Requirements Engineering in der automotive Entwicklung – Von der

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Requirements Engineering in der automotive Entwicklung – Von der
Requirements Engineering in der automotive Entwicklung –
Von der Idee bis zum Produkt
Thomas Reiß1,2, Christian Allmann3
Audi AG, Entwicklung Fahrwerkregelsysteme, D-85045 Ingolstadt, thomas.reiss@audi.de
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Technische Universität München, Institut für Informatik, Boltzmannstr. 3, D-85748 Garching, reisst@in.tum.de
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Audi Electronics Venture GmbH, Sachsstrasse 18, D-85080 Gaimersheim , christian.allmann@audi.de
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Zusammenfassung
Durch die Zunahme von vernetzten mechatronischen
Systemen im Fahrzeug, die einen steigenden Funktionsumfang realisieren, wächst die Komplexität in der
Entwicklung von Fahrzeugen. Um systematische Fehler zu vermeiden, gewinnt ein strukturiertes Vorgehen
in der Entwicklung und damit auch das Requirements
Engineering an Bedeutung. Bisherige Arbeiten fokussierten sich meist rein auf die Lieferantenentwicklung.
Die hier vorgestellte Sicht beschreibt eine durchgängige Betrachtung von Anforderungen beginnend in Vorentwicklung bis zur OEM-internen Serienumsetzung.
Motivation
1972 brachte Audi das erste Fahrzeug aus der Audi
80 / A4 Baureihe auf den Markt. Dieses Fahrzeug wurde über mittlerweile sieben weitere Generationen weiterentwickelt. Dabei veränderte und erweiterte sich der
elektronische und mechanische Funktionsumfang der
Fahrzeuge. Wurde ursprünglich eine Funktion durch
eine mechanische Komponente realisiert, werden heutige Fahrzeuge durch mechatronische Systeme situationsabhängig beeinflusst. Zunehmend interagieren diese
mechatronischen Systeme untereinander. So wird z.B.
bei einer Notbremsung durch das System Blinker das
Warnblinken aktiviert, während zugleich durch die
Dämpferregelung die Dämpfer der Vorderräder verhärtet werden. Der Wandel von rein mechanischen Bauteilen über den Einsatz autarker- bis hin zu vernetzten
mechatronischen Systemen hat direkte Auswirkungen
auf die Entwicklung und den dabei erforderlichen Dokumentationsumfang. Bei mechatronischen Systemen
ersetzen textuelle und graphische Spezifikationen die
ursprünglichen Konstruktionszeichnungen in einer Mechanikentwicklung. Die Rolle des domänenübergreifenden, vernetzten Requirements Engineering gewinnt
dabei an Bedeutung. Dies umfasst zum einen die Beschreibung des Fahrzeugs durch Kundenfunktionen.
Zum anderen betrifft dies die Entwicklung von neuen
Funktionen in bestehenden Systemen sowie die Entwicklung neuer mechatronischer Systeme. Die Entwicklung mechatronischer Systeme (im Folgenden als
Systementwicklung bezeichnet) wird in dieser Arbeit
betrachtet.
Requirements Engineering in der Entwicklung
mechatronischer Systeme
Die Systementwicklung im Automobilsektor unterteilt sich in Vor- und Serienentwicklung [7]. In der
Vorentwicklung wird der Kern der funktionalen Systemanforderungen erhoben und die technische Realisierbarkeit hinsichtlich der Serientauglichkeit bewertet.
Die Herausforderung für das Requirements Engineering in der Vorentwicklung besteht dementsprechend
darin, die Erfassung von Anforderungen im Innovationsprozess zu unterstützen. Hierzu wurde eine situations- und szenariobasierte Methodik vorgestellt [1].
Dieses Vorgehen wird durch eine prototypische Werkzeugumsetzung basierend auf einem Wiki-Tool unterstützt.
In der Serienentwicklung wird das System basierend
auf der – durch den Prototyp gegebenen – Systemarchitektur und der implizit gegebenen, hierarchisch strukturierten Aufteilung der Anforderungen zur Serienreife
weiterentwickelt. Im Falle der Beauftragung eines Zulieferers (Lieferantenentwicklung) erfolgt die Dokumentation und Verwaltung der Systemanforderungen
mit klassischen AM-Werkzeugen (z.B. DOORS).
Wesentlich umfangreicher gestaltet sich das Requirements Engineering bei einer OEM-internen Entwicklung von Teilen eines Systems (Eigenentwicklung).
Die Anforderungsverwaltung über mehrere Hierarchiestufen erfolgt bisher hierbei nicht methodisch. Dies
spiegelt sich insbesondere in einer mangelnden Integration des Requirements Engineering in den Entwicklungsablauf sowie Problemen bei der Sicherstellung
der Traceability wieder.
Workflowbasiertes RE für die Eigenentwicklung
Traceability bezeichnet die Fähigkeit den Lebenszyklus einer Anforderung sowohl vorwärts als auch rückwärts verfolgen zu können [4]. Die Anforderungserhebung wird in der Literatur umfassend hinsichtlich der
Traceability betrachtet. Der Umgang mit PostTraceability-Informationen1 findet hingegen wenig Beachtung [7]. Für die Serienentwicklung ist dies jedoch
eine der zentralen Fragestellungen des RE und stellt die
Praxis vor große Herausforderungen.
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Post-Traceability umfasst die Traceability-Informationen,
die nach der Spezifikation der Anforderungen in der
Entwicklung entstehen [4].
Die Erfassung von Traceability-Informationen setzt
die Kenntnis über den Anforderungslebenszyklus voraus. Um die implizite Entstehung von Verfolgbarkeitsinformationen explizit aufzuzeigen, wurde der Lebenszyklus von Anforderungen modelliert. Hierbei wurde
nach dem aus der Prozessmodellierung bekannten
‚Workflow-Life-Cycle’ [2] (siehe Abb.1) vorgegangen.
Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, die
durch den Entwicklungsablauf gegeben sind, erfolgte
eine Geschäftsprozessmodellierung aus Sicht des RE.
Dabei betrachtet wurden sowohl funktionale als auch
nicht-funktionale Anforderungen.
An Hand der Beschreibung des Ablaufs der Verfeinerung der Anforderungen2 sowie der des Lebenszyklus von Anforderungen wurden Verfolgbarkeitsinformationen identifiziert. In Form eines Abhängigkeitsmodells wurden die Artefakte und die Abhängigkeiten
zwischen diesen abgebildet.
Für die Artefakte des Abhängigkeitsmodells wurden
Workflows spezifiziert. Die darin enthaltenen Abhängigkeiten wurden durch Trigger abgebildet. Ein Vorteil dieser Modellierung besteht darin, dass Aktivitäten
ausgehend von unterschiedlichen Artefakten erfolgen
können. Beispielsweise kann das Review von funktionalen Anforderungen ausgehend vom Artefakt ‚funktionale Anforderung’ erfolgen. Es ist ebenso möglich
das Review für alle funktionalen Anforderungen im
Zuge des Reviews des Artefakts ‚Anforderungsspezifikation3’ durchzuführen. Hierfür ist die Interaktion zwischen den Workflows der funktionalen Anforderung
und der Anforderungsspezifikation in der Aktivität Review erforderlich.
Mit der Beschreibung des Geschäftsprozesses aus
RE-Sicht sowie der Modellierung der Workflows zu
den Artefakten ist die Grundlage für die Umsetzung in
einem Workflow-Management-System gegeben. Die
Implementierung der Werkzeugumsetzung wurde bereits mit den ersten Überlegungen zu Workflows begonnen, um die aus theoretischen Überlegungen und
Praxiserfahrungen abgeleiteten Abläufe mit Prozessexperten und Entwicklern abzustimmen.
Festlegung
Modellierungssprache
Geschäftsprozessanalyse und
-Modellierung
Festlegung Workflow
Management System
Workflowmodellierung
WorkflowAusführung
Monitoring
Abb. 1: Vorgehen zur Herleitung des workflowbasierten
RE: Der Workflow-Life-Cycle [2]
2
Die Verfeinerung der Kernanforderungen des Systems
erfolgt in der Vorentwicklung. Die strukturierte
Dokumentation wird erst in der Serienentwicklung
durchgeführt.
3
Eine Spezifikation fasst mehrere Basis-Artefakte wie
funktionale, nicht-funktionale Anforderungen,
Schnittstellenbeschreibung, etc. zusammen.
Werkzeugunterstützung
Die Umsetzung des workflowbasierten Ansatzes für
die Serienentwicklung erfolgte unter Verwendung von
MKS Integrity 2007 [6]. Die Artefakte sowie deren
Attribute und Workflows wurden durch ‚Items’ implementiert. Das Zusammenspiel der Workflows erfolgt
mittels ‚Trigger’.
Die Einbindung der MKSUmsetzung in die Werkzeugunterstützungen zu den
Konzepten des RE in Vorentwicklung und Lieferantenentwicklung erfolgt über das Requirements Interchange
Format (RIF) [5]
Ausblick
In dieser Arbeit wurde auf das RE einer Mechatronikentwicklung im Automobilsektor eingegangen. Neben
dem Vorgehen in Vor- und Lieferantenentwicklung
wurde ein workflowbasierter Ansatz für das RE in der
Eigenentwicklung vorgestellt. Im Fokus der Betrachtung waren die operativen Entwicklungstätigkeiten wie
Implementieren, Spezifizieren und Testen. In folgenden Arbeiten soll die RE-Prozessmodellierung um
Support-Prozess wie z.B. Änderungsmanagement und
Testmanagement erweitert werden.
Referenzen
[1] Allmann, C.: Situations- und szenariobasiertes
Anforderungsmanagement in der automotive Elektronikentwicklung, Cuvillier, 2009.
[2] Becker, J.; Kugeler, M. and Rosemann, M.: Prozessmanagement - Ein Leitfaden zur prozessorientierten Organisationsgestaltung, Springer, Berlin, 2005.
[3] Broy, M.; Geisberger, E.; Kazmeier, J.; Rudorfer,
A.; Beetz, K.: Ein Requirements Engineering Referenzmodell, GI Informatik Spektrum (3), Springer Verlag, 2007.
[4] Gotel, O.; Finkelstein, A.: An Analysis of the
Requirements Traceability Problem, in Bohner, S. A.
(ed.): Software Change Impact Analysis, IEEE Computer Society Press, pp. 59-66, 1994.
[5] Herstellerinitiative Software: Das Requirements
Interchange
Format,
http://www.automotivehis.de/rif/doku.php.
[6]
MKS
Inc.:
MKS
Integrity
2007,
http://www.mks.com/products/index.jsp.
[7] Reiß, T.: Traceability - Aktuelle Herausforderungen in der Systementwicklung im Automobilsektor,
Technischer Bericht, Technische Universität München,
2008.