Materialmappe Sezuan neu
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Materialmappe Sezuan neu
Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht Materialien zur Inszenierung von Volker Schmalöer Empfohlen ab 12 Jahren Fächer: Deutsch, Literatur 1 , „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Bertolt Brecht brannte nicht nur fürs Theater, sondern auch für die Politik. Beides zu verbinden war das Ziel des Dramatikers und Theatertheoretikers. Liebe Lehrer/innen, Mit dieser Materialmappe zur Inszenierung „Der gute Mensch von Sezuan” von Bertolt Brecht möchten wir kreative Impulse für die Vor- und Nachbereitung der Inszenierung von Volker Schmalöer in Schulen und Bildungseinrichtungen vermittelt. Neben Informationen zum Autor und zur Inszenierung finden sie Texte zum epischen Theater sowie Wissenswertes zur Entstehungsund Aufführungsgeschichte des Stücks. Die Auszüge aus dem Apostolischen Schreiben von Papst Franziskus und der Schriftenreihe Ökologie der Heinrich-Böll-Stiftung schlagen die Brücke zur Gegenwart und sollen zur Diskussion über die Aktualität der im Stück verhandelten Themen anregen. Unter der Rubrik „Theateraktiv“ finden Sie praktische Übungen und Arbeitsangebote zum Einsatz im Unterricht. Ihr Theaterpädagogik-Team des Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH Nächste Premiere im Großen Haus: FRAU HEGNAUER revisited von Lisa Stadler, ein Stück zum Thema Sterbehilfe. Premiere am 20.03.2015, empfohlen ab 14 Jahren. Nächste Empfehlung für Sie: MÄRTYRER von Marius von Mayenburg, ein Stück zum Thema christlicher Fundamentalismus. Premiere am 27.02.2015 im Studio, empfohlen ab 12 Jahren. Zu dieser Inszenierung bieten wir stückbegleitende Workshops an. Kontakt unter theaterpaedagogik@theater-paderborn.de 2 Beset Besetzung Shen Te Shui Ta Maria Thomas Yang Sun, ein stellungsloser Flieger Der Bruder Der Polizist Der Arbeitslose Stephan Weigelin Frau Yang, Yang Suns Mutter Der zweite Gott Die Frau Die alte Prostituierte Kirsten Potthoff Wang, ein Wasserverkäufer Der Neffe Der Teppichhändler Die Kellnerin Markus Schultz Der Barbier Shu Fu Der erste Gott Der Mann Der Polizist Der Bonze David Lukowczyk Die Hausbesitzerin Mi Tzü Der dritte Gott Der Großvater Der Aufseher Willi Hagemeier Die Witwe Shin Beate Leclercq Die Nichte Der Schreiner Lin To Die Frau des Teppichhändlers Der Junge Linda Meyer Statisterie Henrik Schulz / Lazar Umiljenovic Musiker Christine Weghoff Gerhard Gemke Thorsten Drücker / Tim Albrecht Regie Bühne & Kostüme Musikalische Leitung Dramaturgie Regieassistenz Inspizienz Soufflage Bühnenmeister Volker Schmalöer Sabine Böing Christine Weghoff Anne Vogtmann Chiara Nassauer Robert Stark Beate Leclercq Paul Discher Michael Bröckling Hermenegild Fietz Martin Zwiehoff Annette Seidel-Rohlf Kristiane Szonn Christina Pantermehl Ramona Foerder Beleuchtungsmeister Ton & Video Requisite Leitung Kostümabteilung Maske Premiere: Freitag, 16.01.2014 / 19:30 Uhr im Großen Haus Dauer: 140 Minuten, inklusive Pause 3 Inhalt INHALTSANGABE Seite 5 BERTOLT BRECHT Biografie Seite 5-6 Brecht über die Straßenszene als Modell für episches Theater (1938) Seite 7-8 Brecht über experimentelles Theater (1939) Seite 8 DAS STÜCK Daten zur Entstehungs- und frühen Aufführungsgeschichte Seite 9-11 Zur Inszenierung am Theater Paderborn Seite 11 TEXTAUSZÜGE ZUM THEMA Auszüge aus dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ des Heiligen Vaters Papst Franziskus Seite 12-13 „Mentale Infrastrukturen“ von Harald Welzer – Vorwort zur Schriftenreihe Ökologie Band 14 der Heinrich-Böll-Stiftung Seite 14-16 THEATERAKTIV Seite 17-20 SEKUNDÄRMEDIUMPOOL: LITERATUR / FILME IMPRESSUM Seite 21 4 INHALTSANGABE Mit dem Auftrag einen guten Menschen zu finden, damit die Welt so bleiben kann wie sie ist, reisen drei Götter auf die Erde und finden - Shen Te. Sie ist eine warmherzige Prostituierte und schon bald wird von den Göttern entschieden, dass sie der gesuchte Mensch ist. Sie bekommt einen Tabakladen und soll fortan Gutes tun. Leichter gesagt als getan, denn schnell findet Shen Te heraus, dass die Menschen ihre Gutherzigkeit ausnutzen. Hier kann nur noch einer helfen – Shui Ta ihr kapitalistischer Vetter! BERTOLT BERTOLT BRECHT Biografie Der Schriftsteller und Regisseur Bertolt Brecht gilt als einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er schuf ein umfangreiches und vielseitiges Werk, das unter anderem 30 Dramen, 150 Prosatexte und 1300 Gedichte umfasst. Auch im Bereich der Theatertheorie hinterließ er zahlreiche Schriften. Mit seinem Begriff vom epischen Theater entwickelte Brecht neue Darstellungskonzepte, die an das kritisch-reflektierende Bewusstsein des Publikums appelieren. Viele seiner Werke sind geprägt von den Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien des Marxismus und verbinden so lehrhafte und künstlerische Aspekte miteinander. Eugen Bertolt Friedrich Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren. Nach seinem Notabitur 1917 (Abitur unter erleichterten Voraussetzungen, um sich danach als Kriegsfreiwilliger melden zu können) studierte er zunächst an der Philosophischen Fakultät in München. Später wechselte er zum Medizinstudium. 1918 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und arbeitete als Mediziner in einem Seuchenlazarett in Augsburg. Nach dem Krieg setzte er sein Medizinstudium fort, nahm aber mit Vorzug an theaterwissenschaftlichen Vorlesungen teil und verfasste erste Theaterstücke. 1922 wurde sein Drama „Trommeln in der Nacht“ uraufgeführt. Damit hatte Brecht großen Erfolg. Im selben Jahr erhielt er nicht nur den Kleist-Preis, sondern auch eine Stelle als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. Er heiratete die Sängerin Marianne Zoff und zog zwei Jahre später nach Berlin. Dort war er als Dramaturg am Deutschen Theater unter der Leitung von Max Reinhardt beschäftigt. Im Jahr 1928 führte er seine „Dreigroschenoper“ erfolgreich im Theater am Schifferbauerdamm auf, in dem er bis 1933 weitere Arbeiten realisieren konnte. 1927 ließ er sich von Marianne Zoff scheiden und heiratete zwei Jahre später die Schauspielerin Helene Weigel. 5 Nach Hitlers Machtergreifung 1933 setzte sich Bertolt Brecht mit seiner Familie über Prag, Wien, Zürich und Frankreich ins dänische Skovbistrand bei Svendborg ab. Von Svendborg ging es 1939 weiter nach Schweden und 1940 nach Finnland. Nach einer Reise über Moskau und Wladiwostok zog es ihn in das US-amerikanischen Santa Monica in Kalifornien. Die Exilzeit war geprägt von einer intensiven literarischen Produktion, in der sich Brecht immer wieder mit den politischen Ereignissen in Deutschland und den Entwicklungen im 2. Weltkrieg auseinandersetzte. In dieser Zeit entstanden Werke wie „Mutter Courage und ihre Kinder“ (uraufgeführt 1941), „Der gute Mensch von Sezuan“ (uraufgeführt 1943), „Leben des Galilei“ (uraufgeführt 1943) oder „Der kaukasische Kreidekreis“ (uraufgeführt 1948). Nach einer Reise über Paris nach Zürich zog Brecht 1948 nach Ostberlin und gründete dort gemeinsam mit Helene Weigel im Jahr 1949 das Berliner Ensemble, das ab 1954 im Theater am Schiffbauerdamm auftrat. Dort konnte Brecht seine Theorie des epischen Theaters in der Inszenierung eigener und fremder Stücke praktisch umsetzen. Im Jahr 1950 nahm Brecht die österreichische Staatsbürgerschaft an und kaufte ein Haus in Buckow in der Märkischen Schweiz. Zwischen Brecht und der DDR-Staats- und Parteiführung entwickelte sich kein problemfreies Verhältnis, dennoch wurde er mit wichtigen Preisen, wie 1951 dem Nationalpreis 1. Klasse der DDR oder 1954 dem Stalin-Friedenspreis geehrt. Am 14. August 1956 starb Bertolt Brecht in Ostberlin. 6 Brecht über die die Straßenszene als Modell für episches Theater (1938) Es ist verhältnismäßig einfach, ein Grundmodell für episches Theater aufzustellen. Bei praktischen Versuchen wählte ich für gewöhnlich als Beispiel allereinfachsten, sozusagen „natürlichen“ epischen Theaters einen Vorgang, der sich an irgendeiner Straßenecke abspielen kann: Der Augenzeuge eines Verkehrsunfalls demonstriert einer Menschenansammlung, wie das Unglück passierte. Die Umstehenden können den Vorgang nicht gesehen haben oder nur nicht seiner Meinung sein, ihn „anders sehen“ – die Hauptsache ist, daß der Demonstrierende das Verhalten des Fahrers oder des Überfahrenen oder beider in einer solchen Weise vormacht, daß die Umstehenden sich über den Unfall ein Urteil bilden können. Dieses Beispiel epischen Theaters primitivster Art scheint leicht verstehbar. Jedoch bereitet es erfahrungsgemäß dem Hörer oder Leser erstaunliche Schwierigkeiten, sobald von ihm verlangt wird, die Tragweite des Entschlusses zu fassen, eine solche Demonstration an der Straßenecke als Grundform großen Theaters, Theater eines wissenschaftlichen Zeitalters, anzunehmen. Man bedenke: Der Vorgang ist offenbar keineswegs das, was wir unter einem Kunstvorgang verstehen. Der Demonstrierende braucht kein Künstler zu sein. Was er können muss, um seinen Zweck zu erreichen, kann praktisch jeder. Angenommen, er ist nicht imstande, eine so schnelle Bewegung auszuführen, wie der Verunglückte, den er nachahmt, so braucht er nur erläuternd zu sagen: er bewegte sich dreimal so schnell, und seine Demonstration ist nicht wesentlich geschädigt oder entwertet. Eher ist seiner Perfektion eine Grenze gesetzt. Seine Demonstration würde gestört, wenn den Umstehenden seine Verwandlungsfähigkeit auffiele. Er hat es zu vermeiden, sich so aufzuführen, dass jemand ausruft: „Wie lebenswahr stellt er doch einen Chauffeur dar!“ Er hat niemanden „in seinen Bann zu ziehen“. Er soll niemanden aus dem Alltag in „eine höhere Sphäre“ locken. Er braucht nicht über besondere suggestive Fähigkeiten zu verfügen. Völlig entscheidend ist es, dass ein Hauptmerkmal des gewöhnlichen Theaters in unserer Straßenszene ausfällt: die Bereitung der Illusion. Die Vorführung des Straßendemonstranten hat den Charakter der Wiederholung. Das Ereignis hat stattgefunden, hier findet die Wiederholung statt. Folgt die Theaterszene hier in der Straßenszene, dann verbirgt das Theater nicht mehr, dass es Theater ist, so wie die Demonstration an der Straßenecke nicht verbirgt, dass sie Demonstration (und nicht vorgibt, daß sie Ereignis) ist. Das Geprobte am Spiel tritt voll in Erscheinung, das auswendig Gelernte am Text, der ganze Apparat und die ganze Vorbereitung. Wo bleibt dann das Erlebnis, wird die dargestellte Wirklichkeit dann überhaupt noch erlebt? Die Straßenszene bestimmt, welcher Art das Erlebnis zu sein hat, das dem Zuschauer bereitet wird. Der Straßendemonstrant hat ohne Zweifel ein „Erlebnis“ hinter sich, aber er ist doch nicht darauf aus, seine Demonstration zu einem „Erlebnis“ der Zuschauer zu machen; selbst das Erlebnis des Fahrers und des Überfahrenen vermittelt er nur zum Teil, keinesfalls versucht er, es zu einem genussvollen Erlebnis des Zuschauers zu machen, wie lebendig er immer 7 seine Demonstration gestalten mag. Seine Demonstration verliert zum Beispiel nicht an Wert, wenn er den Schrecken, den der Unfall erregte, nicht reproduziert; ja, sie verlöre eher an Wert. Er ist nicht auf Erzeugung purer Emotionen aus. Ein Theater, das ihm hierin folgt, vollzieht geradezu einen Funktionswechsel, wie man verstehen muss. Ein wesentliches Element der Straßenszene, das sich auch in der Theaterszene vorfinden muss, soll sie episch genannt werden, ist der Umstand, dass die Demonstration gesellschaftlich praktische Bedeutung hat. Ob unser Straßendemonstrant nun zeigen will, dass bei dem und dem Verhalten eines Passanten oder des Fahrers ein Unfall unvermeidlich, bei einem andern vermeidlich ist, oder ob er zur Klärung der Schuldfrage demonstriert – seine Demonstration verfolgt praktische Zwecke, greift gesellschaftlich ein. Brecht über experimentelles Theater (1939) [...] Die Einfühlung ist das große Kunstmittel einer Epoche, in der der Mensch die Variable, seine Umwelt die Konstante ist. Einfühlen kann man sich nur in den Menschen, der seines Schicksals Sterne in der eigenen Brust trägt, ungleich uns. Es ist nicht schwer, einzusehen, daß das Aufgeben der Einfühlung für das Theater eine riesige Entscheidung, vielleicht das größte aller denkbaren Experimente bedeuten würde. Die Menschen gehen ins Theater, um mitgerissen, gebannt, beeindruckt, erhoben, entsetzt, ergriffen, gespannt, befreit, zerstreut, erlöst, in Schwung gebracht, aus ihrer eigenen Zeit entführt, mit Illusionen versehen zu werden. All dies ist so selbstverständlich, daß die Kunst geradezu damit definiert wird, dass sie befreit, mitreißt, erhebt und so weiter. Sie ist gar keine Kunst, wenn sie das nicht tut. Die Frage lautete also: Ist Kunstgenuss überhaupt möglich ohne Einfühlung oder jedenfalls auf einer andern Basis als der Einfühlung? Was konnte eine solche neue Basis abgeben? Was konnte an die Stelle von Furcht und Mitleid gesetzt werden, des klassischen Zwiegespanns zur Herbeiführung der aristotelischen Katharsis? Wenn man auf die Hypnose verzichtete, an was konnte man appellieren? Welche Haltung sollte der Zuhörer einnehmen in den neuen Theatern, wenn ihm die traumbefangene, passive, in das Schicksal ergebene Haltung verwehrt wurde? Er sollte nicht mehr aus seiner Welt in die Welt der Kunst entführt, nicht mehr gekidnappt werden; im Gegenteil sollte er in seine reale Welt eingeführt werden, mit wachen Sinnen. War es möglich, etwa anstelle der Furcht vor dem Schicksal die Wissensbegierde zu setzen, anstelle des Mitleids die Hilfsbereitschaft? Konnte man damit einen neuen Kontakt schaffen zwischen Bühne und Zuschauer, konnte das eine neue Basis für den Kunstgenuss abgeben? Ich kann die neue Technik des Dramenbaus, des Bühnenbaus und der Schauspielweise, mit der wir Versuche anstellten, hier nicht beschreiben. Das Prinzip besteht darin, anstelle der Einfühlung die Verfremdung herbeizuführen. 8 DAS STÜCK Daten zur EntstehungsEntstehungs- und frühen Aufführungsgeschichte Um 1927/28: Brecht notiert sich die Grundidee zu einem Stück „Fanny Kress“ oder „Der Huren einziger Freund“. Aus einem frühen Stück-Entwurf: „Die Hure verkleidet sich al Mann (Zigarrenhändler), um ihnen allen zu helfen. Nun sieht sie, wie alle Huren einander verraten und jede versucht, den mann zu kapern.“ Um 1930: Es entstehen zwei Texte zu einem geplanten Stück mit dem Titel „Die Ware Liebe“. Aus einem frühen Stück-Entwurf: „Eine junge Prostituierte sieht, dass sie nicht zugleich Ware und Verkäufer sein kann. Durch ein günstiges Geschick bekommt sie eine kleine Geldsumme in die Hand. Damit eröffnet sie einen Zigarrenladen, in dem sie in Männerkleidern den Zigarrenhändler spielt, während sie ihren Beruf als Prostituierte fortsetzt.“ 1939: 15.3.: In den letzten Tagen seines Exils in Svendborg (Dänemark) beschäftigt sich Brecht mit dem bereits in Berlin unter dem Titel „Die Ware Liebe“ begonnenen Stück: „Vor ein paar Tagen habe ich den alten Entwurf von ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ wieder hervorgezogen. Es existieren fünf Szenen, vier davon sind zu brauchen. Es ist eine Scharadenarbeit, schon der Umkleide- und Umschminkakte wegen. Ich kann aber dabei die epische Technik entwickeln und so endlich wieder auf den Standard kommen. Für die Schublade braucht man keine Konzessionen.“ Mitte Mai: Margarete Steffin (1908-1841) bestätigt gegenüber Walter Benjamin (18921940) die „ortsveränderung“ (schwedisches Exil) und die Schwierigkeiten bei den verschiedenen Projekten: „er hat leider den CAESAR[-Romans] immer noch nicht hervorgeholt, sondern ein neues, altes stück herausgesucht: DER GUTE MENSCH VON SEZUAN“ (Steffin, S. 300 f.) 11.9.: „Ich komme ins Stocken bei der Arbeit an der Parabel. Sie fließt nicht voll. Vieles ist zu spitzfindig, das Ganze besteht noch aus Stellen. Schönen, realistischen, scharfsinnigen – und anderen.“ 1940: 11.6.: 11.6.: „Ich gehe jetzt zum x-ten Mal den ‚Guten Menschen von Sezuan‘ durch, Wort für Wort mit Grete [Margarete Steffin]“. 20.6.: „Im großen und ganzen fertig mit dem ‚Guten Menschen von Sezuan‘. Der Stoff bot große Schwierigkeiten, und mehrere Versuche, ihn zu meistern, seit ich ihn vor etwa zehn Jahren angriff, schlugen fehl.“ Der gute Mensch heißt zu diesm Zeitpunkt noch Li Gung, bzw. Lao Go. „Li Gung musste ein Mensch sein, damit sie ein guter Mensch 9 sein konnte. Sie ist also nicht stereotyp gut, ganz gut, in jedem Augenblick gut, auch als Li Gung nicht. Und Lao Go ist nicht stereotyp böse und so weiter. Das Ineinander übergehen der beiden Figuren, ihr ständiger Zerfall und so weiter scheint nun halbwegs gelungen. Das große Experiment der Götter, dem Gebot der Nächstenliebe das Gebot der Selbstliebe hinzuzufügen, dem ‚Du sollst zu anderen gut sein‘ das ‚Du sollst zu dir selbst gut sein‘ musste sich zugleich abheben von der Fabel und sie doch beherrschen. Die moralischen Prästationen [Darstellungen] mussten sozial motiviert sein, jedoch mussten sie auch einem besonderen Vermögen (besonderem Talent, besonderer Veranlagung) zugeschrieben werden.“ 30.6.: Brecht bemerkt wieder einmal: „Es ist unmöglich, ohne die Bühne ein Stück fertig zu machen. The proof oft he pudding…“ („Die Güte des Puddings erweist sich beim Essen“ – ein von Brecht mehrfach geführtes englisches Sprichwort). 9.8.: „Die kleinen Korrekturen des ‚Guten Menschen‘ kosten mich ebensoviel Wochen, wie die Niederschrift der Szenen Tage gekostet hat.“ Noch immer heißt die Hauptfigur Li Gung bzw. Lao Go. 1941: 25.1.: Zu Jahresbeginn ist Brecht entschlossen, das „Sezuan“-Stück zu „beenden“. 26.1.: Erst jetzt entstehen mehrere Songs, teilweise gemeinsam mit Margatere Steffin: „Das Lied vom Rauch“, „Das Lied vom achten Elefanten“ und „Das Terzett der entschwindenden Götter auf der Wolke“. 20.4.: Der „Gute Mensch“ ist inzwischen mit Matrizen verfielfältigt und verschickt worden. Brecht beklagt; „‚Der gute Mensch von Sezuan‘ ist in zahlreichen Exemplaren seit Monaten an Freunde (in der Schweiz, Amerika, in Schweden) verschickt, und noch nicht ein einziger Brief darüber ist eingelaufen.“ 9.10.: Gegenüber dem Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) nennt Brecht mehrere sich abzeichnende Aufführungsmöglichkeiten, u.a. auch für den „Guten Menschen“. 1942: 22.8.: Brecht hat erfahren, dass das Zürcher Schauspielhaus nach „Mutter Courage“ (19.4.1941) nun den „Guten Menschen“ uraufführen möchte. 1943: 4.2.: Uraufführung (aufgrund eines Exemplars der Matrizen-Vervielfälitigung) in Zürich; Regie: Leonard Steckel (1901-1971); Bühnenbild: Teo Otto (1904-1968); Shen Te/Shui Ta: Maria Becker (*1920); Therese Ghiese (1898-1975) spielt die Hausbesitzerin Mi Tzü, Karl Paryla (1905-1996) den Flieger Yang Sun. Die Musik zu einzelnen Liedern stammt von dem Schweizer Komponisten Huldreich Georg Früh (1903-1945). 1944: Mitte März: In seinem Resümee über einen längeren Aufenthalt in New York (ab Mitte 10 November 1943) hält Brecht fest, dass er mit Kurt Weill vertragseinig geworden sei (Brecht wollte ihn für die Vertonung des „Guten Menschen“ gewinnen); zu einer Vertonung durch Weill lommt es jedoch letztlich nicht. 1952: 16.11.: Brecht kommentiert die Frankfurter Inszenierung des Stücks (deutsche Erstaufführung): „Frankfurt führt ‚Der gute Mensch von Szeuan‘ auf. (…) Ich war vier Tage dort und versuchte, der Aufführung zu Deutlichkeit und Leichtigkeit zu verhelfen.“ Unter der Regie von Intendant Harry Buckwitz und im Bühnenbild von Teo Otto spielen Solveig Thomas die Shen Te/den Shui Ta, Arno Assmann (1908-1979) den Flieger Yang Sun, Karl Lieffen (1926-1999) einen Arbeitslosen. Unter der musikalischen Leitung von Walther Knör wird erstmals die Musik des ebenfalls nach Frankfurt gekommenen Paul Dessau (1894-1979) gespielt. Der Verleger Peter Suhrkamp schrieb Brecht, der selbst nicht anwesend war, nach der Premiere: „Die Aufführung des ‚Guten Menschen von Sezuan‘ gestern Abend war vor dem Premierenpublikum ein besonders guter Erfolg. Allerdings bin ich zweifelhaft, ob er vor dem Durchschnittspublikum andauern wird. Die Leute hier lassen sich nicht gern Unannehmlichkeiten sagen, sondern entziehen sich dem natürlicherweise.“ Zur Inszenierung am Theater Paderborn Die epischen Strukturelemente der Textvorlage spiegeln sich in der Inszenierung von Volker Schmalöer wider, auch die Spielweise der Darsteller ist vom epischen Theater geprägt. Acht Schauspieler spielen insgesamt 28 Rollen, was dazu führt, dass sie in vielen Situation sehr schnell auf offener Bühne, mittels Kostüm, Gestik, Mimik und Stimme, von einer Rolle in eine andere wechseln müssen. Dadurch sind sie auf der Bühne nicht nur als eine bestimmte Figur, sondern immer wieder auch als Schauspieler präsent. Unterstützt wird diese Spielweise durch 24 „Puppen“, die man als eine Art mobile Kleiderständer bezeichnen kann. Die Puppen haben verschiedene Funktionen, sie stehen zum Teil stellvertretend für eine Figur des Stückes, sie fungieren als Elemente des Bühnenbilds und sind als anonyme Masse stets auf der Bühne präsent. Mittels der unterschiedlich platzierten Puppen und anderer Bühnenbildelemente werden die Schauplatzwechsel und die Entwicklung vom Tabakladen zur Tabakfabrik verdeutlicht. Die Bühnenund Kostümbildnerin Sabine Böing greift in den Kostümen und der Maske zum Teil den chinesischen Handlungsort des Stückes auf. 11 TEXTAUSZÜGE ZUM THEMA Auszüge aus dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ des Heiligen Vaters Papst Franziskus (24. November 2013) 2013) Ebenso wie das Gebot „du sollst nicht töten“ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen. Diese Wirtschaft tötet. (…) Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. (…) Einer der Gründe dieser Situation liegt in der Beziehung, die wir zum Geld hergestellt haben, denn friedlich akzeptieren wir seine Vorherrschaft über uns und über unsere Gesellschaften. Die Finanzkrise, die wir durchmachen, lässt uns vergessen, dass an ihrem Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die Leugnung des Vorrangs des Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs (vgl. Ex 32,1-35) hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. (…) Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt. (…) Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. (…) Hinter dieser Haltung verbergen sich die Ablehnung der Ethik und die Ablehnung Gottes. Die Ethik wird gewöhnlich mit einer gewissen spöttischen Verachtung betrachtet. Sie wird als kontra-produktiv und zu menschlich angesehen, weil sie das Geld und die Macht relativiert. Man empfindet sie als eine Bedrohung, denn sie verurteilt die Manipulierung und die Degradierung der Person. (…) Die Ethik – eine nicht ideologisierte Ethik – erlaubt, ein Gleichgewicht und eine menschlichere Gesellschaftsordnung zu schaffen. (…) Das Geld muss dienen und nicht regieren! Der Papst liebt alle, Reiche und Arme, doch im Namen Christi hat er die Pflicht daran zu erinnern, dass die Reichen den Armen helfen, sie achten und fördern müssen. Ich ermahne euch zur uneigennützigen Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen. 12 (…) Die Armen und die ärmsten Bevölkerungen werden der Gewalt beschuldigt, aber ohne Chancengleichheit finden die verschiedenen Formen von Aggression und Krieg einen fruchtbaren Boden, der früher oder später die Explosion verursacht. Wenn die lokale, nationale oder weltweite Gesellschaft einen Teil ihrer selbst in den Randgebieten seinem Schicksal überlässt, wird es keine politischen Programme, noch Ordnungskräfte oder Intelligence geben, die unbeschränkt die Ruhe gewährleisten können. Das geschieht nicht nur, weil die soziale Ungleichheit gewaltsame Reaktionen derer provoziert, die vom System ausgeschlossen sind, sondern weil das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht ist. (…) Diskussionsanregung Sprechen Sie mit Ihrer Klasse über den gelesenen Beitrag und fragen Sie die Schüler/innen, ob sie das heutige Wirtschaftssystem als Bedrohung einschätzen. Wenn ja, warum? Gibt es Ideen zur Schaffung einer „menschlicheren Gesellschaftsordnung“? In Kleingruppen können die Schüler/innen ein kleines Konzept entwerfen. Nach einer kurzen Präsentation kann man das Konzept auf Potential prüfen. 13 „Mentale Infrastrukturen“ Infrastrukturen“ von Harald Welzer – Vorwort zur Schriftenreihe Ökologie Band 14 der HeinrichHeinrich-BöllBöll-Stiftung Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfähig geworden. Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatastrophe lösen intensives Nachdenken aus. Kann unsere Wirtschaft tatsächlich ewig weiterwachsen? Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfähig? Kann Wirtschaftswachstum in Industrieländern überhaupt ein legitimes Ziel sein, wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre ökologischen Grenzen stößt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern? Werden wir so weitermachen können? Der Großteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und ökonomische Sphäre des Wachstumszwangs. Die Apologeten dieser Sphären vertreten die Ansicht, die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbewerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang. Ein weiteres Argument: Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit, die sozialen Sicherungssysteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermöglichen, zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum. Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber. Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure, wenn es ums Umsteuern geht. Wie die Menschen – als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhängen – mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell aufs Engste verwoben sind, das versucht Welzer auszuleuchten. Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzentralen, an Börsen oder in Ministerien, argumentiert der Autor, sondern auch in unseren Köpfen. Die materiellen Güter dienten längst nicht mehr alleine den elementaren Bedürfnissen wie Nahrung, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Vitalität. Materielle Güter sagten auch etwas aus über den sozialen Status und über Beziehungen, über kulturelle Vorlieben. Tatsächlich prägen sie Zugehörigkeit und Identität. Wir kennen sie alle: die Lust nach etwas Neuem, nach steigendem Einkommen, nach Besitz, nach immer exotischeren Urlaubsreisen. Die Vorstellung vom „unendlichen Wachstum“ ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet, so Welzer. Das äußert sich etwa in Karrierewünschen und Aufstiegsplänen im Job, ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem „wahren Ich“ oder einer „höheren Erkenntnisstufe“. Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Glückes, er will etwas aus seinem Leben machen, und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder aufs Neue, um stetig seine Zufriedenheit zu steigern. „Das Neue liefert Vielfalt und Aufregung und lässt uns träumen und hoffen. Mit seiner Hilfe können wir Träume und Sehnsüchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht 14 harten Lebensrealität entkommen“. Diese Lust nach Neuem, nach Konsum und Wachstum ist, wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt, als „mentale Infrastruktur“ in den Wünschen, Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen, in unseren Innenwelten verankert. So kommt es, dass das System nicht nur die „Lebenswelt“ (Habermas) kolonialisiert, sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren, das wir „verdienen“. Die „große Transformation“, die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphäre verhindern soll, hat neben den technischen und politischen Lösungen, auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension: Wir müssen die Mechanismen und Prinzipien durchschauen, auf denen unsere Ideale und Wünsche, unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fußen. Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stück vorgegeben. Welzer zeigt, wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persönlichkeitsentwürfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum, zum Mehr antreiben. Dies zu erkennen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Und dies wiederum ist die Grundlage, um den Wachstumszwang nicht nur vom System zu lösen, sondern „in uns drinnen“, in unseren mentalen Infrastrukturen aufzulösen. Womöglich werden wir dann dem Wunsch nach „Weniger ist mehr“ näher kommen oder die Frage „Wie viel ist genug für ein gutes Leben?“ anders beantworten können. Um das „rastlose Begehren“ in ein erfülltes Leben umdrehen, das nicht ständig nach Neuem schreit, brauchen wir eine Geschichte, die wir über uns selbst erzählen können – und zwar aus der Perspektive einer möglichen Zukunft: Wer möchte ich einmal gewesen sein? Wie möchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen, wie möchte ich sie meinen Kindern hinterlassen? Die Frage zu beantworten, wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben möchte, und darüber Visionen zu entwickeln, die Menschen bewegen und neue Identitäten stiften, kann nicht nur abstrakt gelingen. Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwürfen einbeziehen. Denn das „business-as-usual“ der uns allgegenwärtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukturen (Supermärkte, Autobahnen, Allverfügbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht, weil wir uns täglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangsläufig bejahen oder unterstützen. Erst wenn jede(r) für sich konkret lebt und erlebt, wie sie und er sich eigentlich wünschen zu leben, erst dann können sich die mentalen Infrastrukturen verändern. Deswegen ist es dann doch wichtig, einfach vom Auto häufiger auf den Zug umzusteigen, statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften, statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen. Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern würde; dazu bleibt es zu singulär und machtlos. Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann, wie es sich nachhaltig gut leben lässt. Es geht also auch darum, Angst und Hemmschwellen abzulegen, Neues auszuprobieren, im sozialen Miteinander und im besseren 15 Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen. Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughäfen wendet, bringt Welzer es auf den Punkt, bietet er eine handfeste Intervention gegen die materiellen, institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters. Auf Basis von wachstumsbefriedeten ökonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen, gegen den Wachstumszwang anzugehen, der unser System bestimmt. Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf, die Gegenwart gleich verbessern zu können. Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens („commoning“) praktizieren, die jenseits der Marktökonomie auf Reziprozität und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind, dann können hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsökonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden, die die ökologischen Grenzen der Erde anerkennt. Diskussionsanregung Lassen Sie die Schüler/innen die wichtigsten Punkte des Textes von Harald Welzer stichpunktartig zusammenfassen und für sowie gegen Welzer argumentieren. Mögliche Fragen zum Thema: In welchem „business-as-usual“ der materiellen- und institutionellen Infrastruktur bewegst du dich jeden Tag (der Bus zur Schule, der Kiosk nebenan usw.)? Was brauchen wir, um ein gutes Leben zu führen? Wie will ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen? 16 THEATERAKTIV DER GUTE MENSCH VON SEZUAN für Schulklass klassen / Gruppen ab 12 Jah Jahren a) Figurenkonstellation der Inszenierung Beliebige Gruppengröße Ein größerer, freier Raum wird benötigt Die Schüler/innen laufen zunächst in einer neutralen Haltung durch den Raum. Spielaufgabe ist: Es werden Figuren aus der Inszenierung genannt, welche man auf die Bewegungssqualität untersucht. Die Schüler/innen versuchen diese zu imitieren / zu adaptieren. Wie verhalten sich die Figuren der Inszenierung körpersprachlich auf der Bühne? Gibt es Charakteristika in der Gangart? Jeder bleibt in dieser Übung zunächst bei sich, ohne mit den anderen Kontakt aufzunehmen. Wurde eine Figur und die dazu passende Körperlichkeit gefunden, lassen Sie die Spieler/innen mit der Stimme ausprobieren: Wie sprechen die Figuren? Was haben Sie während des Stückes gesagt? b) Schneller Rollenwechsel Improvisationsübung Kreativität, Konzentration und schnelle Umsetzung wird gefördert Ein größerer, freier Raum wird benötigt Kleine Requisiten- und Kostümauswahl gewünscht Wie die Schauspieler/innen in der Inszenierung, werden die Schüler/innen in dieser Übung mit schnellen Rollenwechseln konfrontiert. Die Schüler/innen sind in kleine Gruppen eingeteilt. Innerhalb der Gruppe improvisieren sie mit zusammengestellten Requisiten und Kleidungsstücken (Alles, was der Klassenraum / der Rucksack hergibt). Jede Kleingruppe sucht sich drei bis vier Schauspieler/innen aus und erfindet eine Szene mit einigen Figuren aus dem Stück, in der pro Schauspieler/in mindestens zwei Rollenwechsel vollzogen werden. Wie kann das funktionieren und für die Zuschauer sichtbar gemacht werden? Dies gilt es in der Arbeit zu erforschen, auszuprobieren und sich dann für eine Darstellung zu entscheiden, die den anderen Gruppen präsentiert wird. 17 c) Die Straßenszene Beliebige Gruppengröße Suchen Sie sich mit der Gruppe einen Spielort aus (z.B. auf der Straße). Wählen Sie eine Situation, in der ein/eine Passant/in eine Zeugenaussage machen soll (z.B. Verkehrsunfall, Raubüberfall etc.). Der/die Erzähler/in spricht in der dritten Person über den Vorfall, vor anderen Passanten, die keine Augenzeugen sind. Der/die Spieler/in soll den Umstehenden das Geschehene nacheinander auf zwei verschiedene Arten vermitteln. Zunächst wird die Situation nüchtern und distanziert demonstriert, anschließend soll sich der/die Augenzeuge/in in die am Vorfall beteiligten Personen hineinversetzen und die Situation möglichst lebendig, ggf. auch mittels Einsatz von Requsiten und Kostümteilen, beschreiben. Die übrigen Gruppenmitglieder sollen nun beide Arten der Demonstration vergleichen und beschreiben wie die verschiedenen Darstellungsversionen auf sie als Zuschauer gewirkt haben. d) Nach dem Vorstellungsbesuch, Diskussionsrunde Beliebige Gruppengröße Konzentrierte Arbeitsatmosphäre Führen Sie mit ihrer Gruppe nach dem Vorstellungsbesuch ein Nachgespräch. Dabei geht es darum zu beschreiben, was man gesehen und empfunden hat sowie um die Beschreibung der theatralen Mittel. Was hat wie und warum, wodurch gewirkt und gibt es Bezüge zur heutigen Zeit? Der Spielleiter übernimmt die Rolle des Moderators. Die unten stehenden Fragen können als Diskussionsanregungen dienen: - Welche Stimmungen herrschten in der Inszenierung? Beschreibt bitte einzelne Sequenzen und Bilder der Inszenierung. - Welche Rollen, DarstellerInnen sind dir am stärksten in Erinnerung geblieben und warum? - Beschreibe die Zeichnung / Darstellungen einzelner Figuren z.B. der Götter im Stück. 18 - Warum hat man sich deiner Meinung nach für diese Spielweise entschieden? - Wie sah das Bühnenbild aus? Welche Spielmöglichkeiten hat es den Spielern geboten? - Verändert sich die Bühne im Laufe des Stücks? - Wie sahen die Kostüme aus? Beschreibt einzelne Figuren. - Wie wurde mit dem Kostüm gespielt? - Was sagt das Kostümbild über diese Gesellschaft aus? - Was erzählt die im Stück verhandelte Geschichte über die Gesellschaft heute? - Wie war das Ende der Inszenierung? Hast du es so erwartet? Hast du andere Ideen für ein Ende? - Warum wird das Stück heute noch gelesen und/oder gespielt? d) Chorischer Gruppenepilog Gruppenaufgabe für beliebige Gruppengröße Ein größerer, freier Raum wird benötigt Eine Textkopie (unten) pro Schüler/in Requisiten und/oder Kostümauswahl gewünscht Teilen Sie die Gruppe in Kleingruppen. Die Schüler/innen bekommen nun die Aufgabe, in die Rolle der Schauspieler / des Regisseurs zu schlüpfen und anhand des Epilogtextes eine kleine Theaterszene zu inszenieren (Text auf der folgenden Seite). Der Text kann chorisch gesprochen oder auf einzelne Spieler/innen aufgeteilt werden. Welche Aktionen lassen sich mit ihm verbinden? Mit welcher Stimme und Körperlichkeit sollen die Darsteller/innen den Text präsentieren? Am Ende werden alle Szenen nacheinander gezeigt. Tauschen sie sich anschließend über die Wirkung der einzelnen Szenen aus. 19 Epilog „Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss: Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss. Vorschwebte uns: die goldene Legende. Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende. Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen. Dabei sind wir doch auf Sie angewiesen Dass Sie bei uns zu Haus sind und genießen. Wir können es uns leider nicht verhehlen: Wir sind bankrott, wenn Sie uns nicht empfehlen! Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein. Das kam schon vor. Was könnt die Lösung sein? Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld. Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt? Vielleicht nur andere Götter? Oder keine? Wir sind zerschmettert und nicht nur zum Scheine! Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach: Sie selber dächten auf der Stelle nach Auf welche Weis dem guten Menschen man Zu einem guten Ende helfen kann. Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“ 20 Sekun ekundär därmedi edienpoo npool: Literatur / Filme Harald Welzer: „Selbst denken – eine Anleitung zum Widerstand“, Fischer Taschenbuch Auflage: 5, 2014. Horst Grobe: „Der gute Mensch von Sezuan. Textanalyse und Interpretation zu Bertolt Brecht” C.Bange Verlag GmbH, 2011. Fritz Umgelter: „Der gute Mensch von Sezuan“, Deutschland 1966 Verfilmung von „Der gute Mensch von Sezuan“, 181 Minuten Impressum Herausg usgeber Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH Intenda endanz eschäftsführung Katharina Kreuzhage danz und Gesch Vor Vorsitz itzend ender des Aufsicht chtsrat rates Michael Dreier Redak daktion tion Dramaturgie & Theaterpädagogik Gest estaltung Theaterpädagogik / Förderer der Theater Paderborn Westfälische Kammerspiele GmbH Stadt Paderborn / Kreis Paderborn / Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport des Landes NRW / Theaterfreunde e.V. Quelle llen Bertolt Brecht: „Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe“, hg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei und Klaus-Detlef Müller, Berlin und Weimar/Frankfurt a.M. 1988-2000, Band 22, Schriften 2. Bertolt Brecht: „Schriften zum Theater I“, Frankfurt a.M. 2000. Ruth Berlau: „Brechts Lai-tu. Erinnerungen und Notate“, hg. von Hans Bunge, Darmstadt, Neuwied, Luchterhand 1987. Bertolt Brecht: „Der gute Mensch von Sezuan“, kommentierte Ausgabe, hrsg. v. Wolfgang Jeske, Frankfurt a.M. 2003. Horst Grobe: „Der gute Mensch von Sezuan. Textanalyse und Interpretation zu Bertolt Brecht”, Hollfeld 2011. http://www.boell.de/sites/default/files/Endf_Mentale_Infrastrukturen.pdf http://www.whoswho.de/bio/bertolt-brecht.html https://schulesocialmedia.files.wordpress.com/2012/06/brecht-episches-theater.pdf http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangeliigaudium.html 21