Newsletter Nr. 62 / April 2013
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Newsletter Nr. 62 / April 2013
Aktuelle Ergebnisse der Gesundheitsforschung Newsletter 62 | April 2013 Inhalt Aktuelle Themen Ursachen kindlicher Hirntumore verstehen 01 Interview mit Dr. Ursula Weber zum Internationalen Krebsgenom-Konsortium Erwartung an eine Therapie bestimmt die Wirkung 04 Blick ins Gehirn verrät die neurobiologischen Ursachen Nicht nur zu viel Arbeit, auch keine Arbeit kann krank machen 06 Langzeitarbeitslose profitieren von gesundheitsfördernden Maßnahmen Fachthemen „Kooperation wird bei uns großgeschrieben“ – Ziele, Schwerpunkte und erste Erfolge des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung 08 Interview mit Professor Dr. Martin Krönke Leber im Miniaturformat 11 Nebenwirkungen von Arzneimitteln sicher vorhersagen Kleinzelliges Bronchialkarzinom: Erste molekulare Ursachen gefunden Personalisierte Therapie rückt näher 13 01 Ursachen kindlicher Hirntumore verstehen Interview mit Dr. Ursula Weber zum Internationalen Krebsgenom-Konsortium Krebs beginnt meist schmerzfrei und unsichtbar: Eine der etwa 100 Billionen Zellen des menschlichen Körpers verliert die Kontrolle über ihr Wachstum und beginnt, sich unaufhörlich zu teilen. Ursache ist meist eine Mutation in den Erbanlagen der Zelle, die zufällig auftreten, durch Umwelteinflüsse entstehen oder vererbt sein kann. Welche genetischen Veränderungen den häufigsten Krebserkrankungen zugrunde liegen, möchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt im Internationalen Krebsgenom-Konsortium, kurz ICGC, verstehen. Auch Deutschland ist beteiligt – ein Projekt untersucht die Ursachen kindlicher Hirntumore. Dr. Ursula Weber vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg erklärt im Interview, welche Ziele verfolgt werden und welche ersten Ergebnisse es gibt. Frau Dr. Weber, Sie untersuchen die genetischen Ursachen von Hirntumoren bei Kindern. Warum ist das sinnvoll? Krebs ist nicht gleich Krebs und von Patient zu Pat ient können sich auch Tumoren derselben Organe stark unterscheiden. Das gilt auch für Hirntumoren bei Kindern. Selbst bei Krebserkrankungen, in denen sich die Tumorzellen unter dem Mikroskop scheinbar nicht unterscheiden, sprechen manche Patienten sehr gut auf bestimmte Therapien an, andere Patienten hingegen nicht. Das deutet darauf hin, dass oftmals die Ausbreitung und Entwicklung einer Krebserkrankung ganz individuell von der genetischen Ausstattung des Tumors abhängig sind. Deshalb ist es wichtig, die Tumore genetisch exakt zu charakterisieren. Was untersuchen Sie genau? Ziel des PedBrainTumor-Projektes ist es, 500 Gewebeproben kindlicher Hirntumoren mit neusten Sequenziermethoden zu entschlüsseln. Dabei nutzen wir das sogenannte „Next-Generation Sequencing“, oder auch Hochdurchsatz-Sequenzierung genannt, bei der ein ganzes menschliches Genom innerhalb von zwei Wochen komplett sequenziert, also entschlüsselt, werden kann. Im Projekt geht es darum, sowohl alle Mutationen, also Veränderungen im Erbgut, zu erfassen, als auch alle Veränderungen in der Aktivität von Genen und in epigenetischen Informationen. Letztere steuern den Gebrauch der DNA und bestimmen, welche Gene wann und wo genau an- oder abgeschaltet werden. Gleichzeitig untersuchen wir auch 500 Proben von gesundem Gewebe der Tumorpatienten, um ganz genau abgleichen zu können, welche genetischen Dr. Ursula Weber, Projektmanagerin des PedBrainTumor-Projektes am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg Veränderungen für den Tumor einzigartig sind. Die Gesamtheit dieser Informationen soll dazu beitragen, grundlegende Erkenntnisse über die Entstehung pädiat rischer Hirntumoren zu erhalten, die Tumorbiologie besser zu verstehen und letztlich auf Grundlage dieser Kenntnis neue zielgerichtete Therapien zu entwickeln. Neue Therapien sind vermutlich gerade für kindliche Hirntumoren dringend erforderlich? Ja, besonders dringend brauchen wir neue, ziel gerichtete und schonende Therapieverfahren. Die Bildquelle: Universitätsklinikum Heidelberg Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Aktuelle Themen Newsletter 62 02 Aktuelle Themen Newsletter 62 Magnetresonanztomografie (links, der Pfeil deutet auf den Tumor) und Gewebeschnitt (rechts) eines Medulloblastoms pädiatrischen Hirntumoren sind die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter, die einen tödlichen Verlauf hat. Die Behandlung der Tumoren und die damit verbundenen Nebenwirkungen sind oft sehr belastend für die Kinder und können das heranwachsende Gehirn in seiner Entwicklung beeinträchtigen. Wir beschränken uns in unseren Untersuchungen auf die beiden häufigsten kindlichen Hirntumoren, das Medulloblastom und das pilozytische Astrozytom. In Deutschland sind jedes Jahr etwa 300 Kinder von diesen Hirntumoren betroffen. Was könnte die Entschlüsselung der Tumorgenome zu einer verbesserten Therapie beitragen? möglich war. Ein interessantes Ergebnis ist, dass kindliche Medulloblastome – obwohl es sich um hoch aggressive Tumoren handelt – deutlich weniger Mutationen tragen als alle Tumoren von Erwachsenen, die bislang untersucht wurden. Eine häufige Mutation, die wir bei einem anderen pädiatrischen Hirntumor, dem Glioblastom, gefunden haben, liegt in einem Gen, das für die Verpackung der DNA verantwortlich ist und so auch die Aktivität von Genen bestimmt. Genauer handelt es sich um das Gen Histonmodifikation H3.3. Somit ist klar: In kindlichen Hirntumoren sind auch epigenetische Faktoren, die den Gebrauch der DNA steuern, durch Mutation verändert. Wie geht es jetzt weiter? Genetische Veränderungen können zum Beispiel Hinweise auf die Ursache der Tumore geben und als Zielstrukturen für neue personalisierte Therapieansätze dienen. Gleichzeitig geht es uns darum, die Tumoren anhand ihrer Genetik in Untergruppen einzuteilen. So sollen zukünftig ganz genau die Patienten identifiziert werden, die von einer bestimmten Therapie, zum Beispiel einer Chemotherapie, profitieren. Denn wie ich eingangs gesagt habe, sind viele Tumoren unter dem Mikroskop nicht zu unterscheiden. Genetisch jedoch unterscheiden sie sich erheblich. Und davon kann auch die Wahl der Therapie abhängen. In den nächsten Jahren werden wir wie geplant die übrigen 250 Tumorproben und noch mal so viele Kontrollen analysieren. Wir werden neue Befunde validieren und häufig gefundene spezielle Veränderungen in Tiermodelle übertragen, um die präklinische Testung neuer klinischer Therapien durchzuführen. Alle gesammelten Daten werden in einer großen Datenbank im Rahmen des Internationalen KrebsgenomKonsortiums zusammengefasst und der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Haben Sie bereits Ergebnisse erzielen können? Kürzlich erhielt ein Wissenschaftler des ICGC den Deut schen Krebspreis. Die Sequenzierung von 125 Medulloblastomen hat bereits zu einer deutlich verbesserten Einteilung der Tumoren in Untergruppen beigetragen, als es bisher Genau. Der Heidelberger Molekularbiologe und Kinderarzt Professor Dr. Stefan Pfister wurde für seine Untersuchungen zu den molekularen Eigenschaften Bildquelle: Universitätsklinikum Heidelberg Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php bösartiger Hirntumoren bei Kindern ausgezeichnet. Mit diesem Preis hat die Deutsche Krebsgesellschaft seine Verdienste in der translationalen Krebsforschung gewürdigt. Bei translationaler Forschung in der Medizin geht es um die frühzeitige Übertragung von grundlegenden Forschungserkenntnissen in die therapeutische Anwendung. ICGC – weltweite Vernetzung im Kampf gegen den Krebs Im Internationalen Krebsgenom-Konsortium (International Cancer Genome Consortium, ICGC) arbeiten weltweit Wissenschaftler daran, die 50 häufigsten Krebserkrankungen genetisch zu untersuchen, um neue verbesserte Ansätze zu Prävention, Diag nose und Therapie zu finden. Derzeit gibt es drei deutsche ICGC-Beteiligungen, eines ist das PedBrainTumor-Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Krebshilfe mit einem Gesamtbudget von 15 Mio. Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert wird. Die beiden anderen Projekte untersuchen die molekularen Ursachen von malignen Lymphomen und früh auftretenden Prostatakarzinomen. Mehr zum ICGC und zu den deutschen Beteiligungen lesen Sie unter www.gesundheitsforschungbmbf.de/de/2604.php. Ansprechpartnerin: Dr. Ursula Weber Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) Abteilung Molekulare Genetik Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg Tel.: 06221 42-4620 Fax: 06221 42-4639 E-Mail: u.weber@Dkfz-Heidelberg.de www.pedbraintumor.org 03 Aktuelle Themen Newsletter 62 04 Erwartung an eine Therapie bestimmt die Wirkung Blick ins Gehirn verrät die neurobiologischen Ursachen Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Denn wie wir Schmerzen erleben, hängt von unserer Wahrnehmung ab, von unserer Aufmerksamkeit, unserer Gefühlslage oder unserer Erwartung. Wer kennt dieses Phänomen nicht: Schauen wir einen spannenden Film, juckt ein Mückenstich nicht so sehr, wie wenn wir uns zu Hause langweilen. Und auch die Wirkung von Schmerzmitteln hängt von unserer Wahrnehmung ab: Unsere Erwartung an eine Therapie – ob positiv oder negativ –, bestimmt die Wirkung des Medikaments. Welche neurobiologischen Mechanismen hierfür verantwortlich sind, untersucht eine Wissenschaftlerin aus Hamburg. Das Thema Schmerz habe sie schon immer fasziniert. Besonders die neurobiologischen Mechanismen, die unser Schmerzerleben bestimmen. Um diese zu verstehen, schaut Privatdozentin Dr. Ulrike Bingel unserem Gehirn regelrecht bei der Arbeit zu. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie, kurz fMRT. Ein Beispiel. Gesunde Freiwillige werden mehrfach für einige Sekunden einem kontrollierten Hitzereiz ausgesetzt, der einen mittleren bis starken Schmerz auslöst. „Mit der funktionellen Magnet resonanztomografie können wir während des Experiments die Schmerzverarbeitung im Gehirn sichtbar machen“, erklärt Dr. Bingel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Bestimmte Schaltstellen des schmerzverarbeitenden Systems zeigen wie ein Wasserstandsmelder an, ob ein Proband gerade viel oder wenig Schmerz aushalten muss.“ Die bei der Schmerzverarbeitung aktivierten Hirnregionen heißen Thalamus, Insel und somatosensorischer Kortex. Keine Wirkung trotz Medikament Interessant wird es, wenn die Probanden während des Versuchs ein Schmerzmittel erhalten. Dann nämlich kommt ihre Erwartung an das Schmerzmedikament ins Spiel. Zunächst bekommen die Probanden das Schmerzmittel in einer „verdeckten“ Infusion, sie rechnen also nicht mit einer Schmerzlinderung. Die Schmerzintensität sinkt. „Wenn wir den Probanden dann mitteilen, dass ihnen jetzt das Medikament verabreicht wird, verdoppelt sich der schmerzlindernde Effekt, obwohl sie die identische Medikamentendosierung erhalten“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Schmerzintensität sinkt also in der Erwartung einer Behandlung deutlich. „Das ist eine Art PlaceboEffekt“, so Dr. Bingel. Gänzlich aufgehoben dagegen Ob ein Medikament Schmerzen lindert, hängt auch von der Erwartung ab. wird der schmerzlindernde Effekt des Schmerzmittels, wenn den Probanden gesagt wird, dass sie keine Therapie mehr erhalten und es gleich stärker schmerzen könnte. Obwohl ihnen – ohne ihr Wissen – weiter das Schmerzmittel verabreicht wird, schnellt dann die Schmerzintensität wieder auf den Ausgangswert an. Dr. Bingel: „Die negative Erwartung und die Angst vor dem Schmerz zerstören den Effekt des Medikaments vollständig. Der Schmerz ist dann genauso stark, als hätten sie überhaupt kein Medikament bekommen.“ In der fMRT konnten die Forscher sehen: Glaubt ein Proband an die Wirkung der Behandlung, wird das körpereigene schmerzhemmende System aktiviert und verstärkt so die schmerzlindernde Wirkung des von außen zugeführten Schmerzmittels. „Damit ist klar, dass negative Erwartungen an eine Therapie deren Erfolg beeinträchtigen und die Wirkung von eigentlich potenten Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen können. Das sollte künftig in der Schmerz- Bildquelle: Thinkstock Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Aktuelle Themen Newsletter 62 05 weniger Schmerzlinderung. „Schlechte Erfahrungen schmälern also die Erfolgschancen für das nächste Medikament“, sagt Dr. Bingel. „Denn die Erfahrung, die ein Patient mit dem ersten Medikament gemacht hat, wird mitgenommen und zumindest teilweise auf die Folgearznei übertragen.“ Dieser „Mitnahmeeffekt“ aber dürfte sich in der Schmerzbehandlung meist schädlich auswirken, befürchtet Dr. Bingel. Üblicherweise wird nämlich mit den schwächsten Arzneien begonnen, und erst nach deren Versagen sollen Ärzte eine stärkere Medikamentenklasse erproben. „Ein Vorgehen, das wir möglicherweise überdenken müssen“, sagt Dr. Bingel. Der Blick ins Gehirn – die funktionelle Kernspintomografie Privatdozentin Dr. Ulrike Bingel vor ihrem Arbeitsgerät, dem Magnetresonanztomografen. therapie berücksichtigt werden“, plädiert Dr. Bingel. „Hierbei kann es schon helfen, Patienten intensiver und gezielter über ihre Erkrankung und die Behandlung aufzuklären, um positive Erwartungen zu wecken und negative zu vermeiden.“ Schlechte Erfahrungen schmälern Therapieerfolg Ähnliche Effekte haben Dr. Bingel und ihr Team mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auch beim Wechsel von Medikamenten beobachtet. In einem weiteren Versuch ließen sie einen Teil der gesunden Freiwilligen schlechte Erfahrungen mit einer vermeintlichen Schmerzsalbe machen. Die Probanden bekamen zwei Tage lang an verschiedenen Stellen der Haut zwar die gleiche Salbe, wussten aber nicht, dass die Forscher mittels Hitze unterschiedlich starke Schmerzreize erzeugten. Am dritten Tag gab es dann statt der Salbe ein Schmerzpflaster, und der Schmerzreiz wurde um 30 Prozent verringert. Wer nun zuvor schlechte Erfahrungen mit der Salbe gemacht hatte, spürte auch mit dem Pflaster Einen Blick ins Gehirn werfen kann man mit der funktionellen Kernspintomografie – auch funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) genannt. Die Methode erlaubt es, aktive Bereiche des Gehirns sichtbar zu machen. So wird erkennbar, welche Areale „arbeiten“, wenn wir eine spezielle Bewegung ausführen, etwas Bestimmtes erwarten oder Schmerz empfinden. Bei der Messung wird das Gehirn einem sehr starken Magnetfeld ausgesetzt. Das ist völlig ungefährlich und auch komplett schmerzfrei. Die Methode basiert darauf, dass aktive Nervenzellen mehr Sauerstoff benötigen als inaktive. Ein aktives Hirngebiet wird daher vermehrt durchblutet. Im Blut transportiert das eisenhaltige Trägermolekül Hämoglobin den Sauerstoff. Mit Sauerstoff beladenes Hämoglobin hat andere magnetische Eigenschaften als ein unbeladenes Trägermolekül. Die aktiven Hirnbereiche geben daher ein anderes Signal ab als die inaktiven. Im fMRT-Bild sind diese Areale unterschiedlich farblich markiert. Ansprechpartnerin: Priv.-Doz. Dr. Ulrike Bingel Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistr. 52 20246 Hamburg Tel.: 040-7410-53570 Fax: 040-7410-59955 E-Mail: bingel@uke.uni-hamburg.de Bildquelle: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Aktuelle Themen Newsletter 62 06 Nicht nur zu viel Arbeit, auch keine Arbeit kann krank machen Langzeitarbeitslose profitieren von gesundheitsfördernden Maßnahmen Burnout, dieser Begriff ist mittlerweile wohl jedem geläufig. An Burnout leiden bekanntlich vor allem Personen, die zu viel arbeiten. Keine Arbeit kann aber auch krank machen. Es ist erwiesen, dass Arbeitslose – und hier speziell Langzeitarbeitslose – ein höheres Risiko haben, psychisch zu erkranken. Wissenschaftler haben nun erstmalig mittels einer kontrollierten Studie in zwei deutschen Städten nachgewiesen, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen für diese Personengruppe nützlich sind, etwa um Ängste und Depressionen zu bekämpfen und zu verringern. Petra M. ist 51 Jahre alt, gelernte Einzelhandelskauffrau und seit mehr als sieben Jahren arbeitslos. Während ihrer langen Arbeitslosigkeit hat sie sich immer mehr zurückgezogen, ihre sozialen Kontakte und Beziehungen vernachlässigt und verschiedene Ängste und psychosomatische Beschwerden entwickelt. Petra M. war zunehmend deprimiert, verlor den Glauben an sich selbst und an eine gute Zukunft. Zahlreiche wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. „Langzeitarbeitslose leiden öfter an psychischen, psychosomatischen oder generell körperlichen Erkrankungen. Doppelt so häufig wie Erwerbstätige“, fasst Professor Dr. Harald Gündel von der Universität Ulm aktuelle Ergebnisse zusammen. Er ist dort Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. „Viele Betroffene leiden unter Ängsten und Depressio nen.“ Die Wechselwirkungen zwischen Arbeitslosigkeit und Krankheit sind dabei vielschichtig. Gesundheitsfördernde Maßnahmen können helfen, diesen Teufelskreis zu unterbrechen. „Hierbei müssen die Langzeitarbeitslosen vor allem dabei unterstützt werden, gesünder zu leben“, sagt Professor Gündel. „Das bedeutet gesündere Ernährung und mehr Bewegung und zwar nicht nur für kurze Zeit, sondern möglichst für immer.“ Gemeinsam mit Professor Dr. Peter Angerer, der an der Universität in Düsseldorf das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin leitet, hat er mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) nachgewiesen, dass nachhaltig ausgerichtete gesundheitsfördernde Maßnahmen bei Langzeitarbeitslosen eben solche langfristigen Erfolge erzielen können. In einer Studie beobachteten die Wissenschaftler Arbeitslose in München und Hannover, die das Angebot von Gesundheitsschulungen annahmen. „Über 70 Prozent unserer Studienteilnehmer sind seit fünf Jahren oder länger ohne Arbeit beziehungsweise haben noch nie in Deutschland gearbeitet. Die besondere Herausforderung ist es, diese Personen zu motivieren, ihr Verhalten zu verändern“, bemerkt Professor Gündel, der die Studie damals noch in Hannover leitete. Gespräche und Aktivitäten – die zwei Bausteine der Gesundheitsschulung Insgesamt nahmen 365 Arbeitslose, die Arbeitslosengeld II empfangen, besser bekannt als Hartz IV, an der Studie teil und erhielten das Angebot einer „Gesundheitsschulung“. Eine Kontrollgruppe musste ohne die Schulung auskommen. Die Schulung bestand aus zwei Bausteinen, die individuell und nach Bedarf angepasst werden konnten. Ein Modul beinhaltete motivierende Gesundheitsgespräche zwischen geschulten Trainern und Arbeitslosen. Beim zweiten Baustein fanden regelmäßige Gruppenaktivitäten statt wie bei- Bildquelle: Reuters/corbis Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Aktuelle Themen Newsletter 62 07 spielsweise gemeinsames Einkaufen und Kochen. Aber auch Yoga-Übungen, Besuche von Gesundheitseinrichtungen sowie Gesundheitsgespräche wurden angeboten. Generell orientierten sich die Aktivitäten dabei stark an den Interessen der Teilnehmer. Die Schulungsleiter waren ausgebildete pädagogische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Arbeitsagentur, die hauptamtlich für die Wieder eingliederung der ArbeitsRegelmäßige Gruppenaktivitäten steigern das Wohlbefinden. losen in den Arbeitsmarkt zuständig sind. Sie wurden im Vorfeld der Studie zu sogenannten „Gesundheitsnisse sind neben den Teilnehmern und Teilnehmerincoaches“ ausgebildet, die die Arbeitslosen motivieren nen die beteiligten Partner. „Wir freuen uns, dass uns und unterstützen sollten. so viele Partner bei der Studie unterstützt haben“, fügt Professor Gündel hinzu. „Sowohl in München als auch Positiver Trend: Gesunde Lebensweise steigert in Hannover wurden die Mitarbeiter in den Agenturen und JobCentern für unsere Schulungen freiArbeitsvermittlung gestellt.“ Weitere Partner waren die AOK in Bayern, Das Ergebnis: „Schon nach drei Monaten fühlten das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung gGmbH sich die Langzeitarbeitslosen deutlich gesünder als in Nürnberg und das Ethno-Medizinische Zentrum Arbeitslose, die nicht an der Gesundheitsschulung (EMZ) in Hannover. teilgenommen haben“, weiß Professor Gündel. „Und mit einer weiteren Befragung nach einem Jahr konnEinrichtungen des Münchner Beschäftigungs- und ten wir beweisen, dass diese Verbesserung nachhalQualifizierungsprogramm (MBQ) der Stadt München tig ist!“ Die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen sowie des JobCenters in Hannover haben bereits einberichteten dabei seltener von Ängsten und Depreszelne Komponenten der Gesundheitsschulung in ihre sivität und nahmen ihre Situation als weniger ausregulären Maßnahmen übernommen. Und ein Folgesichtslos wahr. Aber auch die als Gesundheitschoaches projekt in Bayern untersucht den Effekt der Gesundweitergebildeten Arbeitsvermittler fühlten sich durch heitsschulung jetzt gezielt bei arbeitslosen Jugend dieses Projekt positiv motiviert und selbst weniger lichen. gestresst. „Unsere Arbeit zeigt, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen für Langzeitarbeitslose wirklich sinnvoll sind. Wir beobachten dabei auch den Trend, dass sich die insgesamt gesündere Lebensweise bei den Arbeitslosen positiv auf ihre Arbeitsvermittlung auswirkt“, freut sich Professor Gündel. Petra M. ist auch froh, dass sie an der Studie teilgenommen hat. Sie traut sich wieder auf die Straße und blickt heute zuversichtlicher in die Zukunft. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für diese positiven Ergeb- Ansprechpartner: Professor Dr. Harald Gündel Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm Albert-Einstein-Allee 23 89081 Ulm Tel.: 0731 500-61800 Fax: 0731 500-61802 E-Mail: harald.guendel@uniklinik-ulm.de Bildquelle: fotolia Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Aktuelle Themen Newsletter 62 08 „Kooperation wird bei uns großgeschrieben“ – Ziele, Schwerpunkte und erste Erfolge des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung Interview mit Professor Dr. Martin Krönke Infektionen sind für die Medizin auch im 21. Jahrhundert eine der zentralen Herausforderungen. Wie lassen sich die großen Infektionskrankheiten am besten eindämmen? Was tun, wenn Keime immer unempfindlicher gegen Medikamente werden? Was sind die besten Präventionsstrategien? Diesen und anderen Fragen wollen die Forscherinnen und Forscher im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, kurz DZIF, nachgehen. Das DZIF bringt seit 2012 mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32 universitären und außeruniversitären Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Es ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Erforschung der wichtigsten Volkskrankheiten initiiert wurden. Herr Professor Krönke, Sie sind Sprecher des neu gegründeten Deutschen Zentrums für Infektions forschung, kurz DZIF. Was sind die Ziele dieser neuen Struktur? Die Aufgabe des DZIF kann man am besten unter dem Stichwort „Translation“ zusammenfassen. Es geht uns also um den Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis. Denn nicht nur in Deutschland, sondern weltweit besteht eine Lücke zwischen der Grundlagenforschung auf der einen Seite und der Umsetzung der Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in der Klinik auf der anderen Seite. Diese Lücke wollen wir im DZIF schließen. Und zwar nicht in erster Linie mit einzelnen Forschungsprojekten, sondern indem wir neue Strukturen schaffen. Können Sie Beispiele für diese neuen Strukturen nennen? Zum Beispiel bauen wir am Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland unter anderem für die Zulassung neuer Impfstoffe zuständig ist, eine Beratungsstelle für regulatorische Fragestellungen auf. Hier können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann Fragen rund um die Prüfung und Zulassung neuer Therapien und Impfstoffe für Infektionserkrankungen stellen. Diese Beratungsstelle wird nicht nur den Wissenschaftlern des DZIF zugute kommen, sondern allen Infektionsforschern in Deutschland zur Verfügung stehen. Professor Dr. Martin Krönke ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik Köln und Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. Ein weiteres Beispiel ist eine Einheit, die wir am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig aufbauen. Hier werden Forscherinnen und Forscher von Experten hinsichtlich kommer zieller Aspekte ihrer Projekte beraten. Also zum Beispiel: Wie sieht die Patentsituation für einen neuen Therapieansatz aus? Gibt es verwandte Wirkstoffe, die in der Klinik wegen toxischer Nebenwirkungen gescheitert sind? Oder: Ist die Herstellung des Stoffes problematisch? Diese Beratungsstelle wird auch für unsere Kolleginnen und Kollegen außerhalb des DZIF sowie für die fünf anderen Deutschen Zentren ihre Dienste anbieten. Kooperation wird bei uns im DZIF großgeschrieben. Bildquelle: DZIF Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Newsletter 62 Was sind für Sie die wichtigsten oder erfolgverspre chendsten Forschungsprojekte des DZIF? Ein wichtiger Schwerpunkt des DZIF ist die Entwicklung neuer Antiinfektiva. Denn antibiotika-resistente Bakterien kommen wie eine Dampfwalze auf uns zu. Aktuell haben wir beispielsweise das Problem, dass in Krankenhäusern – insbesondere auf den Intensiv stationen – Bakterien zu finden sind, die gegen alle Antibiotika resistent sind, die uns zur Verfügung stehen. Wir brauchen also dringend neue Antibiotika. Die Zeiten, in denen regelmäßig neue AntibiotikaSubstanzklassen entdeckt wurden, sind vorbei. Seit den 80er Jahren ist nichts wesentlich Neues dazugekommen. Im DZIF beteiligen wir uns deshalb an der Entdeckung neuer Antibiotika. In Bonn und Saarbrücken werden große Substanz-Bibliotheken durchforstet, um neue inhibitorische, also wachstumshemmende oder gar Bakterien-tötende Wirkstoffe zu identifizieren. Bereits jetzt haben die Kollegen über 30 neue Substanzen entdeckt, die – zumindest im Reagenzglas – antibakterielle Wirksamkeit gezeigt haben. Eine dieser Substanzen steht kurz vor der klinischen Prüfung. Forschung ist bekanntlich ein langwieriger Prozess. Oft muss man Jahre oder gar Jahrzehnte auf Ergeb nisse warten. Gibt es dennoch bereits erste Ergebnisse im DZIF, die Sie erwähnen möchten? Wir haben am DZIF eine Einheit „Emerging Infections“ gegründet, die sich mit neu auftretenden Infek- 09 tionserregern beschäftigt. Diese Einheit hat sich auch auf die Fahne geschrieben, diagnostische Tests für neue Viren zu entwickeln. Denn wenn ein Erreger erstmals auftritt, gibt es zunächst auch keinen Test zum Nachweis des Erregers. Doch erst wenn man einen Test hat, kann man herausfinden, wo das neue Virus grassiert und wie es sich verbreitet. Hier haben wir am DZIF bereits einen ersten Erfolg erzielt. Derzeit verbreitet ein neues Coronavirus in Saudi-Arabien Angst und Schrecken. Unserer Einheit „Emerging Infections“ ist es innerhalb von zwei Wochen gelungen, einen diagnostischen Test für dieses neue Virus zu entwickeln. Zukünftig plant diese Einheit auch, Impfstoffe zu entwickeln. Im DZIF werden auch klinische Studien durchgeführt. Haben Sie damit bereits begonnen? In der Tat betreiben wir schon jetzt klinische Studien, die zum Beispiel darauf abzielen, ob man schon bestehende und bereits zugelassene Medikamente für andere Indikationen einsetzen kann. Ich erkläre das an einem Beispiel. Es gibt die HPV-Impfung, die junge Frauen vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll. Wir werden nun eine Studie starten, die der Frage nachgeht, ob die Impfung gegen das humane Papillomvirus auch als Therapie bei Analkarzinomen eingesetzt werden kann, die ebenfalls durch HPV-Viren verursacht werden. Ein anderes Beispiel. Bei einer Infektion mit Staphylokokken schreiben Richtlinien den Ärzten vor, Infizierte mindestens für zwei Wochen intravenös mit Antibiotika zu behandeln. Die Frage, die wir uns stellen, ist: Reicht es nicht, die Patienten nur sieben oder zehn Tage mit Antibiotika zu behandeln? Falls sich diese Hypothese bestätigt, hätte das eine immense Bedeutung für die Patienten und auch für den Verbrauch von Antibiotika. Denn je größer unser Antibiotikaverbrauch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Resistenzen entwickeln. Die Bildquelle: Thinkstock Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Newsletter 62 Pharmaindustrie hat natürlich kein Interesse, eine solche Studie durchzuführen. Im DZIF arbeiten mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32 Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Wie funktioniert das? Das funktioniert nach demokratischen Prozessen. Es gibt eine Mitgliederversammlung, in der jede der 32 Einrichtungen Mitspracherecht und jeder der sieben Standorte eine Stimme hat. Das DZIF ist als Rechtsform ein eingetragener Verein. Die Mitgliederversammlung ist unser oberstes Organ. Sie trifft sich zweimal im Jahr und wählt den dreiköpfigen Vorstand. Einer der spannendsten Prozesse in der Aufbauphase des DZIF war die Frage: Wie koordinieren wir uns? Denn wenn 32 Einrichtungen zusammen arbeiten sollen, kann nicht jede Einrichtung machen, was sie will. Deshalb haben wir unsere Forschungsgebiete auf die Standorte verteilt und jedem Standort thematische Schwerpunkte zugeordnet. Zum Beispiel beschäftigen sich die Standorte Heidelberg und Köln schwerpunktmäßig mit dem Thema HIV. Diese Schwerpunktsetzung kann sich natürlich im Laufe der Entwicklung des DZIF verändern. Unser Verein soll atmen und die Strukturen sind nicht zementiert. 10 Bakterien oder Viren vermehren können. Wenn sich hingegen bei einer Infektion erstmal Milliarden von Bakterien im Körper befinden, ist die Chance groß, dass sich einige wenige Antibiotika-resistente Bakterien darunter befinden. Diese wachsen dann auch unter Antibiotika-Gaben ungestört weiter. Bei einer Impfung können sich die Erreger gar nicht erst vermehren. Auf Dauer sind deshalb vor allem Impfstoffe eine Strategie, mit der wir am nachhaltigsten den Infektionskrankheiten entgegentreten können. Neben den Antibiotika, anti-viralen Therapien und Impf stoffen ist auch die Hygiene, vor allem in Krankenhäusern, ein wichtiges Standbein. Auch die Hygiene hat einen großen Stellenwert im DZIF. Werden Sie im DZIF auch über die Grenzen Deutsch lands hinweg forschen? Ja, denn Erreger kennen keine Grenzen. Wir beschäftigen uns deshalb auch mit der Erregersituation im Ausland und verstehen uns nicht als Zentrum für deutsche Infektionskrankheiten, sondern als Deutsches Zentrum für Infektionserkrankungen und Infektionsforschung. Es gab Zeiten, da wähnte man die Infektionskrankheiten schon besiegt. Werden wir Ihrer Meinung nach dank intensiver Forschung die Infektionskrankheiten zukünf tig im Griff haben? Infektionen sind alles andere als besiegt und wir werden den Kampf gegen die Bakterien und Viren nie gewinnen. Bakterien zum Beispiel teilen sich alle 20 Minuten. Im Vergleich zu uns Menschen haben sie eine enorm schnelle Evolution und können sich jederzeit an neue Bedingungen anpassen. Gerade ihre Resistenzentwicklung ist derart schnell, dass wir sprichwörtlich zusehen können, wie die Bakterien von Jahr zu Jahr resistenter gegen Antibiotika werden und ihre genetischen Informationen untereinander austauschen – auch über Speziesgrenzen hinweg. Was man allerdings nicht vergessen darf: Bakterien werden zwar gegen Antibiotika resistent und Viren gegen anti-virale Therapien – aber nicht gegen Impfungen. Denn wenn man in einem Menschen eine Immunität erzeugt, greift diese bereits, bevor sich die Ansprechpartner: Prof. Dr. Martin Krönke Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene Universität zu Köln Goldenfelsstraße 19–21 50935 Köln Tel.: 0221 478-32000 Fax: 0221 478-32002 E-Mail: m.kroenke@uni-koeln.de Geschäftsstelle des DZIF e. V. Inhoffenstraße 7 38124 Braunschweig Tel.: 0531 6181-1152 Fax: 0531 6181-1153 E-Mail: info@dzif.de Fachthemen Newsletter 62 Newsletter 62 11 Nebenwirkungen von Arzneimitteln sicher vorhersagen Ob ein neues Medikament die Leber schädigt, lässt sich nicht immer zuverlässig vorhersagen. Denn trotz umfangreicher Tests in Zellkulturen und Tierversuchen reagiert die menschliche Leber nicht selten anders als erwartet. Ein neues Testsystem im Miniaturformat soll nun helfen, giftige Effekte für die Leber ganz ohne Tierversuche und bevor ein Medikament an Patienten getestet wird vorherzusagen. Immer wieder müssen Medikamente wegen gefähr licher Nebenwirkungen vom Markt genommen werden. Da fragt man sich zu Recht: Könnten diese Nebenwirkungen nicht bei den umfangreichen Untersuchungen vor der Zulassung erkannt werden? Die Antwortet lautet: Leider nicht immer. Denn gerade toxische, also giftige, Effekte von Arzneimitteln lassen sich nur begrenzt vorhersagen. „Das gilt besonders für lebertoxische Reaktionen, weil die Ergebnisse aus Zellkulturen und Tierversuchen nur begrenzt auf den Menschen übertragen werden können“, sagt Dr. Martin Stelzle vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Uni versität Tübingen. „Deshalb werden etwa ein Viertel der Medikamente, die aus Toxizitätsgründen vom Markt genommenen werden, wegen Leberschäden gestoppt.“ Außerdem ist die Lebertoxizität – nach mangelnder Effizienz – der zweithäufigste Grund dafür, dass ein neuer Arzneistoff bereits in seiner Entwicklung scheitert. Es gibt also viele Gründe, warum dringend neue Testsysteme notwendig sind, um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben Dr. Stelzle und sein Team ein neues Zellkultursystem entwickelt, mit dem sich Leberschäden zukünftig deutlich zuverlässiger erkennen lassen. Der Name: HepaChip. Die Entwicklung der Leber im Miniaturformat auf einem Chip wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Nahaufnahme des HepaChip. Auf dieser mit winzigen Elektroden ausgestatteten Oberfläche werden die Zellen kultiviert. Bildquelle: NMI, Tübingen Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Leber im Miniaturformat Der HepaChip unter dem Mikroskop: Leberzellen sind grün, Endothelzellen rot gefärbt. Zellkulturmodell simuliert die menschliche Leber Was zeichnet den neuen HepaChip aus? In den derzeit verwendeten Leberzellmodellen wachsen die Zellen meist in zweidimensionalen Kulturen, also beispielsweise in der Petrischale. „Hierbei verlieren die Leberzellen allerdings innerhalb kürzester Zeit die für eine Leberzelle typischen Funktionen, also zum Beispiel die Fähigkeit, zugeführte Arzneistoffe abzubauen“, weiß Dr. Peter Roehnert von der European ScreeningPort GmbH, Mitentwickler des Systems. Deshalb sind diese Modelle besonders für die Untersuchung von Langzeiteffekten nur eingeschränkt geeignet. Auch Tierversuche sind keine zuverlässige Lösung. Denn es gibt Wirkstoffe, die beim Menschen und beim Tier unterschiedlich abgebaut werden. So können beispielsweise giftige Abbauprodukte zwar bei Menschen, nicht aber bei Tieren entstehen. „Unser HepaChip sollte hierfür besser geeignet sein“, erklärt Julia Schütte, Universität Tübingen. „Denn wir verwenden menschliche Leberzellen, die in einer ganz speziellen Art und Weise kultiviert werden. So entsteht eine organtypische dreidimensionale Struktur, die langfristig vital ist und deshalb auch die Untersuchung von chronischen Toxizitäten erlaubt.“ Der Trick: Die Leberzellen, medizinisch Hepato zyten, werden gemeinsam mit Endothelzellen, also Zellen aus der Innenwand von Blutgefäßen, kultiviert. „Denn die Leber besteht aus verschiedenen Zelltypen, die ganz charakteristisch angeordnet sind. Wir empfinden mit unserem HepaChip sogenannte Lebersinusoide nach. Das sind winzige Blutgefäße in der Leber, in denen Stoffwechselprodukte transportiert werden“, erklärt Dr. Stelzle. Mit Hilfe eines elektrischen Felds 12 zwingen die Wissenschaftler die Zellen dazu, sich wie im echten Organ anzuordnen. Insgesamt befinden sich etwa 3.000 bis 4.000 Zellen auf dem Chip, wobei mehrere Hundert jeweils eine dem Lebersinusoid ähnliche Struktur bilden. Bereits jetzt gelingt es den Forscherinnen und Forschern, die Zellen mindestens eine Woche lang am Leben zu halten. Erste Versuche mit Substanzen, von denen bekannt ist, dass sie die Leber schädigen, sind vielversprechend. „Mit dem HepaChip können wir die giftigen Wirkungen gut vorhersagen“, so Dr. Roehnert. Die Wissenschaftler erkennen zum Beispiel, ob sich das Aussehen der Zellen verändert, ob giftige Abbauprodukte entstehen und wie die Wirkstoffe von den Leberzellen umgesetzt werden. „So können wir zukünftig bereits früh in der Entwicklung eines neuen Arzneistoffes erkennen, ob er der Leber schadet. Und zwar noch bevor Tierversuche oder klinische Studien gestartet werden“, betont Schütte. Noch ist der HepaChip allerdings nicht bis zur Marktreife entwickelt. Prinzipiell kann das System auch auf andere Gewebe übertragen werden. Derzeit arbeiten die Forscher an einem Miniaturmodell für die Blut-Hirn-Schranke. Ansprechpartner/-in: Julia Schütte und Dr. Martin Stelzle NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen Markwiesenstr. 55 72770 Reutlingen Tel.: 07121 51530-28/-75 Fax: 07121 51530-62 E-Mail: julia.schuette@nmi.de Dr. Peter Roehnert European ScreeningPort GmbH Tel.: 040 56081-470 Fax: 040 56081-453 E-Mail: peter.roehnert@screeningport.com Bildquelle: NMI, Tübingen Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Newsletter 62 13 Kleinzelliges Bronchialkarzinom: Erste molekulare Ursachen gefunden Personalisierte Therapie rückt näher Das kleinzellige Bronchialkarzinom ist eine der aggressivsten Tumorarten. Bislang waren die molekularen Ursachen für diesen bösartigen Lungentumor weitgehend unbekannt. Erstmals konnte nun unter der Leitung von Wissenschaftlern des Nationalen Genomforschungsnetzes NGFN das kleinzellige Bronchialkarzinom genetisch charakterisiert werden. Hierbei wurden Mutationen identifiziert, die in Zukunft neue Therapieansätze ermöglichen könnten. Es war ein bisschen wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. In Millionen von Basenpaaren suchten die Wissenschaftler nach genetischen Veränderungen der Lungenkrebszellen. „Ohne eine hochspezialisierte computergestützte Auswertung auf einem Hochleistungsrechner und passgenaue mathematische Algorithmen wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Dr. Martin Peifer. Er hat die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. Roman Thomas an der Universität Köln geleitet. „Wir wollten nicht nur Mutationen im Genom der Krebszellen detektieren, sondern diese auch mit statistischen Verfahren nach ihrer Relevanz für die Krankheitsentwicklung bewerten.“ Sie waren auf der Suche nach genetischen Veränderungen, die das Tumorwachstum antreiben. Denn solche Gene könnten nach weiterer Charakterisierung die Grundlage darstellen für neue, zielgerichtete Therapieansätze – als Alternativen zur gängigen Chemotherapie. Extrem viele Mutationen Das kleinzellige Bronchialkarzinom, kurz SCLC für small-cell lung cancer, ist die aggressivste Form des Lungenkrebses. Steht die Diagnose fest, überleben nur etwa fünf Prozent der Betroffenen die nächsten fünf Jahre. Denn auch wenn der Ursprungstumor noch klein ist, finden sich oftmals schon Metastasen in anderen Geweben oder entfernten Organen. Zielgerichtete Therapien, die spezifisch wachstumsfördernde Signalwege der Krebszellen hemmen, gab es für diese Tumorart bislang nicht. „Denn gezielte Therapeutika können erst entwickelt werden, wenn die genetischen Veränderungen bekannt sind, die das Tumorwachstum antreiben. Deshalb haben wir mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung SCLC-Tumore mit neuartigen Sequenziermethoden nach genau diesen genetischen Ver- Nicht selten ist langjähriges starkes Rauchen die Ursache von Lungenkrebs. änderungen durchsucht“, sagt Dr. Martin Peifer. Die Studie ergab, dass kleinzellige Bronchialkarzinome im Vergleich zu anderen Krebsarten eine extrem hohe Mutationsrate haben. „Wir haben durchschnittlich 7,4 Protein-verändernde Mutationen pro einer Million Basenpaare gefunden. In anderen Tumor arten, zum Beispiel bei Eierstocktumoren, findet man nur rund 1,5 Mutationen pro einer Million Basenpaare“, berichtet Dr. Peifer. „Diese – im Vergleich zu vielen anderen Tumorarten wesentlich höhere – Bildquelle: Thinkstock Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Newsletter 62 Mutationsrate wird vermutlich durch Karzinogene, also krebserregende Substanzen, verursacht. Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom meist durch langjähriges starkes Rauchen.“ Erster zielgerichteter Therapieansatz Im Einzelnen fanden Dr. Peifer und seine Kolleginnen und Kollegen in den Krebszellen Genveränderungen, die zur Deaktivierung der beiden Tumorsuppressorgene TP53 und RB1 führen. Im aktiven Zustand unterdrücken und verhindern diese Tumorsuppressorgene die Entstehung von Krebs. In 18 Prozent der untersuchten Tumoren spürten die Forscher zudem genetische Veränderungen der Gene CREBBP und EP300 auf. „Diese Mutationen haben eine erhebliche Auswirkung auf Histonmodifikationen, welche die Verpackung und somit die Zugänglichkeit und Aktivität der DNA steuern“, beschreibt Dr. Peifer. Sechs Prozent der Tumoren weisen eine Amplifikation, also eine Vervielfältigung, des Gens für den Fibroblastenwachstumsfaktor 1, kurz FGFR1, auf. „Die Gen-Amplifikation von FGFR1 haben wir bereits 2010 in einer vorausgegangenen Studie in einer anderen Untergruppe des Lungenkrebses, dem Plattenepithelkarzi nom, gefunden“, erklärt Dr. Peifer. Ob eine FGFR1Gen-Amplifikation tatsächlich einen zielgerichteten Therapieansatz erlaubt, prüfen Mediziner am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Uniklinik Köln derzeit in einer klinischen Studie mit Hilfe neuartiger Inhibitoren bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Lunge, die diese genetische Veränderung tragen. Jetzt, da die Wissenschaftler wissen, dass die genetische Vervielfältigung des FGFR1-Gens auch bei Patientinnen und Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom eine Rolle spielt, wurden auch Betroffene mit diesem Tumortyp in die laufende Studie aufgenommen. 14 „Wir hoffen, dass unser Wissen um die beteiligten Gene es uns ermöglicht, Patienten besser zu therapieren“, sagt Professor Thomas. „Eine Bestimmung tumorspezifischer Genveränderungen, die eine personalisierte Behandlung von Patienten mit Lungenkrebs erlaubt, ist bei uns durch die enge Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks Genomische Medizin NGM am CIO bereits Praxis.“ Suche nach Genveränderungen. Kölner Forscher erhält Deutschen Krebspreis Für die Entdeckung unter anderem dieser bislang unbekannten genetischen Veränderungen wurde Professor Thomas kürzlich mit dem Deutschen Krebspreis 2013 ausgezeichnet. Mit diesem Preis zeichnet die Deutsche Krebsgesellschaft die Verdienste des Kölner Krebsforschers in der translationalen Krebsforschung aus. Bei translationaler Forschung in der Medizin geht es um die frühzeitige Übertragung von grundlegenden Forschungserkenntnissen in die therapeutische Anwendung. Ansprechpartner: Dr. Martin Peifer Abteilung Translationale Genomik Universität zu Köln Weyertal 115b 50931 Köln Tel.: 0221 478-96863 Fax: 0221 478-97902 E-Mail: mpeifer@uni-koeln.de Bildquelle: Thinkstock Weitere Fotos finden Sie in der BMBF-Fotodatenbank Gesundheitsforschung: http://gesundheitsforschung-bmbf.de/de/presse.php Fachthemen Newsletter 62 Newsletter 62 Impressum Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Gesundheitsforschung 11055 Berlin www.bmbf.de www.gesundheitsforschung-bmbf.de Redaktion Projektträger im DLR Gesundheitsforschung Dr. Caroline Steingen Dr. Britta Sommersberg Heinrich-Konen-Straße 1 53227 Bonn Tel.: 0228 3821-1781 Fax: 0228 3821-1257 E-Mail: caroline.steingen@dlr.de Druck BMBF Gestaltung W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld Gerald Halstenberg, Berlin Dieser Newsletter ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; er wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. 15