkt betroffen oder nicht, den Umzug visionär oder erschreckend heißen. Fakt ist, die Stadt war von Beginn an ein von der Blaupause der Ökonomie entstandener Fleck Erde und wäre ohne diese gar nicht denkbar gewesen. Die Wirtschaft, in diesem Fall das schwedische Bergbauunternehmen LKAB, nimmt sich also das Recht des Stärkeren und wird damit erst einmal ein bisschen zum Buhmann der Medien. Abseits von den als gut oder böse markierten Spielern in diesem Medienspektakel stellt sich die Frage, ob nicht ein wesentliches Stück Heimat verloren geht, sobald man Kiruna Hühnerbeine verleiht. Selbst in einer Eins-zu-eins-Rekonstruktion der Wohnhäuser und Straßenkreuzungen wäre dem Ort doch eine gewisse Authentizität genommen. Von Zerstörung überfallenen Orten ähnlich, wie New Orleans in 2005 oder Dresden 1945 etwa, verschwindet hier für immer ein wichtiges originäres Basisstück, an dessen Stelle ein poliertes aber irgendwie charakterloses Surrogat platziert wird. Nichts kann in kurzer Zeit ersetzt werden, was ursprünglich und schön war. Doch was Kiruna eigentlich so bizarr 55 http://blog.goethe.de/kirunatopia/archives/25-Exhibition-Countdown-Short-Interview-No.-3-Boris-Sieverts.html macht und damit von Dresden und New Orleans unterscheidet, ist, dass nicht etwa eine Krise diese Transformation herauf beschworen hat, sondern der Wille, den bereits hohen Lebensstandard in der Region zu halten. Also wandert man ab, um dem wirtschaftlichen Wachstum nicht im Wege zu stehen. Fast schon gleicht das der nomadischen Idee von Wohnen und Leben, der Vision von hochtechnologisierten Städten, die ihren Standort beliebig verändern, wenn man nicht den Eindruck hätte, dass Kiruna an Identität einbüßte. Es wirkt jedenfalls wie eine überdimensionierte Version des heutigen jungen Menschen, der auf Mobilität und Flexibilität geeicht auf der Suche nach dem Idealzustand mit dem Idealeinkommen und einem Vorzeigecharakter ist, der jeden beeindrucken soll. „Keine Kompromisse“, heißt es so schön in der Werbung, sondern stets mit der Nase gen Zielgeraden. Wer aber ist hier dann kompromissloser, die Minengesellschaft, wegen der Kiruna geht, oder die Bewohner, die von der Gesellschaft profitieren? So eindeutig lässt sich das nicht beantworten; eine schwedische Vorzeigestadt hat schließlich entschieden, ihren Heimatort samt Stock und Stein zu verschieben. Entwicklung hat eben Vorrang, auch wenn man sich damit von seinen Wurzeln trennt. Ist das undenkbar in Deutschland? Die Diskussionen um Stuttgart 21 oder noch lokaler: der Streit um das Fällen uralter Buchen entlang der Innerste, vollführten dieselbe Pirouette. Beide Fälle endeten mit der Aussage: Wir müssen uns entwickeln. Und Restauration erfordert Zerstörung. Nur war hier der Widerstand reger und kamen die kosmischen Lichter hochgestapelter Vorstellungen nicht zusammen. Oder um ein Positivbeispiel aus dem eigenen Leben zu nehmen: Im Herbst werde ich meinen gesamten Haushalt auflösen, mich von geliebten Möbel lossagen und eine Stadt verlassen, in der ich die glücklichste Zeit meines Lebens verbracht habe. Aufbruch zur Suche nach dem idealeren Zustand. Ich könnte immer behaupten, dass die Idee dieses Zustands automatisch ein Stück Zuhause schafft, weil das Angestrebte meist nichts als die Vorstellung eines idealen Zuhauses beinhaltet, also eines identitätseigenen Raums, in dem ich mich wohlfühle. Vermutlich ist aber auch das in Wirklichkeit eine Utopie, weil der Mensch sich selbst nicht kennt und nur das tun kann, was sein unmittelbares, irrationales Lustund Angstempfinden ihm einflüstert (und damit vielleicht von echter Zufriedenheit abhält). Eines muss man den Siedlern von Kiruna zugute halten, und das fällt bei dem Kunstprojekt ein wenig unter den Tisch: Sie gehen wirklich mit allem, was sie haben, und zwar auch mit Hoffnungen und Erwartungen. Mag sich das natürliche Panorama auch ändern, sind sie doch dazu bereit, quasi von vorne anzufangen, was für eine Menge Mut und kollektives Querdenken spricht. Das lässt die Gemeinde näher zusammenrücken und erweitert den persönlichen Horizont. Außerdem: Wer kann schon von sich sagen, er oder sie sei gerade komplett umgezogen, habe aber noch die gleiche Adresse? Mit demselben Straßennamen und den gleichen unerwünschten Nachbarn. Und selbst die kann man vielleicht dann besser ertragen. Einfach das Haus anders herum hinstellen. Es grüßt Baba Jaga. Foto: Rainer Hauswirth. Bild: Liselotte Wajstedt 02 12 56 57 Das Reich der Zwecke Die Europäische Union driftet auseinander, weil sie sich selbst belügt. Wenn wir nicht endlich bei uns die Menschenrechte, deren Einhaltung wir von anderen Staaten fordern, in die Tat umsetzen, hat Europa keine Überlebenschance. Text: Olaf Bernstein I n Krisenzeiten gewinnen extreme Strömungen an Macht. Die momentanen Aussagen entsprechender politischer Vertreter aus beliebig wählbaren EU-Staaten wie Finnland, Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn, den Niederlanden und nicht zuletzt Deutschland lassen sich im Kern auf folgende Aussagen reduzieren: „Europa kostet uns als Nationalstaaten zu viel, wir zahlen nichts mehr!“ sowie „Wir wollen unsere ursprüngliche Währung zurück!“. Man wünscht Schreihälsen wie Silvio Berlusconi von Herzen, dass sie in Zukunft nur noch Lire zum Bestreiten ihrer Geschäfte in den Taschen haben. Was wären die Folgen, würden sie sich durchsetzen? Ein Europa ohne einheitlichen Währungsraum; mit geschlossenen Grenzen nach außen, das sich intern darüber streitet, wer wie viel Geld zahlt und wer etwas davon erhält; kurzum: ein Europa, in dem jeder vor sich hin wurschtelt. Weltpolitisch wäre es nicht mehr existent. Es könnte sich von seiner jahrhundertelang gewachsenen Deutungshoheit darüber, was Demokratie, Menschenrechte, Humanität und Auf klärung ausmachen, verabschieden. Die Europäische Union wäre schlichtweg nicht mehr wichtig. Nun möchte vermutlich jeder geistig gesunde Mensch vermeiden, dass es soweit kommt. Doch wie sehen die Gegebenheiten derzeit aus? Die Ver- einigung Europas ist nicht nur ins Stocken geraten; an allen Ecken und Enden wird zurückgerudert. Es läuft vieles falsch in Brüssel. Die von Edmund Stoiber geleitete „Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau“ deckte in den einzelnen Haushalten ein Einsparungspotential von über 40 Milliarden Euro auf – wenn – und hier liegt der Hase im Pfeffer – ja, wenn die einzelnen EU-Staaten europäisches Recht besser und effizienter realisieren würden. Entweder wird neues EU-Recht von den Regierungen nämlich gar nicht oder nur zögerlich eingeführt – oder aber, die neuen Vorgaben werden so kompliziert umgesetzt, dass sie am Ende noch bürokratischer sind als die Originale aus Brüssel. Unter diesen Umständen ist es kaum verwunderlich, dass die Akzeptanz in der europäischen Bevölkerung für ein integratives Europa schwindet. Warum das so ist, erklären die US-amerikanischen Wissenschaftler Daron Acemoglu und James A. Robinson in ihrem jüngst erschienenen Buch „Why Nations Fail“: Entscheidend für den Wohlstand eines Staates sei die Frage, ob seine Institutionen das Volk integrieren oder ausbeuten. Autoritär geführte Staaten, in denen sich eine Oligarchie bereichere und die Institutionen zur Unterdrückung der Bevölkerung missbrauche, würden auf kurz oder lang verelenden. Autonomie als Grund der Würde Auf Europa gemünzt heißt das: Wirtschaftliche Wirtschaftskrise gleich Menschenrechtskrise Prosperität entsteht nicht, wenn Grundrechte einDeutlich wird dies in der Frage der Menschengeschränkt werden oder die Regierungen sich rechte. Erst im Juni 2012 hat die Europäische Union monetär abschotten. Innovatives Potential schafft das sogenannte „Menschenrechtspaket“ verabzuallererst die demokratische Beteiligung der eigenen schiedet, welches die Mitgliedsstaaten dazu anhält, Bevölkerung an der europäischen Gesetzgebung. „Menschenrechte, Demokratie und das RechtsDer Philosoph Immanuel Kant hat diese Forderung staatsprinzip ohne Ausnahme in allen Bereichen bereits vor mehr als 200 Jahren auf den Punkt ge- der EU-Außenpolitik zu fördern“, wie es auf der bracht: „Autonomie ist also der Grund der Würde Internetseite von Human Rights Watch heißt. Es der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“ verpflichtet die EU dazu, die Menschenrechte in den Sie begründet sich darin, in Freiheit einem Gesetz Mittelpunkt ihrer Beziehungen zu allen Drittstaaten unterworfen zu sein. Genau die gegensätzliche Situ- – einschließlich der strategischen Partner – zu stellen. ation haben wir heute in der Europäischen Union: Bisher hat die Europäische Union bei MenschenUm die historisch gewonnene Vormachtstellung rechtsverletzungen nur äußerst zögerlich Protest Europas wenigstens teilweise zu erhalten, wird die angemeldet. Schärfer wurde die Kritik immer dann, Ausbeutung eines Großteils der arbeitenden Bevöl- wenn es sich um Staaten handelte, die nicht von kerung und Beschneidung der Freiheitsrechte aller geopolitischer Bedeutung für die EU waren. gutgeheißen. In Europa heiligt Bisher völlig außer Acht gelassen der Zweck die Mittel. Hilfreich wurden schließlich die Verstöße wäre es, wenn sich die Politiker innerhalb der EU, die sich auf Je schwieriger die wirtschaftliche an der „Selbstzweckformel“ Kants vier Bereiche konzentrieren: Lage ist, desto orientieren würden, nach der Erstens die Unterminierung von Menschen- und Grundrechten schwieriger bei Entscheidungen nicht die wird es für die Folgen einer Handlung im im Zuge der TerrorismusbeMenschenrechte. Vordergrund stehen sollten, sonkämpfung, wie die Auslieferung dern, ob der Prozess der Handvon Terror-Verdächtigen in lungsfindung ethisch korrekt Staaten, in denen diesen Folter verläuft. Die Bevölkerung Europas muss selbst und unbegrenzte Haft drohen, oder die Androhung darüber entscheiden können, wie viel ihrer von Folter auf europäischem Boden. Zweitens die Autonomie in Brüssel gebündelt werden soll. wachsende Intoleranz gegenüber Minderheiten und Und sie muss weiterhin demokratischen Einfluss Migranten, die sich unter anderem 2011 in der auf die Entscheidungsprozesse nehmen können. dänischen Forderung niederschlug, den FlüchtlingsLaut Kant stehen „vernünftige Wesen […] alle strömen aus Nordafrika mit der Einschränkung unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst der Freizügigkeit innerhalb der EU zu begegnen. und alle anderen niemals bloß als Mittel, Drittens die zunehmende Einflussnahme populissondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst tischer und extremistischer Partien in ganz Europa, behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine wie der Dänischen Volkspartei. Sie tolerierte die systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch dortige, bis vor kurzem amtierende Minderheitsgemeinschaftliche objektive Gesetze, d. i. ein regierung, welche im Gegenzug das SchengenReich […] der Zwecke.“ Abkommen aussetzte. Viertens die Entmachtung Unter „Zweck“ versteht Kant „das, was dem Wil- und Instrumentalisierung von Verfassungsorganen len zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung wie dem Obersten Gerichtshof in Ungarn unter dient“, also hinausgeht über subjektive Wünsche Ministerpräsident Viktor Orbán, dessen Erfolg mit Einzelner. Ein „Zweck an sich“ hat nach Kant nicht der Partei Fidesz symptomatisch für einen dronur einen relativen Wert, sondern einen inneren Wert, henden Kollaps des demokratischen Systems in die Würde. Von einem würdevollen „Reich der Ungarn ist. Zwecke“, wie es Kant beschreibt, sind wir in Europa allerdings weit entfernt. 02 12 58 59 Der Alleingang wird zum Untergang Zusammenfassend lässt sich sagen: Je schwieriger die wirtschaftliche Lage ist, umso schwieriger wird es für die Menschenrechte in der EU. Derartige Diskrepanzen zwischen den moralischen Maßstäben der EU einerseits und ihrer tatsächlichen Umsetzung andererseits machen vor allem eines deutlich: Die EU kann ihre fundamentalen Werte nur dann bewahren, wenn sie die Menschenrechte in der Zukunft auch konsequent umsetzt. Ein Staat, der zum Erreichen eines Zieles falsche Versprechungen abgibt, während er in Wahrheit Recht bricht, verhält sich laut Kant bewusst widersinnig: „Er muß, um dieses Mittel gebrauchen zu können, wollen, daß die Erfüllung bestimmter Bedingungen allgemein unterstellt wird, und muß zugleich wollen, selbst genau diese Bedingungen nicht zu erfüllen: Er muß sich also die Ausnahme erlauben, das Privileg für sich in Anspruch zu nehmen, daß ein falsches Versprechen, das nicht als Versprechen gelten kann, ausnahmsweise als Versprechen gelten soll.“ Diese bewusst selbst verschuldete Unmündigkeit zu durchbrechen, sollte das Ziel einer politisch aufgeklärten Europäischen Union sein. Sie müsste ihr weltpolitisches Gewicht einsetzen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Dafür ist nicht mehr und nicht weniger notwendig als die konsequente Anwendung der weltweiten Mindeststandards an Menschenrecht und Menschenwürde Anderenfalls droht der EU die vollkommene außenpolitische Unglaubwürdigkeit: Ein pharisäerhafter Emissär wird von niemandem ernstgenommen, im Gegenteil; man unterstellt ihm hinter vorgehaltener Hand die gegenteilige Absicht – und da er sich selbst als Vorbild preist, beschließt man, es im Geheimen ebenso zu tun wie er, während man nach außen große Versprechungen abgibt. Am Ende steht eine traurige Vereinbarung mit zwei Verlierern, die sich nicht mehr ins Gesicht schauen können, weil sie eben dieses nicht verlieren wollten. Um Veränderungen zu erreichen, müsste die EU gemeinschaftlich handeln. Momentan passiert Gegenteiliges: Im Zuge der Finanzkrise wollen einzelne Nationalstaaten im Affekt die Eurozone verlassen. Dabei wird das Gefühl der Sicherheit, die ein Nationalstaat bietet, von allen Demagogen deutlich überschätzt: Der weltweit wohl erfolgreichste Investor, Warren Buffet aus den USA, hat schon vor geraumer Zeit gemahnt, wenn sich die siebzehn Euro-Staaten nicht auf eine einheitliche Währungspolitik einigen könnten, stünde der Euro vor dem Aus. Kleine Staaten würden dann aufgrund ihrer Abhängigkeit gegenüber großen Staaten wie den USA oder China dazu gezwungen, sich der vorherrschenden Weltmarktpolitik noch viel stärker anzupassen, als das bisher der Fall ist. Wahrscheinlich ist diese Aussage nicht einmal stark genug: China und andere Staaten würden die versprengten Reste der EU aufkaufen, so wie sie es jetzt schon im großen Stil in Regionen der Erde tun, die sich nicht auf ein gewachsenes Fundament von Schutzmaßnamen verlassen können. Es sei denn, die Einwohner des Landes wehren sich: So platzte 2009 ein Deal des südkoreanischen Konzerns Daewoo mit der madagassischen Regierung nach schweren Unruhen in der Bevölkerung. Der Plan sah vor, 1,3 Millionen Hektar Ackerland – etwas mehr als die Hälfte der Insel – für einen Zeitraum von 99 Jahren zu einem Schleuderpreis an Daewoo zu verpachten. Derartige Formen von Landraub sind eine Folge der in den letzten Jahren zunehmenden Spekulationen auf den Rohstoffmärkten. Länder wie Südkorea, die im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungsgröße nur über geringe Anbauflächen verfügen, versuchen in einem rücksichtslosen Wettkampf, sich ertragreiche Böden in Kambodscha, Laos oder im Sudan zu erkaufen. Gerade der Sudan war jahrelang das Sinnbild dieser hochgradig perversen Entwicklung: Während das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen Millionen von Sudanesen mit Nahrungsmitteln versorgte, exportierte das Land sein Getreide ins Ausland. Ausländische Investoren wiederum rissen sich um sudanesische Ackerflächen, die größer waren als das Saarland. So wurde die „Kornkammer“ Afrikas zu einem Negativbeispiel dafür, was passiert, wenn die Ziele des Millennium-Programmes der Vereinten Nationen mit denen einzelner Nationalstaaten kollidieren. Waffen in Staaten, deren Menschenrechtsverletzungen aktenkundig sind, sowie langfristig ein Stopp der Rüstungsproduktion in Europa. Positiver Nebeneffekt wäre das Freiwerden enormer Geldmengen in den Verteidigungshaushalten der Das eigene Gewissen beruhigt sich in der EU-Staaten. Oberstes Ziel dieser souveränen EU wäre jedoch die moralische, politische und Fremde leichter Afrika und andere Weltregionen sind heutzutage wirtschaftliche Autarkie jedes Staates. Eingriffe immer noch von Ausbeutung bedroht, weil die ehe- von außen dürften nur dann erfolgen, wenn die maligen Kolonialstaaten die Entwicklungsländer Eingreifenden hinter den Rechten stehen, die sie weiterhin in Abhängigkeit halten – einerseits be- vertreten wollen. Für die konsequente Umsetzung des Millengründet über horrende Verschuldungssummen, die in US-Dollar abgerechnet werden und somit die ein- nium-Programms bräuchten die Vereinten Natiozelnen Länder an das Währungssystem der USA nen ein Menschenrechte-Tribunal mit weltweit anbinden – andererseits begründet über falsche Hilfs- erkannten Befugnissen. Leider scheitert dieses Geanreize, die den betroffenen Ländern jede Eigen- dankenspiel derzeit an einer zerfaserten Welt, in der ständigkeit absprechen und aberziehen. Sein Ge- durch die Globalisierung jeder jedem hineinregiert, wissen in Afrika zu bereinigen, während man im ihn entmündigt, seine Rechte missachtet, ihn auseigenen Land Menschenrechtsverletzungen kalt beutet und letztlich für seine eigenen Zwecke misslächelnd beiseite wischt, ist eine neue Form des braucht. Ein Netzwerk mündiger Staaten, in der Kolonialismus, die darauf abzielt, andere Länder jeder für sein Handeln verantwortlich ist und auch moralisch untertan zu machen. Kein Land der EU Rechenschaft darüber abzulegen hat; ein „Reich kann sich ernsthaft rühmen, moralisch ein Vorbild der Zwecke“, zusammengehalten durch die Werte zu sein. Kein Land, in dem der Allgemeinen Erklärung der Menschen unter der ArmutsMenschenrechte; ein Netzwerk, grenze leben, Kriegswaffen für in dem niemand unterdrückt Als bloSSes wird – das wäre ein wahrer Zweckbündnis wird Diktaturen produziert und Menschenrechte systematisch Weltstaat, die schönste Utopie, die EU untergehen. verletzt werden, ist ein wirtdie hier auf Erden zu haben schaftliches oder ein soziales ist. Natürlich handelt es sich Vorbild. bei diesen Formulierungen letztlich um Träume, Was wäre also zu tun? Notwendig wäre zum deren Umsetzung ungewisser denn je scheint. Oder, einen ein geregeltes Insolvenzverfahren für de facto wie Kant es ausdrückt: „Es ist doch süß, sich bankrotte Staaten, um die gigantische Über- Staatsverfassungen auszudenken, die den Forderschuldung abzubauen, die die eigenständige ungen der Vernunft (vornehmlich in rechtlicher Entwicklung ganzer Weltregionen verhindert. Absicht) entsprechen; aber vermessen, sie vorDamit einhergehen muss ein umfassender zuschlagen, und strafbar, das Volk zur Abschaffung Schuldenerlass für die armen Länder in der der jetzt bestehenden aufzuwiegeln.“ Er mag recht Nachfolge der HIPC-Schuldenerlass-Initiative. Ein haben – sein Einwand mindert jedoch nicht die Schuldenerlass würde mit der paradoxen Praxis ungeheure Brillanz dieser Vorstellung. brechen, dass die Schuldenländer mit ihren Rückzahlungen dazu beitragen, teilweise die Defizite der reichen Industrieländer zu finanzieren. Die so frei werdenden Gelder müssten dann in die für 2015 geplante vollständige Umsetzung der MillenniumZiele fließen. Weitere Maßnahmen wären ein Abbruch sämtlicher aktiver Kriegsbeteiligungen der Europäischen Union, kurzfristig ein sofortiger Exportstopp von 02 12 60 61 Ein Hildesheimer Wald für Tanzania TS: Nein, nein. Kurze Zeit, nachdem ich in Afrika war, kam Joseph – sozusagen mein Gegenpartner von Radio Fadeco – hierher und hat dann zwei Monate bei mir gewohnt. Eines Tages sind wir spazieren gegangen – ich wohne im Hildesheimer Wald – und da wurde die Idee geboren. Manchmal sage ich: »Ich bin wie die Jungfrau zum Kind gekommen.« MS: Welche Rolle spielt das Bürgerradio als Informationsplattform in dieser ländlichen Der Hildesheimer Thomas Sklorz engagiert sich für das Projekt »Ein Hildesheimer Wald für Tanzania«. In Zusammenarbeit mit Radio Tonkuhle und Fadeco Community Radio in Karagwe sollen 600.000 Bäume eine ausgetrocknete Region im Nordwesten Tanzanias wieder begrünen. Interview: Marion Starke entfernt, im tansanischen Karagwe, sind die an Brenn- oder Bauholz zu gelangen. Die Menschen zerstören damit ja ihre eigene Lebensgrundlage, weil sie keine Alternativen sehen. Menschen von der Verödung ganzer Landstriche MS: Werden die Menschen auch persönlich in Marion Starke: 13.524 Kilometer mit dem Auto und 6.500 Kilometer mit dem Flugzeug bedroht. Das Projekt »Ein Hildesheimer Wald für Tanzania« soll helfen. Welche Idee steckt hinter dem Projekt? Thomas Sklorz: »Pflanzen von Wäldern mit gleichzeitiger Bildung der Bevölkerung.« – so könnte man das Projekt »Ein Hildesheimer Wald für Tanzania« beschreiben. Bis jetzt haben wir einen Musterwald auf einem Privatgrundstück mit 1.000 Bäumen gepflanzt. Das dient der Evaluation. Wir gehen davon aus, dass 60 bis 80 Prozent der Pflanzen überleben werden. MS: Was genau wird im Musterwald untersucht? TS: Wir müssen schauen, welche Bäume gut wachsen und welche Sorten gut nebeneinander auskommen. Aber mein Projektpartner in Tansania, Joseph vom Radio Fadeco, hat ein gutes Netzwerk und kennt auch den Regionsförster, der auch für sein Dorf Kayanga zuständig ist. Da werden wir gut beraten. MS: Das Projekt hat also zwei »Baustellen«: Aufforstung und Bildung. Was sind eure Schwerpunkte? TS: Es werden Sendungen zum Wiederaufbau und Erhalt von Wäldern sowie zur Umweltgestaltung gemacht. Dabei werden auch die kritischen Themen wie die Feueraktionen angesprochen, bei denen ganze Landstriche abgebrannt werden, um die Arbeit mit einbezogen? TS: Joseph hat ein Ausbildungs- und Trainingscenter und macht Nachhaltigkeitsschulungen. Er unterrichtet, wie man Bäume so pflanzt und pflegt, dass sie in den kommenden 20 Jahren meterhoch wachsen können. Die Menschen aus der Region lernen aber nicht nur Baumpflanzung, sondern auch ganz klassische Landwirtschaft wie Ackerbau und Viehzucht. MS: Wie bist du zu diesem Projekt gekommen? TS: Über das Radio-Austauschprogramm zwischen dem Landesverband Bürgermedien Niedersachsen und den Bürgerradios in Tansania. Radio Tonkuhle wollte gerne mitmachen, es mangelte aber an Personalkapazitäten. Also haben sie irgendwann mich gefragt. Ich moderiere seit Jahren die wöchentliche Musiksendung »Offbeats«, da kennt man sich gut. Schließlich bin ich als Projektpate für zwei Monate nach Tansania geflogen, um erst einmal zu schauen, wie die Lage vor Ort ist und wie eine Zusammenarbeit überhaupt aussehen könnte. Dann habe ich grundlegend darüber berichtet. MS: Das heißt, es ging erst einmal nur um einen Bürgerradio-Austausch. Ein konkretes Projekt war also nicht die Ausgangsbasis? Region Tansanias? TS: Es gibt nicht überall Strom und Gas, viele Menschen besitzen keinen Computer, keinen Fernseher. Radio und Handy sind die einzigen Kommunikationsmedien. Das Radio ist für die meisten die einzige offizielle Informationsplattform. MS: Dein Partner Fadeco ist Organisator und Initiator von mehreren Projekten? TS: Ja, vor allem betreut er das Ausbildungs- und Trainingscenter, das Medienschulungen, also Computerkurse, aber auch Nähmaschinenkurse anbietet. Es kann mit einer Solaranlage ein paar Computer für zwei bis drei Stunden am Tag betreiben. Dort entstehen Radiosendungen, die ebenfalls mit entsprechenden Schulungen begleitet werden. Denn nachhaltiger Umweltschutz und Aufforstungsbemühungen können nicht ohne eine Sensibilisierung und Ausbildung der Bevölkerung in Tansania geschehen. MS: Und abseits des Centers? TS: Joseph von Radio Fadeco organisiert auch viele weitere unterstützenswerte Aktionen, etwa zum Thema AIDS-Prävention, zur Integration Behinderter sowie zur Landwirtschaft und Energieversorgung. MS: Gab es Schwierigkeiten zu Beginn des Projektes? TS: Es war ein hartes Stück Arbeit, alle Beteiligten vor Ort zu überzeugen. Sie dachten sich: »Was macht denn der Weiße hier und warum pflanzt er Bäume in diese Gegend?« Ich habe mit vielen verschiedenen Menschen geredet. Mit Schülern, Nachbarn und Auszubildenden aus dem Trainingscenter sowie politischen Vertretern der Region. Ich habe sogar den Sohn des letzten Königs von Karagwe getroffen. Noch heute stoße ich auf Situationen, in denen ich mich und meine Arbeit immer wieder erklären muss. MS: Das Projekt ist seinen Kinderschuhen entwachsen. Du warst schon zweimal in Karagwe und planst für diesen Winter deine nächste Reise. Das Ganze wächst mehr und mehr. Du musst sehr stolz sein. TS: Sicherlich. Das Projekt läuft jetzt erst eineinhalb Jahre und dafür ist wirklich viel geschehen. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich mir heute drei Mal überlegen würde, ob ich so ein großes Projekt aufbauen würde. Hätte ich gewusst, dass es so viel Energie kostet… ich bin da relativ naiv dran gegangen. Ich habe mir gedacht: Wenn jeder Hildesheimer nur einen Euro spenden würde, dann hätten wir über 100.000 Euro und könnten viele Bäume pflanzen. MS: Wenn du heute eine große Spende bekommen würdest, sagen wir mal 10.000 Euro, was wäre damit möglich? TS: Wenn ich 10.000 Euro hätte, wäre es theoretisch möglich, zwischen 30.000 und 40.000 Bäume zu pflanzen. Gleichzeitig bekämen wir aber auch die Möglichkeit, ein bis zwei Mal die Woche ein Bildungsprogramm zu senden. Mit dem Geld könnte uns der Regierungsförster als Supervisor beraten, Helfer hätten die Chance, sich im Trainingscenter anzugucken, wie man Bäume richtig und nachhaltig pflanzt und ich könnte auch in die Schulen gehen und den Kindern sagen: "Heute machen wir einen »Pflanztag«, indem wir das Schulgelände mit Obstbäumen bepflanzen. Alle von euch bekommen einen Patenbaum und wässern ihn dann auch." Mit den Schulen arbeiten wir eng zusammen. Wir wollen, dass die Kinder in zwölf, 15, 20 Jahren die Mangos, Papayas und Avocados von ihren Bäumen pflücken können. MS: Also: Wenig Geld, viele Partner, viele helfende Hände und eine riesengroße Wirkung am Ende. TS: Genau, so sieht das aus. Es geht ja darum, dass die Menschen etwas für ihre Zukunft tun. Man könnte Projekte ohne Ende machen: Wasserspeicher, Solaranlagen und so weiter. Man kann dort drei Wasserspeicher mit je 50.000 Liter Fassungsvermögen für 5.000 Euro bauen. Ich habe schon viele Projektanfragen erhalten. 02 12 62 MS: Was kann ich persönlich tun, um das Projekt zu unterstützen? TS: Es ist viel möglich. Man kann aktiv mitarbeiten, hier oder vor Ort in Tansania, oder einfach nur spenden. Mit dem Projekt »Weltwärts« ist es möglich, im Rahmen eines Freiwelligen Sozialen Jahres in das Dorf Kayanga zu fahren und mitzuarbeiten. Momentan ist eine FSJler vor Ort. Das ist aber noch ausbaufähig. Natürlich nicht zu sehr, es soll ja auch die Sprache gelernt werden, aber es ist auch möglich, mich selbst zu begleiten. Ich versuche jährlich hinzufliegen und organisiere die Reise gerne. MS: Das wäre eine spannende Reise. Wie kann man dich kontaktieren? TS: Wer weitere Informationen wünscht oder sich selbst engagieren will, kann auch direkt Kontakt zu mir aufnehmen: Thomas Sklorz, dr.thosch@gmx.de oder telefonisch unter 05121 / 75 84 060. 63 MS: Fehlt noch etwas ganz Konkretes? TS: Ja – und wie! Ich würde gerne eine Internetseite für dieses Projekt haben. Wenn es da jemanden gibt, der zwar kein Geld spenden kann, aber Ahnung von Websitegestaltung und -programmierung hat, würde ich mich sehr freuen, von dieser Person zu hören! Das wäre sehr viel wert. Ebenso fehlt mir Manpower, um Projektanträge zu schreiben. Ich würde gerne Wasserspeicher und Solaranlagen beantragen. Dafür gibt es auch in der Region Karagwe selbst entsprechende Institutionen. Alleine schon, um Wasser aus Brunnen hoch zu pumpen. Und wo man ebenfalls gut ansetzen könnte: Heißwasser-Solaranlagen, mit denen man in Krankenhäusern heißes Wasser für die Küchen produzieren kann. Jeder, der helfen möchte, ist herzlich willkommen! MS: Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß? MS: Es gibt immer wieder Vorbehalte bei TS: Das Projekt wachsen zu sehen. Das ist das Wundervolle. Es ist in nur einem Jahr so viel geschehen und ich freue mich schon, in 20 Jahren meinen Ruhestand dort im Schatten meiner selbst angepflanzten Bäume zu verbringen. Ich möchte die trockene, schwüle Region in eine gemäßigtere Klimazone umwandeln. Und vielleicht betreue ich dann einige Praktikanten und WeltwärtsHelfer. »Hildesheimer Wald für Tanzania« ist mein Lebensprojekt geworden. Hilfsprojekten, ob das gespendete Geld MS: »Pole, pole« – »langsam, langsam«! wirklich ankommt oder im Verwaltungs- Das ist die tansanische Redensart, das apparat versickert. Da du für alles Sie sich zu Herzen nehmen. Das Projekt persönlich verantwortlich bist, ist ein ver- soll ganz nach dem Sprichwort langsam, antwortungsvoller Umgang mit den Spenden aber bedacht und nachhaltig durchgeführt sichergestellt. Wie kann ich spenden? werden. Ich wünsche viel Glück! Danke für MS: Wo liegen die Unterschiede und Vorteile gegenüber anderen Entwicklungsprojekten? TS: Es läuft alles direkt. Und es ist alles möglich! Jeder, der sich einbringen oder einfach informieren will, kann mich jederzeit kontaktieren. Mit dem Projekt »Ein Hildesheimer Wald für Tanzania« initiieren wir Netzwerke vor Ort, die zukünftig auch für andere soziale oder ökologische Projekte genutzt werden können. TS: Spenden sind jederzeit möglich. Die Kontoverbindung lautet: Afrika Karibuni e.V. Stichwort Hildesheimer Wald Kreissparkasse Peine BLZ 252 500 01 Kto 008 306 881 7 Bitte achtet darauf, das Stichwort mit anzugeben! Es wird künftig auch weitere öffentliche Aktionen und Gelegenheiten zum Spenden geben. das Gespräch. Weitere Informationen: Auf Facebook unter: »Hildesheimer Wald für Tanzania«, auf Tonkuhle.de und demnächst auch auf: www.hildesheim-tanzania.de/ oder unter: http://www.fadeco.org/ Foto: Joseph Sekiku 02 12 64 Atomare Eigenständigkeit S Die Inseln des Pazifiks galten während des Kalten Krieges als ideales Versuchsgebiet atomarer Projekte. Auch Frankreich nutzte diese Gelegenheit und entzieht sich bis heute der Verantwortung. Text: Hendrik Buhr eit 2011 veranstaltet die NGO Moruroa weder die Einheimischen in den Testgebieten, noch e tatou in Französisch Polynesien eine die eigenen Streitkräfte als Testobjekte zu schade. Gedenkwoche für den zweiten Juli 1966, Zwischen 1966 und 1996 führte Frankreich auf dem an dem damals die erste französische Atombombe Moruroa und dem Tureia Atoll insgesamt etwa 200 im Pazifik auf dem Moruroa Atoll, 1300 Kilometer Atombombentests durch. von Tahiti entfernt, getestet wurde. Noch immer Bis 1974 wurden auf beiden Atollen insgesamt sind die Folgen zu spüren. 41 überirdische Tests durchgeführt. Tureia musste Nachdem Algerien 1962 undafür 1968 evakuiert werden. abhängig geworden war und die Durch sie kam es in der folgenWüste dort nicht mehr als TestNeben der Belastung den Zeit auf den umliegenden gelände genutzt werden konnte, Inseln immer wieder zu Fallouts in der Luft kommt wich man auf die noch immer – auch auf Tahiti. Die restlichen noch die Gefahr der unter französischer Verwaltung Tests fanden unterirdisch, als Nahrungsaufnahme sogenannte vertikale Tests, statt. hinzu. stehenden Inseln im Pazifik Dazu wurden tiefe Löcher in den aus. Auf den Marshall- und den Basaltsockel der Atolle gebohrt Weihnachtsinseln waren bereits und mit Beton verschlossen. Ob Basalt dazu durch Großbritannien und den USA über- und geeignet ist, strahlende Rückstände für immer zu unterirdische Atombombentests durchgeführt verschließen, wurde nicht überprüft. Die Folgen worden. Die Vorteile lagen dabei auf der Hand: sprechen dagegen: unterseeische Risse haben sich Fern der Heimat, beinahe menschenleeres Gebiet und vergrößert, die Stabilität der Atolle ist gefährdet und Möglichkeiten für atmosphärische und unterirdische Plutonium in Fisch nachgewiesen wurde. Neben Tests, bei denen die Folgen für Mensch und der Belastung in der Luft kommt noch die Gefahr Umwelt geheim untersucht werden können. der Nahrungsaufnahme hinzu. Ein Großteil der Darüber hinaus konnten die Ergebnisse dieser Tests an den „Minderheiten“ durch Atommächte gegebenLebensmittel stammt aus dem Meer, und stellt so für enfalls gefälscht werden. Die abgelegenen Inseln im die Einheimischen eine weitere Möglichkeit dar, an Pazifik waren somit der ideale Raum für die DrohKrebs zu erkranken. Da die Krankenversorgung noch gebärden der westlichen Staaten im Kalten Krieg. immer unter französischer Verwaltung steht, liegt Charles de Gaulle träumte von Frankreich als es nicht in der Hand der Polynesier, das häufige einer „Force de frappe nucléaire“, die unabhängig Vorkommen von Leukämie, die geringe Lebensvom US-amerikanischen Atomschirm sein sollte. erwartung und die hohe Kindersterblichkeit auf die Eigene Bomben und eigene Tests sollten dies der Strahlung – von Frankreich anerkannt – zurückWelt zeigen. Für diese Utopie waren der Regierung zuführen. Die Kosten hierfür mussten die Polynesier 65 tragen, nicht Frankreich. Doch nicht nur gegenüber ihnen, sondern auch vor Angehörigen des Militärs leugnete die französische Regierung bis 2001 jeglichen Zusammenhang von vielen Strahlungserkrankungen und den sich über 30 Jahre hinziehenden Tests. Vor Frankreich hatten bereits die USA den Pazifik mit seinen abgelegenen Inseln als Testgelände genutzt. Auf einigen Inseln des Bikini Atolls wurde zwischen 1946 und 1954 unter anderem die Wasserstoffbombe gezündet. Inseln fielen dem zum Opfer, ebenso die einheimischen Mikronesier, die umgesiedelt und sich als Versuchskaninchen durch Rücksiedlung freiwillig missbrauchen ließen. Mittlerweile ist die Strahlung auf einigen Inseln wieder so niedrig, dass sie touristisch genutzt werden, während viele Krankenakten der Einheimischen noch immer als militärisches Geheimnis gehandhabt werden. Als sich 1986 die Anrainerstaaten in der Südsee im Rarotonga-Vertrag auf den Verzicht von Atomwaffentests und Lagerung von solchen einigten, traten die USA und Frankreich diesem erst zehn Jahre später bei. Für Freiheit und Unabhängigkeit gab sich der französische Staat der atomaren Versuchung hin und ging damit in den moralischen Bankrott. Erst 1996, nach dem Abschluss einer weiteren Testreihe, konnte Frankreich nach eigenen Angaben auf weitere Tests verzichten und auf digital Simulierte umsteigen. Neben den jeweils Einheimischen in Algerien und Polynesien waren bei den französischen Tests noch 150.000 Soldaten beteiligt, die der Strahlung zu Testzwecken und Arbeitsgründen in hohem Maße ausgesetzt wurden und von denen heute 35 Prozent an Spätfolgen leiden. Erst 2008 wurden einige Leiden als strahlungsbedingt durch das Morin-Gesetz anerkannt. Nach einer Überarbeitung 2010 sollen endlich mehr Geschädigte Geltungsansprüche stellen können, was bis heute jedoch schwierig ist, da am Ende das Militär über die Entschädigung entscheidet. Für Freiheit und Unabhängigkeit gab sich der französische Staat der atomaren Versuchung hin und ging damit in den moralischen Bankrott. Denn wirkliche Verantwortung für die Zukunft konnte damit niemand mehr übernehmen. In den Sieben Äckern 2 31162 Bad Salzdetfurth, Groß Düngen Telefon (0 50 64) 80 26 Telefax (0 50 64) 80 67 info@b-und-w-druck.de www.b-und-w-druck.de 02 12 66 67 D Hildesheimer Rassenkunde Darf Bürgerkriegsflüchtlingen, die im Vorschulalter mit ihren Eltern nach Deutschland flohen und seit 17 beziehungsweise 26 Jahren in Deutschland leben, unter Hinweis auf angebliche türkische Vorfahren das Aufenthaltsrecht entzogen werden? Der Fall der Familie Siala/ Salame aus Schellerten bei Hildesheim bietet einen tiefen Einblick in die Abgründe deutscher Ausländerpolitik. Text & Foto: Kai Weber ie Familien Salame und Siala Amina (7) zur Schule brachte. Gazale kam zunächst bei entfernten Bekannten der Eltern in Izmir unter. gehören der Minderheit der Unter erbärmlichen Umständen brachte sie am 31. Mhallami an. Viele Angehörige August 2005 ihren Sohn Gazi zur Welt. dieser ursprünglich aus der Türkei stammenden Ahmed Siala, der in Deutschland mit großen arabischen Minderheit flohen ab 1920 vor der Begriffen wie Demokratie und Rechtsstaat aufgeaggressiven Politik Atatürks, die einen einheitlichen türkischen Nationalstaat begründen sollte, in den wachsen ist, entschloss sich, nicht klein beizugeben und Libanon. Im Zuge der Eskalation des libanesischen für seine Rechte und die seiner Familie zu kämpfen. Bürgerkriegs suchten in den achtziger Jahren viele Am 21. Juni 2006 entschied das Verwaltungsgericht Mhallami-Familien erneut ihr Heil in der Flucht. Hannover zu seinen Gunsten: „Das ist sehr dünn“, Auch den Familien Salame und Siala gelang es urteilte der Vorsitzende Richter über die vom Mitte der achtziger Jahre, der „Hölle von Beirut“ zu Landkreis angegebenen Gründe für den Entzug der entkommen. Als „staatenlose Kurden“ erhielten beide Aufenthaltserlaubnis und verwies darauf, dass die Familien hier im Rahmen der niedersächsischen Familie Siala aufgrund der vorgelegten Dokumente Bleiberechtsregelung von 1990 seit Anfang der fünfziger Jahre ein Aufenthaltsrecht. im Libanon gelebt hatte. Am Gazale Salame und Ahmed „Der Versuch, zweiten Oktober 2007 hob Siala waren zum Zeitpunkt ihrer die Tragödie der das niedersächsische OberFlucht sechs beziehungsweise verwaltungsgericht diese EntFamilie durch einen sieben Jahren alt. Sie absolvierten scheidung jedoch wieder auf politischen Deal und erklärte die Verweigerung endlich zu beenden, in Deutschland die Schule, einer Aufenthaltserlaubnis an endete in einem lernten sich kennen und lieben Fiasko.“ und gründeten eine Familie. Ahmed Siala mit der Begründung Wahrscheinlich wären sie längst für rechtmäßig, Ahmed habe eingebürgert, wenn der Landkreis türkische Vorfahren und dies Hildesheim ihnen – wie andere Ausländerbehörden auch gewusst. Insofern habe er über seine Herkunft in vergleichbaren Fällen – ihr Aufenthaltsrecht weiter „getäuscht“ beziehungsweise müsse sich das verlängert hätte. Der Landkreis Hildesheim jedoch entsprechende Handeln seiner Eltern zurechnen witterte Betrug: Im Jahr 2000 beziehungsweise lassen. Dass Bundesverwaltungsgericht korrigierte am 2001 präsentierte er Auszüge aus dem türkischen Personenstandsregister aus dem siebziger Jahren, die 27.01.2009 die Entscheidung des niedersächsischen nach Auffassung des Landkreises belegen sollten, OVG und wies den Fall unter Bezugnahme auf dass die Väter beziehungsweise Großväter von Artikel 8 der Europäischen MenschenrechtsAhmed und Gazale in der Türkei registriert wurden konvention (EMRK) zur erneuten Beratung an das und daher (auch) die türkische Staatsangehörigkeit Oberverwaltungsgericht zurück. In der mündlichen besäßen. Unter Bezugnahme auf diese Unterlagen Verhandlung drängte Gerichtspräsidentin Frau verweigerte der Landkreis Hildesheim die Ver- Eckertz-Höfer darauf, Ahmed Siala nach den Vorlängerung der Aufenthaltserlaubnis und drohte gaben der Europäischen Menschenrechtskonvention beiden Bürgerkriegsflüchtlingen samt ihren Kindern zum Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK ) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Abschiebung an. Am 10. Februar 2005 ließ die Ausländerbehörde Menschenrechte die erstrebte Aufenthaltserlaubnis zu die zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Gazale Salame erteilen, um weitere jahrelange Rechtsstreitigkeiten in die Türkei abschieben. Die Polizei überraschte zu vermeiden. Um das nun schon acht Jahre dauernde Verdie schwangere Frau in ihrer Wohnung, während ihr Ehemann gerade die Töchter Nura (6) und fahren abzukürzen und endlich eine Entscheidung 02 12 68 herbeizuführen, die Gazale eine Rückkehr möglichkeit verschaffen würde, entschloss sich die Familie, einem mit dem Innenministerium ausgehandelten Kompromiss zur Ermöglichung einer politischen Lösung über die Niedersächsische Härtefallkommission zuzustimmen: Sollte diese eine Annahme empfehlen, würde der niedersächsische Innenminister sich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht widersetzen. Der Versuch, die Tragödie der Familie durch diesen politischen Deal endlich zu beenden, endete jedoch in einem Fiasko: Von den sieben anwesenden Mitgliedern der Härtefallkommission stimmten in der entscheidenden Sitzung im Frühsommer 2011 vier für eine Annahme des Falls, zwei stimmten dagegen, ein Mitglied enthielt sich der Stimme. Das erforderliche positive Quorum von mindestens zwei Drittel der anwesenden Mitglieder war damit knapp verfehlt. Da weder beim Landkreis Hildesheim noch beim Niedersächsischen Innenministerium die Bereitschaft zu erkennen war, in dem Fall eine politische Lösung doch noch zu erreichen, wurde 2011 eine neue Kampagne zur öffentlichen Skandalisierung dieses für Außenstehende absurd anmutenden Falls gestartet. Dabei gingen die Unterstützer_Innen in ihrer Argumentation zurück auf die Ausgangsfragen der Auseinandersetzung: • Was haben die in Beirut geborenen, im Alter von sechs beziehungsweise sieben Jahren mit ihren Familien nach Deutschland geflohenen, Flüchtlinge Ahmed Siala und Gazale Salame mit der Türkei zu tun? • Werden der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die EMRK beachtet, wenn hier aufgewachsene Kinder nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland für angebliche Fehler ihrer Eltern bestraft und in ein ihnen unbekanntes Exil – die Türkei – abgeschoben werden? • Warum spielt das Wohl der Kinder von Ahmed und Gazale für das behördliche Handeln keine Rolle? 69 Der Entzug des Aufenthaltsrechts für die hier aufgewachsenen, jahrzehntelang in Deutschland lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge unter Bezugnahme auf das angebliche Herkunftsland ihrer Großeltern trägt völkisch-rassistische Züge. Für diese Entscheidung spielte es keine Rolle, wo die Betroffenen sich zu Haus fühlten und ihren Lebensmittelpunkt hatten, entscheidend sollte vielmehr sein, ob alte Registerauszüge die Abstammung von Staatsangehörigen eines anderen Landes belegten. Zur Durchsetzung dieser Politik wurde die Familie durch Abschiebung getrennt und Gazale in die Türkei verbannt, wurden die Kinder traumatisiert und um ihr Recht auf Erziehung und Fürsorge durch beide Eltern gebracht. Die Verantwortlichen im Landkreis Hildesheim, die die Abschiebung von Gazale im Jahr 2005 angeordnet haben, sind bis heute in ihren Funktionen. Sie werden vom Landrat und dem niedersächsischen Innenministerium politisch gedeckt und führen ein Rückzugsgefecht um jeden Meter. Aber es gibt seit sieben Jahren auch einen bemerkenswerten Widerstand und ein nicht nachlassendes öffentliches Interesse an dem Fall. Rund 1.500 Menschen, darunter Prominente wie Herta Däubler-Gmelin und Heiner Geißler, Dr. Rita Süßmuth, der ehemalige Bundesinnenminister Rudolph Seiters, Prof. Lothar Krappmann, Prof. Dr. Klaus Bade, Wilhelm Schmidt und viele andere, haben einen neuen, von Heiko Kauffmann (Pro Asyl) initiierten Aufruf unterschrieben, der die flagrante Verletzung der Kinderrechtskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention im Fall der Familie Siala/Salame beklagt und fordert, Gazale Salame die Rückkehr zu ihrer Familie zu ermöglichen, von der sie vor sieben Jahren durch Abschiebung getrennt wurde. Unsere Hoffnung, dass die schreckliche Tragödie der Familie bald ein Ende finden könnte, hat sich jedoch bislang nicht erfüllt: Zwar wird die älteste Tochter Amira (15) demnächst ein Aufenthaltsrecht nach § 25a AufenthG erhalten. Nach wie vor weigert sich das Niedersächsische Innenministerium aber, dies zum Anlass für eine Aufnahmeerklärung nach § 22 AufenthG – ähnlich wie im Fall der vietnamesischen Flüchtlingsfamilie Nguyen aus Hoya – zu nehmen und der Familie endlich ein gemeinsames Leben zu ermöglichen. Selbst der von Gazale gestellte Visumsantrag für einen Besuchsaufenthalt wurde abgelehnt: Gazale sei, so die denkwürdige Begründung der deutschen Botschaft, nicht genügend in der Türkei verwurzelt, um eine Rückkehr in die Türkei nach Abschluss des Besuchsaufenthalts zu gewährleisten. Statt einer Lösung inszenierte die CDU im Landtag einen Eklat wegen angeblicher Beleidigung des für die Menschenrechtsverletzungen an der Familie Siala/Salame verantwortlichen Innenministers: SPD-Fraktionschef Stefan Schostok hatte Innenminister Uwe Schünemann (CDU) heftig kritisiert und dabei Wissenschaftler zitiert, die dessen Flüchtlingspolitik als „institutionellen Rassismus“ werteten (siehe auch: HAZ 20.06.2012). Politiker der CDU reagierten darauf empört und verlangten eine Entschuldigung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Jens Nacke, sprach von einer Entgleisung und nannte es „schmutzigen Wahlkampf “, der Landesregierung Rassismus vorzuwerfen. Niemand dürfe sich „dazu hinreißen lassen, dieser Landesregierung Rassismus vorzuwerfen.“ Die Aufregung um das RassismusZitat würde sich möglicherweise legen, wenn die besonders lautstark auftretende Männerriege in der CDU-Fraktion mehr auf eine Auseinandersetzung mit den Sachargumenten, die zu diesem Vorwurf führten, setzen würde. Die Reaktion offenbart nicht nur erhebliche Wissensdefizite zum Begriff des „institutionellen Rassismus“, sondern macht auch deutlich, dass zumindest Teile der Landesregierung nicht bereit sind, sich mit den Argumenten des von einem sehr breiten und prominenten Kreis von Unterstützer_innen getragenen Protestes gegen die Flüchtlingspolitik der Niedersächsischen Landesregierung auseinanderzusetzen. Die Perspektive, die Uwe Schünemann der Familie aufgezeigt hat – Besuche der ältesten Tochter in den Sommerferien und frühestens 2016 eine Familienzusammenführung – ist jedenfalls nichts als purer Zynismus. Ob die von der Schünemann’schen Politik zu verantwortenden Verletzungen an Leib und Seele sich je wieder heilen lassen, wird die Zeit zeigen. Die Geschichte der Familie wird uns in jedem Fall erhalten bleiben – als exemplarisches Beispiel, wie viel Unmenschlichkeit unser Rechtssystem zuzulassen bereit ist. Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist auf dem Stand von Juli. Seitdem gab es weitere Kundgebungen und es ist durchaus möglich, dass sich in dem Fall in den vergangenen Wochen einiges geändert hat. Wer sich also weitergehend über die aktuellen Geschehnisse um die Familie Siala informieren möchte, kann dies in der Hildesheimer Geschäftsstelle des Flüchtlingsrat Niedersachsen, Langer Garten 23B, oder auf dessen Internetseite: www.nds-fluerat.org 71 Kultur 02 12 72 73 K Diskursarenen und Havelschwäne Die sich wandelnde Kreativwirtschaft und ihre alten Umhängetaschen voller Bürokratie bereiteten viel Kopfzerbrechen bei der ersten Pfingstakademie des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Von armen Poeten und einem Sommerschloss in der Mark. Text & Foto: Martina Krafczyk inder spielen im Stroh oder tragen aus konservatorisch-kuratorischen Gründen nicht. Kätzchen umher, während sich die Schließlich ist Paretz bis heute für sein „Schloss Touristen mit ihren Fahrrädern über Still-im-Land“ bekannt, das Königin Luise und ihr das Kopfsteinpflaster räkeln. Der Dorfparkplatz ist Gatte Friedrich Wilhelm III. als ihren bürgerlichen mal wieder voller Ausflugsautos. Der Kioskbesitzer ist Sommerwohnsitz errichten ließen. Doch im Gegensatz sich sicher, heute seinen Umsatz zu machen. Vielleicht zu Schloss Sanssouci und anderen preußischen Bauten gewinnt er sogar ein paar neue Gäste für sein zwei ist das Paretzer Schloss eher ein minimalistischer Kilometer entferntes Strandbad. Auch die Schafscherer Ruhepol als eine repräsentative Sommerresidenz. Zum Abschluss des Rundgangs auf dem Erlebnisbauernhof sind noch eine Gruppenrezitation eines glücklich. Es ist der 1. Mai und Gedichtes von Theodor Fontane, es herrscht Feiertagsstimmung „Erfüllt in dieser ein paar Gläser Sekt. Eine gute bei Sonnenschein und klarem Maienlust // Eine Himmel. Einen ersten Eindruck tiefe Sehnsucht mir Gruppenatmosphäre für die bevordie Brust.“ von Paretz, einem 400-Seelendorf stehenden, arbeitsintensiven Tage war hergestellt. im westlichen Brandenburg bei Ketzin, in der Nähe von Potsdam, gewann ich als Teil der Vorbereitungsgruppe der Von Utopien in der kreativen Arbeitswelt ersten Pfingstakademie. Der zweite Eindruck folgte Nach der Gewöhnung ans Dorf bäumten sich die rund vier Wochen später während der eigentlichen kulturpolitische Krisen auf: Schlecht bezahlte TheaterPfingstakademie, die vom 29. Mai bis zum 1. Juni autoren berichten live, man hörte Schlagwörter wie stattfand. „Strukturförderung“ und „Planungssicherheit“. Der Kaffee und Kuchen mit Freunden und Fremden. Konflikt zwischen Kunst und Kommerz, Kreativität Eine Vorstellungsrunde mit Fotos von utopischen und und Kopfzerbrechen zwingt arme Poeten dazu, sich mit realen Lieblingsarbeitsplätzen. Der erste Kontakt, die der Künstlersozialkasse und einem bedingungslosen ersten Reden, alles ist gespannt, besonders auf den Grundeinkommen zu beschäftigen. inszenierten Dorfrundgang. Welcher Bildhauer hat Die Pfingstakademie stand somit ganz im Zeichen das Luisen-denkmal geschaffen? War es a) Hans Arp des Projektsemesters „Arbeit (er)finden“, welches sich – seine dadaistischen und surrealistischen Tendenzen diesen Sommer durch viele Seminare und Arbeitswirkten sich klar auf das Denkmal aus, oder b) Georg gruppen an der Universität Hildesheim zog. Kolbe – das von ihm geschaffene Luisendenkmal Dabei ist die Frage nach verschiedensten Möglichschmückt heute sogar eine Briefmarke, oder doch keiten eines Berufseinstieges im kreativen Bereich c) Johann Gottfried von Schadow – für „Die genauso wichtig wie die Begleitung in der weiteren Prinzessinnengruppe in der Friedrichswerderschen Entwicklung. Neue Jobs und Perspektiven wollen Kirche in Berlin“ sollen Luise und ihre Schwester nicht nur erfunden werden, sie müssen geprüft und sogar nackt posiert haben? Eins, zwei oder drei – letzte wenn nötig angepasst werden. Das alte System mit Chance, vorbei! Das bekannte Kinderspiel diente seinen Umhängetaschen voller Bürokratie trifft auf zum Abfragen von angesammeltem Wissen, das an ein neues System der Kreativwirtschaft, welches Stationen wie der Kirche, dem Friedhof oder dem sich netzwerkend verbreitet und ausbaut. Doch ohne Schloss durch unterschiedliche Aktionen vermittelt das alte kann es nicht existieren. Denn jedes neue wurde: beim Nachdenken über seine eigene Berufung, Arbeitsfeld benötigt neue Rahmenbedingungen, die literarischkreativ auf den Spuren von Paretzern mit wiederum nicht losgelöst von dem althergebrachten ihren verschiedenen Berufen – Ortschronist, Ruhe- System, quasi frei-schwebend, standspfarrer, Schulze, Ziegeleibesitzer und natürlich Schlossverwalter – und beim InformationsSpeeddating auf der Wiese nahe dem Schloss. Auf die eigentliche Schlosswiese durften wir 02 12 74 75 pa-pa-paretz. eine pfingstakademie. alles fake, alles asbest paulquappen, vogelsang pfauenschrei, ziegengemecker motorengeratter, sektperlen was machen wir mit dem hausboot? wir loten uns aus machen yoga, gehen schwimmen laufen bis ans ende des dorfes bis ans ende der nächsten stadt wie dorfidylle dorf und idylle ist ob gegensatz oder stiftungszwang stiftungsheiterkeit, die wellen platschen langsam ans ufer. ob fontane animiert oder spuren im sand bleiben, wasser wird sie wegspülen. aber der ein-druck bleibt doch: stechuhr, arbeitswut, brutto-sozial-produkt, harder, better, faster, stronger und noch ein antreiber angetrieben von uns selbst und sandkörnern im getriebe. barfuß und blind, dunkel und viel, til schweiger – wurde abgelehnt, am theater. in der diskursarena von schlagenden argumentwellen unterbrochen und überrollt, das haifischbecken öffnet sich, die zähne fletschen, ring frei (für den hahnenk(r)ampf). institutsinsolvenz? schulterklopftheater und den nagel ins bühnenbild schlagen. planungssicherheit burn out. das sonderproblem kulturarbeit, über dem stetig das damoklesschwert hängt. über wem hängt es noch? über – lebenskunst. über – arbeitswelt. über – dir mir. wenn autobahnen zu dorfstraßen werden, durch neues kopfsteinpflaster getragen und damit immer noch lärm erzeugen. konstruiert werden können. Erst, wenn dies zusammengetragen und beleuchtet wurde, hatte noch bedacht ist, gibt es die Möglichkeit, dass Künstler mit der Feststellung dessen zu tun, was eigentlich das von ihrer Kunst leben können. alte System ausmacht und wo seine Probleme liegen. Wie solche Veränderungen konkret aussehen Doch neben den utopischen Vorstellungen von einem können, zeigen bisher nur wenige Beispiele. Da gibt neuem System, wurde auch gefordert, was unbedingt es Existenzgründer, die mit ihrer Idee Kultur und nötig ist: Die politische Umsetzung von HandUnternehmen zusammenbringen wollen: Fabrik- lungsweisen, die dazu führen sollen, dass ein weiter arbeiter erkunden fotografisch ihren Arbeitsplatz Kulturbegriff als Fundament allen kreativen Tätigen auf kreative Art und Weise und präsentieren die und ihren Unterstützern dient. Ergebnisse anschließend in einer Ein letzter Eindruck von Ausstellung. Ein anderer kontinuParetz brennt sich ins Gedächtnis, ierlicher Versuch der Veränderung Über allem als die Schlossführung vorbei des alten Systems besteht im ist. Von Lustarchitektur war die schwebt die Frage Einsatz von Kulturagenten in Rede, bitte nichts anfassen, die der finanziellen Lüfter in den Räumen sollten Sicherheit. Schulen (ein Berliner Pilotprojekt), wohl gar nicht verdeckt werden die Schulklassen mit Kulturund die Papiertapeten haben institutionen zur Zusammenarbeit anregen und sie gegenseitig vermitteln. Doch es ist eigentlich ihr bestes gegeben. Aber so wie das Schloss nach wie vor schwer, sich den neuen Strukturen der und der Ort uns mit einer leichten Verunsicherung Kreativwirtschaft vollkommen hinzugeben. Über trotz der Schönheit und Einmaligkeit zurückließen, allem schwebt die Frage der finanziellen Sicherheit. war die Arbeit während der Akademie mit Idealen Wäre dafür ein bedingungsloses Grundeinkommen gespickt, die noch unfertig scheinen und bald, vielleicht auf der nächsten Akademie, zusammeneine Rechtfertigung? So wurde gebastelt, gegessen, diskutiert, gefragt, gesetzt werden können. zusammen gekocht, im Gras gelegen und der Ausblick genossen. Ein Ausblick auf ein dörfliches Leben – denn so könnte es auch sein – und auf die nächsten Stunden, Tage, Wochen und Monate. Ein Ausblick auf die kommenden Semester, in denen sich weiterhin über Utopien und ihre Realisierbarkeiten unterhalten werden kann. Vieles, was auf der Pfingstakademie 10% Studentenrabatt Hier finden Sie uns! (dauerhaft) Schuhstraße 46 31134 Hildesheim 46 Schuhstraße Tel.: 05121/1771364 Marienburger Platz 12 31135 Hildesheim Marienburger Platz 12 Tel.: 05121/2879738 · Hildesheim 02 12 76 77 Woran forschen Komponisten heute? Stephan Meier (l.), Prof. Matthias Rebstock (3. v. l.) und Studierende des Seminars. Foto: Andreas Hartmann Unter dem Motto √Musik = Energie2 findet in diesem Jahr das Musik 21 Festival vom 08. bis 11. November 2012 zum ersten Mal in Hildesheim statt und untersucht die Grenzen zwischen neuer Musik und Wissenschaft. Text: Julia Mauritz M it der Eröffnung des Symposiums Komposition und Forschung am Donnerstag starten wir in das Festival. Direkt weiter geht es am Freitag mit dem Eröffnungskonzert und einer anschließenden GetTogether-Party im Nil! In einer Kooperation mit der Universität Hildesheim ist das Symposium vom Institut für Musik und Musikwissenschaft initiiert und wird von Prof. Matthias Rebstock und Dr. des. Alan Fabian geleitet. Von Donnerstag bis Samstag erwarten euch auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg spannende Vorträge von Gästen aus Berlin, New York, Bern und Lugano zu aktuellen Fragen und Beziehungen zwischen Wissenschaft und Musik. Auch Studierende der Universität Hildesheim und der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTM) werden eigene Beiträge auf dem Festival präsentieren: Der „Tag der Klänge“ bietet Gelegenheit am Samstag ihre Klanginstallationen auf der Domäne Marienburg zu hören. Bereits vorab, im letzten Semester, haben sich Studierende mit dem Klang neuer Musik in einem Seminar beschäftigt und über die Festivalorganisation und das potenzielle Publikum diskutiert. Unter dem Titel „Festival Neue Musik 2012. Ansätze aktueller Musikvermittlung“ wird dieses Seminar im Wintersemester fortgesetzt. Gastdozent ist Stephan Meier, der auch die künstlerische Leitung von Musik 21 Niedersachsen und des Musik 21 Festivals innehat. Neben weiteren Konzerten bietet das Festival ein interessantes Rahmenprogramm: Eine kleine Einstimmung auf das Thema bietet der Filmabend des Hochschulkinos am Mittwoch, 24. Oktober, bei dem Dokumentar-Portraitfilme unter anderem über John Cage oder Iannis Xenakis gezeigt werden. Einen Einblick in den Bereich zur Gravitationswellenforschung könnt Ihr bei der Exkursion zu Geo600 in Sarstedt am Samstag, bekommen. Die Schirmherrschaft für das Festival hat Prof. Dr. Johanna Wanka, die Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, übernommen. Alle Studierenden sind herzlich zu den Veranstaltungen eingeladen! Der Eintritt zum „Tag der Klänge“ beträgt fünf Euro, zu allen anderen Konzerten gibt es Ermäßigungen für Studierende. Im Rahmen des Herder Kollegs ist die Universität Hildesheim Kooperationspartner des Festivals. Gefördert wird es durch Musikförderung in Niedersachsen, Stiftung Niedersachsen, Friedrich Weinhagen Stiftung, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur/Kulturelle Zusammenarbeit mit dem Ausland, British Council, und der Schweizer Kulturstiftung ProHelvetia. Das detaillierte Programm und weitere Informationen findet Ihr unter: www.musik21niedersachsen.de Besucht außerdem unsere Facebook-Seite: www.facebook.com/Musik21 Stephan Zum Eröffnungskonzert am 09. November 2012 um 20 Uhr wird das Ensemble Laboratorium aus der Schweiz im Roemer- und Pelizaeusmuseum zu Gast sein. Die Komponisten geben eine Konzerteinführung um 19 Uhr. Foto: Priska Ketterer Was macht Musik 21 Niedersachsen? Das Projekt vernetzt Niedersachsens Akteure der Neuen Musik, schafft einen Rahmen für die künstlerische Weiterentwicklung der Neuen Musik im Bundesland und hat das Ziel, eine große Hörerschaft zu erreichen. Projektträger ist Musik 21 – Niedersächsischen Gesellschaft für Neue Musik e.V. mit Sitz in Hannover, zugleich Veranstalter des Festivals Musik 21 Niedersachsen. Musik 21 Niedersachsen wird gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Das Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover fördert Musik 21 – NGNM e. V. institutionell. Der Kulturpartner ist NDR Kultur. 02 12 78 Goldrausch Die Tür ist geschlossen, der Platz verlassen – doch die Ästhetik des Alltäglichen erzählt mehr als erwartet, wir müssen nur im Moment der Leere einen Blick wagen. Von der Abwesenheit und ihren Spuren. Foto: Claudius Dorner 79 02 12 80 81 02 12 82 83 02 12 84 Nassmacher Text & Illustration: Marlene Klünker Einer will mir an die Kehle!!! Gut, dass ich ihn nicht verfehle, als ich ihn mit großer Tücke zwischen meine Schenkel drücke. Jämmerlich erstickt er da, BEISST mich fast noch um ein Haar… zappelt wild an meinen Waden, doch ich nehme keinen Schaden. Löwe, Eisberg, Hund und Haie. Ob ich mir das je verzeihe? War das nicht der pure STUSS? Wann ist mit dem Huren Schluss? Hoffend, mal so groß zu werden, aus dem Meer mich RAUS zu erden, WILL ICH SELBST MIR INSEL SEIN!!! (Scheiß drauf, sei sie noch so klein.) Auf der Insel könnt’ ich warten auf erleuchtete Piraten, die von Meeresnixen SATT, mir sich nähern durch das Watt. Warten halte ich für Stärke, will jedoch sofort zu Werke!!! Rastlos wieder selbst am Ruder bin ich mir Piratenbruder. Werde immer ungestümer, raube fremde Eigentümer. „Jede Frau an Heim und Herd ist gefedert und geteert; weiß nicht, was sie hier VERPASST…“, schreie ich vom höchsten Mast. Leider weiß ich schon im Schrei: Auf dem Mast bin ich nicht frei. Wünsche mir ’nen Mann mit Säge, der mit Mut den Mast erlege. Plötzlich einer (Du vielleicht?), der sich um den Mast anschleicht. Wunderschön und groß und kühn… DICH mein Freund, lass’ ich nicht zieh’n. „Hey, Kollege, nimm die Säge, weil ich große Träume hege.“ Mein geiles Schiff der Utopien, ob geklaut oder geliehen, auf dem Meer, das mich umwässert, hat Kombüsen voller Messer. In den Nächten STECHEN sie… in die See der Utopie, unterwegs in einen Hafen, um (mit Dir vielleicht?) zu schlafen. Mit dem Fernrohr eng am Auge prüfe ich, ob er was tauge. Ich versuche, zu erkunden, ob er einer von den Hunden, Haien oder Löwen ist… Einer, der mich doch nur frisst. Nichts dergleichen wird entdeckt, dieser Mann scheint mir perfekt. Fröhlich werfe ich die Taue, um das Meer, das tiefe, raue, für den Landgang zu verlassen und mich willig zu verprassen. Bietest Du ’nen starken Poller, treibe ich es umso doller, tausche froh des Meeres Möwen gegen DICH, erhitzten Löwen. NEIN, verdammt. Er ist aus Eis… HILFE, und er sägt bereits! Hört nicht auf, mich zu erregen, und ich falle ihm entgegen. Möwen warnen mich: „Gefahr!“ Derer bin ich mir gewahr: Eisbergmänner zu erwärmen kann ’ne Frau total verhärmen. Du zerfleischst mich, das ist klar! Für ’ne Zeit auch wunderbar. Wird mein Blut dabei zu knapp, leg’ ich besser wieder ab. Aus dem Hafen auszulaufen braucht zwar hartes Komasaufen, doch nach wildem Sex mit Tieren heißt es: Schön desinfizieren! Ehe mich das Eis verletzt, springe ich mir selbst ins Netz. Nage an verwestem Wal und behaupte: „Scheißegal!“ Männer tun ja doch nur weh, darum bleibe ich auf See… wild von rechts nach links geweht… Ist das noch die Pubertät? Während ich betrunken bin, rafft mich so ein Hund dahin. „Nüchtern hätt’ ich nie mit dem…“, denke ich total beschämt. Ist mir aber auch egal, denn der nächste Killerwal bringt mich schon zurück zum Schiff, dafür reicht ein kurzer Pfiff. Ich bin eins mit zähen Huren: Bunten Gallionsfiguren, die aus meinem Holz geschnitzt, sitzen, wo es mächtig spritzt! Vorn am Bug, von Gischt umspült, wird das Wasser aufgewühlt… Feucht und fröhlich, kalt und hart, stehe ich auf volle Fahrt. EISBERG, mieser Widersacher! Dich zu treffen ist der Kracher. Schiffbruch leider ebenfalls; kaltes Wasser bis zum Hals. Weiter geht es mit den HAIEN. Leider nichts für Liebeslaien. Haie beißen megascharf… Aber hey, ich hab’ Bedarf. 02 12 86 87 Ohrenschmaus Rezension: Gudrun Kramer H in und wieder schaue ich mich nach neuen Progressive-Rock-Perlen im europäischen Umfeld um. Irgendwie vermisst man doch oft den frischen Ton aus der Ecke komplexer Rhythmen und intellektueller Halbglatzen. Alles war schon mal da, ob es nun mit „Canterbury“, „Math“ oder „Kobaïanisch“ etikettiert wird. Dann fliegt mir plötzlich die Empfehlung einer Band namens Jaked Off Shorts & Loaded Heads (JOSaLH) ins Haus. Süddeutschland, schon wieder, denkt sich vielleicht der ein oder andere Progressive-RockHörer. Mit einem Hauch von Berliner Biographie, aber doch unverkennbar süddeutsch. Querdenker wie Panzerballett und Fitzcarraldo haben mittlerweile eine Art bayerisch-schwäbischen Progressive Jazzmetal gegründet, dem sich JOSaLH wunderbar anschließen könnten. Das Originelle an dieser Gruppe ist ihr Computer-generierter Einschlag, der Vollblutmusikern zuerst gallig aufstoßen könnte, doch mit etwas Geduld feisten Charme entwickelt. Zum Beispiel in „Voodoo Goat Sacrifice“ präsentiert sich die saitenstarke Band als Spaßmacher. Industrial, Weirdcore, Hardcore, alles kein Problem, irgendwie kennt man diese Kombinationen von größeren Bands. Doch plötzlich springt der Frontmann vom Geschrei in den Sprechgesang und die Band hat plötzlich eine Art Ska-Moment. Mit digitalen Hi-Hats, wohlbemerkt. Ein bisschen unbeholfen wirkt das. Aber der Coolnessfaktor hält das aus und gegen Ende hat die Platte ihren siebten oder achten Durchlauf erreicht. Erinnerungen an 90er Jahre-Filme kommen auf, in denen Crossoverbands berauschte Ecstasy-Girls und gepiercte Cyberpunks in Untergrundclubs zum Pogen bringen. Die sechs Titel haben die Masse von The Dilliger Escape Plan und den Groove von Soul Coughing. Ruhigere Momente wie in „Sciaphobia“ lockern die sonst wuchtige EP auf und sorgen für klug gesetzte Verschnaufpausen. Summa summarum ist „Flamingo Room“ eine dynamische Metal-EP mit leichten Melodieschwächen. Die Jungs von JOSaLH sind jedenfalls echte Sympathieträger und bemühen sich, nicht den Kontakt zur (potentiellen) Fanbasis zu verlieren. Wer Musik made in Germany unterstützen will, der sollte bei dieser Empfehlung anfangen. L ógos, die im griechisch-hellenistischen Weltgesetz alles durchdringende Weltvernunft, hat eine eigene Tonfarbe. Sie besitzt sogar unterschiedliche Tempi, die von largo ma non troppo bis zu vivace con brio reichen. Also zu neudeutsch: mal sehr ruhig, mal mit einem wummernden, tanzbaren Beat. Die lockere Musikerkombo Log.Os vereint Bläser, Gitarren und Percussions zu einem elektronischen Intermezzo, das unter die Haut geht. Die kurzen Stücke sind teilweise im Tempo so relaxed wie wir sie von Massive Attacks berühmten Mezzanine-Album kennen, aber erstaunen ebenso mit tranceartigen Beats, die nur wenige Atemzüge später durch die Lautsprecheranlage jagen. Durch die fragmentierten, oft stolpernden Rhythmen wird man als Hörer die ganze Zeit auf neue Gipfel phantastischer Klangketten geschleudert. Dazu kommen die verfremdeten Instrumente, die sich nach und nach zu einem abstrakten Geräuschteppich verdichten, über dem dann und wann ein paar verführerisch gesungene Worte zu hören sind. Insbesondere „Kyoto“ reißt einen mit einer losbrechenden Energie von den Socken, während unter treibenden Drums eine samtene Männerstimme das Ende der Zivilisation beschwört. Und so lautet auch das gesamte Albenprinzip: Jeder Song scheint zu pulsieren, alles summt und brummt wie der arbeitende Körper eines Marathonläufers. Log.Os verschlucken den Hörer vollständig in ihrem tickenden, langsam zerfallenden Kosmos. Nur eine einzige Beanstandung gibt es: λόγος hat eine Dauer von 30 Minuten. Das Gros der zehn Lieder wirkt wie eine Reihe von Teasern, die auch noch motivisch in lauter Teilchen zerbröselt sind. Man sucht nach einem Link zwischen den Tracks, aber findet ihn nicht. Mit λόγος ist Log.Os nichtsdestotrotz ein kreativer Ohrenschmaus gelungen, der vor Ideen nur so strotzt. Man darf hoffen, dass die Nachfolgeplatte mindestens ebenso unverbraucht und kreativ ausfallen wird. Und wesentlich länger. Künstler: Jaked Off Shorts & Loaded Heads Album: Flamingo Room Künstler: Log.Os Album: λόγος 02 12 88 89 Cinematische Leckerbissen D Es weihnachtet sehr! Jeden Mittwoch, 20.15 Uhr (Einlass 20 Uhr) Hörsaal 1 oder Audimax der Universität Hildesheim (genaue Infos bitte den aktuellen Flyern entnehmen) 1,50 Euro + einmalig 0,50 Euro Mitgliedsbeitrag/ Doublefeature 2,50 Euro as Hochschul-Kino ist mit fast 30 Jahren die älteste aktive AStAInitiative der Universität Hildesheim. Jeden Mittwoch in der Vorlesungszeit werden hier Höhepunkte der Filmgeschichte und des aktuellen Filmgeschehens gezeigt. Wir präsentieren euch politisch, gesellschaftlich oder ästhetisch wertvolle Filme und kooperieren in Rahmen dessen auch gerne mit anderen Initiativen, Projekten oder Institutionen. Jeder der mag, kann uns thematisch passende Filme vorschlagen und so den Abend mitgestalten. Unsere Highlights in diesem Semester sind: „Musik im Technischen Zeitalter“ in Kooperation mit Musik 21 Niedersachsen als Auftakt des Musik 21 Festivals (8.–11. November 2012), „Take Shelter“ zusammen mit der KHG/ESG, ein HalloweenMusical-Special bestehend aus der „Rocky Horror Picture Show“ und „Little Shop of Horrors“ sowie dem traditionellen Weihnachtsspecial mit Glühwein und Keksen. Neugierig? Dann kommt doch einfach mittwochabends zu uns und taucht ein in die cineastischen Tiefen des Wintersemesterprogramms 2012/13. Wenn ihr Filmwünsche oder Kooperationsvorschläge habt, dürft ihr euch sehr gerne an uns wenden – persönlich oder per Mail: hoki@asta-hildesheim.de Wir freuen uns auf EUCH ! Euer HoKi Team Wir suchen Verstärkung! Du bist filmbegeistert, gestaltest gerne Plakate und bist an der Mitarbeit beim HoKi interessiert? Oder kennst dich mit der Gestaltung und Verwaltung von Internetseiten aus und möchtest unser neuer Webmaster werden? Dann melde dich oder schau mittwochs im Audimax/H1 vorbei und sprich uns direkt an! Text & Foto: Hans-Ulrich Borchert J „Advent, Advent, ein Studi singt“ – oder liest vor, improvisiert und zeigt akrobatische Fähigkeiten. Deine fünf Minuten auf der Bühne gibt dir auch dieses Jahr das Kulturkafé. edes Jahr in der Vorweihnachtszeit veranstaltet der AStA in Zusammenarbeit mit aufgenommen wurde. Musikalisch überzeugten Univent das Kulturkafé. Bei reichlich Glühwein außerdem Franziska Ringe, Singer-Songwriter findet in der Mensa der Universität Hildesheim ein PeteJones, die Jazzcombo der Uni und die Band buntes Kulturprogramm statt. Studierende aller Funkin’ Further. Zum Abschluss legten Florian Fachrichtungen haben hier die Möglichkeit, sich Kochen und sein Kollege Arne Dreske auf. auf der Bühne zu präsentieren. Das Ergebnis ist Ein genauso abwechslungsreiches Programm soll dann oft eine Mischung aus Live-Musik, Singer- es auch in diesem Jahr wieder geben. Und darum heißt es nun wieder: Ob Songwriter, Zirkus-Artistik, Gedicht, selbst getex-teter Improvisationstheater und v. m. oder interpretierter Song, Auch diesmal wird all das in Das Kulturkafé Akrobatik-Einlage, Rezitation einer weihnachtlich fröhlichen findet am 29. aus Faust oder Tango – du Party enden. November 2012 ab bestimmst mit deinem Beitrag, 20.00 Uhr in der Im letzten Jahr führte Mensa der Uni Alexander Polikowski – vielen was das Publikum beim Hildesheim statt. sicherlich aus dem Unikino Kulturcafé zu sehen und hören bekommt! Denn das Kulturkafé bekannt – mit seiner gekonnt geht in die nächste Runde und lockeren Art durch das Programm. Den Auftakt machte das russische ihr sollt es wieder mitgestalten. Und natürlich Volksmusik-Ensemble mit traditionell-russischer brauchen wir wieder einen Moderator und einen Musik, gefolgt von Hannah, die das Publikum mit DJ für die anschließende Party. ihrer Harfe in den Bann zog. Für eine gelungene Egal ob KuWi, Lehrämtler, IIMler, SOP/ORG Zirkus-Atmosphäre sorgte Gregor Pellacini am oder was auch immer du studierst – wenn dich die Diabolo. Die Improvisationstheatergruppe Mischpoke Lust packt, beim Kulturkafé in der Mensa auf der stellte ihre neuen Mitglieder in einem Programm Bühne etwas zum Besten zu geben – egal ob fünf oder vor, welches vom Publikum mit Begeisterung 20-Minuten-Auftritt – dann melde dich bis zum 1. November 2012 unter www.kulturkafe.de an! 02 12 90 wir haben (keine) angst Kirche macht Kultur I Die katholische Hochschul- und evangelische Studierendengemeinde stellen sich vor. Text & Foto: Björn Stöckemann In Hildesheim gibt es genau genommen zwei Hochschulgemeinden: die Katholische Hochschulgemeinde und die Evangelische Studierendengemeinde. Wer uns allerdings in der Braunsberger Straße 52 unweit der Uni aufsucht, der wird uns als KHG/ ESG kennen lernen. Wir wollen kooperatives Miteinander statt unbeteiligtem Nebeneinander. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Wurzeln vergessen. Wir sind katholisch und evangelisch sowie ökumenisch. Unser Mitarbeiterkreis setzt sich aus engagierten Mitgliedern beider Konfessionen zusammen und unser Programm richtet sich an alle Studierenden und Mitarbeiter der Universität sowie der HAWK. Das Angebot ist vielfältig: Sportliches, Kreatives, Politisches und natürlich Religiöses. Während der Vorlesungszeit organisieren wir – neben den regelmäßigen Aktionen wie unseren Gottesdiensten und Andachten, einem Chorprojekt, der Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT) und einem Radioworkshop 26. Freitag: – auch Angebote wie Podiumsdiskussionen oder Exkursionen. Ein zentraler Punkt in unserem Programm sind die Gottesdienste mit jeweils unterschiedlichen Konzepten: Von klassisch-liturgisch, experimentell mit Anleihen aus Kunst und Kultur bis hin zu meditativen Formaten. Mit solchen spirituellen Impulsen können wir die Anspannung des Studienalltags lösen, zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen. Besonders wichtig ist uns auch die Internationalität. So bieten wir im Café Kolja eine Plattform für internationalen Austausch und veranstalten regelmäßig Länderabende, bei denen ausländische Studierende ihre Heimat und Kultur vorstellen. Wir engagieren uns darüber hin-aus im Notfonds für ausländische Studierende in Hildesheim e.V., der bei Geldnot mit Beratung und finanzieller Hilfe zur Seite steht. Pastoralreferent Clemens Kilian und Hochschulpastorin Uta Nadira Giesel bieten außerdem Hochschulseelsorge für alle Lebens- und Glaubensfragen an. Wanderung zur Obstweinschänke Ab dem 30. November Dezember jeden Dienstag: Chor 07. Mittwoch: Kirchen entdecken: St. Andreas 08. Donnerstag: 20:00 Uhr Schmidts Katzen 09. Freitag: Mahnwache, Nacht der Lichter 12. Montag: Literarischer Abend 14. Mittwoch: Boomwhacker 22. Donnerstag: Werwolf-Abend 03. Montag: Adventsfenster, Gemeinsam kochen 28. Freitag: Europäisches Taize-Jugendtreffen in Rom Januar 15. Dienstag bis 17. Donnerstag: HAWK-Mensa-Aktion Das vollständige Programm sowie weitere Informationen findet ihr auf: www.khg-esg-hildesheim.de Oktober ich kann mich nicht entscheiden ja oder nein oder vielleicht sind die optionen die mir bleiben die mir auf den rücken klopfen und sagen alles wird gut du machst das schon wir unterstützen dich außerdem kannst du immer noch wechseln mach dir keinen stress – lass die luft raus der druck singt dir das lied vom tod Mehr von Martina Krafczyk auf www.krakauliterarisch.blogspot.de nur wir sind es die verstehen und folgen. nur wir sind es die am ende davor stehen. dann fragen wir uns: war es das wert? war es richtig? bin ich fertig, was gibt es sonst noch zu tun? für nichts und wider nichts sich abkämpfen und bezahlen entschleunigungstraumata hoch drei egal wie viele möglichkeiten und module es gibt wir schaffen das schon einmal volltanken bitte nur die ruhe um weiterzukommen ist vieles nötig distanz und zugewandtheit mut und verdrussabbausynonyme eine mischung aus radikal und sanft die uns nicht vergessen lässt wer wir in dem ganzen trubel eigentlich sind in dem glücksrad in dem wir uns täglich drehen: gib mir ein ja gib mir ein nein oder ein vielleicht. Du interessierst dich für Campus-Journalismus und im World Wide Web fühlst du dich wie zu Hause? Dann würden wir uns freuen, dich in der NERV-Redaktion als Webmaster_in unserer neuen Homepage sowie App willkommen zu heißen. Fragen und Bewerbungen per Mail bitte an die unten angegebene Adresse. Für die nächste Ausgabe suchen wir ab jetzt Text- und Bildbeiträge zum Überthema „Nebenan“. Schickt uns eure Ideen einfach an nerv@asta-hildesheim.de. Redaktionsschluss ist der 15. Januar 2013. Aktuelles sowie weitere Informationen findet ihr auf unserer Homepage www.nervmagazin.de, unserer Facebookseite und unserem twitter-Account. Unser Magazin gibt es ab jetzt auch als APP direkt aufs Handy!