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IST RIESTER NOCH ZU RETTEN? Grüne Perspektiven zur Zukunft der Privaten Altersvorsorge Dokumentation des Fachgesprächs am 23. März 2015 in Berlin IMPRESSUM Herausgeberin Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-bundestag.de Verantwortlich Markus Kurth MdB Sprecher für Rentenpolitik Nicole Maisch MdB Sprecherin für Verbraucherpolitik Gerhard Schick Sprecher für Finanzpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: @bundestag.de Redaktion Lars Denkena, Christian Wöhler Bezug Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: versand@gruene-bundestag.de Schutzgebühr € 1,50 Redaktionsschluss September 2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 INHALT: IST RIESTER NOCH ZU RETTEN? GRÜNE PERSPEKTIVEN ZUR ZUKUNFT DER PRIVATEN ALTERSVORSORGE Über das Fachgespräch und diese Dokumentation ....................................3 Programm ......................................................................................4 Begrüßung .....................................................................................5 Markus Kurth ................................................................................ 5 Einführungsreferat ...........................................................................6 Prof. Dr. Frank Nullmeier ................................................................. 6 Panel I – Die Riester-Rente im Alterssicherungssystem. Entwicklung, Probleme, Perspektiven ................................................................... 11 Dr. Peter Schwark ..........................................................................11 Axel Kleinlein ...............................................................................13 Markus Kurth ...............................................................................15 Panel II: Riester-Rente und Verbraucherschutz ...................................... 23 Hermann-Josef Tenhagen ...............................................................24 Prof. Dr. Gert Wagner .....................................................................27 Nicole Maisch ...............................................................................29 Panel III: Neustart der Riester-Rente durch ein staatliches Basisprodukt ...... 36 Lars Gatschke ...............................................................................36 Udo Philipp .................................................................................38 Dr. Marlene Haupt .........................................................................40 Dr. Gerhard Schick .........................................................................41 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 ÜBER DAS FACHGESPRÄCH UND DIESE DOKUMENTATION Wie geht es weiter mit der Riester-Rente? Von rund 35 Millionen Förderberechtigten sorgen nur 6,4 Millionen im Sinne des Riester-Konzepts vor. Lediglich eine Minderheit hat so – theoretisch – die Chance, auf diesem Weg das Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus zu kompensieren. Ihrer zentralen Funktion wird die Riester-Rente damit auch nach dreizehn Jahren nicht gerecht. Gerade GeringverdienerInnen gleichen ihre ohnehin geringen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mithilfe der geförderten privaten Altersvorsorge aus, obwohl die Riester-Rente gerade diese Versicherten besonders begünstigen sollte. Dieses Phänomen zieht sich inzwischen bis tief in die Mittelschicht, wo die Zahl der RiesterVerträge seit Jahren zurückgeht. Dafür gibt es Gründe: Hohe Vertriebskosten, zu geringe Renditen und Produkte, die selbst für ExpertInnen kaum zu durchschauen sind. Die Bundesregierung resigniert. Von einer Fortentwicklung von Riester hat sie sich inzwischen abgewandt. Andrea Nahles verweist stattdessen auf die Betriebsrenten, die künftig einer begrenzten Gruppe einen Ausgleich des sinkenden Rentenniveaus ermöglichen sollen. Das reicht uns nicht. Unser Ziel ist die Lebensstandsicherung für alle! Vor diesem Hintergrund haben wir im Rahmen eines öffentlichen Fachgesprächs entlang der Frage „Ist Riester noch zu retten?“ gemeinsamen mit Expertinnen und Experten über die Zukunft der Riester-Rente diskutiert. Die Diskussion gliederte sich in drei Panels und stellte nach einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme, die verbraucherpolitischen Aspekte und mögliche neue Wege in der privaten Altersvorsorge in den Blickpunkt. Mit dieser Dokumentation möchten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und allen Interessierten die Möglichkeit bieten, die kontroverse und erkenntnisreiche Debatte zu rekapitulieren. Viel Freude dabei wünschen Ihnen Ihre 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Riester | 3 PROGRAMM 12.30 Einlass und Kaffee 13.00 BEGRÜßUNG Markus Kurth MdB Sprecher für Rentenpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Einführungsreferat Prof. Dr. Frank Nullmeier Zentrum für Sozialpolitik Universität Bremen 13.30 PANEL I – Die Riester-Rente im Alterssicherungssystem. Entwicklung, Probleme, Perspektiven Axel Kleinlein Vorstandssprecher Bund der Versicherten Dr. Peter Schwark Mitglied der Hauptgeschäftsführung Gesamtverband der Deutschen Versicherungsgesellschaft Prof. Dr. Gert G. Wagner Technische Universität Berlin Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen der Bundesregierung Nicole Maisch MdB Sprecherin für Verbraucherpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion 16.00 PANEL III – Neustart der Riester-Rente durch ein staatliches Basisprodukt Dr. Marlene Haupt Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik Lars Gatschke Verbraucherzentrale Bundesverband Dr. Gerhard Schick MdB Sprecher für Finanzpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Udo Philipp Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth MdB 17.00 Verabschiedung 14.30 Pause Markus Kurth MdB 15.00 PANEL II – Riester-Rente und Verbraucherschutz Hermann-Josef Tenhagen Chefredakteur Finanztip 4 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Moderation: Ulrike Herrmann Wirtschaftskorrespontin, taz BEGRÜßUNG MARKUS KURTH Sprecher für Rentenpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Ich darf Sie, meine Damen und Herren, liebe Gäste, ganz herzlich im Namen von Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick und mir, Markus Kurth, begrüßen. Wir haben uns zu dritt zusammengetan und dieses Fachgespräch mit dem Titel „Ist Riester noch zu retten?“ organisiert, um eine Bilanz der geförderten privaten Altersvorsorge zu ziehen. Wenn man sich gegenwartsbezogen die jüngsten Meldungen zur gesetzlichen Rentenversicherung ansieht, dann scheint ja alles in bester Butter zu sein. Am Wochenende kam die Meldung, dass die Renten im Westen um 2,1 Prozent und im Osten um 2,5 Prozent erhöht werden und für das nächste Jahr stehen wegen Nachholeffekten bis zu 4,5 Prozent Erhöhung der gesetzlichen Rente in Aussicht. Damit steht die gesetzliche Rentenversicherung im Moment recht attraktiv dar und dies angesichts der Niedrigzinsphase auch im Vergleich zur privaten Altersvorsorge. Das gilt umso mehr, wenn man zusätzliche Leistungen, wie Rehabilitation, Anerkennung von Kindererziehungszeiten oder auch die Erwerbsminderungsrente betrachtet. Insgesamt hat sich der Leumund der gesetzlichen Rentenversicherung auch vor dem Hintergrund der diversen Börsen- und Finanzkrisen der vergangenen Jahre stark verbessert. Etwas paradox ist für mich als Grüner Kritiker des Rentenpakets der Bundesregierung, dass das Rentenpaket auch zu dem stark verbesserten Leumund der gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen hat, obwohl es ja – wie wir wissen – zunächst mal auf Pump, dass heißt zulasten der Rücklagen finanziert ist. Aber das sind Paradoxien, mit denen man im politischen Geschäft durchaus leben muss. Dieses – wie gesagt – momentan positive Bild der gesetzlichen Rentenversicherung war nicht immer so. Vor eineinhalb Jahrzehnten sah das komplett anders aus; da war die Rentenversicherung quasi der kranke Mann der Sozialversicherung. Diskutiert wurde der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der Beitragssätze und des Bundeszuschusses. Ich kann mich noch an meine erste Legislatur ab 2002 erinnern: Da galt der Bundeszuschuss als Mühlstein am Hals des Finanzministers. Jedes Jahr große Sorgen, wie viele Milliarden wieder raufgepackt werden müssen und was gab es auf der anderen Seite? Den scheinbar vollständig überlegenen Kapitalmarkt. Wir erinnern uns an die Jahre vor 2001 mit dem boomenden Dotcom-Markt. Neuer Markt war das große Stichwort: Manfred Krug verkaufte quasi als Pausenclown des CasinoKapitalismus im Werbefernsehen die T-Aktie. Später hat er das sehr bedauert und sich dann dafür entschuldigt, woraufhin die Deutsche Telekom fristlos alle Werbeverträge gekündigt hat. Aber diese kleine Rückblende mag vielleicht noch mal in Erinnerung rufen, welch völlig andere Wirklichkeitswahrnehmung um die Jahrtausendwende vorherrschte. Und die geförderte private Altersvorsorge, das Drei-SäulenModell, schien aus der damaligen politischen Logik sehr vielen als folgerichtig. Jetzt nach knapp 15 Jahren denken wir, dass eine neue Bestandsaufnahme notwendig ist. Man muss die Frage stellen, ob sich die Hoffnungen erfüllt haben? Als Sozialpolitiker interessiert mich, ob die Riester-Rente eigentlich die Funktion einer Säule übernimmt? Gleicht die Riester-Rente das gesunkene Rentenniveau aus und sind die mehr als drei Milliarden staatliche Förderung über Zulagen bzw. Steuergutschriften gut investiert? Aus verbraucherpolitischer Sicht fragen wir uns, sind die Riesterprodukte für die Verbraucher transparent, verständlich und auch kalkulierbar? Und finanzpolitisch fragen wir uns, ob alternative Entwicklungspfade, alternative Möglichkeiten denkbar sind. Diese Fragen stellen wir uns als Grüne Fraktion. Es ist auch nicht so, dass wir da bei Null anfangen. Insbesondere Nicole Maisch und Gerhard Schick haben auch schon in der vergangenen Legislaturperiode die verbraucherschutzpolitischen Aspekte intensiv bearbeitet. Wir haben in dieser Legislaturperiode auch schon eine Kleine Anfrage und mehrere schriftliche Fragen an das Finanzministerium gerichtet, um Näheres über die Inanspruchnahme zu erfahren. Es gibt also einen Sockel, auf den wir aufbauen und gern weiter entwickeln wollen. Dazu dient auch dieses Fachgespräch, auf das ich mich sehr freue. Und jetzt kommt der Zeitpunkt, an dem ich an Ulrike 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 5 Herrmann überleiten darf, Wirtschaftsjournalistin bei der taz, die wir gewonnen haben, um uns durch diesen kompletten Nachmittag zu führen. Viel Vergnügen, vielen Dank. EINFÜHRUNGSREFERAT Ulrike Herrmann Hallo, auch ich fange natürlich mit einer Vorstellung an. Sie haben es im Programm gesehen: Herr Nullmeier wird mit einem kleinen Vortrag beginnen, der in die heutigen Probleme der Riester-Rente einführt, aber auch ganz kurz die Entstehungsgeschichte dieser Reform beleuchtet. Ich nehme an, Sie kennen Frank Nullmeier bereits. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das hier so eine Art Familientreffen ist und jeder jeden schon mehrfach gesehen hat. Aber falls das nicht so ist, stelle ich ihn kurz vor. Er ist Professor für Politikwissenschaften in Bremen und leitet dort die Abteilung Theorie und Verfassung des Wohlfahrtsstaates am Zentrum für Sozialpolitik und war auch Mitglied in der Rürup-Kommission. Er hat 28 Folien mitgebracht, aber trotzdem versprochen, in 20 Minuten durch zu sein. Dieses Experiment namens Power-Point werden wir jetzt gemeinsam besichtigen. Herr Nullmeier. 6 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 PROF. DR. FRANK NULLMEIER Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen Vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit, zum Thema Bilanz der Riester-Rente einige einleitende Bemerkungen vortragen zu dürfen. Ich möchte Ihnen kurz darstellen, wie die Riester-Rente sich seit ihrer Einführung 2001 entwickelt hat, welche Wirkungen, insbesondere Verteilungswirkungen eingetreten sind, wo die als sozialpolitische Reform gestartete Riester-Rente verbraucherpolitische Fragen berührt und welche möglichen Alternativen und Reformoptionen heute zu beachten sind. Markus Kurth hat in seiner Eröffnungsrede bereits die Situation geschildert, in der die private Altersvorsorge politische Unterstützung gewinnen konnte. In den Jahren nach 1999 existierte eine gänzlich andere politische Stimmung als heute – es fehlte an der Offenheit, alle Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren, weil der überwiegenden Mehrheit der politisch Beteiligten und der Medienöffentlichkeit der traditionelle Sozialversicherungsstaat nicht mehr als zukunftsfähiges System erschien. Das galt im besonderen Maße für die Alterssicherung, weil hier die demographische Entwicklung einer zunehmenden Lebenserwartung die Finanzierungsproblematik deutlich verschärfte. Zudem boomte der Kapitalmarkt und schien neue, aussichtsreiche Möglichkeiten der Finanzierung sozialer Sicherung zu bieten. So wurde die grundsätzliche Wende möglich, die schließlich 2001 im Altersvermögens- und Altersvermögensergänzungsgesetz vollzogen wurde, Kürzungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die staatliche Förderung privater Vorsorge und die Einführung einer gesonderten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung stellten die Kernelemente dieser Reform dar. Letztlich bildete das Gesetzgebungspaket den Einstieg in eine 3oder 4-Säulen-Architektur mit der Grundsicherung als unterster Stufe (Stufe Null), den Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in der ersten Säule, die kompensiert werden sollten durch die Entgeltumwandlung in der betrieblichen Alterssicherung und durch die Riester-Förderung in der privaten Vorsorgesäule. Was wurde von diesen Umbauten erwartet? Die finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung schien nicht mehr auf dem bisherigen Weg zu sichern. Man hatte schon einige Schritte auf dem Weg einer zusätzlichen staatlichen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen. Es entstand aufgrund der Prognosen der Eindruck, dass es nur durch deutlich erhöhte Beiträge möglich wäre, das Rentenniveau dauerhaft zu erhalten. Im Zuge des internationalen Trends einer Umstellung der Risikoverteilung von Defined Benefits zu Defined Contributions wurde auch in Deutschland die Rentenhöhe zu einer Variable einer vorgegebenen Finanzierung: Man hat das Sicherungsziel, die Lebensstandardsicherung, nicht mehr in den Vordergrund gestellt, sondern ging über zur Fixierung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 22 Prozent bis 2030. Das Sicherungsniveau sollte, so spätere Korrekturen, zwar eine untere Größe nicht unterschreiten, aber auch nicht mehr die Lebensstandardsicherung gewährleisten. Dennoch war die Lebensstandardsicherung noch nicht völlig aufgegeben worden. Es herrschte die – zumindest öffentlich bekundete – Idee vor, dass die Verluste der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Aufbau der privaten Altersvorsorge und den Ausbau der betrieblichen Rentenversicherung auszugleichen seien. Die staatliche Förderung sollte eine hohe Inanspruchnahmerate der RiesterRente entstehen lassen. Die im privaten Sektor deutlich höheren Renditen als im klassischen Umlageverfahren, das die Idee der Rendite zwar nicht kennt, aber zunehmend unter dieser Perspektive wahrgenommen wurde, sollten das ihre tun, um das alte Sicherungsniveau halten zu können. Zu den Erwartungen gehörten auch Elemente, die sich nicht auf das Sicherungsniveau und die Lage der Rentner direkt bezogen, sondern Nebeneffekte betrafen, die aber politisch durchaus im Vordergrund standen: Im Zuge der Finanzmarktliberalisierung war es eines der wesentlichen Ziele, auch den deutschen Finanzmarktsektor zu beleben und für den internationalen Wettbewerb besser aufzustellen. Von daher sollte das finanziell attraktive Feld der Alterssicherung im größeren Maße für marktliche Formen des Engagements geöffnet werden. Dies galt sowohl für Versicherungsunternehmen als auch für Banken, die in diesem Zeitraum stärker in die Alterssicherung als Geschäftsfeld eindringen wollten. Auch die Arbeitsmarktseite spielte eine große Rolle: Die Lohnnebenkosten sollten vor allem auf Seiten der Arbeitgeber gesenkt werden. Ebenso sollte die Einstellung des Bürgers zum Sozialstaat eine andere werden: An die Stelle der Versorgungsmentalität des gesetzlich Versicherten sollte Eigenverantwortung treten mit individuell gewähltem Engagement im privaten Sektor für die dem Einzelnen jeweils angemessene Form der Zukunftsvorsorge. Sowohl in der Wissenschaft als auch im politischen Raum sind die Veränderungen durch die Reform 2001 sehr intensiv diskutiert worden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines Bruchs mit den bisherigen Prinzipien der Alterssicherung. Der Ausdruck ‚Paradigmenwechsel’ hat sich in der Wissenschaft festgesetzt. Die Riester-Reform rücke ab von den klassischen Prinzipien des Bismarckschen Sozialversicherungssystems bzw. – wie es in der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung heißt – weiche ab von dem konservativen Wohlfahrtsstaatsmodell, das die Bundesrepublik bisher mustergültig verkörperte. Wie unterschiedlich die Deutungen im Einzelnen auch waren, sie stimmten darin überein, dass zum ersten Mal im Bereich der Alterssicherung eine Teilprivatisierung durchgeführt wurde, die einen ‚Markt’ in einem elementaren Feld sozialer Sicherung schuf und staatlich förderte. Es handelte 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 7 sich dabei nicht um einen weitgehenden freien Markt, sondern um einen staatlich durch Subventionen erzeugten Markt, weshalb man von einem ‚Wohlfahrtsmarkt’ sprechen kann. Damit veränderte sich auch die Rolle der Finanzdienstleistungsunternehmen. Sie wurden nun zu einem Mitspieler in der Sozialpolitik. In den Folgejahren sind einige weitere Gesetzgebungen bedeutsam: Man hat finanzielle Anpassungen vorgenommen, zum Beispiel bei der Endstufe von vier Prozent Prämienzahlung für die Riester-Beiträge. Die Zulagen haben sich von 183 auf 300 Euro für jedes Kind erhöht, welches nach 2008 geboren wurde. Die besondere Familienkomponente wurde so weiter ausgebaut. In einem Gesetz vom 2009 wurde ein einmaliger Berufseinsteigerbonus von 200 Euro eingeführt für Personen vor dem vollendeten 25. Lebensjahr, die eine Riester-Förderung mindestens einmal bedienen. Größere Umgestaltungen betreffen zum einen die Zertifizierungskriterien, die 2004 reformiert wurden. Schon relativ bald nach dem Einführungsgesetz haben die Versicherer dafür gesorgt, dass die Abschluss- und Vertriebskosten doch stärker zu Beginn der Laufzeit eingerechnet werden können, um an den bisherigen Gepflogenheiten in der Vertriebsstruktur der Lebensversicherungen festhalten zu können. 2006 wurden die Unisex-Tarife entsprechend den EURegelungen eingeführt, begleitet von einer Werbekampagne Ende 2005, die auf die letzte Möglichkeit rekurrierte, für Männer günstigere Bedingungen zu erhalten. Zudem wurden die Leistungen der privaten Altersvorsorge an die Reform der Altersgrenzen 2007 angepasst. Riestern ist seitdem erst ab dem Alter von 62 Jahren möglich. Weiterhin wurde der Wohn-Riester eingeführt als Möglichkeit, entweder in der Darlehensphase oder in der Ansparphase für eigen genutzten Wohnraum die Riester-Förderung in Anspruch zu nehmen. Im Jahr 2013 wurde die Riester-Rente im Bereich des Verbraucherschutzes, insbesondere der Informationspflichten, reformiert und in seiner Anwendung weiter flexibilisiert. Das sind die wesentlichen Reformen innerhalb der knapp 14 Jahre seit Einführung im Jahre 2001. Was hat sich seitdem an den ökonomischen Rahmenbedingungen geändert? Auf die globale Finanzmarktkrise 2008 folgte in vielen anderen Regionen der Welt eine ausgeprägte Konjunkturkrise, weshalb im angelsächsischen Raum von „Great Recession“ gesprochen wird. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgte jedoch nur in einem einzigen Jahr ein Konjunktureinbruch, danach setzte wieder relativ 8 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 stetiges Wachstum ein. In Europa mündete die Finanzmarktkrise aber in etlichen Ländern (auch durch die Übernahme der Schulden und Risiken privater Banken) in eine Staatsschuldenkrise, andere Beobachter sprechen auch von Eurokrise. Europaweit haben sich die Zinssätze daraufhin fast auf Null reduziert. Eine solche andauernde Niedrigzinsphase ist ein grundlegendes Problem für jede Form von kapitalgedeckter Vorsorge. Ein so niedriges Zinsniveau war zu Zeiten der Einführung der Riester-Rente nie erwartet worden. Auch der für die Lebensversicherungen zentrale Garantiezins ist auf 1,25 Prozent festgesetzt, das sind zwei Prozentpunkte weniger als zum Einführungszeitraum der Riester-Rente. Die weitere Entwicklung wird von Ökonomen nicht einheitlich prognostiziert. Einige erwarten eine Deflation bei niedrigen Zinsen, andere rechnen mit einem moderaten inflationären Prozess, der die Blasenbildung an den Kapital- und Vermögensmärkten auffängt. Jedenfalls muss auch mit der Möglichkeit einer Fortdauer der Niedrigzinspolitik mit gravierenden Konsequenzen für risikoarme Formen der Kapitaldeckung gerechnet werden. Bisher fehlt eine zureichende Datenbasis, ein vernünftiges System zur statistischen Erfassung der Riester-Renten. Daher weiß man heute in vielerlei Hinsicht zu wenig: Es fehlen Informationen zu den Kalkulationsgrundlagen der Anbieter, zu den Verwaltungskosten und Sterbetafeln, wir wissen noch nicht einmal etwas Genaues über die soziodemografischen Merkmale der Riester-Sparer. Im Vergleich zur Gesundheitspolitik ist dies eine erstaunliche Lage. Dort dient die Versorgungsforschung mit Krankenkassendaten dazu, Wissen über die Verläufe der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen für Verbesserungen im Gesundheitswesen nutzbar zu machen. Über die individuelle Inanspruchnahme der geförderten privaten Vorsorge und die Verläufe von Policen samt Phasen des Ruhens und Stornierungen existiert dieses Wissen nicht. Als Informationsgrundlage zur Bilanzierung der Riester-Rente kann auf Studien des DIW und der Friedrich-Ebert-Stiftung, diverse Renditeberechnungen einzelner Forschergruppen, vor allem aber auch auf die Daten zurückgegriffen werden, die der Grünen-Abgeordnete Kurth und seine KollegInnen in der Antwort auf ihre Kleine Anfrage von der Bundesregierung erhalten haben. Es besteht aber auch damit keine Möglichkeit festzustellen, wie viele Förderberechtigte es gibt. Die Zahl der Riester-Verträge ist mit aktuell 16 Millionen niedriger als die Hälfte der Zahl der geschätzt förderberechtigten Personen. Da es aber wohl nicht selten ist, dass eine Person mehr als einen Riester-Vertrag abschließt, ist zu vermuten, dass weniger als die Hälfte der Förderberechtigten auch Riester-Produkte erwerben. Der projizierten Auflistung können sie entnehmen, welche Vorsorgeformen in welchem Umfang genutzt werden. Bedeutsamer aber ist, dass die Gesamtzahl der Riester-Verträge beinahe stagniert: Es gibt kaum noch Zuwächse im Riester-Bereich. Wachstum zeigt sich allein noch beim WohnRiester. Nach wie vor ist die Inanspruchnahme der RiesterFörderung sowohl nach Geschlecht als auch nach Einkommen und Bildungsgrad höchst unterschiedlich. Hier verfügen wir nun über Daten aus der bereits erwähnten Bundestagsdrucksache, aus den Untersuchungen des MEA in München sowie des DIW In Berlin. Aus diesen Untersuchungen und Statistiken geht hervor, dass die Inanspruchnahmequote bei Personen mit Niedrigeinkommen bei ungefähr 15 Prozent liegt und bei Personen mit höherem Einkommen bei 42 Prozent. Besonders hohe Zulagenquoten bei Personen mit niedrigem Einkommen haben mithin nicht dazu geführt, dass diese Personengruppe das Produkt überdurchschnittlich oder auch nur durchschnittlich in Anspruch nimmt. Im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung wird in einer Modellrechnung für einen Standardrentner unterstellt, dass im Jahre 2020 125 Euro Riester-Rente erforderlich seien, um auf eine Gesamtversorgungsquote von 50 bis 51 Prozent zu kommen. Im Jahre 2028 werden bereits 247 Euro benötigt, um diese Versorgungsquote zu erreichen. Das ist eine nur für eine sehr kleine Gruppe erreichbare Summe. Denn nur 6,4 Millionen Personen hatten im Jahre 2010 ungekürzte Zulagen erhalten, das sind unter 20 Prozent aller Personen, die förderberechtigt sind. Das Bild von drei gleichen Säulen als Trägern der Alterssicherung ist also keineswegs aufrechtzuerhalten. Die gesetzliche Rentenversicherung hat ein Volumen von ca. 260 Milliarden Euro. Die Riester-Renten umfassen bisher ein Beitragsvolumen von mindestens 7,25 Millionen, wenn man nur die Zulagenfälle rechnet. Unter Einbeziehung der Riester-Renten, die eine Förderung durch Steuererleichterungen erhalten, sind es nach dem Sozialbericht der Bundesregierung 10,7 Milliarden Euro – ein verschwindend geringer Betrag im Vergleich zur gesetzlichen Rentenversicherung. Das könnte dazu führen, die Hoffnung eher auf die betriebliche Alterssicherung zu richten. Aber auch dort ist das Volumen recht gering: Ohne die Alterssicherung des öffentlichen Dienstes und die Beamtenversorgung macht die betriebliche Alterssicherung nur 24 Milliarden Euro aus. Die zweite und dritte Säule im privaten Sektor kommen zusammen – sehr grob geschätzt – nicht über 10% der Gesamtsumme der Alterssicherung in diesem Sektor hinaus. Die Bundesregierung ist aktuell der Ansicht, dass das Vorhaben der Riester-Vorsorge weiterhin Bestand haben kann. Jedoch wird nicht mehr eine möglichst alle Versicherten umfassende Nutzung der geförderten privaten Vorsorge angestrebt. Den wenigen offiziellen Äußerungen kann zudem eine gewisse Tendenz zur Umstellung auf ein Zweisäulensystem mit vorrangiger Stützung der betrieblichen Alterssicherung entnommen werden. Der Verband der betrieblichen Altersversorgung proklamiert ausdrücklich die Idee, die RiesterFörderung langsam auslaufen zu lassen und die betriebliche Alterssicherung als wesentliche Ergänzung der Gesetzlichen Rentenversicherung auszubauen – unter besonderer institutioneller Mittlerstellung der Tarifparteien. Die Bilanz der Riester-Rente sieht aktuell so aus: Zu geringer Abdeckungsgrad, kein Ausgleich der Leistungsverschlechterung in der GRV, kein Ausgleich sozialer Ungleichgewichte und keine neue tragfähige Architektur des gesamten Alterssicherungssystems. Gemessen an den ursprünglichen Zielsetzungen ist die Riester-Rente gescheitert. Die Einführung der Riester-Rente hat aber einen wichtigen Nebeneffekt erzeugt, womit ich zu dem zweiten Teil meiner Ausführungen gelange. Sie hat die Verbraucherpolitik in die Sozialpolitik geholt. Die Sozialpolitik war vor 2001 eine verbraucherschutzferne Sphäre, Akteure waren die Beteiligten in der Selbstverwaltung, die Versicherungsbürokratie und die Rentenpolitiker. Der Verbraucherschutz stand dieser Rentensphäre recht fern. Das hat sich inzwischen gänzlich geändert, auch weil die Riester-Rente eine zwar staatlich geförderte, aber im Kern privatrechtliche Beziehung darstellt. Nicht als Versicherte oder Leistungsbezieher treten die BürgerInnen auf, sondern als Kunden von Finanzdienstleistern. Differenzierter stellt sich das Bild allerdings dar, wenn die private Lebensversicherung einbezogen wird, die schon sehr lange eine wichtige Rolle in der deutschen Alterssicherung gespielt hat, auch weil sie früher steuerlich stärker gefördert wurde. In diesem mit der staatlichen Rentenpolitik wenig verknüpften Feld war der Verbraucherschutz schon seit längerem aktiv. Den bisherigen Höhepunkt der Einbeziehung verbraucherpolitischer Aspekte in die 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 9 Alterssicherungspolitik stellt das Altersvorsorgeverbesserungsgesetz aus dem Jahre 2013 dar. Im zweiten Panel dieses Workshops werden die Vorzüge und verbleibenden Probleme ausführlicher diskutiert werden können. So ist z.B. weiterhin noch umstritten, wie groß der Umfang der Informationspflichten sein sollte. Können die Aufsichtsbehörden wirklich begleitend kontrollieren? Soll es so etwas wie verpflichtende Kostengrenzen geben oder nur eine Anzahl anzuführender Kostenindikatoren und wenn ja, welche? Müssen diese auf dem Informationsblatt verkündet werden? Wie wird Rendite berechnet? Welche Sterbetafeln sind zulässig? Können die Firmen Sterbetafeln mit hohen Sicherheitsmargen oder firmenindividuell angepasste Sterbetafeln verwenden? Sollte bei den Abschluss- und Wechselkosten noch weiter eingegriffen werden? Und muss es nicht auch Sanktionen im Fall von Verstößen gegen diese Transparenzregeln geben? Die Kunden der Riester-Produkte könnten angesichts all dieser Fragen enorm von einem höchsten Maßstäben genügenden, in allen Aspekten transparenten Musterprodukt profitieren. Prämienrente gehen, die von mehr als 200 privaten Fonds und auch einigen staatlichen Trägern angeboten wird. Was spricht für ein solches Obligatorium? Es wäre ein gangbarer Weg, wieder zurück zur Lebensstandardsicherung zu kommen. Es würde vielen Menschen helfen, ihre Überschätzung des Gegenwartsnutzens zu überwinden. Es wäre ein kein neuer Zwang, sondern nur eine Erweiterung der Pflichtversicherung, wie sie die GRV kennt, nur für den Bereich kapitalgedeckter Vorsorge. Es gibt aber auch Gegenargumente. Die Begründungslasten für staatlichen Zwang steigen, wenn es um die Verpflichtung geht, privat zu sparen bzw. vorzusorgen vergleichbar mit der privaten KfzHaftpflicht. Es werden schließlich auch überschuldete Personen ohne eigene Vorsorgefähigkeit verpflichtet zu sparen, ohne dass von anderer Seite, wie bei den Arbeitgeberbeiträgen in der GRV, ein weiterer Beteiligter als Finanzier auftreten würde. Zudem ist die aktuelle Niedrigzinsphase sicherlich nicht besonders geeignet, Kapitaldeckung attraktiv erscheinen zu lassen. Damit komme ich bereits zu den Reformoptionen, die in dem letzten Panel ausführlicher verhandelt werden. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten einer Reform: Zunächst kann versucht werden, die Nachfrage nach privater Altersvorsorge zu steigern. So könnte man zum Beispiel die Zulagen oder die steuerlichen Anreize erhöhen, verändern oder umstrukturieren. Die zweite Möglichkeit besteht darin, auf der Angebotsseite verbesserte verbraucherpolitische Regulierungen zu implementieren. Im Bereich der Zertifizierung ließen sich ökologische Anlagekriterien einführen. Diese Möglichkeiten lassen sich durchaus miteinander kombinieren. Eine andere Reformidee besteht darin, ein Basisprodukt aus öffentlicher Hand könnte als weiteres Angebot den Riester-Markt beleben. Diese Idee wird auch seitens der Rentenversicherung Baden-Württemberg verbreitet. Das Basisprodukt vermeidet all die Nachteile, die die Riesterprodukte aufgrund ihres Angebots durch private Firmen mit sich bringen: Sterbetafeln mit Risikozuschlag, Intransparenz in der Kostengestaltung, hohe Provisionen und Marketingaufwendungen. Als Anbieter kommt daher nur ein öffentlicher Träger in Betracht. Es muss eine eigenständige, von der gesetzlichen Rentenversicherung abgetrennte Organisation sein. Aber ist es wettbewerbsrechtlich zulässig, wenn dieses Basisprodukt ohne Obligatorium eingeführt wird? Und selbst wenn dies erlaubt wäre, welche Folgen hätte dies? Könnte man die Riester-Rente noch retten, indem man sie öffentlich-rechtlich überbietet? Fraglich ist zudem, ob nicht doch, wie vor Einführung der Riester-Rente erwogen, ein Obligatorium sinnvoll wäre. Bei diesem Stichwort bietet es sich an, das schwedische Modell einer Rentenversicherung heranzuziehen mit einem Pflichtbeitragssatz von 18,5 Prozent, von dem 2,5 Prozentpunkte in eine kapitalgedeckte 10 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 PANEL I – DIE RIESTER-RENTE IM ALTERSSICHERUNGSSYSTEM. ENTWICKLUNG, PROBLEME, PERSPEKTIVEN Ulrike Herrmann Vielen Dank Herr Nullmeier. Diese Thesen werden wir jetzt in Panel I weiter diskutieren, Herr Nullmeier und ich werden dazu auch die Plätze tauschen. Das erste Panel wird sich mit der Frage beschäftigen, ob Riester gescheitert ist? Die beiden Kontrahenten treffen sich nicht nur hier, sondern besonders gern auf Twitter, und wir werden jetzt den Twitter-Schlagabtausch versuchen, live nachzustellen. Auf der einen Seite Peter Schwark, Volkswirt und Geschäftsführer bei der GDV für die Themen Lebensversicherung und Altersvorsorge, und auf der anderen Seite Axel Kleinlein, Diplommathematiker, jetzt Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten. Ich kann seinen Lebenslauf nicht komplett zusammenfassen, aber Stationen waren unter anderem die Allianzversicherung und die Stiftung Warentest. Es gilt für beide, dass sie ihr ganzes Berufsleben mit Altersvorsorge und Lebensversicherung verbracht haben. Da wir ja nun schon einen längeren Vortrag hatten, würde ich es gerne künftig so machen, dass es keine Eingangsstatements mehr gibt, sondern dass wir gleich in die Diskussion einsteigen. Wir werden versuchen, die Panel untereinander abzugrenzen. Jetzt schauen wir in Panel I auf die Makroökonomie und die Sicht der Versicherungswirtschaft. Im zweiten Panel werfen wir den Blick auf die Verbrauchersicht. Herr Schwark, wir fangen mit Ihnen an. Einfache Frage, ist Riester gescheitert? Wenn man Herr Nullmeier hört, muss man eigentlich sagen, an dem Produkt ist nichts gut und alles reformbedürftig. Sehen Sie das auch so? DR. PETER SCHWARK Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Nein. Ich glaube auch nicht, dass Professor Nullmeier das gesagt hat. Er hat sich ja mit der gesamten Reform, Agenda, Diskussion, Historie und Verlauf auseinandergesetzt und die Riester-Rente ist nur ein Teil davon. Wenn ich auf die Riester-Reform zurückschaue ist das ja nichts anderes als das, was Herr Blüm sich unter der vorherigen Regierung schon unter einem anderen Namen überlegt hatte. Das ist im Bundestagswahlkampf von der SPD kassiert worden. Damit hat man die Wahl gewonnen. Auch diese Mal wurde die Wahl ja mit einem sehr teuren Rentenpaket gewonnen. Aber der demografische Wandel fordert seinen Tribut, die neue Regierung unter Rot-Grün musste akzeptieren, dass man den gleichen Weg der Rentenreform doch wieder gehen musste. Man tut rentenpolitisch quasi das Gleiche, nennt es nur anders. Schauen wir auf den demografischen Wandel. Der Jahrgang 1964 ist mit 1,4 Millionen Menschen der geburtenstärkste Jahrgang der Babyboomer. Der Jahrgang 2004 umfasst hingegen nur noch ungefähr 700.000 Menschen. Das sind die demografischen Realitäten. Und deshalb ist die Riester-Reform selbst alternativlos – Entschuldigung für dieses Wort –, und deshalb ist sie auch nicht gescheitert. Sie ist eine richtige Antwort auf den demografischen Wandel. Der Unterschied zur Vorgängerregierung war, dass man zusätzlich zur Renten-Reform die Riester-Rente eingeführt hat. Den Menschen wurde ein Angebot zum Ausgleich der entstehenden Versorgungslücken gemacht. Ich glaube wir würden jetzt Zeit verschwenden, wenn wir diskutieren, ob die Versorgungslücke nun damit zu 100 Prozent, zu 110 Prozent oder zu 90 Prozent geschlossen wird. Diese Frage ist letztendlich irrelevant. Fakt ist, dass die Versorgungslücken entstehen, ob die Politik dies will oder nicht. Es sei denn, sie akzeptiert, die jüngeren Generationen massiv überzubelasten. Das kann irgendwann zu einer Revolte führen. Weil die Politik das sicher nicht will, hat sie auch anders gehandelt. Die Riester-Reform ist insofern überhaupt nicht gescheitert, auch weil 16 Millionen Menschen das Angebot angenommen haben, das der Staat hier im Bereich der nachgelagerten Besteuerung oder über Zulagenförderung formuliert hat: nämlich für das Alter vorzusorgen. Eine berechtigte Frage ist sicherlich, warum die anderen 16 Millionen Menschen nicht auf diesem Weg vorsorgen. Viele haben, das sagen Umfragen, bereits anderweitig vorgesorgt. Manche haben auch kein Geld. Ich glaube, die meisten Menschen machen etwas Vernünftiges – eine nicht geförderte Rentenversicherung, eine Immobilienfinanzierung oder die Riester-Rente. Die Dinge fügen sich 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 11 ineinander. Ich kann nicht sehen, dass es tatsächlich irgendetwas gibt, was diesen Paradigmenwechsel fundamental in Frage stellt. Selbst die Niedrigzinsphase nicht. Die ist ja kein Thema, das den demografischen Wandel in irgendeiner Art und Weise relativiert. Wenn durch niedrigere Zinsen aus Vorsorgeprodukten heute weniger herauskommt, dann kann es nur eine einzige Folgerung daraus geben, nämlich mehr vorzusorgen. Und da ärgert mich das Nichtstun der Politik, dass man sich hier auf den Förderbeträgen einer anderen Zeit ausruht, aus 2001, mit höheren Zinsen und noch niedrigeren Einkommen, dass man den Vorsorgebedarf der Bevölkerung nicht begleitet, indem jetzt heute angepasst an die Entwicklung auch höhere Vorsorgemöglichkeiten geboten werden. Um 30 Prozent sind die Einkommen seit 2001 gestiegen, die Riester-Rente ist um Null Prozent ausgedehnt worden. Anders die betriebliche Altersvorsorge, die dynamisch ausgestaltet ist. Wir müssen die Reform nach vorne weiter entwickeln und nicht zurück. Ich glaube das Zurückdrehen der Reformen, das wäre ein großer Fehler. Ulrike Herrmann Sie haben jetzt gesagt, eigentlich müsste man noch mehr Riestern. Aber es ist ja so, dass sogar die ersten Versicherungen sich aus der Riester-Rente wieder zurückziehen. Beispielsweise will ERGO direkt gar keine Riester-Verträge mehr anbieten. Gleichzeitig konzentrieren sich die Riesterverträge letztlich auf wenige Versicherungsanbieter. Würden Sie sagen, dass aus der Sicht der Verbraucher noch einen Wettbewerb bei den Anbietern gibt? keinen Mangel an Anbietern. Dass der eine oder andere vielleicht auch ausländische Versicherer anders gesteuert wird und entscheidet, wir ziehen uns aus dem deutschen Markt mit klassischen Garantieprodukten ganz zurück, das steht auf einem anderen Blatt. Aber dies ändert fundamental überhaupt nichts an dem vollkommen ausreichenden Angebot mit RiesterVerträgen. Ulrike Herrmann Das klassische Misstrauen des Verbrauchers ist ja, dass Riester sowieso nur ein gigantisches Subventionsprogramm für die Versicherungswirtschaft war – und er selbst nichts davon hat. Es wurde sehr schön deutlich, dass man endlos sparen muss, um auf minimale Rentenbeträge zu kommen. Es entsteht der Eindruck, dass eigentlich nur die Allianz profitiert hat und natürlich Herr Maschmeyer. Aber ich kann mir vorstellen, dass Sie das nicht so sehen. Dr. Peter Schwark Gut, die Riester-Rente ist ein schönes populäres Thema, da kann man eine ganze Menge Kritik darüber ausgießen. Aber die Kritik ist großteils falsch. Ich selbst habe zum Beispiel einen RiesterVertrag. Ich erwarte daraus eine Rente von rund 500 Euro. Wer nur die Hälfte des Höchstbeitrags einzahlt, der kann auch eine Rente von 200, 250 Euro erwarten. Die Zahlen, die wir vorhin gesehen haben, sind überhaupt nicht unerreichbar. Ulrike Herrmann Wie viel zahlen Sie denn monatlich ein? Dr. Peter Schwark Dr. Peter Schwark In jedem Fall, wir haben als Anbieter die Lebensversicherer, Fondsgesellschaften, Banken und die Bausparindustrie. Wir haben hier einen sehr, sehr lebhaften Wettbewerb. Wenn sich ein einzelner Direktversicherer zurückzieht, der schon vorher entschieden hat, in dem Geschäft nicht mehr aktiv sein zu wollen, weil er die Beratungsleistung nicht anbieten kann und möchte und seine 6000 Verträge – um die ging es hier – an einen anderen Versicherer überträgt, damit sie effizienter verwaltet werden, dann zeigt das umgekehrt, dass der Wettbewerb und das wirtschaftliche Denken in den Unternehmen funktionieren, dass man letztendlich auch auf die Kosten schaut. Mangel an Wettbewerb ist überhaupt nicht das Problem. Ich sehe auch Ich zahle den Höchstsatz ein und ich habe netto, also nach Steuererstattung, ungefähr 11.500 Euro eingezahlt. Mein aktuelles Vorsorgekapital beträgt 25.000 Euro, mit einer klassischen Riester-RentenVersicherung! Ich weiß nicht, wo hier überhaupt das Problem ist. Die Produkte werden systematisch schlecht geredet, das sehe ich als Problem an. Wer eine Riester-Rente hat, sie sich anschaut und rechnet, der sieht, das ist eine attraktive Sache. Auch wenn ich mir jetzt zum Beispiel die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung oder des DIW ansehe, die übrigens alle, Kompliment Herr Kleinlein, unter Ihrer Autorenschaft stehen – tatsächlich kenne ich überhaupt keine namhafte Riester-Studie, die nicht von Ihnen geschrieben worden wäre –, dann muss ich sagen, die Kritik an den einkalkulierten 12 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Lebenserwartungen, die die Lebensversicherer unterstellen, zielt ins Leere. Es gibt nämlich dafür schon eine Lösung. Die nennt sich Überschussbeteiligung. Risikoüberschüsse müssen seit 2014 sogar zu mindestens 90 Prozent den Kunden gut geschrieben werden, sodass die Frage, mit welchem Sicherheitszuschlag eine Rente kalkuliert wird, im Prinzip keine Rolle spielt. Wenn der Vorschlag der Rentenversicherung in Baden-Württemberg deshalb beispielhaft sein soll, weil man dort über 30 oder 60 Jahre in die Zukunft ganz ohne Sicherheitszuschläge rechnen möchte, da kann ich nur sagen, das ist unvernünftig. Sicherheitszuschläge sind gesetzlich vorgegeben. Wer den Kunden etwas verspricht, der muss auch alles tun, um sein Versprechen einzuhalten. Dazu gehören eben Sicherheitszuschläge in der Kalkulation. So was als Positiv-Beispiel zu feiern, das finde ich schon etwas merkwürdig. Ulrike Herrmann Erst mal vielen Dank Herr Schwark, jetzt kommt Herr Kleinlein dran, der schon die ganze Zeit empört geschnauft hat. Zunächst die Einstiegsfrage an Sie, die auch Herrn Schwark gestellt wurde: Würden Sie sagen, Riester war ein Irrweg? Sollte man das Produkt abschaffen, oder hat Herr Schwark Recht, dass es eigentlich eine unglaublich profitable Geldanlage ist? AXEL KLEINLEIN Bund der Versicherten Leider ist Riestern ein Irrweg. Riester ist gescheitert. Ich kann Herrn Schwark Recht geben, wenn er meint, dass unter der Prämisse, die Riester-Rente wäre alternativlos und zum zweiten, man auch gar nicht gucken müsse, wie viel von der Lücke geschlossen wird, ob es ein Totalverlust ist oder nicht, dass wenn man diese beiden Prämissen setzt, man natürlich zum Ergebnis kommt, Riestern macht Sinn. Aber ehrlich gesagt, möchte ich stattdessen ein Prinzip haben, bei dem man hinterfragt, welche Alternativen ich denn habe. Und es gibt in der Tat Alternativen zu einem Riester-Konzept, selbst innerhalb des RiesterKonzeptes gab es sehr, sehr verschiedene Ansätze. Wenn man mit Walter Riester spricht, dann kann man auch durchaus feststellen, dass es ganz verschiedene Ideen gab, die dann eben zum Teil einfach nicht umgesetzt wurden und nicht den Weg in die Umsetzung gefunden haben. Ulrike Herrmann Aber bleiben wir bei der Bestandsaufnahme. Das Panel III macht ja die Alternativen. Herr Schwark hat implizit referiert, was den Versicherungsunternehmen immer vorgeworfen wird: Nämlich, dass diese völlig sinnlose Sterbetafeln kalkulieren, um dann große Überschüsse zu produzieren, die sie bei sich selbst parken und nicht an den Versicherten ausschütten. Dieser Vorwurf sei Quatsch, es gäbe ja die Überschussbeteiligung der Versicherten von 90 Prozent. Die Sterbetafel sei daher egal, würden Sie das auch so sehen? Axel Kleinlein Auf keinen Fall, denn im Moment geht’s ja erst los, dass überhaupt die ersten Rentner in den Rentenbezug gehen. Wenn diese Rentner erheblich früher versterben als kalkuliert, fallen ja erstmals überhaupt nennenswerte Risikoüberschüsse an. Das ist der erste Punkt: Hier haben wir einen Generationeneffekt. Der zweite ist, dass die Unternehmen ja nicht mit ein und derselben Sterbetafel kalkulieren, sondern mit sehr, sehr unterschiedlichen Sterbetafeln. Wenn Sie heute eine Riester-Rente abschließen, dann wird Ihnen mal eine Lebenserwartung von Mitte 90 und mal eine Lebenserwartung von knapp 110 unterstellt, je nachdem bei wem sie abschließen. Das führt natürlich zu enormen Verwerfungen in diesem ganzen Bereich der Risikoüberschussbeteiligung. Wir sind froh, dass die Risikoüberschussbeteiligung ab diesem Jahr rein rechnerisch mit 90 Prozent einer Beteiligung auf den Weg gebracht wird. Aber diese Beteiligung fließt ja nicht sofort an die Kunden. Diese 90 Prozent fließen erst mal in die Rückstände für Beitragsrückgewähr, dort können sie in die freie RfB gestellt werden. Das kann durchaus eine sehr, sehr lange Zeit dauern, bis überhaupt irgendwann mal irgendwie irgendwelche Euros und Cents aus diesen Werten bei den Kunden landen. Nachvollziehbar ist das nicht und wir wissen mittlerweile durch den BGH, dass eine Nachvollziehbarkeit auch gar nicht erwünscht ist. Das was wir erleben, sowohl bei der Riester-Rente als auch bei den ganzen anderen Lebensversicherungsprodukten, ist eine massive Intransparenz. Die führt dazu, dass die gesamten großen Bewegungen, wie viel Geld insgesamt an Überschussbeteiligung irgendwohin fließt, überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, weder für den Kunden noch für den Experten. Das ist eine Blackbox der übelsten Sorte. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 13 Ulrike Herrmann Sie haben ja hier die einmalige Chance, im Reichstag Ratschläge zu verteilen. Würden Sie der Grünen Fraktion empfehlen, jetzt zu sagen, hier müssen Kalkulationsvorgaben zu den Sterbetafeln her. So dass man sich als Versicherungsunternehmen nicht mehr überlegen kann, was für eine Sterbetafel man sich selber zusammen rechnet, sondern dass die Politik vorgibt, wie die Sterbetafel auszusehen hat? Axel Kleinlein Also, wenn man „Wünsch Dir Was“ spielen würde, ja. Aber das Ganze scheitert schon an Brüssel. Das wird nicht möglich sein. Was wir aber tun können, ist eine Aufsichtsbehörde zu forcieren, die hier mit einem erheblich schärferen Auge guckt. Wir haben im Ausland durchaus Aufsichtsbehörden, die sagen, wir haben eine Zielsterbetafel, die finden wir vernünftig. Jeder der davon abweicht, insbesondere von der Lebenserwartung nach oben hin stark abweicht, der muss das sauber begründen. Das wäre der richtige Weg. Dazu bräuchten wir aber eine Aufsichtsbehörde, die mit einem starken Rückgrat hergeht und der Versicherungswirtschaft einfach mal Kontra und Paroli bietet. Ulrike Herrmann Aber es gibt doch eine Aufsichtsbehörde? Axel Kleinlein Es gibt eine Aufsichtsbehörde, ich wünsche mir aber eine Aufsichtsbehörde mit einem starken Rückgrat, die haben wir im Moment nicht. Ulrike Herrmann Noch mal eine Frage, die ich auch schon an Herrn Schwark gestellt habe. Was die Verbraucherwirklich beschäftigt, ich muss zugeben, auch mich, ist die Frage, wer eigentlich von den Riester-Verträgen profitiert hat? Ist es eine Milliardensubvention für die Versicherungen gewesen, ja oder nein? Axel Kleinlein Also die Versicherungswirtschaft besteht ja nicht nur aus den Versicherungsunternehmen. Hier sehe ich gar nicht so hohe Gewinne, die durch Riester 14 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 eingefahren worden sind. Eher im Vertrieb. Sie hatten ja schon den Namen Maschmeyer genannt. Er hatte damals auch schon davon gesprochen, dass man mit Hilfe der staatlich geförderten Altersvorsorge richtig viel Geld verdienen kann. Ich vermute, da ist viel gelandet, aber sehr, sehr viel Geld ist einfach in einer unglaublichen Ineffizienz dieses gesamten Systems versickert. Wir haben eine Bürokratie, die ist enorm und überbordend ist .Ausnahmsweise muss man hier nicht den Versicherungsunternehmen den schwarzen Peter zuspielen. Da ist von der Politik richtig was falsch gemacht worden. Aber natürlich sind die Verwaltungskosten der Unternehmen auch nicht ohne. Ich kann es an der einen oder anderen Stelle auch nicht verdenken, denn diese Verträge zu verwalten, ist kein Spaß. Nicht von ungefähr hat sich einer der größten Direktversicherer eben aus dem Riester-Geschäft verabschiedet. Es ist einfach nicht mehr rentabel, wenn man den entsprechenden Ausführungen der Versicherungsmanager Glauben schenken darf. Unterm Strich: Riester hat dem Vertrieb was gebracht. Ulrike Herrmann Und Arbeitsplätze geschaffen? Axel Kleinlein Und Arbeitsplätze geschaffen, nicht zuletzt auch bei den Beamten. Ulrike Herrmann Noch mal eine Frage, die Herr Schwark auch schon beantwortet hat, jetzt aus Ihrer Sicht. Herr Schwark hat gesagt, okay wir haben Niedrigzinsen. Das Ergebnis muss aber sein, dass man noch mehr riestert, also andere Vorsorgemaßnahmen betreibt, um diesen Zinsverlust auszugleichen. Was sagen Sie zu dem Thema Niedrigzinsen? Kann man sagen, Riester ist komplett unrentabel? Von Ihnen gibt es den Spruch, man hätte das Geld genauso gut im Sparstrumpf anlegen können. Oder sehen sie auch einen anderen Ausweg aus dieser Niedrigzinszeit? Axel Kleinlein Zunächst mal als allerwichtigstes: Wenn ich jetzt hier höre, dass aufgrund der Niedrigzinsphase einfach noch mehr gespart werden soll, dann ist das zynisch. Viele von denen, die eigentlich eine zusätzliche Altersvorsorge dringend nötig haben, sind genau diejenigen, die eben nicht die Mittel haben noch etwas mehr zu sparen. Also, das ist schon ausgesprochen zynisch. Die Niedrigzinsphase zeigt jetzt natürlich genau die Schwächen der kapitalgedeckten Vorsorge. So stark vorgeführt wurde noch nie, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge gar nicht richtig funktioniert. Wir sollten deswegen nicht hergehen und sagen, wir sehen keine Alternative, Riester wäre alternativlos, sondern im Gegenteil. Wir sollten dringend nach Alternativen suchen, auch wenn das Teil des dritten Panels ist, ist es ganz wichtig, dass man auch eben aus der ökonomischen Sichtweise heraus die Aufforderung begreift, dass wir uns um neue Möglichkeiten kümmern müssen. Wir brauchen andere Lösungen, als nur das, was wir bisher kennen. Ulrike Herrmann Letzte Frage: Über das Basisprodukt reden wir ja noch, aber die andere Alternative ist, was auch in den Zahlen von Herrn Nullmeier sehr deutlich wurde: Wir gehen einfach komplett zur Umlageversicherung zurück. Wir stärken die gesetzliche Rentenversicherung, da ist ja sowieso das meiste Geld, und wir lassen den ganzen Unsinn mit – naja, das ist jetzt ein bisschen polemisch formuliert - wir lassen das Experiment kapitalgedeckter Altersvorsorge. Das war ein Experiment, das man rechtfertigen kann. Aber jetzt weiß man, dass es nicht funktioniert. Würden Sie diese Sicht teilen oder finden Sie, man muss doch irgendwie eine Alternative zur Umlageversicherung betreiben? Axel Kleinlein Erst mal ganz knallhart aus Sicht des Bunds der Versicherten. Wir kümmern uns um die privat Versicherten. Da wären wir, in dem Moment wo man sagen würde, Kapitaldeckung wird vollständig gestrichen, natürlich gut raus. Dann bräuchten wir diese ganzen schlechten und miesen Produkte der Lebensversicherer nicht mehr zu beäugen und weiter begleiten. Dann können wir uns um vernünftige Themen kümmern. Es gibt auch viele Punkte, wo die Versicherer sinnvolle Sachen machen, wie bei der Haftpflicht. Aber angesichts der demografischen Entwicklung ist es auch klar, dass wir uns auf jeden Fall damit auseinandersetzen müssen, wie wir auf diese demografische Entwicklung antworten müssen. Da sind die Politiker gefragt, deswegen sind wir hier im Reichstag auch genau richtig. Wir als Verbraucherverband sind nicht diejenigen, die die Konzepte zur Lösung unserer demografischen Probleme vorlegen müssen. Aber letztlich werden wir nicht umhin kommen, das zu diskutieren. Ulrike Herrmann Erstaunlich, also zwischen den beiden gibt’s doch Einigkeit. Wir haben hier Herrn Kurth, sozusagen als Schiedsrichter, was nehmen Sie mit? MARKUS KURTH Als Schiedsrichter sehe ich mich hier durchaus nicht, sondern ich will einfach die sozialpolitische Perspektive einnehmen. Da erschüttert mich wirklich geradezu das, was wir in unserer Anfrage rausbekommen haben, nämlich dass der Grad der Abdeckung so gering ist. Wenn nur 6,4 Millionen Anspruchsberechtigte in vollem Umfang, also mit vier Prozent ihres Einkommens vorsorgen, dann heißt das, dass die Nichtabdeckung wirklich riesig ist. Bei den jetzigen Zuwächsen, gut 400.000 mehr Riester-Versicherungen oder ein Zuwachs von 2,3 Prozent, dauert es ungefähr fünfzig Jahre, bis alle Anspruchsberechtigten auch mit einem RiesterVertrag versehen sind. Und da muss man sich als Sozialpolitiker fragen, ob öffentliche Mittel an dieser Stelle richtig eingesetzt sind. Es geht uns ja jetzt nicht darum, private Altersvorsorge zu diskreditieren. Da kann man sicherlich vieles verbessern und da werden wir ja auch noch aus verbraucherschutzpolitischer Perspektive einiges diskutieren. Aber ich muss mir ja die Frage stellen: Ist diese Mechanik denn aufgegangen? Die Versorgungslücke von der Sie sprachen, Herr Schwark, die ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern die ist ja teilweise erst durch Riester gerissen worden. Das war ja gerade die Logik und die Idee des Ganzen, dass man die so genannte Riester-Treppe macht. Auf der einen Seite die Abstufung des Rentenniveaus und auf der anderen Seite der Ausbau der Zulagenförderung, wobei man davon ausgeht, dass vier Prozent Rendite jedes Jahr zu erreichen sind. Diese vier Prozent Rendite auf vier Prozent vom Brutto ist ja eine Zahl, die in der Begründung zum Gesetzentwurf steht. Das ist tatsächlich die Kalkulation des Gesetzgebers gewesen. Und mir ist völlig schleierhaft, wie man überhaupt an diese vier Prozent in der näheren Zukunft rankommen will. Um die Niedrigzinsphase jetzt wieder auszugleichen, müssten in Zukunft Renditen von 6, 7 oder 8 Prozent erwirtschaftet werden. Mir scheint das praktisch überhaupt nicht machbar und insofern kann diese Mechanik Absenkung Rentenniveau bei gleichzeitigem Aufbau einer äquivalenten privaten Förderung gar nicht funktionieren. Dann sieht man noch, dass eigentlich Leute gefördert werden, die keine zusätzliche Förderung bräuchten. Zum Beispiel 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 15 Männer in Einkommensgruppen oberhalb von 65.000 Euro Jahreseinkommen. Eine Fehlallokation von öffentlichen Mitteln ist offensichtlich. Zumindest vorerst muss ich zu dem Schluss kommen und es gibt wenige Argumente, die dagegen sprechen. Die andere große Gruppe, die Riester gefördert sparen, Frauen ohne Einkommen, können das sehr gut einsetzen, erst recht wenn sie Kinder haben. Aber man darf vermuten, dass es sich in vielen Fällen um die Ehefrauen eben jener Männer, die mehr als 65.000 Euro verdienen, handelt. Insofern bleibt im gesamten Bereich der Geringverdiener wenig übrig. Sie werfen uns als Politik nun generell vor - auch wenn wir jetzt in der Opposition sind - wir würden nichts tun. Die Optionen, die man da machen kann, sind ja auch schwierig. Sollten wir jetzt die Zulagen einer Förderung noch mal aufbauen und anpassen, dann werden aber diese Fehlallokationen noch mal verstärkt. Das läuft dann nach dem Motto, wer hat, dem wird gegeben. Und die andere Alternative, die ja gerne immer gebracht wird, ist die Erhöhung der Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter. Denn auch Sie haben erkannt: Das machen gerade viele Geringverdiener nicht, da es für sie unlogisch ist, wenn nachher die gesamte Riester-Rente in der Grundsicherung in der Anrechnung landet. Aber ein Freibetrag ist auch nicht so ohne weiteres zielführend, denn wenn ich den für die private geförderte Altersvorsorge einführe, dann stellen sich die gesetzlich Versicherten die Frage, warum das denn eigentlich nicht für sie gelten soll. Dann führen wir womöglich noch in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Art Freibetrag ein. Da habe ich allerdings persönlich die Befürchtung, dass das gesamte System ins Rutschen kommt, weil wir uns dann auf dem Weg zu einer Kombi-Rente bewegen. Die Frage des Rentenniveaus wird anders diskutiert werden, weil es gerade bei niedrigeren Renten immer heißen wird, „das kann man ja schön mit der Grundsicherung kombinieren“. Damit wird das Umlagesystem und seine Legitimität unterhöhlt. Das kann man vernünftigerweise auch nicht wollen. Ich bin mir ja bewusst, Herr Schwark, dass Sie und ihre Branche jetzt in einer wirklich schwierigen Situation sind. Aber für mich stellt sich ein ganz enormer Begründungsbedarf, warum man diesen Pfad noch weiter beschreiten will. Ulrike Herrmann Herr Schwark, Sie sehen aber gar nicht so besorgt aus. 16 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Dr. Peter Schwark Nein, überhaupt nicht. Zum einen muss ich sagen, diese vier Prozent Rendite, wer hat die noch mal gleich aufgeschrieben? Welche Regierung war denn damals am Ruder? Das war Rot-Grün. Das war zwar zu einem Zeitpunkt, als die Zinsen durchaus noch bei 6 Prozent lagen. Das will ich deshalb auch überhaupt nicht vorwerfen. Nur: Wenn die Zeiten sich verändern, dann muss man die Dinge eben erneut prüfen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Ich hatte schon gesagt, die Schlussfolgerung gar nicht mehr vorzusorgen, ist sicherlich die falsche. Es ist eher die Frage, mit welchem Zinsniveau man heute realistisch rechnen kann. Da geht’s gar nicht darum, ob man die Produkte der Lebensversicherer, der Fondsindustrie, der Banken oder der Bausparindustrie betrachtet. Die niedrigen Zinsen treffen natürlich alles. Sie träfen auch irgendwelche Staatsfonds, vielleicht sogar noch viel stärker, wenn Sie jetzt in so einer Situation neu starten müssten und die ganzen Startinvestitionen zu stemmen hätten. Fakt ist, die Versorgungslücke ist demografiebedingt. Die Politik gibt Antworten auf Fragen, die auf dem Tisch liegen. Die RiesterReform hat die Antwort des Riester-Faktors gegeben. Der Kern war aber nicht, dass die Politik wirklich meinte, wir müssen jetzt die Beiträge für die Riester-Vorsorge im Rentenniveau berücksichtigen. Das muss man heute als Beobachter auch mal kritisch sagen: Das ist ein Märchen, das damals der Bevölkerung von RotGrün erzählt wurde. Man wollte einfach nur den im Wahlkampf verbrannten Begriff „demografischer Faktor“ vermeiden. Deshalb hat man die so genannte Riester-Treppe exakt dem demografischen Faktor von Herrn Blüm nachgebildet. Dass man das dann anders verkaufen wollte, kann ich im Sinne von Politikmarketing nachvollziehen. Aber man soll das doch bitte heute nicht mir vorwerfen. Schon gar nicht als Vertreter einer Partei, die diese Politik damals mitgestaltet hat. Die Riester-Förderung, sie ist zielgruppengerecht. Wer bekommt denn die Zulagen? Die Zulagen sind ja die eigentliche Förderung, weil die steuerliche Abziehbarkeit lediglich dem verfassungsrechtlichen Gebot entspricht, den wir auch in der betrieblichen Altersversorgung und in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Wer 65.000 Euro verdient, für den spielen Zulagen praktisch keine Rolle, der profitiert wirtschaftlich allein von der steuerlichen Abzugsmöglichkeit. Ich kenne zufällig die Statistik: Die Gruppe derer, die 65. bis 67.000 Euro verdienen, ist zwar tatsächlich die Größte in der ganzen Statistik. Aber sie ist es nur deshalb, weil alle Besserverdiener sich dort sammeln, also auch die mit mehr als 67.000 Euro. Denn in dieser Gruppe geht es um die Leute, die mindestens entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze verdienen. Das sind gerade fünf Prozent der Riester-Sparer. Also alle die 65.000 Euro und mehr verdienen mit einem Riester-Vertrag machen nur fünf Prozent der Sparer aus. Und bei den Zulagen? 57 Prozent der Zulagen gehen an Frauen. Die Hälfte aller Zulagen entfallen auf Kinderzulagen. Eine stärker zielgruppengerechte Förderung kann ich mir aus der Analyse der Zulagendaten überhaupt gar nicht vorstellen. Und ich kann nur sagen, wenn man sich nun ein neues Modell überlegt, dann werden Frauen, dann werden Familien und dann werden Ostdeutsche die Verlierer sein. Denn die sind die aktuellen Gewinner der Riester-Rente. Das sind eben nicht die besserverdienenden männlichen Singles in Westdeutschland, im Gegenteil, die machen großteils irgendetwas anderes. Von den Zulagen profitieren genau die angepeilten Zielgruppen der Sozialpolitik. So sind die Hälfte der Riester-Sparer Geringverdiener mit unter 20.000 Euro Einkommen. Ich kann an den Zahlen nur erkennen, dass Riester – wenn man sich das ganze Thema sozialpolitisch anguckt – genau das im Ergebnis ist, was man wollte. Wenn jetzt auch nicht alle mitmachen, wenn wir selbstkritisch über einen Grad der Abdeckung von „nur“ 50 Prozent reden, dann wird sich wundern, wer das im internationalen Vergleich betrachtet, was wir in Deutschland an Verbreitungsgraden mit einem freiwilligen Vorsorgemodell geschaffen haben. Ich kenne kein Land in der ganzen Welt, wo man mit einem freiwilligen Ansatz eine so hohe Verbreitung erreicht hat. Und politisch, auch haushaltspolitisch: Jeder, den man mit Riester nicht erreicht, der kostet den Finanzminister ja auch nichts. Ja, wo ist dann die Verschwendung von Steuermitteln also das Problem? Ursprünglich wurde mal mit 15 Milliarden Euro bei Vollinanspruchnahme gerechnet, tatsächlich kostet es heute nur drei Milliarden Euro. Und damit haben wir die Hälfte der Berechtigten erreicht. Natürlich kann man alles besser machen, ich meine auch, wir müssen noch mehr Menschen erreichen, das ist auch unsere Aufgabe als Anbieter. Die Bürger müssen auch mehr vorsorgen. Wenn die Kunden ihre Zulagen nicht voll ausschöpfen, dann ist das ein Punkt. Aber unsere Unternehmen schreiben die Kunden jedes Jahr an und mahnen, „ihr habt das nicht ausgeschöpft, überprüft das bitte“. Dagegen steht natürlich eine gewisse Trägheit beim Einzelnen. Es stellt sich da schon die Frage, wer ist jetzt der richtige Adressat der Kritik? Ich bin jedenfalls auch der Meinung, dass manche Kritiker wahre Krokodilstränen vergießen wenn sie beklagen, dass die Riester-Rente jetzt stagniert. Insbesondere wenn es genau diejenigen sind, die die ganzen letzten drei Jahre die Riester-Rente massiv öffentlich kritisieren. Da darf man sich nicht wundern, dass die Leute davor zurückschrecken. Herr Kleinlein – noch mal an dieser Stelle mein Kompliment, dass Sie da so viele Studien auf den Weg gebracht haben, von Ökotest über die Friedrich-Ebert-Stiftung bis zur DIW-Studie in 2011, nach der es im Riester-Neugeschäft so richtig eingebrochen ist. Die Grundsicherungsthematik, ich erinnere an den Monitorbericht in 2008, war auch ein schwerer Schlag. Ich glaube, das sich die Politik auch fragen muss, stehen wir weiter hinter dieser Weichenstellung? Ich hab das Gefühl nicht wirklich. Aber dann den Anbietern das vorzuwerfen, dass nicht alle riestern, das halte ich für falsch. Herr Kleinlein, ich will hier gar nicht im Detail auf Ihre doch mit vielen Kraftworten belegte Kritik an Lebensversicherungsprodukten im Einzelnen eingehen, ich will nur sagen, ich teile sie nicht. Die Kosten bei den Lebensversicherungsprodukten in the long run sind absolut wettbewerbsfähig, in der Regel sogar niedriger als die von Wettbewerbsprodukten. Natürlich haben wir zu Beginn der Vertragslaufzeit höhere Kosten, das will ich zugestehen. Aber dafür sind wir auch in der Lage, die Menschen zu erreichen, das zeigt auch unser Marktanteil bei Riester mit knapp 11 Millionen Verträgen. Wenn ich mich frage, was ist das Teuerste in der freiwilligen Altersvorsorge? Das Teuerste ist Zeit. Wer ein oder zwei Jahre später abschließt, verliert viel, viel mehr Geld, als das was an Abschlusskosten eingerechnet werden kann. Zudem hat der Gesetzgeber mit dem LVRG uns noch weitere Daumenschrauben angesetzt. Die Abschlusskosten werden ab 2015 noch mal deutlich reduziert, das ist gar keine riesterspezifische Angelegenheit. Sie betrifft alle Lebensversicherungsprodukte. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 17 Von daher sehe ich, dass der Zug absolut auf dem richtigen Gleis steht. Jetzt müssen nur alle auch mal anfangen, den Zug wieder mit anzuschieben und dürfen sich nicht allein ins Bremserhäuschen setzen. Das ist – wie gesagt – durchaus auch ein Appell an die Politik. Ulrike Herrmann Ich kann mir vorstellen, dass sie beide jetzt ganz viel sagen wollen, aber ich würde das doch gerne zurückstellen. Ich würde jetzt gerne Fragen zulassen, und dann kommen Sie dran, Herr Kleinlein. Wir sammeln die Fragen, damit es schneller geht. Sie wissen ja, um halb drei ist schon wieder Pause, fünf Minuten mehr, sonst verschieben sich auch alle anderen, das wollen wir ja nicht. Deswegen kommen Sie jetzt dran mit Ihren Fragen. Herr Kleinlein, Herr Schwark und auch Herr Kurth schreiben sich das auf, und dann ist als erstes mit der Beantwortung dieser Fragen Herr Kleinlein dran. Wer hat denn Fragen? Ja, Herr Gatschke schon mal. Lars Gatschke Wir haben mit unserem Modell eines Vorsorgefonds komplexes System geschaffen, weil wir vermeiden wollten, dass wir in ein Zwangssystem gehen müssen. Wenn man sich das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Modell der DRV Baden-Württemberg anschaut, dann stoße ich bei einem freiwilligen System an Grenzen des EU-Beihilferechts. Ein Weg dies zu vermeiden, wäre, mit dem Fonds komplett im System einer Sozialversicherung zu verbleiben und dabei nicht unter den Unternehmensbegriff im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu fallen. Dies bedeutet: Ich spare individuell auf einem Konto unter dem Dach der DRV. Bei Eintritt bestimmter Bedingungen wird das gebildete Kapital in Entgeltpunkte umgerechnet und fließt über eine kollektive Kapitalverwahrstelle ratierlich dem Umlagesystem zu. Der Verbraucher erhält dann entweder eine erhöhte Erwerbsminderungsrente, Altersrente oder Witwenrente. Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank, Wolfgang Strengmann-Kuhn. Sie sehen, er kennt sich aus, hier gibt’s auch Mikrophone, an die man rangehen kann. Wolfgang Strengmann-Kuhn Ja, schönen guten Tag, vielen Dank für die 18 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Eingangsstatements. Ich habe drei Anmerkungen, drei kurze, vielleicht weniger Fragen, aber auch Punkte, worauf dann reagiert werden kann. Erstens, Alternativlosigkeit, das war damals nicht das Argument, das ökonomische zumindest nicht, sondern ökonomisch war das Argument, dass man gedacht hat, die kapitalgedeckte Alterssicherung hat eine höhere Rendite als die umlagefinanzierte. Deswegen ist man dann zu dem Mix gekommen, weil man gesagt hat, kapitalgedeckte Alterssicherung hat eine höhere Rendite, aber ein höheres Risiko. Das kann man dann mit einer umlagefinanzierten Rentenversicherung kombinieren, mit einer etwas geringeren Rendite und einer höheren Sicherheit. Das war also ein rein ökonomisches Kalkül von der Herangehensweise. Zweiter Punkt: Es wird immer von Niedrigzinsphase gesprochen, das klingt so, als würde das irgendwann mal aufhören und dann hätte man wieder Hochzinsen Das ist ökonomisch auch Quatsch, weil allein durch den demografischen Wandel klar ist – weil mehr gespart wird, mehr Kapital gebildet wird – das dann auch die Renditen sinken. Da haben Ökonomen schon ewig lange drauf hingewiesen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Renditen irgendwann wieder so hoch werden wie sie vielleicht in den 80er, 90er Jahren mal waren. Trotzdem würde ich sagen, wenn man es so wie in Schweden gemacht hätte, dann hätte die Kapitaldeckung wahrscheinlich immer noch eine höhere Rendite als die Umlagefinanzierung. Aber wir haben es nicht so gemacht, sondern freiwillig. Dass ist das erste Problem und das zweite ist, wir haben es privat organisiert. Freiwillig hat das Problem, dass wir nur die Leute drin mit den guten Risiken haben, die machen es und die mit den schlechten Risiken nicht. Das macht das Ding teuer und die Renditen gering und der zweite Punkt ist die private Versorgung, dass dadurch viele Kosten entstehen, die bei einer öffentlichen Versorgung nicht entstehen würden, was die Renditen noch mal senken würde und das ist dann das Problem, was wir haben. Möglicherweise ist die Kapitaldeckung schlechter von den Renditen als die Umlage. Dritte Anmerkung ganz kurz zu den sozialpolitischen Zielgenauigkeiten. Die Schrotflinte trifft vielleicht auch manchmal so ein bisschen, aber es ist natürlich eine Schrotflinte, so wie wir das fördern, wenn man es tatsächlich zielgenau die Geringverdiener fördern müsste, dann müsste man das nachgelagert machen im Rentensystem durch eine Garantierente oder wie auch immer. Wo sich dann die zusätzliche Alterssicherung auch privat lohnen würde und wo man die Geringverdiener stärken würde. Aber ich glaube, das ist dann noch mal ein Punkt für spätere Runden. Ulrike Herrmann Okay, vielen Dank, gibt’s weitere Fragen? Ja? Kornelia Hagen, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin Ich wollte Herrn Schwark vor allen Dingen fragen – er hat immer wieder davon gesprochen, dass die demografiebedingte Lücke bei der kapitalmarktgedeckten privaten Altersvorsorge vorhanden ist. Gibt es die demografiebedingte Lücke nicht auch generell? Ist es nicht ein Problem beider Systeme, wo überhaupt nicht klar ist, ob es jetzt ein Vorteil des einen oder des anderen Systems gibt oder sogar noch einen Vorteil des Umlageverfahrens? Das wäre für mich eine Frage, der zweite Punkt, den ich noch ansprechen wollte, ist Ihre Aussage: 16 Millionen ist doch eigentlich ganz gut, mich wundert, woran messen Sie jetzt, dass das ganz gut ist? Also wollen wir jetzt, dass die Rentenlücke geschlossen wird? Und darüber ist das unser Maßstab oder ist es der Maßstab, dass wir statt 15 Milliarden nur 3 Milliarden Zulage bezahlen? Ist mir ehrlich gesagt in Ihrer Argumentation nicht klar geworden, da würde ich ganz gerne noch mal Erklärungen bekommen. Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank, und dann hatten Sie sich noch gemeldet, genau. Cliff Meißner Cliff Meißner mein Name, einfaches Mitglied aus Mitte. Ich habe eine Frage an Herrn Kleinlein und seinem Vortrag. In Ihrem Vortrag haben Sie vorhin erwähnt, dass Sie sich eine stärkere Behörde wünschen würden und kurz danach haben Sie sehr deutlich Kritik an einer überbordenden Verwaltung geäußert und das hat sich ein bisschen gebissen in meinen Gedanken und da war ich verwirrt, da hätte ich ganz gerne eine Erklärung zu. Danke. Ulrike Herrmann Habe ich jetzt noch jemanden übersehen? Im Augenblick nicht, dann hatte ich ja Herrn Kleinlein versprochen, dass er jetzt als erster dran darf. Es gab ja auch ein paar Fragen an Sie, also bitte. Axel Kleinlein Ich möchte mich hauptsächlich auf die Fragen beschränken und nebenbei komme ich dann auch auf das zu sprechen, was Herr Schwark geäußert hat. Von Herrn Gatschke kam ja die Frage der vier Prozent Rendite, Kostenquote 10 Prozent auf den Beitrag - ist das überhaupt in irgendeiner Art und Weise vorstellbar? Angesichts der aktuellen Niedrigzinslandschaft, ist das natürlich nicht vorstellbar. Aber vor zehn, fünfzehn Jahren gab es die Produkte. Da haben wir aufgezeigt, dass hier die Kostenquote deutlich höher war als diese zehn Prozent. Zumal und das ist ganz, ganz wichtig, ganz entscheidend, bei diesen ganzen Renditebetrachtungen, die wir vor 15 Jahren vorgelegt bekommen haben: Es ist immer nur die Ansparfrist betrachtet worden, also nur der Zeitraum bis Rentenbeginn. Was nach Rentenbeginn passiert, das wurde nie betrachtet. In den angesprochenen Studien, die ich gemacht habe – übrigens auch nicht vollständig alleine –, hatte ich zum Beispiel mit Frau Hagen sehr intensive und wichtige Diskussionen. In diesen Studien konnte ich rein zahlentechnisch nachweisen, dass insbesondere im Verrentungsprozess ganz viel an Geld und Rentabilität verloren geht. Sodass wir am Schluss letztlich zu diesem knalligen Begriff „lieber das Geld ins Kopfkissen als in die Rentenversicherung stecken“ gekommen sind. Das ist das Rentabilitätsproblem. Das zieht sich momentan auch durch die Fragen, die ich jetzt hier gehört habe. Auch von Ihnen, Herr Gatschke. Bei dem produktübergreifenden Wettbewerb haben wir ja eben genau auch dieses Problem, wir haben eben keinen echten funktionierenden produktübergreifenden Wettbewerb. Die Fondssparpläne und Banksparpläne landen nach dem Alterszertifizierungsgesetz automatisch spätestens ab Alter 85 immer in einem Rentenversicherungsvertrag. Wer also außerhalb eines Immobilien-Vertrags riestert, landet früher oder später immer in den Fängen der Versicherungswirtschaft. Die Stiftung Warentest hat ja letzte Woche gezeigt, dass ein echter Wettbewerb in Sachen Verrentung gar nicht stattfindet. Das ist ein ernsthaftes Problem. Und auch noch mal zum Thema Rendite von Herrn Strengmann-Kuhn. Bei der Frage des Renditevergleichs, kapitalgedeckte versus umlagefinanzierter Rente, haben wir ja wirklich die Ergebnisse von verschiedenen Studien. Die habe nicht ich erstellt. Zu Ihrer Beruhigung Herr Schwark, kommt hier im Ergebnis raus, dass die umlagefinanzierte Rente eben aufgrund unserer Verrentungsspezifikation deutlich besser abschneidet als das, was die kapitalgedeckte bringt. Kurz noch mal, weil Sie vorhin Ihren 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 19 eigenen privaten Riester-Vertrag so in den Himmel gelobt haben. Ehrlich gesagt, würde ich mir wünschen, dass jeder, der seinen eigenen RiesterVertrag dermaßen toll findet, sich bei allen Steuerzahlern bedankt, die nämlich genau diese Rentabilität erst ermöglichen. Denn wenn man diese Zulagenförderung raus rechnen würde und sich dann die Renditen anschaut, schaut es bitter aus. Ein Dankeschön an die Steuerzahler würde ich mir da an der Stelle wünschen. Ulrike Herrmann Herr Schwark, an Sie gingen ja auch direkte Fragen. Dr. Peter Schwark Ich profitiere überhaupt nicht von der Zulagenförderung. Für mich ist es ein reines Modell der nachgelagerten Besteuerung. Ob ich das in dieser Form mache, über eine Rürup-Rente oder in der gesetzlichen Rentenversicherung, ist steuerlich quasi immer gleich. Ich finde das auch sachlich richtig. Das Verfassungsgericht hat das Verfahren übrigens so vorgegeben, insofern kann man da nicht von Subventionen sprechen. Ich will die Punkte kurz von hinten nach vorne ansprechen: zunächst das Thema Umlageverfahren versus Kapitaldeckung. Ich glaube tatsächlich erstens, dass dieser Aspekt bei der Riester-Reform keine relevante Diskussion war. Es ging darum, die demografische Reform, die Herr Blüm zuvor unternommen hatte, wirkungsgleich unter anderem Namen fortzuführen, zusätzlich mit einer kapitalgedeckten Ergänzungsvorsorge. Jeder Versuch, die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung mit privater Kapitaldeckung zu vergleichen, muss daran scheitern, dass eine gesetzliche Umlagefinanzierung nicht duplizierbar ist. Alles Geld, was Sie da reingeben – das erinnert mich so ein bisschen an das Gelddrucken durch eine Zentralbank – ist so, wie ungedeckte Checks herausreichen. Das Geld wird nämlich nicht angelegt, sondern sofort wieder ausgegeben. Sie haben lediglich ein Mehr an Ansprüchen in der Zukunft gegenüber der künftigen Generation. In der Vorsorgepolitik muss man die Grenzrenditen betrachten, man kann nicht einfach die Durchschnittsrendite der letzten Jahrzehnte extrapolieren. Denn über die gesetzliche Rentenversicherung kann man nicht zusätzlich (!) vorsorgen. Ich will der gesetzlichen Rentenversicherung damit überhaupt nicht ihre Legitimation als zwangsobligatorisches System absprechen, in den Proportionen wie sie heute 20 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 und künftig ist. Aber heute zusätzliches Geld hinein zu geben, um damit zusätzliche Ansprüche morgen zu generieren, das ist eine Münchhausenerie. Das ist so, als würde man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können, ergo logisch unmöglich. Faktisch entstehen Verwässerungseffekte, wie bei der Geldschöpfung. Einer druckt Geld. Der es bekommt, freut sich. Er hat eine tolle Rendite. Fürs drucken wurde nur Papier investiert. Tatsächlich ist aber gar kein richtiger Wert entstanden. Die anderen leiden darunter, weil ihr Geld per Saldo durch Inflation weniger wert wird. Das gilt analog ganz genauso auch für Ansprüche im Umlageverfahren, wenn jemand sie durch freiwillige Zusatzbeiträge heute zu Lasten der Zukunft vermehren möchte. Die Ansprüche der anderen sinken künftig im Wert. Stichwort fehlender Wettbewerb bei der Verrentung in der Riester-Rente: Wenn ich mir die aktuelle Ausgabe der „Finanztest“ anschaue, dann war das Problem ja nicht, dass die Verrentung bei den Versicherern schlecht ist. Das Problem war umgekehrt, dass das die beste Möglichkeit des Entsparens ist und nun viele aus den Banksparplänen für die Auszahlung eine Rentenversicherung wollen und sich darüber ärgern, dass es dafür noch kein so breites Marktangebot gibt. Dass es aktuell noch nicht viel Wettbewerb gibt, das liegt daran, dass dieser Markt gerade erst neu startet. Vorletztes Jahr sind noch Änderungen vom BMF unternommen worden, die den Wechsel erleichtern. Finanztest hat klar gesagt, wir haben bei den aktuellen Zinsen ein Problem bei den Auszahlplänen. Da kommt zu wenig herum, so dass die Leute nun alle eine vernünftige sofortbeginnende Rente wollen. Die Menschen suchen eine vernünftige kollektive Absicherung, die auch das Langlebigkeitsrisiko effizient absichert. Und da liegt die DIW-Studie einfach falsch. Das DIW hat ja selbst zugegeben, sie betrachten nicht die Rentabilität aus individueller Sicht, sondern volkswirtschaftlicher Sicht. Aber wenn ich volkswirtschaftlich wie das DIW meine, die Leute leben zehn Jahre weniger als die Versicherer unterstellen, dann liegt für zehn Jahre überflüssiges Rentengeld auf dem Tisch. Was mit diesem Geld passiert, dafür gibt es gesetzliche Regeln, nämlich dass dieses Geld über steigende Renten an die Kunden rückerstattet wird. Deshalb gibt es auch ökonomisch kein Problem was die Langlebigkeitsthematik anbetrifft. Es gibt auch individuell kein Problem, weil es bereits gesetzliche Vorschriften dafür gibt. Stichwort Kapitaldeckung: Ist das überhaupt der richtige Weg? Frau Hagen, manchmal denke ich, wir diskutieren so als würde der Kapitalmarkt mit der Riester-Reform gerade erst entdeckt worden sein. Tatsächlich haben wir ein Geldvermögen in Deutschland von 6.000 Milliarden Euro. Und jetzt reden wir ernsthaft darüber, wie wir 10 Milliarden Euro aus Riester da irgendwo sinnvoll investieren wollen? An diesen 10 Milliarden Euro von Riester wird der Kapitalmarkt nicht zugrunde gehen. Und keiner der anderen, denen die schon 6.000 Milliarden Euro Geldvermögen gehören, denkt so verquer, dass ihr Geld eigentlich gar nichts wert sei. Derartige Fragen stellen wir uns nur bei der Riester-Rente, bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Dabei ist sie das Vehikel, um ein bisschen die Vermögensverhältnisse zu demokratisieren und gleicher zu verteilen. Alterseinkünfte aus Vermögenseinkommen zu generieren, ich wüsste jetzt nicht, warum das gerade bei Riester nicht funktionieren sollte. Dann ist das Stichwort genannt worden „Förderung mit der Schrotflinte“. Ich glaube, es ist ein Missverständnis über die politischen Ziele, wenn wir die Riester-Rente allein unter dem Gesichtspunkt des Geringverdieners diskutieren. Ich habe mir noch mal die Gesetzesbegründung angeschaut. Da ging es an keiner Stelle darum, alle Geringverdiener zu erreichen und speziell deren Altersarmut zu vermeiden. Es ging darum, der Bevölkerung insgesamt ein Angebot zu machen, um ihre Versorgungslücken auszugleichen. Damit sich dieses Angebot auch Geringverdiener und Familien leisten können, wurde mit dem Zulagensystem eine zielgruppengerechte Förderung eingeführt. Es ist aber nur ein Angebot. Wenn das nicht angenommen wird, ist es kein Problem der Riester-Rente, sondern ein Entscheidungsproblem des Einzelnen, vielleicht ein Problem der Grundsicherungsanrechnung. Das will ich konzedieren. Deshalb sagen wir auch, sie müsste geändert werden. Stichwort gute Risiken – schlechte Risiken: Das gibt es bei der Rentenversicherung überhaupt nicht. Da reden wir vielleicht drüber, wenn man über Todesfallversicherung spricht. Bei der Rentenversicherung ist das versicherungsökonomisch kein Thema, das hat auch nichts mit der Rendite zu tun. Dann noch kurz, nun bin ich bei Herrn Gatschke, der Wettbewerb mit Bank- und Fondssparplänen: Ich sehe, dass bei Banksparplänen grundsätzlich nur wenig Angebot da ist, weil man die Produkte ohne eine richtige Kostenkalkulation anbietet. Letztendlich gibt es keine Vergütung für die Beratung, deshalb wird das häufig nicht aktiv angesprochen. Das zeigt einfach wie wichtig es ist, Beratungsangebote zu machen und dass das auch irgendwie finanziert werden muss. Erst dann entsteht letztendlich Wettbewerb. Es gibt einen intensiven Wettbewerb mit Fondssparplänen und auch mit Bauspar-Riester. Von daher muss keiner Sorgen haben, dass der Markt nicht sehr, sehr aktiv ist. Was die vier Prozent Rendite anbetrifft – wir haben vorhin schon kurz darüber gesprochen – das würde man heute wahrscheinlich nicht mehr in die Berechnungen hinein nehmen. Aber wenn ich mich in das Jahr 2001 zurückversetze und mir die ganzen Berechnungen ansehe, dann muss ich auch feststellen, dass auch die Prognosen zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht eingetreten sind. Man hat damals mit zwei, drei Prozent Rentensteigerung pro Jahr gerechnet. In Wirklichkeit hatten wir vier Nullrunden und im Schnitt ein Prozent Rentensteigerung. Da kompensiert sich auch einiges gegeneinander zu den niedrigeren Zinsen. In der langen Frist gibt es eben immer Unsicherheiten, es werden die Dinge nie exakt so laufen wie das ursprünglich mal gedacht wurde. Das ist überhaupt kein spezielles Problem der Riester-Rente. Ulrike Herrmann Erst mal vielen Dank Herr Schwark. Jetzt hat Herr Kleinlein entdeckt, dass er eine Frage nicht beantwortet hat, und dann kommen Sie dran, Herr Kurth. Also Herr Kleinlein. Axel Kleinlein Ganz kurz nur zu der Frage, ob mein Fordern einer stärkeren und mutigeren Aufsicht nicht dem Jammern über eine zu überbordende Verwaltung widerspricht. Nein, denn die Verwaltung, die ich an der Stelle kritisiert habe, ist die Verwaltung bei den Riester-Verträgen. Hier wurde eine extra Zulagenstelle geschaffen. Das hatte politische Gründe, keine sachlichen Gründe. Das ist etwas, was die Verträge ungebührend mit Kosten belastet hat und ausnahmsweise mal nicht die Versicherungsunternehmen als Kostentreiber hat. Ulrike Herrmann So, und jetzt sind Sie noch dran, Herr Kurth. Markus Kurth Zunächst mal, Herr Schwark, um da ein Missverständnis vielleicht auszuräumen: Ich hatte 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 21 den Eindruck, dass Sie als Versicherungsbranche es ungerecht fanden, dass die Politik, sprich rot-grün, diese Idee der Riester-Rente hatte und Sie jetzt bei den Stellen, wo es Probleme gibt, die Vorwürfe einkassieren müssen. Nach dem Motto: „Was hatten wir doch für eine tolle Idee und ihr setzt es so schlecht um“. Solche Vorwürfe richte ich nicht ausschließlich an Sie. Vielleicht war einiges an der Konzeption und der Idee nicht so, dass es funktionieren konnte. Ich möchte aber zum demografischen Wandel dann doch nochmal was sagen. Nicht nur, dass dessen Darstellung Anfang der Nullerjahre in der politischen Debatte zumindest überzeichnet daherkam. Es wird zudem vernachlässigt, dass es verschiedene Stellschrauben gibt, um dem zu begegnen. Wir können zum Beispiel die Erwerbsbeteiligung - insbesondere bei Frauen ist da noch viel Luft nach oben - weiter heraufsetzen. Wir können Gruppen in die Rentenversicherung einbeziehen, die jetzt nicht drin sind, wie die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen, um mal eine Gruppe zu nennen, wo es durchaus einen Bedarf gibt. Es gibt die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die mit der Rente mit 67 gekommen ist und wo es wahrscheinlich nochmal Veränderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gibt. Es gibt den Beitragssatz, der ja auch nicht bei 22 Prozent für alle Zeiten fest gemeißelt sein muss. Hier gibt’s ja durchaus unterschiedliche Ansichten über die Arbeitsplatzwirksamkeit, da ist noch eine gewisse Elastizität vorhanden. Es gibt den Bundeszuschuss aus Steuern, der auch nochmal eine Stellschraube bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Es gibt sehr, sehr viele verschiedene Möglichkeiten, um Niveau und Beitragssatz zu beeinflussen. Man hat mit der – würde ich mal sagen – rhetorischen Keule des demografischen Wandels auch recht grobschlächtig um die Jahrtausendwende agiert. Dann nochmal die Frage der Abdeckung. Wir haben die Zahlen von der Bundesregierung: Es sind 6,4 Millionen, die in vollem Umfang mit vier Prozent des Bruttos sparen. Das sind aber nur 20 Prozent, knapp 20 Prozent. Das ist doch die entscheidende Messgröße. Ich frage jetzt gar nicht, warum die Andere das nicht machen; offensichtlich gibt es aber gewisse Nutzenpräferenzen, die insbesondere eben – das muss ich zur Kenntnis nehmen – die Geringverdiener vornehmen. Zur Antwort auf die Kleine Anfrage: Da haben wir die Entwicklung der Riester-Verträge 2010 bis 2013 nach Einkommensgruppen abgefragt und es ist eindeutig, dass die unteren Einkommensgruppen bis in die Mittelschicht hinein eine abnehmende 22 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Zahl an Verträgen haben. Wenn Sie jetzt sagen, 57 Prozent der Riester-Verträge sind bei den Geringverdienern, wissen wir aber nicht inwieweit das bespart wird. Vollständig oder überhaupt ist ja die entscheidende Frage. Da kommt dann natürlich die Frage der Risiken ins Spiel. Ich glaube, das hat durchaus auch versicherungsmathematische Konsequenzen. Denn wenn die Geringverdiener, von denen wir wissen, dass sie eine geringere Lebenserwartung haben, wenn die sich aus der privaten Vorsorge verabschieden, dann bleibt im Versichertenkollektiv das Landlebigkeitsrisiko erhalten und damit zwangsläufig sinkende Renditen, weil sie mit ganz anderen Sterbetafeln kalkulieren müssen. Insofern ist die gesetzliche Rente natürlich doch ein Mischsystem, was gute und schlechte Risiken, wenn man Langlebigkeitsrisiken so fassen will, eben mischt und dann für eine andere Verteilung sorgt. Noch ein Schlusspunkt zur Demografie. Auch die Kapitalmärkte werden langfristig nicht davon verschont bleiben. Denn die Generation, die auch spart, die wird dann in 30, 40 Jahren entsparen und gerne Produkte und Dienstleistungen für ihr Kapital sehen wollen. Das muss dann ja auch von irgendwem erwirtschaftet werden. Ich glaube makroökonomisch sind wir sowieso mit dem demografischen Wandel beschäftigt und meine Prognose ist, dass wir ein völlig anderes Erwerbsleben, eine andere Erwerbsbevölkerung haben werden, die auch sehr viel älter sein wird als heute. Ulrike Herrmann Erstmal vielen Dank an Sie drei. Das Gute ist, alle drei werden auch weiterhin an der Tagung teilnehmen. Das heißt, auch Herr Schwark bleibt zum Glück und wird sich bestimmt auch beim zweiten und dritten Panel noch mal aus den Zuschauerreihen einmischen. Es ist also nur ein kleiner Zwischenstand. Um drei geht’s weiter mit dem zweiten Panel, das sich dann mit der Verbrauchersicht beschäftigt. Bis dahin haben Sie Pause. Sie haben mich ja inzwischen kennengelernt, ich halte viel von Pünktlichkeit. Es geht um drei weiter, aber jetzt können Sie erst mal Kaffee trinken. PANEL II: RIESTER-RENTE UND VERBRAUCHERSCHUTZ Ulrike Herrmann Herzlich Willkommen zur zweiten Runde, Sie wissen ja, worum es geht, das gleiche Thema noch mal aus der Sicht der Verbraucher. Eine kurze Vorstellung des Podiums, obwohl ich sicher bin, dass Sie alle Beteiligten kennen. Ganz außen von mir gesehen, sitzt Hermann-Josef Tenhagen, fünfzehn Jahre lang Chefredakteur von Finanztest. Eine Publikation, die hier schon breit erwähnt wurde. Seit Oktober 2014 nimmt er an einem neuen Experiment teil. Er ist jetzt Chefredakteur des gemeinnützigen Online-Magazins Finanztip. Auf der anderen Seite Gert Wagner, Professor für empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Vorstandsmitglied des DIW, das auch schon mehrfach hier erwähnt wurde, Vorsitzender des Sozialbeirats und eben auch neu, Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherschutz. Neben mir sitzt Nicole Maisch, seit 2007 im Bundestag und Sprecherin für Verbraucherpolitik und Tierschutz für die Grüne Fraktion. Ich würde das gerne wieder so machen wie vorhin, dass ich anfangs mit allen ein kleines Interview führe und dann auch Sie bald mit Ihren Fragen einsteigen können, zumal es bei der letzten Runde so war, dass nicht mehr alle drankommen konnten, die sich schon gemeldet hatten. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 23 Herr Tenhagen, einfach als kleiner Überblick: Riester-Rente, was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem für die Verbraucher? HERMANN-JOSEF TENHAGEN Finanztip Das größte Problem für die Verbraucher ist, dass sie in Zukunft nicht genug Rente bekommen werden, um im Alter vernünftig leben zu können. Es geht ja nicht um die Riester-Rente, sondern es geht um die Leute, die als Ergänzung einer kleinen gesetzlichen Rente eine zusätzliche Altersvorsorge brauchen. Eine rot-grüne Regierung wie vorher eine schwarz-gelbe Regierung haben aus demografischen Gründen die gesetzliche Rente zusammengestrichen und gesagt, ihr müsst da was zusätzlich tun. Und die Verbraucher werden aus zwei Gründen nicht genug Geld bekommen. Zum einen, weil die Anbieter nicht so gut funktionieren, wie sie sollten und zum zweiten, weil die Kapitalmärkte nicht das tun, was man den Verbrauchern damals so gesagt hat, was sie tun würden. Ulrike Herrmann Angesichts dieser recht vernichtenden Kritik: Wenn jemand zu Ihnen kommt und fragt, was soll ich denn jetzt machen? Würden Sie dann sagen, am besten gar nichts? Wenn diese ganzen Produkte nichts taugen, kann man das Geld, wie Herr Kleinlein gesagt hat, auch gleich in den Sparstrumpf stecken? Ist das eine Alternative? Hermann-Josef Tenhagen Ich glaube, Herr Kleinlein hat seine Privatadresse nicht genannt, damit man nicht weiß, in welchem Sparstrumpf sein Geld liegt. Aber jetzt mal abseits davon, nein, ich würde den Leuten tatsächlich raten, einen Riester-Vertrag abzuschließen, einen guten. Denn richtig viele Handlungsalternativen gibt es - Stand heute - gar nicht. Eine Handlungsalternative wäre die betriebliche Altersvorsorge, aber da haben Sie beim Unternehmenswechsel das Problem, dass sie die Altersvorsorge oft nicht vernünftig mitnehmen können. Es gibt’s zwar gesetzliche Regelungen, aber das mit der Mitnahme funktioniert in der Praxis nicht. Privates Sparen: Wenn Sie mit Aktien 24 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 an den Kapitalmarkt gehen wollen, können Sie vielleicht deutlich mehr Rendite rausholen, aber da müssten Sie sich intensiv beschäftigen, das tun und wollen die meisten Leute nicht. Privates Sparen über ein Versicherungsprodukt ohne Förderung bringt Ergebnisse, die sind noch magerer als mit Förderung. Im Banksparplan: Wir haben das mal für eine Familie mit Kind durchgerechnet. Der Riester-Plan der Volksbank Gronau-Ahaus, der gelobt wird, der bringt ein halbes Prozent Rendite selber und zwei Prozent durch die RiesterFörderung. Wollen Sie die zwei Prozent Förderung links liegen lassen weilo Riester nicht optimal funktioniert und sich drauf verlassen, dass die Politik in den nächsten 15 Jahren eine bessere Lösung findet? Würde ich nicht tun. Ulrike Herrmann Die erste Antwort - das war ja im ersten Panel schon zu erkennen - ist, dass die Rendite bei Riester im Wesentlichen dem Staat zu verdanken ist. Deswegen sollte man, um die staatlichen Gelder mitzunehmen, Riester machen, obwohl es an sich nicht viel bringt. Ich fasse das jetzt mal so zusammen. Finanztest und jetzt auch Finanztip profilieren sich aber dadurch, dass sie den Verbrauchern sagen, was von allen Produkten immer noch das Beste ist. Egal, wie man es bewertet: Was würden Sie sagen, was man als Verbraucher nehmen soll? Fondssparpläne, Versicherungen, Banksparpläne, Wohn-Riester? Was ist aus ihrer Sicht von dieser breiten Palette der Angebote das, was noch am meisten bringt? Hermann-Josef Tenhagen Das hängt ja wieder vom Einzelnen ab. Wenn sie keine eigene Hütte kaufen oder bauen wollen, sind Sie mit Wohn-Riester und einem RiesterBausparvertrag nicht so toll bedient. . Das heißt, Sie müssen sich beim Riestern vorneweg überlegen, wie alt sind sie, wollen sie eine eigene Hütte haben, können sie mit Kapitalmarkt rauf und runter leben und dann kommen sie zu einer Produktkategorie: Riester-Versicherung, RiesterBaufinanzierung, Riester-Fonds oder RiesterBanksparplan. Beispielsweise kommen Sie zu einem Riester-Fondssparplan als beste Produktkategorie für ihre Bedürfnisse. Den kann man inzwischen sogar mit Indexfonds machen oder sie kommen zu einer RiesterBaufinanzierung, weil sie denken, sie wollen irgendwann ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung haben. Im nächsten Schritt müssen sie sich in der Kategorie das beste Produkt aussuchen. Das ist wie, wenn sie sagen die Sorte die für mich passt ist Marmelade und nicht Nutella. Und dann suchen sie sich die beste Sorte Marmelade aus. Nur, dass die Konsequenzen für die Leute, wenn sie eine schlechte Sorte Marmelade aussuchen, viel, viel gravierender sind. Da fehlen ihnen schnell 10.000, 20.000, 30.000 Euro im Alter, nur durch die Auswahl des falschen Riester-Vertrages, selbst wenn sie die richtige Kategorie gewählt haben. Ulrike Herrmann Ich versuch's noch mal mit einer Zusammenfassung: Erstmal kann man festhalten, dass es nicht einfach Kategorien von Produkten gibt, die prinzipiell sowieso nichts bringen und die man abschaffen könnte. Alle diese verschiedenen Produkte, Fonds, Banksparpläne und Wohn-Riester sind berechtigt und man muss innerhalb der einzelnen Kategorien gucken, was da das Beste ist. Hermann-Josef Tenhagen Es gibt eine einzige Kategorie an RiesterProdukten, die eigentlich überflüssig ist. Das sind Fondspolicen, das liegt aber nicht einmal daran, dass Fondspolicen prinzipiell eine schlechte Idee wären, sondern es liegt daran, dass Fondspolicen eigentlich eine Idee für Profis sind. Für jemanden, der sehr genau weiß, warum er einen Policen, also eine Versicherung als Chassis um seine Fonds herum gemacht hat und wie er diesen Motor, der sich unter der Haube versteckt, eben diesen Fonds austauschen kann. Wenn Sie fragen, wie viel Prozent der vier Millionen Leute, die so ein Produkt abgeschlossen haben, den Fonds je ausgetauscht haben, dann landen sie bei deutlich weniger als fünf Prozent. Die Möglichkeit zu tauschen ist aber der Hauptsinn überhaupt so ein Produkt abzuschließen, das heißt 95 Prozent haben offenkundig nicht begriffen, warum sie dieses Produkt abschließen sollten. Von daher würde ich sagen, dass da heftig was daneben geht. Dieses Produkt ist in der Form und wie es jetzt unter die Leute gebracht wird, überflüssig. Ulrike Herrmann Damit kommen wir zum Thema der mangelnden Transparenz, das ein generelles Problem ist. Umgekehrt meint dies, dass die Verbraucher gar nicht verstehen, was los ist. Eine Idee ist - dies hat Herr Nullmeier auch schon erwähnt -, dass es Produktinformationsblätter geben soll. Ist dies aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Idee, und was müsste passieren, damit diese Blätter auch so gestaltet sind, dass der normale Verbraucher, nicht der Bankexperte, diese dann versteht? Hermann-Josef Tenhagen Also ich habe mal Produktinformationsblätter mitgebracht. Nur die Bausparkassen sind von der Länge relativ gut, da sind es zwei Seiten, bei der Allianz habe ich hier ein Produktinformationsblatt, das hat sechs Seiten und bei der Uniprofi-Rente, die bei den Volksbanken verkauft wird, sind es zehn Seiten. Wenn Sie als Mitarbeiter bei einem Vorstand wären, der Ihnen sagt, fassen Sie mir doch mal auf einer Seite zusammen, was die Vorund Nachteile eines Produktes sind und Sie kämen mit so einer Zusammenstellung auf zehn Seiten, würden Sie, glaube ich, sechskantig wieder rausgeworfen aus dem Vorstandsbüro. Warum Kunden das mit sich machen lassen sollen, wenn der Gesetzgeber sagt, macht ein Blatt, auf dem die wesentlichen Dinge drauf stehen, und die kriegen dann zehn Seiten, erschließt sich mir nicht. Dabei sind wir noch gar nicht bei der Frage, ob die Sprache der Produktinformationsblätter verständlich ist, das ist die nächste Baustelle. Meine Behauptung wäre, dass siebzig bis achtzig Prozent der Leute das nicht verstehen. Wenn sie mal draußen bei den Verbrauchern fragen, da ruft einer an - ich hab das ja dauernd und sagt, er hat einen Riester-Vertrag, den will er kündigen, der ist Mist. Dann ist meine erste Frage, ist es eine Versicherung? Und da sagt er ja. Ist es eine Versicherung mit Fonds oder ohne Fonds? Weiß ich nicht. Und wenn Sie die mit solchen Produktinformationsblättern konfrontieren, dann kann daraus der Zweck, den dieses Produktinformationsblatt hat, nicht erwachsen. Die Leute können auf diese Art und Weise nicht verstehen und auch nicht vergleichen. Ulrike Herrmann Jetzt noch mal eine Frage zu diesem letzten Blatt, das mit den zehn Seiten auskommt. Ist das so, dass neun Seiten überflüssig sind oder ist es so, dass die zehn Seiten brauchen, weil das Produkt so komplex ist? Hermann-Josef Tenhagen Nee, die brauchen zehn Seiten nicht, weil das Produkt so komplex ist, sondern weil sie glauben, dass sie so viele Dinge erklären müssen. Möglicherweise hat an der einen oder anderen Stelle auch der Gesetzgeber gesagt, sie sollen das auch noch erklären, dass das so eine Länge 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 25 bekommt. Man kann das immer auch kürzer erklären. Wissen Sie, ich bin ja Journalist, wie Sie auch, und Sie wissen, die Kollegen von der BildZeitung – müssen auf 40 Zeilen manche Dinge erklären, für die andere Romane schreiben. Ich finde den Anspruch an jemanden, der für normale Kunden ein Produkt erklärt, das so zu machen, dass das auf einer Seite oder maximal zwei geht, der ist nicht zu hoch. Im Zweifel müssen sich diejenigen, die den Anspruch formulieren, was da rein soll und diejenigen, die es formulieren, solange zusammensetzen, bis das auf ein Blatt geht. Sonst wird es nicht funktionieren, die Leute können diese Informationsgeschichten so nicht verarbeiten. Ulrike Herrmann Jetzt plaudere ich mal aus unserem telefonischen Vorgespräch aus, dass Herr Tenhagen zu mir gesagt hat, wenn man das Produktinformationsblatt sinnvoll gestalten wolle, müsste man erst mal die Fonds so standardisieren - ich zitiere, „dass die Schwarte kracht“ - und dann würden nur noch ganz wenige Fonds übrig bleiben und dann bräuchte man auch kein Produktinformationsblatt mehr. Habe ich das ungefähr richtig zusammengefasst? Hermann-Josef Tenhagen Nein, wieder nicht, aber der erste Teil stimmt. Man müsste die Produkte weiter standardisieren. Wie viele dann über bleiben, würde man ja sehen. Das, was ich versucht hatte in dem Gespräch zu sagen war – ich sag das mal vorsichtig –, dass wenn Sie so einen Vergleich von solchen Finanzprodukten machen, ich hab das 15 Jahre lang bei der Stiftung gemacht, dann haben sie fünfzig Angebote. Davon sind drei, vier, fünf gut. 45 sind nicht so gut. Diese 45 Anbieter haben dann anschließend nur ein Interesse zu verschleiern, dass sie nicht so gut sind. Und die werden Ihnen erzählen, dass im Himmel Jahrmarkt ist und was ihre Extraklausel links unten auf der Seite 13 zu bedeuten hat, um deutlich zu machen, dass ihr Produkt eigentlich gar nicht verglichen werden kann und eigentlich was ganz besonderes ist und deswegen so ein Vergleich, bei dem es auf Platz 47 abschneidet, eigentlich Unfug oder nicht zulässig sei. Das ist genuin angelegt und wenn sie jetzt sagen, das ist zu viel für die Leute, dann müssen sie dieses Produktinformationsblatt und die Vergleichskategorien mit denen der Kunde arbeitet, soweit reduzieren, dass er es verstehen kann. Kunden können Tagesgeld unterscheiden zwischen 1,0 und 0,4 Prozent. Selbst wenn die Kunden der 26 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Ostdeutschen Sparkassen rund 85 Milliarden Euro auf Konten zu 0,05 bis 0,4 Prozent Zinsen rumliegen lassen, obwohl sie mehr kriegen könnten. Im Prinzip können Leute Zinssätze unterscheiden und verstehen, wenn ich ein halbes Prozent mehr kriege, ist das mehr Rendite. Ulrike Herrmann Okay, jetzt noch mal eine Frage, die schon in der Gegend rumschwirrt: Wäre irgendwas gewonnen, wenn man eine Honorarberatung hätte? Bisher ist es ja so, dass am liebsten das empfohlen und verkauft wird, was die meisten Provisionen bringt. Das könnte man ja nur dadurch konterkarieren, dass man die Beratung anders organisiert. Aber Beratung muss auch bezahlt werden. Wäre Honorarberatung eine Lösung oder auch nur ein Placebo? Hermann-Josef Tenhagen Wenn man mit Honorarberatung in so einem breiten Feld wie der Altersvorsorge tatsächlich einen Unterschied machen will, dann muss man sie vermutlich verpflichtend machen. Das hört sich jetzt ganz schwierig an. Es gibt ein Beispiel aus den USA, die Umkehrhypotheken. Umkehrhypothek (auf Englisch reverse mortgage) bedeutet, wenn man mit 70 ein abbezahltes Haus hat und die Rente nicht reicht, aber man gerne in dem Haus wohnen bleiben würde, kann man dort mit einer Umkehrhypothek das Haus in Raten wieder an eine Bank oder einen Finanzdienstleister verkaufen und bekommt jeden Monat ein paar Hundert Dollar darauf wie so eine Art Leibrente und kann gleichzeitig lebenslang im Haus wohnen bleiben. Das machen Leute, die um die 70 sind und sich häufig finanziell nicht gut auskennen. Deswegen hat sogar der amerikanische Gesetzgeber gemeint, dass man diese Verbraucher schützen muss. Um die zu schützen, hat er gesagt, da muss ein Beratungsschein her, der ist obligatorisch und darf nicht von dem Finanzdienstleister sein, der das Haus kaufen will. Normalerweise wird diese Beratung in den USA von der American Association of Retired People (AARP) gemacht. Für die, die es nicht so gut wissen, die AARP hat 38 bis 40 Millionen Mitglieder, dreimal so groß wie der Gewerkschaftsbund, im wesentlichen Rentner, die in jedem Wahlkreis sitzen und die kein Wahlkreisabgeordneter zum Gegner haben möchte. Das ist ein relativ gutes Schutzmodell. Das machen die an so einer Stelle, weil sie sagen, dass es eine wesentliche finanzielle Entscheidung ist und die Leute ohne Beratung nicht in der Lage sind, es selber zu machen. Die Frage, die sich dann wirklich stellt ist, ob wir nicht im Finanzdienstleistungsbereich in Deutschland auch solche wesentlichen Entscheidungen haben, wo wir das gerne haben möchten. Mir würde neben der Altersvorsorge sicher Berufsunfähigkeit, also die Frage, wie man das versichert, einfallen. Mir würde auch einfallen, wenn sich jemand privat krankenversichert, dass er so was vorher machen soll. Das wären drei Anwendungsfälle, man kann dann noch überlegen, ob eine große Baufinanzierung nicht auch wegen der Auswirkungen dazu gehört, die das für Leute hat finanziell. Aber über so etwas muss man, glaube ich, ernsthaft nachdenken und ohne Scheuklappen, wenn sogar die Amerikaner das können. Ulrike Herrmann Erst mal vielen Dank. Das war die Sicht aus der Praxis mit regelmäßigen Telefonanrufen von verzweifelten Verbrauchern. Jetzt noch mal die andere Sicht, ein bisschen weiter von oben. Herr Wagner, die empirische Verhaltensforschung zeigt, dass es eine starke Gegenwartspräferenz gibt. Die Leute sind nicht in der Lage, zwanzig Jahre weiter zu denken und sich zu überlegen, wie ihr Alter aussehen könnte, sondern geben das Geld lieber jetzt aus oder sparen es irgendwie. Auf jeden Fall wird es nicht angelegt. Ist es eigentlich eine gute Idee, dass Riester freiwillig ist? PROF. DR. GERT WAGNER Technische Universität Berlin Tut mir leid erst einmal vorausschicken zu müssen, liebe Frau Herrmann: falls Sie wie gerade eben auch aus unserem telefonischen Vorgespräch zitieren, werde ich bestreiten, dass wir überhaupt telefoniert haben. Zum zweiten möchte ich vorausschicken, dass ich hier als Gert Wagner, spreche und nicht als Vorstandsmitglied des DIW für das DIW; und auch nicht als Vertreter eines Beirats oder eines Sachverständigenrates. Ich spreche also als Professor und Privatperson, aber nicht als Vertreter irgendwelcher Institutionen. Können Sie mir bitte Ihre Frage jetzt noch mal stellen? Ulrike Herrmann Es geht um einen Begriff, der hier schon diskutiert wurde, das Problem der Gegenwartspräferenz bei den Verbrauchern. Sie können sich nicht vorstellen - ich musszugeben, das geht mir auch so -, was in dreißig Jahren ist und wie die Altersvorsorge dann aussehen könnte. Aber wenn die Leute mit der Zukunft überfordert sind, das war meine Frage, ist es eigentlich eine gute Idee, dass Riester freiwillig ist? Prof. Dr. Gert Wagner Die ursprüngliche Idee war ja nicht, dass es freiwillig sein sollte, sondern die Idee von Walter Riester war, dass man seine Vorsorge obligatorisch macht. Nicht nur aufgrund einer Gegenwartspräferenz für das Geldausgeben, die wir alle haben, sondern weil auch einigen mit niedrigem Einkommen eine Zusatzvorsorge schwer fällt. Und genau das sind ja die Gruppen, die am Ende von einer Zusatzversorgung am meisten profitieren würden, weil die durch eine Zusatzversorgung aus der Altersarmut herausgehoben werden können. Ulrike Herrmann Also um eine meiner vielen „falschen“ Zusammenfassungen zu machen: Man hat die Riester-Rente damals freiwillig gemacht, damit nicht auffällt, dass viele Leute gar nicht das Geld haben, um eine Riester-Rente anzusparen? Prof. Dr. Gert Wagner Das ist eine wirklich interessante Vermutung, aber sie entspricht meines Erachtens nicht der Historie. Nach meiner Erinnerung waren die Versicherungsgesellschaften dagegen, dass es ein Obligatorium im Bereich der privaten Vorsorge gibt. Ulrike Herrmann Und warum? Hatten Sie Angst, dass Sie die ganzen schlechten Risiken erwischen oder dass es zu viel Arbeit wäre? Prof. Dr. Gert Wagner Da müssen Sie die Versicherungswirtschaft fragen. Ulrike Herrmann Herr Schwark, das ist jetzt ungewöhnlich, aber Sie dürfen sich einmischen, warum wollten sie kein Obligo? Dr. Peter Schwark Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Riester in der Tat einen obligatorischen Riester gewollt, aber in der bAV. Hier hat er aber nicht die Zustimmung 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 27 von den Gewerkschaften bekommen und hinterher – beim Privat-Riester – nicht die Zustimmung der Bild-Zeitung. Die Bild-Zeitung hat getitelt „Zwangs-Riester“, und damit war das ganz schnell vom Tisch. Prof. Dr. Gert Wagner Das ist auch meine Erinnerung, Zwangsrente stand, glaube ich, auf der Frontseite und damit war es vorbei, weil in Deutschland Pflicht gerne mit dem Begriff Zwang denunziert wird. Ulrike Herrmann Okay, warum das Riestern freiwillig ist, haben wir geklärt. Dann bleibt die Frage der niedrigen Einkommen. Das ganz große Problem ist, dass viele Leute gar nicht das Geld haben, um jetzt vorzusorgen und diese Lücke privat zu schließen. Was ist denn Ihre Sicht, was man machen sollte, um diese Versorgungslücke bei den niedrigen Einkommen zu schließen? Dieses Problem kam auch bei den Zahlen von Herrn Kurth sehr deutlich raus. Prof. Dr. Gert Wagner Ich will erst mal sagen, dass Personen mit niedrigen Einkommen, insbesondere wenn sie Kinder haben, sehr stark von der Riester-Förderung profitieren können. Aber für einige lohnt sich das Riestern trotzdem nicht. Denn wenn jemand anschließend doch auf Grundsicherung angewiesen ist, ist es – gerade im neoklassischen rationalen Modell der Vorsorge – irrational anzusparen. Das Problem ist nur, dass man im Vorhinein nicht genau weiß, zu welcher Gruppe man am Ende gehören wird. Aber unter dem Strich bedeutet das, dass viele, für die es sich wahrscheinlich lohnen würde, trotzdem nicht Riestern. Und wir trotz einer Förderung hier ein Problem haben. Ihre Frage war dann „Was kann man da machen? Das ist eine sozialpolitische Frage, um die es am Ende geht und die kann man wissenschaftlich nicht beantworten, denn es kommt dabei auf politische Wertvorstellungen an. Wenn man sich nur im Rahmen der privaten Vorsorge bewegt, dann wäre meine Antwort, dass man all das machen muss, was hier diskutiert wird. Also insbesondre für transparentere und verständlichere Informationen sorgt. Weitet man den Blick ist meine sozialpolitische Antwort, dass man - realistisch betrachtet - die betriebliche Altersvorsorge (BAV) ausbauen sollte, weil die über Tarifverträge viel bessere Möglichkeiten hat, in die 28 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Breite zu wirken, als freiwillige private Vorsorge. Allerdings hat man am Ende dann auch noch eine Gruppe, die im Alter ein Armutsproblem haben wird, weil sie bei Arbeitgebern beschäftigt war, die keine entsprechende BAV angeboten haben. Aber realistisch betrachtet wird man mit der betrieblichen Vorsorge mehr erreichen als jetzt mit Versuchen, die Riester-Rente auszubauen. Ulrike Herrmann Ich zitiere jetzt aus einer Publikation, und da ist sehr deutlich, dass Sie zur Umlageversicherung, also zur reinen gesetzlichen Rentenversicherung zurückkehren wollen und dass Ihr Argument ist, das könnten die Arbeitgeber mühelos stemmen, denn die Lohnstückkosten in Deutschland sind gar nicht hoch und die demografische Lücke ist eigentlich gar nicht so dramatisch, wie sie immer dargestellt wird. Prof. Dr. Gert Wagner So unkonditional habe ich das nicht geschrieben, sondern in dem Text - ist auch auf der Homepage des Wirtschaftsdienstes leicht nachlesbar argumentiere ich, dass man – wenn man Gesamtbelastung der Vorsorgebeiträge betrachtet – auch die umlagefinanzierte Altersvorsorge wieder ausbauen könnte. So würde man sich viele Probleme, die wir bei Riester und der betrieblichen Altersvorsorge haben, ersparen. Aber in dem gleichen Text steht, dass schon einiges dafürspricht, in einer unsicheren Welt nicht alle Äpfel in einen Korb zu legen und deswegen auch zumindest ein bisschen kapitalgedeckte Vorsorge zu treiben. Oder etwas vornehmer ausgedrückt: die Vorsorge sollte diversifiziert erfolgen. Dieses Argument, zusammen mit meiner persönlichen, realistischen Einschätzung dessen, was politisch möglich ist, komme ich zu dem Schluss, dass die betriebliche Altersversorgung ausgebaut werden sollte. Ulrike Herrmann Okay, Sie haben jetzt wirklich die Lunte ganz lang ausgelegt. Prof. Dr. Gert Wagner Ich kann gerne noch was zur Umlagefinanzierung versus Kapitaldeckung sagen. Das was vom Ökonomie-Mainstream in den 80er und 90er Jahren versprochen wurde, was die Kapitaldeckung alles kann, hat damals schon nicht gestimmt. Und inzwischen hat sich auch empirisch herausgestellt, dass die Kritiker der Kapitaldeckung keineswegs irreal argumentiert hatten. Um aber ehrlich zu sein: Ich selbst habe in den 90er Jahren und Anfang des neuen Jahrtausends auch zu denen gehört, die sagten, es ist vernünftig zu diversifizieren. Habe ich ja gerade eben wieder gemacht. Denn eine umlagefinanzierte vom Staat organisierte Altersvorsorge ist politischen Gefahren ausgesetzt. Das haben wir ja auch in den letzten 15 Jahren deutlich bemerkt. Eine kapitalgedeckte Vorsorge ist anderen Gefahren, nämlich denen des Kapitalmarkts, ausgesetzt. Deswegen ist es vernünftig, wenn man versucht die Gesamtgefahr einer später unzureichenden Altersversorgung durch eine Risikodiversifikation zu minimieren. Ulrike Herrmann Gut, dabei bleibt es erst mal. Jetzt wollte Herr Tenhagen noch was sagen, und dann kommt die politische Seite dran. Hermann-Josef Tenhagen Ich wollte noch eine Frage loswerden bei der betrieblichen Altersvorsorge, die, die mich am meisten beschäftigt. Ist die betriebliche Altersvorsorge durch Gehaltsumwandlung in ihrer aktuellen Form nicht Umverteilung von unten nach oben? Prof. Dr. Gert Wagner Ja. Hermann-Josef Tenhagen Aber nur, wenn man dann die Sozialversicherungsbeiträge auch bekommt. Prof. Dr. Gert Wagner Das halte ich für eine ganz andere Dimension. Das ist die Frage, inwieweit sich die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen durchsetzen. Die Antwort ist aber vergleichsweise unabhängig davon, welches Geld nun in die Altersvorsorge und welches in die Direktlöhne gesteckt wird. Wenn die Gewerkschaften schwach sind, gibt es an beiden Stellen ein Problem. Ulrike Herrmann Jetzt würde ich doch gerne die Debatte zu der Betriebsrente wieder ein bisschen einschränken. Frau Maisch, Sie haben jetzt die Rolle, dass Sie mit der Riester-Rente irgendwie umgehen müssen. Die ist nun faktisch vorhanden, mit all ihren Mängeln. Man kann sich natürlich theoretisch wünschen, dass man das ganze System kippt und irgendetwas anders macht, aber Sie sind erst mal damit konfrontiert, ein Produkt, schlecht wie es ist, zu verbessern. Welche Reformmöglichkeiten sehen Sie? Einen ersten Punkt haben wir mehrfach ein bisschen gestreift, nämlich diese Produktinformationsblätter. Da kamen von Herrn Tenhagen illustrative Beispiele, wie die Verständigung mit den Verbrauchern komplett scheitern kann. Was würden Sie also vorschlagen? Hermann-Josef Tenhagen Okay, dann sind wir uns einig, weil der Arbeitgeber spart die Sozialversicherungsbeiträge und wenn der die nicht komplett weitergibt an den Sparvertrag des Arbeitnehmers, bedeutet das im Kern, dass der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge bei der Entgeltumwandlung spart und dass der Mitarbeiter hinterher weniger Altersvorsorge hat. Prof. Dr. Gert Wagner Ja. Wenn das so geschieht haben Sie recht. Aber ich hatte eben nicht wegen dieses Arguments zugestimmt, sondern weil im Moment bei weitem nicht alle Arbeitnehmerschichten eine betriebliche Altersversorgung haben. Die betriebliche Altersversorgung ist gegenwärtig nach Branchen und insbesondere nach Qualifikationen differenziert vorhanden und deswegen läuft es dann gewissermaßen auf die genannte Umverteilung von unten nach oben hinaus. Aber wenn man die BAV ausbaut, verschwindet diese Umverteilung ja definitionsgemäß. NICOLE MAISCH Sprecherin für Verbraucherpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Wir sehen auf vier Feldern Verbesserungsbedarf bei Riester. Erstens: Wir brauchen eine Verbesserung der Verbraucherinformation. Es wurde bereits angesprochen: Information ist ein Thema, bei dem sicher noch Verbesserungsbedarf besteht. Das Stichwort Produktinformation ist schon gefallen, hier sagen wir, dass Produktinformationsblätter ein Schritt sind. Aber für uns bedeutet Blatt Vorder- und Rückseite und nicht zehn Seiten, die kaum jemand verstehen kann. Zudem wollen wir eine stärkere Standardisierung der Verbraucherinformation, wir wollen alle relevanten Informationen in verständlicher Art und Weise aufbereitet haben. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 29 Damit auch Menschen, die weder Ökonomen noch Bankkaufleute sind, diese verstehen können.. Ebenso wichtig ist, dass die Renteninformationen aus den unterschiedlichen Quellen, seien es betriebliche oder gesetzliche Rentenansprüche, zusammengeführt und so aufbereiten werden muss, dass deutlich wird, aus welchen Quellen ich wie viel Rente erwarte. In einer verständlichen Form. Ich hätte gerne etwas in der Art: „Nicole, wenn du so weiter sparst und arbeitest, dann hast du mit 65 Jahren eine Rentenerwartung von xx Euro. Man könnte auch sagen: „Nicole, damit sich dieses Produkt für Dich lohnt, dann musst du jetzt noch 88,4 Jahre leben“. Damit könnte ich umgehen. Bei vielen anderen Informationen, die wir im Moment haben, ist es als Laie schwer durchzusteigen. Das heißt bei den Informationen sehen wir ganz klar Verbesserungspotenzial und hier ist auch der Staat in der Pflicht, Vorgaben zu machen, dass man die Produkte untereinander vergleichen kann. Im Moment ist es für die Anlegerinnen und Anleger fast nicht zu beurteilen, ob dieses oder jenes Produkt für sie besser ist, weil die Informationen nicht standardisiert sind. Zweitens: Mehr Verbraucherschutz beim Vertrieb von Altersvorsorge. Verbraucherinformation ist aber nur ein Feld, auf dem wir Verbesserungsbedarf sehen. Das zweite ist der Vertrieb. Wir haben über die Frage diskutiert, ob die Honorarberatung der Ausweg ist? Wir haben bisher als Grüne immer die Position vertreten, dass wir einen fairen Wettbewerb zwischen Honorar und Provision wollen In der letzten Legislatur hat es mit dem Honorarberatergesetz erste Schritte gegeben, die aber nicht dazu geführt haben, dass es einen fairen Wettbewerb zwischen beiden Systemen gibt. Ich glaube mittlerweile, dass mit dem derzeitigen provisionsgesteuerten Vertrieb keine faire Beratung möglich ist. Ich denke, wir können noch mal Zwischenschritte probieren. Wir können die Provisionen komplett transparent machen und sie stärker über die Laufzeit der Produkte strecken und uns dann angucken, ob es besser wird. Aber ich bin überzeugt, dass wir am Ende doch feststellen werden, dass Provisionen für den Endkundenvertrieb etwas sind, wo man den Widerspruch zwischen Interesse des Anbieters und des beratungsbedürftigen Kunden, der Kundin, eben nicht auflösen kann. Drittens brauchen wir mehr Verbraucherschutz in der Finanzaufsicht. Hier hat sich nach Grüner Initiative ein bisschen was bewegt, in der 30 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Verzahnung von Aufsicht und Verbraucherinformation. Wir kriegen jetzt den Finanzmarktwächter. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um zivilgesellschaftliche Akteure wie die Verbraucherzentralen und die Aufsicht gut miteinander zu vernetzen. Darüber hinaus braucht es eine viel stärkere Verankerung des Verbraucherschutzes als Aufsichtsziel bei der BaFin. Der vierte Punkt ist die Frage wie die Produkte beschaffen sein sollen, die wir uns für eine staatlich geförderte Altersvorsorge wünschen. Ich finde, wenn der Staat sich auf bestimmte Ziele verständigt, beispielsweise bestimmte Waffensysteme zu ächten, bestimmte Energieformen wie die Atomenergie als Gesellschaft insgesamt abzulehnen, dann ist es für mich nicht schlüssig, dass wir Geld geben, damit Menschen gefördert in Firmen investieren, die Streumunition herstellen oder die durch Atomkraft Strom erzeugen. Wir müssen diskutieren, was es für ethische, soziale oder ökologische Kriterien für Produkte der geförderten privaten Altersvorsorge geben soll. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, wie kosteneffizient diese Produkte sein sollen. Viele Produkte lohnen sich im Moment für Verbraucher nur deshalb, weil der Staat Geld drauflegt. Es ist für ein Gemeinwesen aber nicht sinnvoll schlechten Produkten Geld hinterherzuwerfen. Eigentlich müssten diese Produkte besonders effizient sein. Damit Leute, die denken, Riester, das ist staatlich mit Siegel, da mache ich was Gutes, auch ein entsprechend kosteneffizientes Produkt bekommen. Da sind die Fragen der Hello- und Goodbye-Kosten und der Sterbetafeln sicherlich relevant. Letzter Punkt, zum Thema Produkte: Ich hab jetzt einiges gesagt, wie man an bestehenden Produkten herumdoktern kann, ich glaube, da ist viel drin für die Kundinnen und Kunden und am Ende auch für den Staat, der Steuergelder effizient einsetzen will. Aber natürlich muss man auch die Frage stellen, ob wir nicht ein öffentlich organisiertes Standardprodukt brauchen. Dieses haben wir in unseren Konzepten übrigens nie als Obligatorium, sondern als Opt-out System angedacht. Aber dazu haben wir ein eigenes Panel organisiert. Ulrike Herrmann Erst mal vielen Dank. Jetzt sind Sie wieder dran, gibt’s Fragen? Herr Wagner darf noch mal kurz was sagen. Prof. Dr. Gert Wagner Ich würde gern zu den Produktinformationsblättern etwas sagen. Die sind ja in der Tat nur dann wirklich aufschlussreich, wenn die drei Säulen miteinander verglichen werden. Dazu muss man Annahmen machen. Die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung (GVG) hat diesen Versuch schon einmal gemacht und ist – nicht überraschend – gescheitert. Wahrscheinlich wird der Versuch jetzt noch mal gemacht. Aber Sie können sich vorstellen, wenn sie im Konsens versuchen diese Produktinformation zu erstellen, und es sitzen Vertreter der umlagefinanzierten Sicherungsprodukte und der kapitalgedeckten Versicherungsprodukte an einem Tisch, wie schwer es ist, sich zum Beispiel darauf zu einigen, was der angemessene Zinssatz für die Projektionen der umlagefinanzierten und der kapitalgedeckten Säulen sein wird. Dann gibt es noch vieleweitere Details, an die man denken muss. Ich weiß nicht, ob der Staat dieses Annahme-Problem lösen sollte, indem er einfach verordnet, wie gerechnet werden sollte. Klar ist: nur wenn es gelingt die drei Säulen in aussagekräftiger Weise miteinander zu vergleichen, ist ein Produktinformationsblatt wirklich etwas wert für den Verbraucher. Was verständlich ist hängt natürlich auf von der Financial Literacy der Menschen ab, also deren Kenntnissen von Mathematik und Vorsorgeprodukten. Damit stellt sich im hier diskutierten Zusammenhang auch die Frage was man eigentlich an Weiterbildung machen müsste, um den Verbraucher überhaupt in die Lage zu versetzen sich – mit oder ohne Produktinformationsblätter – ein rationales Urteil zu bilden. Ulrike Herrmann Erst mal vielen Dank, das ganze Podium kommt noch mal zum Schluss dran. Aber jetzt die Fragen, die sammeln wir wieder, damit es schneller geht. Herr Kleinlein hat sich gemeldet, Frau Hagen hat sich gemeldet, Herr Schick hat sich gemeldet, natürlich Herr Schwark. Ich glaube, erst mal Sie vier, und dann gucken wir weiter. Also Herr Kleinlein. Axel Kleinlein Ja, vielen Dank. Eine Frage an Frau Maisch und an Herrn Wagner. Frau Maisch, Sie haben angesprochen, dass insbesondere die Art und Weise wie angelegt wird, für Sie auch sehr wichtig ist - also ethische, soziale und ökologische Kriterien. Jetzt haben wir ja - ich muss jetzt trotzdem das böse Wort betriebliche Altersvorsorge sagen - sehr spannende Vorstöße aus dem Arbeitsministerium in Richtung betrieblicher Altersvorsorge. Hier soll jetzt ein neuer Weg der betrieblichen Altersvorsorge, insbesondere über die Tarifparteien, aufgezogen werden. Zusätzlich hört man auch, dass verstärkt in Infrastrukturprojekte investiert werden soll. Da ist insbesondere aus dem Gabriel-Ministerium demnächst zu erwarten, dass vorgelegt wird, wie entsprechende Investitionen vonstattengehen können. Jetzt ist die große Frage, wie bewerten Sie es? Finden Sie es gut? Finden Sie es förderlich, wenn man im Rahmen der betrieblichen oder der Riester-Rente hergehen würde und derartige Infrastrukturprojekte in der geförderten Altersvorsorge nach vorne bringen will? Insbesondere da dann die große Frage kommt: Findet man so was wie die Berlin-BrandenburgFlughafenrente ganz toll oder will man demnächst irgendwie die Stuttgart-21-Pension abschließen? Da lauern Gefahren, da wir im Moment infrastrukturmäßig erhebliche Defizite haben. Da muss im Grunde genommen investiert werden und wenn man die schwarze Null halten will, dann muss irgendwoher das Geld kommen. Das schreit ja geradezu danach, dass man hier hinterrücks Altersvorsorgegelder in diese Milliardengräber fließen lassen will. Ich überzeichne es jetzt ein wenig. Wie sehen Sie das politisch, insbesondere auch mit dem Blick auf die betriebliche Altersvorsorge? Die gleiche Frage gilt natürlich für Herrn Wagner aus der wissenschaftlichen Sicht. Dr. Gerhard Schick Danke, ich habe zwei Fragen. Die eine ist: Wenn wir das, was verbraucherpolitisch möglich wäre, auf einer Seite zusammenfassen, was würde es eigentlich für die Größenordnung von Beschäftigung im Vertrieb heißen, wenn es eine deutliche Marktbereinigung geben würde? Ich finde angesichts des Protestes gegenüber anderen Lösungen muss man klar machen, was eigentlich passiert, wenn man systemimmanent nur das Notwendigste tut. Mich würde interessieren, wie da die Einschätzungen sind. Die zweite Frage betrifft die Kostendeckelung. Dies würde ich gerne noch mal ein bisschen intensiver diskutieren. Es gibt ja die Studie vom ITA-Institut, die aus einer Diskussion im Finanzausschuss hervorgegangen ist. Hier stand eigentlich schon bei der letzten Reformrunde die Frage der Kostendeckelung im Raum. Wenn man sich die unterschiedlichen Kostenpunkte anschaut, die ja auf Durchschnittswerten basieren, wird auch richtig deutlich, wie viel Holz da eigentlich verloren geht. Auch die Frage des Kostendeckels ist nochmal 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 31 spannend. Ist er möglich, ist er so wie vorgeschlagen notwendig oder sollte man das erst einmal bleiben lassen? Dies sollte in der Diskussion nochmal eine Rolle spielen, denn es handelt sich um einen gravierenden Eingriff. Ich meine aber, er setzt an der richtigen Stelle an, wenn man systemimmanent bleibt. Dr. Peter Schwark Eine Anmerkung zum Thema Honorarberatung. Wir sind sicherlich für Wettbewerb zwischen Provisions- und Honorarberatung. Aber ich möchte davor warnen, jetzt allein auf die Honorarberatung zu setzen. Stichwort Geringverdiener: Heute ist es bei den Provisionen so, dass für einen großen Vertrag mehr bezahlt wird als für einen kleinen Vertrag. Honorarberatung kostet immer das gleiche. Wir haben hier das Risiko, dass die Geringverdiener komplett ausgegrenzt werden, dass wir eine unüberwindliche Hürde aufbauen. Insbesondere auch aus Liquiditätsgründen werden viele kaum bereit und in der Lage sein, 600 Euro für eine umfassende Beratung auf den Tisch zu legen. Das würde ich in dieser Diskussion einfach mal zu bedenken geben aus sozialpolitischen Gründen. Das zweite Thema ist Effizienz. Natürlich wollen wir gerade in der Förderung kosteneffiziente Produkte. Aber ich denke, es ist auch nicht zu viel verlangt zu erwarten, dass man sich auch noch mal mit der Frage beschäftigt, wie man die Förderung selbst effizienter abwickeln kann. Wir hatten verschiedene Situationen, in denen Förderungen zurückgebucht wurden. Wenn dann ein Anbieter einzelne Verträge korrigieren muss, mehrfach dazu mit dem Kunden korrespondiert, , sind das bei den Größenordnungen, über die wir reden, enorme Kosten - in zweistelliger Millionenhöhe –, die umsonst anfallen. Wir haben konkrete Vorschläge, wie man das anders machen kann. Ich glaube, da sollte man zuerst darüber nachdenken, bevor man anfängt, Anbieter mit Kostenobergrenzen zu knebeln. Die meisten Anbieter haben übrigens bei RiesterVerträgen überhaupt keine höheren Kosten als bei nicht geförderten Produkten. Sie subventionieren häufig sogar eher das aufwändige RiesterVerfahren aus ihrem Bestandsgeschäft. Die unnötigen Bürokratiekosten, die uns entstehen, reduzieren die Kostenüberschüsse, und das trifft hinterher den Kunden. Wie können wir unnötige Verwaltungs- und Bürokratiekosten vermeiden, diese Frage muss zuerst adressiert werden. Kornelia Hagen Ganz spontan zu Herrn Schwark: Kosten können reduziert werden indem man Call-Center anders strukturiert oder abschafft und die Verbraucher direkt mit Sachbearbeitern ihre Probleme besprechen lässt. Denn die Call-Center wirken sehr - sage ich mal - konfus, wenn es um die Bearbeitung von Beschwerden oder Fragen beim Riester-Vertrag geht. Das aber nur ganz nebenbei. Ich hab an alle drei Fragen, an Herrn Tenhagen, der ist ja der erste gewesen. Sie haben die mangelnde Transparenz angesprochen und gesagt, Produktinformationsblatt müssten ein bis zwei Seiten umfassen. Wir wissen nun, dass die Verbraucher nicht nur Gegenwartspräferenzen haben, sondern wir vermuten auch, dass es naive Verbraucher und gebildete Verbraucher gibt. Dass Frau Maisch wahrscheinlich mit zwei Seiten klarkommen würde, kann ich mir vorstellen. Aber wir haben ja vorhin gehört, dass die Geringverdiener das Problem sind, die in der Regel auch in diesen Fragen der Finanzanlagen nicht so – sage ich mal – gebildet sind. Ich glaube anders als Herr Wagner es eben noch mal sagte, dass die Weiterbildung zwar ein wichtiger Ansatzpunkt ist, dies aber keine wirkliche Strategie sein kann. Es gibt dazu amerikanische Studien, die ganz klar davon ausgehen, dass finanzielle Allgemeinbildung personenbezogen stattfinden muss. Wie geht man mit diesem Problem um? Das ist eigentlich eine Frage, die sich an alle drei richtet. Ich würde gerne doch noch einen Punkt ergänzen. Frau Maisch, Sie sprechen davon, dass die Aufsicht sich verbessert hat. Das verstehe ich jetzt nicht. Der Finanzmarktwächter hat keine Funktion, die tatsächlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen Vorgaben machen oder sie zu Aufgaben verpflichten kann. Ich glaube, dass Sie das vielleicht etwas positiv sehen. Den Zusammenhang zur Aufsicht sehe ich da noch nicht. Christian Schwirten Ich habe eine kurze Frage an Herrn Tenhagen, anknüpfend an Ihre Produktinformationsblätter: Sehen sie das Problem nur in der unzureichenden Darstellung von bestimmten Merkmalen in den Produktinformationsblättern? Oder darüber hinausgehend, abgesehen von der aus Ihrer Sicht nicht sinnhaften Fondspolice? In den einzelnen Merkmalen der Riester-Rente? Ulrike Herrmann 32 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Wir machen erst mal Schnitt. Ich fang jetzt einfach mal bei Herrn Tenhagen an. verpflichtet sie, die Kosten zu tragen. Das sind die beiden Möglichkeiten, die man da hat, wenn man den Leuten näher treten will. Hermann-Josef Tenhagen Letzter Punkt. Viele weitere Fragen hängen tatsächlich an der finanziellen Allgemeinbildung. Können die Leute eigentlich ihre Zukunftspräferenzen richtig einschätzen? Das Beispiel, das die Leute meistens noch irgendwie auf die Reihe bringen ist zu sagen, ich glaube, ich möchte mir irgendwann ein Haus oder eine Wohnung kaufen. Die Frage, welche Produkte es sonst noch gibt hat und welche Auswirkungen ein Fondssparplan versus eines Banksparplans hat oder ob man wie Papa und Mama früher eine Versicherung abschließt, 100 Euro im Monat einzahlt und sich bis zur Rente nicht mehr drum kümmert, weil das sozusagen die Familientradition ist, das weiß ich schlicht nicht. Ich glaube, da gibt’s Leute, die so ticken und die das auch nicht anders wollen und für die muss man dann gucken, dass man eine preiswerte Lösung bekommt. Bei der Frage, dass sich Präferenzen und das Leben ändern, gibt’s ein ganz spezifisches Problem dieser privaten Altersvorsorge, welche eigentlich weder 2000 noch heute vernünftig adressiert wird. Traditionell hat man im Versicherungsbereich Verträge für zwanzig Jahre gemacht. Eine Lebensversicherung, die kriegte man Mitte fünfzig oder Ende fünfzig ausgezahlt und gut war es. Heute sollen die Leute mit dreißig Jahren einen Vertrag abschließen, der bis 90 reicht, das sind sechzig Jahre. Wie gut und wie vernünftig kann so ein Vertrag sein? Wenn Sie jetzt mal einen leitenden Mitarbeiter oder den Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen Versicherungsunternehmens fragen, wie lange in die Zukunft könnt ihr die finanzielle Auswirkung solcher Verträge tatsächlich vernünftig abbilden. Dann sagt er, wenn er ehrlich ist, zwanzig Jahre, bei der Ratingfirma Assekurata sagen die Experten sogar nur fünf Jahre. Aber zwanzig Jahre reicht mir dann schon, um das Problem mal ein bisschen zu dimensionieren, was wir hier haben. Fangen wir bei der Marktbereinigung an. Vor einigen Jahren haben 400.000 Leute in Deutschland Versicherungen verkauft, zurzeit sind es 240.000, das sind wahrscheinlich mehr als in der Rest-EU zusammen. Da sieht man mal ein bisschen die Dimension von Marktbereinigung. Wir haben hier tatsächlich einen ganz anderen Markt als er anderswo ist und das hat auch Auswirkungen. Die sind oft bei Ver.di organisiert, Teil eins. Teil zwei, Kostendeckelung. Kostendeckelung ist deswegen eine Option, über die man nachdenken muss, weil die Leute diese Kosten bisher gar nicht vergleichen können. Und wenn Herr Wagner sagt, dass es nicht möglich ist, die Kennzahlen vernünftig in einem Graswurzelprozess unterzubringen, dann spricht das dafür, dass der Staat einschreiten muss und tatsächlich Kostendeckel machen muss. Denn, wenn die Experten sich untereinander in die Haare kriegen und nicht erklären können, was preiswerter und was weniger preiswert ist, wie soll denn der Kunde das bitte machen. Das heißt, dass man vermutlich einen Kostendeckel braucht. Ich sag jetzt nicht wie der aussehen muss und wie der sein kann, das weiß ich nicht, aber die Empirie spricht in der Tat dafür. Frage drei, Frau Hagen, Produktinformationsblätter. Wenn die auf ein bis zwei Seiten beschränkt wären, würde das eine Menge helfen. Das ersetzt nicht finanzielle Allgemeinbildung und es ist auch eine Frage der Kosten. Ich bin ja bei so einem gemeinnützigen Portal, das die Informationen kostenlos anbietet, wir haben uns was dabei gedacht, als wir unsere Informationen für die Nutzerkostenlos gemacht haben. Viele Leute sind nicht mal bereit, vier Euro fünfzig für die Kosten der Information auszugeben, die haben an anderer Stelle auch das Problem. Da hat Herr Schwark auch einen Punkt – muss man mal so sagen – wenn es nämlich um Beratung geht, müssen wir dafür sorgen, dass die Leute Beratung in Anspruch nehmen können, auch wenn sie zunächst nicht glauben, dass sie das können. Die wissen ja gar nicht, dass sie 1200 oder 1500 Euro an Provision in so einem Vertrag stecken und finden deswegen auch 500 Euro Beratungskosten hoch. Von daher gibt’s da zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass man ihnen dabei hilft diese Beratungskosten zu tragen und die andere ist, man Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank, Frau Maisch, an Sie gingen ja auch einige Fragen. Nicole Maisch Ich fange mit Frau Hagens Frage an. Ich denke, dass die finanzielle Allgemeinbildung klare Grenzen hat. Wenn man sich vorstellt, man hätte nur noch eineinhalb Seiten, standardisierte 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 33 Verbraucherinformation, dann ist es auch für die Berater in den Verbraucherzentralen einfacher zu entscheiden, welches Produkt geeignet ist und welches nicht. Dann ist es einfacher, im Internet Vergleichsportale aufzubauen, dann ist es auch für mich als Kundin einfacher nachzuvollziehen, was der Mensch in der Bank oder in der Versicherung berät. Natürlich gibt es trotzdem vertrauende Kunden – und die gibt es durch alle Bildungsschichten –,. die dann trotzdem denken, der „Herr Bankbeamte“, der wird mich schon nicht bescheißen, das kann man nicht auflösen. Das ist dann eher eine Frage, wie Vertriebsstrukturen aufgebaut sind. Trotzdem finde ich, dass man an der Standardisierung festhalten muss, um bestimmte Dinge nicht so leicht verschleierbar zu machen. Thema Honorarberatung, Herr Schwark. Da haben Sie den wunden Punkt getroffen, deshalb haben wir bisher auch immer gesagt, jetzt lass uns Provisionen nicht verbieten, sondern versuchen einen Wettbewerb hinzubekommen. Ob das am Ende möglich sein wird, weiß ich nicht. Es gibt ungelöste Fragen, zum Beispiel wie Sie dann noch Haftpflichtversicherungen verkaufen. Es gibt ja Quersubventionierungen auch unter den Provisionen. Klar, das ist alles nicht geklärt, aber genauso wenig ist geklärt, wie man am Ende diesen immanenten Widerspruch, das eine Produkt ist gut für den Kunden, aber das andere bringt mir mehr Provision, wie man das auflösen will. Dritter Punkt von Herrn Kleinlein, es waren ja zwei unterschiedliche Sachen. Die eine Sache ist, dass man bei Riester bestimmte Standards einziehen will und es wird am Ende trotzdem nicht perfekt sein. Wir kriegen zum Beispiel auch in der Landwirtschaft nicht von heute auf morgen alles auf Bio umgestellt. Aber ich will, dass auch konventionelle Schweine nicht auf Spaltenböden stehen, Und ähnlich ist es im Finanzmarkt. Wir schaffen keine perfekten Verhältnisse von heute auf morgen, aber gewisse Standards können wir durchaus einziehen. Das ist das, was ich mit Grundkriterien gemeint habe. Zur Frage, inwiefern man privates Geld, sei es in der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten heranziehen sollte: Es gibt in unserer Partei eine große Sympathie dafür. Ich denke dann aber immer mit Grauen an Herrn Altmaier, der in seiner Zeit als Umweltminister ein derartiges Finanzprodukt vorgestellt hatte. Das sollte wenn ich mich recht erinnere zur Finanzierung, einer der 34 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 großen Stromtrassen von Nord nach Süd dienen. Es warenpartiarische Nachrangdarlehen, die den altersvorsorgewilligen Kunden da angedreht werden sollten - also das denkbar ungeeignetste. Meiner Auffassung nach kann man nicht sagen: Weil etwas besonders sinnvoll für die Transformation der europäischen Energieversorgung ist, müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Altersvorsorge investieren. Sicher muss man auch überlegen, wie man bestimmte gesellschaftliche Aufgaben bewältigt und dabei vielleicht auch privates Kapital heranzieht - aber nicht indem man Finanzierungsinstrumente benutzt, die wir ansonsten für völlig ungeeignet halten. Ein weiterer Punkt: Können die Tarifparteien alles lösen? Ich finde es gut, wenn sich viele Leute in Gewerkschaften engagieren und ich glaube auch, dass die Gewerkschaften im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer hart verhandeln. Aber es gibt weite Bereiche, die einfach nicht tarifgebunden sind, wo die Gewerkschaften keine Durchschlagskraft haben. Deshalb ist gerade der Mindestlohn verabschiedet worden. Und deshalb würde ich sehr warnen bei der zusätzlichen Altersvorsorge, nur auf betriebliche Lösungen zu setzen. Wenn man sich anschaut: Wer hat Betriebsrenten und wer nicht? Wie viele Frauen haben Betriebsrenten, wie viele Männer? wie viele Gutverdienende, wie viele Menschen mit kleinem Einkommen? Am Endeist ein Mix, der auch die private Vorsorge beinhaltet, vielleicht besser und auch immer ein Angebot etwa für diejenige, die in einem Frisörgeschäft arbeitet und eben dort keine betriebliche Altersvorsorge hat. Ulrike Herrmann Ja, Herr Wagner. Gert G. Wagner Das waren ja sehr unterschiedliche Fragen. Ich will bei dem Kostendeckel anfangen. Wenn es volle Transparenz gäbe, bräuchte man den Kostendeckel nicht. Ulrike Herrmann Denn es würde ja jeder sehen, dass ein Produkt teuer ist? Gert G. Wagner Ja. Wenn diese Transparenz mit einer Graswurzelbewegung der verschiedenen Anbieter von Altersvorsorge nicht herstellbar ist, dann wäre ein staatlich verordnetes Produktinformationsbaltt ja immer noch ein milderes Instrument als ein Kostendeckel. Ich halte beides – Graswurzelbewegung und staatliche Verordnung – für ziemlich unrealistisch. Denn die Riester-Rente wurde ja aus der Idee geboren, dass die Verbraucher komplett rational handeln und ohnehin alles transparent ist. Insofern ist wahrscheinlich unter pragmatischen Gesichtspunkten der Kostendeckel das effektivste Instrument. Zum zweiten Punkt, die Honorarberatung: Es wäre völlig konsistent, dass dann, wenn Honorarberatung gemacht wird, der Staat Gutscheine dafür ausgibt. Wenn er Riester ohnehin subventioniert, dann sollte er auch die Beratung subventionieren. Vorschriften, die regeln, wo nun investiert werden soll, sind der falsche Weg. Hinzu kommt: es gibt ja auch durchaus ernstzunehmende Wissenschaftler, die mit nachvollziehbaren Argumenten begründen, dass dieses Infrastrukturproblem überhaupt nicht existiert. Um nun auf Ihre Frage zurückzukommen: Diese bedeutet für mich zu fragen, ob man Spezialfonds verpflichtend machen sollten, damit wir sowohl das Infrastrukturproblem lösen als auch das Alterssicherungsproblem? Meine Antwort ist: Nein. Wenn man sich auf Kapitaldeckung verlässt, dann muss die volle Freiheit für Diversifikation erhalten bleiben. Ulrike Herrmann Vielen Dank an Sie drei. Es war sehr interessant, das Ganze noch einmal aus der Sicht der Verbraucher zu sehen. Mein dritter Punkt, Weiterbildung: Wenn man im Kontext von Financial Literacy ernsthaft auf den gebildeten Verbraucher setzt, muss man bereits in der Schule ansetzen. Folgt man dem, und ich tue das, wofür mein Kollege Gerd Gigerenzer am MPI für Bildungsforschung wirbt, sollte man schon die Schülerinnen und Schülern entsprechend mathematisch ausbilden, damit sie mit Risiken und Gefahren umgehen und dann auch Produktinformationen vernünftig interpretieren können. Dies kann man, realistisch betrachtet, durch Weiterbildung für die Menschen im mittleren und höheren Alter nicht mehr erreichen. Ich betone es trotzdem, denn es wäre für sehr viele Entscheidungen – privater, aber auch gesellschaftlicher Natur – sinnvoll, wenn den Kindern in der Schule ein besserer Umgang mit Risiken und Gefahren beigebracht werden würde. Ob man die zweite und dritte Ableitung bei irgendwelchen Funktionen berechnen kann, ist für die meisten komplett egal. Aber wirklich zu verstehen, was der Zinseszins bedeutet, um mal ein lebensnahes Beispiel zu bringen, wäre schon ein gewaltiger Fortschritt. Der letzte Punkt: Inwieweit sollte man Kapitaldeckung mit Infrastrukturausbau verbinden? Es gibt gute Gründe, warum in der Theorie der Wirtschaftspolitik gesagt wird, für jedes Ziel sollte es ein Instrument geben und ein Instrument sollte nicht für mehrere Ziele eingesetzt werden. Das hier ist ein Musterbeispiel dafür. Wenn ich bei der langfristigen Vorsorge auf Kapitaldeckung setze, dann müssen diejenigen, die diese organisieren, so diversifizieren dürfen, wie sie es für vernünftig halten. Denn die Diversifikation ist ja langfristig der entscheidende Vorzug der Kapitaldeckung. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 35 PANEL III: NEUSTART DER RIESTER-RENTE DURCH EIN STAATLICHES BASISPRODUKT Ulrike Herrmann Jetzt folgt das dritte Panel. Sie wissen: Thema ist nun das Basisprodukt und die Frage, ob man dieses als Alternative in den Markt einbringt oder nicht? Neben mir sitzt Lars Gatschke, Jurist, Mitarbeiter beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Er hat in den Vorgesprächen zu mir gesagt, er hätte die Gesetzgebung zu Riester hoch und runter begleitet und die Riester-Rente sei quasi sein Lebensthema. Udo Philipp - er ist bei den Grünen in der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen, gehört auch zur Rentenkommission der Grünen Partei. Marlene Haupt arbeitet beim MaxPlanck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Man könnte sagen, auch bei ihr war die RiesterRente durchaus ein Lebensthema und Lebensschicksal, denn ihre Dissertationsschrift hieß: „Konsumentensouveränität im Bereich privater Altersvorsorge“. Gerhard Schick kennen Sie alle, er ist seit 2005 im Bundestag und der finanzpolitische Sprecher der Grünen Fraktion. Wir werden jetzt in diesem Panel drei verschiedene Modelle des Basisprodukts vorgestellt bekommen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Rolle von Gerhard Schick wird natürlich sein, diese aus Grüner Perspektive zu bewerten. Wir beginnen mit dem Modell der Verbraucherzentralen. LARS GATSCHKE Verbraucherzentrale Bundesverband Wir haben mit unserem Modell eines Vorsorgefonds komplexes System geschaffen, weil wir vermeiden wollten, dass wir in ein Zwangssystem gehen müssen. Wenn man sich das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Modell der DRV Baden-Württemberg anschaut, dann stoße ich bei einem freiwilligen System an Grenzen des EU-Beihilferechts. Ein Weg dies zu vermeiden, wäre, mit dem Fonds komplett im System einer Sozialversicherung zu verbleiben und dabei nicht unter den Unternehmensbegriff im 36 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu fallen. Dies bedeutet: Ich spare individuell auf einem Konto unter dem Dach der DRV. Bei Eintritt bestimmter Bedingungen wird das gebildete Kapital in Entgeltpunkte umgerechnet und fließt über eine kollektive Kapitalverwahrstelle ratierlich dem Umlagesystem zu. Der Verbraucher erhält dann entweder eine erhöhte Erwerbsminderungsrente, Altersrente oder Witwenrente. Ulrike Herrmann Sie haben ja schon zwei wesentliche Dinge gesagt, es ist freiwillig und eine Säule in der Rentenversicherung. Wie ich es verstanden habe, wäre die Rentenversicherung nur der Verwalter. Das Geld würde also auch auf dem Kapitalmarkt angelegt? Lars Gatschke Es ist ein klassisches Kapitaldeckungssystem. Kapitaldeckung bedeutet lediglich, dass es ein zeitliches Auseinanderfallen von Mittelzufluss sowie Mittelabfluss und das Geld zwischenzeitlich am Kapitalmarkt angelegt wird. Kapitaldeckung hat insoweit den wesentlichen Vorteil, dass der Kapitalfluss erst in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem ich das Geld zur Refinanzierung meiner Leistungen benötige. Das Kapital steht der Kohorte zur Verfügung, die es angespart hat und für die es verwendet werden soll. Dies steht im Gegensatz zur reinen Umlage, wo idealtypisch die Einnahmen die Ausgaben decken und ich gerade keinen Kapitalpuffer bilde. Zudem fallen die Personen von Zahler und Empfänger auseinander. Wenn ich beispielsweise einen Rentenabschlag rückkaufe, fließt Geld unmittelbar der gesetzliche Rentenversicherung zu und wird als Einnahme verbucht. Dort wird es im Rahmen der Aufgaben der DRV verwendet und kann unter Umständen gleich wieder aus dem System heraus fließen. Es muss mir aber nicht unbedingt in zukünftigen Zeitperioden zur Verfügung stehen. Es kann vielmehr sein, dass andere Mittel für die Mehrleistung verwenden muss. Deswegen brauchen für den Vorsorgefonds einen Mechanismus der Kapitaldeckung, mit dem ich Geld über Zeit transferieren kann, weil wir ansonsten das Umlagesystem auf die Zukunft betrachtet zusätzlich belasten. Es ist durchaus sinnvoll, wie im vorherigen Panel auch gesagt wurde, Umlage- und Kapitaldeckung getrennt voneinander zu betreiben, weil ich unter Umständen in derselben Zeitperiode unterschiedliche Risiken und Auswirkungen von Risiken habe. Das heißt: Wenn ich konjunkturell Probleme habe, mag es im Kapitaldeckungssystem nicht diese Probleme geben, oder umgekehrt. So habe ich gegebenenfalls Ausgleichsmechanismen und kann aus beiden Systemen Vorteile ziehen. Deshalb ist Kapitaldeckung eine sinnvolle Ergänzung zur Umlage. Ulrike Herrmann Haben Sie denn bereits geklärt, ob die Rentenversicherung auch tatsächlich bereit wäre, einen solchen Fonds zu verwalten? Lars Gatschke Sie verwalten ja augenblicklich bereits Geld, unter anderem das der Nachhaltigkeitsrücklage. Natürlich würde unser Basisprodukt mit erheblichen Anlagebeträgen einhergehen. Wir würden aber auch nicht unmittelbar die Deutsche Rentenversicherung Bund mit dem Anlagemanagement belasten. Vielmehr sollte die entsprechende Kapitalverwaltung jeweils für einen Zeitraum von fünf Jahren ausgeschrieben werden. Die Ausschreibungskriterien und die Einhaltungen der dort niedergelegten Vorgaben sollte von einem mit entsprechenden Experten besetzten Anlageausschuss erarbeitet und überwacht werden Die Deutsche Rentenversicherung wäre damit nur der offizielle, nicht aber der operative Betreiber des Geschäfts. Ulrike Herrmann Angenommen, Sie würden jetzt ein derartiges staatliches Basisprodukt mitten in der Niedrigzinsphase starten. Halten Sie es für eine gute Idee, mit staatlicher Kapitaldeckung zu beginnen, wenn die Kapitaldeckung selbst gerade in der Krise ist? Lars Gatschke Wenn ich - wie Lebensversicherungen - 80 Prozent der Gelder in Anleihen investieren würde, hätte ich in der Tat ein Problem mit der Niedrigzinsphase. Aber Kapitalanlage unter SGB IV lässt wie etwa bei den Zeitwertkonten andere Anlageformen zu. Im Vorsorgefonds arbeite ich mit ganz anderen Aktienquoten. Kapitalmarktschwankungen sind über ein aktives Anlagemanagement abzumildern. Dies beinhaltet ein aktives Ablaufmanagement für die rentennahen Jahrgänge. Daran fehlt es im schwedischen System. So wäre auch eine Beitragserhaltungszusage gut darstellbar. 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 37 Ulrike Herrmann Udo Philipp Also, auch Sie wollen in die Aktien gehen. Das ist der perfekte Übergang zu Udo Philipp. Ihr System scheint ja dem der Verbraucherzentralen zu ähneln. Aber der zentrale Unterschied ist ja, dass Sie eine opt-out-Klausel vorschlagen. Das heißt, jeder müsste in diesem System das staatliche Produkt besparen, es sei denn, man sagt ganz ausdrücklich, dass man dieses Basisprodukt nicht möchte. Herr Schwark und andere haben verdeutlicht, dies sei EU-rechtlich gar nicht möglich. Ich kann natürlich schlecht Menschen in eine private Altersvorsorge hineinlenken, die dann hinterher das Geld verlieren, weil es auf die Grundsicherung angerechnet wird. Ein opt-out erscheint mir nur dann sinnvoll, wenn das Produkt sich auch für GeringverdienerInnen lohnt. Ulrike Herrmann Aber, um es hart zu formulieren: Dann kommt es nie. Udo Philipp UDO PHILIPP Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft Bündnis 90/Die Grünen Ein opt-out möchten wir gern, richtig. Ich wehre mich allerdings gegen die Darstellung, dass dies etwas zwangsähnliches wäre. Es wäre eine Form der Wahl. Man hat eine Standardeinstellung und man muss sich in die eine Richtung entscheiden oder man hat eine andere Standardeinstellung und muss sich in die andere Richtung entscheiden. Ulrike Herrmann Aber der Witz ist doch, dass möglichst wenig aussteigen sollen. Udo Philipp Ist absolut richtig, es ist ja verhaltensökonomisch und psychologisch immer wieder gezeigt worden, dass dann wenn man die Standardeinstellungen in eine Richtung setzt, in der Tat sehr viele Menschen diese auch beibehalten. Zwar wollen wir eine optout-Regelung, aber man muss schon sehen, dass die bisherige Ausgestaltung der Grünen Garantierente dazu führen würde, dass Menschen mit geringem Einkommen den großen Teil oder den allergrößten Teil ihrer privaten Ersparnisse verlieren, wenn sie diese in Anspruch nehmen. Unter dieser Voraussetzung wäre ein opt-out natürlich schwierig. Es ist für uns also insofern ein Wunsch, den wir dann erst richtig realisieren können, sobald das Problem der Garantierente gelöst ist. Ulrike Herrmann Diesen Zusammenhang müssten Sie vielleicht noch einmal erklären. 38 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Das hoffe ich nicht, aber das wird man sehen. Man kann das staatliche Basisprodukt grundsätzlich auch ohne opt-out starten. Die Frage ist: Macht man ein opt-out, betreibt man, wie die Amerikaner sagen nudging, versucht man sie also anzustupsen in das staatliche Basisprodukt. Versucht man auch ärmere Menschen anzustupsen, wenn man weiß, dass sie ein hohes Risiko haben, dass das Sparen dann letztlich gewissermaßen für die Katz ist? Ulrike Herrmann Nun vertreten Sie die Auffassung, dass man vor allen Dingen in Aktien investieren sollte und auch in außerbörsliches Eigenkapital. Vielleicht können Sie noch einmal erklären, warum das aus Ihrer Sicht so attraktiv ist, gerade außerbörsliches Eigenkapital, sprich Private Equity, zu stützen? Udo Philipp Gut. Sie haben das ja nun sehr gut verknüpft mit meinem vorigen beruflichen Hintergrund. Es soll natürlich kein Förderprogramm für die PrivateEquity-Industrie sein. Aber was mir sehr wichtig an der Geschichte ist: Man sieht immer wieder, dass der größte Teil der deutschen Unternehmen, die an der Börse sind, ausländischen Investoren gehört, dies betrifft zwei Drittel des Aktienbesitzes. In einem Land wie Schweden, wo es private Altersvorsorge in kapitalgedeckter Form gibt, die auch in börsliches Eigenkapital investiert ist, ist es genau anders herum. Dort ist die Mehrzahl der Unternehmen in schwedischer Hand. Und ich glaube auch, dass, ich möchte jetzt nicht nationalistisch klingen, einem amerikanischen Pensionsfonds deutsche Sozialpartnerschaft zu erklären, etwas schwieriger ist als im Fall eines deutschen Pensionsfonds. Ich bin außerdem der festen Überzeugung, dass dann, wenn man junge dynamische Unternehmen oder den ökologischen Umbau der Wirtschaft fördern möchte, es mit Schuldinstrumenten, mit Schuldtiteln wesentlich schlechter funktionieren würde. Denn dies ist ein wesentlich krisenanfälligeres, Derartiges lässt sich über Eigenkapital sehr viel besser finanzieren. nicht und ist es somit nur etwas für künftige Generationen, die noch schlau genug waren, keinen Riester-Vertrag zu haben? Udo Philipp Ulrike Herrmann Aber dahinter steht ja eine These, die wir auch schon bei Herrn Gatschke gehört haben: Die festverzinslichen Papiere bringen wenig, Aktien regelmäßig mehr. Da würde die Bankkauffrau, die in mir steckt, sagen: Das ist so nicht richtig. Die Finanzmärkte hängen zusammen, es gibt nur einen Finanzmarkt mit verschiedenen Produkten. Und wenn die Rendite auf Staatsanleihen sinkt, dann ist es klar, dass die DAX-Werte steigen, weil damit die Dividendenrendite sinkt. Am Ende ist die Rendite überall wieder gleich. Das heißt: Ist es eigentlich wahr, dass Aktien tatsächlich garantiert lukrativer sind als Rentenprodukte? Oder, noch schärfer ausgedrückt: Kann man nicht auch sagen, dass gerade die Existenz der großen amerikanischen Pensionsfonds, die es auch erst seit dreißig Jahren gibt, eine wesentliche Erklärung für die Blase auf den Finanzmärkten ist? Udo Philipp Also, wir haben es ja nicht begründet mit der Rendite. Eine unserer Hauptbegründungen ist, dass es für die Finanzierung der Wirtschaft letztlich besser ist, wenn sich junge Unternehmen mit Eigenkapital statt mit Fremdkapital finanzieren und dies gibt es in Deutschland unzureichend. Wir versuchen zweierlei miteinander zu verknüpfen: Das andere ist die Frage: Ist es für die Alterssicherung der Menschen schlecht, wenn die Alterssicherung stark in Aktien investiert wird? Und man sieht an Schweden, das nun sicherlich nicht als Hort des Kapitalismus verteufelt wird, dass es wunderbar funktionieren kann. Die Aktien-Rendite ist langfristig sicherlich nicht schlechter als die in festverzinslichen Papieren, sie ist in der Regel sogar etwas höher, weil man damit eine gewisse Volatilität hat. Zunächst bräuchten wir natürlich eine Mehrheit, damit wir das Basisprodukt überhaupt einführen können. Dann kann man sicher auch darüber nachdenken, ob man die staatlichen Zulagen, die man heute hat, mitnehmen kann oder ob man sie verliert, wenn man seinen jetzigen Vertrag kündigt. Wenn man nicht wechseln möchte, müsste man den jetzigen Vertrag eben beitragsfrei stellen und dann das neue Geld in den staatlichen Basisfonds investieren. Ulrike Herrmann Vielen Dank. Herr Gatschke. Lars Gatschke Ich glaube, es ist auch zu kurz gegriffen, wenn wir den Vorsorgefonds nur für Riester-Verträge machen. Wenn man über solche Mechanismen nachdenken will, dann muss man jedem Bürger die Möglichkeit geben, in solche staatlichen Produkte hineinzugehen. Dies kann nicht auf den Kreis der Riester-Förderberechtigten reduziert werden. Auch im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge besteht für die Arbeitnehmer bei der Entgeltumwandlung das gleiche Problem wie bei der Riester-Rente. Auch Arbeitgeber im KMUBereich sind oft überfordert. Darüber hinaus sind Selbstständige verdonnert, ihr Geld in mehr oder weniger lukrative Rürup-Verträge zu investieren. Aus dieser Perspektive würde ich den Zugang weiter fassen. Ich würde eher sagen, der Arbeitgeber soll durchaus freiwillige Beiträge einzahlen können, der Arbeiternehmer soll Beiträge einzahlen können, der Riester-Sparer, der Rürup-Sparer, wer auch immer. Dies muss mit einer Harmonisierung der Förderbedingungen einhergehen. Ulrike Herrmann Ulrike Herrmann Angenommen, es gibt ein staatliches Basisprodukt und jetzt wollen diejenigen, die schon einen Riester-Vertrag haben, zu diesem wechseln, weil sie annehmen, dass es ein viel besseres Angebot darstellt. Wie käme man nach Ihren Plänen von den jetzt bestehenden Riester-Verträgen hin zu dem staatlichen Basisprodukt? Oder geht das gar Danke, Herr Gatschke. Frau Haupt, das schwedische Modell wurde bereits als das leuchtende Beispiel erwähnt. Sie haben ja das schwedische Modell sehr intensiv studiert. Halten Sie es für möglich, diese skandinavische Version mehr oder minder direkt nach Deutschland zu importieren, oder gäbe es dabei Schwierigkeiten aus Ihrer Sicht? 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 39 DR. MARLENE HAUPT Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik Es gibt unterschiedliche Bedingungen in beiden Ländern, die ungefähr zur gleichen Zeit ihr jeweiliges System eingeführt haben. Und ich glaube nicht, dass es zielführend ist, jetzt über eine Abschaffung zu diskutieren und einen Neuanfang auf der grünen Wiese zu planen, denn die gibt es einfach nicht mehr. Insofern bin ich hier pragmatischer. Es gibt einiges, das Schweden sehr gut macht. Hier könnte man durchaus einige Aspekte übernehmen, ohne dass man alles Bisherige verteufelt und noch einmal ganz von vorne anfängt. Ulrike Herrmann Was würden Sie aus Schweden übernehmen? Dr. Marlene Haupt Die vier Felder, die Nicole Maisch vorhin schon angesprochen hat, habe ich mir noch einmal angesehen. Was läuft hier in Schweden anders? Was sollte man sich zumindest einmal genauer anschauen? Das erste waren ja die Informationen: Schweden hat ein Informationsschreiben, einen orangenen Brief, der ja sehr oft benannt wird. Er besteht nur aus drei Seiten und beinhaltet die umlagefinanzierte, also die gesetzliche und gleichzeitig die kapitalgedeckte, sogenannte Prämienrente. inklusive Babys. Wie viele von den erwachsenen Schweden, vielleicht sechs Millionen, sitzen auf diesen Sofa-Fonds oder den staatlichen Fonds? Und wie viele sind in den restlichen 800 Fonds? Dr. Marlene Haupt Ich habe es heute Morgen noch einmal nachgeschaut. Es sind tatsächlich mittlerweile über drei Millionen, die in diesem Sofa-Fonds sitzen, ohne auf etwas anderes zu setzen. Ulrike Herrmann Also ungefähr fünfzig Prozent der Anspruchsberechtigten? Dr. Marlene Haupt Mittlerweile ja. Es war ursprünglich so gedacht, dass sie, wenn sie eben nichts machen, in diesem Sofa-Fonds landen. Und sobald sie sich dann entscheiden, doch eine andere Anlagestrategie zu fahren, haben sie diesen automatisch verlassen und konnten auch nicht wieder zurück. Aus den Zahlen wird deutlich, dass sehr viele nach Einführung des Systems versucht haben, sich in dem Produktportfolio anderweitig zu bewegen. Tatsächlich hat dann die Politik einen Rückzieher gemacht und 2011 angefangen zu ermöglichen, dass sie wieder hinein dürfen in den Sofa-Fonds. Dies führte dazu, dass die Menschen – auch da so Komplexität reduziert werden konnte – sich wieder für dieses Produkt entschieden haben, das zudem relativ gut performt. Damit haben wir im Moment natürlich steigende Zahlen von Personen, die in dem Staatsfonds sitzen. Ulrike Herrmann Aber wenn man, wie in Schweden, nur wenige staatliche Fonds hat, die die meisten auch in Anspruch nehmen. Dr. Marlene Haupt Man hat nicht wenige. Es gibt 800 Produkte, aus denen die Schwedinnen und Schweden auswählen können. Nur in dem Fall, in dem sie nichts tun, sitzen sie im sogenannten Sofa-Fonds, der die bequeme Couch sein soll, wenn sie nicht handeln wollen. Und ansonsten bieten sich ihnen sehr viele weitere Produkte, die sie miteinander kombinieren können. Ulrike Herrmann Mit Blick auf die deutsche Landschaft interessant: Es gibt ungefähr neun Millionen Schweden, 40 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Ulrike Herrmann Ich hatte Sie ja bereits unterbrochen, als es um die Transparenz ging, Sie wollten ja noch die anderen Punkte von Frau Maisch abarbeiten. Den jährlichen Brief haben wir schon diskutiert. Dr. Marlene Haupt In Schweden haben Sie zielgruppenspezifische Informationen, was ja Frau Kornelia Hagen vorhin auch angesprochen hatte. Die Informationshürden werden relativ niedrig gehalten. So versucht man, die Menschen über Apps zu motivieren. Außerdem werden Papierbroschüren angeboten. Die Betroffenen sollen also auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Das ist, glaube ich, relativ innovativ. Der Vertrieb ist durch das Obligatorium, was wir in Schweden haben, insofern anders strukturiert, als dass man eigentlich keinen Vertrieb hat. Sondern: Die Versicherten überweisen Ihren Beitrag an die Rentenbehörde und diese investiert die Gelder in Fonds. Sie wissen zwar, in welchen Fonds sie investieren, aber der Fonds kennt die Kundinnen und Kunden nicht. Er kann sie nicht direkt bewerben und spart sich damit den Vertriebsweg. Insofern unterscheidet sich also das schwedische Verfahren von dem in Deutschland. Gleichzeitig ist die Problematik der Aufsicht in Schweden anders geregelt Grundsätzlich kann hier jeder Fonds, der eine EU-Richtlinie erfüllt, Teil des Prämienrentensystems werden. Seit Einführung des Systems haben immer mehr Fonds partizipiert also muss es scheinbar auch für diese interessant sein. Zum anderen sehen es die Regelungen der zuständigen Behörde vor, dass einer Partizipation nur unter der Bedingung, dass dem Rabattsystem der Behörde zugestimmt wird, möglich ist. Wie funktioniert dieses Rabattsystem? Wenn mehr Geld in diese jeweiligen Fonds fließt, haben die Produktanbieter bestimmte Skaleneffekte, die den Kundinnen und Kunden zugutekommen müssen. Das heißt: Je mehr Geld in einen bestimmten Fonds investiert wird, desto größer sind die Rabatte, die die Anbieter an die Versicherten rückzahlen müssen. Zu den Produktzielen, ein weiterer Punkt: Im Kontext des Sofa-Fonds wird klar auf umweltpolitische und auf ethische Ziele Wert gelegt. Zudem gibt es eine Art Negativliste, die definiert, warum der Sofa-Fonds kein Geld in als kritisch bewertete Unternehmen investiert. Die Kosteneffizienz spielte bereits in meinen Ausführungen zum Rabattsystem eine Rolle. Dann haben wir eine Kostendeckelung bei den Verwaltungskosten, die bei 110 Kronen liegt, was elf Euro entspricht. Zu den somit von jedem Einzelnen maximal zu tragenden Kosten kommen die Fondsmanagementgebühren hinzu, die durchaus variieren können. Aber aufgrund der Transparenz des Systems insgesamt und auch dank des Rabattsystems sind diese wesentlich niedriger, als dies dann der Fall wäre, würde man den gleichen Fonds privatwirtschaftlich, also privat für sich nutzen. Ulrike Herrmann Erst einmal vielen Dank. Das ist Schweden. Herr Schick, wie viel lässt sich davon übernehmen? DR. GERHARD SCHICK Sprecher für Finanzpolitik Bündnis 90/Die Grünen Ich glaube, man muss vorneweg schicken: Wir haben uns in der Fraktion noch nicht genau geeinigt, was wir im Zusammenhang mit dem Basisprodukt tun wollen. Dieses Fachgespräch dient dazu, genau das zu eruieren. Wir haben im Wahlprogramm deutlich gemacht, dass wir die Riester-Rente grundlegend reformieren und ein einfaches, kostengünstiges und sicheres Basisprodukt einführen wollen. Das heißt: An der Kapitaldeckung als einem Teil im System der Alterssicherung wollen wir durchaus festhalten bei aller Betonung der gesetzlichen Rentenversicherung. Und: Die Idee eines Basisproduktes leuchtet uns ein. Ich glaube, es ist wichtig, die verschiedenen Perspektiven zu sehen. Da ist erstens die fiskalische Sichtweise. Eine steuerliche Unterstützung für das Sparen ist erst einmal begründungspflichtig. Ja, warum sollte man das tun? Besonders begründungspflichtig ist es dann, wenn die Produkte selbst keine guten sind. Hier müsste man gegenüber jedem, der Steuern zahlt, darlegen, warum schlechte Produkte durch Steuern besser werden sollten. Dann ist da zweitens die Perspektive, die wir im vorherigen, im verbraucherpolitischen Panel kennengelernt haben: Warum haben wir eigentlich ein System, das Menschen, die zwar Altersvorsorge machen wollen und auch die Kapitaldeckung gut finden, dazu zwingt, sich mit den komplexen Fragen des Finanzmarktes zu beschäftigen? Warum schaffen wir nicht ein System, das es für die Menschen einfach macht, vorzusorgen? Wenn ich über das Basisprodukt spreche, höre ich oft sinngemäß Folgendes: „Es wäre doch toll, wenn Politik mal etwas macht, was für mich passt. Ich bin guten Willens, aber ich habe keine Lust, mich mit Finanzfragen zu beschäftigen, weil ich in meiner Freizeit lieber Tennis spiele.“ Und ich finde, wir sollten Politik für die Menschen machen, wie sie es wollen, anstatt für einen imaginären Finanzmarkt-mündigen Verbraucher, den wir auch in fünfzig Jahren Bildungssystemreform nicht werden schaffen können. Das ist eine gute Idee Grüner Politik. Ich merke, dass da viel Resonanz ist. Auch bei dem Thema: Kriegen wir das unbürokratischer hin, auch wenn wir gleichzeitig die Produktinformation optimieren? Ich treffe so viel Menschen, die trotzdem keine Lust haben, diese Sachen zu lesen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 41 anders geht, aber ich treffe ganz viele Menschen, die sich deswegen irgendwelchen im Finanzvertrieb tätigen Bekannten und Freunden anvertrauen, in der Hoffnung, dass die es gut mit ihnen meinen. Leider werden in diesem Vertriebssystem aber häufig die Freundschaftsstrukturen ausgebeutet, was ich ganz besonders perfide finde. Das ist die verbraucherpolitische Sicht. Aus der dritten Perspektive, welche vorher schon ein bisschen angeklungen ist, muss man fragen: Was sind eigentlich gute Gründe, Kapitaldeckung zu machen? Wenn man die Kapitaldeckung zusätzlich zur Umlage richtig findet, ist zu klären, wie das Geld investiert wird – und zwar nicht nur unter ethischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten, die bei den Grünen auf jeden Fall immer dazu gehören - sondern auch hinsichtlich der Frage, inwieweit es denn dann sinnvoll ist, im Wesentlichen in Staatsanleihen zu gehen? Ich finde, die Frage ist legitim, auch wenn sie von Ihnen ein wenig abgewertet worden ist. So einfach kann man es sich nicht machen an der Stelle. Die vierte Dimension bezieht sich sicherlich auf die rechtlichen Grenzen, die wir werden einhalten müssen. Es gibt die große Überlegung des Übergangs. In der Grünen Fraktion sicher nicht mehrheitsfähig ist nach meiner Auffassung ein Obligatorium - und zwar nicht nur angesichts des Grundgedankens, dass wir eine freiheitliche Gesellschaft organisieren wollen, sondern auch aus der Perspektive heraus, dass es Lebenssituationen gibt, in denen die Altersvorsorge vielleicht nicht im Mittelpunkt steht, sondern in denen man erst einmal einen Kredit tilgt oder in denen man gerade andere Bedürfnisse hat. Und dann ist ein Obligatorium einfach sehr hart. Auf der anderen Seite ist es nicht überzeugend, die völlige Freiwilligkeit mit der Pamperung eines aufgeblähten Finanzvertriebes zu bezahlen. In diesem Rahmen bewegt sich, glaube ich, jetzt die Debatte. Und das schwedische Beispiel spielt in unserer Diskussion eine Rolle. Man könnte natürlich auch sagen, dass Riester ein Irrweg war und dass wir die Reform von damals wieder rückgängig machen sollten. Dann müsste man aber auch beim Rentenniveau einen anderen Pfad einschlagen. Das ist ein Weg, der natürlich zu diskutieren ist. Das ist heute auch ein bisschen angeklungen. Ich meine aber, dass die Kapitaldeckung richtig ist. Diese zyklische Wiederkehr der Rentendiskussion finde ich interessant: Anfang der 2000er Jahre schien die 42 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Umlage antiquiert. Man kam sich ja vor, als würde man noch Schlaghosen tragen, wenn man die Umlage okay fand. Ich habe auch damals immer gesagt: Die Umlage ist das zentrale System. Und genauso ist es jetzt nach der Finanzkrise so, dass Kapitaldeckung plötzlich für viele out ist. Ich glaube, dass wir Rentenpolitik nicht so zyklisch diskutieren sollten. Es geht doch immer um 40, 50, 60, 70 Jahre, da können wir uns nicht von kurzfristigen Moden treiben lassen. Im Vordergrund stehen sollte die Grundüberlegung: Was ist eigentlich ein langfristig stabiles System, das auch im Sinne der Sicherung des Lebensstandards Rendite generieren kann? Ulrike Herrmann Vielen Dank. Ich kann mir vorstellen, es gibt eine ganze Reihe von Fragen. Mike Weber, Rentenberater Es wäre eine Frage an die Politik bezüglich des angesprochenen Beratungsscheines. Man könnte die Honorarberatung so regeln, dass jeder, der bedürftig ist, einen Beratungsschein bekommt, wie das ja bei der anwaltlichen Beratung heute auch der Fall ist - allerdings mit der Maßgabe eines angemessenen Honorars. Für 50 oder 70 Euro wird niemand diese Aufgabe übernehmen, weil die Waffengleichheit nicht gegeben ist. Der, der sich einen freien Honorarberater suchen kann und 500 oder 1000 Euro bezahlt, wird nicht die gleiche Leistung bekommen, wie der, der nur 70 Euro bekommt. Eine Frage an Herrn Gatschke: Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sind diejenigen Banken in Deutschland am schlimmsten von der Finanzmarktkrise betroffen gewesen, die in staatlicher Hand waren. Das waren insbesondere die Landesbanken. Nun habe ich Sie so verstanden, dass Sie ein staatliches Rentenfinanzierungssystem aufbauen möchten mit einem Fonds, der staatlich verwaltet werden soll. Meine Angst wäre, dass dort die gleichen Experten wie in den Landesbanken sitzen. Sollte man vor diesem Hintergrund nicht anders vorgehen? Ulrike Herrmann Vielen Dank. Marcel Duda, Grüne Jugend Mein Name ist Marcel Duda, ich bin auch Mitglied der Grünen Rentenkommission, allerdings dort für die Grüne Jugend delegiert. Wir haben uns als Grüne Jugend auch vor etwa einem Jahr mit der Frage beschäftigt: Wollen wir eine kapitalgedeckte Altersvorsorge, und wenn ja: Wollen wir dort ein staatliches Basisprodukt? Wir haben uns grundsätzlich gegen eine kapitalgedeckte Altersvorsorge in unserer Positionierung entschieden, aus folgenden Überlegungen: Alle Rentenarten, sowohl die umlagefinanzierte als auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge, speisen sich letztendlich aus Cashflows, die in realwirtschaftlichen Prozessen generiert werden müssen. Vor diesem Hintergrund sind Aktien aus unserer Sicht genauso konjunkturanfällig, wenn nicht noch konjunkturanfälliger als Bonds. Das umlagefinanzierte System hat sich da doch als relativ stabil erwiesen. Aus unserer Sicht ist es sozialpolitisch zumindest fragwürdig, warum wir einzelnen Menschen die Risiken eines zunehmend volatilen Kapitalmarktes aufbürden wollen, wenn wir diese Kapitaleinkünfte, die ja immer stärker im Vergleich zu den Löhnen steigen, auch zum Beispiel über eine Kapitalertragssteuer abschöpfen sowie etwa durch eine steuerfinanzierte Grundrente gerechter verteilen könnten. Und gerade wenn wir über Staatsanleihen im Kontext der Pensionsfonds sprechen: Man hat es in Japan gesehen. Dort wurden mit einer riesigen Staatsverschuldung auch die privaten beziehungsweise staatlichen Pensionsfonds subventioniert, nach dem Muster: Linke Tasche, rechte Tasche. Das bringt nicht viel. Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank. Thomas Lueg, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Mein Name ist Thomas Lueg. Ich bin vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, ich hätte zwei Fragen und vielleicht noch eine Anmerkung oder Empfehlung. Zunächst zu dem Vorschlag von Herrn Gatschke. Ich frage mich bei Ihrer Zielrichtung „einfach, transparent, sicher“: Wie soll dieses neue Basisprodukt einfach, transparent und sicher werden, wenn Sie die Verrentung nach dem SGB VI vornehmen, die Anlagepolitik vielleicht nach SGB IV. Das SGB VI ist maßgeblich für die gesetzliche Rentenversicherung und letztendlich auch für die Höhe der Rente. Es ist ungefähr 150 Mal geändert worden seit seiner Einführung. Wie soll das eigentlich funktionieren? Wie würden Sie ein Produktinformationsblatt für einen Kunden ausfüllen, die berühmten zwei Seiten, wie dieses Produkt funktionieren soll? Und, an Herrn Philipp gerichtet: Ehrlich gesagt, ich habe noch nicht verstanden, was Ihre Vorschläge mit Altersvorsorge zu tun haben. Für mich riecht es jetzt danach, dass opting-out EU-rechtswidrig ist und dass es bei der Kapitalisierung von Unternehmen auch außerbörslich letztendlich um eine Förderung der Wirtschaft gehen soll. Ich habe keine Idee, wie ein Sicherungsfonds aussehen soll. Ich habe keine Idee, wie denn eigentlich die Leistung aus diesem Konzept aussehen soll. Dann vielleicht noch eine Empfehlung zu den politischen Risiken. Sie sollten sich nicht nur mit Schweden auseinander setzen, sondern vielleicht auch mit Irland. Irland hat einen staatlichen Pensionsfonds, der sehr viele der Kriterien erfüllt, die auch bei den Grünen hoch im Kurs stehen. Es sind relativ niedrige Verwaltungskosten und es wurden ethische Kriterien der Kapitalanlage dort berücksichtigt. Nur, was ist über die Krise passiert? Man hat etwa 10 Milliarden aus diesem Fonds herausgenommen, um dann zwei irische Banken zu rekapitalisieren. Vorher gab es keine Probleme, Transparenz und einen Jahresbericht. Sie sollten sich das insbesondere als Lehrstück in Sachen politischer Risiken anschauen.. Gast Ich werde hier ja seit einiger Zeit etwas unruhig. Herr Nullmeier hat den Aufschlag zum Thema Paradigmenwechsel gemacht. Wir haben heute ein Alterssicherungsniveau, der Standardrentner bekommt, glaube ich, monatlich 1287 Euro brutto bei einem Rentenniveau von 47 Prozent. Wenn man dies auf das letzte Einkommen bezieht, sind es 35 Prozent brutto. 35 Prozent: Das ist unsere Alterssicherung zurzeit. 30 Prozent der gegenwärtigen Rentner haben Anspruch auf eine Betriebsrente, vier Millionen bekommen eine Riester-Rente, eventuell. Das ist unsere Alterssicherung zurzeit. Sie machen sich hier Gedanken über Ergebnisse, die in zehn oder zwanzig Jahren nach einer Ansparphase laufen. Wie werden die Rentner der nächsten fünf oder zehn Jahre abgesichert - bei dem gegenwärtigen Rentenniveau, das noch weiter sinkt. Und, Herr Gatschke, Sie wollen in Kapital anlegen. Wie kommen Sie an Ihr Geld, wenn der DAX wieder absinkt? Im Prinzip haben wir auf die lange Sicht eigentlich keine andere Möglichkeit, als das Rentenniveau wieder vernünftig so anzuheben, 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 43 damit die Rentner der nächsten Jahre vernünftig gesichert sind - und nicht in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren. Organisationsform einer Stiftung. Das Angebot eines nicht-obligatorischen Basisproduktes ist mithin nicht zwangsläufig eine staatliche Aufgabe. Ulrike Herrmann Ulrike Herrmann Okay, vielen Dank, jetzt würde ich gern noch dem Podium Gelegenheit geben. Ja, vielen Dank. Prof. Dr. Frank Nullmeier Mir ist nicht ganz klar, wie mit einem Basisprodukt ein echtes Problem der Alterssicherung gelöst werden soll, wenn das Basisprodukt nicht obligatorisch sein sollte. Ich verdeutliche dies einmal am folgenden Punkt: Soll das Basisprodukt für die GRV-Versicherten die Ausgleichsfunktion erfüllen, die ursprünglich der Riester-Rente zur Kompensation der Kürzungen in der GRV zugeschrieben wurde? Dann kann es nur als Obligatorium sinnvoll sein. Wenn man aber ein obligatorisches Basisprodukt will, muss man sich Gedanken machen, wie diejenigen befähigt werden sollen, die Prämienzahlungen dafür aufzubringen, die durch geringe Einkommen, Überschuldung oder sonstige Tatbestände nur wenig vorsorgefähig sind. Wenn das Basisprodukt nicht als Obligatorium ausgestaltet werden soll – und das Opt-Out-Modell ist kein Obligatorium – dann geht es schlicht darum, einen öffentlichen Träger ein Vorsorgeprodukt anbieten zu lassen, das der Versicherungswirtschaft Konkurrenz macht. Die Konsequenz ist eine öffentlich-rechtlich Einrichtung (als gemeinnütziges Unternehmen, als öffentlich-rechtliche Stiftung, evtl. auch eine privatrechtlich verfasste Einrichtung in öffentlichem Besitz), die nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist und deren Produktangebot besonders hohe Standards an Transparenz, Verbraucherschutz und Reduktion der Verwaltungskosten erfüllt. Das heißt aber, dass mit dem Träger des Basisproduktes nur ein weiterer Akteur den Vorsorgemarkt betritt. Eine Anbindung an die DRV Bund ist genau aus diesem Grunde nicht denkbar. Sie müsste zumindest aus der unmittelbaren rechtlichen Trägerschaft herauslöst werden. Für den Fall eines nichtobligatorischen Basisproduktes stellt sich mithin das Riesenproblem, einen neuen öffentlichen Träger gründen zu müssen. Es ließe sich allerdings auch die Frage stellen, ob die Einführung eines Basisproduktes nicht eher eine zivilgesellschaftliche Aufgabe ist, eine gemeinnützige Einrichtung zu gründen, die ein allen verbraucherpolitischen Standards entsprechendes Produkt anbietet, etwa in der 44 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Markus Kurth Mich wundert durchaus, dass noch niemand angesprochen hat, vor welchem grundlegenden Problem ein Basisprodukt stünde, wenn es denn die Funktion der Riester-Rente übernehmen soll. Es müsste vier Prozent Rendite erwirtschaften, um das Absinken des Rentenniveaus auszugleichen diesen Niveauausgleich hinzukriegen. Dies wird auch mit einem Basisprodukt mutmaßlich nicht gelingen. Eine zweite These: Ein opt-out und insbesondere ein Obligatorium dürfte nicht zu tief in die Tasche greifen. Ein Eigenbeitrag von vier Prozent vom Bruttoentgelt, wie bisher vorgesehen, ist nach meiner Auffassung, zu viel. Eine derartige Masse zwangsweise oder auch im Rahmen eines opt-outModells anzusparen, das ist schon eine große Portion. In Schweden sind es nur 2,5 Prozent, deutlich weniger. Man stünde ohne Frage in der Erklärungsschuld denjenigen gegenüber, die vielleicht dringend Geldmittel für eine Krankenbehandlung, für die Schuldentilgung oder anderes benötigen. Ich bin sicher, dass ein opt-out oder ein Obligatorium nur eine Chance bei einer absolut tragfähigen ersten Säule sein könnten, wie auch die Riester-Rente nur eine Zukunft hat, wenn die erste Säule stabil ist. Also darauf zu setzen, Udo, einen größeren Freibetrag bei der Grundsicherung einzuführen, ist wirklich keine attraktive Perspektive. Ähnliches gilt für die Annahme, Alterssicherung wäre in Zukunft eine Kombirente aus einer gesetzlichen Rente oder der Grünen Garantierente Grundsicherung plus private Altersvorsorge. Attraktiv ist private Altersvorsorge, wenn sie zusätzlich zu einem stabilen Sockel der ersten Säule, der gesetzlichen Rente, besteht. Hier sind vielleicht auch Berührungspunkte zur Versicherungswirtschaft zu erkennen, von der ich mir mehr Einsatz erhoffe - dass sie aus ihrer Sicht deutlich macht, warum das Rentenniveau möglichst oberhalb der Werte gehalten werden muss, die bislang für 2030 anvisiert sind. Hermann-Josef Tenhagen Ich habe zwei Fragen: Was ist eigentlich mit Altersarmut und spielt Riester dort eine Rolle? Zum Hintergrund: 8,50 Euro pro Stunde ist dieser neue Mindestlohn. Sie müssen 62 Jahre Vollzeitl arbeiten und voll Beiträge für die gesetzliche Rente kleben, um auf die Grundrente zu kommen. Sie wissen, wie alt sie dann sind, wenn sie mit 17 angefangen haben. Dies ist die erste Frage, die entscheidende. Zur zweiten: Wenn man kapitalgedeckt vorsorgt, basiert das auf einer Marktidee. Ein Markt basiert darauf, dass Konkurrenz funktioniert. Wenn aber jetzt auf der einen Seite gesagt wird, die Leute können oder wollen diese unterschiedlichen Produkte nicht verstehen, kann Markt so nicht funktionieren. Das heißt entweder nehmen wir wenigstens an, für einen großen Teil der Leute kann der Markt funktionieren, weil sie es verstehen können, wollen oder müssen. Dann ist eine kapitalgedeckte Variante sinnvoll. Oder man sagt, die Leute können oder wollen das nicht verstehen. Man müsste in diesem Fall aber prinzipiell anders über Altersvorsorge nachdenken, was auch im Zusammenhang mit allen möglichen anderen Produkten im Finanzmarkt zu der Frage führt, ob wir sie dann noch haben wollen oder können. Da ich persönlich durchaus eine Präferenz für marktwirtschaftliche Lösungen habe, denke ich, wir müssen alles Mögliche daransetzen, dass die Leute es verstehen können. Ob sie es denn wollen? Das können wir nicht beeinflussen in einem vernünftigen freien Staat. Danke. Ulrike Herrmann Danke. Herr Strengmann-Kuhn. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion Ich möchte noch einmal das betonen, was Markus Kurth hat es bereits angesprochen, dass die erste Säule zu stärken ist Zu der Stärkung gehört auch, dass die erste Säule armutsfest ist durch eine Garantierente, Basisrente oder ähnliches. Wir führen hier noch eine Diskussion. Aber insofern hat die Riester-Rente nichts, aber auch gar nichts, mit Altersarmutsbekämpfung zu tun, sondern muss on top kommen. Meine beiden Fragen sind erstens an Udo Philipp, zum opt-out, das wir in den letzten Jahren auch intern diskutiert haben. Was bedeutet das eigentlich? Unter welchen Bedingungen darf man herausoptieren? Ist es nur möglich, wenn man angibt, eine andere Formkapitalgedeckter Altersvorsorge zu nutzen? Gerhard Schick hat es bereits diskutieret: Es gibt die einen, die eher dem Staat und einem staatlich organisierten Finanzprodukt vertrauen und es gibt die anderen, die dem Staat ihr Geld nicht aushändigen möchten, sondern es lieber privat mithilfe der Versicherungswirtschaft anlegen. Ist das die einzige Alternative oder gibt es noch weitere? Auch intern haben wir diskutiert, dass es reicht, wenn man sagt: Nein, ich will nicht. Dann wäre man sozusagen runter vom Sofa. Eine weitere Variante, und das würde ich gern auch an Herrn Gatschke als Alternativmöglichkeit weitergeben, ist, ähnlich wie Volker Meinhardt oder Marcel Duda, zu sagen: Kapitaldeckung, um Gottes Willen. Ich bin gerne bereit etwas zusätzlich zu machen, aber bitte in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, dies als weitere Option zu stärken freiwillige Zahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung, weil man dieser mehr traut als dem Kapitalmarkt? So gäbe es also vier Gruppen - diejenigen, die auf staatliche Kapitaldeckung vertrauen, die, die auf private Kapitaldeckung setzen, Menschen, die überhaupt nicht zusätzlich sparen, und diejenigen, die im dargestellten Sinne mit der gesetzlichen Rentenversicherung vorsorgen. Ulrike Herrmann Gern würde ich jetzt die Rednerliste schließen. Wir fangen vielleicht mit Herrn Gatschke an. Lars Gatschke Ich hatte es in meinem Eingangsstatement gesagt: Unser Konzept basiert nicht auf dem Ansatz, etwas zu kompensieren und nur für ein Produkt da zu sein. Es gab auch vor Riester bereits Altersvorsorge. Sich etwas auf die hohe Kante für das Alter zu legen, das ist ein Urprinzip. Früher gab es einen Altenteil und ähnliches. Was wir den Verbrauchern anbieten wollen, entsprich genau dem, was Herr Schick gesagt hat: Wenn ich keine Lust habe, mir darüber Gedanken zu machen, welches Marktangebot zur Zeit und in Zukunft am besten zu mir passen könnte, dann stecke ich das Geld in ein Standardprodukt, das mir eine gewisse Sicherheit bietet, in seinem Ansparprozess nachvollziehbar ist, von einem Anlageausschuss überwacht wird und eine akzeptable Rendite erwirtschaftet, weil die Kosten auf ein Mindestmaß reduziert sind. Wir kommen zu einer weiteren an mich gerichteten Frage: Es gibt einen Anlageausschuss, der durch ein umfangreiches Expertengremium besetzt ist, in 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 45 dem auch alle relevanten Stakeholder vertreten sind. Der Ausschuss wird Anlagerichtlinien dazu festlegen, wie dieser staatliche Fonds Geld zu verwalten hat. Das ist für mich ein essentielles Prinzip. Ich gebe nicht irgendeiner Institution Milliarden, die dann das Geld verspekuliert, sondern es gibt klare Regelungen, wie mit dem Geld in bestimmten Szenarien umzugehen ist. Das ist für mich Voraussetzung, um überhaupt jemandem Geld anzuvertrauen. Dementsprechend wird das Produktinformationsblatt hinsichtlich der Anlageseite voraussichtlich genau diese Elemente enthalten. Es wird im Kern deutlich werden, was das Produkt kostet und nach welchen Anlagegrundsätzen das Geld angelegt wird. In der Tat weiß ich nicht, welche Geldleistung ich monatlich erhalte, weil Rentenleistungen nach dem SGB VI im Zeitpunkt des Bedingungseintritts festgelegt werden. Die Höhe der Altersrente kenne ich also nicht. Das ist bei Riester-Produkten, etwa bei Barsparplänen und bei Fondssparplänen aber genauso. Auch im Versicherungsbereich gibt es erste Produkte, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch noch nicht festlegen, welche Geldleistung ich in der Auszahlungsphase erhalte. Das ist also nicht Neues. Und es macht durchaus auch Sinn, Ansparphase und Auszahlungsphase zu splitten. Dies erhöht den Wettbewerb und verhindert, das ich mich schon heute langfristig an einen unter Umständen mäßigen Rentenfaktor binde Noch einmal eine grundsätzliche Aussage: Wir haben uns im Rentendialog der alten Regierung für die freiwilligen Beiträge des Arbeitgebers in die Rentenversicherung ausgesprochen. Wir haben es sogar erweitert und gefordert, dass Arbeitnehmer ebenfalls freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen können sollen. Damit einher geht jedoch das Problem der Umlagefinanzierung. Das Geld geht in das System hinein und wird im selben Jahr wieder ausgegeben. Freiwillige Beiträge könnten dazu führen, im Jahr des Mittelzuflusses den Beitragssatz in der Rentenversicherung massiv herunterzufahren, um ihn dann bei der Zahlung der erhöhten Altersrente wieder hochfahren zu müssen. Über eine Kapitaldeckungskomponente könnte ich ein Kapitalpolster aufbauen, das Schwankungen bei den Beitragseinnahmen ausgleichen kann und zukünftige Mehrleistungen auf Grund individueller Zusatzzahlungen demografiefest machen könnte. Ulrike Herrmann 46 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 Danke, Herr Gatschke. Frau Haupt, hätten Sie Tipps an die Grüne Fraktion? Dr. Marlene Haupt Ich glaube, das Wichtigste – da gebe ich Herrn Strengmann-Kuhn vollkommen Recht – ist, dass einiges an dem Obligatorium hängt in Schweden. Vieles ist dort so günstig, weil es das Obligatorium gibt und ich glaube, wenn man sich dafür entscheidet, ein opt-out zu machen mit verschiedenen Begründungen, dann wird man nicht an das herankommen, was sich dort als schöne IKEA-Welt liest. Das liegt natürlich in der Sache selbst. Hinsichtlich der Transparenz und der Informationen kann man aber sicherlich vieles lernen, auch wenn man das System in Deutschland grundsätzlich nicht verändern würde. Da lohnt der Blick nach Schweden auf jeden Fall. Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank. Herr Philipp, bei Ihnen gab es ja sehr viele Fragen. Udo Philipp Vielleicht fange ich erst einmal mit einem Punkt zu Markus Kurth und Wolfgang Strengmann-Kuhn an: Es ist natürlich klar. Eine Reform der Riester-Rente, so wie wir sie gedacht haben, ist nicht eine Lösung der Altersarmut. Dies gelingt nur dann, wenn die erste Säule funktioniert. Wie funktioniert das opt-out? Wir haben in der Tat lange darüber diskutiert und sind ganz klar zu dem Schluss gekommen, dass wir kein Obligatorium wollen. Das heißt eindeutig: Wenn eine Person sagt, sie möchte nicht für die Rente vorsorgen, dann muss sie selbstverständlich nicht für die Rente vorsorgen. Was hat das Ganze mit Altersvorsorge zu tun? Ist das überhaupt vernünftig für die Menschen? Auch das haben wir natürlich auch sehr intensiv diskutiert. Welche Möglichkeiten gibt es heute aus individueller Sicht? Die meisten gehen in ein klassisches Versicherungsprodukt, was aufgrund seiner Konstruktion, aufgrund des Garantiezinses und aufgrund vieler anderer Faktoren eine relativ geringe, um nicht zu sagen, sehr geringe Rendite abwirft. Wenn man hingegen in das Basisprodukt investieren würde, wäre es anders. Standardisiert würde passiv investiert werden. In diesem Sinne würden nicht Menschen arbeiten, die annehmen, sie wüssten ganz genau, welche Firma sich wie entwickeln wird und welches Infrastrukturprodukt gut ist. Stattdessen sollen sie letztlich passiv Indices nachbilden. So kann man auch angesichts der Größe des Fonds mit extrem geringen Kosten auskommen und damit natürlich auch bessere Rendite erzielen. Wenn man für die Altersvorsorge spart, heißt das ja, dass man jeden Monat vielleicht fünfzig oder hundert Euro beiseitelegt über viele Jahre und danach wiederum über viele Jahre mehrere hundert Euro wieder herausnimmt. Das heißt: Das, was normalerweise am Aktiensparen so problematisch ist, nämlich dass man die Volatilität als Problem empfindet - weil man ja sagt, ich spare jetzt und ich könnte aber morgen aufgrund eines persönlichen Schicksalsschlages 50.000 Euro brauchen und dann ist ausgerechnet an dem Tag die Börse im Keller, deswegen gehe ich nicht in die Aktie - das ist ja gerade nicht das Problem, wenn ich für die Alterssicherung spare, weil ich dann jeden Monat 100 Euro oder 500 Euro ganz peu à peu wieder herausnehme und so mit der Volatilität wunderbar klarkomme., Die Schwankungen des DAX wurden ja vorhin bereits angesprochen. Überblickt man einen längeren Zeitraum, ist aber sehr gut zu erkennen, dass die Rendite für Eigenkapital sehr gut gewesen ist. Ulrike Herrmann Herr Schick hat jetzt die doppelte Aufgabe, noch einmal einige Fragen zu beantworten, aber gleichzeitig auch eine Richtung anzudeuten, was die Grüne Fraktion aus diesem Fachgespräch mitgenommen hat. Dr. Gerhard Schick Ich finde die Hinweise zu Irland und den Landesbanken sehr valide. Ich rate allerdings, hier die politischen Präferenzen zur Seite zu schieben und ganz nüchtern zu sehen. Egal, ob die Menschen staatlichen Systemen vertraut haben oder individuell privat geplant haben, ob sie bei Schiffsfonds der Commerzbank gelandet sind oder aber ihr Geld in staatlich geförderten Systemen investiert haben: Deutschland ist ein Meister darin, seine mit hochtechnologischen Produkten erzielten Erträge aus der Realwirtschaft in der Finanzwirtschaft sinnlos zu verbraten. Wir sollten mit diesem Schwachsinn aufhören. Und da sollten wir die Ideologie zur Seite schieben, denn sowohl die Landesbanken als auch die privaten Systeme haben kläglich versagt. Und deswegen ergibt es keinen Sinn, sich die Vorwürfe von rechts und links des politischen Spektrums um die Ohren zu hauen. Es ist alles sehr transparent, was da läuft. Es gilt, einzig und allein darauf zu achten: Schaffen wir es, in den jeweiligen Systemen Kontrollinstanzen einzubauen, die sicherstellen, dass ein so eklatantes Versagen von Finanzaufsicht und Aufsichtsräten bezüglich interner corporate governance, wie wir es in Deutschland bis heute erleben, nicht noch einmal vorkommt? Und das Zweite ist: Schaffen wir es, an bestimmten Stellen gezielt Kostendeckel und Qualitätssicherung einzuziehen, sodass nicht im laufenden System sehr, sehr viel verbraten wird. Renditen sind unsicher, Kosten hingegen sind sicher und deswegen muss man auch an die Kostenseite herangehen. Ich glaube, dass wird eine wichtige Rolle spielen, weil die Diskussion hier häufig ein wenig ideologisch ist und es in den letzten Jahren einen sehr schlechten Track-Record in Deutschland gab. So geht es nicht weiter. Und da komme ich auf die Frage von Markus Kurth, die ich die entscheidende finde. Ich glaube, daran wird die Diskussion sich orientieren müssen. Glauben wir, dass es mit einem verbesserten System - durch systemimmanente Reformen gelingt, die Defizite zu lösen? Da sind wir uns schon in unserem Wahlprogramm einig gewesen: Nein. Denn im Rahmen dieses Systems bekommen wir die Lücke wahrscheinlich nicht geschlossen. Auch sehen wir, dass wir zu wenige Menschen erreichen und dass wir gerade die Menschen, die es dringend brauchen, nicht erreichen. Deswegen bleibt für sehr viele Leute die Lücke ungeschlossen. Da wollen wir nicht zuschauen. Ich glaube, hier sind wir uns sehr einig. Jetzt ist die Frage: Vertraut man einer neuen Konstruktion von Kapitaldeckung und setzt darauf, dass man - auch unter den Bedingungen der nächsten Jahre - durch einen Standardweg, der jedoch kein Obligatorium darstellt, diese Lücke schließen kann? Und setzt man darauf, dass dieser das Problem zwar nicht hundertprozentig löst, Herr Nullmeier, aber doch weitgehend, weil es eben ein Standardweg ist, den viele Leute auch bereit sind zu gehen? Versucht man das Basisprodukt also so zu gestalten, dass Freiheit und breite Streuung im Versicherungssystem zusammengebracht werden? Einigen wir uns darauf, dass wir zwar weder hundert Prozent Freiheit noch eine hundertprozentige Inanspruchnahme erreichen, aber doch so viel, dass es in der Summe gut ist? Oder aber glauben wir, dass wir letztlich keine Lösung finden? Hier würde dann die die Wachstumsdiskussion eine Rolle spielen. Glauben wir, dass wir Renditen in dieser Größenordnung generieren werden, damit man die Lücke füllen kann? Ich finde, hier sollten wir sehr nüchtern 09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 47 diskutieren und eruieren, welche Erwartungen wir an den privaten Kapitalmarkt richten können. Oder glauben wir, dass das Schließen der Lücke nur über die gesetzliche Rentenversicherung mit der Garantierente und anderem realisiert werden kann? Ich sehe, dass dies die entscheidende Diskussion ist, die wir führen müssen. Zur Frage, wie stark die Kostensenkung vom Obligatorium abhängt: Ich glaube, ein opt-out könnte Kosten reduzieren, auch da ein derartiger Standardweg keine große Werbung finanzieren müsste. Es ist klar: Ein einfaches Weiter-so kann es nicht geben. Das gilt nicht nur für Riester - ich nehme den Ball gern auf - natürlich dürfen wir auch mit den Landesbanken nicht so weitermachen wie bisher. Ulrike Herrmann Ja, vielen Dank. Die Veranstaltung ist jetzt zu Ende. Ich glaube, ein Schlusswort verbietet sich. Alles, was man sagen kann, ist: Es war wirklich sehr interessant, auch für mich war es sehr interessant - sowohl die Problembeschreibung als auch die ersten Lösungen, die diskutiert wurden. Ich gebe zurück an Markus Kurth. Markus Kurth Ein Schlusswort mache ich nicht, keine Sorge. Vielen Dank, Frau Herrmann, für die Moderation. Sie sehen und haben bemerkt, dass wir mitten in der Diskussion sind. Gerhard Schick hat eben auch noch einmal die Aufgaben, die vor uns stehen, präzise beschrieben. Wir tun dies sowohl in der Fraktion als auch im Rahmen der Partei - so auch innerhalb der so genannten rentenpolitischen Kommission, die im nächsten Frühjahr 2016 zum Abschluss kommt. Nicht nur ich, sondern auch viele weitere Mitglieder der Kommission, die heute hier dabei waren und mitdiskutiert haben, freuen sich natürlich über die vielen Anregungen und Impulse und ich würde mich auch freuen, wenn wir uns in einem ähnlichen Rahmen zur weiteren Diskussion wiedersehen würden. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen und sicheren Nachhauseweg. Vielen Dank für die Teilnahme. 48 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015 18/60 IST RIESTER NOCH ZU RETTEN?