WP 2014_06.indb - Wasser

Transcription

WP 2014_06.indb - Wasser
25. Bluesfest Eutin
Nr. 6/2014
The Blues
Brothers: From
Hive To Live
(Teil 2)
Rusty Stone - Chantel McGregor - Holly Holwas - Alan Vega - Big Bill Broonzy
Festivalberichte aus Altzella und Freiberg
Album des Monats: Walter Trout - The Blues Came Callin’
Schwerpunkt 1. Weltkrieg: Henri Barbusse- Die Horen 254: Mit dieser Welt
muss aufgeräumt werden - Kriegsfotografie von Frank Hurley
Bücher von Paulina Schulz, Mark Bredemeyer, Martin Maurer
2
I N H A LT
Tina Tandler Club
Jazz und Blues in Zingst
03.07.. Pass Over Blues feat. Harro Hübner & Tina
Tandler (Museumshof)
17.07. Tina Tandler SEALAND Band (Museumshof)
14.08. Crazy Hambones (Museumshof)
28.08. Kat Baloun & The Tomi Leino Band (Museumshof)
27.09. Gypsy Gentlemen (Kurhaus)
18.10. Friedemann Benner (Kurhaus)
22.11. Black Patti (Kurhaus)
29. 12. BluesRudy, Peter Schmidt & Tina Tandler
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Wasser-Prawda | Juni 2014
I N H A LT
3
INHALT
JUNI 2014
5
6
Editorial
Auf Tour
Musik
11 Günter “Holly” Holwas (1950-2014)
12 Eeny, meeny, miny, moe: Der Blues Gegen Den
Rassismus
15 Video Killed The Radio Star?
18 Howard Glazer’s Blues, Views & News from
Detroit
21 Allen Vega: Mission: die Menschen zum Lächeln zu
bringen
25 Zehn Fragen An: Chantel McGregor
28
47
49
52
57
Eutiner Blues-Impressionen
Mike Seeber Trio: Berauschend rockender Blues
Mini-Woodstock im Epizentrum Mittelsachsens
Bluesmusik designed in Bavaria
Brian Kramer: Blues als Album und Roman
60 Blues Brothers Teil 2: From Hive To Live
Blueskalender
65 Big Bill Broonzy (1893-1958)
67 Blueskalender Juni & Juli
Album des Monats
75 Walter Trout - The Blues Came Callin‘
Wasser-Prawda | Juni 2014
4
EDITORIAL
Platten
76
78
96
97
Die Redaktion Empfiehlt
Rezensionen A bis Z
Kurz und Knapp
Wiederhören
Bücher
103 Euphorie, Raserei und Entzauberung (Die
Horen Band 254)
IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt
des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin wird
in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint in der Regel
monatlich. Es wird kostenlos an
die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda.de
verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 06/2014
105 »Die Szene zerfiel in aneinandergereihte
Sekunden« (Paulina Schulz, Das Eiland)
107 Thriller (Mark Bredemeyer, Grüne
Guerilla Fraktion & Martin Maurer,
Terror)
Sprachraum
109 Henri Barbusse: In der Erde
131 Frank Hurley - Fotografien aus dem 1.
Weltkrieg
Fortsetzungsroman
135 Die Vestalinnen
142 Articles in English
Redaktionsschluss: 1. Juni 2014
REDAKTION:
Chefredakteur: Raimund Nitzsche
(V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Lüder Kriete,
Matthias Schneider, Dave Watkins,
Darren Weale
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Gary Burnett, Howard Glazer,
Iain Patience, Christophe Rascle,
Holger Schubert
Die nächste Ausgabe erscheint am
31. Juli 2014.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
redaktion@wasser-prawda.de
Anzeigenabteilung:
marketing@wasser-prawda.de
Wasser-Prawda | Juni 2014
EDITORIAL
5
EDITORIAL
VON RAIMUND NITZSCHE UND BERND KREIKMANN
Die1 „Wasser-Prawda“ entwickelt
sich schnell zu einem international
stark beachteten Musik-Medium.
Wir haben viele Leser und Freunde
in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent hinzu gewonnen.
Da schien es eine gute Idee, einige
dieser Freunde zu fragen, ob sie
bereit sind, uns regelmäßig Berichte
aus ihrem Umfeld zu schicken.
Es geht in erster Linie um den Blues
– aus Augenhöhe erzählt. Wo sind
die interessantesten Clubs, welche
Musiker sind besonders angesagt,
welche Trends gibt es, wo triff t sich
die Szene?
Unsere Freunde sind Musiker oder
ausgewiesene Szenekenner, die vor
Ort leben. Wir wollen von der
Westküste berichten, aus Chicago,
aus Detroit, aus Austin und New
Orleans. Toronto und Sao Paulo sind
ebenfalls wichtige Plätze.
Zunächst überlegten wir, die Texte
1
Version in English on
page 142
aus Gründen der Authentizität ins
Deutsche zu übersetzen. Doch schon
nach kurzen Rückfragen bei regelmäßigen Leserinnen und Lesern
wurde klar: Das ist nicht der richtige Weg. Es gibt grad im Osten
Deutschlands eine Menge Leute,
die nicht so flüssig englische Texte
lesen können. Stattdessen machen
auch im pdf-Magazin das, was wir
bei einigen Artikeln online schon
seit einer Weile machen: wir veröffentlichen beide Versionen. Ab sofort
wird es einen Anhang zu unserem
Magazin in Englisch geben, wo
wir die speziell für uns verfassten
Beiträge und die in Übersetzung
vorliegenden Rezensionen abdrucken. Damit können auch unsere
Leserinnen und Leser jenseits des
deutschen Sprachraums mehr mit
unserem Magazin anfangen.
Als Pionier haben wir unseren
Freund Howard Glazer ausgeguckt
– im letzten Heft haben wir Detroits
führenden Bluesgitarristen vorgestellt, nun wird er uns seine Stadt
und Region näherbringen. Die Stadt
von Tamla Motown, Mitch Ryder,
Donald Byrd, Eminem, Glenn Frey,
Smokey Robinson, Bob Seeger und
der großen Diana Ross, die Stadt des
Stahls und der Autoindustrie; die
Stadt, die sich aus dem Bankrott
herauskämpft.
Howard wäre nicht von hier, wenn
er uns nicht zuerst sein direktes Umfeld vorstellen würde, er
führt uns in eine Kultur, die von
der unseren stark abweicht, aber
bei genauem Hinsehen ganz viel
Gemeinsamkeiten aufweist.
Und auch ein weiterer Autor ist
erstmals in der Wasser-Prawda zu
lesen: Iain Patience schrieb früher
für britische Tageszeitungen. Heute
ist hauptsächlich Musik zwischen
Blues und Americana sein Thema.
Von seinem Wohnort in Frankreich
aus veröffentlicht er seine Artikel
sonst auch noch bei Blues In Britain,
Blues Matters und französischen
Bluesmagazinen.
Die Festivalsaison ist in vollem Gang.
Und neben dem (schon fast traditionellen) Rückblick auf das Eutiner
Bluesfest Blues Baltica hat Holger
Schubert für uns noch Berichte
aus Altzella und Freiberg geschrieben. Und in den nächsten Monaten
kommen dann noch Berichte aus
Ingolstadt und Chemnitz.
Vielen Dank an dieser Stelle all den
kritischen Lesern, die Anmerkungen
zu unserem neuen Layout gemacht
haben. Einige der Anregungen
haben wir versucht, sofort umzusetzen. Andere Dinge werden wir uns
nach und nach aneignen müssen.
Wasser-Prawda | Juni 2014
6
TERMINE
Festivals
25. Bluesfest Ingolstadt
19.06. Papa Legab‘s Blues Lounge
23.06. Dilana & Band
24.06. Albert C. Humphrey & His Roots of Blues
26.06. The Wild Bluesmen feat. Steve „Big Man“
Clayton & Peter Schneider
30.06. Marquise Knox & Band
01.07. Grana Louise & The French Blues Explosion
03.07. No Blues „Arabicana“
07.07. Big Pete Pearson & The Gamblers
10.07. Minnie Marks/Leadbelly Project
14.07. Mrissy Metthews Duo
15.07. Phil Bates Trio
17.07. Martin Schmitt
21.07. Lisa Doby & Band
22.07. Ryan McGarvey
24.07. Otis Taylor & Band
29.07. Jeb Rault Band (guest: Kim Carson)
31.07. Dallas Hodge & Andi Egert Band
40. Tønder Festival
28.-31. August (Tønder Dänemark)
u.a. mit: The Chieftains (IRL) - Steve Earle
(USA) - Runrig (SCO) - Oysterband (ENG)
- The Lone Bellow (USA) - Alan Doyle Band
(CAN) - Deer Tick (USA) - Eileen Ivers & Immigrant Soul (USA) - Seth Lakeman (ENG) –
Richard Wood (CAN) - Le Vent du Nord (CAN)
- Hudson Taylor (IRL) - John Fullbright (USA)
- Hayes Carll (USA) - Poul Krebs & Friends
(DK/N/S/USA) - Skerryvore (SCO) - Sarah Lee
Guthrie & Johnny Irion (USA)
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
24.06. München, Tunix/Königsplatz
Wasser-Prawda | Juni 2014
29.06. Weiden, Buergerfest, Salute
Bühne
04.07. Habach, Village
06.07. Regenstauf, Bürgerfest
11.07. Obertrubach, The Studio Lounge
18.07. München, Waldgasthof Buchenhain
Abi Wallenstein
20.06. Sülfeld, Besteland
27.06. Panten, Lämmerhof
19.07. Südwinsen, Kuhwiese 1
B.B. & The Blues Shacks
21.06. Mortsel, Tramblues Festival (B)
26.06. Wien, Metropol (A)
27.06. St. Oswald, Kloster Steffelbauer (A)
23.07. Bremerhaven, Festwoche
Big Daddy Wilson
29.06. Bremen, Klinikum Dr. Heines
04.07. Gaisruck, Stadtblues Chill Out (A)
05.07. Bodenmais Marktplatz
11.07. Enzelsdorf, Werkstatt Murberg (A)
12.07. Bruck, Bluesfestival (A)
02.08. Clarus, Mittelödi (CH)
Boogielicious
20.06. Langenhagen, Legro Weinhandlung
26.06. Geseke, Haus Thoholte
27.06. Bielefeld, Sport und Kultur Eckardtsheim
11.07. Saarburg, Alte Glockengießerei (4. Blues
und Boogie Night)
13.07. Bad Bederkesa, 6. Castle boogiefestival
18.07. Glonn, Schrottgalerie
19.07. Chiemsee, Sea Festival - Riverboat Shuffle
01.08. Meppen, Jazzfestival
Engerling
04.07. Marienberg, Kultur- und Freizeitzentrum
12.07. Oettersdorf, Open Air
15.08. Pudagla, Schloss
16.08. Klein Trebbow, Hofkonzerte
TERMINE
17.08. Gingst, Museumshof
22.08. Zickra, Kulturhof
23.08. Erfurt, Heiligen Mühle
29.08. Halle, Laternenfest
30.08. Magdeburg, Festung Mark
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
20.06. Sülfeld, Open Air: Spirit of the Blues (m.
A. Wallenstein)
Greyhound George
28.06./29.06. Niederwall, Koernerstr (Bielefelder
Blues Project)
16.07. Pulow, Café Iris Schöne (mit Karl Valta)
18.07. Ludwigsburg (Vorpommern), Schloss
19.07. Greifswald, KulturBar (mit Karl Valta)
22.07. Heringsdorf, O‘Man River (mit Karl Valta)
23.07. Ueckermünde, Kulturspeicher
01.08. Bielefeld, Neue Schmiede
08./09.08. Sulingen, Resonatorfestival
Hamburg Blues Band
01.08. Gaildorf, Sommerfest
02.08. Erftstadt, zum Schwan
Henning Pertiet
11.07. Bremen, Haus im Park (mit Jan Preston)
12.07. Langwedel, Bürgersaal (mit Jan Preston)
17.07. Altenberge, Olive (mit Jan Preston & Fabian Fritz)
Henrik Freischlader
12.07. Sierre, Blues Festival (CH)
23.07. Maggia, Magic Blues Festival (CH)
01.08. Megève, Blues Festival (F)
15.08. Budapest, Sziget Festival (H)
Jay Ottaway Band
05. 07. Maastricht (NL), Bluescafe Duke
Koenstraat 15
11. 07. Köln, Bürgerhaus Kalk
7
12. 07. Hünxe, Tacheles
16. 07, Remscheid, Saxobar (Alte Bisarckstr.
77)
17. 07., Gladbeck, Cafe Stilbruch
18. 07. Brühl, Seeklause (Heider Bergsee 18)
19. 07. Mönchengladbach, Pogs Irish Pub
20. 07. sHertogenbosch (NL), de Rode Pimpernel
25. 07. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar
26. 07. Berlin, Speiches Rock & Blues Kneipe
27. 07. Berlin, DoDo (Großbeerenstr. 32)
28.07. Bamberg, Live-Club (Bere Sandstr. 7)
29. 07. Prag Vinohrady, Klub Mynabaruby Mánesova 1645/87 (CZ)
07. 08. Norderstedt, MusicStar
08. 08. Kappeln, PALETTE (Kehrwider 1)
09. 08. Havetoftloit/Torsballig, Land-Art (Nordscheide 4)
14. 08. Bamberg, 8. Tucher Blues- & Jazzfestival,
Bühne am GABELMANN, Grüner Markt
15. 08. Bamberg, Live-Club (8. Tucher Blues- &
Jazzfestival)
16. 08., Köln, TV-Terassen, Mielenforsterstr. 40
Jimmy Reiter
05.07. Geisenheim, Schloss Johannisberg (Rheingau Musik Festival)
02.08. Ibbenbüren, Heiß und Heftig
10.08. Garbsen, Blues Matinee
23.08. Biggesee Olpe, Riverboat Shuffle
28.08. Schmallenberg, Schmallenberger Woche
29.08. Bremen, Haus am Walde
Marius Tilly Band
21.06. Hannover, Bluesgarage
Mason Rack Band
24.06. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar
25.6. Wilhelmshaven - Pumpwerk
27.6. Hamburg - The Rock Cafe St.Pauli
28.6. Hannover - Bluesgarage
Mike Seeber
21.06. Ernstroda, Bikerparty
Wasser-Prawda | Juni 2014
8
TERMINE
29.06. Dresden, Elbhangfest
05.07. Kellinghusen, Pep-Kulturverein
19.07. Spremberg, Hotel zur Post (als Gast von
Monokel)
24.07. Maggia, Magic Blues (CH)
01.08. Dieskau, Open Air
23.08. Bad Salzungen, Open Air
Nick Moss Band
06.08. Bremen, Meisenfrei
07.08. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar
08.08. Forst, Manitu
09.08. Hamburg, Downtown Bluesclub
10.08. Enschede, Nix en Meer (NL)
Pass Over Blues
21.06. Mönchhagen, Köhler‘s Rosenhof
22.06. Mönchhagen, Köhler‘s Rosenhof
02.07. Rostock-Warnemünde, Hotel Ringelnatz
03.07. Zingst, Museumshof
Rad Gumbo
21.06. Ingolstadt, Hundszell Bauerngerätemuseum
27.06. Linz, Gasthaus Auherhahn, Summer Blues
Night (feat. Zakiya Hooker, Chris James, John
Lee Sanders)(A)
28.06. Passau, Cafe Museum (feat. Zakiya Hooker, Chris James, John Lee Sanders)
02.-04.07. Maribor (Slo), Lent Festival (mit Johnn
Lee Sanders)
09.08. Großmehring Bluesfestival (mit Barbara
Morisson)
Reverend Rusty
27.06. St. Veit a.d. Glan (A), Herzogburg (w. Jeff
Beck)
28.06 Heubach
05.07 Bodenmais, Weinfest (Rusty Solo)
14.07. München, Aubinger Stadtteilwoche
(Rusty Solo)
11.10.
Bräunlingen, Bregtäler
Wasser-Prawda | Juni 2014
25.10. Runding, Robinson
31.10. Postbauer-Heng. KiSH
07.11. Haiming, Gewölbe
29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH)
Schneider - Schwarznau
21.06 Friedrichsrode, 24. Kunstmarkt (mit M8)
18.07. Zieslow, Kunst/Kultur/Kirche
20.07. Dahrenstedt, Kunsthof
23.07. Greifswald, Kulturbar
24.07. Schwerin, Klangwert
25.07. Heringsdorf, O‘ man river
26.07. Wismar, Poeler Kogge
27.07. Groß Potrems, Schloß Nordland
Speiches Monokel
21.06. Mittenwalde, Privatparty
28.06. Eisenach, Fun Rock Open Air
19.07. Carlsthal, Kräuterhof
25.07. Trebsen, Rittergut (Blues Nacht)
30.08. Gehren, Rock im Wald Festival
The Double Vision
20.06. Hamburg, Downtown Bluesclub
05.07. Niederorla, Bikertreffen
26.07. Ilmenau, Open Air
02.08. Dieskau, Open Air
16.08. Weimar, Weinhandlung Appenrodt & Hemer
23.08. Zons (Support Letz Zep)
13.09. Vollmershain, Open Air
The Dynamite Daze
01.08. Meppen Stadtfest
02.08. Dieskau Open Air
10.08. Lampertheim Morgenjazz
16.08. CH-Hüntwangen Amphi Blues Festival
22.08 Eisfeld Woodstock Forever Festival
23.08. Laubach Blues Schmus Apfelmus
24.08. Saarbrücken Sonntags am Schloss 10h
TERMINE
The German Blues Project
23.08. Bordesholm, Savoy
29.08. Aachen, Gute Hebescheid
31.08. Saarbrücken, Schlosshof
Clubs
Bischofsmühle
Hildesheim
27.06. Till Seidel Band
19.07. Achim Kück Trio feat. Karin Grabein und
Stphan Abel
26.07. Horst Wagner Quartett
Blues im Bahnhof
Bahnhof Mannheim. Eintritt frei.
20.06. Norbert Schneider & Winestreet Session
05.09. El Ville Blues Band
10.10. Black Cat Bone
07.11. Abi Wallenstein, Dave Goodman, Oliver
Spanuth, Steve Baker
Bluesgarage
20.06. Meena Cryle & Chris Fillmore Band
28.06. The Mason Rack Band
04.07. Crow Black Chicken
Cotton Club Hamburg
23.06. Boogie Rockets (Kai Steffens, Niels von der
Leyen, Andreas Bock)
26.06. Greg Copeland Band
30.06. Gents Boogie Night
02.07. Die Cotton Club Boogie Night (mit Jan
Fischer, Jessy Martens, Ralf Böcker u.a.)
07.07. Haranni Hurricanes
14.07. Jo Bohnsack
21.07. Mc Ebels Lucky Punch
24.07. Black Kat & Kittens
25.07. Franny & The Fireballs
28.07. The Steelyard Blues Band
9
30.07. Marcus Paquet
31.07. Zydeco Annie & The Swamp Cats
Downtown Bluesclub
Hamburg
20.06. The Double Vision
11.07. Tony Joe White & Band
18.07. Thirsty Mamas
20.07. Pete York & Young Friends
Extra Blues Bar
Bielefeld
19.06. Ten Foot Polecats
26.06. Filthy Still
03.07. Voodoo Swing
12.07. Kings Of Winter
17.07. Krissy Matthews
19.07. Cowboys On Dope
24.07. Jay Ottaway
30.07. John Montague
Kulturbastion Torgau
15.08. Axel Prahl & sein Inselorchester
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
04.07. Paul Fogarty
20.07. Whiskey & Women
26.07. Greyhound George & Karl Valta
01.08. Malena
07.09. Strömkarlen
Laboratorium
Stuttgart
29.08.- 31.08. LAB-Festival
Late Night Blues
Loev Hotel Binz/Rügen
Beginn jeweils 21 Uhr
24.07. Romek Puchowski und Minnie Marks
07.08. Have Mercy Reunion
26.09. Crazy Hambones
Wasser-Prawda | Juni 2014
10
TERMINE
Meisenfrei
Bremen Hankenstr.
26.06. Eamonn McCormack
05.07. Stonehenge
10.07. 2120s
12.07. The Source
15.07. Vain
17.07. Nitroville
18.07. Crossfire
23.07. Ryan McGarvey
24.07. Sonic Health Club
Music Hall Worpswede
16.07. Jimmy Vaughan
26.07. Open Air mit Errorhead, Worpswede All
Stars, Clem Clempson Band feat. Chris Farlowe,
17 Hippies, Merqury
Musiktheater Piano
Dortmund
29.07. Moe
06.09. Monti Fiori
07.09. Biber Hermann
11.09. Royal Southern Brotherhood
14.09. Thorbjörn Risager & The Black Tornado
Musiktheater Rex
Bensheim
30.06. Tito Larriva
08.08. Morre
09.08. Gelbsucht
22.08. Just Pink
O‘ Man River
Friedensstraß 27, Ostseebad Heringsdorf
27.06. Tim Eckert
01.07. Tomasz Gaworek
04.07. Live und Zügellos
08.07. Tim Eckert
11.07. Blue Tales
15.07. Peter Schmitdt
18.07. Gotte Gottschalk
Wasser-Prawda | Juni 2014
22.07. Greyhound George & Karl
Valta
25.07. Schneider & Schwarznau
29.07. John Kirkbride & Ferdl Eichner
01.08. Andreas Schirneck
05.08. Crazy Hambones (mit Chris Turner)
Savoy Bordesholm
04.07. Worldfly
23.08. The German Blues Project
Topos
Leverkusen
19.06. Meena Cryle
20.06. se vende
28.06. Teneja Trio
01.07. Bayer Blasorchester
03.07. The Notorious Riviera Brothers
11.07. Notty
18.07. Soulgreen
26.07. 34. River-Boat-Shuffle
01.08.-03.08.: Streetlife 2014
Yorkschlösschen
Yorkstr. 15, Berlin
22.06. Kat Baloun
27.06. J.T. & Bluetrain
29.06. Whatever Rita Wants
02.07. Jens Schmidl & Taschenbluesorchester
06.07. Erich Absagens Belle Alliance
09.07. Power Boogie Trio
11.07. Mischa Vernov Quartett
16.07. Mitch Kashmar & Band
18.07. The Jive Sharks
19.07. Martin Kern Quartett
20.07. JazzAgoGo
23.07. Black Kat & Kittens
25.07. Martin Stempel & Band
26.07. The Five Jam Swingers
27.07. Saltim‘band
30.07. Ralph Brauner
01.08. Chat Noir
Biografie
11
GÜNT E R “H O L LY ” H O LWAS
( 195 0 - 2 0 1 4 )
ES GIBT MUSIKER, DEREN BEDEUTUNG LIEGT WENIGER IN
DEN AUFNAHMEN, DIE SIE HINTERLASSEN SONDERN IN
IHREM ENGAGEMENT UND IHREN LIVE-AUFTRITTEN. DAZU
GEHÖRT SICHERLICH AUCH GÜNTER „HOLLY“ HOLWAS,
DER AM 11. MAI 2014 IN BAYERN VERSTORBEN IST.
Als Mitbegründer der Berliner Bluesmessen gehört der
Sänger und Gitarrist zu den wichtigsten Figuren in der
Bluesgeschichte der DDR.
Der 1950 als Sohn eines Berufsmusikers geborene Holly
hatte sich das Gitarrenspiel autodidaktisch beigebracht.
Als Vorbilder zählte er Muddy Waters ebenso wie B.B.
King und John Lee Hooker. Aber eigentlich hatte er als
Kind nie in die Fußspuren seines Vaters treten wollen.
Vom wem die Idee stammte, ob vom Musiker oder vom
Pfarrer, ist letztlich egal. Günter Holwas hatte 1979 nach
der Zeit als Bausoldat seine erste Bluesband gegründet und suchte nach Auftrittsmöglichkeiten. Und beim
damaligen Jugendpfarrer Rainer Eppelmann stieß er
damit auf offene Ohren. Schon bei der ersten „BluesMesse“ in Berlin, kamen einige Hundert Jugendliche
und erlebten nicht nur Bluesmusik sondern auch
eine Predigt. Bis 1986 die Kirche diesen immer mehr
zum Versammlungsort Oppositioneller in der DDR
gewordenen Gottesdienst auslaufen lies, waren die
Besucherzahlen zeitweilig auf mehrere Tausend gestiegen. Die Staatssicherheit hatte sich schon von Anfang
an auf diese Veranstaltung eingeschossen. Ähnlich
wie Eppelmann wurde auch Holwas zur Zielfigur der
Zersetzung.
1981 bekam er Auftrittsverbot und stellte einen
Ausreiseantrag. Über Westberlin zog es den bekennenden Hippie nach Kanada. Und auch dort dauerte
es längere Zeit, ehe er wieder zu musizieren begann.
Dann allerdings gehörte zu eine Zeitlang zur Downchild
Blues Band, spielte mit Ronnie Hawks und im Studio
mit Otis Rush und Carey Bell. Schließlich gründete er
Hollys Bluescorp und trat mit der Band unter anderem
im Vorprogramm von Jeff Healey auf.
1998 holten ihn seine Kinder nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch zurück nach Berlin. Und ab
2005 trat er - unter anderem bei Gedenkverstaltungen
für die Bluesmessen - mit verschiedenen Bands wieder
auf. Vermutlich das letzte Konzert war 2009.
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juni 2014
12
MUSIK
EENY, M E E N Y, MI N Y,
MOE: D E R B L U E S GE GEN D E N R A S S I S M U S
VON GARY BURNETT
DER BLUES ENTSTAND IN EINER UMGEBUNG
DES BÖSARTIGSTEN RASSISMUS UND DER
DISKRIMINIERUNG, AUSGÜBT VON WEISSEN
MENSCHEN AN DER FARBIGEN COMMUNITY
IN DEN SÜDSTAATEN. VIELE DER FRÜHEN
BLUES SONGS LEGEN ZEUGNIS AB VOM LEIDEN
DER FARBIGEN GEMEINSCHAFT.*
1930 sang Lead Belly „Jim Crow“, in dem er die
Ungleichheit beklagte, die er überall fand, wo er auch
hinkam: „I been traveling, I been travelling from shore
to shore, Everywhere I have been I find some old Jim
Crow.“ Elf Jahre später gab Jos White uns seinen „Jim
Crow Blues“, in dem er sich darüber beschwert, dass er
nicht besser behandelt würde als eine Bergziege.
Selbst in der Hauptstadt der Nation hatte Lead Belly
Rassismus zu erleiden. In „Bourgeois Blues“ erzählt er
uns von der Ausgrenzung, die ihm als schwarzer Person
begegnete: “Well, me and my wife we were standing
upstairs, We heard the white man say’n I don’t want no
niggers up there.” Und weiter:
“Well, them white folks in Washington they know
how/ To call a colored man a nigger just to see him
bow.”
Aber diese Tage sind lange vorbei, oder?
In der letzten Woche verbreitete sich die Nachricht,
*
Read the original in English on page 151.
Wasser-Prawda | Juni 2014
dass der Police Commisioner von Wolfeboro (New
Hapshire), Robert Copeland, öffentlich eingestanden hat, den Präsidenten der Vereinigten Staten einen
„f***ing nigger“ genannt zu haben. Im März hatte Jane
O‘Toole mitgehört, als Copeland diese Bemerkung
machte, während sie grad ihr Dinner im einem Bistro
des Ortes beendete.
O‘Toole beschwerte sich bei der Stadtverwaltung,
aber Copeland zeigte keine Reue. In einer Email an
die anderen Police Comissioners schrieb er: Ich glaub,
ich benutzte das N-Wort in Bezug auf der derzeitigen Okkupanten des Weißen Hauses. Dafür entschuldige ich mich nicht. Er erfüllt und übererfüllt meine
Kriterien dafür.“ Seine laut geäußerte Meinung war
nach Copeland, eine Übung in seinen vom ersten
Verfassungszusatz garantierten Rechte.
Diese „Entschuldigungs-Geschichte“ wurde noch
verschlimmert durch den Vorsitzenden des PolizeiAusschusses, Joseph Balboni, der sagte, er hätte keine
Pläne, Copeland zum Rücktritt aufzufordern. Er
sagte von Copeland: „Er hat in seinem Leben mit
vielen Schwarzen gearbeitet. … Er hat einige harsche
Worte über Mr. Obama gesagt, und hier sind wir jetzt.
Diese Frau, sie verzerrt die ganzen Proportionen.“ Mr.
Copeland ist inzwischen zurückgetreten.
Es gab in letzter Zeit andere Vorfälle, wo Rassismus
zum Ausdruck kam. Ein Cliven Bundy, ein Rancher
aus Nevada, der einen Streit von Ranchern mit der
Regierung über Rinderweiden anführt, fragte sich letztens, ob man die „Negros“ nicht wieder zurück in Ketten
legen sollte. Er erzählt, wie er an einem öffentlichen
MUSIK
Wohnprojekt in North Las Vegas vorbeifuhr, „und vor
dem Regierungshaus stand die Tür normalerweise offen
und die älteren Menschen und die Kinder - und da saßen
ständig mindestens ein halbes Dutzend Menschen auf
der Veranda - die hatten nichts zu tun. Sie hatten nichts
für ihre Kinder zu tun … Und weil sie grundsätzlich
von Regierungsunterstützung leben, was machen sie? Sie
treiben ihre jungen Kinder ab, sie bringen ihre jungen
Männer ins Gefängnis, weil sie niemals gelernt haben,
wie man Baumwolle pflückt. Und ich habe mich oft
gewundert, ob sie nicht besser dran wären als Sklaven,
die Baumwolle pflücken und ein Familienleben haben
und Dinge machen als von Regierungsunterstützung
abhängig zu sein? Sie bekommen nicht mehr Freiheit.
13
Sie bekommen weniger Freiheit.“
Bundy, so hat es die New York Times berichet, ist zu einer
Berühmtheit geworden, die hunderte von Unterstützern
angezogen hat, zu ihnen gehören Dutzende Mitglieder
von Milizen, viele Waffenträger und Mitglieder der Oath
Keepers, einer Milizgruppe, die ihn als Symbol für ihren
Zorn und als Bollwerk gegen Missbrauch durch die
Regierung betrachten.
Und dann war da vor Kurzem noch der Fall von
Donald Sterling, Manager der Basketballmannschaft
LA Clippers. Der bat seine Freundin, keine Fotos mit
schwarzen Freunden zu machen oder sie zu Spielen mitzubringen. „Bewunder ihn, bring ihn her, fütter ihn,
f*** ihn“, sagte er über die frühere Basketballlegende
Wasser-Prawda | Juni 2014
14
MUSIK
Magic Johnson. „Aber stell ihn nicht auf Instagram,
so dass die ganze Welt es sehen muss, und sie mich
anrufen kann.“
Rassismus ist auch auf der anderen Seite des Atlantik
noch lebendig. Den Moderator der erfolgreichen BBCSendung Top Gear wurde von der Kamera eingefangen, als er eine Version von „eeny meeny miny moe“
aus seiner Kindheit rezitierte, bei welcher er brummelt:
„catch a nigger by the toe.“ Clarkson war schon vor der
Bemerkung aufgefallen, als er Mexikaner „faul, nutzlos
und aufgeblasen“ genannt hatte.
Vielleicht sind das nur ein paar ignorante und wohlbekannte Menschen, die man dabei erwischt hat, wie sie
Dinge sagten, die sie besser nicht gesagt hätten. Wie auch
immer: In einem kürzlich im Guardian erschienenen
Zeitungsartikel schreibt Gary Younge, dass Rassismus
ein „System der Diskriminierung, gepflanzt von der
Geschichte, gehegt von der Politik und genährt von der
Wirtschaft ist, in dem einige Gruppen sich endemischer
Benachteiligung ausgesetzt sehen“ und kam zu folgender
Aussage: „Die Realität des modernen Rassismus ist …
die institutionalisierte Marginalisierung von Gruppen,
ausgeführt mit der äußersten Diskretion und einem
Wasser-Prawda | Juni 2014
Minimum von Aufhebens durch wohlgesittete und oft
wohlmeindenden Menschen, die in zutiefst beschädigten
Systemen arbeiten. Nach einem kürzlichen Report des
US-Bildungsministeriums, werden schwarze Vorschüler
(im Alter von meist 4 Jahren) viermal häufiger mehr als
einmal vom Unterricht ausgeschlossen als ihre weißen
Klassenkameraden.Im 2013 veröffentlichten Bericht von
Release, einer britischen Gruppe, die sich auf Drogen
und Drogengesetze konzentriert, nehmen schwarze
Menschen in England und Wales deutlich seltener
Drogen als weiße Menschen. Aber sie werden sechs Mal
häufiger gestoppt und durchsucht wegen Drogenbesitz.
In beiden Ländern werden schwarze Menschen häufiger verurteilt und erhalten strengere Strafen und längere
Gefängnisaufenthalte.“
Der Blues, geschmiedet in einer Zeit von tiefer Not
und rassistischer Unterdrückung, ist noch immer ein
Protestschrei und eine deutliche Warnung vor dem
Rassismus, der leider oft nur unter der Oberfläche verborgen zu sein scheint.
MUSIK
15
Alvin Lee 1975
VIDE O KIL L E D TH E
RADI O S TAR ?
DARREN WEALE’S 8. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH
WELCOME TO THE LETTER
FROM THE UNITED KINGDOM!*
Habt Ihr den alten Hit von The Buggles „Video Killed
The Radio Star“ gehört? Es ist ein großartiger Song und
der einzige, der mir einfällt, bei dem das Singen von
*
read the English original on page 143.
„oo-wee-oo-wee“ funktioniert.
Das Radio hat einen ungeheuren Anteil an der
Geschichte der modernen Populärmusik und hat viele
Künstler zu geläufigen Namen gemacht. Selbst in den
heutigen Tagen des digitalen Zugangs zur Musik, sind
das Radio und die Personen, die in ihm arbeiten, wichtig.
Die britische Radiostation, die mir am meisten bedeutet,
ist Radio Caroline. Ich hab darüber in einem früheren
Wasser-Prawda | Juni 2014
16
MUSIK
The Buggles
Brief geschrieben. Und da hielt ich es für besser, das
Thema für eine Weile ruhen zu lassen. Im März wurde
Radio Caroline 50 Jahre alt.
In den 1960ern, als es für eine Zeit der einzige Sender in
der Nähe war, der aufkommende Musik spielte, hatte er
10 Millionen Hörer (der Rekord lag bei 24 Millionen!).
Fünfzig Jahre später ist der Sender und sein letztes Schiff,
die Ross Revenge, immer noch da und sendet. Schiff ?
Ja, Caroline befand sich auf einem Schiff. Und wenn
Ihr den Film „Radio Rock Revolution“ gesehen habt,
dann habt Ihr eine Idee davon, wie es war. Angesichts
der Geschichte ist die heutige Existenz von Radio
Caroline höchst bemerkenswert, vielleicht sogar mit
einem Wunder vergleichbar. Die Gesetzgebung - der
Marine and Broadcasting Offences Act 1967 - wurde
in Gang gesetzt, um Radio Caroline zu beschränken
oder zu zerstören. Ein Schiff von Radio Caroline, die
Mi Amigo, sank. Ebenso enterten die Behörden ein
Schiff des Senders und pfändeten es für eine Weile.
Später gab es die Ausbreitung von konkurrierenden
Radio-Stationen online und offline. Und dazu natürlich den Aufstieg des Musikvideos. Dennoch ist Radio
Wasser-Prawda | Juni 2014
Caroline noch immer da, sendet hauptsächlich über
das Internet, weil es Schwierigkeiten gibt, eine terrestrische Lizenz und eine freie Wellenlänge zu bekommen.
Bekannt ist Radio Caroline als Rock&Roll Station.
Als der Sender 1964 begann, kamen die größten Bands
allerdings aus dem Rhythm & Blues oder waren stark
von ihm beeinflusst: The Rolling Stones, The Animals,
Them, John Mayall‘s Bluesbreakers, Buddy Holly, Elvis
Presley, ja sogar die Beatles. So ist es gut zu sehen, dass
der Sender heute den Blues in einigen seiner Sendungen
hat, so wie in einigen Shows die Musik der 60er gespielt
wird.
Das Video beginnt inzwischen, der Musik und den
Musikern zu helfen, ein wenig wie es das Radio zuvor
getan hat. Der verstorbene großartige Gitarrist Alvin
Lee ist verantwortlich für ein neues Beispiel dafür. Er
ist der erste Künstler, der auf der Plattform des Digital
White Label vorgestellt wird, der „nächsten Generation
von Fanclubs“. Kurz gesagt erlaubt das Digital White
Label zahlenden Fans, ihren Favoriten in einer jahrelangen Kampagne zu folgen, wo sie exklusives Material
aus einer Sammlung unveröffentlichter Stücke und eine
MUSIK
Vielzahl anderer exklusiver Inhalte erhalten. Das erste
ausgewählte Material, das auf der Plattform des Digital
White Label geteilt wird, ist das unveröffentlichte Album
„Alvin Lee & Co. - Live From The Academy of Music,
New York 1975“. Das frühe Werbematerial der Plattform
beinhaltet einige sehr gute Videos, eines mit Voiceover
von Huey Morgan von den Fun Lovin Criminals.
Normalerweise wäre ein Bluesmusiker eine fragwürdige
Wahl, um so eine Plattform zu starten. Doch es gibt
besondere Gründe für diese Wahl, familiäre Gründe.
Alvins Tochter Jasmin hat gemeinsam mit ihrer Mutter
Suzanne und Alivin Lee‘s Witwe Evi zusammengearbeitet, um ein Projekt aufzubauen, zu dem die Inspiration
von ihrem Vater kam. Jasmin sagte dazu: „Wir haben
mit Dad, bevor er starb, begonnen, das Projekt zusammenzustellen. Er mochte das Konzept wirklich. Aber
jetzt haben Evi, Suzanne und ich die Zügel in die Hand
genommen und es ist eine Gedenkveröffentlichung
geworden, bei der wir ein wenig mehr vom Menschen
Alvin Lee erfahren können.
Die Künstler werden direkt 80 Prozent der einkommenden Gelder erhalten. Gehostet wird die Plattform von
Tunehog (www.tunehog.com). Und das Digital White
Label gibt den Künstlern eine Möglichkeit, Geld mit
ihren Arbeiten zu verdienen, anstatt einen großen Teil
von ihnen kostenlos abzugeben.
Wird das Digital White Label wirklich eine echte Hilfe
für Musiker im digitalen Zeitalten sein können? Wird es
fünfzig Jahre und mehr überleben wie Radio Caroline?
Ich möchte es wirklich hoffen. Und jetzt, wo ihr fertig
seid mit dem Lesen: Warum schaltet ihr nicht Radio
Caroline an? Und nebenbei könnt Ihr auch einen Blick
auf das Digital White Label und Alvin Lee werfen.
Denn trotz allem hat das Video den Radio Star nicht
getötet. Noch nicht.
17
LINKS
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Radio Caroline - www.radiocaroline.co.uk/#home.
html
Now I n Foc u s podc a st – i nter v ie w
with current Radio Caroline DJ, Steve
A nt hony - http://nowinfocus.libsyn.com/
radio-caroline-dj-steve-anthony-interviewed
Now In Focus podcast – interview with two former
Radio Caroline engineers, Mike Barrington and
James Kay. Hear about the sardine and pickled
onion curry and more – http://nowinfocus.libsyn.
com/interview-with-radio-caroline-engineers-mikebarrington-and-james-kay
Talent In Focus video interview with DJ Steve
Anthony - www.youtube.com/watch?v=KvkzlybxPLM
Talent In Focus – The Billy Walton Band from the
US explore the Ross Revenge and play on the deck
- www.youtube.com/watch?v=0v_UnTfE7r4
Alvin Lee - www.alvinlee.com
Digital White Label - http://digitalwhitelabel.com
BE PROSPEROUS AND ENJOY
YOUR LIVE MUSIC AND ALL
THAT IS GERMAN!
THE BILLY WALTON BAND
Wasser-Prawda | Juni 2014
18
MUSIK
HOWARD GLAZER’S
BLUES, VIEWS & NEWS
FRO M D E T R O I T
Hallo, ich schreibe Euch aus Detroit, Michigan, USA*.
Ich weiß, dass in der ganzen Welt Detroit nicht immer
den besten Ruf hat. Ich will diese Gelegenheit nutzen,
um Euch über die vielen positiven Dinge, die in und um
die Stadt herum geschehen, zu informieren.
Anfangen will ich mit Gracie See‘s Pizzeria. Ihr mögt
fragen: Wieso eine Pizzeria? Gracie‘s ist nicht einfach
*
Version in English on page 145.
Wasser-Prawda | Juni 2014
eine Pizzeria. Es ist ein Restaurant, eine Bar und ein
Treffpunkt für viele Leute von der West Side von Detroit.
Wenn man in Gracie‘s reinkommt, fühlt man sich fast,
als sei man in der Zeit zurück in die 70er gegangen.
Das Restaurant hat altertümliche Wandverkleidungen
und eine faszinierende Sammlung von Gipsstauen,
Gemälden auf schwarzem Samt und überall verteilt alte
Blechschilder aus den 60ern und 70ern.
MUSIK
19
Jeden Mittwoch spielt Howard Glazer im Gracie See’s
Viele von den angesagten Orten in den Vorstädten
behaupten, in Detroit zu sein, sind es in Wirklichkeit
aber gar nicht. Nichts gegen sie, nur gibt es einen ganz
bestimmten Charakter, den ein Geschäft in Detroit hat,
und Gracie‘s ist keine Ausnahme. Es ist sogar ziemlich
einzigartig, denn eine Seite der Straße (diejenige, an der
Gracie‘s liegt) ist Detroit, auf der anderen Straßenseite
ist man schon in Dearborn, der Heimatstadt der Ford
Motor Company, berühmt gemacht durch einen Song
von Rodriguez.
der Musik her. Oft kommen befreundete Musiker vorbei
und steigen bei mir ein. Ich hatte sogar Dichter, die
gekommen waren, und aus ihren eigenen Büchern zur
Bluesbegleitung vorgelesen haben. Im Party-Zimmer,
wer weiß: Geburtstatsfeiern, Parties zu Feiertagen oder
wenn jemand in den Ruhestand geht - es gibt alles! Man
kann sein Essen auch zum Mitnehmen bestellen. Oder
wenn man zu Hause bleiben will, dann liefern sie nicht
nur Essen bis zur Wohnungstür sondern auch Bier &
Wein. (Ich persönlich kenne keinen anderen Laden in
der Gegend, der das macht!)
Gracie‘s ist eins von den wenigen von „Mom & Pop“ Gracie‘s gibt es schon sehr, sehr lange und es hat eine
oder unabhängig besessenen italienischen Restaurants Familientradition, die sich über einige Generationen
und Pizzerias in der Gegend. Die hausgemachte Pasta- erstreckt. Ich hatte die Chance, mit Joe Puelo (Gracie‘s
Sauce und die nach alter Schule im Ofen gebackenen Sohn und Restaurantmanager) zusammenzusitzen und
Pizzen sind großartig! Großartig ist auch der Mittwoch, ihm paar Fragen über das Familiengeschäft zu stellen.
wo das Spaghetti-Diner fünf Dollar kostet, das Bier vom
Fass 1,50 Dollar - und es gibt live gespielte Bluesmusik! HG: Wie viele Jahre ist Gracie‘s schon im Geschäft?
Auf der einen Seite findet man das Restaurant, auf der JP: Gracie‘s gibt es jetzt schon seit 45 Jahren, wir haben
anderen ist der Party-Raum und die Hinterzimmer-Bar im Summer of 69 eröffnet.
mit einem Pool-Tisch. Und dort spiele ich Mittwoch
HG: Wer hat eigentlich die großartige Pasta-Sauce
nachts.
erschaffen?
Man weiß nie, wem man dort begegnet, einem Mitglied JP: Meine Großmutter. Die Wahrheit ist eigentlich:
der Stadtverwaltung, nem Polizisten, Feuerwehrmann, niemand weiß es wirklich, das Rezept ist uralt. Meine
anderen Musikern aus der Gegend oder einfach Leuten Großmutter ist jetzt 90, vorher gehörte Gracie‘s meiner
aus der Nachbarschaft, die Spaß an ihrem Essen haben Urgroßmutter. Eines Tages wird es meiner Mutter
und sich freuen, mal wieder auszugehen. Jetzt wo es gehören, dann meinen Schwestern, meinen Töchtern
Mittwochs live gespielten Blues gibt (das fing im und so weiter. Es wird von Generation zu Generation
Dezember 2013 an), kommen neue Leute extra wegen weitergegeben.
Wasser-Prawda | Juni 2014
20
MUSIK
HG: Und wie ist das mit den Pizza-Rezepten?
JP: Das sind nur Brotteig, Sauce und Käse, irgendwann
in den 1920er bis 1940er Jahren hat man das so gemacht.
Man muss nur gute Zutaten verwenden und braucht
eine Menge Übung. Der Teig benötigt wirklich eine
erfahrene Hand bei der Herstellung. Man muss auf die
Außentemperatur achten, darauf, wie schnell man ihn
verwenden will - es sind viele Dinge, die da ins Spiel
kommen. Aber wir verändern die Rezepte nicht.
Außerdem zieht Howard eine ganze Menge amerikanischer Ladies an, wenn er hier spielt. Daher hat der Chef
der Feuerwehr inzwischen zwei Freundinnen.
Nachdem das gesagt ist: Wenn Ihr in Detroit seid und
ein großartiges Essen zu vernünftigen Preisen oder
einige alkoholische Getränke zu Euch nehmen wollt,
während Ihr mit wirklich netten Menschen abhängt,
dann ist Gracie See‘s Pizzeria, 6889 Greenfield, Detroit
(Michigan) genau der richtige Platz.
HG: Haben sich die Rezepte im Laufe der Jahre
irgendwie verändert?
JP: Wir mögen keine Veränderungen, in dem Fall ist
das eine gute Sache. Du kannst genau dasselbe essen,
wie die Leute damals 1969.
HG: Wie ist das für Sie, ein Geschäftsinhaber in
Detroit zu sein?
JP: Unternehmer in Detroit zu sein ist eine durchwachsene Sache. Die guten Leute hier sind die besten, die
schlimmen die schlimmsten. Aber ich kann mir nicht
vorstellen, irgendwo anders zu sein. Detroiter sind die
besten Nachbarn, jeder kennt jeden - und es ist wie eine
Kleinstadt, die immer in Gang bleibt.
HG: Ich hab grad in den Nachrichten gesehen,
dass ein Investor von außerhalb innerhalb von fünf
Jahren 100 Millionen Dollar in Detroit investieren
will. Glauben Sie, dass das einen positiven Einfluss
haben kann?
JP: Jede Investition ist eine gute Investition. Ich hoffe,
dass jeder in der Stadt sich verpflichtet fühlt, durch
diesen Bankrott hindurch zu kommen, und aus der Stadt
einen funktionierenden Ort zum Leben zu machen. Ich
glaube, JP Morgan wettet genau darauf.
HG: Gibt es etwas, was Sie den Lesern in Deutschland
sagen wollen? Oder warum sie gerade zu Gracie‘s
kommen sollten, wenn sie in der Gegend von Detroit
sind?
JP: Hallo, Kommen Sie vorbei, wenn Sie gutes Essen und
ein Getränk mögen. Deutschland ist ziemlich weit weg,
aber unsere Pizza ist so gut, es ist die Reise wert. Wir
trinken Barrel Oktober Dunkel. Sie haben auch unseren
Respekt als Auto-Leute.*
*
Das ist das Deutsch von Joe Puelo!
Wasser-Prawda | Juni 2014
Per Inge Isheden - Detroit Blues
INTERVIEW
21
MISSION: DIE MENSCHEN
ZUM LÄCHELN ZU BRINGE N
BERND KREIKMAN IM GESPRÄCH MIT ALLEN VEGA
Wasser-Prawda | Juni 2014
22
INTERVIEW
Schön, daß Allen „Ace“ Vega
bereit war, uns für ein Interview
zur Verfügung zu stehen. Allen
wuchs in der Bay Area auf und
begann schon mit 15 Jahren
Gitarre zu spielen, mit 18 trat
er professionell auf. Über sein
großes Vorbild berichtet er im
Interview. Musikalisch beeinflussten ihn Albert Collins, Albert King
und Freddie King.*
Aufgetreten ist Allen schon im
Antone‘s, dem House of Blues, Buddy
Guy‘s Legends, im Morganfield‘s, im
Club von B.B. King und bei unzähligen Festivals. Zum Beispiel spielte
er beim Monterey Bay Blues Festival
und dem Waterfront Blues Festival
in Portland. Schon vor mehr als
40.000 Besuchern stand er auf der
Bühne. Und die hat er sich im Laufe
der Jahre beispielsweise mit Bobb
„Blue“ Bland, Etta James, Buddy
Guy ebenso geteilt wie mit Lucky
Peterson, Luther Allison, Kenny Neil
und Coco Montoya.
Zur Zeit ist er mit seiner eigenen
Band auf Tour in den USA. Sein
letztes Album „Rough Cut“ (das
erste eigentliche Soloalbum) übertraf
sämtliche Erwartungen. Es wurde
nicht nur auf Platz 3 bei unserer
Umfrage „Best Blues 2013“ in der
Kategorie Bestes Debüt gewählt.
Schon seit Monaten belegt es auch
die Spitze der Bluescharts der
Online-Community Reverbnation.
Verfassung bist!
AV: Ja Bernd, ich glaub, wir haben
uns 2011 auf Facebook getroffen,
Dein generelles Interesse an amerikanischer Bluesmusik machte
mich aufmerksam. Und ich bin
glücklich, dass wir Freunde geworden sind. In der Zeit habe ich
einige Veränderungen gemacht,
bin nüchtern geworden und hab
die Verantwortung nicht nur für
meine Gesundheit, sondern auch
für meine musikalische Richtung Leute in meinen Shows. Es ist mein
übernommen.
Wunsch, den Menschen zu helfen,
BK: Ich bin beeindruckt, was Du das Schlechte in ihren Leben zu verin Deinem persönlichen Leben gessen, die Sorgen loszulassen und
in der Zeit geändert und reali- eine gute Zeit zu haben, und sei es
siert hast. Um auf Deine Wurzeln nur für einen Moment. Wenn ich
zu kommen: Dein Onkel war schaffe, das bei den Menschen zu
auch ein ziemlich weit bekannter erreichen, dann ist das für mich das
Musiker. War er es, der Dich zum ultimative Gefühl der Dankbarkeit,
das man mit Geld nicht kaufen
Blues gebracht hat?
AV: Mein Onkel David „Dynamite“ kann!
Vega war der erste Gitarrist bei der
Band Graham Central Station. Auch
wenn er einen großen Einfluss darauf
hatte, dass ich Gitarre lernte, war er
nicht der Grund, dass ich begann,
Blues zu spielen. Meine Mutter
brachte mich zum Blues. Im Alter
von 16 Jahren nahm sie mich mit,
um Stevie Ray Vaughan zu sehen,
und das änderte meine ganze Welt.
Als ich 18 war, starb mein Vater, und
ich fühle, dass es die Bluesmusik war,
die mir dabei half, meinen Zorn und
meine Depression in eine positive
Sache zu verwandeln. Bluesmusik
BK: Wir kennen einander seit ist für mich sehr spirituell und ein
einigen Jahren, Allen. Gut zu heilender Teil meines Lebens! Sie
sehen, dass Du in großartiger hilft mir, den Stress der alltäglichen Herausforderungen abzulegen,
und zur gleichen Zeit, wo ich auf*
English Version on
trete, macht sie das Gleiche für die
Page 149.
Wasser-Prawda | Juni 2014
BK: Es war ein Vergnügen, Deine
CD „Rough Cut“ in den Charts
nach oben steigen zu sehen. Noch
immer ist es ein Chart Breaker.
AV: Unsere CD „Rough Cut“ wurde
wegen der Art, wie sie aufgenommen
wurde, so genannt. Wir gingen ins
Studio und haben die Tracks einfach
ohne Proben aufgenommen. Wir
wussten ja noch nicht mal, welche
Songs wir eigentlich aufnehmen
würden. Wir haben das Album in
einer Session mit der Band aufgenommen, zu der Aldwin London
(b, voc), Sugar G Robinson (keyb),
Mr Paquettez am Schlagzeug,
Saxophonist Armen Boyd und
ich selbst an Gitarre und Gesang
gehörten. Ich machte zwei weitere
Sessions, um die Gesangsspuren
INTERVIEW
aufzunehmen, und die CD abzumischen. „Rough Cut“ hat sich seit
seiner Veröffentlichung 2013 gut
gemacht und die Aufmerksamkeit
vieler Menschen in aller Welt
auf sich gezogen. Seit mehr als
sechs Monaten steht das Album
jetzt schon an der Spitze der
Reverbnation Blues Charts.
BK: Als wir uns das erste Mal
trafen, spieltest Du mit Big Cat
Tolefree, was ist passiert?
Nun, meine Freunde und Fans
erzählten mir immer wieder, dass
sie meine Show mehr mochten.
Und so beschloss ich, meiner eigenen
Band vorzustehen. Ich konnte nicht
fühlen, dass Big Cat sich entwickelte. Und so traf ich die Wahl,
weiter zu gehen.
BK: Ich verstehe, Du willst auch
weiter Deinen eigenen musikalischen Weg gegen, wie Du ihn mit
„Rough Cut“ begonnen hast. Ganz
nebenbei: Mein Lieblingsstück
darauf ist „Tin Pan Alley“.
AV: Nachdem ich über 20 Jahre ein
Sideman war, hab ich das Gefühl,
dass die Zeit für mich gekommen
ist, in den Vordergrund zu treten.
Ganz nebenbei: „Tin Pan Alley“
ist auch mein Lieblingsstück auf
unserem Album und es erregt ganz
schöne Aufmerksamkeit.
23
überall dort hin zu bringen, wo diese Zeit? Ich hab Gerüchte gehört,
dass Du an einer neuen CD
Reise uns hinführen mag!
arbeitest?
BK: Ist es nicht ein Risiko, mit AV: Ich hab gerade viel um die
einer neuen Band zu starten, wenn Ohren und hab Glück, bei verman grade an der Spitze ist?
schiedenen Projekten beteiligt zu
AV: Wie ich schon gesagt habe, ich sein. Letztens habe ich mit einigen
will wachsen. Und bei Big Cat & The großen Namen aus der Funkszene
Hipnotics wurde meine Kreativität aufgenommen, die werd ich später
erstickt. Meine Großmutter sagte verraten, bevor die Aufnahmen vermir immer, ich solle meinem Herzen öffentlicht werden. Außerdem hab
folgen und Gelegenheiten ergreifen. ich kürzlich Aufnahmen mit einem
BK: Ich weiß, dass die Zeiten auch echten Bluesman namens Silver Fox
für Musiker an der Westküste für sein Album mit nur eigenen
härter werden. Du hast eine Stücken gemacht, das im Juli 2014
sehr nette Familie, eine wunder- herauskommen soll. Zur Zeit bin ich
volle Frau und zwei Kinder. Wie am Schreiben und Aufnehmen für
ist es unter diesen Umständen mein zweites Album. Wir sollten es
als Bluesmusiker möglich zu bis zum Ende des Sommers komplett
haben.
überleben?
AV: Für meine Familie habe ich BK: Planst Du Deine Tour zur CD
Opfer bringen müssen. Ich gab Veröffentlichung auch in Europa
das Touren auf und bekam einen machen? Haben wir eine Chance,
Job am Tage, um meine Familie zu Dich auf unseren Bühnen in
unterstützen. Ich bedaure das nicht, Deutschland zu sehen?
klar ist es hart, Musik zu machen AV: Zur Zeit suchen wir nach
und tagsüber noch einen Job. Das Kontakten in Europa, die uns beim
Wichtigste aber ist für mich, dass Tour Support helfen. Wir würden
ich für meine Frau und die Kinder gern überall auf der Welt spielen!
da bin.
BK: Vielen Dank, dass Du Dir
BK: Ich sehe das so, dass die Liebe Zeit genommen hast, Allen! Die
zu Deiner Musik tief in Deinem besten Wünsche für Deine Pläne.
Herzen ist, das ist nicht einfach Und ich hoffe, Dich bald auf der
ein Job, sondern eine Art von anderen Seite des Teichs zu sehen!
Mission.
AV: Richtig verstanden! Ich bin auf
einer Mission, die Menschen zum
Lächeln zu bringen, zum Tanzen
und dazu, all ihre Probleme zu vergessen. Und sei es nur für einen
Moment.
BK: Wenn man zu Deinen Gigs
geht, ist es großartig zu sehen,
wie enthusiastisch die Menge ist,
Dich mit Deiner neuen Band zu
erleben.
AV: Die Reaktionen waren wunderbar. Und wir freuen uns schon BK: Das ist großartig, Allen, was
darauf, eine neue Hochenergie-Show sind Deine Pläne für die nächste
Wasser-Prawda | Juni 2014
24
INTERVIEW
Wasser-Prawda | Juni 2014
INTERVIEW
25
ZEHN FRAGEN AN:
CHANTEL MCGREGOR
EINE INTERVIEWREIHE VON DAVE WATKINS
Seit die Gitarristin Chantel
McGregor 2011 ihr Debüt veröffentlichte, wird sie in Großbritannien mit Nominierungen
und Auszeichnungen regelrecht
überhäuft. Für die British Blues
Awards 2014 etwa steht sie auf
der Liste für die besten Gitarristinnen.*
1: Was war Dein frühester
Musikgeschmack und wie hast
Du die Welt des Blues entdeckt?
Wie die meisten Kinder wuchs
ich mit einem Mix der Musik auf,
die meine Eltern hörten. Und es
war normalerweise gitarrenbasierte Musik, die durch unser Haus
klang, Bands wie Led Zeppelin,
Free, Hendrix, Fleetwood Mac und
so weiter. Tatsächlich ist eine meiner
frühesten Erinnerungen von Musik
„Rumours“ von Fleetwood Mac Stevie Nicks ist mein Idol, seit ich
ein Kleinkind war!
Das passiert noch immer nicht.
Eine Menge junger Spieler hören
einen Gitarristen und wollen dieser
Gitarrist werden. So sitzen sie in
ihren Schlafzimmern und lernen
die Riff s, den Stil und den Tone
von jemand anderem. Das hab ich
nie gemacht. Ich wollte schon immer
mein eigenes Ding machen, in
meinem eigenen Stil improvisieren
und meinen eigenen Klang erschaffen. Um auf Teil zwei der Frage zu
kommen: Ich glaube nicht, dass Du
jemals Dein eigenes Talent erkennst.
Du solltest Dir gegenüber immer
kritisch sein, es gibt immer etwas,
was Du verbessern kannst.
3: Deine ersten Aufnahmen hörst Du sie immer noch an? Wie
beurteilst Du sie heute? Und gibt
es welche, die Du nicht mehr
anhören würdest?
Ich weiß gar nicht, wo meine
2: Wer waren die Künstler, die ersten Aufnahmen sind. Ich weiß,
dich dazu brachten, dass Du diese dass es Bänder von mir gibt, auf
Musik spielen wolltest. Und wann denen ich mit etwa zwei Jahren
stelltest Du fest, dass Du dazu das Kinderlieder singe. Aber alles was
wirklich mit Musik zu tun hat, ist
Talent hast?
Es ist seltsam, denn ich hab niemals verloren gegangen. Als ich ungewirklich Leute angehört und fähr zehn Jahre alt war, bekam ich
gedacht: So will ich auch spielen. einen Vier-Spur-Recorder geschenkt,
den ich nutzte, um Ideen festzuhal*
English version on page ten und meine eigene eingebildeten Radiosendungen aufzunehmen.
147.
Aber ich bin mir nicht sicher, was
mit dem Recorder und den Bändern
passiert ist.
4: Welche anderen Jobs hast Du
gemacht, um Deine Musikkarriere
zu unterstützen?
Ich hab eigentich nie etwas anderes
gemacht. Ich hab mein Abitur
gemacht, die Schule verlassen,
machte mein Diplom und dann
einen Abschluss am Leeds College
of Music. Und während ich an
meinem Abschluss arbeitete, stellte
ich meine Band zusammen und trat
auf. Als ich die Universität verließ,
hatte ich meine Karriere vorbereitet
und begann professionell auf Tour
zu gehen.
5: Wie schwer ist es, von seiner
Musik zu leben? Und gibt es
irgend etwas, dass diese Ziel für
alle Musiker einfacher erreichbar
machen würde?
Es ist eine sehr harte Branche, in die
man sich da begibt, sowohl von der
Menge an Arbeit, die man einbringen muss als auch von der Menge
an Geld, dass man zu investieren hat. Und es fehlt zunächst die
Anerkennung finanzieller und professioneller Art. Aber wenn Du es
richtig machst, 24 Stunden täglich
arbeitest und Dich komplett darauf
Wasser-Prawda | Juni 2014
26
INTERVIEW
einlässt, kann es sehr lohnend sein. modifi ziert hat. Sie sind alle verDu musst nur darauf vorbereitet schieden, fühlen sich für mich aber
sein, eine Menge Opfer zu bringen. perfekt an. Es hängt ganz vom Song
ab, wann immer ich sie spiele, fühlen
6: Auf welchen Deiner eigenen sie sich in meinen Händen ganz
Songs bist Du besonders stolz? natürlich an. Das Gefühl hab ich
Erzählst Du uns die Geschichte nicht bei vielen Gitarren. Ich hätte
hinter dem Lied?
gern einen großen Flügel und würde
Ich glaub, am stolzesten bin ich auf ihn auch gerne spielen können.
„Fabulous“. Das ist ein Rock-Pop- Aber das wäre wohl eine Art von
Song, den ich für mein erstes Album Verschwendung. Denn meine pianisschrieb, er entstand sehr schnell. tischen Fähigkeiten sind beschränkt
Ich dachte daran, ein Lied über auf „Chopsticks“ [in Schwierigkeit
das Partyfeiern am Wochenende und Nervigkeit bei den Zuhörern
zu schreiben. Und innerhalb von vergleichbar dem „Flohwalzer“ in
einigen Stunden war „Fabulous“ Deutschland. Anmerkung R.N.].
geschrieben. Es ist ein guter Song,
9: Wo möchtest Du Deine Karriere
zu dem prima tanzen kann!
gerne hinführen sehen in der
7: Wenn Du Dich zum Schreiben Zukunft? Was sind Deine wichhinsetzt, was kommt zuerst - der tigsten Ziele?
Text, die Melodie oder die Idee für Mein nächstes Ziel ist es, das
ein ganzes Lied?
Schreiben meines zweiten Albums
Ich hab eigentlich keine Methode abzuschließen, es aufzunehmen und
für das Schreiben. Jedes Mal passiert zu veröffentlichen. Für später in
es auf andere Weise. Manchmal ver- diesem Jahr hab ich eine Europatour
suche ich, auf meinem Telefon den geplant, bei der auch Deutschland
Text zu schreiben. Ein anderes Mal eingeschlossen ist. Das wird eine
schnappe ich mir eine Gitarre und Menge Spaß machen. Ich glaub,
finde die passenden Harmonien. meine Zukunft hält noch jede Menge
Und manchmal passen diese beiden Touren bereit. Mein größtes Ziel ist
Teile auf magische Weise zusammen. es, glückich zu sein und Erfolg zu
Und manchmal kommt überhaupt haben bei dem, was ich mache. So
nichts. Songschreiben ist eine von lange alles gut läuft und ich Spaß
den schwer fassbaren Sachen.
habe: Was kann ein Mädchen noch
8: Erzähl uns was über das mehr wollen!
Lieblingsinstrument in Deiner 10: Was machst Du außer Musik
Sammlung. Gibt es irgend ein am liebsten?
anderes Instrument, dass du Ich reise gern, entdecke andere
gerne hättest oder spielen lernen Orte, mag Shopping und untermöchtest?
schiedliche Speisen und Getränke
Ich habe drei Liebingsgitarren, auszuprobieren.
eine PRS Custom 24, eine Music
Man Petrucci und eine Fender ZUSATZFRAGEN
Stratocaster, die mein Vater 1: Was ist das großartigste
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Gitarrenriff, das Du jemals
gehört hast? Dasjenige, das Du
am ehesten aus Spaß spielst?
Zur Zeit bin ich verrückt nach
Prince. Daher ist es wahrscheinlich „Let‘s Go Crazy“, die LiveVersion. Ich jamme darauf bei den
Soundchecks seit ich ihn im Mai
spielen sah.
2: Bekommst Du jemals seltsame
Blicke aus dem Publikum, weil sie
nicht erwartet haben, dass eine
Frau derartig gut spielen kann?
Die bekomme ich bei den meisten
Shows, das ist wirklich lustig zu
beobachten. Ich hab Spaß dran zu
beobachten, wie die Leute realisieren, dass Mädels Gitarre spielen
können - ein wirklich großer Spaß!
3: Was isst Du am liebsten: Schokolade, Kuchen oder
Bonbons?
Ich muss sagen: Schokolade, dass ist
eindeutig meine Schwäche!
INTERVIEW
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MUSIK
EUT I NE R B L U E S IMPR E S S ION E N
FOTOGRAFISCHE BEOBACHTUNGEN BEIM 25. BLUESFEST
BLUES BALTICA VON RAIMUND NITZSCHE
„Alt und Neu“ lautetete das Motto 2014. Die Orgatypische Festival-Atmosphäre. Und abgesehen vom
nisatoren von Deutschlands größtem Bluesfestival
Sonntagnachmittag spielte auch das Wetter mit fast
hatten sowohl alte Bekannte als auch Neuentdeckun- sommerlichen Temperaturen mit.
gen eingeladen. Und so verbreitete sich schon vom
Eröffnungstag auf dem Marktplatz der Kleinstadt die
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MUSIK
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THE JAMBIRDS
Sie spielten schon zur Eröffnung des 1. Bluesfests in
Eutin. Da lag es nahe, dass The Jambirds sich zur
Jubliläumsausgabe des Festivals mal wieder zusammen auf die Bühne stellten. Und schnell wurde
den Hörern klar, dass Daff y Deblitz als Sänger
und Gitarrist dem Duo Georg Schroeter und Marc
Breitfelder eine ganz eigene Note beigeben kann.
Die Musiker hatten so viel Spaß, dass sie in Zukunft
vielleicht häufiger wieder gemeinsam auf der Bühne
stehen werden.
Georg Schroeter: p, voc; Marc Breitfelder: mharm,
Daff y Deblitz: g, voc; Shakura S‘Aida: voc
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MUSIK
THE BOOGIE BOYS FEAT.
JOHN CLIFTON
Schon zum dritten Mal waren die Boogie Boys
in Eutin zu erleben. Mittlerweile ist das Trio zum
Quartett gewachsen. Und seit einiger Zeit sind sie
auch mit dem Sänger/Harpspieler John Clifton
unterwegs. In Eutin funktionierte diese Mixtur aus
Boogie, Rock & Roll, Blues und jeder Menge Spaß
prächtig. Quasi die Verbindung aus Blues und Las
Vegas-Show.
Bartek Szopinski: p, org, voc; Szymon Szopinski: dr;
Michał Cholewinski: p; Janusz Brzezinski: b; John
Clifton: voc, mharm
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MUSIK
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MUSIK
THE CASH BOX KINGS
Einer der Höhepunkte war der erste Auftritt der
Cash Box Kings in Deutschland. Hier stimmte von
der ersten Note einfach alles: die Boogies rollten, der
Rhythm & Blues swingte - und die Band verbreitete
mit ihren klassischen Sounds eine gute Laune, der
man sich einfach nicht entziehen konnte. Besonders
Sänger Oscar Wilson war mit seinen Geschichten aus
dem Leben einfach nur umwerfend gut. Hoffentlich
wird diese Band ab jetzt häufiger im Lande unterwegs
sein. Denn es gibt zur Zeit wohl kaum eine andere
Band, die den Chicagoblues derartig gut spielen
kann, ohne einfach die Klassiker .zu reproduzieren.
Joe Nosek: mharm, voc; Oscar Wilson: voc; Joel
Paterson: g; Fred Jouglas: b; Pascal Delmas: dr
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MUSIK
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MUSIK
OLE FRIMER BAND
In seiner dänischen Heimat zählt Ole Frimer zu den
Altmeistern des Blues. In Eutin trat der Gitarrist
mit einer Mixtur aus Jazzfunk, Bluesrock und
Ausflügen bis nach Mexico auf. Absolutes Highlight
des Konzertes: der junge Keyboarder Palle Hjorth,
der noch jeden Anflug von Langatmigkeit mit überraschenden musikalischen Einfällen garnierte und
selbst bei schlagerhaften Klängen noch ironische
Kommentare aus seinen Tasten holte.
Ole Frimer (guit.), Palle Hjorth (key), Jesper Bylling
(b), Claus Daugaar (dr)
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MUSIK
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MIKE SEEBER TRIO
An einem Musiker wie Mike Seeber werden sich die
Geister immer scheiden: Vielen gefällt sein harter
Bluesrock mit deutschen Texten, die pure Energie,
mit der er auf der Gitarre spielt und auch das großartig aufeinander eingespielte Trio. Anderen fehlt hier
noch ein wenig die Abwechslung, die Finesse oder
einfach auch mal die leisen Töne.
Mike Seeber: g, voc; Philipp Rösch: bg; Tobias
Ridder: dr; Holger HoBo Daub: mharm
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MUSIK
LATVIAN BLUES BAND FEAT.
SHANNA WATERSTOWN
In Eutin zählen die Musiker von der Latvian Blues
Band zu den alten Bekannten, auf die man sich
immer freut. Auch 2014 lieferten sie eine großartige
Show zwischen Soul, Blues, klassischem Rhythm
& Blues und Funk ab. Mit der jungen Sängerin
Shanna Waterstown und der altgedienten Shakura
S‘Aida standen gleich zwei großartige Sängerinnen
ganz unterschiedlicher Art mit ihnen auf der Eutiner
Bühne.
Janis Bukovskis (guit, voc), Rolands Saulietis (dr,
voc), Jonatans Racenajs (guit), Marcis Kalnins
(ba), Artis Locmelis (sax), Viesturs Grapmanis (tb),
Shanna Waterstown (voc)
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MUSIK
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MUSIK
EUTIN ALL TIME STARS
Musiker wie Pianist Thomas „TOGO“ Goralzyk und
Bluesharpspieler Jens Jordan gehören zum Urgestein
der Bluesszene in und um Eutin. Für den Auftritt
beim Bluesfest 2014 haben sie sich Freunde aus der
näheren und weiteren Umgebung eingeladen und
auf dem Markt eine zünftige Bluesparty gefeiert.
Thomas Goralzyck „TOGO“ (p,voc), Jens Jordan
(harp,voc), Rene Raue (g), Klaus Kayser (g), Söhren
Böhme (b), Jannis Balzer (dr).
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MUSIK
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VERONCIA & THE RED
WINE SERENADERS
Bei ihnen lebt der Blues der 20er Jahre wieder
auf. Doch auch Ragtime, Jazz und italienisches
Lebensgefühl schwingt in der Musik von Veronica
und ihren Serenaders. Memphis Minnie und den
Harlem Hamfats bis hin zu eigenen Songs reicht ihr
Repertoire. Und das haben sie mit so viel Musikalität
und Humor in Eutin gespielt, dass man jetzt schon
auf ihr neues Album „Mexican Dress“ gespannt sein
darf.
Veronica Sbergia (ukelele, washb, kazoo), Max de
Bernardi (g, ukulele, mand), Dario Polerani (b)
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MUSIK
LURRIE BELL QUARTET
Chicagoblues meets Blues from Denmark: Lurrie
Bell wurde in Eutin von der Nisse Thorbjørn Band
begleitet. Gespielt wurden leider nicht Songs von
den letzten fantastischen Alben Bells sondern (zu
wenig Zeit zum Proben, meinte Bell in der Pause)
Bluesklassiker zwischen T-Bone Walker, Muddy
Waters etc. Leider geriet dieses Konzert so zu
routiniert.
Lurrie Bell (g, voc), Nisse Thorbjørn (g, harp, voc)
Rune Hoimark (g), Rasmus Lund (dr), Nikolaj Wolf
(b)
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MUSIK
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MUSIK
JP SOARS & THE RED HOT
Der Rock- & Bluesshow von Jp Soars und seiner
Band ist kein Autofocus wirklich gewachsen. Das ist
für mich ein Paradebeispiel, wie man heute Bluesrock
spielen soll: Ganz tief im Blues verwurzelt, dabei
aber immer das Rockerbe der letzten Jahrzehnte
in den Fingern. JP Soars ist einfach ein phänomenaler Gitarrist, der vom Chicagoblues bis hin zu
Boogierock a la AC/DC alles miteinader verschmelzen kann und dabei immer echt wirkt.
JP Soars (voc, g), Steve Laudicina (g), Pat Ward (b),
Chris Peet (dr)
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MUSIK
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MIKE ANDERSEN
DUO
Norma ler weise sind Au f trit te a m
Sonntagmittag der mieseste Zeitpunkt, den
man überhaupt bekommen kann. Doch Mike
Andersen aus Dänemark hat es geschaff t, das
Publikum zu faszinieren mit seinem Soulblues.
Man darf gespannt sein, wie sein neues Album
sein wird, dass im Herbst erscheinen soll. Und
gemeinsam mit Shakura S‘Aida setzte er am
Abend auch einen der Glanzpunkte bei der
großen Abschlusssession des Festivals. Im
Herbst wird er mit seiner kompletten Band
bei den Hamburger Bluesnächten zu erleben
sein.
Mike Andersen (voc, g), Jens Kristian Dam
(key, dr)
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MUSIK
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MUSIK
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KING KING
Wer wissen will, warum King
King schon zwei Mal als beste
Bluesband Großbritanniens ausgezeichnet wurden, sollte sich die
Gruppe um Sänger/Gitarrist Alan
Nimmo unbedingt im Konzert
anhören. In Eutin hatten sie die
Zuhörer von Anfang an voll im
Griff. Und wie Nimmo „Old
Love“ als Gebet für Walter Trout
zelebrierte, trieb den Menschen
die Tränen in die Augen. Vom
sehnsuchtsvollen Gesang bis zum
fast unhörbaren Wispern ließ er
seine Gitarre singen: eines der
großartigsten Blues-Solos, die
ich in den letzten Jahren hören
durfte!
Alan Nimmo (g, voc), Lindsay
Coulson (b), Wayne Proctor (dr),
Bob Fridzema (key)
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MUSIK
GRAVELROAD
Manche sagten: Bluesfest triff t Wacken. Andere
meinten: eine Band wie GravelRoad Seattle
dürfte dort nur im Kinderprogramm auftreten.
Völlig falsche Herangehensweise! Die langjährige
Begleitband von T-Model Ford hat den Blues aus
den Hügeln des nördlichen Mississippi einfach mit
den Riff-Attacken der Rockmusik kombiniert. Und
die Wirkung ist ähnlich belebend wie ein eiskalter
Regenguss nach zu langer Hitze.
Stefan Zillioux (g, voc), Marty Reinsel (dr), Kirby
Newman (b)
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MUSIK
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BERA U S C HE N D R O C KENDE R B L U E S
DAS MIKE SEEBER TRIO BEIM 12. BLUES & ROCK FESTIVAL
ALTZELLA 2014. EINE NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT.
Eine von mir seit vielen Jahrzehnten
gelebte Prämisse ist: Informiere
dich nie vorher über den zu besuchenden Konzertact! Und da ich
das Mike Seeber Trio (ihre eigene
Kurzbezeichnung mündet übrigens in MS3) noch nie live wahrnahm, geschweige denn mir physikalisch zu Gehör brachte (denn es
gibt leider von ihnen [noch] kein
[offizielles] Album), stand sozusagen einmal mehr der Effekt der
Überraschung Pate. Der wiederum -das kann man Mike Seeber
und seinen Mannen unbestritten zu
Gute halten- stellte sich sofort mit
der ersten Minute ihres Auftrittes
bei diesem 2-Tage-Festival ein. Der
Veranstalter -der Mittelsächsische
Jugendverein e.V. Starbach -um die
Herren Weichhold, Mummert und
Taffel- charakterisieren übrigens
ihr Erfolgsrezept als das „gemütlichste, entspannteste und authentischste Bluesfestival Deutschlands
und mit Sicherheit ein toller Ausflug
zu Himmelfahrt. Egal ob allein, zu
zweit oder in Familie – für jeden
ist etwas dabei!“ Diese liebevolle
Umschreibung trifft den berühmten
Wasser-Prawda | Juni 2014
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MUSIK
Nagel ganz zentrisch auf den Kopf!
Zumal der Dauerregen der letzten
drei Tage (insgesamt fielen über 100
Liter pro m²) den Besucherandrang
keineswegs stoppen konnte. Als wir
am Nachmittag das Festivalareal
am altehr würdig angrenzenden Klosterpark Altzella betraten, konnte man etwa 1.000 bis
1.200 Besucher aller Couleur (vom
Kind bis zum Hippie) wahrnehmen - und das trotz aufgeweichter Rasenflächen und schlammiger
Wege. Außer beim Bierholen oder
Bratwurstverzehr kann man diese
Umstände nämlich wunderbar ignorieren oder gar ausblenden. Denn es
gibt da diese großräumige und –flächige Scheune, die bei ungünstigen
Witterungsbedingungen auch derartig vielen Besuchern das sprichwörtliche „Dach über dem Kopf “
garantieren kann. In f leißiger
Klein- und Werterhaltungsarbeit
vom Verein nutzbringend entkernt,
den Charakter als solchen trotzdem
erhaltend, leistet sie somit einen
wertvollen Dienst als Sound- und
Wettertempel. Ja, sie besitzt einfach
einen unwiderstehlichen mystischen
Charme.
Abgehalten werden die musikalischen Aktivitäten auf dem FestivalAreal ab 11 Uhr vormittags bis
gegen Mitternacht (Himmelfahrt)
im Wechsel zwischen der so bezeichneten Wiesenbühne (Open Air)
und der eben beschriebenen KultScheune. Wobei einige der Acts auf
beiden Bühnen mit unterschiedlichen Programmen auftreten und
somit gleich zweimal präsent sind.
Das macht absolut Sinn, bietet angenehme Abwechslung und gibt den
Wasser-Prawda | Juni 2014
Bands Gelegenheit, sich in vielfältigen Facetten (akustisch/elektrisch
etc.) darzubringen!
Nun jedoch zurück zum Mike
Seeber Trio. Der Opener „Nie wie
Vater“ (O-Ton Mike: „Das bot sich
doch heute zum Vatertag so richtig
als Opener an, oder?!“) lässt den
Tempel Scheune mit deren BluesRock-Getöse sofort in Schwingung
versetzen. Unglaublich dynamisch,
nach innen gehend, erstaunend!
Dieser noch junge Bluesrocker (1976
im Thüringischen Nordhausen
zur Welt gekommen) atmet etwas
ganz besonderes und erinnert
mich doch zugleich auch ob seiner
etwas untersetzten Statur, dem
Wohlstandsbäuchlein und dem
blonden vollen Haarschopf an einen
ziemlich Großen seines Genres. Na
klar, da werden doch bestimmte
Assoziationen zu Warren Haynes von
Gov’t Mule geweckt! Und das nicht
allein über das Aussehen. Nein, auch
seine Spielweise und -art auf seiner
Gitarre weckt (zumindest in mir) den
vielleicht etwas gewagten Vergleich.
Beim Branchenprimus Jürgen
Kehrt quasi in die „Lehre“ gegangen und in seinem „Wohnzimmer
-dem Museumskeller zu Erfurt„groß“ geworden, erreichte Mike
Seeber zumindest in Insiderkreisen
-national wie international- recht
schnell beachtete Aufmerksamkeit.
Begleitet seit 2012 von dieser
jungen, dynamischen und kraftvollen Rhythm-Section (Philipp
Rösch am Bass und Tobias Ridder
an den Drums) gibt das dieser BluesRock-Formation noch zusätzliche jugendliche Unbekümmertheit
– ja Unbeschwertheit! Und gerade
deswegen vermeint man zu glauben,
die spielen schon Jahrzehnte
zusammen. Lärmend, scheppernd, mahnend – immer straight
ahead! Inklusive unverhohlener
Soundanleihen bei Led Zeppelin
oder Gecovertem von den Beatles.
Das sind Duftmarken, die wohl
auch die Jury des German Blues
Challenge 2013 veranlasste, die
MS3 zum Winner dieses begehrten
Awards zu küren!
Dieser Musiker und seine Band
werden uns noch viel Freude bereiten! Und Euch, die Ihr den Artikel
lest, spreche ich schon jetzt eine
Einladung für das 13. Blues & Rock
Festival an Himmelfahrt in Altzella
bei Nossen (nahe dem gleichnamigen Autobahnkreuz zwischen der
BAB 4 und der BAB 14 gelegen)
aus! Einmal besucht, steht es für
immer auf Eurem persönlichen
Festival-Guide!
MUSIK
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Gracefull Fall (Foto: Holger Schubert)
MINI-WOODSTOCK
I M EP I Z E NTR U M
MITTELSACHSENS
DER 10. LOUISIANA BALL 2014 IN FREIBERG. EINE
NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT
Steffen „Kuno“ Kunze – Blues &
Rock-Barde und zugleich hauptberuflich Inhaber der KULT(ur)
kneipe EigenARTig mit seinem
Ratskeller-Ableger - beides in
Hainichen / Sachsen an ganz zentralen Plätzen leicht aufspürbar,
begeht in diesem Jahr mit seinem
LOUISIANA BALL ein kleines
feines Jubiläum. Gestartet in seiner
Heimatstadt hat sich dieses MiniFestival nunmehr in der „Hauptstadt“
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MUSIK
Mittelsachsens -in Freiberg- etabliert. Das großzügige,
weitläufige Gelände -genannt Bluesfarm- und optimal
am Stadtrand gelegen, bietet für jeden Musikhungrigen
und Naturbegeisterten etwas. Besonders die Camperund Wohnmobil-Traditionalisten kommen hier voll auf
ihre Kosten. Können sie das Festivalgelände doch bereits
einen Tag vor und einen nach dem offiziellen 2-TageEvent nutzen, um zu relaxen, Erfahrungen auszutauschen, über Gott und die (Blues- und Rock-) Welt zu
sinnieren, echtes Lagerfeuerfeeling zu erzeugen und -klar
doch- dieses oder jenes Alkoholische, Hochprozentige
oder Dampfende in stiller Abgeschiedenheit zu „inhalieren“. Allerdings ist es spätestens an den Nachmittagen
vorbei mit dieser „Stille“. Denn deswegen ist man ja
schließlich in der Hauptsache hierher gepilgert: dem
Lebensgefühl des Blues und des Rock durch die eigene
Anwesenheit den Stempel der Berechtigung aufzudrücken und damit zugleich zur richtigen Zeit am richtigen
Ort zu weilen! Werden zudem diese Begehrlichkeiten von
Bands und Solokünstlern geweckt, die in allen möglichen
Spielarten amerikanischer Musik musizieren (können),
dann ist man beim LOUISIANA BALL! All dies findet
in der Hauptsache im großzügigen, lichtdurchfluteten
Scheunenkomplex statt, der allen Musikjüngern ausreichend Platz bietet und bei diesem heißesten PfingstWochenende seit Beginn der Wetteraufzeichnungen mit
weit über 30° Celsius im Schatten allerdings auch für
gehörig Schweißausstoß sorgt. Und da alles so schön
„kuschelig“ auf dem Festivalgelände beieinander liegt,
kann man durchaus die musikalischen Innenansichten
aus dem Scheunenkomplex auch auf das doch etwas luftigere Außen verabreicht bekommen. Allerdings macht
das wiederum für die sich im Inneren bemühenden Acts
wenig Sinn, wenn die sich dann vor nur mäßig gefüllten Rängen produzieren sollen. Das wiederum jedoch
tun sie mit all der ihnen infiltrierten Hingabe! Man ist
ja schließlich wer!
Waren in den Anfangsjahren des Louisiana Ball noch
Cajun und Zydeco (eben jene schnelle Musikform aus
dem Süden und Südwesten des US-amerikanischen
Bundesstaates Louisiana mit dem charakteristischen
Akkordeon und Waschbrett und seiner Etablierung
Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer Vermischung der
Cajun-Musik mit afroamerikanischen Einflüssen, die
Wasser-Prawda | Juni 2014
Lusk (Foto: Holger Schubert)
letztlich auch zur Entstehung von Blues und R&B beitrugen) die vorherrschenden Stilarten, so kommt heute
jeder Musikbesessene auf seine individuellen Kosten:
vorzugsweise bei Blues, Rock und Americana. Und
genau diese Mischung hat sich als wahres Erfolgsrezept
herauskristallisiert!
Den Opener am Pfingstsonntag geben kurz nach 19 Uhr
GRACEFULL FALL aus Sachsens Metropole Dresden.
Einfühlsam, kraftvoll, berührend! Seit Neuestem
auf dem deutschen Indie-Label CACTUS ROCK
RECORDS musiktechnisch beheimatet, deckten sie
an diesem Abend weitgehend die Americana-Fassette
ab und hätten es sicherlich verdient gehabt, einen späteren Programmplatz zu erhalten. Aber so ist das nun
einmal! Allerdings erwies sich die von Kuno gewählte
Programmfolge im Nachhinein als Volltreffer. Denn
alle vier Bands dieses Abends waren recht klar ob ihres
musikalischen Repertoires abgrenzbar und so gab es
gewissermaßen kleine stilistische Sprünge, die dem
Gesamtkonzept sehr zu Gute kamen.
Denn nach Gracefull Fall trat als nächstes eine recht junge
Band aus Norwegen auf den Plan: LUSK. Nach eigenen
Aussagen zum ersten Mal in unseren Breitengraden
unterwegs, noch ohne eigenes Album, jedoch für die
nächsten Tage mit einem Studio in Leipzig (!!!) vereinbart, um 4 Songs für eine erste EP einzuspielen. Die
Norweger waren an diesem Abend für das Rockbrett
zuständig: Beharrlich, straight, kompromisslos! Der
norwegischen Neuentdeckung folgte die MONGREL
MUSIK
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Mongrel Blues Band mit Ryan Harrington (Foto: Holger Schubert)
BLUES BAND - ein Trio und ebenfalls aus Dresden Unglaublich! Aber was will uns das sagen: Zum einen
kommend. Sie hatten sich für diesen Auftritt mit dem scheinen Drummer wirklich hart im Nehmen zu sein,
Special Guest RYAN HARRINGTON aus den Staaten zum anderen wohl auch gefährdeter! Also Drummer
auf ein Quartett erweitert und vor allem verstärkt. Na – habt Acht! Den Abschluss der gut gelungenen 10.
klar -es beinhaltet ja schon der Bandname- sie waren Auflage des Louisiana Ball bildeten DES FAIS DoDo
heute für den Bluesteil zuständig. Hingebungsvoll, lei- aus den Niederlanden und sie führten alle Anwesenden
denschaftlich! Auffällig auch, dass die ersten 3 Bands mit ihrer musikalischen Stilbreite wieder zurück in die
dieses Abends ausschließlich in der Old-School- Anfangsjahre dieses kleinen feinen Festes. Da kann
Besetzung mit zwei Gitarren, Schlagzeug und Bass agier- man sich nur wünschen, dass sich der Einsatz und das
ten. Am Rande sei noch erwähnt, dass komischerweise Engagement eines Steffen „Kuno“ Kunze und seines
gleich bei zwei der Bands des Pfingstsonntags deren Teams noch schneller und weiter herumspricht und trotz
Drummer ziemlich leiden mussten. Der Gracefull Fall- des Überangebotes an Pfingsten es auch in den nächsten
Drummer hatte einen Sturz mit dem Fahrrad zwar Jahren ein mächtiger Pfeiler der Blues und Rockszene
wohl äußerlich recht glimpflich überstanden, konnte bleiben wird.
jedoch nur mit Schmerzmitteln spielen – und wie! Der 11. Louisiana Ball vom 22. bis 24. Mai 2015 steht
Seinen Leidensgenossen von der Mongrel Blues Band jedenfalls bereits schon wieder in den Startlöchern!
hatte es allerdings weitaus schwerer in Mitleidenschaft VOR MER K EN, KOMMEN, GENIE SSEN,
gezogen. War er doch erst vor wenigen Tagen mit einem CHILLEN, RELAXEN! ALLES WIEDER AUF
Sporthubschrauber (zu zweit unterwegs) abgestürzt und ANFANG! WIR SEHEN UNS ERNEUT 2015!
mit schweren Blessuren gerade noch so davongekommen. Heute bereits saß er wieder an seinem Schlagwerk.
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MUSIK
BLUE S M US IK D E S I G N E D
I N BAVA R I A
TEXT: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE
Bereits am 2. Mai hatten wir
die neue CD „Struggle“ von
Reverend Rusty aka Rusty
Stone rezensiert. Gleichzeitig
mit der Vorabversion kam
auch die Einladung, zur CD
Präsentation am 11. Mai 2014
in das Einstein Kultur in
München zu kommen. Diese
Wasser-Prawda | Juni 2014
Einladung haben wir gerne
angenommen, vor allem
um die Wirkung der CD auf
Rusty‘s Publikum zu sehen.
Wir waren ja der Meinung,
dass die CD live präsentiert noch eine gesteigerte
Wirkung zeigen wird.
Das Einstein Kultur ist ein
Gewölbesaal auf dem Ensemble
der ehemaligen Unionsbräu in der
Einsteinstr. 42. Dort fi ndet man
neben dem Einstein Kultur auch
den Jazz Club Unterfahrt und das
Kino im Einstein. Für die CD
Präsentation wählte Rusty Stone den
bestuhlten Saal des Einstein Kultur
MUSIK
53
Rusty Stone mit Mandoline (oben) und Dobro (nächste Seite)
mit schätzungsweise 80 Sitzplätzen.
Im Saal empfang uns ein sichtlich
aufgeregter Rusty Stone, dahinter
eine mit Instrumenten prall gefüllte
Bühne. Die Aufregung war überaus
berechtigt, da die Vorbereitungen
für die Präsentation durchaus kompliziert waren.
Die erste Lieferung der CDs vom
Presswerk kam 2 Tage vor dem
Event. Die Verspätung war wegen
einiger Änderungen des Designs in
letzter Minute notwendig geworden. Die CD ist selbst produziert, zum Vermarkten der neuen
CD „Struggle“ hat Rusty Stone
ein eigenes Label gegründet und
auch einen neuen Vertriebsweg mit
Galileo MC gefunden. Das war
dringend notwendig geworden,
weil bisherige Vertriebswege seine
Anforderungen bezüglich Flexibilität
und Lieferungen nicht erfüllen
konnten. Hier kommen jetzt auch
Optionen wie online Vertrieb und
Download zum Tragen. Da Rusty
Stone sozusagen eine one-man-company ist, musste er sich natürlich
auch um die Ausstattung im Saal und
das Verschicken der Printsachen im
Vorfeld der Präsentation kümmern.
Jahr mit der CD ändern. So wird er
als Support mit Jeff Beck unterwegs
sein. Da Rusty Stone ein Profi ist
und eine Band zu unterhalten hat, ist
er natürlich selektiv in der Auswahl
seiner Auftritte. Equipment, Band
Bus, Musiker kosten bereits ab dem
Moment Geld, wo man in den Bus
einsteigt, ohne eine Note gespielt zu
haben. Und das muss Limits bei der
Gage setzen.
Wie kommen den die Stücke auf der
CD zu Stande? Rusty hat Einflüsse
vom Southern Rock und aus dem
In der Konstellation Reverend Rusty Singer/Songwriterlager. Meist entist die Band ca 50 Mal im Jahr auf standen sind die Songs auf der akusder Bühne, zur Zeit aber eher 20 tischen Gitarre. Dann kommen
Mal. Das soll sich natürlich dieses seine beiden Co-Musiker hinzu,
Wasser-Prawda | Juni 2014
54
MUSIK
die beides ausgebildete Musiker
sind und verfeinern ein gegebenes
Riff oder greifen einen Lick aus der
Vergangenheit auf. Auch entstanden Songs auf der CD „Struggle“
mehr nach dem Strukturprinzip
einer Tonartfolge. Das Intro ist dabei
nichts anders als ein tonal passendes
Schnipsel von Cooder, das er vor den
zweiten Song „Let it flow“ gesetzt hat.
Dass Reverend Rusty ein Wanderer
zwischen den Welten ist, hat er auf
„Struggle“ bereits gezeigt. Garantiert
nichts für Rootblueser, welche den
Blues aus dem Delta selbst in Europa
so authentisch wie möglich halten
wollen und sogar auf den Pickup verzichten. Nein, Rusty wird uns im
Laufe seines Auftritts zeigen, dass es
auch ernstzunehmende Bluesmusik
Wasser-Prawda | Juni 2014
„designed in Bavaria“ gibt.
Nachdem sich der Saal fast gefüllt
hat, steigt Reverent Rusty Stone
mit seinen beiden Mitstreitern Al
Wood und Mr. C.P auf die mit
Instumenten prall gefüllte Bühne
und eröffnet mit einem improvisationsgetriebenen „Roll on“ vom
neuen Album. Nach dem sich noch
„Old Together“, „No no no“ und
„Let it flow“ aus der CD dranreihen, bewahrheitet sich schnell meine
Prognose aus der CD Rezension:
Dieses Songs sind Livesongs, hier
stehen 3 Musiker mit 3 Stimmen
und 3 Instrumenten auf der Bühne
- keine Tricks, kein Overdubbing,
kein Punch in/out, wunderbar
einfach ohne viel Effekte. Schnell ist
sich das Publikum einig, dass hier
schöne Stücke in Bühnenreife präsentiert werden. Die Stücke sind hart
und rauh aufgespielt. Genau so, wie
es von Rusty aus einer Münchener
Zeitung zitiert wurde: Laut und
schmutzig!
Der Rest des Abends ist ein
Feuerwerk, bei dem mit Mandoline,
Dobro, E-Bass, Upright Bass, Tuba
und Schlagzeug und Cajon gezaubert wird Für mich persönlich
wesentlich unterhaltsamer als vergleichsweise 2 Stunden Blues auf der
Akustikgitarre von selbsternannten
Rootsbluesern. Rusty spielt für sich,
aber er vergisst nicht, sein Publikum
abzuholen und mitzunehmen. Jetzt
werden mir auch die vielen Blog- und
Gästebucheinträge verständlich, die
MUSIK
55
Al Wood (dr) oben und Mr. C.P (bg) unten.
Wasser-Prawda | Juni 2014
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MUSIK
Reverend Rusty als Spitzenliveband
bezeichnen.
Rusty spielt natürlich nicht nur
Songs aus der neuen CD „Struggle“,
sondern auch aus den älteren CDs
wie den „Preacher Man“ aus der
gleichnamigen CD oder „Down in
Louisiana“ mit Dobro und Upright
Bass. Auch ohne eine Hommage an
John Lee Hooker „Dimples“ geht
es nicht - immer schön cool auf der
Dobro gespielt.
Nach der Pause zieht die Band alle
Register des Blues: Reggae, der durch
Eric Clapton im Bluesrock hoffähig
geworden ist, Shuffle-Blues, New
Orleans Sounds mit Mr. C.P an der
Tuba. Bei „Goin‘ to my hometown“
fühlt man sich zu Rory Gallagher
nach Irland versetzt, und dann die
Elmore James Nummer Shake your
Moneymaker als Zugabe mit BassSolos satt. Als finale Zugabe und als
Solo gab es dann meinen persönlichen Favoriten der CD „Struggle“
das akustische Stück „Cooder“, von
Rusty Stone alleine am Bühnenrand
präsentiert.
Unser Resümee: Reverend Rusty‘s
„Struggle“ ist live im Konzert eine
vielfältige und abwechslungsreiche
Sache und wir wünschen uns, dass
Rusty Stone diese CD möglichst oft
live präsentiert und natürlich an den
Mann resp. die Frau bringt.
Rusty Stone & Mario
Wasser-Prawda | Juni 2014
Live-Termine
27.06 St. Veit a.d. Glan,
Herzogburg (mit Jeff Beck)
(A)
28.06 Heubach
05.07 Bodenmais, Weinfest
(Rusty Solo)
14.07. München, Aubinger
Stadtteilwoche (Rusty Solo)
11.10. Bräunlingen, Bregtäler
25.10. Runding, Robinson
31.10. Postbauer-Heng. KiSH
07.11. Haiming, Gewölbe
29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH)
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MUSIK
57
Brian Kramer
BLUE S A L S A L B U M
UN D R OM AN
BRIAN KRAMER: OUT OF THE BLUES & FULL CIRCLE.
VON IAN
PATIENCE
Stockholm scheint ein ziemlich
talentierter Mensch zu sein. In einem
wahrscheinlich noch nie dageweseBluesman Brian Kramer*, geboren nen Schachzug, hat sich Kramer auf
in Brooklyn und wohnhaft in ein Gebiet vorgewagt, wo sich nur
wenige bisher hin gewagt haben:
Zeitgleich hat er seinen ersten
*
English on Page 153.
Roman „Out Of The Blues“ und eine
neue CD „Full Circle“ veröffentlicht.
Vorgestellt hat er beides in seinem
eigentlichen Revier in der schwedischen Hauptstadt, dem „Stampen“,
einem Blues/Jazz-Laden, wo der
Mann oft zu sehen ist, wenn er
Wasser-Prawda | Juni 2014
58
MUSIK
Jam-Sessions leitet oder vom Blues
inspirierte Parties anheizt. Der
Roman wurde veröffentlicht bei
Bullet Point Publishing unter seinem
vollen Namen Brian D. Kramer.
In Skandinavien, einer mittlerweile führenden Region für
Kriminalromane, passt „Out Of The
Blue“ prima ins Genre mit dem hinzugefügten Dreh mit der Bluesmusik
und einer veschlungenen Handlung.
Er ist ein Autor, der das Business von
außen und innen total kennt. Aber
wenn man meinte, das Buch sei ein
Kriminalroman, würde Kramer
Unrecht tun: Es ist der faszinierende
Blick eines Insiders in die Welt der
Berufsmusiker und die täglichen
Herausforderungen und Sorgen,
die allzuleicht den unermüdlichen
Spieler bedrängen könnnen.
Das Album hat das gleiche Thema
wie das Buch, und Texte der Songs
tauchen immer wieder auf den Seiten
des Buches auf. Es ist eine interessante Idee, die Kramer mit scheinbarer Leichtigkeit vorträgt. Jeder,
der schon mal Gitarre gespielt hat
als Berufsmusiker oder als Sideman
wird sich mit der Hauptfigur, einem
New Yorker von Kopf bis Fuß,
seinem Leben und seinen Problemen
identifizieren. Der starke Hauch
biographischer Details pulsiert im
Herzen des Buches. Und da gehört
auch der wehmütige Song „Going
Back To Brooklyn“ hinzu.
„Full Circle“, die das Buch begleitende CD-Verffentlichung, ist
ein ausgezeichnetes kleines
Album. Thematisch geht es um
Kramers Vierteljahrhundert als
Berufsmusiker und seine New
Yorker Wurzeln. Mich spricht
Wasser-Prawda | Juni 2014
Fanny Holm. Zeitweise erinnert
der Groove mit seinen trügerisch
entspannten Melodien und den cleveren Texten hier an den verstorbenen JJ Cale.
Man könnte ja meinen, dass
Kramer, der viele Jahre lang im
Studio und auf Tour für Eric Bibb
die Begleitgitarre gespielt hat
und auch mit Junior Wells, Larry
Johnson und Taj Mahal gearbeitet hat, nach dem Schreiben dieses
höchst lesenswerten Romans unter
einer Schreibblockade gelitten habe.
Doch das ist eine falsche Annahme:
Er hat auch all die Stücke auf der
soliden CD geschrieben.
das an: sowohl der entspannte
Rhythmus als auch die Einflüsse
aus Ragtime oder auch Kramers
sensibles Picking auf seinen geliebten Resonator-Gitarren. Auch sein
elektrisches Spiel wird gemeinsam
mit ein paar feinen Begleitmusikern
gezeigt. Zu denen gehört Gitarrist
Chuck Anthony, Mats Quartfordt
an der Bluesharp, Bert Deivert
(noch so ein Amerikaner, der
in Schweden lebt) an der Steel
Mandolin und ein paar beseelte
Background-Sängerinnen: Maria
Blom, Isabella Lundgren und
Iain Patience
arbeitete früher als Journalist
f ü r Ta g e s z e i t u n g e n i n
Großbritannien. Nach Jahren
in Schweden lebt er mittlerweile in Frankreich und schreibt
von dort aus unter Rezensionen
und Artikel anderem für „Blues
Matters“, „Blues in Britain“,
„Autrement Blues“ und „Blues &
Co Magazine“ (Frankreich).
MUSIK
59
n
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Wasser-Prawda | Juni 2014
60
MUSIK
TEIL 2: FROM HIVE TO LIVE
VON DARREN WEALE
DER ERSTE TEIL DIESES
FEATURES ERZÄHLTE VOM
EINFLUSS DER BLUES
BROTHERS AUF MUSIK UND
MUSIKER ÜBER ALL DIE
JAHRE. UND ES BERÜHRTE
AUCH DIE FRAGE, WIE DER
BLUES ZU DAN „ELWOOD
BLUES“ AYKROYD UND
JOHN „JOLIET JAKE BLUES“
BELUSHI GEKOMMEN
IST. JETZT WENDEN WIR
UNS DER ENTWICKLUNG
DES ACTS VON SEINEN
FRÜHESTEN TAGEN BIS ZUM
ERSTEN AUFTRETEN AUF
DER GROSSEN BÜHNE ZU.
Im Jahr 1975 trafen sich der Kanadier Aykroyd und
der Chicagoer Belushi in einer illegalen Nachtkneipe,
die von Aykroyd geführt wurde. Belushi gehörte zur
Besetzung einer neuen Comedy Sketch Show von NBC
Televions, Saturday Night Live. Belushi heuerte Aykroyd
für die Show an. Und dann, so erzählt es Aykroyd, kam
man auf die Geschichte mit den Blues Brothers. „Alles
nur, weil wir uns in einer Bar in Toronto trafen… Wir
hörten Downchild und sagten zueinander: Wenn Du
Harp spielen kannst und Du singen kannst, dann sollten
wir was draus machen.“1
Der Posaunist der Blues Brothers, Tom „Bones“ Malone
ergänzt die Geschichte: „Ich will Dir erzählen, wie die
Blues Brother begannen. In den alten Tagen lief Saturday
Night Live drei Wochen und machte dann eine Woche
Pause. Im Frühjahr 78 fuhren John und Danny nach
San Francisisco und hingen mit Curtis Salgado rum.
Der war damals Harmonikaspieler in der Robert Cray
Band. Danny kannte den Blues, aber John war eine Rock
& Roll-Schlagzeuger ohne Kenntnisse vom Blues. Sie
blieben die ganze Nacht auf und hörten Bluesplatten.
Auf dem Flug zurück von San Francisco nach New York,
sprachen sie über den neuen Act, zwei Waisenkinder,
echte Tunichtgute, die Anzüge in der gleichen Größe
trugen. So war ein Anzug zu groß, der andere zu klein.
Howard Shore bestellte mich für ein Uhr in sein Büro.
Und der brachte den Namen The Blues Brothers ins
Gespräch.“
Belushi fand Salgados Enthusiasmus ansteckend. In
einem Interview mit dem Eugene Register-Guard in
jenen Tagen sagte er: „Vom Rock&Roll wurde ich krank,
er begann mich zu langweilen … und ich hasste Disco.
So brauchte ich einen Ort, wo ich hingehen konnte.
Ich hatte vorher nicht viel Blues gehört. Er fühlte sich
1
If you want to read this series in English,
you’ve got to buy Blues Matters Magazine.
Wasser-Prawda | Juni 2014
MUSIK
61
ALAN RUBIN, DONALD „DUCK“ DUNN,
STEVE JORDAN (DR), STEVE CROPPER
(G), TOM SCOTT (SAX): EINIGE
MUSIKER AUS DER „URBESETZUNG“
DER BLUES BROTHERS
Wasser-Prawda | Juni 2014
62
MUSIK
gut an.“
Judith Belushi erinnert sich daran,
Curtis Salgado getroffen zu haben,
als ihr Mann gerade National
Lampoons Animal House („Ich
glaub‘, mich tritt ein Pferd“) drehte.
„Wenn John in Oregon war und grad
nicht drehte, musste er sich unauffällig verhalten. Da kam Curtis vorbei
mit Stapeln von Schallplatten, so als
sei er ein Professor. Damals erhielt er
seine Ausbildung. Sie sprachen über
Texte und Songs. John hatte sich
schon vorher für Chuck Berry, Fats
Domino und Jerry Lee Lewis, für
Johnny Winter und Cream interessiert. Doch bis zu diesem Unterricht
wusste er nicht, dass ihre Wurzeln
im Blues waren.“
Curtis Salgado war Zeuge dafür,
wohin seine Erziehungsarbeit führen
sollte. „Einmal zeigt er [John Belushi]
mir seine Faust. Auf den Knöcheln
steht das Wort Jake. Er fragt: Was
hältst Du von dem Namen Jake? Wir
machen einen Sketch und werden
ihn The Blues Brothers nennen. Bis
dahin hatte ich Dan noch nicht
getroffen oder kennengelernt. Er
sollte Elwood genannt werden. John
fragte: Was denkst Du darüber?
Ich bin Musikwissenschaftler. Ich
meinte: Cool.“
Belushi begann, mit Salgado auf
der Bühne zu erscheinen. Salgado
war aber geschockt, als er merkte,
dass Belushi seine berühmte Jock
Cocker Parodie machte, als er sang.
Er stieß Belushi heftig in die Seite:
er solle gefällgst er selbst sein. Auch
wenn die Blues Brothers schon im
Januar 1976 bei Saturday Night Live
zu sehen waren, wie sie in BienenKostümen ihre Version von „King
Wasser-Prawda | Juni 2014
Be“ zum Besten gaben, dauerte es bis
zum April 1977, dass sie ihren ersten
Fernsehauftritt unter dem Namen
The Blues Brothers hatten. Sie sangen
„Hey Bartender“ und wurden über
Nacht zur Sensation. Und damit
standen sie vor der Notwendigkeit,
ihre eigene Band zusammen zu
stellen, um nicht immer nur mit der
Hausband von Saturday Night Live
auftreten zu können. Die Band hätte
komplett anders sein können, als sie
später wurde, aber das verhinderten
John Belushi und eine Dose Bier.
Curtis Salgado führt die Geschiche
fort: „John Belushi meinte: Wir
haben Roomful of Blues als die Band.
Aber Duke Robillard ist sauer auf
mich. Wir waren im Lone Star und
wollten den Leuten das komplette
Blues Brothers Programm bieten. Es
fiel durch, weil ich auf die Bühne
ging, eine Bierdose schüttelte und das
Publikum besprühte. Da es in New
York war, spritzten die Zuschauer
zurück und Instrumente und Band
bekamen Bier und Schaum ab. Duke
sagte: Verschwindet von der Bühne.
Wir machen das nicht.“ Duke hat
die Geschichte inzwischen bestätigt,
er meint, sie sei wahr. Und er mag
kein Bier auf seiner Gitarre.
Stattdessen begannen Belushi und
Aykroyd die Band mit Leuten aus
der Saturday Night Live Hausband
zusammen zu stellen. So kamen
Tom Malone an der Posaune, Lou
Marina am Saxophon. Trompeter
Paul Rubin, Keyboarder Paul Shaffer
und Schlagzeuger Steve Jordan
hinzu.
Steve Jordan freute sich riesig: „All
diese Schlagzeuger wollten in einer
Band mit John sein. Aber John sagte:
Nein, vielleicht kennt ihr ihn noch
nicht, aber Ihr werdet ihn kennenlernen. John war hart wie Diamant
bei der Entscheidung, dass ich ihr
Schlagzeuger sein würde. John hatte
mich ausgewählt, und damit hatte es
sich. Besonders ich wollte ihn daher
nicht hängenlassen und die Art von
Musik spielen, die ich so sehr liebe.“
Judith Belushi erinnert sich,
wie Bluessänger und Songwriter
Jerome Solon Felder alias Doc
Pomus, John half, die Band weiter
zu ergänzen. „Er war von einem
Nachtclubmanager Doc Pomus vorgestellt worden. Nach dem ersten
Auftritt bei Saturda Night Live
begann er, die Band zusammen zu
stellen. Pomus schlug Matt Murphy,
Steve Cropper und Duck Dunn vor.
Er hatte einen großen Einfluss auf
die Auswahl. Wir haben viel Zeit
damit verbracht, andere Musiker zu
hören, doch John mochte Cropper
und Dunn sofort, sie hatten bei
Songs mitgespielt, mit denen er aufgewachsen war. Er sagt: Ich hab sie
mein ganzes Leben geliebt.“
Matt Murphy war amüsiert, als
wir vorschlugen, dass er, der schon
mit zahlreichen Bluesgrößen wie
Howlin Wolf und Memphis Slim
gespielt hatte, neben den anderen
Bandmitgliedern Mr. Blues sein
sollte. „Natürlich, ich war einer
von den Jungs, die den Blues spielten, und wir spielten Sweet Home
Chicago. Das hatte ich schon
gespielt, seit ich ein Kind war. Sweet
Home Chicago war einer, den ich
vorschlug, und wir spielten den
und auch eine Nummer von Junior
Wells, Messin With The Kid. Das
war eine Idee von Dan Aykroyd und
MUSIK
John. Sie arbeiteten zusammen und
dachten es sei eine nette Nummer,
das dachte ich auch. Der eine, von
dem sie wirklich wollten, dass ich
ihn spiele, war Shotgun Blues. Ich
brauchte überhaupt nichts zu tun,
um ein Bluesfeeling hinzuzufügen,
dies Typen kennen sich mit dem
Blues aus. Sie mögen nicht mein
Feeling haben, aber sie haben ihr
eigenes und spielten gut. Wie Blue
Loh und Alan Rubin, als Absolvent
der Julliard School of Music war er
absolute Höchstklasse, er kommt
von einem der besten Plätze, wo man
sein kann.“
Diese Band war auch für Steve
Croppe und Donald Dunn ein
Aufbruch, wie sich Steve erinnert:
„Ohne die Blues Brothers wäre ich
nicht losgezogen, um mit Musikern
aus New York zu spielen. Ich kannte
einige, aber in den frühen 60ern
spielten New Yorker Musiker mehr
Jazz als R & Blues, auch wenn
sie exzellente Spieler waren. Wir
kannten den Blues, aber wir waren
mit dem Blues in der Art verbunden,
dass wir ihn kommerziell machten.
In diesen Tagen verkaufte sich der
Blues nicht gut. Ich weiß das, weil
ich in einem Plattenladen arbeitete.
Die Realität des alten Blues war, dass
er sich nicht gut verkaufte. Wir arbeiteten mit Albert King und machten
ihn fröhlich und tanzbar, unten bei
Stax hatten wir eine gute Zeit. Duck
und ich steckten eine Menge dieser
Energie in Stax, und es funktioniert für Johnny Taylor und Albert
King. Es brachte Albert King auf die
Landkarte, und als er seine ersten
Tantiemen erhielt, bekam er einen
Schock, als er den Scheck bekam.“
Mit Matt Murphy und Steve
Cropper an den Gitarren und
Duck Dunn am Bass, fehlte nur
noch in der Horn Section das letzte
Mitglied. Tom Malone erinnert sich:
„Das erste Konzert war der Opener
für Steve Martin in der Carnegie
Hall im April 1978. Im September,
nachdem der Plattenvertrag unterzeichnet war, probten wir in New
York und Los Angeles. ‚Briefcase
Full of Blues‘ entstand bei unserem
open air Auftritt. John hatte zugestimmt, dass ich unser Arrangeur
für die Bläser sein sollte, aber ich
konnte nicht nach LA kommen,
bis meine Tochter geboren war. Ihr
Termin war der erste September und
unsere Proben waren angesetzt von
Ende August bis zum 1. September.
Das Baby kam später, und die Band
flog am 4. September nach LA, so
fragte ich Tom Scott, für mich einzuspringen. Die Konzerte sollten
am 9. September im Universal
Amphitheater beginnen, und noch
immer war das Baby noch nicht
da. Ich saß in meinem Haus und
dachte: Wir sollten vier Bläser
haben. Meine Tochter wurde am 12.
September geboren, wir bekamen
einen Babysitter und die Eltern
meiner Frau halfen, ich nahme ein
Flugzeug nach LA, John hatte ein
Auto auf mich warten lassen, das
mich zum Universal Amphitheater
brachte. Als ich hinkam, erzählte ich
John meinen Plan: Lass uns mit vier
Bläsern spielen. Und so wurde Tom
Scott ständiges Bandmitglied.“
Die Show s i m Un i ver s a l
Amphitheater waren etwas ganz
besonders für die Band: Steve Jordan
allerdings war nicht beeindruckt von
63
den ersten Drums, die man ihm
hingestellt hatte. „Vor der Show
sehe ich die Drums. Ich hatte ein
Endorsement von Gretsch, wurde
aber zu einem Yamaha-Künstler.
Gretsch hatten alle meine Helden
gespielt: Tony Williams, Alvin Jones,
mein Mentor Freddy Waits, Charlie
Watts. Alle hatten darauf gespielt
außer Ringo Starr. Die meisten
Jazzer spielten sie. Mein Traum
wurde wahr. Gretsch war in den
späten 70ern auf einem schlechten
Weg. Ich rief bei der Firma, Leeds
Musci in LA an. Ich war ja nur ein
Kid, der auf paar Platten gespielt
hatte und in der Saturday Night Live
Band spielte und sich langsam einen
Ruf aufbaute. Ich rief an, sagte: Ich
spiele im Universal Amphitheater
mit den Blues Brothers - keiner
wusste davon, sie waren nicht
wirklich interessiert. Die Drums,
die für den Soundcheck dagelassen worden waren, waren eingerissen und gebrochen. Und alle hatten
sie die falsche Größe. Es war beleidigend. Ich hatte spezielle Größen
und einen besondern Sound im
Sinn. Was ich bei dem Soundcheck
sah, entsprach nicht dem, was ich
in meinen Träumen gesehen hatte.
Duck und Cropper lebten in LA,
und Willie Hall [ihr Drummer bei
Stax] hatte einen Endorsement von
Yamaha Drums. Sein neues Set
war nach LA statt nach Memphis
geschickt worden, weil dort der Zoll
war. Duck hatte Willie‘s Schlagzeug.
Yamaha gab seinen Künstler nicht
nur ein Instrument von allen,
sondern ein Mega-Set mit beispielsweise acht Bass-Drums, HighHats, … ein großes Drum-Kit, das
Wasser-Prawda | Juni 2014
64
MUSIK
und lachte. Dadurch mochte ich ihn
noch viel lieber.“
The Blues Brothers waren dabei,
sich bei noch viel mehr Menschen
beliebt zu machen mit dem ersten
Blues Brothers Film. Das Album von
den Shows „Briefcase Full of Blues“
war ein Smash Hit. John Belushis
Film „Ich glaub mich küsst ein
Pferd“ war ein Bestseller. So schien
ein Blues Brothers Film der natürliche nächste Schritt. Die Story
dieses Films erscheint in der nächsten Ausgabe der Wasser-Prawda.
man komplett nutzen oder in kleinere Sets zerlegt werden konnte, je
nachdem, was man wollte. Duck
rief also Willie an und fragte ihn, ob
er so nett wäre, mich seine Drums
benutzen zu lassen, bevor er drauf
gespielt habe. Sie waren wunderbar, fantastisch, unglaublich. Sie
hatten die Sensibilität eines alten
Schlagzeugs, waren aber moderne
Produkte. Sie waren einfach großartig. Sechs Monate später sagte John,
als er nach Japan gefahren sei, habe
er in einem Musikladen ein gigantisches Poster gesehen, wo ich auf
Yamaha-Drums spielte. Ich dankte
Willie ein paar Jahre später und tue
es immer noch.“
Lou Marini wusste, dass die Band
eine aufregende Kombination
ergeben würde. „Am dritten Tage
der Proben in New York wussten
wir, dass das ziemlich gut klang.
De Niro und Meryl Streep und
Wasser-Prawda | Juni 2014
Cher und Bette Midler waren in
LA backstage, es war schnell klar,
dass wir hier etwas ganz besonderes
auf die Beine gestellt hatten. Überall
waren sehr starke Persönlichkeiten.
Steve Cropper etwa, ein „good old
boy“ aus dem Süden, missverstand
häufig Alan Rubin, da flogen dann
die Funken.“
Wie Steve Jordan liebte auch
Judith Belushi diese Show: „Mein
Lieblingsmoment war in der ersten
Nacht im Universal Amphitheater.
Ich war hinter ihnen, ein wenig
tiefer und sah ihre Silhouetten, als
sie ins Licht auf der Bühne kamen.
Draußen waren Jagger und all diese
Leute, das war LA, und als ich all
diese Reaktionen sah, dachte ich:
Wow, sie machen es wirklich! In
Momenten wie diesen war John so
aufgeregt und glücklich, dass er aus
der Rolle viel und ein wenig kicherte
Biografie
65
BIG B I L L B R O O N Z Y
(1 893-1958 )
VON RAIMUND NITZSCHE
Wasser-Prawda | Juni 2014
66
Biografie
Jahre: Vor der Weltwirtschaftskrise
war Broonzy allein mit seiner Gitarre
ZU DEN GROSSEN STARS DES
aufgetreten, ehe er dann zwei Jahre
praktisch in der Versenkung verCHICAGO-BLUES VOR DEM 2.
schwand. Als er 1934 zur Szene
zurückkehrte, passte er sich dem
WELTKRIEG. ER VOLLZOG DIE
vorherrschenden Geschmack an
und ließ sich von einem Pianisten
WANDLUNG VOM COUNTRYund einem Bassisten begleiten.
HIN ZUM CITY-BLUES.
Ende der 30er Jahre bestanden seine
Die Arbeits- und Obdachlosen Begleitbands bereits aus einer 4- bis
und die bankrotten Börsenmakler, 5-Mann-Besetzung. Gemeinsam
die sich in ihrer Verzweif lung mit seinem Halbbruder ”Washboard
aus den Fenstern der New Yorker Sam“ gehört er zu den größten Stars
Börse gestürzt haben sollen, waren des Blues in Chicago der dreißiger
nicht die einzigen Opfer der und vierziger Jahre.
Weltwirtschaftskrise. Um 1933 hätte
man auch dem Country Blues fast Geboren wurde Big Bill Broonzy
am 26.6. 1893 in Scott, Mississippi,
ein Grabmal errichten können.
in ärmlichen Verhä ltnissen;
Als sich die Schallplattenindustrie seine Eltern waren noch Sklaven
Mitte der 30er Jahre wirtschaftlich zu gewesen. Er wuchs in Arkansas auf,
sanieren begann und ihr Augenmerk wo er auf einer selbst gebastelten
wieder auf den Blues richtete, war Zigarrenkisten-Violine seine ersten
sie nicht mehr an dieser Form inter- musikalischen Versuche unternahm.
essiert. Der singende, sich selbst auf Er verließ den Süden und ging
der Gitarre begleitende Bluesman 1920 nach Chicago mit dem festen
war out und nur noch selten ein Vorsatz, dort alles zu erreichen,
willkommener Studiogast. Gefragt was der weiße Mann hatte: Geld,
war nun ein lauterer und tanzba- Garderobe, großes Auto. Er hat es
rerer Sound. Für viele große Blues- geschaff t. Mit vierundreißig Jahren
Interpreten der 20er Jahre bedeutete gelang ihm 1927 die erste, 1928 veröffentlichte, Schallplattenaufnahme.
dies das Ende ihrer Karriere.
Bis 1957 hat er dann unter verschieWer damals die Erfolgsleiter des denen Namen und auf den verschieBlues erklomm, wie Big Bill Broonzy, densten Labels mehr Platten eingeMemphis Minnie, Roosevelt Sykes spielt als jeder andere Bluesmusiker
und Lonnie Johnson, hatte sich der seiner Generation. Und auch dem
neuen Stilrichtung angepasst und weißen Publikum wurde Broonzy
nahm es als gegeben hin, dass Platten durch sein Mitwirken in John
zusammen mit Begleitmusikern ein- Hammonds Konzerten ”Spirituals
To Swing“ 1938 und 1939 in der
gespielt wurden.
New Yorker Carnegie Hall bekannt.
Nehmen wir z.B. die Karriere von
Big Bill Broonzy, einem Star der 20er Ende der vierziger Jahre schwand
BIG BILL BROONZY GEHÖRTE
Wasser-Prawda | Juni 2014
Broonzys Popularität. Er arbeitete nun als Portier am Iowa State
College und trat nur gelegentlich
auf. Er schloss sich mehr und mehr
weißen Folksong-Leuten um Woody
Guthrie und Pete Seeger an. Einerseits
führte das zur Verstärkung sozialkritischer Züge in seinen Liedern:
Beispiele sind Lieder gegen die
Rassendiskriminierung wie ”When
Will I Get To Be Called A Man“
oder ”Black, Brown And White“.
Andererseits kehrte sich Broonzy
von seinem ursprünglichen schwarzen Publikum ab und sang jetzt
vorwiegend für einen Kreis weißer
Enthusiasten, was zur Stilisierung
und Glättung seiner Vortragsweise
führte. Bei seinen Tourneen durch
England in den 50ern wurde er als
letzter echter Bluesman angekündigt. Mit diesen Konzerten machte
er als einer der ersten damit den
Blues auch in Europa bekannt.
Dann kam 1958 das tragische
Ende. Wegen eines Kehlkopfkrebses
musste sich Broonzy operieren lassen,
wodurch er seine Stimme verlor.
Der britische Jazz-Musiker Chris
Barber und andere veranstalteten
ein Konzert in London, dessen Erlös
eine Operation ermöglichen sollte.
Das Konzert erbrachte 500 Pfund,
aber das Geld kam zu spät. Am 14.8.
1958 starb Big Bill Broonzy auf dem
Weg zum Krankenhaus in einem
Ambulanzwagen.
B L U E S K A L E N D E R 67
BLUESKALENDER
1919:
1947:
1948:
1952:
1960:
1. Juni
Lafayette Leake *
Ron Wood *
Sonny Boy Williamson I +
Karl Valta *
Jay Jesse Johnson *
2. Juni
Sonny Boy Williamson I.
1941: Charlie Watts *
2008: Bo Diddley +
3. Juni
1897:
1916:
1924:
2009:
Memphis Minnie *
Buster Pickens *
Jimmy Rogers *
Koko Taylor +
4. Juni
1957: Tinsley Ellis *
1966: Fred Chapellier *
1980: Coy „Hot Shot“ Love *
5. Juni
1944: Adolphus Bell *
1977: Sleepy John Estes +
Memphis Minnie
1936:
1942:
1954:
1979:
1964:
1997:
2012:
1946:
1968:
Meade Lux Lewis
6. Juni
Raful Neal *
Larry „The Mole“ Taylor *
Sugar Ray Norcia *
Matěj Ptaszek *
7. Juni
Meade Lux Lewis +
Arthur Prysock +
Bob Welch +
8. Juni
James Harman *
Buble Bee Slim +
68
BLUESKALENDER
1972:
1979:
2007:
2011:
Jimmy Rushing +
Derek Trucks *
Nellie Lutcher +
Alan Rubin +
1902:
1927:
1929:
1934:
1941:
1949:
1953:
Skip James *
CeDell Davis *
Johnny Ace *
Jackie Wilson *
Jon Lord *
Billy C. Farlow *
Fruteland Jackson *
9. Juni
Derek Trucks
10. Juni
1910: Howlin Wolf (Chester Burnett) *
1965: Michael „Dr. Mike“ James *
2004: Ray Charles +
11. Juni
1931:
1949:
1954:
1959:
J.B. Hutto
Bonnie Lee *
Frank Lee Beard *
Johnny Neel *
Hugh Laurie *
12. Juni
1932: Mae Mercer *
1977: Kenny Wayne Shepherd *
1983: J.B. Hutto +
13. Juni
1942: Bob Hall *
1972: Clyde McPhatter +
1983: John Campbell +
14. Juni
1941: „Blues Queen“ Sylivia Embry *
Wynonie Harris
B L U E S K A L E N D E R 69
1969: Wynonie Harris +
1995: Rory Gallagher +
15. Juni
1938: Aron Burton *
1999: Grace Brim +
2001: Joe Carter +
16. Juni
1970: Lonnie Johnson +
Lonnie Johnson
17. Juni
1962: Julien Kasper *
1884:
1930:
1938:
1983:
18. Juni
Sara Martin *
Jerry McCain *
Don „Sugarcane“ Harris *
Luther Tucker +
19. Juni
Lazy Lester
1956: Big Bill Morganfield *
20. Juni
1933: Lazy Lester *
1956: Killer Ray Allison *
21. Juni
1941: Johnny „Yard Dog“ Jones *
1982: Frank Hovington +
2001: John Lee Hooker +
Helen Humes
70
BLUESKALENDER
22. Juni
1919: Ella Johnson *
1921: J.W. Warren *
1959: Mario Bollinger *
23. Juni
1913: Helen Humes *
2013: Little Willie Littlefield +
2013: Bobby „Blue“ Bland +
24. Juni
1944: Jeff Beck *
1947: Mick Fleetwood *
25. Juni
Bobby „Blue“ Bland
1925:
1937:
1948:
1985:
Clifton Chenier *
Eddie Floyd *
Peggy Scott Adams *
Pee Wee Crayton +
1893:
1942:
1993:
2006:
Big Bill Broonzy *
Larry Taylor *
James „Son“ Tomas +
Johnny Jenkins +
26. Juni
27. Juni
1927: Johnny „Big Moose“ Walker *
Big Bill Broonzy
28. Juni
1915: David „Honeyboy“ Edwards *
29. Juni
1978: Joke Boy Bonner +
1987: Elizabeth Cotten +
30. Juni
1892: Bo Carter *
1936: Dave Van Ronk *
1942: Klaus Renft *
Elizabeth Cotten
B L U E S K A L E N D E R 71
1. Juli
1899:
1915:
1935:
1946:
1977:
Thomas A. Dorsey *
Willie Dixon *
James Cotton *
Paul „Wine“ Jones *
Baby Boy Warren +
2. Juli
1952: Gene Taylor *
1982: DeFord Bailey +
1988: Eddie „Cleanhead“ Vinson +
Thomas A Dorsey
3. Juli
Brian Jones
1940:
1947:
1952:
1969:
1969:
1971:
1972:
1997:
Fontella Bass *
Top Topham *
Andy Fraser *
Annie Raines *
Brian Jones +
Jim Morrison +
Fred McDowell +
Johnny Copeland +
1910:
1943:
1948:
1965:
1966:
4. Juli
Champion Jack Dupree *
Al Wilson *
Jeremy Spencer *
Jimmy D. Lane *
Dudley Taft *
5. Juli
1913: Smiley Lewis *
1953: Kenny Brown *
6. Juli
1944:
1971:
1992:
2002:
Louis Armstrong
Joey Gilmore *
Louis Armstrong +
Rachelle Plas *
Jimmie Lee Robinson +
72
BLUESKALENDER
7. Juli
1913: Pinetop Perkins *
1967: Jackie Neal *
8. Juli
1908:
1924:
1934:
1937:
1952:
Louis Jordan *
Johnnie Johnson *
Henry Qualls *
Arthur Williams *
Larry Garner *
1915:
1949:
1955:
1991:
Joe Liggins *
Waldemar Weiz *
Paul Lamb *
Willie Nix +
1907:
1939:
1941:
1958:
Blind Boy Fuller *
Mavis Staples *
Jelly Roll Morton +
Barrelhouse Chuck *
9. Juli
Pinetop Perkins
10. Juli
11. Juli
1926: Joe Houston *
1947: Francine Reed *
2002: Rosco Gordon +
13. Juli
Paul Lamb
1931: Long John Hunter *
2013: Eddie Boyd +
14. Juli
1988: Fred Below +
15. Juli
1910:
1932:
1956:
1977:
1980:
Washboard Sam
Washboard Sam *
Willie Cobbs *
Joe Satriani *
Big John Wrencher +
JW Jones *
B L U E S K A L E N D E R 73
16. Juli
1939: Denise LaSalle *
2012: Jon Lord +
2013: T-Model Ford +
17. Juli
Denise LaSalle
1893:
1947:
1955:
1959:
1983:
2006:
2007:
Coot Grant *
Abraham „Abe“ Laboriel *
Janice Scroggins *
Billie Holiday +
Roosevelt Sykes +
Sam Myers +
Bill Perry +
18. Juli
1929: Screamin Jay Hawkins *
1941: Lonnie Mack *
19. Juli
1932:
1940:
1948:
1964:
Buster Benton *
Little Freddie King *
Jürgen Kerth *
Timo Gross *
20. Juli
Screamin Jay Hawkins
1924: Grace Brim *
1952: Steve Freund *
1998: Golden „Big“ Wheeler +
21. Juli
1917: Floyd Jones
2005: Long John Baldry +
22. Juli
2004: Illinois Jacquet +
2006: Jessie Mae Hemphill +
2010: Phillip Walker +
23. Juli
1942: Linsey Alexander *
1943: Tony Joe White *
1993: Smokey Smothers +
24. Juli
1909: Washboard Willie *
Floyd Jones
74
BLUESKALENDER
1897:
1915:
1943:
1984:
1985:
25. Juli
Sylvester Weaver *
Gene Phillips *
Jim McCarty *
Big Mama Thornton +
Willie Perryman (Piano Red) +
1917:
1950:
1987:
2006:
2013:
Alberta Adams *
Papa Charlie McCoy +
Joe Liggins +
Floyd Dixon +
J.J. Cale +
26. Juli
Big Mama Thornton
27. Juli
1945: James Beck „Jim“ Gordon *
1974: Lightnin‘ Slim +
28. Juli
1930: Junior Kimbrough *
1931: Guitar Crusher *
1943: Michael Bloomfield *
29. Juli
1943: Mick Jagger *
1959: Steve „West“ Weston *
2007: Jimmy Nelson +
30. Juli
Junior Kimbrough
1936:
1940:
1945:
1948:
1957:
Buddy Guy *
Bick Jack Johnson *
David Sanborn *
Otis Taylor *
Michael Burks *
1907:
1931:
1951:
1964:
1989:
Roy Milton *
Kenny Burrell *
Howard Levy *
Joja Wendt *
Bull Moose Jackson +
31. Juli
Big Jack Johnson
A L B U M D E S M O N A T S 75
WALT E R T R O U T - TH E
B LUE S C AM E CA L L I N ‘
ALBUM DES MONATS JUNI 2014
Vorbemerkung: Als ich diese
Rezension schrieb, war die
Un g e w i s s h e i t n o c h g r o ß .
Inzwischen hat Walter Trout eine
neue Leber bekommen. Und
nach den Nachrichten seiner Frau
Marie scheint er sich gut von
dieser Operation zu erholen. Diese
Nachrichten machten schnell die
Runde im Netz und machten deutlich, wie wichtig vielen Menschen
Walter Trout als Musiker und
Mensch ist. So eine Anteilnahme
ist überwältigend.
Als Alan Nimmo Walter Trout
seine Version von „Old Love“ beim
Bluesfest in Eutin widmete, da
rührte er mit einem umwerfenden
Solo zu Tränen: Überall auf der Welt
sind Bluesfans und Musikerkollegen
in banger Erwartung, ob Trout rechtzeitig eine Spenderleber bekommen
und seine schwere Krankheit überwinden kann. Doch er selbst zeigt
mit seinem neuen Album, wie viel
Power noch immer in ihm steckt und dass er so einfach nicht aufgeben wird.
Als ich erstmals die Gitarre von
Walter Trout hörte, war das auf einem
Live-Album von John Mayall, aufgenommen in den 80ern irgendwo
in Westdeutschland. AMIGA hatte
die Scheibe als Teil ihrer großartigen
„Blues Collection“ auch im Osten
veröffentlicht. Damals gehörten
die Gitarren von Trout und Coco
Montoya zum Sound der Blues
Breakers und zogen mich in ihren
Bann. Später stieß ich dann auf
Samplern auf Solo-Aufnahmen
Trouts und war weniger begeistert.
Für mich war das zu laut, zu deftig
und zu rockig.
Erst mit Alben wie „Blues For The
Modern Daze“ oder sein grandioses Tribut-Album für Luther
Allison entdeckte ich, wie großartig er als Gitarrist und auch als
Songwriter eigentlich ist.Und jetzt
geht sein Album gleich mit einem
Hammer los: „Wasting Away“ ist
eine Kampfansage. Auch wenn
der Körper verfällt - Trout kämpft
weiter. Auch in dem düsteren „The
Bottom Of The River“ wird das
deutlich: am Grunde des Flusses,
im Angesicht des Todes findet der
Mann in der erzählten Geschichte
die Kraft, um zum letzten Mal
weiter zu kämpfen um das Leben
mit all seinen Schönheiten.
Einer der prägendsten Gäste auf
dem Album ist John Mayall. Nicht
nur hat er mit dem Instrumental
„Mayall‘s Piano Boogie“ ein eigenes
Stück mit ins Studio gebracht. Vor
allem beim Titelsong spielt er die
Hammond mit der Vehemenz
eines Gospelorganisten und liefert
damit die entscheidende Zutat, um
aus dem Lied eine herausragende
Nummer zu machen.
Am Ende der CD dann noch ein
berührend schönes Liebeslied:
„Nobody Moves Me Like You Do“
hat Walter Trout seiner Frau Marie
gewidmet, die ihm all die Jahre und jetzt besonders - zur Seite steht
und ihm Kraft gibt. Schöner kann
man solch ein Album eigentlich
kaum beenden.
Ganz ohne Krankeits- oder sonstige Bonuspunkte: „The Blues Came
Callin“ ist das Beste, was Walter
Trout in den letzten Jahren veröffentlicht hat. So ehrlich, persönlich
und voller Kraft sollten eigentlich
alle Bluesalben sein! (Provogue)
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juni 2014
76
P L AT T E N
DIE REDAKTION
EMPFIEHLT
JUNI 2015
THE BLACK SORROWS - CERTIFIED
BLUE
Dieses Album ist wie eine großartig
bestückte Jukebox: „Certified Blue“, ist
eine Sammlung großartiger Songs, an
denen Fans von Blues, Rock & Roll,
Country, Gospel und Soul gleichermaßen ihre Freude haben dürften.
In Australien
gehören sie seit
den 80ern zu den
bekanntesten
Bands. 17. Album
der Gruppe um
Songwriter Joe
Camilleri.
GREYHOUND GEORGE - CLEANING
UP
Es sind Lieder, vom emotionalen Aufräumen nach dem Ende einer Beziehung,
vom Neuanfang und der Selbstbesinnung, die der Songwriter und Gitarrist
gemeinsam mit Bluesharpspieler Andy
Grünert live im Studio eingespielt hat.
Selbst die Bluesklassiker sind passend
zum Thema ausgewählt
Akustikblues von
einem der besten
Storyteller in der
deutschen Szene.
DAVID MICHAEL MILLER - POISONS
SIPPED
„Poisons Sipped“ ist ein Album zwischen
Soulblues und Kirche geworden, mit Liedern, die dazu gedacht sind, den Hörern
Kraft für ihren eigenen Kampf durchs
Leben zu schenken.
Wasser-Prawda | Juni 2014
Soulblues trifft
auf Sacred
Steele-Gitarren
P L AT T E N
JANIVA MAGNESS - ORIGINAL
Ein Neuanfang für die vielfache BluesAwards-Trägerin: Auf “Original“ zeigt
sich Janiva Magness erstmals fast nur
mit eigenen Songs zwischen Blues, Soul
und Rock.
B.B. & THE BLUES SHACKS BUSINESSMEN
B.B. & The Blues Shacks haben in
den mehr als zwei Jahrzehnten ihres
Bestehens einen Sound gefunden, der
vollkommen ihr eigener ist: elegant swingend, ab und zu von der Bluesharp aufgerauht oder von stürmischen Gitarrenlinien
vorangetrieben kommen die Songs daher
auf dieser Scheibe.
HOT DOG TAYLOR - BACK IN
BUSINESS
Juke Joint Blues im Gefolge von Hound
Dog Taylor und Elmore James spielt das
schwedische Quartett auf seinem aktuellen Album.
THE IMPELLERS - MY CERTAINITY
Auch auf ihrem zweiten Album machen die Impellers aus dem britischen
Brighton deutlich, wie man heute Funk
spielen sollte: Rauh, dreckig und direkt.
77
Stark und verletzlich:
Janiva Magness ist
zu Recht eine der
am meisten geehrten
Sängerinnen des Blues.
Wer Musiker wie James
Hunter oder „Paperboy“
Reed mag, kommt
hieran nicht vorbei!
Mit dieser Musik
bringt man jede
Kneipe zum Kochen.
Die Zutaten: Latin-Soul,
ein wenig Plastik-Funk
a la Prince, jede Menge
Frauenpower und eine
groovende Band.
Wasser-Prawda | Juni 2014
78
P L AT T E N
REZENSIO NEN A BIS Z
A
82
Morrissey - Vauxhall And I 100
Alex Usai Blues Band - Blues Tale
79
G
P
Golly - Nur Einmal 83
Planet Full of Blues - Hard Landing
90
B
B.B. & The Blues Shacks Businessmen 79
Blind Lemon Pledge - Evangeline
96
Boogie Boys - Hey You! 97
GravelRoad - The Bloody Scalp Of
Burt Merlin 83
Greyhound George - Cleaning Up
84
H
R
Rad Gumbo meets John Lee
Sanders - New Orleans Blues and
Zydeco 90
Ray Charles - King Of Cool. The
Genius of Ray Charles 101
C
Hanneke Cassel - Dot the Dragon‘s
Eyes 84
Carolyn Fe Blues Collective - Bad
Taboo 80
Hot Dog Taylor - Back In Business
85
Cold Truth - Grindstone (EP) 96
J
D
Jack White - Lazaretto 85
S
Dave Fields - All In 80
Janiva Magness - Original 85
Selwyn Birchwood - Don‘t Call No
Ambulance 92
David Michael Miller - Poisons
Sipped 96
Jarekus Singleton - Refuse To Loose
86
Steve Hill - Solo Recordings Volume
2 93
Debbie Bond & The Trudats - That
Thing Called Love 81
JariBu Afrobeat Arkestra - JariBu 86
T
John Mayall - A Special Life 87
The Black Sorrows - Certified Blue
93
Deep Purple - In Concert `72 97
Deep Purple - Made In Japan (5 CD
Deluxe Edition) 98
E
Eb Davis - The Gospel of the Blues
98
Eddie Martin - Blues Took My By
The Hand. 82
Johnny Oskam - Soul Search 87
K
Keb‘ Mo‘ - BLUESAmericana 88
L
Laura Holland Band - Smokehouse
Sessions 89
Led Zeppelin I - III 99
Eli Cook - Primitive Son 96
Lee Palmer - 60 Clicks 96
F
Lenis Guess - The Story of 100
frÄnk & HoBo - Live im Billepalast
M
Wasser-Prawda | Juni 2014
Richie Arndt - At the end of the day
91
Robert Cray Band - In My Soul 92
The Freak Fandango Orchestra Wild Goats and Useless Heroes 94
The Impellers feat. Clair Witcher My Certainity 95
V
Various - Dynamite R & B 101
Z
ZZ Top - The Very Baddest of 102
P L AT T E N
Schwächen hat das Album vor allem
in den langsameren Songs. Die sind
meiner Meinung nach zu seicht geraten („I‘m Not Wide Awake“). Und
auch die Version von „All You Need
Is Love“ wird bei ihnen schlichtweg
traurig. Ansonsten: Wieder mal ein
schönes Bluesalbum aus Italien für
diejenigen, denen Genre-Grenzen
egal sind.
Raimund Nitzsche
Alex Usai Blues Band - Blues
Tale
Aus Mailand stammt die 2008
gegründete Alex Usai Blues Band.
Mit „Blues Tale“ ist jetzt das erste
Album des Quartetts um den
ansonsten eher im Jazz bekannten
Gitarristen erschienen.
Es geht ganz traditionell swingend los: „Blues Tale“, Opener
und Titelsong ist anfangs ein schön
swingender Shuffle. Doch bei den
Soloeinlagen wird schnell klar: Hier
sind ausgewiesene Jazzmusiker zu
hören, die gerne mal die Grenzen der
Bluesharmonik verlassen, wenn sie
es für nötig halten. Und sie sind gut
darin! Willkommen in der Welt des
sogenannten „contemporary blues“:
Klassische Shuffle treffen auf FunkJazz und Verweise auf Rockmusik
und Fusion der 70er. Der 1983
geborene Alex Usai kann zwar
auch traditionelle Blueslinien spielen, doch richtig dreht er dann auf,
wenn der Blues mehr nach funkigem Jazzrock klingt („Follow Me“).
Und auch Keayboarder Alberto
Gurrisi, Ivo Barbieri am Bass und
Schlagzeuger Martino Malacrida
leben dann gehörig auf.
B.B. & The Blues Shacks Businessmen
Zwei Jahre nach „Come Along“
bringen B.B. & The Blues Shacks
ihr nächstes Studioalbum auf den
Markt. Passend zum Sommerbeginn
ist auch „Businessmen“ wieder
eine Scheibe im typischen BandUniversum zwischen Soul & Blues,
verstärkt durch fette Bläser und
Backgroundsängerinnen.
Bin ich in meiner Vorliebe für
Retro-Sounds gefangen? Immer
häufiger ertappe ich mich dabei,
gezielt nach Alben zu greifen, deren
Musik eindeutig in Jahrzehnten vor
meiner Geburt beheimatet ist: Vom
Ragtime über Swing bis hin zu swingendem Rhythm & Blues und frühem Soul und Funk reichen die
Vorlieben. Allein in den letzten
Wochen erinnere ich mich spontan
79
an fünf bis sechs Alben, die genau in
dieses Beuteschema passen.
Auch bei „Businessmen“ droht mir
keine unangenehme Überraschung.
B.B. & The Blues Shacks haben
in den mehr als zwei Jahrzehnten
ihres Bestehens einen Sound gefunden, der vollkommen Retro aber
dennoch ganz ihr eigener ist: elegant swingend, ab und zu von der
Bluesharp aufgerauht oder von stürmischen Gitarrenlinien vorangetrieben kommen die Songs daher
auf dieser Scheibe. Doch letztlich
ist diese Musik, sind diese Songs,
ebenso wenig „gestrig“, wie Serien a
la „Mad Men“ ein wirkliches Abbild
der 60er sind. Hier sind Musiker
am Werke, die sich nur konsequent
jeglicher Annäherung an den von
einigen noch immer als Zukunft
des Genres gespriesenen Bluesrock
verweigern, die mit Leib und Seele
in den alten Klangidealen eigene
Geschichten erzählen.
Wie schon auf „Come Along“ angedeutet werden in Songs wie „It Was
A Dream“ immer wieder verstärkt
die Blueswurzeln der Band offen
gelegt. Genannter Song ist sogar
feinster Chicagoblues mit rollendem
Piano und einer Harp, die keine
Wünsche offen lässt. Insgesamt ist
„Businessmen“ genau das Album,
das man sich von den Brüdern Arlt
und ihren Kollegen erwartet hat.
Ist das Zeichen ihrer künstlerischen Stagnation? Ich glaube nicht.
Das ist ein Album von Musikern,
die genau die Musik machen, die
sie am meisten lieben: Blues, Soul
und klassischen Rhythm & Blues.
Wem das zu wenig aktuell ist, hat
damit natürlich ein Problem. Alle
Wasser-Prawda | Juni 2014
80
P L AT T E N
anderen sind zum Hören, Tanzen
und Genießen eines weiteren großartigen Bluesalbums aus deutschen
Landen eingeladen. (CrossCut)
Raimund Nitzsche
im Sinn, als man sich zusammenfand. Blues ist in dieser Gruppe eher
die Einigung auf ein Feeling und
eine emotionale Ehrlichkeit und
Offenheit. Auf dem ersten Album
„Original Sin“ war die Musik eher
ein düsterer Bluesrock gewesen mit
teils sehr bösen Abrechnungen mit
der Welt und den Mitmenschen.
„Bad Taboo“ geht musikalisch
mehr in Richtung des traditionelleren Blues. So gibt es Anklänger an
Gospelblues mit deftiger Bluesharp
(„Whole Lotta Troble“) neben treibendem Bluesrock („Not Worth
The Show“). Und Carolyn Fe
kann als Sängerin auch in souligen Gefilden überzeugen. So ist
„Bad Taboo“ eine sehr gute musiCarolyn Fe Blues CollecƟve
kalische Weiterentwicklung der
- Bad Taboo
Schon mit dem Debüt „Original Sängerin und der ganzen Band. Als
Sin“ hatte die Band um die kana- Gäste finden sich auf dem Album
dische Sängerin und Schauspielerin Shun Kikuta, der letzte Gitarrist von
Caroly Fe nicht nur in ihrer Heimat Koko Taylor und Harpspieler Guy
für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Bélanger. (cdbaby)
Nathan Nörgel
zweite Album der Gruppe „Bad
Taboo“ ist wiederum eine Sammlung
von Songs, die Blues, Soul, Jazz und
Rockeinflüsse zu einem eigenen
Sound verbinden.
Die spannendsten Entwicklungen
nicht nur im Blues sondern in
der Musik überhaupt sind immer
dort zu finden, wo ganz verschiedene Einflüsse und Prägungen
aufeinander treffen. Die auf den
Philippinen geborene Sängerin und
Schauspielerin wuchs als fast einzige
Asiatin in ihrer französischsprachi- Dave Fields - All In
gen neuen Heimat in Kanada auf. Aus New York stammt Gitarrist
Und zu ihrer Band gehören Musiker Dave Fields. Und sein neues Album
aus den verschiedensten Regionen „All In“ dürfte vor allem Freunde der
der Welt. Und eigentlich niemand brillant gespielten Bluesrockgitarre
hatte da eine traditionelle Bluesband begeistern.
Wasser-Prawda | Juni 2014
Es geht gleich mal mit einem Solo
los: Die Gitarre hebt ab und singt
in den höchsten Tönen, bevor Fields
über die „Changes In My Life“ zu
singen beginnt. Hier merkt man
gleich, dass „All In“ im wesentlichen
live im Studio eingespielt wurde:
Der Druck stimmt - und solch ein
Solo braucht die Spontaneität, um
lebendig zu werden. Ergänzt werden Gitarre und Stimmer hier von
einer genau passend fetten Orgel.
Bei „Voodoo Eyes“ wird es trocken und funky. Und überhaupt
kann man bei den von Fields selbst
geschriebenen Songs hören, dass er
neben Blues und Rock eine Menge
auch für Soulmusik übrig hat - auch
wenn es hier keine fetten Bläser als
sofort ins Ohr springenden Beleg
dafür gibt.
Der Sohn des Produzenten und
Komponisten Sammy Fields hat
nach seinem Studium an der
Berklee School of Music schon
bei Produktionen von Ahmet
Ertegun mitgewirkt, arbeitete mit
Lenny Kravitz, Sean Lennon und
Aretha Franklin. Und stand mit
U2 bei „Rattle & Hum“ gemeinsam vor der Kamera. Das belegt
seine Vielseitigkeit ebenso wie die
Auswahl der zwei Coverversionen
auf dem Album: „Cross Road“
kommt bei Fields mit verzerrter
Gitarre und extrem im Tempo reduziert daher: Hier ist die Spannung
von Johnsons Song ganz auf die
innere Zerrissenheit gelegt, nicht
auf Temporekorde. Und dann gibt
es da noch seine Version von Led
Zeppelins „Black Dog“: Das wird
hier ganz auf seine stampfenden
Blueswurzeln reduziert und völlig
P L AT T E N
ohne Machotum und Rockerpose die dazu gedacht sind, den Hörern
dargeboten. Faszinierend!
Kraft für ihren eigenen Kampf
Nathan Nörgel durchs Leben zu schenken. Es geht
um den Kampf um die Liebe gegen
alle Widrigkeiten, um Verlust und
Erlösung in diesen Liedern. Um
Frauen, die „soothes like Heaven
but burns like Hell“.
Die Kraft und Leidenschaft der
Songs wird hier durch eine großartige Band unterstützt: Wenn die
Campbell Brothers ihre Pedal Steele
Gitarren spielen, dann ist man
sofort drin in der Leidenschaft des
Gottesdienstes. Das Saxophon von
Jay Moynihan unterstreicht den
Soulcharakter der Lieder.
David Michael Miller - Poisons
„Poisons Sipped“ ist eine absoSipped
lut überraschende Entdeckung im
Soulblues trifft auf Sacred Steelegegenwärtigen Blues. Das ist ein
Gitarren: Auf seinem Soloalbum
Album, das man bedenkenlos auch
„Poisons Sipped“ wurde der aus
Einsteigern in den Blues in die Hand
Buffalo stammende Songwriter und
drücken kann. Hier ist ein echter
Gitarrist David Michael Miller von
Bluesman zu erleben! (cdbaby)
den Campbell Brothers unterstützt.
Raimund Nitzsche
Herausgekommen ist eine großartige Sammlung von Songs zwischen
Gospel, Blues, Soul und Folk mit
faszinierenden Gitarren.
Der ewige Kampf zwischen Gut
und Böse, der Kampf gegen die
Widrigkeiten des Lebens - kann
man ihn glaubwürdiger hören
als in den Songs der großen
Blues- und Soulmen oder bei den
Gospelpredigern? Das weiß auch
David Michael Miller, der 2013
die westliche Region des Staates
New York bei der International Debbie Bond & The Trudats
Blues Challenge in Memphis ver- - That Thing Called Love
trat. Ob er mit seiner rauhen und Die Steigerung eines Live-Albums?
kraftvollen Stimme singt, oder in Das könnte ein ungeplantes Livedie Saiten greift: „Poisons Sipped“ Album sein, für das die Musiker
ist ein Album zwischen Soulblues nicht mal geprobt haben. Ähnlich
und Kirche geworden, mit Liedern,
81
spontan gingen Debbie Bond &
The Trudats bei der Aufnahme
ihres aktuellen Albums „That Thing
Callled Love“ vor.
In Alabama zählt Sängerin/
Gitarristin Debbie Bonds zu den
Elder Statesmen der Bluesszene.
Seit sie vor über dreißig Jahren in
den Bundesstaat gezogen war, hat sie
unter anderem mit Johnny Shines,
Eddie Kirkland, Sam Lay und Willie
King gearbeitet. Letzterer machte
sie mit dem in England aufgewachsenen Musiker Rick Asherson
bekannt. Und der klassisch ausgebildete Multiinstrumentalist ist inzwischen Bandleader ihrer Trudats, die
im April 2013 eingeladen wurden, bei der Mando Blues Show
des Senders WRFN in Nashville zu
spielen. Nachdem man die Bänder
der Sendung gehört hatte, beschloss
man spontan, daraus ein neues
Album zu machen.
Zu Hören bekommt man auf „That
Thing Called Love“ eine Mixtur aus
New Orleans Sound, groovenden
Nummern mit feinen Bluesgitarren
und Balladen, die von Bonds eindrücklicher Stimme getragen werden. Man spürt den Songs die absolute Spontaneität der Aufnahmen
ab. Und gerade das macht den
Reiz von Songs wie dem Holmes
Brothers Cover „Feed My Soul“
oder dem tollen „Steady Rolling
Man“ aus. Das ist wirklich ungekünstelte Livemusik einer tollen
Band mit einer ebenso großartigen
Frontfrau an Mikrofon und Gitarre
(cdbaby).
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Juni 2014
82
P L AT T E N
und Verlust ebenso wie humorvolle
Kommentare über die Welt und die
Menschen. Dieses Album ist eine
gute Möglichkeit, einen der wirklich faszinierenden Songwriter aus
dem Vereinigten Königreich neu zu
entdecken.
Raimund Nitzsche
Eddie MarƟn - Blues Took My
By The Hand. Volume 1:
AcousƟc Sessions
Nach 25 Jahren und 13 Alben hat der
britische Gitarrist und Songwriter
Eddie Martin beschlossen, einen
zweiteiligen Karriererückblick zu
veröffentlichen. Der erste Teil von
„Blues Took Me By The Hand“ widmet sich dem Akustikblues in verschiedenen Besetzungen. Später
im Jahr soll als Teil 2 der elektrische Eddie Martin zusammengefasst
werden.
Los geht es mit Ragtime-Blues: Der
Blues, der Eddie Martin schon als
Jugendlicher bei der Hand nahm, ist
kein Blues der tiefen Verzweiflung.
Dagegen spricht nicht nur das witzige Picking des Gitarristen sondern
auch das von Paddy Milner aufs
feinste gespielte Klavier. - Ob nun
in kleiner Bandbesetzung oder als
Solist mit Gitarre und Bluesharp:,
ob mit Briten oder Musikern aus
Chicago: Eddie Martin hat im Laufe
seiner Karriere eine Menge Songs
geschrieben und aufgenommen, die
mal nach dem Mississippi-Delta,
mal nach der Ostküste klingen. Es
sind persönliche Lieder, von Liebe
Wasser-Prawda | Juni 2014
frÄnk & HoBo - Live im
Billepalast
Bluesharpspieler Holger „HoBo“
Daub fiel mir erstmals auf, als
er gemeinsam mit dem dänischen Songwriter Tim Lothar zur
International Blues Challenge reiste
und kurz vorher auf die Schnelle
das gemeinsame Album „Blues
From the North“ veröffentlichte.
Schon 2013 kam das gemeinsam
mit dem Berliner Songwriter frÄnk
aufgenommene Album „Live im
Billepalast“ heraus: Zwei Männer,
eine Gitarre, eine Harp und Songs
zwischen melancholischen Balladen
und Wut.
Eigentlich sollte man das nicht
machen, aber ich fang trotzdem
so an: HoBo ist ein faszinierender Harpspieler, der mit voller
Leidenschaft bei der Sache ist. Und
er zählt zu den Instrumentalisten, die
sich auf die verschiedensten Partner
schnell einstellen kann. Selbst gegen
den überlauten Bluesrock von Mike
Seebers Gitarre kann sich seine
Harp durchsetzen und damit den
für meine Ohren oft eintönigen
Songs entscheidende Akzente verleihen. Auch bei „Live im Billepalast“
ist er es vor allem, der mir sofort ins
Ohr geht und darin bleibt.
Denn Stimme und Gitarre von
frÄnk sind wesentlich spröder und
erschließen die Songs nicht sofort.
Doch spätestens beim zweiten
Hören war ich von Songs wie „Step
By Step“ oder „Don‘t Tell Me About
Your Troubles“ ergriffen: Auch wenn
frÄnk beileibe nicht das hat, was
man als große oder wandlungsfähige Stimme bezeichnen würde.
Und auch seine Gitarre ist fernab
jeder aufgesetzten Virtuosität: Doch
seine Leidenschaft, seine Wut und
Melancholie sind grade so besonders
eindrücklich. (100000 km).
Raimund Nitzsche
Georg Schroeter & Marc
Breiƞelder - Live 18. Dixieland
Jamboree
Gemeinsam mit Schlagzeuger
Tim Engel spielten Schroeter &
Breitfelder im Januar 2014 bei
P L AT T E N
den drei Konzerten der Dixieland
Jamboree in Ludwigsburg. Der auf
der Homepage der Musiker erhältliche Mitschnitt bringt die bekannten
Songs des Duos vor einem begeisterten Publikum in fantastischem
Sound zu Gehör.
Normalerweise stellt man sich LiveAlben von Bluesmusikern ja immer
als Mitschnitte von Club-Gigs
oder großen Festivalsbühnen vor.
Allerdings ist da die Klangqualität
auf Grund der Räumlichkeiten oft
nicht so durchsichtig, wie man es
sich wünschen würde. Der Festsaal
der Ludwigsburger Waldorfschule
hat eine Akustik, die eher an
Sinfoniekonzerte erinnert. Und
damit kommen Piano und Bluesharp
hier in einer Klarheit rüber, die
verblüffend ist: Noch nie (ob auf
Platte oder im Konzert) konnte
ich den Feinheiten von Breitfelders
Harpexkursionen so aufmerksam
folgen, wie auf diesem Album. Und
auch das Zusammenspiel der drei
Musiker und die Interaktion mit
dem Publikum wird fast überdeutlich korrekt abgebildet: Manchem
Hörer mag das schon zuviel an realistischer Klangreproduktion sein gerade für ein Blueskonzert. Aber für
mich ist dieses Album ein absoluter
Glücksfall für Freunde des virtuosen Boogies: Schroeter & Breitfelder
zelebrieren ihre eigenen Songs und
Stücke von den Klassikern des
Genres ebenso wie von CCR. Und
zum Abschluss kommen die zwei
Höhepunkte des Albums: „Shake
Your Boogie“ und das umwerfend
großartige „Amazing/Amazing
Graze“.
Eine eindeutige Empfehlung für
83
Fans von Boogie Woogie und einer
virtuos gespielten Bluesharp.
Raimund Nitzsche
GravelRoad - The Bloody Scalp
Of Burt Merlin
Golly - Nur Einmal
Funkpop mit deutschen Texten:
Golly haben mit „Nur einmal“
ein gutes Party-Album für den
Studentenkeller vorgelegt.
Die Bässe sind fett, die Bläser haben
genau den richtigen Druck. Und
mit jungenhafter Unschuld singt
Vincent Golly Lieder über Parties,
die Sehnsucht nach schönem Wetter
und Verliebtheit.
Wer jetzt nach großen Botschaften
sucht, wird sie nicht finden.
Aber Spaß machen Songs wie
„Widerstehen“, „Lass die Sonne
Rein“ oder „Schwindlig“ mit ihrer
Mixtur aus dem Funk der 70er
und deutschem Indiepop auf jeden
Fall. Und live dürfte die Post noch
wesentlich mehr abgehen. Denn im
Studio wirken manche Songs doch
ein wenig abgebremst. Popmusik
passend für die Jahreszeit! (timezone)
Nathan Nörgel
Wer jemals ein Konzert von
GravelRoad erlebt hat, der weiß,
dass hier nicht die klischeemäßigen
Bluesrocker am Werke sind. Auch
ihr 2013 erschienenes Album „The
Bloody Scalp of Burt Merlin“ ist
meilenweit entfernt von der gelackten Virtuosität vieler Gitarrenhelden
und taucht dafür ganz tief ein in die
hypnotischen Grooves des Juke Joint
Blues im nördlichen Mississippi.
Manche fühlen sich veranlasst, hier
die Verbindung zwischen Blues und
dem Rock der frühen Black Sabbath
zu sehen. Andere denken an
Captain Beefheart. Aber eigentlich
gilt hier die These: It‘s Only Rock &
Roll - oder besser gesagt: Bluesrock.
Rauh, voll auf die Zwölf, laut, dreckig und gemein. Die Gitarre von
Stefan Zillioux ist strikt in Open
G gestimmt und jagt durch die
Bluesgefilde. Das Schlagzeug von
Martin Reinsel legt hypnotischtreibende Rhythmen, die mehr nach
Voodoo-Drums klingen als nach
Heavy Metal und wird dabei stoisch unterstützt vom Bass von John
„Kirby“ Newman.
Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
„The Bloody Scalp Of Burt Merlin“
geht deftig los mit Nummern wie
dem Opener „The Run“ oder dem
punkigen „Med Pass!“. Andere
Songs sind dann eher dem Blues
des North Mississippi verbunden,
den das Trio mit T-Model Ford
gespielt hat. Und überraschenderweise kommt ganz zum Schluss der
Albums sogar noch ein Ausflug in
den Country („Bring Me Back“).
Das ist nicht die Musik für den gelegentlichen Blueshörer, der Alben
von Keb‘ Mo‘ und Robert Cray
neben Popjazz und ähnlicher Musik
für Zahnarztfrauen einsortiert hat.
Aber GravelRoad kann mit diesem
Album sicherlich auch unter jungen
Metalfans einige Zuhörer gewinnen.
So deftig, wie diese Band drauflosrockt, ohne jemals den Blues komplett zu verleugnen, stehen die drei
Musiker aus Seattle in der Szene einzigartig da. Und das Gute ist: Schon
im Herbst kommt das nächste
Album raus.
Nathan Nörgel
Greyhound George - Cleaning
Up
Es gibt Momente, wo man um
einen Großputz nicht mehr herum
Wasser-Prawda | Juni 2014
kommt. Das hat weniger mit dem
ritualisierten Frühjahrsputz oder
der schwäbischen Kehrwoche zu
tun. Jedenfalls nicht in den Liedern,
die Greyhound George auf seinem
neuen Album versammelt hat.
Es sind Lieder, vom emotionalen Aufräumen nach dem Ende
einer Beziehung, vom Neuanfang
und der Selbstbesinnung, die der
Songwriter und Gitarrist gemeinsam mit Bluesharpspieler Andy
Grünert live im Studio eingespielt
hat. Selbst die Bluesklassiker sind
passend zum Thema ausgewählt.
Doch wer hier nur tieftraurige
Melancholie erwartet, sieht sich
getäuscht. Denn bei allem hat
Greyhound George seinen humorvollen Blick auf die Welt nicht
verloren. Und gerade der macht
für mich noch mehr als das variable Gitarrenspiel das Besondere an
den Liedern des Bielefelders aus.
Ob er über Frauen singt, die süß
wie künstlicher Süßstoff sind, oder
ohne zu sehr auf die Tränendrüsen
zu drücken sein „Good Year For The
Blues“ Revue passieren lässt: Das ist
der alte Blues, der hier ganz in der
persönlichen Gegenwart angekommen ist.
Wer akustischen Blues mag, wird
an dieser Scheibe auf jeden Fall seinen Spaß haben. Alle anderen sollten zumindest mal reinhören bei
einem der Konzerte, die Greyhound
George im Sommer auch mal wieder
in Vorpommern geben wird.
Raimund Nitzsche
Hanneke Cassel - Dot the
Dragon‘s Eyes
Im Spiel der in Boston ansässigen
Geigerin Hanneke Cassel treffen
die Traditionen Schottlands und der
Bretagne auf texanischen Urcountry.
Ihr neues Album „Dot The Dragon‘s
Eyes“ enthält tanzbare Songs, die die
Musikerin zumeist für Hochzeiten
von Freunden komponiert hatte.
Wenn eine Musikerin allein mit
ihrem Instrument Geschichten
erzählt, deren Bilder man unwillkürlich vor Augen sieht, dann ist
das die ganz große Kunst. In den
Songs von Hanneke Cassel tauchen vor meinen Augen nicht nur
romantisch tanzende Paare auf. In
Stücken wie „The Marathon“ verarbeitet sie etwa den Bombenanschlag
auf den Boston Marathon. In anderen Stücken kann man musikalische Splitter aus Afrika erahnen, wo
Cassel mit Straßenkindern gearbeitet hat oder aus China, wo sie häufig unterrichtete. So entstehen beim
Hören bunte und bei aller zuweilen aufscheinenden Tragik und
Melancholie heitere und optimistische Bilder von einer Welt, wie sie
sein könnte und sollte. Faszinierend
P L AT T E N
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und empfehlenswert für Freunde mungslosen Abfeiern bringen: Hier
der keltischen Folklore. (cdbaby)
wird der Blues nicht glattgefeilt oder
Nathan Nörgel stromlinienförmig rundgelutscht.
Die vier Spielen ohne Handbremse
drauflos und haben dabei ebenso viel
Spaß wie der Zuhörer. Vorausgesetzt
natürlich, er hat für Blues was übrig.
Eine tolle Neuentdeckung!
Raimund Nitzsche
Hot Dog Taylor - Back In
Business
Der Name des schwedischen
Quartetts gibt schon einen kleinen
Hinweis auf deren Musik: Rauh
und rockig gespielter Blues in der
Nachfolge von Hound Dog Taylor,
Elmore James oder Jimmy Reed.
Wahrscheinlich hat sich Alligator
Records den Slogan „Genuin
Houserockin Music“ schützen lassen. Ansonsten könnte man das Label
getrost auch an Peter Gustavsson
(g, harp, voc), Lars Andersson (bg,
b-voc), Mikael Kähäri (g, b-voc)
und Schlagzeuger Lennart Karlsson
vergeben. Vom ersten Lachen auf
dem ziemlich live im Studio aufgenommenen Album an geht es voll
zur Sache. Songs der erwähnten
Vorbilder wechseln (ohne dass ein
Qualitätsunterschied deutlich werden würde) ab mit eigenen Stücken
und einer absolut großartig-durchgeknallten Fassung von „She‘ll be
coming round the mountain“.
Juke Joint Blues nennen die Musiker
ihren Stil. Und wirklich könnte man
damit jede Kaschemme zum hem-
Stepper“ auf Country, Bluegrass
und Reggae - und oftmals wechseln
die Stile selbst innerhalb des gleichen Songs hin und zurück. Wie in
einem unter Quarantäne stehenden
Schiff (die andere Wortbedeutung
des Albumtitels) werden die Stile
auf engstem Raum miteinander
auf Kollisionskurs geschickt. Und
als Ergebnis kommen dann so faszinierende Songs wie die CountryNummer „Temporary Ground“, der
machohaft dahinrockende Opener
„Three Women“ oder „Just One
Drink“ heraus.
„Lazaretto“ kann man eines nicht
vorwerfen: Langweiligkeit. Hier ist
einer der faszinierendsten Musiker
derzeit mit einer überbordenden
musikalischen Fantasie zu erleben.
Ist das die Zukunft des Rock & Roll?
Wahrscheinlich nicht. Aber wer darauf wartet, verpasst die Gegenwart.
Jack White - LazareƩo
(Third Man Records)
Bluegrass und Bluesrock, Led
Nathan Nörgel
Zeppelin, Reeggae und Popsounds
- Jack Whites neues Soloalbum
ist ein Beleg für seine musikalische Vielseitigkeit. Oder sollte
man sagen: Sprunghaftigkeit? Auf
jeden Fall ist „Lazaretto“ eines der
interessantesten Rockalben der
Sommersaison geworden.
Man könnte sich an die Alben
der White Stripes erinnert fühlen: Anders als beim Vorgänger
Blunderbuss ist Jack White wieder
bei den alten Versuchen angekomJaniva Magness - Original
men, sämtliche möglichen Sounds
Einen Neuanfang vollzieht Sängerin
zu einer zeitgemäßen Pop- und
und Songwriterin Janiva Magness
Rockmusik zu vereinen, die denmit ihrem neuen Album. „Original“
noch nie ihr Fundament im Blues
erscheint unabhängig von Alligator
vermissen lassen. Da treffen Riffs a
Records und beinhaltet Lieder zwila Led Zeppelin wie im Titelsong
schen Rock, Blues und Soul, die
oder dem Instrumental „High Ball
Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
Magness zum Großteil mitverfasst
hat.
Anfangs könnte man an einen zeitgenössischen RnB-Song denken. Da
ist diese Stimme in einem verhallten
Raum, ein klickender Rhythmus.
Doch wenn die Gitarre ihre klaren Linien zu zeichnen beginnt, ist
die Blueser-Seele beruhigt: Nein,
Janiva Magness macht jetzt keinen
auf Popdiva. Ganz im Gegenteil:
„When You Were My King“, eine
schmerzliche Ballade über eine
zerbrochene Beziehung lässt uns
eine fast schmerzhaft verletzliche
Sängerin hören. Da helfen auch die
Backgroundchöre nichts: Hier singt
eine Frau von ihren Schmerzen,
vom Neubeginn - und von der
noch immer vorhandenen Leere im
Leben. Spätestens seit „Stronger for
it“, eigentlich schon bei „The Devil
Is An Angel Too“ wurde Janiva
Magness immer persönlicher und
verletzlicher in ihrem Gesang. Der
Schritt, sich dabei jetzt fast komplett auf eigene Songs zu verlassen,
ist da nur konsequent. Und diese
Ballade ist ein gutes Beispiel dafür,
wie weit Magness bei „Original“ zu
gehen bereit war. Auch „Mountain“
ist so ein Lied, wo man den Schmerz
fast körperlich nachfühlen kann.
Intensiver geht es kaum noch.
Andere Songs sind nicht so schmerzhaft schön, sie sind eingängiger aber
nicht weniger treffend. Etwa das
deftige „I Need A Man“ mit seinem Juke-Joint Groove: Es gibt keinen Grund, trübsinnig in der Ecke
zu sitzen oder gar alleine zu bleiben. Oder „Twice As Strong“, eine
soulige Hymne zum Mutmachen
unter Frauen, das rockende „Who
Wasser-Prawda | Juni 2014
Singleton etwa in „Purposely“ loslegt, merkt man die Eigenständigkeit
des Musikers. Jenseits der stur
gespielten 12-Takte-Shuffles ist das
eine Musik, die den Blues auf seine
emotionale Ehrlichkeit zurückführt und nebenbei sämtliche interessanten Einflüsse einbezieht.
„Crime Scene“ etwa ist Soulblues
voller Spannung. Der Opener/
Titelsong ist für mich einer der
besten Bluesrocksongs der letzten
Zeit. Und wenn „Hell“ mit seinem
düsteren Orgelteppich und der verzweifelt den Schönklang fliehenden
Gitarre losgeht, könnten sich manche auch an langsamere Nummern
von Gary Moore erinnert fühlen.
Für mich liegt in Musikern wie
Singleton viel eher die Zukunft
des Blues als bei denen, die aus
Modernitätsgründen aber ohne
eigentlichen Plan versuchen, einen
auf Prince zu machen oder einfach den ausgetretenen Pfaden
des Bluesrock folgen.(Alligator/
Jarekus Singleton - Refuse To
in-akustik)
Loose
Raimund Nitzsche
Mit neun Jahren fing er als Bassist in
der Kirchenband seines Großvaters
zu spielen an, später wollte er eigentlich Basketballer werden. Heute ist
der 1984 geborene Gitarrist und
Songwriter Jarkus Singleton mit
seiner Mixtur aus Blues, Soul und
Hiphop eine der interessantesten
Neuentdeckungen in der amerikanischen Szene. Mit seinem zweiten
Album „Refuse To Loose“ ist er bei
Alligator untergekommen.
Wenn diese Gitarre zu singen
beginnt, dann kann man natürlich
die großen Vorbilder zwischen den JariBu Afrobeat Arkestra drei Kings und Stevie Ray Vaughan JariBu
hören. Doch in der Intensität, wie Schon mit ihrem erstmals interAre You“.
Als Sängerin mit einer unwahrscheinlich berührenden Stimme ist
Janiva Magness im Laufe der Jahre
immer bekannter und beliebter
geworden. Jetzt ist hier die großartige Möglichkeit, sie als wirklich gute Songwriterin zu erleben,
die sich um Genregrenzen nicht
mehr schert. „Original“ - eine große
Kaufempfehlung, ein tolles Album!
Raimund Nitzsche
P L AT T E N
national vertriebenen Album
„Mediacracy“ hatte das japanische
JariBu Afrobeat Arkestra deutlich
gemacht, dass für sie die Sounds aus
Westafrika keine modische Zutat
zu gefälliger Popmusik sind. Auch
„JariBu“ ist wieder ein Album, wo
Afrobeat nicht nur zum Tanzen sondern auch zum Nachdenken einlädt.
Endlos schieben sich Rhythmen
übereinander und ineinander, werden zu einem Groove, der sich
unwillkürlich auf den Hörer überträgt. Dazu gibt es trockene Linien
von einer Gitarre, die auch bei
Funkbands der frühen 70er gut
angekommen wäre. Die Bläser (vom
Saxophon über Querflöte bis hin zur
Trompete) schlagen eine Brücke
hin zum Jazz (auch eher aus den
70ern). Dieser Afrobeat ist bei der
Betrachtung der Zutaten ziemlich
weit entfernt von Fela Kuti und seinen Kollegen. Und doch ist es nicht
nur der Groove, der hier als Beleg
gilt. Es ist vor allem die Einstellung,
dass Musik nicht nur tanzbar sein
sollte, sondern gleichzeitig auch
Futter zum Nachdenken bieten
kann. Hier geht es um verborgene
Wahrheiten, um Bomben oder auch
darum, Zeuge von Veränderungen
zu sein.
Das hier ist ein Album, das selbst bei
mich Jazz-Muffel auf die Tanzfläche
bekommt. Dieser Blick auf Afrika
aus japanischer Perspektive macht
einfach Spaß. (Tramp)
Nathan Nörgel
John Mayall - A Special Life
Mit 80 Jahren scheint John Mayall
noch längst nicht an den Ruhestand
zu denken. Unermüdlich ist er auch
fünf Jahre nach Auflösung seiner
Bluesbreakers auf Tour. Und kurz
vor dem Geburtstag nahm er „A
Special Life“ auf, ein kraftvolles
und fast jugendlich zu nennendes
Album.
Der Kreuzzug für den Blues hat
John Mayall schon durch so ziemlich alle Spielarten dieses Genres
geführt. Sein neues Album beginnt
in Louisiana. Für „Why Did You
Go Last Night“ kam C.J. Chenier
mit seinem Akkordeon ins Studio,
um den von seinem Vater Clifton
Chenier geschriebenen Song mit
der nötigen Dosis Zydeco zu verfeinern. Auch mit dem zweiten
Song, Sonny Landreths „Speak Of
The Devil“ bleibt man zumindest
geografisch in der gleichen Gegend.
Bei Mayall wird daraus aber eher
eine Bluesrocknummer, als ein
Swampblues. Auch Songs von Albert
King („Flooding In California“),
Eddie Taylor („Big Town Playboy“)
und anderen Künstlern finden sich
auf dem Album. Mayall wechselt
87
zwischen Gitarre, Bluesharp und
Orgel - und wird ansonsten von seiner derzeitigen Band mit Gitarrist
Rocky Athas, Bassist Greg Rzab und
Schlagzeuger mehr als überzeugend
begleitet.
Eigene Stücke sind - wie eigentlich
meist in den letzten Jahrzehnte bei
Mayall - eher die Ausnahme. Auf „A
Special Life“ findet sich beispielsweise der musikalisch zurückhaltende, aber textlich reichlich bissige
Kommentar „World Gone Crazy“
- und auch eine Neueinspielung
seines Songs „Hearache“, der sich
schon auf dem 1965 erschienenen
Album „John Mayall Playes John
Mayall“ findet.
Insgesamt ist Mayall wieder ein
absolut überzeugendes Album
gelungen. Lange hatte ich keine
aktuellen Veröffentlichungen von
ihm mehr verfolgt, weil sie sich für
mich zeitweise zu banal und beliebig anhörten. Das ist auf jeden Fall
vorbei!
Raimund Nitzsche
Johnny Oskam - Soul Search
Der kalifornische Gitarrist Johnny
Oskam mag erst 22 Jahre sein. Doch
das hört man seinem Debütalbum
Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
nur selten an. Sein Bluesrock setzt
nicht auf Geschwindigkeit und
stolz gezeigte technische Brillianz
sondern auf Feeling und glaubhafte
Geschichten.
Oh diese Zeit der Jugend mit ihrer
blinden Sehnsucht nach Liebe!
Oskam hat mit „Can‘t Be Alone“
eine Flut Erinnerungen ausgelöst.
Viele der Songs auf dem Album
drehen sich naturgemäß um die
Liebe. Und sie kommen daher mit
einer sympathischen Naivität, die
ihre große Stärke ist. Man überhört manche kleineren Hacken in
ihnen gerne und freut sich statt dessen daran, dass hier jemand wirklich sein Herz auf der Zunge und
in den Fingern auf den Saiten offenbart. Und nimmt wahr, dass die
Instrumentierung immer wieder
für Abwechslung sorgt: Mal werden die Stücke vom Kontrast zwischen Gitarre und Keyboards getragen, mal kommen noch Bläser und
Sängerinnen hinzu. Alles nicht
spektaktulär aber äußerst angenehm
zu hören. Andere Stücke auf „Soul
Search“ rocken auch deftig nach
vorne („Fuel My Heart“, „Human
Genocide“).
Deutlichste Schwächen? Gerade
wenn sich Oskam politischen/gesellschaftlichen Themen widmet wie
in „Human Genocide“, wirken die
Texte noch recht platt und plakativ. Das ist auch ein Zeichen und
Vorrecht der Jugend. Auch sind die
Lieder zum größten Teil mit deutlich mehr als fünf bis über acht
Minuten zu lang, um die ganze
Zeit ihre Spannung halten zu können. Ansonsten: Daumen hoch! Das
Album ist ein Debüt was neugierig
Wasser-Prawda | Juni 2014
macht. (cdbaby)
Nathan Nörgel
Keb‘ Mo‘ - BLUESAmericana
Bei Keb‘ Mo‘ kann man sicher
sein, was man bekommt: Sanfte
Bluessongs voller Wärme zwischen
New Orleans, Texas und einem warmen Strand in der Karibik. Seine
Songs beißen nicht, man könnte sie
gut als Hintergrund in einem schicken Latte Macchiato Laden laufen
lassen. Doch dabei würden einem
einige wirklich gute Songs durch die
Lappen gehen.
Ich geb es gerne zu: Ich hab früher den Songwriter Keb‘ Mo‘ gerne
mal verächtlich als Bluesman für
Schwiegermütter bezeichnet: Zu
easy goin, oftmals zu dicht an oder
jenseits der Kitsch-Grenze. Nach
einem Song wie „The Worst Is Yet
To Come“ muss ich mich hier wirklich mal entschuldigen:
Was Keb‘ Mo‘ hier mit kurzen Strichen malt, ist eine
Bluesgeschichte, wie man sie kaum
besser erzählen kann: Erst wacht
man auf der falschen Seite des Bettes
auf am Morgen, kein Frühstück,
nichts zum Mittagessen - dafür
kommt die Kündigung, weil die
Fabrik schließt. Und immer dieses
Gefühl: Das Schlimmste kommt
noch. Auf dem Weg nach Hause
gibt das Auto den Geist auf. Klar
scheint die Sonne. Aber die Frau hat
die Wohnung leergeräumt und nur
der Hund hat zum Abschied noch
auf den Boden geschissen. Selbst die
Wanzen machen sich davon. Aber
das Schlimmmste, kommt sicherlich
noch! - Großartiger Song, locker
flockig gespielt mit Colin Linden
an der Mandoline und Mo‘ am
Banjo, mit Gospelorgel und einem
Rhythmusteppich von Schlagzeug
und dem Klatschen des Chores. Das
ist eindeutig ein Meisterwerk!
Auch andere Lieder auf dem Album
haben mich gehörig überrascht. Bei
dem von Jimmy Rogers geschriebenen „That‘s Allright“ (nicht zu verwechseln mit dem Elvis Hit von
Arthur Crudup!) vertieft er sich
richtig in den betrogenen Ehemann,
der nicht in die Wohnung darf, weil
sie grad mit einem Anderen das Bett
zum Einsturz bringt: Well, there’s
one thing certain woman, without a
doubt, If I can’t come in, that sucker
sure better not come out” Dazu ein
eine stoische E-Gitarre und ein
drohendes Schlagzeug von Steve
Jordan. Beim Slide-Solo wird trotz
der scheinbaren Harmonie deutlich: hier ist jemand wirklich kurz
davor, zuzuschlagen. Gleich hinterher dann ein Ausflug in den klassischen Jazz von New Orleans: „Better
Me“ ist die fröhliche Absage an die
Hochzeit, weil er das alte Ich besser
mochte, als das, was die Frau seines
Lebens aus ihm gemacht hat: Du
magst den Gentleman, doch ich find
den Typen besser, der Party machte
P L AT T E N
nächtelang und einfach mehr Spaß
am Leben hatte.
Ganz ohne Kitsch kommt auch
diese Scheibe nicht aus - doch
BLUESAmericana ist für mich
das Beste, was ich von diesem
Songwriter gehört habe!
Raimund Nitzsche
werden mit sattem Bläsersatz interpretiert und bieten auf Albumlänge
eine tolle Rhythm & Bluesparty
mit einer bemerkenswerten
Sängerin. Noch neugieriger bin
ich jetzt allerdings auf die eigenen
Songs der Laura Holland Band,
die zur Zeit produziert werden.
Die „Smokehouse Sessions“ sind
mehr eine schöne Ansichts- bzw.
Visitenkarte. Das eigentliche Werk
steht für mich noch aus!
Nathan Nörgel
Laura Holland Band Smokehouse Sessions
In London zählt Sängerin Laura
Holland zu den aufstrebenden
Sängerinnen der traditionellen
Blues- und Soulszene. Noch bevor
im Herbst das erste Album mit eigenen Songs erscheinen wird, hat die
siebeköpfige Band der Sängerin ein
Album mit Klassikern zwischen
Chess, Stax-Sounds und dem britischen Blues der 60er veröffentlicht.
Das Coverfoto kann ein wenig an
Amy Winehouse erinnern - doch
die Stimme von Laura Holland hat
nichts von der gebrochenen Tragik
der verstorbenen Diva. Sie erinnert in manchen Momenten eher
Angeline Ball oder Maria Doyle
Kennedy von den Comittements. In
anderen auch an Christine Perfect,
als sie noch bei Chicken Shack war.
Songs von Willie Dixon und Ray
Charles bis hin zu Fleetwood Mac
LiƩle Mike & The Tornadoes All The Right Moves
„All The Right Moves“* bringt nach
einer kurzen musikalischen Pause
Little Mike Markowitz, Gitarrist
Tony O.Melio, Bassist Brad Vickers
und Schlagzeuger Rob Piazza wieder zusammen. Die Band hatte
seit ihrer Gründung in den späten
70ern zusammengespielt. Sie waren
die Band der Wahl, wenn tourende
Blues-Berühmtheiten für Konzerte
nach New York City kamen. Und
sie waren mit Leuten wie Hubert
Sumlin, James Cotton, Pinetop
Perkins und Jimmy Rogers auf Tour.
„All The Right Moves“ ist ein
*
89
höchst erfreuliches Bluesalbum
mit einem Sound, der den klassischen Chicagoblues der 1950er in
Erinnerung ruft. Mike Markowitz
singt die ganze Zeit mit sicherer
Phrasierung und spielt meisterlich auf der Harmonika, immer
geschmackvoll und niemals zu dominierend. Der Titelsong zeigt seine
Fähigkeiten auf der Harmonika
wunderbar; dabei überdeckt er niemals die anderen Instrumente. Die
Gitarre ist durchgängig sehr cool,
sehr retro und niemals langweilig.
Die Lieder, alle Originale, sind eine
tolle Sammlung von Bluessongs,
bei denen man sich fühlt, als würde
man sie schon kennen, aber man
freut sich darauf, sie erneut zu
hören. Und dann gibt es in einigen
Stücken auch noch ein tolles BluesPiano von Jim McKaba mit interessanten Zwiegesprächen zwischen
Klavier und Gitarre, etwa in „Since
My Mother‘s Been Gone“. Das hat
ein wunderschönes 60s Feeling und
man hört es am besten spätnachts in
einem dunklen Raum.
Vom eröffnenden „Hard Hard Way“
- das einem mit seinem HoochieCoochie-Man-Feeling sofort gefangen nimmt - durch alle 13 Songs
und dem abschließenden „Close To
My Baby“, eine pulsierende, altertümliche 12-Takte-Nummer, haben
uns Little Mike & The Tornadoes
ein grandioses, reduziertes, klassisches Album mit Chicagoblues
gegeben, das dieses Jahr auf dem
Wunschzettel jedes Bluesfans stehen sollte.
Gary Burnett
English version on page
Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
Ole Frimer Band - Blålys
In Dänemark gehört Sänger und
Gitarrist Ole Frimer seit seiner Zeit
mit Blue Junction in den 1980ern
zu den bekannten Namen der
Bluesszene. Mit seiner neuen Band,
zu der unter anderem der phänomenale Hammondspieler Palle Hjorth
gehört, hat er einen Stil zwischen
Blues, Jazz und Fusion gefunden.
Die Gitarre klingt mal nach Clapton,
dann wieder nach Albert Collins
oder auch nach den progressiven
Linien von Jeff Beck: Es ist klar,
dass Ole Frimer seinen ganz eigenen
lyrischen Gitarrenstil gefunden hat.
Doch immer dann, wenn die Musik
sich in lyrischem Schönklang zu verlieren droht, kommen Kommentare
von der Hammondorgel: Gerade
im Konzert ist das spannungsreiche Miteinander von Frimer
und Organist Palle Hjorth großartig anzuhören und anzusehen.
Auch Bassist Jesper Bylling und
Schlagzeuger Claus Daugaard merkt
man die lange Erfahrung im Jazz
an, die diese Band aus den sonstigen Bluesrocktruppen heraushebt.
„Blålys“ ist ein komplett in dänisch
gesungenes Album mit zehn zumeist
sehr lyrischen Nummern. Leider
Wasser-Prawda | Juni 2014
verlieren sich die Songs zuweilen doch in Langatmigkeit. Und
im Studio herrschte anders als im
Konzert doch eine etwas strengere
Disziplin: Zu selten kommen die
aufmunternden und ironisierenden
Kommentare des Organsisten zum
Tragen. So ist das ein ruhiges Album
für die späteren Abendstunden
geworden, was einen zu selten mit
unerwarteten Wendungen aus dem
Träumen herausholt.
Raimund Nitzsche
den Blueswurzeln genügend Raum
zur Entfaltung. Und in Songs
wie „Mashed Potatoe & Gravy“
oder „Big Mouth“ wird auch ein
Humor deutlich, der den meisten
Bluesrockern eher abgeht.
Musikalisch wird hier das Genre
natürlich nicht neu erfunden.
Man hört die davontreibenden
Rocker, gefühlvolle Slide-Gitarren,
Anklänge an den Folk-Rock der
Byrds und auch an Grateful Dead.
Da das Trio zwei Leadsänger
und auch zwei Songwriter hat,
kommt hier keine Eintönigkeit
auf. Eine Hörempfehlung für
Bluesrockfreunde!
Nathan Nörgel
Planet Full of Blues - Hard
Landing
Aus Virginia kommt das Trio Planet
Full of Blues. Auf ihrem zweiten
Album „Hard Landing“ zelebrieren Johnny Ray Light (g, voc), Ron
Dameron (dr) und Brock Howe (dr,
voc) ziemlich klassischen Bluesrock.
Spontan der Gedanke: Nicht
noch ein selbsternanntes „PowerTrio“! Doch damit hätte ich „Hard
Landing“ Unrecht getan. Denn
das Trio mit zwei Leadsängern ist
glücklicherweise meist nicht auf
den Spuren von Cream oder der
Jimi Hendrix Experience unterwegs sondern lässt in den sämtlich selbst geschriebenen Songs
Rad Gumbo meets John Lee
Sanders - New Orleans Blues
and Zydeco
Brandneu und praktisch gerade
noch unveröffentlicht ist die CD
„Rad Gumbo meets John Lee
Sanders“ mit New Orleans Blues
und Zydeco. Damit sind auch
schon die Hauptakteure und Inhalt
der CD benannt. Rad Gumbo ist
eine Ingolstädter (der Sänger Robert
„Dackel“ Hirmer legt Wert auf
seine Vohburger Roots) Formation
P L AT T E N
mit dem gerade erwähnten Robert
„Dackel“ Hirmer am Akkordeon,
Erwin Schmidt am Bass, Gerhard
Spreng an den Drums und Frank
Folgmann an der Gitarre. Ihr Partner
John Lee Sanders ist ein weitere hervorragender Sänger im Stil von Dr.
John, der auch am Keyboard und
Saxophon die Band ergänzt. Rad
Gumbo ist dem Zydeco und zwangsläufig auch dem New Orleans Blues
verschrieben. John Lee Sanders ist
ein gefragter Sessionmusiker und
weist eine lange Liste von musikalischen Stars an seine Seite auf.
Zusammen sind Sanders ist Rad
Gumbo seit 2013 auf Festivals und
Tourneen zusammen. Während
einer Auftrittsreihe in Kroatien entstand dieses Album im Kassandra
Studio in Tugonica. Jetzt im Juni
waren sie zur Unterstützung von
Zakiya Hooker und Chris James
auf Tour unterwegs.
Für diejenigen, für die Zydeco
musikalisches Neuland ist, sei kurz
zusammengefasst: Zydeco stammt
aus dem Süden der USA, genauer
aus Louisiana und verbindet Cajun
mit afroamerikanischer Musik. Die
Sprache ist meist englisch, kann aber
auch französisch sein und verwendet das Akkordeon als signifikantestes Instrument. Rad Gumbo ist ein
Südstaatengericht und wie „Robert
„Dackel“ Hirmer mir erzählte, sehr
scharf gewürzt, wobei „Rad“ mehr
von „radical“ als von „red“ kommt.
Damit sind alle Ingredienzien dieses musikalischen Eintopfs beschrieben: Scharfe, authentische ZydecoMusik, rhythmisch, schnell und
zwischendurch bluesig. Die
Kombination von Rad Gumbo mit
dem Groove-Meister aus Louisiana
Sanders brachte ein tolle CD zum
Vorschein, die jetzt erst auf den
Markt kommt. Es sind 10 Stücke
auf der CD zu finden, wobei 6 aus
der Feder von John Lee Sanders oder
Robert Hirmer stammen und daneben noch gelungene Coverversionen
von Nick Lowe, Percy Mayfield,
John Hiatt und Richie Havens‘s
„Freedom/Motherless Child“ zu
hören sind. Meine drei Favoriten der
CD sind „Too low down“, „Gumbo
Stomp“ und „River Reprise“.
Neben den Stücken ist für mich
das Akkordeon und die Stimme von
Robert „Dackel“ Hirmer ein weiteres Highlight der CD, was aber
die Qualität der anderen Musikern,
vorn dran John Lee Sanders als
Vollblutmusiker in keinster Weise
schmälert. Nicht zu vergessen die
Beiträge von Kreso „Sonnyboy“
Oremus an der Harp und die
Produktionsarbeit durch Ray Frick.
Mario Bollinger
91
Album ist ein komplett ohne elektrische Instrumente aufgenommenes
Werk nicht nur für das Tagesende.
Schon allein die Besetzungsliste lässt
dem Kenner das Wasser im Munde
zusammenlaufen: Neben Richie
Arndt gehört zu seiner aktuellen
Acoustic Band auch noch Gitarrist
Gregor Hilden. Und als Gäste sind
unter anderem Georg Schroeter,
Marc Breitfelder, Dieter Kropp mit
von der Partie.
Das Ergebnis: Eine tolle Rootsscheibe
mit gehörigen Blueswurzeln. Man
merkt Liedern wie „Stop that spell
on me“ die Spielfreude der Truppe
im Studio an. Neben eigenen (und
auch mit Timo Gross oder Alex
Conti entstandenen) Liedern sind
es auch die Cover, die in diesem
Umfeld aufhorchen lassen: „Can‘t
Believe It‘s You“ stammt von Rory
Gallagher. Hier wird es zu einer
melancholischen Nummer für die
späteren Nachtstunden. Und „My
Brother Jake“ von Free ist hier nahe
an akustischer Soulmusik.
Wer Freude an akustischer Bluesund Rootsmusik hat, sollte unbedingt das Album in einer ruhigen Stunde hören. Und dann später auch enige Nummern bei der
nächsten Party mit gleichgesinnten
Freunden auflegen.
Raimund Nitzsche
Richie Arndt - At the end of
the day
Seit vierzig Jahren schon zieht
Richie Arndt nicht nur hierzulande
durch die Bluesclubs. Sein neuestes
Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
Robert Cray Band - In My Soul
Wer kennt Robert Cray nicht*. Seit
Jahrzehnten liefert der in Columbus
(Georgia) geborene Vollblutmusiker
mit schöner Regelmäßigkeit ein
Album nach dem anderen ab –
jedes ein kleines Meisterwerk für
sich. Robert Cray hat dabei natürlich seinen eigenen Stil entwickelt.
Er ist eher ein Meister leiser Töne,
aufgeregtes Blues Rock Gefrickel
liegt ihm nicht. Er spielt eine klare,
oft einschmeichelnde Gitarre, seine
Stimme ist ruhig, klar und paßt perfekt in die Stimmung eines jeden
Songs.
Es gibt Kritiker die ihm vorwerfen
seine Musik sei zu glatt, vielleicht
schon etwas langweilig. Natürlich
passt Robert Crays Musik auch
zu einem ruhigen Abend, sie eignet sich sicher auch perfekt als
Hintergrundmusik, wofür sie
aber zu schade ist. Ein gutes Bild
bekommt man mit meiner bisherigen Lieblings-CD „Cookin’
in Mobile“ von 2010. Die CD
und die beiliegende DVD wurden
anlässlich eines Konzerts im Saenger
Theater in Mobile, Alabama aufge*
English version on page
Wasser-Prawda | Juni 2014
zeichnet und zeigen die unglaubliche Vielseitigkeit und großartige Perfektion von Robert Cray
(Vanguard Records, 78073 – 2).
Jetzt legt er uns mit „In My Soul“
ein weiteres stark soulorientiertes Album vor. Die Aufmachung
des Albums hat mich zunächst
verwundert. Provogue weist es als
„classic series 33 1/3 microgrooves“
aus, und weist darauf hin, dass das
Album auch mit Mono Equipment
abgespielt werden kann. Nicht in
das Bockshorn jagen lassen: Die CD
ist kein Rerelease sondern brandneu
eingespielt.
Mit dem Love Song „You move me“
startet ein exzellentes Album im klassischen Robert Cray Sound. Dann
geht es weiter mit Otis Reddings
„Nobody’s fault but mine“ - was für
eine Stimme! In „I guess I’ll never
know“ haben die Bläser ihren großen Auftritt, die Ballade „Hold on“
stellt wieder Crays Stimme in den
Vordergrund. Mit dem Instrumental
„Hip Tight Onion“ erweist Robert
Cray dem großen Booker T seinen
Tribut.
Langsam habe ich beim Zuhören
verstanden, dass die Aufmachung
des Albums Sinn macht. Robert
Cray führt uns mit dem Album
zurück in die Soulwelt der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts gepaart mit seiner musikalischen Perfektion der
Gegenwart. Dazu nutzt er eigene
Stücke und sorgfältig ausgewählte
Klassiker der großen Soulmusiker.
Das Album ist ein Muss für die
Liebhaber zeitloser soulbeeinflußter
Bluesmusik mit einem Hang zum
Zuhören. (Provogue 7436 2)
Bernd Kreikmann
Selwyn Birchwood - Don‘t Call
No Ambulance
2013 gewann Selwyn Birchwood
gegen 125 andere Bands in
Memphis die International Blues
Challenge und außerdem den Albert
King Award für den Gitarristen des
Jahres. Jetzt veröffentlicht Alligator
das erste Album mit dem Songwriter
und Gitarristen aus Florida.
Dieser Gitarrensound lässt Kritiker
schon mal „Zukunft des Blues“
jubilieren: Im Spiel von Selwyn
Birchwood hört man die Schule
von Buddy Guy und Jimi Hendrix
ebenso wie die Einflüsse des
Texasblues.
Doch für mich sind es weniger die
explosiven Linien, die Birchwood
auf Gitarre und Lap Steel spielt,
die dieses Album bemerkenswert machen. Denn was nützt die
größte instrumentale Meisterschaft,
wenn die Songs nichts taugen? Und
gerade die sind absolut bemerkenswert. Ob er in „Lions Den“
mit seiner tiefen Stimme an einen
Gospelprediger erinnert, während
er eine an den Propheten Daniel
angelehte Geschichte erzählt, über
P L AT T E N
den Alkohol in seiner braunen
Papiertüte singt, der helfen soll,
die Sorgen zu vergessen, oder bei
„Overworked and Underpaid“ das
Leid vieler Menschen heutzutage ins
Zentrum setzt: Das sind Bluessongs,
die jenseits der Klischees einfach
glaubwürdige Geschichten erzählen.
Dass Birchwood natürlich auch
ein exzellenter Gitarrist ist, der
vom Buesrock über die Grooves
vom nördlichen Mississippi bis
hin zum Rhythm & Blues mit
Bläsern und funkigem Soulblues
jegliche Stilistiken bedienen kann,
ist da eine willkommene Zugabe.
Die Vergleiche mit Hendrix oder
Guy sind hier schon naheliegend.
Aber von der Intensität und der
Leidenscchaft, mit der er und seine
Band hier agieren, kommt mir eher
sein Labelkollege Joe Louis Walker
in den Sinn. Dass der auch als Gast
im Studio dabei war, macht den
Vergleich zwischen zwei großartigen Slide-Gitarristen auch für ungeübtere Ohren wesentlich einfacher.
„Don‘t Call No Ambulance“: Ein
herausragendes Debüt eines großartigen Songschreibers, Sängers und
Gitarristen aus Florida! (Alligator/
in-akustik)
Raimund Nitzsche
93
oder er lässt die Slide-Gitarre singen. Hinzu kommt, dass er ein faszinierender Songwriter ist, der sowohl
klassischen Folkblues, als auch deftigsten Bluesrock und Rhythm &
Blues im Stil der britischen Bands
der 60er beherrscht. Höhepunkte
auf dem durchweg bemerkenswerten Album sind für mich der
Opener „Still Got It Bad“ (so sollte
Bluesrock einfach sein!), Hills
Version von Little Walters „Hate
To See You Go“ mit seinem treibenden Beat und faszinierendem Call
Steve Hill - Solo Recordings
and Response zwischen Gitarre und
Volume 2
Sein erstes reines Soloalbum brachte Gesang und „Go On“.
Nathan Nörgel
dem Kanadier Steve Hill 2013 bei
der International Blues Challenge
einen Preis für das beste selbstproduzierte Album ein. Und auch für
Volume 2 hat der Songwriter und
Gitarrist das Konzept nicht geändert: Live im Studio spielt er nicht
nur die Gitarre, sondern präsentiert
sich als One Man Band mit allem
Drum und Dran.
Die Gitarre ist rauh, heftig und
rockend. Und der Groove ist hypnotisch vorwärtsdrängend. Wenn
Steve Hill singt, dann ergibt das
einen Sound, der so gar nicht nach The Black Sorrows - CerƟfied
einer One Man Band klingt: Bei Blue
den Songs seines aktuellen Albums Dieses Album ist wie eine großartig
könnte man eher an ein Power-Trio bestückte Jukebox: „Certified Blue“,
denken oder an bluesrockende Duos das 17. Album der vor 30 Jahren
im Gefolge der White Stripes, Black gegründeten Black Sorrows ist eine
Keys oder anderen: Hier interagie- Sammlung großartiger Songs, an
ren Gitarre und Rhythmus derar- denen Fans von Blues, Rock & Roll,
tig variabel und druckvoll, dass Country, Gospel und Soul gleicherman Steve Hill getrost als absolu- maßen ihre Freude haben dürften.
tes Phänomen unter den One Man Es war irgendwann 1994. Wie jede
Bands bezeichnen kann. In ande- Woche schaute ich in der Kleinstadt
ren Momenten klingt Hill wie ein im Elektroladen vorbei. Denn neben
fingerpickender Country-Blueser Waschmaschinen, Kühlschränken
Wasser-Prawda | Juni 2014
94
P L AT T E N
und HiFi-Geräten gab es dort eine
gut sortierte CD-Abteilung. Der
Chef des Ladens hatte ungefähr den
gleichen Geschmack wie ich. Und
auch seine Frau wusste gleich, was
mich interessieren könnte. Doch
noch mehr Spaß hatten wir dabei,
die diversen Neueingänge auf den
besten Anlagen im Laden zu testen.
Diesmal zog der Verkäufer eine CD
aus dem Regal, die wir beide noch
nicht kannten: „Lucky Charm“ von
The Black Sorrows. Schon nach den
ersten beiden Liedern stritten wir
uns darum, wer das Album in seine
Sammlung einsortieren darf. Er
war ein guter Verkäufer. Und ich
hatte ein Album, das ich in jeder
Stimmungslage von vorne bis hinten hören konnte - und das komischerweise allen meiner verschiedenen Freunde auf Anhieb gefiel:
Irgendwie waren die Lieder so vertraut, als würde man sie seit ewigen Zeiten kennen: eine Mixtur aus
Blues, Rock und Soul. Retro meinte
der Rolling Stone damals und hielt
das für eine Kritik. Doch selbst der
Rezensent kam nicht umhin, die
großartigen Songs von Joe Camilleri
zu bemerken. Irgendeiner meiner
Freunde vergaß, mir das Album
zurück zu geben. Und ich hab es bislang in noch keinem Geschäft wieder finden können. Die Band und
vor allem dieses Album war für mich
wie ein Phantom, ein Wunschtraum
geworden.
Und dann spielte ein Freund in seiner Radiosendung etwas von einem
neuen Album der Black Sorrows:
Die gibt es wirklich noch? Und die
sind wirklich noch so gut wie in
meiner Erinnerung? Zwei Mal Ja!
Wasser-Prawda | Juni 2014
Schon vom Opener „Roarin Town“
ist die alte Magie wieder da: Ein
Kleinstadtsong, der ebenso aus den
50ern oder der Nachbarschaft des
jungen Bruce Springsteen stammen könnte. Der Titelsong ist
ein Liebeswerben mit röhrendem
Saxophon und Streichern. „Can‘t
Give Up On You“ ist wundervoll
rotziger Bluesrock mit barmenden
Hintergrundchören. Spätestens bei
„Return of The Voodoo Sheiks“ ist
ein absoluter Höhepunkt erreicht:
Hier wandelt sich die Band zum
Rockabilly-Orchester a la Brian
Setzers Big Band. Wenn da nicht
nur ab und zu auch Anklänge an
den Bombast von Meatloaf um die
Ecke tönen würden. Absolut unzeitgemäß. Vollkommen retro und
ebenso großartig!
Beim „Righteous Blues“ kommt der
Groove direkt von den Straßen von
New Orleans, inklusive der Tuba
und einem tollen Kornettsolo. Und
der Text: eine Abrechnung mit
Scheinheiligkeit und Vorurteilen.
Ansonsten gibts noch schmachtende
Country-Walzer, Gospelsongs, und
Soulpredigten. Und ich finde eigentlich kein Lied, was da nicht hineinpassen würde in dieses Album.
Wer bei Musik weniger auf Aktualität
als auf Songwriting schaut, wer Spaß
daran hat, herrlich altmodischen
Geschichten zu lauschen oder dazu
zu tanzen: „Certified Blue“ ist dann
ein absoluter Pflichtkauf! Ich hab
endlich wieder eine Platte für alle
Stimmungslagen.
Raimund Nitzsche
The Freak Fandango Orchestra
- Wild Goats and Useless
Heroes
The Freak Fandango Orchestra aus
Barcelona spielen seit Jahren ihre
wilde Mixtur aus allen moglichen
Folkstilen mit Ska und Punk. Auch
„Wild Goats and Useless Heroes“
ist wieder ein Album geworden,
um selbst Scheintote zum Tanzen
zu bringen.
Ein wenig hab ich in den letzten
Jahren meine Recherchen in der
freien Musikszene vernachlässigt.
Da ist es schön, wenn sich liebgewonnene Bands wie das Freak
Fandango Orchestra selbst zu Wort
melden und auf neue Musik hinweisen. Jedenfalls dann, wenn
sie so munter, witzig und mitreißend daherkommt wie diese Party
für wilde Ziegen und überflüssige
Helden.
Dafür haben die Musiker sich
die Anregungen aus Mexiko (El
Mariachi), Russland (A Russian
Circus Story), dem Balkan, von den
Gypsies und natürlich auch aus diversen spanischen Regionen geholt, um
daraus ihre eigene Musik zu erschaffen. Und da treffen dann in einem
P L AT T E N
Song Mariachi-Trompeten auf irische Fiddelklänge, Ska-Rhythmen
und immer auch ein wenig Punk.
Das hat auf diesem Album allerhöchstes musikalisches Niveau und
wie schon gewohnt einen ungeheuren Spaßfaktor. Ein Hörer meinte
spontan: Die Leningrad Cowbowys
aus Barcelona. Ein anderer hingegen fühlte sich an die Chieftains
erinnert. Beider Vergleiche sind für
mich unkommentiert natürlich zu
extrem. Aber ich weiß, warum sie
zu ihnen gekommen sind. Der erste
regte sich über mein akademisches
Meckern auf und schlug statt dessen die „Chieftain Cowboys aus
Barcelona“ vor. Und das triffts wirklich gut!
Wer also Musik braucht, um seine
müde Sommerparty in Schwung zu
bringen: Man kann dieses Album
auf diversen Plattformen im Internet
kostenlos herunterladen und auch
an Freunde verschenken.
Raimund Nitzsche
The Impellers feat. Clair
Witcher - My Certainity
Beim Vorgänger „This Is Not A
Drill“ kam der Funk von den
Impellers ständig rauh und deftig
aus den Boxen. Auf dem Nachfolger
werden dann auch schon mal soulige Balladen angestimmt.
Die Zutaten sind: Latin-Soul aus
New York, ein wenig Plastik-Funk a
la Prince, jede Menge Frauenpower
im Stile von Lyn Collins oder Vicky
Anderson - und natürlich eine auf
den Punkt groovende Band. The
Impellers machen schon beim
Opener „I Don‘t Care“ klar, dass
sie auch heute noch nicht die Band
für Kuschelrunden sind. Die Ecken
und Kanten sind genau da, wo sie
hingehören.
Bei „Last Dance of The Moai“
treffen Exotik auf rauhen
Protest gegen die fortschreitende
Umweltzerstörung. Und wenn das
Album auch „My Certainity“ heißt:
Der Titelsong, eine der spannendsten Nummern überhaupt auf dem
Album, ist eigentlich ein Lied über
die eigene Unsicherheit. Hier wird
das Funkkorsett am deutlichsten
aufgebrochen. Das Lied kommt
fast ohne Schlagzeug aus. Und das
Hauptinstrument ist in diesem
Fall eine akustische Gitarre. Clair
Witcher hat dadurch die Chance,
sich auch als variable Soulsängerin
zu zeigen, bevor sie dann bei „My
Tears (To Good For You)“ die
wütende Funk-Diva gibt.
Ein spannendes und absolut überzeugendes Album!
Nathan Nörgel
95
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Wasser-Prawda | Juni 2014
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P L AT T E N
KURZ UND KNAPP
Blind Lemon Pledge Evangeline
In den letzten Jahren war Blind
Lemon Pledge eine Band rund um
den Songwriter und Gitarristen
James Byfield. Bei „Evangeline“
ist Byfield allerdings ganz zu seinen Wurzeln zurück gekehrt und
hat sämtliche Instrumente selbst
eingespielt.
Wie weit kann man den Begriff
Americana eigentlich fassen? Blind
Lemon Pledge zählt darunter jedenfalls klassischen Blues im Stile von
Son House ebenso wie Jump Blues a
la Louis Jordan, Worksongs ebenso
wie Folkballaden und Latin.
Highlights auf diesem Album sind
für mich „Brimstone Joe“ mit seinem New Orleans Groove, der an
alte Fieldrecordings in Gefängnissen
erinnernde Worksong „Buley‘s
Farm“ und das gnadenlos swingende
„Go Jump the Wilie“.
Ein schönes Album für alle Freunde
des akustischen Blues.
den Songs von Cold Truth auch
eine Haltung, wie sie Jack Black in
„School of Rock“ predigt: Eine gute
Rockshow kann die Welt verändern.
Ist das heute noch realistisch? Keine
Ahnung.
Und das heißt für die fünf Songs
auf der aktuellen EP: „No Sleep
Till Sturgis“ ist hier noch am ehesten dem Blues verwandt - ist aber
einfach eine tolle Rockhymne und
damit mein Anspieltipp. „Living
Hard“ ist näher am Southern Rock.
Für Fans des ohne Schnörkel gespielten Gitarren-(Blues-)Rock lohnt
sich das Hinhören auf jeden Fall.
Ich würd gern mal ein Album hören,
um zu testen, wie vielfältig die Band
ist. Die Songs sind nicht schlecht,
aber alle sehr gleich gestrickt.
Eli Cook - PrimiƟve Son
Verzerrte Gitarren und Anklänge
an Blue Notes - reicht das, um als
Bluesalbum durchzugehen? Auch
Gastauftritte von Musikern wie Rod
Piazza, Eric Gales oder Tinsley Ellis
machen aus „Primitive Son“ von Eli
Cold Truth - Grindstone (EP)
Cook kein wirkliches Bluesalbum.
Aus Nashville stammt das Quartett Aber Fans des Classic Rock werCold Truth, das seit 2000 seine den ihren Spaß an Songs wie „War
Version des Bluesrocks spielt. Ihre Horse“, „Amphetamine Saint“ oder
aktuelle EP „Grindstone“ zeigt die „Be Your Fool“ haben.
Vorlieben für den Sound der 70er. Für mich ist das leider nicht die richBands wie Bad Company und tige Musik: Songs und Sound sind
Free stehen hier Pate. Und bei voller Klischees, Eli Cook macht
Wasser-Prawda | Juni 2014
zuviel auf Rockshow und lässt kaum
Bluesfeeling erkennen. Alben wie
dieses sind der Grund, weshalb
ich gegenüber Bluesrock gewaltige
Vorurteile entwickelt habe.
Lee Palmer - 60 Clicks
Auch sein zweites Album nach „One
Take. Live at Canterbury“ ist wieder das Ergebnis einer Session mit
Freunden. Songwriter und Gitarrist
Lee Palmer hat für „60 Clicks“ zehn
Songs zwischen Blues und Country
geschrieben und jeweils in einem
Take eingespielt.
Er sei sich nicht sicher, ob er Blues
oder Country lieber mag, sagt
Lee Palmer. Seine neuen Songs
jedenfalls sind diesmal mehr dem
Country zugehörig. Eine Ballade
wie das romantische „Sometimes“
inklusive Steelguitar und Bluesharp
ist dafür ein prima Beispiel. Auch
eigentlich eher bluesige Lieder wie
„Things are too good to be blue“
werden durch Palmers Gäste zu
Nummern, die auch bei Cowboys
und Truckern Anhänger finden
könnten. Geblieben ist die relaxte
Atmosphäre der Musik. Und
Palmer hat wieder schöne kleine
Alltagsgeschichten geschrieben,
denen man gerne zuhören mag. (On
The Fly Music/cdbaby)
P L AT T E N
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WIEDERHÖREN
die Band noch um Bläser und
Backgroundchöre erweitert. Vor
allem der Titelsong und der von
John Clifton geschriebene „Bad
Trip“ sind Anspieltipp eines absolut hörenswerten Albums.
Nathan Nörgel
Boogie Boys - Hey You!
Seit einigen Jahren schon sind die
2002 gegründeten Boogie Boys aus
Polen mit ihrer Mixtur aus Blues,
Boogie Woogie und Rock & Roll
unterwegs vor allem auf den europäischen Bühnen. Bereits 2009
kam ihr Album „Hey You!“ auf den
Markt, eine perfekte Visitenkarte
für die beiden Pianisten Bartek
Szopinski (voc, org) und Michał
Cholewinski sowie Schlagzeuger
Szymon Szopinski. (Inzwischen ist
das Trio noch um Bassist Janusz
Brzezinski erweitert worden.)
Boogie Woogie nicht akademisch,
sondern als ansteckende Tanzmusik:
so muss man das machen, wenn
man eine Party in Bewegung versetzen will. Bei Bedarf kann man
mit so einer Musik auch gut eine
Show in Las Vegas gestalten, wenn
man wie auf dem Album passiert,
Deep Purple - In Concert `72
Es war ein großes Jahr für Deep
Purple. Die klassische Besetzung
hatte sich gefunden und mit
„Machine Head“ einen Meilenstein
eingespielt. Später kamen dann die
Konzerte in Japan, die als „Made
In Japan“ Rockgeschichte schrieben. Doch zuvor hatte die BBC
die Band für eine Liveaufnahme
ihrer Sendereihe „Sounds of the
Seventies“ in das Paris Theatre in
London geladen. Jahre später wurde
dieser Auftritt in immer neuen
Varianten auf den Plattenmarkt
gebracht. Eine 2012 remasterted
Fassung wurde jetzt in der korrekten Reihenfolge auf CD gepackt.
Auf dem Programm des Auftritts
stand fast das komplette Album
„Machine Head“. Wahrscheinlich
wurde im Paris Theatre die erste
live-Version von „Smoke on the
Water“ mitgeschnitten. Und die
22 Minuten „Space Truckin“ waren
für die Sendezeit der BBC damals
zu viel - und bei Plattenausgaben
des Konzerts sorgten sie dafür,
dass andere Stücke ausgelassen
werden mussten. Bei der jetztigen Ausgabe hat man nicht nur
die originale Setlist (inklusve der
Zugabe „Lucille“) wieder hergestellt. Erstmals wurden auch
die Zwischenansagen drin gelassen, so dass der Auftritt - ganz im
Gegensatz zu „Made In Japan“ als
fast intimes Clubkonzert herüber
kommt.
Ansonsten sind die Unterschiede
zu „Made In Japan“ bei den
Interpretationen eher marginal
zu nennen: Die Band hat hier ihr
Bühnenprogramm schon ziemlich
genau einstudiert. Und bis zum
August haben die Musiker dann
ihren perfekten Stand erreicht.
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juni 2014
98
P L AT T E N
von 72. Die drei weiteren CDs
haben den Vorteil, dass hier die
Ansagen und die kleinen Pausen,
in denen sich die Band einspielt,
dringeblieben sind. Aber das ist
purer Luxus für die, die nicht genug
haben können. „Made In Japan“
gehört in jede Plattensammlung.
Diese Luxusvariante ist für beinharte Fans, die nicht genug Zugaben
haben können.
Raimund Nitzsche
Deep Purple - Made In Japan
(5 CD Deluxe EdiƟon)
Immer mal wieder kommen
Neubearbeitungen von „Made In
Japan“ auf den Markt. Die jetzige
Luxus-Ausgabe bringt auf fünf CDs
einerseits ein neues Remaster und
die Original-Fassung als Vergleich
als auch die drei Konzerte in Japan
in Komplettfassung, aus denen die
Aufnahmen des Albums stammten.
Es gibt wenige Live-Alben, die das
Prädikat „Absolut wichtig“ verdienen. „Made In Japan“ gehört auf
jeden Fall dazu. Was Deep Purple
bei den drei Konzerten im August
1972 in Japan ablieferten, ist ein
Höhepunkt der Rockgeschichte. Sei
es das vor allem live zur unvergleichlichen Hymne gewordene „Smoke
on the Water“, der „Highway Star“
oder auch der vertonte RockOrgasmus von „Child In Time“:
Die klassische Besetzung von Deep
Purple war auf ihrem absoluten
Höhepunkt! Braucht man aber
diese Luxusausgabe?
Der Remix bringt für meine Ohren
im direkten Vergleich ein ganzes Stück mehr Klarheit und auch
Druck als der Originale Soundmix
Wasser-Prawda | Juni 2014
Eb Davis - The Gospel of the
Blues
Das war schon ein äußerst seltenes Erlebnis: Da sitzt man in einer
Konzertpause Backstage und wechselt ein paar Worte mit Lurrie Bell.
Und plötzlich schaut da Eb Davis
vorbei, der extra für Bells Auftritt
mit Familie aus Berlin an die Küste
gereist ist. Als bekennender Fan von
Davis nutzte ich die Chance, ihn
nach dem einen Album zu fragen,
das bislang in meiner Sammlung
noch fehlte: 2009 nahm er „The
Gospel of the Blues“ auf, eine
Sammlung von Klassikern und eigenen Gospelnummern, die die enge
Verwandtschaft zwischen Kirche
und Bluesclub verdeutlichen.
Manche Gospelfans sind enttäuscht: hier bekommen sie zwar
bekannte Nummern wie „Down
By The Riverside“, „You Got To
Move“ oder „Will The Circle Be
Unbroken“ geboten. Doch dieses Album sperrt sich - sieht man
mal von dem a capella dargebotenen „Dry Bones“ ab - dem „normalen“ Sound einer Gospelplatte.
Denn das hier ist Gospel Blues.
Und das macht gerade den Reiz
dieses Albums aus. Mal gibt es rollende Boogies, zuweilen die typische Bluesklage. Aber immer getragen von der Botschaft des Glaubens.
Gerade die eigenen - mit Ehefrau
Nina geschriebenen Songs - wie
„Going Back To Church“, „A
Better Day“ oder „Rough Side Of
The Mountain“ sind zutiefst anrührende und persönliche Songs über
den Glauben.
Begleitet wird Davis hier unter
anderem vom immer prägnanten Piano von Nina T. Davis,
Schlagzeuger Lenjes Robinson und
dem Saxophon von Willie Pollock.
Alle drei sind auch als Teil des singenden Gospelquartetts zu hören.
Als Gäste wirkten dann auch noch
Tom Blacksmith (hier mal nur
als Backgroundsänger und ohne
Gitarre) und Schlagzeuger Andreas
Bock bei einigen Stücken mit.
Ein überzeugendes und empfehlenswertes Album, das schon neugierig macht auf Eb Davis‘ nächste
Veröffentlichung, die irgendwann
im Sommer oder Herbst erscheinen soll.
Raimund Nitzsche
P L AT T E N
Led Zeppelin 1969 (Foto: Atlantic Records)
von Led Zeppelin zeichnet er jedenfalls selbst mitverantwortlich.
Erstmals hörte ich Led Zeppelin
damals Anfang der 80er in den
legendären „Metal-Runden“ von
Schüler-Discos in der DDR. Selbst
auf AMIGA-Schallplatten konnte
man die Wucht dieser Band bestenfalls erahnen. Als ich erstmals bei
einem Freund das Debüt der Band
komplett hören konnte, kam das
einer Offenbarung gleich: Sofort
verschob ich Led Zeppelin im inneLed Zeppelin I - III
ren Katalog raus aus dem Metal
Seit Erfindung der CD mussten und hin in den Bluesrock, wohin
die Songs von Led Zeppelin immer sie meiner Meinung nach gehörten.
wieder für neue Remaster-Aktionen Doch ehe ich mir selbst die Alben
herhalten. Im Lauf der Jahre wurde der Band in die Sammlung stellen
so der Sound der klassischen Alben konnte (von den Kassetten-Kopien,
immer wieder an den musikalischen die im Laufe der Jahre immer stärZeitgeist angepasst. Irgendwann ker verrauscht klangen, schweige
dürfte selbst Jimmy Page seine ich lieber), war die Vinyl-Zeit voreigenen Sachen nicht mehr erkannt erst vorbei. Es blieb nur der Griff
haben. Für die jetzt mit den ersten zur CD. Und schlagartig wurde mir
drei Alben gestartete Neuausgabe klar, warum Vinylfanatiker gegen
99
das neue digitale Medium wetterten: Die Klarheit fehlte, alles klang
zusammengepresst und schwammig. Erst die „Remaster-Serie“
brachte hier ein wenig Abhilfe.
Aber zufriedenstellend war diese
Box eigentlich ebensowenig wie die
„Mothership“ einige Jahre später.
Letztere setzte gar einen Meilenstein
für die Verfälschung des Sounds
durch hemmungslosen Einsatz des
Kompressors.
Und jetzt das: Nuancenreich bis
in kleine Details und gleichzeitig
druckvoll geht „Good Times, Bad
Times“ los. Und bis zum Ende dieses legendären Debüts kommt man
aus dem Staunen kaum noch heraus. Mal hört man die Finger über
den Gitarrenhals gleiten, mal erahnt
man noch den leisesten Klack auf
dem Rand der Snare oder fühlt sich
spontan bei den Orgelklängen in
eine hallende Kirche versetzt. Hier
hat man endlich mal sinnvoll mit
der aktuellen Technik gearbeitet
und versucht, den analogen Klang
möglichst deutlich nachzubilden.
Musikalisch ist an dem Album eh
nicht viel mehr zu kritisieren, als
dass Led Zeppelin sich hier schamlos durch Blues und Rock geklaut
haben. Aber das Ergebnis ist umwerfend gut. Bonusmaterial auf der
zweiten CD: Ein Livemitschnitt aus
Paris im Jahre 1969. Insgesamt: ein
Klassiker in tollem Sound.
Ähnlich geht es auf „Led Zeppelin II“
weiter: „Whole Lotta Love“ kommt
mit seinem Riff derartig wuchtig aus
den Boxen, dass es einem sofort in
den Bauch fährt. Hier beginnt er
wirklich, der Heavy Metal mit seinen Appellen an Sex und Exzess.
Wasser-Prawda | Juni 2014
100
P L AT T E N
Musikalisch ist das Album weniger
überraschend. Aber diesem Klassiker
kann man sich seit Jahrzehnten zu
Recht nicht entziehen. Wie auch
bei der Wiederveröffentlichung
von Led Zeppelin III bestehen die
Zugaben aus Jams und alternativen
Mixen. Die muss man nicht unbedingt haben. Doch man kann sie gut
hören als Vorstufen zu den eigentlichen Songs.
Manche machen ja das Ende
der großen Cover-Kunst an der
Einführung der kleinen CD fest.
Für „Led Zeppelin III“ hat man
das legendäre Cover mit der drehbaren Innenscheibe verkleinert
nachgebildet. So bekommen die
Nachgeborenen wenigstens eine
Ahnung davon, wie fantasievoll man
an der Schwelle zu den 70er Jahren
arbeitete. Bei dem Album hatte die
Band eigentlich zu ihrem eigenen
Stil gefunden: Heftiger Hardrock
trifft auf folkige Sounds, die Hektik
der Riffgewitter auf feinfühlige
Akustikpassagen. Ein Monster von
einem Album! Die drei Scheiben
gehören definitiv in jede ernstzunehmende Plattensammlung!
Endlich mal gibts auf CD mal einen
angemessenen Klang. Und wem
das noch nicht reichen sollte: Die
Remaster-Versionen werden auch
auf Vinyl erhältlich sein.
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juni 2014
Lenis Guess - The Story of
Mit der Reihe „The Story of“
hat Tramp Records schon die
verschiedensten Musiker zwischen Rhythm&Blues, Soul und
Funk gewürdigt. Die siebente
Veröffentlichung widmet sich dem
dem Sänger, Produzenten und
Labelboss Lenis Guess.
Heute wirbt Lenis Guess auf seiner
Homepage für zwei Gospelalben und
eine CD mit Rhythm & Blues. Er
nennt sich nicht ganz unbescheiden
„The Ultimate Producer“. Doch dieser Titel hat wohl eher was mit seiner
Vergangenheit in den 60er Jahren zu
tun, wo er seiner Heimatregion um
Norfolk, Virginia, einen ganz eigenen Soulsound verpasste.
Sein Wirken als Sänger, Produzent
und Labelboss versucht Tramp
Records jetzt ein wenig nachzuzeichnen. Schon im Januar hatte
das britische Label Jazzman eine Box
mit drei Singles von Lenis Guess auf
den Markt gebracht. Damit sollten einige der in der Szene hochgehandelten raren Funksingles neu
zugänglich gemacht werden. Doch
„The Story of“ geht hier - typisch
für Tramp Records - wesentlich
weiter. So finden sich unter den
25 Stücken auf der CD sowohl
Singles, die Guess auf den Labels
von Frank Guida veröffentlichte als
auch Stücke seines eigenen Labels
D.P.G. und aus dem später in Studio
Brockington & Guess in Norfolk
entstandenen Aufnahmen. Hier ist
besonders die Studioband namens
Raw Soul bemerkenswert, die im
Laufe der Jahre zu einer derartig
groovenden Einheit zusammenwuchsen, dass man sie getrost auch
anderen Hausbands aus Muscle
Shoals oder Memphis an die Seite
stellen könnte.
Auch die siebente Veröffentlichung
der Reihe „The Story Of“ bietet Fans
der Geschichte von Soul und Funk
wieder eine äußerst faszinierende
Unterrichtsstunde. Das Booklet liefert die notwendigen Informationen
zu den Songs von Guess, Terry
Sinkclair, Alvin Del, Sir Guy und
anderen Musikern aus der NorfolkSzene in den frühen 70ern. (Tramp)
Raimund Nitzsche
Morrissey - Vauxhall And I
Bevor das nächste Studioalbum
„World Peace Is None Of Your
Business“ auf den Markt kommt,
erscheint Anfang Juni zunächst die
erweiterte Neuausgabe des vor 20
P L AT T E N
Jahren veröffentlichten Soloalbums
„Vauxhall And I“. Als Bonus hat
die Plattenfirma auf der zweiten CD einen 1995 entstandenen
Livemitschnitt aus dem Londoner
Theatre Royal beigelegt.
Mit der Single „The More You
Ignore Me The Closer I Get“ hatte
Morissey gleich mal wieder einen
Singlehit vorgelegt. Und das Album
machte klar, dass Morrissey mit diesem Album endgültig einen neuen
Sound gefunden hatte: Hier ist ob in den rockigen Stücken oder
den akustischen Songs - keine
Reminiszenz mehr an The Smiths
zu hören. Mit dem Kapitel hatte
er seit dem üblen Gerichtsprozess
eh abgeschlossen. Jetzt also: ganz
auf sich selbst bezogen, voller
Selbstbewusstsein, setzt er zu den
großen Statements an: Schon der
mit deftigen Gitarren getriebene
Opener „Now My Heart Is Full“
knallt voll rein. Und man muss
die Bezüge zu Graham Greenes‘
„Brighton Rock“ nicht unbedingt
verstehen, um das Lied gut zu finden. Aber es setzt gleich das Thema,
dass sich durch das ganze Album
hindurchzieht: die Bedeutung von
Freunden.
Auch die anderen Stücke sind - wie
bei Morrissey in Bestform eigentlich immer - voll von Anspielungen,
Hintergrundgeschichten und oft
einem teils warmen, teils bösem
Humor. Und auf diesem Album
ist er noch dazu fast brutal ehrlich: er entschuldigt sich für seine
Charakterfehler und versucht sich
von seiner liebenswerten Seite zu
zeigen. War der Vorgänger „Your
Arsenal“ noch eine eher spaßige
Angelegenheit, so ist er jetzt eher
zurückhaltend und besinnlich.
Und gerade Lieder wie „Lifeguard
Sleeping, Girl Drowning“ über das
Ertrinken eines Mädchens, dass zu
lange gegen die Flut angeschwommen war, sind anders kaum denkbar. Wobei das böse Statement „she
deserves all she gets“ mal wieder
typische Ironie von Morrissey ist.
Insgesamt geht man mit dem Fazit
nicht fehl, wenn man „Vauxhall“
neben „Your Arsenal“ als das beste
Soloalbum von Morrissey bezeichnet. Das Bonusmaterial ist eigentlich nicht wirklich nötig. Aber für
die beinharten Fans vielleicht ein
sinnvoller Anreiz, sich das Album
erneut zu kaufen. Wer die Scheibe
nicht hat, für den würde eigentlich das eigentliche Album schon
ausreichen.
Raimund Nitzsche
101
Franklin und Otis Redding
herausgebracht.
Von „Mess Around“ über „What‘d I
Say“ bis zu „Hit The Road Jack“ sind
die großen Hits ebenso drauf wie
unbekanntere Nummern aus dem
umfangreichen Werk, dass Charles
vor seiner Hinwendung zu Pop,
Country und ähnlichem aufnahm.
Ein gutes Geschenk für Freunde, die
die klassischen Alben noch nicht im
Schrank stehen haben und ebenso
auch eine Lehrstunde für alle, die
sich heute für Soulmusiker ausgeben. (Rhino)
Nathan Nörgel
Various - Dynamite R & B
Wo auf Wiederveröffentlichungen
spezialisierte Label sich vor allem
auf den Soul der 60er und 70er
konzentrieren, geht Sound of Soul
mit seinem Sampler „Dynamite
Ray Charles - King Of Cool.
R&B“ noch einen Schritt zurück
The Genius of Ray Charles
Pünktlich zum 10. Todestag von in der Geschichte: Zu finden sind
Ray Charles legt Rhino jetzt das auf der CD 15 Stücke unbekanntenächste Dreifachalbum aus der rer Interpretinnen und Interpreten
Soulgeschichte vor: „King of Cool“ aus den 40er bis frühen 60er Jahren.
widmet sich den Anfangsjahren Wer sich für die Entwicklung
bei Atlantic Records. Schon vor- nicht nur des Blues und Soul sonher hatte das Label Boxen mit dern auch des Rock & Roll interWerkquerschnitten von Aretha essiert, kommt an der Popmusik
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P L AT T E N
vor der Erfindung des Begriffes
nicht vorbei: Im Rhythm & Blues
kann man so verschiedene Stile finden, wie übrhaupt nur denkbar.
Da gibt es Nummern, denen man
die Herkunft aus dem Swing deutlich anhört, es gibt ziemlich klassisch gesungene Bluesnummern
mit Piano und Saxophonen. Und
natürlich gab es Pioniere wie Louis
Jordan, die auf ihre Art den Rock &
Roll oder wie Ray Charles den Soul
schon vorwegnahmen. Sängerinnen
wie Sherry Taylor („He‘s The One
That Rings My Bell“) oder Becky
Sharpe („They Say You Found A
New Baby“) könnte man getrost
bei jeder Rock & Roll Party spielen. Sänger wie Rudy Lambert lassen
die gefühlvollen Soulballaden erahnen. Und dann gibt es dann auch
noch lustige Novelty-Songs wie das
Minidrama „If You Ain‘t Got Bread“
von Billy Hamlin. Fünfzehn Songs
- fünfzehn kleine Hits! Ab auf die
Tanzfläche! (Sound of Soul/Kudos)
Nathan Nörgel
ZZ Top - The Very Baddest of
Ein neues Album ist nicht in Sicht,
die letzte Tour ist auch schon wieder vorbei. Warum sollte man also
Wasser-Prawda | Juni 2014
nicht ein neues „Best of Album“ auf
den Markt werfen?
Es braucht eigentlich keine Gründe,
um die klassischen Boogie-Rocker
von ZZ Top in den Player zu legen.
Gerade für sommerliche Autofahrten
sind diese Songs hervorragend geeignet. Auch wenn sie wohl für einige
Punkte in Flensburg gut sein dürften. Die Zusammenstellung geht in
Ordnung: Vom ersten Album bis
hin zu „Mezcalero“ 2003 finden
sich Stücke. Leider ausgelassen ist
das bislang letzte Album. Aber das
werden Fans wohl eh im Schrank
haben. Aber gerade die brauchen
„The Very Baddest of“ nicht . Das ist
eine Platte für Neueinsteiger. Für die
geht das Doppelalbum in Ordnung.
Alle anderen brauchen es höchstens
als gute Zusammenstellung für den
Player im Auto. (Rhino/Warner)
Nathan Nörgel
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BÜCHER
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E UPH OR I E , R A S E R E I
U ND E NT Z A U B E R U N G
JÜRGEN KRÄTZER (HG.): “MIT DIESER WELT MUSS AUFGERÄUMT
WERDEN
Wie kann man heute vom 1. Weltkrieg
erzählen, wo die Zeitzeugen gestorben
sind? Welche Geschichten finden Autoren, wenn sie Inspiration suchen in den
Zeitungen der damaligen Zeit? Die Literaturhäuser in Deutschland, Österreich
und der Schweiz haben 23 Autorinnen
und Autoren aus ganz Europa eingeladen,
sich darauf einzulassen. Das Ergebnis
der Aktion ist als Band 254 der Literaturzeitschrift “die horen” erschienen.
Anderswo war die patriotische Raserei noch wilder:
Kneipen wurden demoliert, wenn die Kapelle nicht sofort
auf Wunsch patriotische Lieder spielte. Automobile mit
vermeintlichen Spionen wurden überall angehalten und
ausgeraubt. Nicht nur in Deutschland herrschte solch
ein Zustand der massenhaften Euphorie. Und es waren
überall nur wenige, die schon von Anfang an skeptischer waren.
Es gibt nichts überholteres als die Nachricht von gestern
lautet eine Journalistenweisheit. Die Zeitung von gestern
taugt bestenfalls noch dazu, Fisch darin einzuwickeln
Selbst der Pazifist Erich Mühsam konnte sich der eine andere. Doch je größer der zeitliche Abstand,
Euphorie nicht völlig entziehen. In seinen Tagebüchern desto interessanter wird es, was lokale Tageszeitungen
im August 1914 freut er sich über die „seelische Einheit“. über historische Ereignisse und sonstige Geschehnisse
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BÜCHER
gedruckt haben. In der Zusammenschau der verschiedensten Meldungen und Anzeigen kann man ein Bild
der Geschichte zeigen, dass wesentlich detaillierter ist als
die beste Geschichtsschreibung. Vor allem wird dieses
Bild frei sein von den nachträglichen Deutungen der
Ereignisse durch die Wissenschaft.
Dass das Netzwerk der Literaturhäuser Autoren gerade
gebeten hat, in Bezug auf ihre Heimatstadt zu recherchieren, macht den besonderen Reiz aus. Schon zwischen
Städten wie München, Köln und Leipzig ergeben sich
in den eingesandten Texten Unterschiede. Und auch
quer über den europäischen Kontinent von Schottland
bis Russland, von Ungarn bis Helsinki bietet der band
der „horen“ die Möglichkeit, sich auf ganz unterschiedliche Zeitreisen zu begeben. Wo Autoren wie Uwe Saeger,
Lukas Hammerstein oder Angela Krauss in ihren Texten
vor allem die Originalmeldungen und Tagebuchnotizen
montieren und so einen Spannungsbogen der Tages des
Kriegsausbruchs entstehen lassen, gelingt Marcel Beyer
daraus eines der überzeugendsten Essays des Bandes
überhaupt: Sprachlich von einer Feinsinnigkeit und
einem Humor wird die ganze Absurdität der Zeit nachvollziehbar: Aus Modeberichten, Kommentaren über
Adelsfotografien und Vergleichen zwischen Deutschland
und Frankreich entsteht ein Text, der einfach großartig genannt werden muss.
Ganz anders gingen etwa Uwe Kopetzky oder Ulf
Stolerfoht vor. Kopetzky hat in seiner Erzählung „Der
erste Türke von Neukölln“ die historischen Ereignisse um
das Schicksal deutscher Kriegsschiffe im Mittelmeehr
mit der Schilderung einer Kindheit im August 1914 in
Neukölln verwoben. Und Ulf Stolterfoht hat in einem
Langgedicht den fiktiven Dichtern einer Kneipenrunde
die Sprache der verschiedensten expressionistischen
Dichter in den Mund gelegt und lässt so die Lyrik zwischen Liebe, Heimatverbundenheit und Patriotismus
neu erstehen.
Wenn hundert Jahre nach dem kollektiven Versagen
der Militärs und Politiker in Europa die Schriftsteller
ihr Bild vom Kriegsausbruch zeichnen, dann ist das
für das Verständnis der damaligen Zeit wahrscheinlich
hilfreicher als ein Großteil der aktuellen Arbeiten von
Wasser-Prawda | Juni 2014
Historikern. Denn die konsequente Perspektive „von
unten“ - von der Zeitung her oder dem zeitunglesenden
Subjekt der Erzählungen - kann man sowohl die euphorische Raserei als auch die schrittweise Entzauberung
durch die Grausamkeiten des Kriegsgeschehens
nachvollziehen.
Raimund Nitzsche
Mit dieser Welt muss aufgeräumt werden.
Autoren blicken auf die Städte Europas. Die
Horen. Band 254
Wallstein Verlag, Göttingen 2014
ISBN 9783835314542
BÜCHER
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»DIE S Z E NE Z E R F I E L I N
ANEI NA ND E R G E R E I H TE
SEKUNDEN«
Liebe am Abgrund der Zeitlichkeit in Paulina Schulz´ Erzählung Das Eiland
Es gibt Momente im Leben eines Menschen, die stellen
die Weichen für alles Kommende. Manchmal ist es
nur eine Bewegung, ein Blick oder eine Berührung,
die in ihrer radikalen Konsequenz unvorhersehbare
Folgen bedeuten kann. Die Geschichte eines solchen
Augenblicks ist Das Eiland der deutschpolnischen
Autorin Paulina Schulz. Sie erzählt die zwei Geschichten
von John, einmal dem Fünfzehnjährigen, der mit seinen
Eltern in den Urlaub fährt – auf das titelgebende Eiland
– die Insel, die man leicht auch als der Zeit und dem
Raum entrückten Sehnsuchtsort lesen kann. Dem gegenüber stehen die Erinnerungen des erwachsenen John, der
am Sterbebett seines Vaters die Bilder jenes Sommers auf
der Insel wieder hervorruft, dem Scheitelpunkt seines
Lebens.
Statt mit den Eltern am Strand zu liegen, streift der
Fünfzehnjährige mit seinem Fotoapparat über die Insel,
kapselt sich ab, um die Welt endlich allein zu erfahren.
Er sucht Bilder, speichert Lichtreflexe auf dem Wasser
als Gedanken in seinem Kopf. Es ist ungewöhnlich heiß,
der kühle Wind vom Meer schaff t es kaum, der drückenden Hitze etwas entgegenzusetzen. Über allem liegt
ein Dunst, in dem die Grenzen zwischen Realität und
Traum verschwimmen. In dieser Zwischenzone begegnet John zwei Lichtgestalten, ganz in weiß, leuchtend.
Auch ihre Grenzen sind fließend, manchmal vollkommen einzigartig jeder für sich, manchmal untrennbar
wie ein einziger Mensch. Es sind die Zwillinge Milena
und Milan, die John in ihre Mitte nehmen und ihm ein
anderes Dasein zeigen. Sie führen ihn ein in die Welt
der Schönheit, des Rausches und besonders in die Welt
der Liebe, der Begierde, des Körpers. Immer stärker
fühlt sich John angezogen von den beiden, verliebt sich
in das androgyne Mischwesen, verfällt regelrecht dessen
mythischer Anziehungskraft. Wie ein Meeresstrudel
steuern die zunehmend intensiveren Treffen der drei
Jugendlichen, die in ihrem Fatalismus an Bernardo
Bertoluccis großartigen Film Die Träumer und in ihrer
dekadenten Schönheit an Achim von Borries´ Was nützt
die Liebe in Gedanken erinnern, auf einen unvermeidlichen Endpunkt, auf eine Erlösung aus der bis zum
Unerträglichen getriebenen Ekstase hin. Die tragische
Kraft bezieht die jugendliche Liebe jedoch aus ihrer
Nichterfüllbarkeit, aus der Wunschvorstellung und der
Phantasie. Wird der Wunsch nach geistiger und körperlicher Vereinigung dennoch in Realität überführt,
zerbricht der Glanz des Unerfüllbaren. Paulina Schulz
verwebt die entzaubernde und destruktive Kraft, die
in dieser Erfüllung steckt, geschickt mit einer konkreten Gefahr für Leib und Leben. In der doppelten Grenzüberschreitung einer Nacht stirbt einer der
Zwillinge fast, während der andere nackt mit John das
Bett teilt. Die Gefahr des Folgenden liegt nun omnipräsent in der Luft, kann aber weder von John noch den
Zwillingen verhindert werden. Mit unausweichlicher
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auflösenden Haut.“ Statt die Wesenhaftigkeit
der Dinge zu hinterfragen, verharrt sein Blick an
deren Oberfläche.
Als Leser bleibt man am Ende der Lektüre zurück mit
der Frage, ob es wirklich immer Erklärungen für alles
geben muss. Aber auch mit einer latenten Sehnsucht
nach jenen warmen Inseltagen der eigenen Jugend. Die
Lektüre lohnt, denn was mehr muss ein Buch können,
als Fragen stellen und Sehnsucht wecken?
Ludwig Lohmann.
Paulina Schulz: Das Eiland. Erzählung
freiraum-verlag 2014, 120 Seiten
Preis: 12,95 Euro
ISBN: 978-3-943672-32-9
Stringenz steuern die Jugendlichen auf die letzte Nacht
zu, ab der „alles anders sein würde“, denn „sie hatten
eine Grenze überschritten.“
Gerade weil es Paulina Schulz so konsequent offen lässt,
warum die Zwillinge so handeln, wie sie handeln, bleibt
Johns Scheitern an ihrer Schönheit so mystisch befremdlich. Das Geheimnis dieser Liebe wird nicht aufgelöst im dramaturgischen und sinnlichen Höhepunkt
der Geschichte, sondern bleibt als hochsommerliche
Luftspiegelung flirrend hinter den Worten versteckt.
Aus diesem Grund ist Das Eiland weit mehr als eine
Coming-of-Age-Geschichte. Es ist der Sprache gewordene Wunsch, Zeit zu konservieren in Fotos, in zu
Bildern gewordenen Gefühlen, um dort die Erklärung
für das Unerklärliche zu finden. Hier schließt sich der
Kreis zur Geschichte des zweiten John, dem John nach
diesem Sommer, der sich erinnert und auf sein Leben
zurückblickt, als ein Fotograf der viele Jahre mit nichts
anderem verbrachte, als durch seine Bilder die Zeit für
einen Augenblick anzuhalten. Die Tragik seines Lebens
wird deutlich, wenn er seinen sterbenden Vater betrachtet als Motiv einer Fotografie:
„Es würde sich gut machen in Schwarz-Weiß,
denke ich. Die f leckige Struktur der sich
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THR IL L E R
in einem nach EU-Recht geschützten Gebiet ist unglaubwürdig. Ein wenig Recherchen über die gesetzlichen
Regelungen bei Bauanträgen hätte hier gut getan.
Wenn andere Rezensenten dem Autor eine absolute
Glaubwürdigkeit der Materie bescheinigen, zeigen sie
nur, dass sie jeglichen Verschwörungstherien leichter
Glauben schenken als dem trockenen Realismus deutscher Verwaltungsgerichtsbarkeit.Ansonsten: spannender Ökothriller - die richtige Lektüre für Urlaube in
der Natur.
Raimund Nitzsche
Mark Bredemeyer - Grüne Guerilla FrakƟon
Eigentlich das passende Thema für einen spannenden
Thriller in Zeiten der Energiewende: Böser multinationaler Konzern plant Erdgas-Abbau durch Fracking
mitten in einem niedersächsischen Naturschutzgebiet.
Ihnen stellen sich deutsche Öko-Aktivisten entgegen, die
von einfachen Baumbesetzungsaktionen zu immer radikaleren Methoden greifen. Unterstützung finden sie bei
zwei Pygmäen aus Afrika, die auf der Suche nach dem
von den Geistern vorhergesagten Anführer sind. Hinzu
kommen korrupte oder mediengeile Politiker.
Das alles ist spannend geschrieben und deshalb die ganz
passende Urlaubslektüre. Sowohl bei der Schilderung
der Natur als auch bei Sprache und Form aktueller
Pressemitteilungen und Nachrichtenmeldungen zeigt
sich, dass Bredemeyer eigentlich gut recherchiert hat.
Allerdings gibt es hier einen entscheidenden Mangel:
Das geschilderte Tempo des Aufbaus eine Förderanlage
MarƟn Maurer - Terror
Erste Frage beim Lesen eines Verschwörungsthrillers:
Wie glaubwürdig ist der Plot? Martin Maurer hat sich
jede Menge Mühe gegeben, seinem Roman über staatlich organisierten Terrorismus einen glaubwürdigen
Anstrich zu geben. Selbst ein Blog der Hauptfigur wurde
ins Netz gestellt. Presseberichte - sei es aus dem Umfeld
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des Attentats auf das Münchner Oktoberfest oder den
Polizeiaktionen zum G8-Gipfel in Genua sorgen für
weitere scheinbare Authentizität. Die Grenzen zwischen Roman und Realität werden so bewusst immer
weiter verwischt. Man kann beim Suchen nach der
Realität im Netz dann durchaus auch auf die Texte
und Recherchen von Maurers Hauptfigur Marc Burth
stoßen. Verschwörungstheoretiker werden ihre helle
Freude haben. Auch massenhaft Rezensenten haben
die glaubwürdigen Recherchen bejubelt.
Doch leider ist „Terror“ viel zu hölzern geschrieben, um
ein guter Thriller zu sein. Die Charaktere bleiben so
nebulös wie das Wetter im Roman, ständige Zeitsprünge
sollen für Spannung sorgen, hemmen aber nur den
Lesefluss. Bei jedem Kapitel muss man sich neu orientieren: In welcher Zeit befinden wir uns jetzt eigentlich? Und wer waren doch gleich die hier entscheidenden Personen?
Natürlich ist nicht alles bei Maurer seiner Phantasie
entsprungen. Das „Gladio“-Programm zu Zeiten des
Kalten Krieges ist nicht erfunden. Doch ob sich dessen
Wirksamkeit durch sämtliche terroristischen Anschläge
seit der RAF hindurchziehen, ist wahrlich hahnebüchen.
An den Strand würd ich das Buch daher eher nicht
mitnehmen. Das kann man im Winterurlaub auf der
Skihütte liegenlassen für spätere Besucher.
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
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IN DER ERDE
HENRI BARBUSSE
Das 1916 erstmals veröffentlichte Kriegstagebuch Das Feuer. Tagebuch einer Koporalschaft
machte den Journalisten und Kriegsfreiwilligen Henri Barbusse weltberühmt. Das Buch gilt
als Vorläufer für Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque oder Ludwig Renns
Der Krieg.
Donnerschläge grollen unterm grossen, bleichen
Himmel und jedesmal, wenn ein Blitz rotleuchtend aufzischt, zerfällt ein Feuerstrang dort unten, wo die Nacht
noch dunkelt und eine Rauchwolke steigt hinauf ins
anbrechende Morgenlicht.
Hoch oben, in der Ferne hört man den Flug schrecklicher, unsichtbarer Vögel, die mit machtvollem und
schnurrendem Atemzug zum Himmel steigen, sich die
Erde zu besehn.
Die Erde! Mählich erscheint diese Wüste, unbegrenzt
und wassertriefend in der endlosen Trübseligkeit des
Morgengrauens. Man entdeckt feuchte Flächen und
Trichter, in denen das Wasser unter dem scharfen
Morgenwinde erzittert; dann sieht man die wässrigen
Spuren, die nächtliche Züge und Truppenteile in jenes
Feld der Unfruchtbarkeit eingestampft haben. Wie lange
Schienen ziehn sie sich durch die Ebene und haben einen
metallnen Glanz im armseligen Dämmerlicht. Hier und
dort stecken zerbrochne Pfähle einsam in Kothügeln
und gekreuzte Stützpflöcke liegen zerschlagen neben
aufgerollten, zerschundnen Drahtbüscheln. Es scheint,
als schwimme ein riesengrosses, graues Tuch auf dem
Meere, stellenweise überschwemmt. Es regnet nicht,
aber alles ist nass, triefend schiffbrüchig und verwässert und das fahle Licht scheint über die Landschaft zu
fliessen.
In langen Gräben, die sich durch die Ebene schlängeln,
verkriechen sich die letzten Schatten der Nacht. Es ist
der Schützengraben, auf dessen glitschigem Grund der
Fuss kleben bleibt und sich bei jedem Schritt zischend
loslöst. Es stinkt um die Unterstände herum vom Urin
der Nacht und auch aus den Schlupfwinkeln stinkt es,
Daniel Vázquez Diaz, Henri Barbusse (Sepia auf Papier
1910)
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SPRACHRAUM
wenn man sich im Vorbeigehn hineinbeugt, wie aus
Mäulern.
Ich sehe aus den seitlichen Schachten Schatten ragen,
die ihre plumpen und unförmigen Massen hin und
her bewegen, wie knurrende, tappende Bären. Diese
Schatten sind wir.
Wir sind eingemummt wie Lappländer und eingepackt
in Wollzeug, in Decken und Säcke, die uns überragen
und uns grotesk aufblähen. Einige strecken sich, laut
gähnend. Man sieht rötliche oder bleifarbne Gesichter
mit Schmutzstreifen, die ihnen wie Schmisse im Gesicht
sitzen, ihre Augen blinzeln wie schläfrige Nachtlichter
und haben klebrige Ränder. Verwilderte Bärte sitzen
büschelartig an den Wangen; andere haben kotige
Stoppeln am Kinn.
Tak! Tak! Pam! Gewehrschüsse schnarren, Kanonen
brummen; über uns, überall her knattert es, donnert
ein gedehntes Rollen oder knallen einzelne Schüsse; und
dieses wütende, flammende Gewitter hat nie, nie ein
Ende. Seit mehr als fünfzehn Monaten, seit fünfhundert Tagen dauern auf diesem Erdfleck das Gewehrfeuer
und das Schiessen ununterbrochen an, vom Morgen
bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Man
hockt verscharrt in ein endloses Schlachtfeld, aber wie
man damals in jener fast märchenhaften Zeit das Ticken
der Uhren in unseren Stuben nur hörte, wenn man hinhorchte, so auch hier den Lärm.
Jetzt kriecht ein Puppengesicht aus der Erde mit aufgedunsenen Augenlidern und karminroten Bäckchen,
als habe man sie mit roten Quadrätchen beklebt und
öffnet ein Auge und dann das andere; es ist Paradis. Auf
seiner Haut kleben noch wie Striemen die eingedrückten Spuren seines Zelttuches, in das er zum Schlafe den
Kopf eingewickelt hatte.
Er blickt mit seinen kleinen Augen um sich, sieht mich,
nickt mir zu und sagt:
– Wieder eine Nacht vorbei, Alter!
– Ja, mein Sohn, und wie viele werden wir noch durchzuhalten haben?
Er streckt seine dicken Arme zum Himmel, hat sich
auf der Leiter aus dem Unterstand herausgequetscht
und steht neben mir. Dann stolpert er über eine dunkle
Masse, die im Halbdunkel kauert, kratzt sich krampfhaft
unter rauhen Seufzern und humpelt von hinnen wie ein
Wasser-Prawda | Juni 2014
Pinguin in einer sündflutlichen Landschaft.
*
Allmählich tauchen die Leute aus ihren Schlupfwinkeln
hervor und Schattenklumpen lösen sich aus allen Ecken
los; dann bewegen sich diese menschlichen Schatten
und nehmen deutlichere Formen an und einer nach
dem andern wird erkennbar. Da steht einer, seine Decke
über dem Kopf; er sieht aus wie ein Wilder oder vielmehr wie das Zelt eines Wilden, das schaukelnd herumschwankt. Von nahem unterscheidet man, in ein breites
gestricktes Wollzeug eingerahmt, ein viereckiges, jodgelbes Gesicht mit dunklen Flecken und gebrochner
Nase, eng zusammenstehenden Schlitzaugen mit rosiger
Umrandung und einem kleinen Stoppel-Schnurrbart,
feucht wie eine Fettbürste.
– Hola Volpatte! Wie gehts Firmin?
– Es geht, es geht, immer hin und her, sagt Volpatte.
Er hat einen trägen Tonfall, den seine Heiserkeit noch
beschwert. Dann hustet er.
– Ein Husten, zum Verrecken! Du, hast du gehört heut
Nacht, die Attacke? Alter, das war ein Bombardement,
das reinste Absieden!
Er zieht die Luft durch seine eingefallne Nase und fährt
mit dem Aermel drüber. Dann schiebt er die Hand unter
Mantel und Weste, greift nach seiner Haut und kratzt
sich.
– Dreissig Stück hab ich beim Kerzenlicht gefangen,
grunzt er. Im grossen Unterstand neben dem Schleichweg
kannst du was erleben; im Stroh sieht man sie rumkrabbeln, wie ich dich hier sehe.
– Wer hat angegriffen, die Deutschen?
– Sie und wir auch, bei Vimy; ein Gegenangriff. Hast
du nichts gehört?
– Nein, antwortet für mich der dicke Lamuse, der StierKerl. Ich schnarchte. Kannst dir ausrechnen, letzte
Nacht Dienst gehabt.
– Ich hab was gehört, sagt Biquet, der kleine Bretone.
Hab’ schlecht geschlafen, oder, besser gesagt, gar nicht
geschlafen. Ich hab ‘nen Spezial-Unterstand. Das
Hurenloch, da guck her.
Er zeigt mit dem Finger auf einen nicht sehr tiefen
Graben, in dem es auf einem dünnen Mistbett gerade
für einen Platz hat.
– In der Nusschale schlafen, sagt er, und nickt mit seinem
SPRACHRAUM
kleinen, harten und eckigen Schädel, der aussieht, als
sei er noch nicht fertig ausgefeilt. Ich hab fast nicht
geschlafen; eingeschnarcht war ich zwar schon, aber die
Ablösung vom 129ten ist hier durch und hat mich aufgeweckt, aber nicht durch den Lärm, sondern durch
den Gestank. Die Kerle mit ihren Füssen an meiner
Nase vorbei! Das weckt einen totsicher auf; Nasenfieber
kriegst du davon.
– Ich kenne das. Wie oft bin ich nicht selbst im
Schützengraben aufgewacht an jener schweren Stickluft,
die eine Abteilung beim Marsche wie eine Spur hinter
sich herzieht.
– Wenn die Läuse wenigstens dran kaput gingen, sagt
Tirette.
– Bewahre, die kriegen im Gegenteil Beine davon, meint
Lamuse. Je dreckiger du bist, je lausiger, sag ich dir, um
so mehr lieben sie dich, die Läuse.
– Uebrigens war’s mein Glück, fährt Biquet fort, dass
sie mich mit dem Stinkgeruch aufgeweckt haben. Ich
erzählte es soeben dem dicken Schmerbauch da, hab zur
rechten Zeit meine Gucklöcher aufgesperrt und erwischte
grad noch das Zeltdach über meiner Schlafkapsel, sonst
hätte sie mir so ein schuftiger Mistkäfer gemaust.
– Lauskerle sind die vom 129ten.
Zu unsern Füssen unterscheidet man, unten im Graben,
eine menschliche Gestalt, die das Morgenlicht noch
nicht traf; sie hockte unten im Loch und ramschte mit
beiden Händen ihre Kleider zusammen und schüttelte
sich; es war Vater Blaire.
Zwei Aeugelchen blinzelten in seinem staubigen Gesicht.
Ueber der Oeffnung seines Mundes, in dem kein Zahn
mehr zu sehen war, sass als gelber Büschel ein dichter
Schnurrbart. Seine Hände hatten einen finstern Zug
und ihr Rücken war derart verdreckt, dass sie ein Fell
zu decken schien; die Handfläche war hart und grau.
Seine ganze Gestalt, mürbe wie eine verschrumpfte, erdbedeckte Wurzel, hatte den muffigen Geruch eines alten
Kochtopfes.
Er kratzte sich und sprach mit dem langen Barque, der
ein wenig von ihm Abstand wahrte und nur sein Ohr
hinhielt.
– Zu Hause bin ich nicht so dreckig, meinte er.
– Da hast du dich verdammt geändert, antwortete
Barque.
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– Dein Glück, platzte Tirette heraus, sonst kriegte
nämlich deine Frau Negerbengels von dir.
Blaire wurde wild und zog seine Brauen an seiner
schwarzbesudelten Stirn zusammen.
– So lass mich doch in Frieden. Was du nur mit mir
hast? Krieg ist Krieg. Glaubst du, der ändert dir deine
Manieren nicht, du Bohnenfratze? Begaff dich doch
selbst, du Affenschnauze, Arschbackengesicht du! Die
Redensarten bringt auch nur ein Kamel wie du raus.
Er fuhr mit der Hand über die graue Schicht, die sein
Gesicht bedeckte; sie war durch den Regen dieser Tage
klebrig geworden und tatsächlich nicht zum wegbringen. Dann fügte er hinzu:
– Uebrigens wenn ich bin, wie ich bin, so ist das
meine Sache. Erstens hab ich keinen Zahn mehr. Der
Bataillonsarzt hat mir schon lange gesagt: »Hast keinen
Zinken mehr, das langt nicht. Bei der nächsten Pause,
hat er gesagt, gehst du in den estomatologischen Wagen.«
– Tomatologischer Wagen, berichtigte Barque.
– Stomatologisch, belehrte Bertrand.
– Man kriegt’s zwar umsonst, fuhr Blaire fort, aber
gegangen bin ich doch nicht.
– Ha, und weshalb nicht?
– Halb wegen der Versetzung, antwortete er.
– Bist reif zum Küchenoberst, meinte Barque; das war
eigentlich was für dich.
– Ganz deiner Meinung, machte Blaire einfach, worüber
man lachte. Dies aber beleidigte ihn, er stand auf und
meinte:
– Ich kriege Bauchgrimmen bei euch, ich geh ‘nen
Kaktus pflanzen.
Als er dann im Morgengrauen verschwunden war, wurde
von den andern jene Wahrheit noch mal durchgekaut,
dass es nichts gemeineres auf Erden gibt als die Köche.
– Wenn ein Kerl derartig schmierige Haut und dreckige
Kleider hat, dass er nur noch mit Zangen anzugreifen ist,
so kannst du Gift drauf nehmen, ‘s ist ein Küchenchef.
Je dreckiger, desto eher ist er Küchenchef.
– Das ist sicher wahr und wahrhaftig, sagte Marthereau.
– Da kommt Tirloir. He! Tirloir!
Tirloir beschäftigt ein Gedanke; er schnüffelt nach rechts
und schnüffelt nach links; sein dünner, chlorbleicher
Schädel wiegt sich im Wulst seines Mantelkragens, der
ihm viel zu dick und zu weit ist. Sein Kinn ist zugespitzt
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
und die obere Zahnreihe vorspringend; um seinen Mund
gräbt sich tief eine Falte ein wie ein Maulkorb. Er ist
wütend wie gewöhnlich, und wie immer hat er was zu
schimpfen.
– ‘s hat mir einer meinen Brotsack gemaust, heut Nacht.
– Wohl einer von der Ablösung vom 129ten. Wo lag
der Brotsack?
Tirloir deutet auf ein Bajonett, das in der Wand steckt,
neben dem Eingang eines Unterschlupfes:
– Da hing er, an dem Zahnstocher hier.
– Schafskopf! tönt es allgemein. Da langt doch jeder mit
der Hand hin! Bist wohl verrückt?
– ‘ne Gemeinheit ist es doch, jammert Tirloir.
Dann packt ihn plötzlich die Wut. Sein Gesicht
schrumpft in Falten zusammen, wutschnaubend; seine
kleinen Fäuste ballen sich wie Seilknoten, mit denen er
in der Luft herumfuchtelt.
– Das kann ich nur sagen: wenn ich den Hund erwische, hau ich ihm ‘s Maul kaput, den Ranzen stoss ich
ihm ein, ich ... ein ganzer Camembert war noch drin.
Ich werde noch mal auf die Suche gehn.
Er massiert sich den Bauch mit der Faust, wie eine Gitarre
mit kleinen, knappen Schlägen und macht sich davon.
Seine Silhouette schreitet in die Morgendämmerung
davon, würdig und zugleich wie die Fratze eines Kranken,
der sich in seinen Schlafrock verkriecht. Noch hörte man
ihn fluchen, bis er schliesslich verschwand.
– Das Kamel, machte Pépin, worauf die andern lachten.
– Er hat einen Spleen, er ist total verrückt, erklärt
Marthereau, der die Gewohnheit hat, durch den
gleichzeitigen Gebrauch zweier Synonyma seinen
Aeusserungen das Rückgrat zu stärken.
Da, Alterchen, sagt Tulacque, der soeben erscheint, guck
dir mal das an.
Tulacque ist ganz hervorragend. Er trägt ein zitronengelbes Wams, das er sich aus einem geölten Schlafsack
zurechtgeschneidert hat. Für den Kopf hat er in der
Mitte ein Loch herausgeschnitten und über das Ganze
seine Achselriemen und den Gurt geschnallt. Tulacque
ist gross und knochig im Bau. Wenn er geht, streckt er
sein energisches Gesicht vor; in seinem Blick liegt etwas
verdächtiges. In der Hand hält er einen Gegenstand.
Heut nacht hab ich das gefunden beim graben am
»neuen Schlauch«, als man die verfaulten Holzrahmen
Wasser-Prawda | Juni 2014
ausgewechselt hat. Hat mir gleich imponiert, das Zeug.
‘S ist ein Beil, älteres Kaliber.
»Aelteres Kaliber« stimmte unbedingt: es bestand aus
einem zugespitzten Stein und einem braunen Knochen
als Griff. Es schien mir ein prähistorisches Stück zu sein.
– Es liegt einem famos in der Hand, sagt Tulacque,
indem er das Werkzeug schwingt. Tatsache, gar nicht
so schlecht ausgedacht, jedenfalls besser, als das heutige
Ordonnanz-Beil. Tadellos, weisst du; da, probier mal ...
was? Aber wieder zurückgeben. Ich behalt mir das Zeug
auf; das kann mir sicher mal Dienste leisten ...
Er schwingt sein vorsündflutliches Beil und scheint
selbst ein Pitecanthropus mit Flittergold, der in den
Eingeweiden der Erde haust.
*
An der Biegung des Schützengrabens stehen wir nun
aneinander, wir von der Bertrandschen Korporalschaft
und vom halben Zug. An dieser Stelle ist der Graben
etwas breiter als an seinem geraden Teil, und wenn andre
vorübergehn, drückt man den Rücken an die Wand, aber
die Bäuche streifen noch aneinander.
Unsere Kompagnie steht in Reserve in einem
Parallelgraben zweiter Linie. Hier gibts keinen
Wachpostendienst. Nachts sind wir für Erdarbeiten
vorne gut, aber tagsüber gibt es für uns nichts zu tun.
So hocken wir aneinandergepfercht, Ellenbogen an
Ellenbogen, und schlagen, wie’s geht, bis zum Abend
die Zeit tot.
Das Tageslicht ist schliesslich in die endlosen Erdschlitze,
die diese Gegend durchfurchen, eingesickert und
beleckt die Schwelle unserer Höhlen. Trübseliges Licht
des Nordens, niedrer und schlammiger Himmel, an
dem der Rauch und Gerüche von Fabriken zu kleben
scheinen. In dieser bleichen Beleuchtung erscheint die
Gelegenheitskleidung jener tiefsten Menschenschicht
ungeschminkt in der unendlichen und verzweifelten
Armseligkeit, die sie schuf. Aber es steht damit wie mit
dem eintönigen Tik-Tak des Gewehrfeuers und dem
Brummen der Kanonen: zulange schon dauert das
Drama, das wir spielen, als dass man sich noch über
das Aussehen aufhielte und über die Verkleidung, die
man sich erfunden hat, zum Schutze gegen den Regen,
der von oben kommt, gegen den Dreck, der von unten
kommt und gegen die Kälte, die wie eine Unendlichkeit
SPRACHRAUM
überall fliesst.
Tierfelle, Deckenbündel, Tücher, Pelzmützen,
Wollkappen, gefütterte Mützen, Halstücher, dick über
den Mund gezogen oder als Turban über dem Schädel
auspolsternde Unter- und Oberleibchen, Ueberzüge
von geteerten, gummierten und Kautschuk-Kappen,
schwarze und solche in allen möglichen, verblichenen
Regenbogenfarben; alles dies verhüllt die Leute, verwischt ihre Uniformen und ihre Gesichter und lässt
sie ins Ungeheuerliche wachsen. Dem einen hängt im
Rücken ein weiss- und rotkarriertes Wachstuch, das
er im Vorübergehn irgend in einem gastfreundlichen
Esszimmer aufgegabelt hat: es ist Pépin, den man von
weitem schon an diesem Harlekinfetzen besser erkennt
als an seinem bleichen Apachengesicht. Hier wölbt sich
Barques Brustlatz, den er sich aus einer Steppdecke ausgeschnitten hat, früher mal rosafarben, jetzt aber unter
Staub und Regen abgeschossen und moiriert. Dort
steht der mächtige Lamuse wie eine Turmruine mit
Reklame-Ueberbleibseln. Der kleine Eudore trägt einen
Rückenpanzer aus Moleskin, so dass er von hinten aussieht wie ein polierter Käfer; aus allen heraus aber ragt
Tulacque mit seinem gelben Häuptlings-Brustkasten.
Der Helm überm Kopf bringt eine gewisse Einförmigkeit,
und dies auch nicht immer! Manchem sitzt er nämlich
auf dem Käppi, wie dem Biquet, oder wie Cadilhac auf
der Pelzmütze, andern wieder auf der Baumwollmütze,
wie Barque; das alles kompliziert noch die Sache und
bringt die verschiedensten Spielarten hervor.
Und unsre Beine! ... Eben kroch ich gebückt in unsern
Unterstand, eine niedere Höhle, in der man über leere
Konservenbüchsen und schmutzige Lumpen glitscht
und wo es nach muffiger Feuchtigkeit riecht; zwei lange
Leiber lagen schlafend am Boden, während eine knieende Gestalt beim Kerzenlicht in einem Brotsack stöberte ... Als ich nun wieder hinauskletterte, kamen
mir, indem ich durch die rechteckige Oeffnung sah,
Beine zu Gesicht. Da gab es wagrechte, senkrechte
und schiefstehende, ausgebreitete, eingeklappte und
verstrickte, die den Durchgang versperrten und die
von jenen verwünscht werden, die sich durchdrükken möchten. Sie bieten jedenfalls eine an Farben und
Formen äusserst reiche Auswahl: Gamaschen, schwarze
und gelbe Wadenbekleidungen, lange und kurze, aus
113
Leder, gegerbtem Tuch oder sonstigem wasserdichtem
Gewebe: dunkelblaue, hellblaue, schwarze, resedafarbige, kaki und hellgraue Wadenbinden ... nur Volpatte
trägt noch, einzig in seiner Art, von der Mobilisation
her, die kleinen Ordonnanzbinden. Mesnil André führt
seit zwei Wochen ein Paar dicke, grüne und gerippte
Wollstrümpfe spazieren, während man Tirette von jeher
mit grau und weiss gestreiften Tuchbinden gekannt hat,
die von einer Zivilhose herrühren und gottweiss, wo
diese Zivilhose bei Kriegsausbruch gehangen hat ... Und
Marthereau erst, dessen Binden nicht genau gleich in der
Farbe sind; als er sie nämlich zurechtschneiderte, konnte
er unmöglich zwei Mantelfetzen ausfindig machen, die
gleich abgenützt und dreckig gewesen wären. Daneben
gibt es in Lumpen, ja sogar in Zeitungen eingewickelte
Beine, um die sich Schnüre und, was noch praktischer
ist, Telephondrähte spiralenförmig winden. Pépin protzt
vor den Kameraden und den Passanten mit einem Paar
fuchsgelben Gamaschen, die er einem Toten gepumpt
hat ... Barque, der auf Findigkeit und Ideenreichtum
Anspruch erhebt (womit er einem, weiss Gott, zuweilen auf die Nerven geht), der Bruder Barque leistet sich
weisse Waden: er hat sich nämlich Verbandbinden um
die Gamaschen gewickelt, um sie zu schonen; diese
weisse Farbe an der Basis seiner Gestalt passt zu seiner
Baumwollmütze, die unter seinem Helm herausschaut
und unter der wiederum der feuerrote Haarbüschel eines
Clowns hervorguckt. Poterloo marschiert seit einem
Monat in den Stiefeln eines deutschen Infanteristen
herum; es sind schöne, fast noch neue Stiefel mit
Hufeisen am Absatz. Caron hat sie ihm anvertraut, als
er seines Armes wegen wegkam. Caron selbst hatte sie
einem bayrischen Mitrailleur abgenommen, der auf der
Pylones-Strasse gefallen war. Ich höre noch Caron die
Geschichte erzählen:
– Jawohl, mein Lieber, da lag er, der Bruder Hiroton,
zusammengeklappt, den Hintern in einem Loch; er blinzelte den Himmel an, die Beine in der Luft. Er hielt mir
seine Komisstiefel hin, als wollte er sagen, der Streich
lohne sich. Werden wir schon machen, sagt ich mir. Aber
Mensch, die Schinderei, dem die Stiefel auszuziehn!
Abgeschunden hab ich mich, dran gezogen, gedreht,
geschüttelt ... eine halbe Stunde, mein Ernst; mit seinen
stocksteifen Haxen, ohne Behilflichkeit seinerseits. Und
Wasser-Prawda | Juni 2014
114
SPRACHRAUM
als ich eine lange Zeit dran gewürgt hatte, da gingen
dem Leichnam schliesslich die Beine an den Knien aus
dem Leim und seine Büchsen desgleichen und die ganze
Bescherung nach, mit einem Ruck! Auf einmal stand ich
da, in jeder Pfote einen gefüllten Stiefel. Und nun hiess
es, die Beine und die Füsse rausnehmen.
– Na, du trägst dick auf!
– Frag den Radfahrer Euterpe, ob’s nicht wahr ist. Wenn
ich dir sag, dass er dabei war: mit den Händen haben
wir Knochen, Sockenfetzen und Fusstücke rausgezogen.
Aber guck her, gelohnt hat sich die Sache!
... Und während Carons Abwesenheit trägt Poterloo
für ihn die Stiefel ab die der bayrische Mitrailleur nicht
mehr selbst hat abtragen können.
Und so wehrt man sich mit regsamem Erfindungsgeist
und allerlei kühnen Hilfsmitteln gegen den schrecklichen Mangel an häuslicher Einrichtung. Jeder ist wie
ein Zeugnis dessen, was er in der tiefen Armseligkeit,
die ihn überfallen hat, zu erfinden wusste und auszuführen sich nicht scheute.
Mesnil Joseph schlummert, Blaire gähnt, Marthereau
qualmt stieren Blickes. Lamuse kratzt sich wie ein Gorilla
und Eudore wie ein Seidenaffe; Volpatte hustet und
sagt, ich werde verrecken; Mesnil André hat Spiegel und
Kamm vorgeholt und pflegt seinen schönen braunen
Bart wie eine seltene Pflanze. Die eintönige Stille wird
zuweilen durch Anfälle verzweifelten Schüttelns unterbrochen, hervorgerufen durch die endemische, chronische und ansteckende Gegenwart der Parasiten.
Barque aber, der ein guter Beobachter ist, lässt seine
Blicke in der Runde spazieren, zieht seine Pfeife aus
dem Munde, spuckt, zwinkert mit dem Aug und meint:
– Man sieht sich doch verdammt unähnlich.
– Wie sollte man auch? fügt Lamuse hinzu; das wär
schon ein Wunder.
*
Unser Alter? Alle möglichen Alter haben wir. Unser
Regiment ist ein Reserveregiment, das durch verschiedentlichen Nachschub teils aus der aktiven Armee, teils
aus der Landwehr ergänzt worden ist. In dem einen
halben Zug gibt’s Landwehr-Reserven, Anfänger und
Halbflügge. Fouillade ist vierzig, Blaire könnte Biquets
Vater sein, der selbst ein Fläumling ist und zum Jahrgang
13 gehört. Der Korporal redet den Marthereau mit
Wasser-Prawda | Juni 2014
»Grossvater« an oder mit »alter Schutthaufen«, je
nachdem er im Spass oder im heiligen Ernst spricht.
Mesnil Joseph wäre jetzt in der Kaserne, wenn nicht
Krieg wäre. Es berührt uns schon merkwürdig, wenn wir
uns führen lassen müssen von unserm Sergeanten Vigile,
einem kleinen netten Kerl mit einem Anflug von Härlein
an der Oberlippe und der letzthin im Standquartier mit
kleinen Mädchen Seil hüpfte.
In unserer zusammengewürfelten Gruppe, in dieser
Familie ohne Verwandtschaft, an diesem Herd ohne
Heim sitzen dicht nebeneinander drei Generationen
und leben, warten reglos wie unförmige Statuen, wie
starrende Meilensteine.
Unsre Rassen? Alles mögliche ist bei uns vertreten und
aus allen Gegenden sind wir zusammengelaufen.
Meine Nachbarn zum Beispiel: Poterloo ist MinenArbeiter aus der Calonne-Grube und hat eine rosige
Gesichtsfarbe, strohgelbe Augenbrauen, flachsbläuliche Augen und einen dicken goldgelben Schädel, für
den man lange in den Magazinen nach der mächtigen
blauen Schüssel gesucht hat, die ihn behelmt. Fouillade
dagegen ist Schiffsmann von Cette und rollt ein Paar
teuflische Augen; er hat das lange, magere und geigenbraune Gesicht eines romantischen Haudegens und eingefallene Wangen; so sind meine beiden Nachbarn in
der Tat voneinander verschieden wie Tag und Nacht.
Und nicht minder der Kontrast zwischen Cocon,
jener langen, bebrillten Bohnenstange, mit der vom
Grosstadtdunst zersetzten Hautfarbe und zwischen
Biquet, dem rauh zugeschnittenen Bretonen mit grauer
Gesichtsfarbe und seinem Pflastersteinkiefer; und André
Mesnil, der gemütliche Apotheker aus der normannischen Unterpräfektur, der einen hübschen, zarten Bart
trägt und der so viel und so gut spricht; er hat nicht
viel gemeinsames mit Lamuse, dem fetten Bauern aus
dem Poitou, mit seinen Faustbacken und seinem StierNacken. Barque, der sämtliche Strassen von Paris abgeklopft hat, spricht die Sprache der Pariser Vorstadt,
wogegen andere aus dem 3. Landwehr-Regiment den
singenden, fast belgischen Akzent des Nordens haben;
dazwischen tönt wiederum die klangvolle Sprache der
144., die über die Silben wie über Pflaster rollt und
schliesslich der Dialekt der Auvergnaten vom 12., die
sich wie Ameisen gegenseitig anziehen und inmitten der
SPRACHRAUM
übrigen einen abgesonderten Block bilden ... Ich erinnere mich noch, wie Tirette, dieser Spassvogel, sich mit
folgenden Worten vorstellte: »Ich, Kinder, ich bin von
Clichy-la-Garonne! Wer hat da noch Worte?« Und jene
erste Klage, die mich Paradis näher brachte, als er jammerte: »die andern futieren sich um mich, weil ich aus
dem Morvanschen bin«.
Unsere Berufe? Auch so ziemlich alles durcheinander.
In früheren Zeiten, als man sich noch einer sozialen
Stellung erfreute und man seine Zukunft in diese verregneten und beschossenen Maulwurfslöcher, die man
immer wieder neu aufscharren muss, noch nicht vergraben hatte, damals waren wohl die meisten von uns
Ackersleute und Arbeiter. Lamuse war Knecht, Paradis
Fuhrmann; Cadilhac, dem der Kinderhelm auf seinem
spitzen Schädel wackelt gleich einer Kuppel auf einem
Kirchturm, wie sich Tirette ausdrückt, Cadilhac ist
Grundbesitzer; Papa Blaire war Pächter in der Brie;
Barque dagegen war Laufbursche und vollbrachte auf
seinem Dreirad akrobatische Kunststücke, sich zwischen Pariser Trambahnen und Taxametern durchschlängelnd, wobei er, nach seiner eigenen Aussage, auf
den Strassen und Plätzen den bestürzten Hühnerstall
der Fussgänger in ganz hervorragender Art anbrüllte;
Korporal Bertrand, der sich stets schweigsam und
korrekt ein wenig abseits hält, mit seinem regelmässigen
und exakt zugeschnittenen Gesicht, mit seinem schönen,
wagerechten und mannhaften Blick, war Werkmeister in
einer Röhrenfabrik. Tirloir bepinselte Kutschen, ohne
zu murren, wie versichert wird. Tulacque hatte eine
Weinpinte an der »barrière du Trône« und Eudore, der
bleiche und sanfte Eudore führte an einer Landstrasse
unweit von der jetzigen Front eine Wirtschaft; sie hat
unter den Geschossen sehr gelitten – natürlich, denn,
wie bekannt, hat Eudore kein Glück. Mesnil André, der
noch die letzten Spuren von Zivilisation aufzuweisen hat
und seine Haare pflegt, verkaufte Natron und garantiert
unfehlbare Mittel (an einem grossen Platz); sein Bruder
Joseph verkaufte Zeitungen und illustrierte Romane in
einem Bahnhof der Staatseisenbahn, während Cocon,
der Ziffermensch, fern von hier, in Lyon, hinter dem
Ladentisch einer Eisenhandlung mit einer schwarzen
Bluse und bleifarbenen, polierten Händen sich zu schaffen machte. Becuwe, Adolphe und Poterloo dagegen
115
stiegen, wenn der Morgen graute, hinter dem armseligen Sternchen ihrer Laterne in die Kohlengruben des
Nordens.
Und andere hat es noch, deren Berufe man immer
wieder vergisst und die man miteinander verwechselt;
und dann die Landstromer, die zehn Berufe zugleich
in ihrem Ranzen führen, Pépin nicht zu vergessen, der
zweifelhafte Pépin, der wohl nie einen Beruf gehabt hat
(alles was man weiss, ist, dass er vor drei Monaten, nach
seiner Wiederherstellung im Depot geheiratet hat, um
... die staatliche Unterstützung der Wehrmannsfrauen
zu beziehen).
Freie Berufe gibt es keine in meiner Umgebung. Lehrer
sind Unteroffiziere bei der Kompagnie oder bei der
Sanität. Im Regiment befindet sich ein Marist als
Sergeant, dem Sanitätsdienst zugeteilt; ein Tenor ist
Radfahrer beim Bataillons-Arzt; ein Advokat Sekretär
des Obersten; ein Rentier Küchenkorporal bei der
Verwaltungs-Kompagnie. Bei uns dagegen nichts von
alledem; denn wir sind kämpfende Soldaten, wir; und
während dieses Krieges werden die wenigsten unter den
Intellektuellen, den Künstlern oder den Reichen ihr
Gesicht an eine Schiesscharte vorgewagt haben, allerhöchstens im Vorbeigehen oder mit ein paar Streifen
am Käppi.
Gewiss, man ist grundverschieden von einander.
Und doch sieht man einander so ähnlich.
Trotz Altersunterschiede, trotz verschiedener Herkunft,
Bildung und Stellung, trotz alledem, was früher war
und trotz der Abgründe, die uns einst von einander
trennten, sind wir im grossen und ganzen einer wie
der andere. Hinter einer rauhen Silhouette verbergen
sich und zeigen sich die gleichen Sitten, die gleichen
Gewohnheiten, der gleiche vereinfachte Mensch, der
auf den Urzustand zurückgekommen ist.
Die gemeinsame Ausdrucksweise, jenes mit einigen
Neubildungen aus der Werkstatt-, Kasernensprache und
Dialekt gewürzte Gemisch verbindet uns wie eine Sauce
jener gedrängten Ansammlung von Männern, die seit
Monden Frankreich entleert, um sich im Nord-Osten
anzustauen.
Und dann kettet uns hier das gleiche unwiderrufliche
Schicksal aneinander, wo uns eine höhere Macht und das
gewaltige Abenteuer auf die gleiche Stufe stellt. So muss
Wasser-Prawda | Juni 2014
116
SPRACHRAUM
man wohl nach Wochen und Monaten einer allgemeinen Aehnlichkeit unterliegen. Die schreckliche Enge des
gemeinsamen Daseins, das uns aneinanderdrängt, passt
uns gegenseitig an, verwischt alle Unterschiede, und
jeder wird unwiderruflich davon angesteckt; so dass wir
einander schliesslich ähnlich sehen, ohne dass man erst
aus der Ferne zum Eindruck jener Gleichheit gelangte,
aus einer Ferne, für die wir nur Staubkörnchen sind, die
in der Ebene umhergetrieben werden.
*
Man hockt da und wartet; dann wird man müde vom
hocken und steht auf. Beim Aufstehen aber quetschen einem die Gelenke wie gleitendes Holz oder alte
Türangeln; in der Feuchtigkeit rostet der Mensch ein
wie ‘s Gewehr, langsamer zwar, aber gründlicher. Und
dann fängt das Warten wieder von vorne an, und man
versucht es auf andere Weise.
Ein Warten ohne Ende ist der Kriegszustand. Man wird
zur Wartemaschine. Augenblicklich wartet man gerade
auf die Suppe. Dann kommen die Briefe an die Reihe.
Doch jedes Ding zu seiner Zeit: erst wenn man mit der
Suppe fertig ist, wird man an die Briefe denken. Und
dann wird es irgend was anderes zum abwarten geben.
Hunger und Durst sind brennende Instinkte, die auf
den Geisteszustand meiner Kameraden mächtigen
Einfluss haben. Und da die Suppe auf sich warten lässt,
werden sie ungehalten und murren. Das Bedürfnis nach
Nahrung und Trank knurrt ihnen zum Mund heraus.
– Acht Uhr schon. Wo bleibt diese gottverdammte
Brühe?
– Und mir brummt schon seit gestern zwölf Uhr der
Magen, knurrt Lamuse, mit sehnsuchtsfeuchten Augen
und weinroten Backen.
Von Minute zu Minute wächst der Missmut zu
Erbitterung an.
– Plumet hat sich wohl meinen Lakritzensaft hinter
die Binde gegossen, anstatt ihn herzubringen und liegt
besoffen, weiss der Teufel wo.
– Das ist sicher und gewiss, meint Marthereau.
– Halunken, Ungezieferbagage! brüllt Tirloir, gemeine
Bande alle mit einander, diese Ober-Faulpelze! Auf dem
Ranzen liegen den ganzen Tag, hinter der Front und sich
nicht einmal zur Zeit herschleppen können. Wenn ich
Prinzipal wäre, ich wollte sie schön an unserer Stelle in
Wasser-Prawda | Juni 2014
die Schützengräben stopfen, und dran glauben müssten
die bequemen Herrn! Erstens müsste jeder mal schmutzig werden und die Brühe kochen dürfen; d. h. wer dazu
Lust hätte, versteht sich. Und dann ...
– Pépère, der Schweinehund, schreit Coco, wird natürlich an der Bremserei schuld sein. Erstens tut er’s mit
Fleiss und zweitens kriegt man morgens den Satan nicht
aus den Federn, das arme Kerlchen. Sechs Stunden
Lauskapsel braucht er zum ausschnarchen, wie ein
Milchsüppchen, und tags über liegt er auf der faulen
Haut.
– Ich möcht ihm schon Feuer unter die Hosen zünden!
schimpft Lamuse. Den wollt ich prompt aus den Federn
jagen, wenn ich dabei wäre. Den Hirnkasten würd’ ich
ihm eintrommeln, an seinen Stelzen rausangeln sollte
man ihn.
– Letzthin, sagt Cocon, hab ich’s ausgerechnet: sieben
Stunden siebenundvierzig Minuten hat er gebraucht
vom Unterstand Nr. 31. Fünf gut gestampfte Stunden
brauchst du, nicht mehr.
Cocon ist ein Zahlenmensch.
Er ist mit Gier ins Genaue-Dokumentiertsein vernarrt;
überall steckt er wie ein Wiesel seine Nase hinein,
ob es nicht nach Statistiken rieche, die er dann mit
Ameisenfleiss anhäuft und jedem geduldigen Ohr als
Schmaus anbietet. Augenblicklich fuchtelt er mit Zahlen
herum wie mit einer Waffe und Wut verzerrt sein dünnes
Gesicht, das aus lauter Dreiecken und Winkeln besteht,
auf denen die zwei Kreise seiner Brillen ruhn.
Er steigt aufs Schiessbrett, das noch aus der Zeit stammt,
als hier die vorderste Linie durchlief; dann streckt er
seinen Kopf wütend über die Böschung; dabei sieht
man im dünnen, kalten Lichtstreifchen, das über die
Erde kriecht, die Brillengläser glänzen und auch einen
Tropfen, der ihm wie ein Diamant an der Nase hängt.
– Und überhaupt mit dem Pépère, kein Wunder, so ein
Spundloch; unglaublich, was er sich kiloweise Saft an
einem Tag hinter die Binde giesst.
Der alte Blaire mistet seine Ecke. Man sieht, wie dabei
sein dichter, weisslicher Schnurrbart zittert, der ihm wie
ein weisser Kamm aus der Nase steht.
– Soll ich dir was sagen? Die Suppenmannschaft, das ist
überhaupt der Typus eines Schweinetypus. Bei ihnen
heisst’s immer: scheiss drauf, leck mich am Arsch,
SPRACHRAUM
Scheiss-Arsch und Compagnie.
– Auf dem Mist sind sie gewachsen, seufzt in tiefster
Ueberzeugung Eudore, der der Länge nach mit halbgeöffnetem Mund wie ein Märtyrer auf dem Boden liegt
und Pépin unentwegt betrachtet, der wie eine Hyäne
hin- und herrennt.
Die hassgeschwängerte Erbitterung gegen die Verspäteten
wächst von Minute zu Minute,
Tirloir, das Reklamierkaliber, kommt überhaupt nicht
mehr zur Ruhe. Er ist in seinem Element und stupft
die Wut der Kameraden mit kleinen, spitzen Gesten an:
– Wenn man wenigstens den Trost hätte, dass einem die
Sache schmecken wird, aber die Schlampe, die du dir in
den Schlauch stopfen sollst.
– Und gestern, ha! meint Tirette, den Braten, den
sie gebracht haben; Schleifstein ist nichts dagegen!
Rindsbeefsteak nennen sie das; hat sich was mit dem
Veloschlauch. Den andern hab ich gesagt, sie sollten
beim kauen aufpassen: beisst euch die Dominos nicht
dran kaput, hab ich gesagt, wenn der Schumacher im
Falle einen Nagel dran vergessen hätt.
Tirette, heisst es, sei Exregisseur einer Kinotruppe;
sein ausgeschriener Witz hätte zu einer andern Zeit
die Lachmuskeln gereizt; jetzt aber ist die Stimmung
getrübt und auf den Witz antwortet nur ein allgemeines Knurren.
– Und dann pappen sie einem als Fleisch zur
Abwechslung was Weiches in den Magen; sowas wie
ungesalzner Schwamm, oder fades Senfpflaster; beim
Essen hast du’s Gefühl, es rutscht dir ein Viertel Liter
Wasser den Schlauch runter.
– All das Zeug ist ohne Bestand, meint Lamuse, und hält
nicht an im Magen. Und wenn du meinst, du bist voll,
dann hast du doch ‘ne leere Kiste; und dann kippst du
allmählich um von wegen zu wenig Nahrung.
– Das nächste Mal, schreit Biquet, geh ich zum Alten
und sag ihm: »Herr Hauptmann ...«
– Ich, sagt Barque, meld mich bleich und sag zum Arzt:
»Herr Major ...«
– Und wenn du Wände einrennst, hast du nichts davon.
Die sind sich doch alle einig, den Soldaten auszunützen.
– Unsre Haut wollen sie, alle, sag ich dir!
– Genau wie mit dem Schnaps. Das Recht drauf haben
wir; irgendwo, wo weiss ich nicht, aber irgendwo, weiss
117
ich bestimmt, ist drüber abgestimmt worden; nun sind
wir schon drei Tage lang hier, und Schnaps! Hat sich
was, mit Heugabeln schenken sie ihn uns ein?
– Hol’s der Teufel.
*
– Endlich kommen die Fressalien! meldet einer der an
der Biegung Auslug hielt.
– Höchste Eisenbahn!
Nun legt sich plötzlich wie verhext das fluchende
Gewitter, und die Wut wandelt sich in Zufriedenheit.
Drei Leute Suppenmannschaft stellen, ausser Atem und
schweisstriefenden Gesichtes, zwei grosse Kannen, eine
Petrolkanne, zwei Tucheimer und an einer Stange aufgespiesste Kugeln auf die Erde. An die Grabenwand
gelehnt, wischen sie sich mit ihren Taschentüchern oder
ihren Aermeln den Schweiss von der Stirn. Dabei seh ich
Cocon sich an Pépin lächelnd heranmachen; schon hat
er die Beleidigungen, mit denen er ihn vorhin bedacht
hatte, vergessen, und deutet auf eine jener Feldflaschen,
die dem Pépère wie ein Rettungsgürtel um den Bauch
hängen.
– Was gibt’s zu futtern?
– Da steht’s, antwortete ausweichend der zweite Träger.
Die Erfahrung nämlich hatte ihn gelehrt, dass die
Ankündigung des Speisezettels stets eine bittere
Enttäuschung hervorruft.
Er schimpft auch deshalb, ohne noch seinen vollen Atem
gefunden zu haben, über den langen und schlechten
Weg, den er soeben zurückgelegt hatte: »Ueberall liegen
sie herum wie die Beduinen, man kommt kaum durch.
Dünn wie Zigarettenpapier müsste man sein, manchmal, um sich durchzuquetschen ...« »Und dabei hat’s
noch welche, die meinen, bei der Küchenmannschaft
seien sie alle Drückeberger.« Dagegen behaupte er, tausendmal lieber im Schützengraben zu arbeiten oder auf
dem Wachtposten zu stehn, als dies elende Handwerk
zweimal in der Nacht und zweimal am Tag ausüben zu
müssen.
Paradis hat die Deckel der Kannen gelüftet und den
Inhalt untersucht:
– Oelbohnen, gekochtes Leder und Schlamm; das ist
alles.
– Gottverdammich! Und wo bleibt der Wein? brüllt
Tulacque und trommelt die Kameraden zusammen.
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
– Da schaut her! So was geht über’s Bohnenlied! Nicht
mal Wein haben sie gebracht.
Sie laufen alle zusammen und schneiden lange Gesichter;
denn ihre Gaumen sind ausgetrocknet.
– Scheissbande! rufen die Leute, tief bis in die Eingeweide
hinein enttäuscht.
– Und da drinnen, was hat’s da drinn? meint einer der
Träger, noch immer krebsrot und nass vom Schweiss,
und deutet mit dem Fuss auf eine Kanne.
– Ja so, sagt Paradis, ich habe mich getäuscht, also doch
Wein.
Drauf zuckt der Träger mit den Achseln und wirft ihm
einen Blick grenzenloser Verachtung zu und sagt: Setz
dir Kuhbrillen vor die Augen, wenn du blind bist.
Dann fügt er hinzu:
– Ein Viertelliter pro Mann ... kann sein, dass es nicht
ganz reicht, ‘s ist mir nämlich im Wald so’n Rindvieh
dran gestossen, dabei ist ein Tropfen rausgespritzt ...
Dann fügt er aber schnell hinzu: wenn ich nicht beide
Hände voll gehabt hätte, hätt ich dem Kerl den Absatz
in den Bauch gesteckt, sag ich, ja wohl! Aber die vierte
Geschwindigkeit hat er eingeschaltet, das Kamel!
Trotz dieser energischen Versicherung, macht er sich
schleunigst auf die Socken, verfolgt von den beleidigenden Anspielungen, die die andern seiner Ehrlichkeit und
seiner Temperenzlerseele nachwerfen und auch von den
Verwünschungen, die die eingestandene unvollständige
Ration auslöst.
Nichtsdestoweniger stürzt man sich auf die Nahrung,
und sie essen stehend, kauernd, knieend, auf einer
Kanne hockend oder auf einem Tornister, der aus
dem Schlafloch gezogen wird; andre liegen auf dem
nackten Boden, den Rücken in der Erde vergraben; die
Vorübergehenden aber stören sie und man flucht sich
gegenseitig an. Ausser diesen fluchenden Bemerkungen
spricht keiner etwas, denn das Essen nimmt sie völlig
in Anspruch; dabei trieft der Mund von Fett wie der
Verschluss der Gewehre.
Nun ist alles zufrieden.
Nach einer Weile aber ruhn die Kiefer aus; dann werden
Zoten aufgetischt. Alles fuchtelt mit den Armen durcheinander und jeder überschreit den Nachbar und hastet
nach der günstigen Gelegenheit, seinen Witz anzubringen. Und Farfadet lächelt, Farfadet, der zerbrechliche
Wasser-Prawda | Juni 2014
Mairie-Beamte, der zu anfang den Anstand wahrte und
sich putzte, dass man ihn für einen Fremden oder einen
Rekonvaleszenten hielt. Lamuse aber zieht sein flixendes Maul bis hinter die Ohren und seine Augen blinzeln
freudetriefend; wogegen das rote Gesicht von Poterloo
strahlt und glänzt wie eine Pfingstrose; die Runzeln des
alten Blaire zittern vor Ausgelassenheit; er ist aufgestanden, streckt die Nase vor und schüttelt seinen dünnen
Leib, der wie ein Stiel für seinen mächtigen, hängenden
Schnurrbart aussieht; ja selbst der arme Cocon hat ein
Fünkchen Heiterkeit auf seinem kleinen Runzelgesicht.
*
– Ja und ... der Schlamm, wird der nicht gewärmt? fragt
Becuve.
– Womit nur? Blas drauf, vielleicht kriegt er Hitze davon.
– Lasst mich nur machen. Ich weiss schon, wie das zu
drechseln ist; wahrlich, keine Hexerei; macht ihr mir nur
einen kleinen Herd mit den Käsmesserscheiden zurecht;
ich geh derweil Späne holen mit meinem Messer; werdet
schon sehn ... Mit diesen Worten macht er sich auf die
Holzsuche.
Die andern rollen sich Zigaretten oder stopfen ihre
Pfeife, solang der Kaffee kocht.
Hierzu zieht ein jeder seinen Tabakbeutel heraus, seinen
Leder- oder Kautschukbeutel, den er beim Krämer
gekauft hat; das leisten sich nur die wenigsten; Biquet
holt seinen Tabak aus einem Strumpf hervor, dem er
dann mit einer Schnur den Hals würgt. Die meisten
gebrauchen als Tabaktasche die Wattesäckchen der
Gasmasken. Sie sind aus wasserdichtem Stoff hergestellt und eignen sich vorzüglich zum Aufbewahren des
Knasters. Andere aber bergen ihren Tabak einfach in
den Tiefgründen ihrer Manteltasche.
Die Raucher spucken im Kreis herum gerade auf den
Eingang des Unterstandes zu, in dem das Gros des
halben Zuges haust und überschwemmen mit gelber
Nikotinspucke gerade die Stelle, wo man auf Händen
und Knieen ein- und auskriecht.
*
Ein Brief, den Marthereau von seiner Frau erhalten hat,
bringt das Gespräch auf die Lebensmittelfrage.
– Meine Alte hat mir geschrieben, sagt Marthereau.
Wisst ihr, was ein leibhaftiges Mastschwein kostet, jetzt?
... Die volkswirtschaftliche Frage artet in einen heftigen
SPRACHRAUM
Streit zwischen Pépin und Tulacque aus.
Die endgültigsten Worte sind ausgetauscht worden, und
schliesslich meint einer:
– Mir doch Wurst, was du sagst und was du nicht sägst.
Halt’s Maul!
– Wenn’s mir passt, Scheisskerl!
– Ein drei Liter-Krug möcht dir s’Maul zufrieden stellen!
– Ja, und wo hast du den?
– Komm nur her, komm her doch!
Sie sind schäumend vor Wut und rücken zähneknirschend aufeinander los. Tulacque fasst sein prähistorisches Beil und seine zweideutigen Augen werfen Blitze
von sich. Der andere steht da, bleich, mit grünlichem
Auge und dreckiger Fratze und denkt offensichtlich an
sein Messer.
Lamuse aber, mit blutrotem Gesicht streckt seine friedliche Hand, dick wie ein Kinderkopf, zwischen beide
Männer, die sich mit den Blicken auffressen und mit
Worten zerfleischen.
– Langsam, langsam, Kinder; ihr werdet euch doch nicht
in Fetzen hauen; ‘s wär, weiss Gott, schade drum.
Dann treten auch die anderen dazwischen und die
beiden Gegner werden von einander getrennt. Beide
aber werfen sich über die Kameraden hinweg wütende
Blicke zu.
Pépin spuckt noch seine letzten Flüche aus mit giftigem
und schnaubendem Tonfall:
– Der Apache, der Halunke, der Stromer! Nur abwarten, ich werd’s ihm schon heimzahlen!
Seinerseits vertraut sich Tulacque dem Soldaten an, der
neben ihm steht:
– Der Lumpenkerl! Hast du ihn gesehn? Weisst du,
richtig ist das schon: man verkehrt hier mit allerlei
Kerlen und weiss nicht, woher das Pack alles herkommt.
Man kennt einander und kennt einander eben doch
nicht. Aber wenn der die grosse Schnauze haben will, so
ist er an die richtige Adresse geraten: ich werde sie ihm
dieser Tage schon mal demolieren, nur Geduld.
Während dann die Unterhaltung allgemein wieder in
Gang kommt und sie das aussterbende Doppelecho
übertönt, sagt Paradis zu mir:
– Also alle Tage; gestern wollte Plaisance ums Verrecken
dem Furnex auf die Schnauze geben, weiss der Teufel
weshalb, wegen Opiumpillen oder so was. Und wenns
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der eine nicht ist, dann ist es der andere. Wird man hier
wirklich zum Stück Vieh, weil man äusserlich danach
aussieht?
– Gott, das sind doch alles keine seriösen Leute, meint
Lamuse, Kinder sind sie alle.
– Na, ja, ‘s wären doch sonst keine Männer.
*
Der Tag ist unterdessen vorgeschritten. Ein wenig mehr
Licht sickert durch den Dunst auf die Erde; aber der
Himmel bleibt bewölkt und jetzt schmilzt er zu Wasser.
Der feuchte Dunst fällt in dünnen Fäden auf das Land.
Es sickert Feuchtigkeit. Der Wind streicht über uns seine
grosse nasse Leere mit verzweifelnder Trägheit. Unterm
Nebel und den feuchten Tropfen weicht alles auf und
wird grau: sogar der Möbelstoff, den sich Lamuse über
die Backen zieht, und die gelbe Schale in der Tulacque
steckt; und das Dunstwasser löscht in uns die helle
Freude, die die Mahlzeit angefacht hatte. Der Himmel
hat sich auf die Erde gedrückt, und so lehnt sich das
Feld der Trübsal an den Acker des Todes.
Und man steht da wie angewachsen und ohne
Beschäftigung. Heute wird das Ende des Tages wieder
kaum zu erreichen und der Nachmittag schwer zu erwürgen sein. Man schlottert; alles ist ungemütlich und man
drückt sich von Stelle zu Stelle, wie eingepferchtes Vieh.
Cocon erklärt seinem Nachbarn die Anlage und die
Verquickung unserer Schützengräben. Er hat einen
Hauptplan gesehen und sich darnach manches ausgerechnet. Der Sektor des Regimentes begreift fünfzehn Linien französischer Schützengräben; die einen
stehen leer; das Gras ist wieder drüber gewachsen und
sie sind fast wieder mit Erde ausgefüllt; die anderen
werden andauernd offen gehalten und sind gespickt mit
Menschen. Diese Parallelgräben sind verbunden durch
unzählige Verbindungsschläuche, die sich durch die Erde
winden wie alte Gassen. Das Grabennetz ist bedeutend
dichter, als wir glauben, wir, die wir selbst drin leben.
Auf die fünfundzwanzig Kilometer Breite, die die Front
der Armee ausmachen, kommen tausend Kilometer
Gräben; Schützengräben, Verbindungsgräben, Sappen.
Und das französische Heer hat zehn Armeen. Es sind
demnach auf französischer Seite rund zehntausend
Kilometer Gräben zu rechnen und ebensoviel auf deutscher Seite ... Und die französische Front ist ungefähr
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120
SPRACHRAUM
nur der achte Teil der ganzen Kriegsfront, die sich über
die Erde erstreckt.
So spricht Cocon und schliesst seine Rede mit der
Bemerkung:
– Kannst Dir nun ausrechnen, was unsereins in der
ganzen Geschichte vorstellt ...
Der arme Barque senkt das Haupt. Er hat das bleichsüchtige Gesicht eines Vorstadtkindes, und seine roten
Schnauzhaare lassen es noch blasser erscheinen. An
seinem Schädel aber sitzt ein Haarbüschel wie ein
geschwungener Apostroph.
Bei Gott, wenn man’s überlegt, dass ein oder sogar
mehrere Soldaten in diesem Haufen rein nichts, weniger
als nichts bedeuten, dann kommt man sich wie verloren und verwischt vor, wie ein paar Tropfen Bluts in
diesem sündfluthaften Durcheinander von Menschen
und Dingen.
Barque seufzt und verstummt – und dann hört man eine
Geschichte, die einer in dieser Lautlosigkeit halbleise
erzählt:
– Er war mit zwei Pferden gekommen. Pssiiii ... eine
Granate. Dann blieb ihm nur noch das eine Pferd ...
– Man vergeht vor Langeweile, sagt Volpatte.
– Man muss durchhalten, murrt Barque.
– Wofür? fragt Marthereau, skeptisch.
– Es braucht keinen Grund, man muss einfach.
– Es hat auch keinen Grund, versichert Lamuse.
– Freilich hat’s einen, sagt Cocon. Und zwar ... es hat
sogar mehrere ...
– Klappe zu! Es ist besser, es hat keinen, da man nun
doch mal aushalten muss.
– Und wenn ich’s euch sage, knurrt Blaire, der keine
Gelegenheit verpasst, seinen Vers aufzusagen: und wenn
ich’s euch sage, dass sie unsre Haut wollen!
– Anfangs, sagt Tirette, hab ich über allerlei nachgedacht, ich studierte, ich berechnete: jetzt denk ich überhaupt nicht mehr.
– Ich auch nicht.
– Ich auch nicht.
– Ich, ich hab’s überhaupt nie versucht.
– Du bist doch nicht so dumm, wie du aussiehst, du
Wanzenfratze, meint Mésnil André mit seiner spöttischen Fistelstimme.
Der andere, der nicht weiss, ob er sich geschmeichelt
Wasser-Prawda | Juni 2014
fühlen soll, führt weiter aus:
– Erstens, wissen kannst du überhaupt nichts.
– Es genügt dies eine zu wissen, nämlich dass die
Deutschen im Land sind, eingewurzelt, und dass ihnen
die Passage versperrt bleiben muss und dass man sie
das eine oder das andere Mal – und zwar so schnell
als möglich vor die Türe setzen muss, sagt Korporal
Bertrand.
– Freilich, freilich, was denn sonst? ‘S hat gar keinen
Wert, sich weiter den Gehirnschmalz anzustrengen. Nur
dauert die Geschichte ein wenig lang.
– Ha! ruft Fouillade aus, schon ein bischen lang!
– Ich, sagt Barque, ich fluche nicht mehr. Anfangs hab
ich über alles geflucht, über die hinter der Front, über
die Zivilisten, über die Bürger, über die Drückeberger.
Geschimpft hab ich, das stimmt, aber es war am Anfang,
da war ich noch jung. Jetzt seh’ ich die Geschichte von
der besseren Seite an.
– Es gibt nur eine Seite, die Dinge zu nehmen: man
nimmt’s, wie’s gerade kommt.
– Verdammt! Es wäre sonst zum verrückt werden. Man
wird schon so blöd genug, meinst du nicht, Firmin?
Volpatte nickt zustimmend mit dem. Kopf, völlig überzeugt, spuckt und betrachtet seine Spucke starren und
nachdenklichen Blickes
– Weiss der Teufel, bestätigt Barque.
– Nur nicht lange nachgrübeln hier; in den Tag hineinleben, von Stunde zu Stunde, wenn du’s fertig bringst.
– Freilich, freilich, du Affe; machen, was man einem
sagt, bis man uns sagt, dass wir gehn können.
– So ist es, gähnt Mesnil Joseph.
Die verbrannten, lohfarbnen und staubdurchsetzten
Gesichter stimmen zu und verstummen. Das ist allerdings die Meinung jener Männer, die vor anderthalb
Jahren, aus allen Ecken und Enden ihr Heim verlassen
haben, um sich an der Grenze anzuhäufen: sie verzichten drauf, irgend etwas zu verstehn, sie verzichten auf
sich selbst und hoffen, dem Tod zu entgehn und wehren
sich um ein möglichst erträgliches Dasein.
– Machen was man einem sagt, schon recht, aber wehren
muss man sich doch gegen den Scheissdreck, meint
Barque, der mit dem Fuss den Kot zerreibt.
*
– Das musst du freilich, bestätigt Tulacque. Wehrst du
SPRACHRAUM
dich nicht selber, so tut’s keiner für dich, hab nur keine
Bange.
– Den haben sie noch nicht erfunden, der sich um die
andern kümmert.
– Jeder für sich, heisst es im Krieg!
– Freilich, freilich.
Dann wieder ein Schweigen. Dann malen sich jene
Männer in ihrer Armseligkeit die glücklichen Zeiten aus.
– Es war doch was anderes, das schöne Leben damals in
Soisson, meint Barque.
– Gottverdammich!
Und wie der Schimmer eines verlorenen Paradieses
leuchtet es in ihren Augen auf und scheint auf den von
der Kälte geröteten Gesichtern zu liegen.
– Jawohl, das Schlemmerleben, seufzt Tirloir, der sich
kratzte und plötzlich in Gedanken versunken damit
aufhört; dann schaut er ins Weite durch die Erde des
Grabens hindurch.
– Herrgott! diese fast ausgestorbene Stadt, die, hol’s der
Teufel, unser war; die Häuser mit den Betten ...
– Und die Schränke!
– Und die Keller!
Dem Lamuse kommen bei diesen Gedanken die Tränen
in die Augen, sein Gesicht strahlt wie ein Blumenstrauss
und es wird ihm schwer ums Herz.
– Seid ihr lange dort geblieben? fragt Cadilhac, der
seither mit dem Zuschub der Auvergnaten hinzugekommen ist.
– Mehrere Monate ...
Nun flammt in der Erinnerung an jene Zeit des
Ueberflusses das Gespräch wieder auf.
– Man sah, erzählt Paradis wie im Traum, Soldaten sich
hinter die Häuser drücken nach dem Quartier, zurückkommen mit Hühnern auf dem Bauch und unter jeder
Flosse ein Kaninchen, das sie sich von einem Bürger
oder einem Frauenzimmer gepumpt hatten, ohne den
Bürger oder das Frauenzimmer jemals gesehn zu haben,
oder wiederzusehn.
Und sie denken an den vergangenen Genuss, den ihnen
früher ein Huhn oder ein Kaninchen bereitet hatte.
– Es gab auch Zeug, wofür man blechte. Die Moneten
liess man nämlich auch tanzen, denn man war damals
noch bei Kasse.
– Zu Hunderttausenden sind die Franken in die Läden
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gehüpft.
– Jawohl, millionenweise. Den ganzen Tag, sag ich dir,
das ging nur so, machst dir gar keinen Begriff; wie ‘n
überirdisches Fest war das.
– Glaub’s oder glaub’s nicht, sagt Blaire zu Cadilhac,
aber was bei der ganzen Schlemmerei, wie überall, wo
du hinkommst, am meisten fehlte, das war das Feuer.
Nachlaufen musste man ihm, nachschnüffeln, kurz, man
hat sich’s verdienen müssen. Herrgott, was man bloss
dem Feuer nachgelaufen ist! ...
– Wir, wir waren im Quartier der Verwaltungstruppen;
Küchenchef war der lange Martin César. Der hatte eine
Nase, sag ich dir, für’s Holz ausfindig machen.
– Teufel, ja! Das war ein feines Luder. Da kann man
nicht dran tippen, der hatte das Zeug los!
– Immer hatte der Feuer in der Küche, wenn ich dir sage.
Ueberall liefen Küchenchefs rum in der ganzen Stadt
und plärrten, weil sie weder Holz noch Kohle fanden;
er – immer hatte er welches. Und wenn nichts mehr da
war, da sagte er einfach: »Nur Geduld, ich werde die
Sache schon deichseln.« Und lange hat er nie gesucht.
– Manchmal allerdings war’s schon toll. Das erste Mal,
wo ich ihn gesehn habe in der Küche, weisst du womit
er den Braten gekocht hat? Mit einer Geige, die er im
Haus aufgestöbert hatte.
– Gemein ist das schon, meint Mésnil André. Gewiss,
eine Geige, was die Nützlichkeit betrifft, ist ja schon
wenig bedeutend, aber ich meine doch ...
– Anderemale hat er Billardstöcke gebrannt. Zizi hat
sich gerade noch einen mausen können, um einen Stock
draus zu machen. Das übrige flog ins Feuer. Dann kamen
so allmählich die Sessel dran aus der guten Stube, die
waren aus Mahagoni. Sie haben sie nachts abgemurkst
und zerhackt, weil ein Offizier hätte schnauzen können.
– Starkes Stück ist das schon, sagt Pépin ... Wir haben
an einem alten Möbel zwei Wochen zu feuern gehabt.
– Warum kriegt man auch rein nichts? Da soll man
Suppe kochen, aber Holz kriegst du keines und Kohlen
kriegst du keine. Und nach der Verteilung stehst du da
mit deinen leeren Flossen vor dem Fleischhaufen, und
die andern stehen rum und feixen dich aus, bis sie dich
schliesslich anschnauzen. Und dann? ...
– Da können wir nichts dafür.
– Schnauzten die Offiziere nicht, wenn man Radau
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
machte?
– Die, die hielten sich den Bauch vor lachen, und wie!
Weisst du noch, Desmaisons, der Leutnant Viroin, wie
der mit dem Beil die Kellertüre einhaute? Und wie der
Soldat ihn gesehn hat, wie ihm da der Leutnant die
Tür zum kleinhauen gegeben hat, dass er nichts weiter
erzählen sollte.
– Und der arme Saladin, der Verwaltungsoffizier: sie
haben ihn abends aus einem Kellerloch kriechen sehn
mit zwei Pullen Weissem unter jedem Arm, wie so ‘ne
Amme mit vier Säuglingen. Aber wie sie ihn gesehn
haben, da musste er wieder runter in die Pullenmine und
den andern welche verteilen. Und wie Korporal Bertrand,
der sich Prinzipien leistet, keinen davon hat trinken
wollen. Ah! das weisst du noch, du Schweinswürstchen,
du!
– Und wo ist jetzt der Koch, der immer Holz zum feuern
hatte? fragte Cadilhac.
– Tot ist er. Eine Granate ist ihm in den Kochtopf geflogen. Gemacht hat’s ihm nichts, aber gestorben ist er
doch; vor Schreck nämlich, wie er gesehn hat, dass die
Makkaroni die Beine in die Luft streckten. Herzkrampf
hat der Arzt gesagt. Er hatte nämlich ein schwaches
Herz; nur das Holz ausfindig machen, das war seine
Stärke. Man hat ihn auch anständig begraben. Mit den
Parkettbrettchen aus einem Zimmer hat man ihm den
Sarg gezimmert. Die Nägel haben sie genommen aus
den Gemälden, die im Haus hingen, und haben sie mit
Backsteinen eingeschlagen. Und wie sie ihn fortgetragen
haben, da hab ich mir gesagt: »Sein Glück, dass er tot
ist, wenn er das wüsste mit den Parkettbrettchen, dass
er nicht an die gedacht hatte für’s feuern, darüber hätte
er sich nicht mehr trösten können.« Eine Nummer war’s
doch, der verdammte Kerl!
– Schon, aber wenn einer an sich denkt, dann ist es
immer auf Kosten von andern. Wenn einer von der
Mannschaft das beste Stück oder den besten Platz wegnimmt, dann müssen eben die andern dran glauben,
philosophiert Volpatte.
– Ich, meint Lamuse, ich hab mich oft gedrückt vor
dem Schützengraben, ich kann’s schon gar nicht mehr
an den Fingern abzählen wie vielmal; das muss ich schon
zugestehn. Aber wenn die Kameraden in Gefahr sind,
dann drück ich mich nicht mehr. Dann vergess ich die
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Uniform, dann vergess ich alles. Ich sehe nur Leute vor
mir und drauf los. Aber sonst, weisst du, da denk ich
an meine Wenigkeit ...
Was Lamuse behauptet, sind keine leeren Worte. Er ist
allerdings ein Virtuos im Sichdrücken; daneben aber hat
er Verwundeten das Leben gerettet, die er unter dem
Kugelregen hervorholte.
Er erzählt das ohne jede Prahlerei:
– Wir lagen auf dem Bauch im Gras. Es knallte. Pam!
pam! Zim, zim ... da sah ich sie umfliegen und bin aufgestanden, obwohl mich die andern anbrüllten: »leg dich
hin!« Aber ich konnte sie einfach nicht liegen lassen.
Ich hab kein weiteres Verdienst dabei, ich konnte eben
nicht anders handeln.
Fast alle von der Korporalschaft haben eine Heldentat zu
verzeichnen, und nach und nach haben sich Kriegskreuz
an Kriegskreuz auf ihrer Brust angereiht.
– Ich, sagt Biquet, hab keine Franzosen gerettet, aber
Deutsche hab ich eingeheimst.
Letzten Mai bei der Attacke hat man ihn vorstürmen
und dann wie ein Pünktchen verschwinden sehn; darauf
kam er mit vier bemützten Kerlen zurück.
– Ich hab welche getötet, sagt Tulacque.
Vor zwei Monaten hat er mit einer stolzen Koketterie
neun vor den eroberten Schützengraben nebeneinander hingelegt.
– Aber, fügt er hinzu, auf die deutschen Offiziere hab
ich’s besonders abgesehn.
– Ha, die Ochsen!
Der Ausruf liess sich von verschiedenen Seiten zugleich
vernehmen und tönte aus tiefster Ueberzeugung.
– Ach »Alter«, sagt Tirloir, man spricht von der schmutzigen Boche-Rasse. Die Mannschaft, weiss nicht, ob’s
wahr ist oder ob man uns auch in dem Kapitel einen
Bären aufbindet; vielleicht sind es doch Leute ungefähr wie wir.
– Wahrscheinlich sind sie auch nicht anders wie wir,
macht Eudore.
– Müsste man noch wissen! ... platzt Cocon heraus.
– Jedenfalls, was die Mannschaften angeht, ist man
noch nicht orientiert, fährt Tirloir fort, aber die deutschen Offiziere, nein, nein und abermals nein! Das sind
keine Menschen, das sind Ungeheuer. Weiss Gott, es ist
schon ein Spezial-Ungeziefer; Kriegsbazillen nenne sie
SPRACHRAUM
123
meinetwegen. Von nahem muss man die Kerle gesehen
haben, lang, mager, dünn wie Nägel, und doch mit
dicken Kälberfratzen.
– Haufenweise haben sie Schlangenmäuler.
Dann fährt Tirloir wieder weiter:
– Ich hab mal einen gefangen gesehn nach dem Gefecht.
Das gemeine Biest! Ein preussischer Oberst mit einer
Prinzenkrone, wie ich hörte, und einem goldnen Wappen
auf dem Lederzeug. Hat der Kerl nicht reklamiert, als
man ihn durch den Schlauch führte, weil sich einer
erlaubte, ihn zu streifen! Und auf alles hat er runtergeguckt von der Höhe seines Kragens herab. »Warte du,
Alter, ich will dir!« hab ich gedacht. Ich nicht faul, hinter
ihm her und jag dem Kerl mit ganzer Kraft einen Tritt
in den Arsch. Jawohl, umgefallen ist er, halb erstickt.
– Erstickt?
– Jawohl, vor Wut, als ihm die Situation klar wurde,
nämlich dass ihm sein adeliges Offiziersgesäss von einem
gewöhnlichen benagelten Kommisabsatz demoliert war.
Dann ist er ab, und hat geschrien wie ein altes Weib und
rumgefuchtelt hat er wie ein Epileptischer ...
– Ich, meint Blaire, bin kein schlechter Kerl. Hab
Kinder zu Hause, und daheim, wenn ich ein Schwein,
das ich kenne, abschlachten muss, geht’s mir durch die
Gedärme, aber so ein Kaliber, dem würd ich mit Wonne
so eins – dzing – in die Brustkommode jagen.
– Ich auch!
– Abgesehn davon, sagt Pépin, dass sie Silberdeckel auf
dem Schädel tragen und Revolver, die du zu jeder Zeit für
hundert Franken verkaufen kannst, und Prismengucker
haben, die unbezahlbar sind. Was hat ich doch am
Anfang für Gelegenheiten verpasst; gekonnt hätt’ ich;
es geschieht mir recht, aber nur keine Bange: was den
Silberhelm betrifft, sag ich dir, hör nur zu, einen krieg
ich schon noch. An der Haut allein ist mir nicht gelegen,
die Kleider eines kaiserlichen Offiziers muss ich haben.
Hab nur keine Sorge, bevor der Krieg fertig ist, werd
ich das schon noch deichseln.
– Glaubst du dran, dass der Krieg mal aus sein wird?
fragt einer.
– Nur keine Sorge, antwortet der andre.
Menschentrupp, der sich vorwärts bewegt und dabei
schwarze Gestalten sich unter die Uniformen mischen.
Was ist das Teufels?
Biquet hat sich zur Orientierung hinausgewagt. Als
er zurückkam, deutete er mit dem Daumen über die
Schulter nach der bunten Gesellschaft:
– Hola! Kameraden, guckt euch mal das an, die Leute.
– Leute?
– Ja, Herren, Zivilisten mit Generalstabsoffizieren.
– Zivilisten! Wenn sie nur durchhalten!
Es ist zwar bereits eine traditionelle Phrase, und obgleich
man sie schon hundertmal gehört hat, reizt sie doch
wieder zum Lachen; und obwohl der Soldat ihr mit
Recht oder Unrecht einen andern Sinn unterschiebt und
sie als einen ironischen Hieb auf sein entsagungsreiches
und gefährdetes Leben auffasst, so lacht er doch darüber.
Man sieht zwei jener Herren hervortreten; sie tragen
Ueberzieher und Stock, ein anderer steckt im Jagdkostüm
mit einem Samthut und einem Feldstecher.
Zartblaue Waffenröcke mit gelbem oder schwarzem
Glanzleder folgen als Begleitung hinterdrein.
Ein Hauptmann mit einer seidnen, mit goldnen Pfeilen
bestickten Armbinde, macht auf die Schiessbank vor
einer alten Scharte aufmerksam und lädt die Besucher
ein, hinauf zu steigen und sich die Gegend zu betrachten. Der Herr mit dem Reiseanzug stemmt sich hinauf
und stützt sich dabei auf seinen Regenschirm.
Da meint Barque:
– Hast du den Bahnhofsvorstand in der Sonntagsuniform
gesehn, der dem reichen Jägersmann eine erste Klasse auf
dem Nordbahnhof anweist, am Tag der Jagderöffnung:
»Bitte, Herr Gutsbesitzer.« Ueberhaupt, wenn die grossen
Tiere nagelneu ausstaffiert sind mit Leder und Blechzeug
und wichtig tun mit ihrem Kaninchen-Schiesszeug!
Drei oder vier Soldaten, die ihr Lederzeug abgelegt
hatten, sind unter die Erde gekrochen. Die andern
rühren sich nicht, wie vom Schlag getroffen, dass die
Pfeifen sogar ausgehn und man nur das Wortgesumse
der Offiziere und ihrer Gäste hört.
– Das sind die Schützengraben-Touristen, meint Barque
halblaut. Dann mit etwas lauterer Stimme: »Bitte, meine
Herrn und Damen!«
*
Unterdessen hört man rechts von uns ein lautes – Halt’s Maul! flüsterte ihm Farfadet ins Ohr, denn er
Durcheinander und sieht plötzlich einen lauten befürchtete, Barque würde mit seiner »frechen Schnauze«
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
die Aufmerksamkeit jener einflussreichen Leute auf sich
ziehn.
Einige Gesichter werden auf uns aufmerksam; ein Herr
mit weichem Filzhut und wehender Kravatte tritt heran.
Er trägt einen kleinen, weissen Spitzbart und sieht wie
ein Künstler aus. Hinter ihm her kommt ein zweiter
mit schwarzem Ueberzieher, schwarzem, steifem Hut,
schwarzem Bart, weisser Halsbinde und einem Zwicker.
– Aha! macht der erste, da sind »Poilus« ... waschechte
»Poilus«, tatsächlich.
Dann tritt er auf uns zu, schüchtern wie ein TiergartenBesucher, und reicht dem ersten etwas linkisch die Hand,
wie man einem Elefanten ein Stück Brot hinreicht.
– So, so, sie trinken den Kaffee, konstatiert er kurz.
– Man sagt »Schlamm«, berichtigt der schwarze Herr.
– Schmeckt’s, was?
Der Soldat, an den sich die Frage richtet, und der selbst
durch die fremden und exotischen Erscheinungen etwas
eingeschüchtert ist, brummt etwas hin, lacht und errötet;
dann sagt der Herr: »He! He! worauf er mit dem Kopfe
ein wenig nickt und sich rücklings zurückzieht.
– Brav, brav, meine Freunde. Ihr seid tapfere Leute!
Darauf setzt sich der Menschenknäuel, der aus neutralem Zivilgrau und bunten Militärfarben besteht, wie mit
Geranium und Hortensienblumen auf einem schwarzen
Grund, wieder in Bewegung, drückt sich vorbei und verschwindet wieder auf der Seite, von der er gekommen
war. Noch hörte man einen Offizier zu ihnen sagen:
»Bitte die Herren Journalisten, wir haben noch vieles
zu sehn.«
Als aber die vornehme Gesellschaft verschwunden war, schauten wir uns an. Diejenigen, die in den
Schlupfwinkeln verduftet waren, kriechen einer nach
dem andern wieder hervor. Die Leute finden sich wieder
und zucken mit den Achseln.
– Das sind Journalisten, meint Tirette.
– Journalisten?
Na ja, die Bonzen, die die Zeitungen machen; kapierst
du immer noch nicht, du Dickschädel! Oder meinst du,
die Zeitungen, das geht so ganz von selbst?
Also das wären jetzt die, welche uns den Schädel mit
ihrem Zeug vollpfropfen? sagt Marthereau.
Barque aber holt seine Fistelstimme vor, hebt die Hände
hoch als halte er ein Stück Papier vor die Nase und
Wasser-Prawda | Juni 2014
rezitiert:
– »Der Kronprinz ist verrückt geworden, nachdem er
gleich zu Kriegsbeginn getötet worden war und hat
unterdessen alle erdenklichen Krankheiten. Wilhelm
stirbt heute oder morgen. Die Deutschen haben keine
Munition mehr und futtern Holz: nach den massgebendsten Ansichten können sie nur noch bis Ende der
Woche stand halten. Man wird sie kriegen, sowie man
nur will, Gewehr bei Fuss. Wenn man die Sache bis jetzt
noch verschiebt, so geschieht das nur, weil wir uns von
unserm lieben Schützengraben nicht trennen können;
es ist nämlich so gemütlich darin, mit Wasser, Gas und
Brausebad auf jeder Etage. Das einzig störende ist im
Winter die allzugrosse Hitze ... Was die Oesterreicher
betrifft, so halten die schon lange nicht mehr stand ...
sie stellen sich nur so, als ob ...« Fünfzehn Monate schon
geht das in dem Ton weiter und meint der Direktor
zu seinen Schreibern: »So Jungens, jetzt heisst’s die
Geschichte breit treten, dass die verfluchten vier weissen
Blätter, die man zu verdrecken hat, voll werden.«
– Tja ja! macht Fouillade.
– Na was denn sonst, Korporal, du lachst; hab ich Recht
oder nicht?
– Etwas Wahres ist schon dran, aber ihr macht die
kleinen Kerle doch ein wenig zu schlecht; wenn ihr um
eure Zeitung kämt, wärt ihr die allerersten, die ‘s Maul
verziehn würden ... Jawohl, wenn der Zeitungsverkäufer
kommt, was schreit ihr dann einer wie der andre: »Mir!
Mir!
– Und überhaupt kann dir das alles doch Wurst sein!
ruft der alte Blaire. Schreit sich der Kerl die Kehle heiser
über die Zeitungen; mach’s wie ich und denk einfach
nicht dran.
Ja, schon gut, Maul halten! Buch zu, Eselsrüssel!
Die Unterhaltung lässt nach, die Aufmerksamkeit verfliegt. Vier Leute machen sich zu einem Kartenspiel
zusammen, das bis zum Abend dauern wird und man
die Karten nicht mehr unterscheiden kann. Volpatte
hascht einem Zigarettenblättchen nach, das ihm aus
den Fingern geflogen ist und an der Grabenwand wie
ein fliegender Schmetterling hin- und herflattert.
Cocon und Tirette kramen Kasernen-Erinnerungen aus.
Die Dienstjahre leben in unverwischbarer Erinnerung in
den Geistern fort; man war so sehr daran gewöhnt seit
SPRACHRAUM
zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren in dieser reichen, stets
offenen und freigebigen Fundgrube Unterhaltungsstoff
zu schöpfen, dass man nach anderthalb Jahren allseitiger Kriegserfahrung immer noch darauf zurückgreift.
Ich lausche mit einem Ohr der Unterhaltung und errate
das übrige, übrigens sind es stets dieselben Anekdoten,
die der Exmilizer aus seiner militärischen Vergangenheit
hervorholt: das eine Mal hat einer einem lästigen
Vorgesetzten durch eine freche aber witzige Antwort das
Maul gestopft. Er, er hat’s gewagt, er hat es ihm laut und
deutlich gesagt! ... ich vernehme einzelne Bruchstücke
der Unterhaltung:
– ... und als Nenoeil mich verklatscht hatte, jawohl,
nicht einen Augenblick hab ich mit der Wimper gezuckt.
Die andern hatten alle ‘s Maul verpappt; aber ich hab
ihm’s raus gesagt: »Herr Adjutant, hab ich gesagt, schon
möglich, aber ...« (der Rest des Satzes ist mir entfallen) ...
Jawohl, dem hab ich die Meinung gesagt. Er war mäuschenstill. »Schon gut, schon gut,« hat er gebrummt und
hat sich gedrückt. Platt war er, sag ich dir.
– Grad wie ich, damals mit dem Adjutant vom 13., als
ich auf Urlaub war. Der Hund. Jetzt ist er Aufseher im
Pantheon. Er konnte mich nicht riechen. Und dann ...
So holt ein jeder seine berühmten Aussprüche aus der
Sammlung seiner Erinnerungen hervor.
Und sie sind einer wie der andere: aber keiner ist unter
ihnen, der nicht behauptete: ich bin nicht einer wie die
andern.
*
– Der Wagenmeister!
Ein grosser, breiter Kerl mit dicken Waden, gut gekleidet und geschniegelt wie ein Polizeisoldat.
Er ist schlechter Laune. Neue Befehle sind ausgegeben
worden und so muss er alle Tage zum Kommandoposten
des Obersten die Briefsachen bringen. Er flucht auf
diese Verordnung, als sei sie ausschliesslich gegen ihn
gerichtet.
Aber nichtsdestoweniger spricht er gewohnheitsgemäss
mit dem einen oder dem andern im Vorübergehen
und ruft die Korporale zur Verteilung der Briefe. Trotz
seiner schlechten Laune packt er alle Neuigkeiten aus,
mit denen er frisch beladen hergekommen war; und
während er die Schnur löst, die die Briefe zusammenhält,
verteilt er den Vorrat seiner mündlichen Neuigkeiten.
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Zunächst verrät er, im Rapport stehe das ausführliche
Verbot, Kapuzen zu tragen.
– Hörst du? sagt Tirette zu Tirloir. Kannst darauf hin
deine schöne Kapuze wegschmeissen.
– Fällt mir im Traum nicht ein, geht mich nichts an, antwortet der Kapuzenmann, dessen Ehre und Behaglichkeit
zugleich auf dem Spiele stehn.
– Befehl des Armee-Kommandanten.
– Dann soll der General zuerst das Regnen verbieten;
der Rest geht mich ‘n Dreck an.
Die meisten Befehle, selbst die minder aussergewöhnlichen, werden nie anders aufgenommen ... bis man sich
ihnen fügt.
– Der Rapport befiehlt auch, sagt der Briefmensch, dass
die Bärte abzuschneiden seien, und die Haare mit der
Maschine, glatt ab!
– Nur langsam, Alter! meint Barque, dessen Haarbüschel
sich durch die Verordnung direkt bedroht fühlt, erzähl
das deiner Grossmutter!
– Maul halten! Uebrigens mach’s oder mach’s nicht, geht
mich ‘n Dreck an.
Ausser diesen positiven, schwarz auf weiss festgenagelten
Nachrichten, gibt es noch wichtigere, aber dafür auch
weniger bestimmte und fantastischere Neuigkeiten: es
heisst, die Division werde abgelöst und käme, entweder auf Urlaub – aber auf richtigen Urlaub, für sechs
Wochen – oder nach Marokko, oder vielleicht nach
Aegypten.
– Eh! ... Oh! ... Ah! ...
Alles hört zu und lässt sich durch den Reiz der Neuigkeit
und des Abenteuerlichen locken.
Einer jedoch fragt den Wagenmeister:
– Wer hat dir das gesagt?
Der Wagenmeister verrät seine Quelle:
– Der Adjutant und Kommandant der
Landwehrabteilung, der im General-Quartier des
Armee-Korps den Verwaltungsdienst versorgt.
– Wo?
– Im General-Quartier des Armee-Korps ... Und er sagt
es übrigens nicht allein. Der andere da, weisst du, der
Kerl, von dem ich den Namen vergessen habe: der, der
dem Galle so ähnlich sah und doch nicht der Galle ist.
Ich weiss nicht mehr, wen er in der Familie hat, der
irgend was Teufels ist. Aber der konnte es von dem ganz
Wasser-Prawda | Juni 2014
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SPRACHRAUM
genau wissen.
– Und dann?
Und sie stehn im Kreis, mit gierigen Blicken, um den
Geschichten-Erzähler.
– Nach Aegypten, sagst du? ... kenn ich nicht. Weiss
nur, dass es dort Pharaonen gab, als ich noch klein war
und in die Schule ging. Aber seither! ...
– Nach Aegypten ...
Der Gedanke bohrt sich allmählich in die Köpfe ein.
– Nein, sagt Blaire, ich hab die Seekrankheit Aber
schliesslich die Seekrankheit, das dauert nicht lange ...
Schon, aber was würde meine Alte dazu sagen?
– Was soll sie auch? Sie wird sich schon damit
zurechtfinden!
Aber Neger werden wir sehn; und grosse Vögel laufen
dort auf den Strassen herum, wie bei uns die Spatzen.
– Hiess es denn nicht, wir kämen nach dem Elsass?
– Doch, sagt der Wagenmeister. Im Tresor glauben es
einige.
– Mir wär’s schon recht ...
... Aber der gesunde Menschenverstand und die
Erfahrung haben bald wieder die Oberhand gewonnen und verjagen die Träume. Wie oft hat man nicht
bestimmt behauptet, dass man weit weg käme; so oft hat
man es geglaubt und jedesmal wurde man enttäuscht!
Dann ist es einem, als erwache man plötzlich wieder.
– Das ist alles Schwindel! Wie oft hat man uns angeschmiert. Warte erst ab, bevor du’s glaubst, und zerbrich
dir den Schädel nicht darüber.
Sie kriechen in ihre Ecken zurück, der eine da durch, der
andere dort durch und ihre Hände halten das schwere
oder leichtere Paket der Briefe.
– So! sagt Tirloir, ich muss schreiben, ich muss alle acht
Tage geschrieben haben, da kannst du nichts dagegen
machen.
– Ich auch, sagt Eudore, muss meiner kleinen Frau
schreiben.
– Wie geht’s der Mariette.
– Gut. Hab nur keine Bange wegen Mariette.
Einige haben sich schon zum schreiben fertig gemacht.
Barque benützt sein Notizbuch als Unterlage. Er schreibt
stehend auf einer Unebenheit der Grabenwand und
scheint dabei das Opfer einer Inspiration; er schreibt und
schreibt, den Kopf schief auf der Seite, angespannten
Wasser-Prawda | Juni 2014
Blickes und mit vollster Aufmerksamkeit wie ein Reiter
in gestrecktem Galopp.
Dem Lamuse hingegen fehlt die Phantasie; er hat sich
hingesetzt, das Brieftäschchen auf den Gipfel seines ausgepolsterten Knies gelegt und den Tintenstift angefeuchtet; nun liest er die letzterhaltenen Briefe wieder durch
und weiss nichts anderes zu schreiben, als das, was er
schon einmal geschrieben hat und doch versteift er sich
darauf, etwas neues zu finden.
Eine süsse Gefühlsstimmung liegt über dem kleinen
Eudore; er sitzt zusammengekauert in einer Art
Erdnische und sammelt seine Gedanken, den Bleistift
in der Hand, die Augen auf dem Papier; er blickt verträumt und schaut süsse Bilder und man errät jenen
andern Himmel, der ihn erstrahlen lässt und wohin sein
Blick schweift, weithin bis in seine Heimat ...
Während des Briefschreibens ist man am ehesten wieder,
was man früher war. Mehrere unter den Soldaten geben
sich der Erinnerung an jene Vergangenheit hin und
erzählen einander zunächst vom Essen.
Andere lassen in unbeholfener und unklarer Form
einen vergangenen Traum wach werden, wo das einst
Gewesene wie helle Lichtstrahlen aufleuchtet: der frühe
Sommertag, wenn das frische Grün des Gartens in die
weisse Bauernstube leuchtet, oder der Wind, der über
die Ebenen weht und die Kornfelder wiegt in behäbigen und festen Rhythmen, und daneben das Haferfeld,
das mit zappeliger und weiblicher Beweglichkeit im
Winde erzittert; oder die Winterabende, wenn die lieblichen Frauen um den Tisch sitzen, im sanften Schein
der Lampe.
Papa Blaire hat einen begonnenen Fingerring vorgenommen, hat das unfertige Aluminium-Ringlein über einen
Holzzapfen gezogen und bearbeitet es mit einer Feile.
Mit ganzer Seele ist er bei der Arbeit und strengt seine
volle Geisteskraft an, wobei zwei tiefe Runzeln sich in
seine Stirn graben. Zeitweise hält er inne, hebt den Kopf
hoch und betrachtet den kleinen Gegenstand mit Liebe,
wie wenn auch sie dabei wäre und es besähe.
– Verstehst du, sagte er mir eines Tages wegen eines
andern Ringes, gut oder nicht gut, darauf kommts nicht
an; Hauptsache ist, dass ich’s für meine Frau gemacht
habe, verstehst du? Wenn ich so nichts zu tun hatte
und mir die Faulheit in den Knochen lag, betrachtete
SPRACHRAUM
ich dieses Bild (dabei zeigte er die Photographie einer
dicken, pausbäckigen Frau) und dann ging’s mit diesem
verfluchten Ring wie geschmiert. Wir haben ihn miteinander gemacht, kann man sagen, verstehst du? Beweis
dafür ist, dass er mir Gesellschaft leistete und dass ich
von ihm Abschied genommen habe, als ich ihn meiner
Alten schickte.
Jetzt macht er einen andern mit Kupfereinlage und
arbeitet fleissig dran. Sein ganzes Gefühl möchte er so
gut als möglich hineinlegen und übt sich darin wie in
einer Art Kaligraphie.
In den nackten Erdlöchern, in denen diese Menschen ehrfurchtsvoll über leichte, elementare Schmucksächelchen
gebückt sitzen, über jene Gegenstände, die so winzig
sind, dass die harte, schwere Hand sie mühevoll hält
und gleiten lässt, bei dieser Arbeit erinnern sie noch
mehr an Wilde und scheinen primitiver und menschlicher noch als sonst.
Man denkt dabei an den ersten Erfinder, den Vater aller
Künstler, der es versuchte, dauerhaften Gegenständen
die Form des Gesehenen zu verleihen und sein eigenes
Erleben hineinzulegen.
*
– Achtung, es kommen welche, kündet Biquet an,
der immer in unserm Grabenabschnitt die Rolle eines
Hauswärters vertritt, ein ganzer Zug.
Im gleichen Augenblick erscheint ein Adjutant mit
geschnürtem Bauch und Kinn, und schwingt die
Säbelscheide.
– Platz da! Teufel nochmal, Platz, wenn ich’s sage! Liegt
ihr auf der Bärenhaut? ... Vorwärts, drückt euch, das
letzte Mal, dass ich euch auf der Passage erwische,
verstanden!
Die Leute folgen langsam. Einige drücken sich träge in
die seitlichen Löcher.
Es ist eine Kompagnie Landwehrleute des Sektors, die
die Erdarbeiten in der zweiten Linie zu besorgen und die
hinteren Laufgräben instand zu halten haben. Sie marschieren mit ihren Geräten, in elender Kleidung und
müden Schrittes an.
Man betrachtet sie, einen nach dem andern, jeden einzelnen, wie er herankommt, vorbeigeht und verschwindet. Kleine, alte und zusammengeschrumpfte Leute, mit
aschgrauen Backen, oder dicke, asthmatische Kerle, eng
127
eingeschnürt in ihre abgeschossnen, ausgefranzten flekkigen Mänteln, an denen die Knöpfe fehlen.
Tirette und Barque, die beiden Spassvögel, stehn
mit dem Rücken an der Erdwand und betrachten sie
zunächst ohne Bemerkungen. Dann lächeln sie.
– Strassenkehrer-Défilé, meint Tirette.
– ‘s gibt was zu feixen für drei Minuten, kündet Barque
an.
Einige jener alten Arbeiter sehn in der Tat komisch aus.
Da kommt zum Beispiel einer, dem die Schultern herabhängen wie bei einer Flasche; er hat eine ausserordentlich schmächtige Brust und dünne Beine und ist trotzdem wohlbeleibt.
Barque kann den Mund nicht mehr halten:
– He! sag mal, Dubidon!
– Dünner Ueberzieher, meint Tirette zu einem vorübergehenden Mantel, der mit Flicken in allen blauen
Schattierungen besetzt ist.
Er ruft den Veteranen an:
– He! du Mustermappe ... he, horch mal, du, ruft er
nachdrücklich.
Der andre dreht sich um, macht den Mund auf und
guckt ihn an.
– Sag mal, Alterchen, sei so freundlich, gib mir doch
deine Schneider-Adresse in London, sei so gut.
Das alte und runzlige Gesicht lacht – und das Männlein,
das auf den Anruf hin ein Weilchen stille stand, wird
von dem nachfolgenden Zug angerempelt und wieder
mitfortgerissen. »
Dann kommen ein paar weniger bemerkenswerte
Statisten; dann aber erscheint wieder ein neues Opfer,
das den Anspielungen als Zielscheibe dienen muss. Es
trägt auf seinem rauhen, rötlichen Nacken eine Art
schmutzige Schafswolle. Der Landwehrmann hat die
Knie eingeknickt, den Oberkörper vorgebeugt und den
Rücken gekrümmt und steht mit Mühe aufrecht.
– Guck da, schreit Tirette und zeigt mit dem Finger hin,
der berühmte Harmonikamensch! Auf dem Jahrmarkt
musste man Eintritt zahlen. Hier hat man’s umsonst!
Und während der Angerufene Flüche ausstottert, lacht
man hier und dort.
Mehr braucht es nicht, um beide Spottbrüder zu reizen.
Der Wunsch, eine komische Bemerkung anzubringen,
die ein wenig verwöhntes Publikum für lustig befindet,
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128
SPRACHRAUM
spornt die beiden an, sich lustig zu machen über die
Lächerlichkeiten jener alten Waffenbrüder, die Tag und
Nacht, am Rande des grossen Krieges, die Schlachtfelder
mühsam vorbereiten und instand halten.
Auch die andern Zuschauer greifen jetzt ein; und diese
Armseligen spotten jene aus, die noch armseliger sind
als sie selbst.
– Schau dir den an! Und der erst!
– O verflucht, photographier mir doch einer den kleinen
Floh-Arsch! He! du Erdhocker!
– Und der hört überhaupt nicht auf! Hast du Worte!
Hui! der Wolkenkratzer!
Der, den’s angeht, trippelt einher und hält seinen Spaten
vor sich wie einen Kerzenstock, mit krampfhaft zusammengezogenem Gesicht und schiefem Körper, der im
Hexenschuss erstarrt ist.
– He! Grossväterchen, willst du zwei Sous? fragt Barque,
indem er dem Vorbeigehenden auf die Schulter klopft.
Der kahle Alte aber fühlt sich beleidigt und schimpft
geärgert: »Scheisskerl!«
Dann wirft ihm Barque mit brüllender Stimme entgegen:
– Du, aber höflicher könntest du sein, altes Furzloch,
du Scheissmühle!
Der Alte dreht sich völlig um und stottert in seiner Wut.
– Oho! schreit Barque und lacht, ich glaube, er röchelt,
der Trümmerhaufen. Guckt, wie er rauflustig ist; wenn
der Kerl sechzig Jahre jünger wär, wär er noch gefährlich.
– Und wenn er nicht besoffen wär, fügt billigerweise
Pépin hinzu, der nach neuen Zielscheiben unter den
neu Ankommenden sucht.
Dann sieht man die hohle Brust des letzten Nachzüglers,
und bald verschwindet die Missgestalt seines Rückens.
Und dem endenden Défilé jener verbrauchten, in den
Gräben verdreckten Veteranen schauen die sarkastischen und beinahe böswilligen Blicke jener düstern
Höhlenbewohner nach, die zur Besichtigung aus ihren
Kotlöchern halb herausgetreten waren.
Unterdessen aber verstreichen die Stunden; der Abend
taucht den Himmel schon in sein graues Licht, und in
ihm werden die Dinge schwarz; er gesellt sich dem finstern Los und auch der dunkeln und unwissenden Seele
jener Menge, die hier vergraben liegt.
Jetzt hört man im grauen Abend das trommelnde
Geräusch nahender Schritte, und eine neue Abteilung
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bricht sich Bahn.
– Afrikaner!
Sie schreiten vorüber mit ihren gelben, hell- und dunkelbraunen Gesichtern; die einen haben spärliches, die
andern dichtes und gewelltes Barthaar; ihre Mäntel
sind grüngelb und man sieht auf ihren kotbespritzten
Helmen einen Halbmond an Stelle unserer Granate.
Ihre Augen leuchten wie Elfenbein- oder Onyx-Kugeln
in ihren glänzenden, teils stumpfen, teils eckigen und
spitzen Gesichtern. Von Zeit zu Zeit wiegt sich über dem
Zug die schwarze Kohlenmaske eines Senegalesen, der
die andern überragt. Hinter der Kompagnie flattert eine
kleine, rote Fahne mit einer grünen Hand in der Mitte.
Man betrachtet die Leute schweigend und spricht sie
nicht an; denn sie imponieren und flössen sogar eine
gewisse Angst ein.
Und doch scheinen diese Afrikaner fröhlich und gut aufgelegt. Sie marschieren natürlich in die erste Linie. Dort
gehören sie hin, und ihre Gegenwart ist das Zeichen
eines nahe bevorstehenden Angriffes. Sie sind wie
geschaffen für den Sturm.
– Sie und die Fünfundsiebziger-Kanone, das kann
man sagen, denen haben wir schon was zu verdanken!
Ueberall zuvorderst in den wichtigen Augenblicken
stand sie, die Marokko-Division!
– Sie können sich nicht an uns anpassen. Es geht ihnen
nie schnell genug. Unmöglich, die Kerle aufzuhalten ...
Die einen haben ernste Gesichter unter diesen blonden,
bronze- und ebenholzfarbnen Teufeln; ihr Blick ist
beunruhigend, stumm wie die Falle, die man sieht. Die
andern lachen; ihr Lachen aber tönt wie die bizarren
Instrumente exotischer Musik und sie zeigen dabei die
Zähne.
Man bespricht miteinander die Eigenarten jener
Schwarzen: ihre Wut beim Ansturm, ihre wahnsinnige Vorliebe für’s aufgabeln, ihre Art, kein Pardon zu
geben. Man wiederholt die Geschichten, die sie selbst
gerne erzählen, und alle ungefähr mit denselben Worten
und denselben Gebärden: sie strecken die Arme hoch:
»Kam’rad, Kam’rad!« »Nein, nix Kam’rad!« worauf sie das
Spiel des Bajonetts nachmachen, das man in Bauchhöhe
vorstösst und wieder herauszieht, indem man mit dem
Fuss nachhilft.
Einer jener Schützen hört im vorübergehn, wovon
SPRACHRAUM
die Rede ist. Er schaut uns an, lacht breit aus seinem
behelmten Turban heraus und wiederholt mit dem Kopfe
nickend: »Nix Kam’rad, nix Kam’rad! Kopf kaput!«
– Es ist doch eine ganz andere Rasse als wir, mit ihrer
Zelttuchhaut, gesteht Biquet zu; und Biquet ist kein
Hasenfuss. Die Ruhe können sie nicht leiden, sie leben
nur für den Augenblick, in dem der Offizier seine Uhr
in die Tasche steckt und sagt: »Vorwärts, los!«
– Es sind im Grunde genommen echte Soldaten.
– Wir, wir sind keine Soldaten, wir sind Menschen, sagt
der dicke Lamuse.
Die Abendstunde hat das Land in Dunkelheit getaucht
und doch wirft dieses wahre und leuchtende Wort einen
lichten Schein auf jene Männer, die seit Monaten jeden
Morgen hier auf den Abend warten.
Es sind Menschen; es sind ganz gewöhnliche Menschen,
die man dem Leben plötzlich entrissen hat; wie beliebig aus der Masse herausgenommene Menschen sind
sie unwissend, wenig begeistert, mit engem Horizont
begabt und voll gesunden Menschenverstandes, der zwar
zeitweise entgleist; sie lassen sich führen und geben sich
her, das zu tun, was ihnen befohlen wird, ohne merklichen Widerstand, und sind fähig, lange zu leiden.
Es sind einfache Menschen, die man noch vereinfacht
hat und bei denen notgedrungen die Urinstinkte in
den Vordergrund treten: der Selbsterhaltungstrieb, der
Egoismus, die hartnäckige Hoffnung immer wieder
davonzukommen und dazu die Freude am Essen am
Trinken und am Schlafen.
Mitunter aber bricht aus dem dunklen Schweigen
ihrer grossen, menschlichen Seelen ein tiefer Schrei der
Menschlichkeit.
Und dann, wenn im Abend alle Formen untergehen,
hört man in der Ferne einen Befehl, der sich mählich
nähert:
– Zweite Halbsektion! Antreten!
Und man tritt an in Reih und Glied; dann wird Appell
gemacht.
– Vorwärts! sagt der Korporal.
Dann setzt man sich in Bewegung. Vor dem
Gerätschuppen wartet und steht man herum. Jeder
bekommt eine Schaufel oder eine Hacke. Ein
Unteroffizier hält in der Dunkelheit den Leuten die
Gerätstiele hin.
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– Sie, eine Schaufel; vorwärts, ab! Sie, auch eine Schaufel,
Sie, eine Hacke. So, vorwärts, Trab!
Dann geht’s durch den Laufgraben, senkrecht zum
Schützengraben, geradaus auf jene bewegliche, lebendige und schreckliche Grenze des Jetzt zu.
Und im grauen Einerlei des Himmels hört man in
grossen absteigenden Kreisen den schnurrenden und
mächtigen Atem eines Flugzeuges, das man nicht mehr
sieht. Vor uns aber und rechts und links von uns, auf
allen Seiten, speien Donnerschläge in den schwarzblauen
Himmel kurze, breite Blitze.
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FRANK HURLEY FOTOGRAFIEN AUS
DEM 1. WELTKRIEG
FRANK HURLEY (1885-1965) NAHM ALS FOTOGRAF NICHT NUR AN
EINIGEN FRÜHEN EXPEDITIONEN DURCH DIE ANTARKTIS TEIL. ALS
KRIEGSFOTOGRAF BEGLEITETE ER DIE AUSTRALISCHEN TRUPPEN
IN BEIDEN WELTKRIEGEN. DABEI GRIFF ER AUCH AUF GESTELLTE
AUFNAHMEN UND AUF MONTAGEN AUS VERSCHIEDENEN
FOTOGRAFIEN ZURÜCK.
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DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
12. IN KAIRO
Eine der Hauptstraßen Kairos, der Hauptstadt
Egyptens und der Residenz des vom Sultan abhängigen Vizekönigs, ist die Muski.
Sind im Westen der Stadt hauptsächlich die Europäer
vertreten, sodaß auch das ganze Viertel ein Aussehen
bekommen hat, welches sich von dem einer reichen, deutschen Stadt mit Villen, Wohn- und Geschäftshäusern
nicht unterscheidet, so macht das arabische Stadtviertel
mit den engen Sackgäßchen, den niedrigen, glatten
Lehmhäusern, deren Fenster nach dem innengelegenen Hofe hinausführen, einen noch vollkommen orientalischen Eindruck, die Muski bildet dagegen eine
Art Mittelding, um deren Besitz sich Europäer und
Eingeborene zu streiten scheinen.
Man kann in ihr die glänzendsten Verkaufsläden finden,
Firmen, welche ebenso in Berlin, London und Paris zu
lesen sind, besonders große Konfektionsgeschäfte, und
dicht neben dem riesigen Glaspalast erhebt sich ein
elendes Lehmhüttchen, in dem ein schmieriger Araber
gebratene Lebern feilbietet. So wechselt die ganze Straße
entlang das Aussehen der Häuserfront.
Ebenso bietet das Leben auf dieser Straße ein bunt
zusammengewürfeltes Bild. Elegante Herren, nach
modernstem Pariser Schnitt gekleidet, verlassen ihre
Comptoirs und eilen in ein in der Nähe befi ndliches englisches Frühstückslokal, um mit Hast einige
geröstete und belegte Brotschnitte hinunterzuschlingen, denn ›Zeit ist Geld‹, und am meisten für englische
Geschäftsleute. Mögen sie einen Warentransport nach
dem Nordpol zu leiten oder unter dem Aequator ein
Geschäft abzuschließen haben, weder Kälte, noch Hitze
hindern sie, mit ihren langen Beinen die Wege halb im
Laufschritt zurückzulegen, um die Zeit, welche sie sich
für Frühstück und Mittagsessen bestimmt haben, mit
der Uhr in der Hand, auszunutzen.
Unterwegs werden dle Europäer häufig von schrecklich zerlumpten Arabern angebettelt, wenn die ihren
skelettartigen Körper bedeckenden Sachen überhaupt
noch als Lumpen bezeichnet werden dürfen. Kaum
genügen sie, ihn zu verhüllen. Beine, Schenkel, Arme
und Oberkörper sind nackt oder stecken nur in Sachen,
welche sich aus Löchern zusammenzusetzen scheinen.
Hier in der Muski ist das Arbeitsfeld des Bettlers.
Er kennt seine Kunden, welche ihm eine kleine
Kupfermünze geben, wofür sie den Segen Allahs mit auf
den Weg bekommen; er weiß, wann sie eine bestimmte
Ecke der Straße passieren, und lauert ihnen dort auf.
Mit wimmernder Stimme streckt er dem Vorbeieilenden
die fleischlose Hand mit einer Muschelschale entgegen, murmelt einen langen Segensspruch, das heißt,
nur, wenn ein holder Klang an sein Ohr gedrungen
ist, und läßt dann die Kupfermünze in irgend einem
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SPRACHRAUM
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Versteck seiner Lumpen verschwinden. Bemerkt er einen
Fremden, deren es in dem an Merkwürdigkeiten reichen
Kairo zahllose giebt – die vielen Hotels geben Zeugnis
davon – so eilt er ihm eine Strecke weit nach, ihn mit
zudringlichen Bitten und Gebärden belästigend.
Den Kunden, der ihm täglich den Tribut eines
Geldstückes entrichtet, begrüßt er mit freundlichem
Grinsen; er behandelt ihn mit einer Art Vertraulichkeit
und erweist ihm Dienste, von denen der Betreffende
oft keine Ahnung hat. Er sorgt dafür, daß der freigebige Herr nicht von anderen Bettlern belästigt wird; er
hält durch seinen Befehl die zudringlichen Eseljungen,
den Schrecken des Orients, von ihm ab, er wacht über
ihn, wie es der beste Kriminalpolizist nicht vermöchte.
Sieht dies nicht fast aus, als wäre der zerlumpte Mann
mehr als nur ein Bettler, als besäße er irgend eine
geheime Macht? Es ist auch wirklich so, wie er denn
auch meistens nicht arm ist.
Die orientalischen Bettler halten in jeder Stadt fest
zusammen; sie bilden eine Gilde für sich und dulden
keinen Fremdling innerhalb ihres Gebietes. Es bestehen
Gesetze unter ihnen, die sich vom Vater auf den Sohn
vererben und die für unumstößlich gelten. Eins davon
ist, daß der Franke, der einem vom Bettlerhandwerk
zinsmäßig einen gewissen Beitrag steuert, von den
anderen Vertretern desselben nicht belästigt werden
darf, und ferner, daß die Eseljungen unter ihrem Befehl
stehen.
Der weitgereiste Leser, welcher vielleicht einmal den
Orient besucht hat, kann davon erzählen, was für eine
Plage diese letzteren für den Fremden werden können.
Hundertmal kann er ihnen erklären, daß er nicht
reiten will, selbst im fl ießendsten Arabisch; wie die
Schmeißfliegen umschwärmen ihn die Unholde und
geben nicht eher nach, als bis er die Beine über den
Rücken eines ihrer Tiere gespreizt hat. Er wundert sich
vielleicht, daß dagegen andere Herren vollkommen von
den Anerbietungen der Treiber verschont bleiben. Tritt
er aus dem Haus, so versammeln sich wohl auch um
jene sofort ein Dutzend Jungen, aber er braucht nur mit
dem Kopfe zu schütteln, und sofort führen sie die Esel
wieder auf ihre Station zurück.
Alles dies bewirken die elenden Bettler, welche die
Straßenpassanten beobachten, sie auf die Mildthätigkeit
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ihres Herzens prüfen und eine Macht ausüben, von der
nur sehr wenige Fremde eine Ahnung besitzen.
Eine Geschichte möge das Gesagte bezeugen, welche
auf diese Art von Leuten ein eigentümliches, aber gutes
Licht wirft.
Ein junger Deutscher war in Aden, einer Hafenstadt
Arabiens, in einem österreichischen Geschäftshaus
engagiert. Jeden Abend, wenn er seinem Hause zuging,
sprach ihn ein Krüppel, der an seine Beinstümpfe
Holzschalen geschnallt hatte und sich so fortbewegte,
um eine Gabe an, und der gutherzige Deutsche schenkte
ihm stets einen halben Piaster, das sind zehn Pfennige.
Die Firma des jungen Mannes machte Bankerott,
wodurch er nicht nur beschäftigungslos wurde, sondern
auch sein ganzes, in dem Geschäft stehendes Geld
verlor, sodaß er in große Not geriet. Sein erstes war, daß
er seine bisherige Wohnung aufgab und sich ein einfaches Zimmer mietete, sodaß ihn nun sein Weg nicht
mehr an dem alten Bettler vorbeiführte. Alle Versuche,
ein neues Engagement zu bekommen, schlugen fehl; der
junge Deutsche geriet in die bitterste Armut, und sein
einziger Wunsch war nur noch, in die Heimat zurückkehren zu können, aber niemand fand sich, der ihm das
nötige Geld leihen wollte.
Eines Abends wandelte er niedergeschlagen durch die
Straßen Bagdads und kam zufällig an jener Ecke vorbei,
an welcher der alte Bettler stand. Dieser sprach ihn
sofort an und fragte ihn, warum er nicht mehr hier
vorüberginge und warum er so betrübt aussehe. Der
Deutsche fühlte sich glücklich, daß wenigstens eine
menschliche Seele Mitleid mit seiner Lage hatte, und
teilte dem Bettler sein Unglück mit, auch, daß ihm
niemand das Geld zur Heimreise leihen wollte. Der
Krüppel fragte ihn, ob er ihn diese Nacht besuchen
wolle, er wüßte vielleicht Rat, und der junge Mann
willigte, obgleich innerlich über den Bettler lächelnd,
weil dieser wahrscheinlich bei seiner Bedürfnislosigkeit
nur an einige Piaster dachte, ein. Er ging bei Nachtzeit
nach der beschriebenen, armseligen Wohnung des alten
Mannes, aber wie war er erstaunt, als dieser nach einigen
Begrüßungsreden in einer Ecke der Hütte einen Stein
am Boden lüftete, einen schweren Beutel hervorhob und
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SPRACHRAUM
ihn mit den Worten auf den Tisch setzte:
»Wieviel hundert Piaster brauchst du zur Reise?«
Er mußte den Sprachlosen dazu nötigen, ihm die
Summe zu nennen.
»In den zwei Jahren habe ich von dir nach und nach
dreihundertsiebzehn Piaster erhalten. Ich hielt dich für
einen reichen Mann, nun aber gebe ich sie dir zurück,
und außerdem borge ich dir noch das übrige, daß du
in dein Land kommen kannst.«
Der Deutsche brauchte zweihundert Mark, also zweitausend Piaster, und, ohne Dank annehmen zu wollen,
zählte sie ihm der Bettler auf.
Das erste, was der deutsche Kaufmann that, als er
wieder in bessere Verhältnisse kam, war, daß er seinem
Retter die Summe mit Zinsen wieder zukommen ließ.
Von einem großen, mit Rasen und Baumanpflanzungen
geschmückten Platz, der mit stattlichen Gebäuden
eingerahmt ist, führt die Muski ab. Gehen wir diese
entlang und lassen vorläufig das bunte Gewühl von
Italienern, Griechen, Spaniern in ihren Trachten,
Deutschen, Engländern und Franzosen in moderner Kleidung, Türken und Arabern in orientalischen
Gewändern, unbeachtet, lassen wir die Eseljungen ihre
Tiere mit dicken Beamten, verhüllten Frauen, die rittlings im Sattel sitzen, an uns vorbeieilen, und biegen
wir in das dritte Gäßchen ein, welches sich zur rechten
Hand von der Muski abzweigt.
Es macht einen unangenehmen Eindruck auf den
Passanten, dieses Gäßchen. Anfangs fällt es sehr steil
von der Muski ab. Der Boden ist furchtbar holprig,
und die hohen, schmutzigen Häuserwände rücken so
nahe aneinander, daß kaum eine Equipage zwischen
ihnen durch kann.
Es ist eine Sackgasse; ein Haus versperrt schließlich
dem Wanderer den Weg.
Durch einen breiten Thorweg gelangt man in einen
Garten, doch nein, in ein Paradies, welches hierhergezaubert worden zu sein scheint. Lange Promenaden, von
Palmen beschattet, schattige Gänge, durch Bäume und
Büsche gebildet, die sonst nur in Gewächshäusern zu
sehen sind, dunkle Lauben, von Mandel-, Apfelsinenund Feigenbäumen überschattet, bieten sich deinem
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entzückten Auge dar.
Dazu paßt auch der palastartige Bau, der sich seitwärts erhebt. Ein einziger Blick in den Treppenflur
lehrt schon, wie prächtig die inneren Zimmer ausgestattet sein mögen. Die Stufen sind mit kostbaren
Teppichen belegt; zu den Seiten stehen Marmorfigurcn,
Göttergestalten darstellend, und überall, selbst auf
diesem Flur, sind Kronleuchter und geschmackvolle
Ampeln angebracht.
Ein Herr im Salonauzug erscheint, das heißt, in Frack
und weißem Schlips, und spricht den Besucher mit
einer höflichen Verbeugung an.
Der versteht ihn nicht und schüttelt also den Kopf.
Sofort wechselt jener die Sprache, er fragt englisch,
französisch, italienisch, spanisch und so weiter, endlich
deutsch:
»Was wünschen Sie zu bestellen, mein Herr?«
Was, das ist ein Kellner? Gut! Man fordert eine halbe
Flasche griechischen Rotweins, das ist das billigste, was
man hier erhalten kann.
Bald erscheint der befrackte Geist wieder und bringt
auf silberner Platte die Flasche in ebenfalls silbernem Eisbehälter, und ein feingeschliffenes Glas, die
Rechnung wird auf ebenfalls silbernem Teller in Gestalt
einer kleinen, kopierten Karte überreicht. Ein tiefer Griff
in den Geldbeutel ist zur Begleichung derselben notig.
Das ist das Hotel du Nil, das feinste Absteigequartier
für Reisende in Kairo.
Freilich kann ein Kaiser, ein König, ein Herzog oder
ein Fürst kurz zuvor auf demselben Platze gesessen
haben. Es ist nicht unmöglich, daß an eben dieser
Stelle Kronprinz Rudolf an seine Mutter, die Kaiserin
von Oesterreich geschrieben hat, oder unser Moltke
an seine Braut.
Ein einfach gekleideter Mann, ohne Kragen, das wollene
Hemd auf der Brust nicht einmal zugeknöpft, geht
sinnend im Garten auf und ab und schlägt dabei mit
einem Stöckchen den hochaufgeschossenen Grashalmen
die Köpfe ab. Vielleicht bedarf es, wie er jetzt die
Pflänzchen köpft, nur seines Wortes, und zwei mächtige Völker erheben sich gegeneinander, zum Kampfe
gerüstet, und Schmerzgeheul und Trauerklagen erfüllen
SPRACHRAUM
die Welt.
In der Tat, wohl kein Fremdenbuch der Welt kann
eine solche Fülle von berühmten und hochklingenden Namen aufweisen, wie das Hotel du Nil in Kairo,
jener Stadt, die von ihren Bewunderern das orientalische Paris genannt wird.
Vor dem Eingangstor drängen sich eine ungewöhnlich
große Anzahl Eseljungen, ihre Tiere am Zügel haltend,
die teils Herren-, teils Damensättel tragen. Fast scheint
es, als ob alle Gäste sich Esel bestellt hätten, in solcher
Menge sind diese vertreten.
Zwischen ihnen durch drängen sich Herren, die sich
entweder mit den Treibern in einem sonderbaren
Kauderwelsch unterhalten oder sich durch scherzhafte
Bemerkungen über die Esel die Zeit bis zum Abreiten
vertreiben.
»Ist der Esel auch gut?« fragt einer der Herren einen
Jungen, denn diese Treiber, fortwährend mit Reisenden
verkehrend, verstehen meist etwas von den modernen
Sprachen.
»Sehr gut, Effendi,« entgegnete der Bursche, »nickt mit
die Kopf.«
Das soll heißen, er trägt den Kopf hoch und bewegt
ihn wie ein edles Roß.
»Nickt er auch mit die Schwanz?« fragte der erste
Sprecher lachend weiter.
»Nickt mit die Schwanz,« beteuerte der Junge. – »Beißt
nicht?« – »Nie nicht beißen.« – »Schlägt nicht aus?« –
»Nie nicht ausschlagen thut.« – »Geht nicht durch?«
forschte der beharrliche Frager weiter.
Der Treiber versteht diesen Ausdruck nicht, aber er
macht eine abwehrende Bewegung.
»Mein Esel, bester Esel, wie ein Lamm,« sagt er.
»Dann nehme ich ihn auch nicht,« meint der Herr und
dreht sich phlegmatisch um, nach einem recht störrisch
aussehenden Tiere suchend.
»Halloh, Hastings,« rief dieser Fremde plötzlich, als er
einen Herrn sah, der sich eben mit der ganzen Wucht
seines riesigen Körpers auf einen sehr starken Esel legte,
als wolle er probieren, ob derselbe ihn tragen könnte.
»Halloh! Brechen Sie dem Tiere nicht das Kreuz!
Nehmen Sie doch lieber zwei Esel.«
»Kinderspielzeug!« antwortete der Gefoppte, der, wie
auch die anderen Herren zur Besatzung des ›Amor‹
139
gehörte, mit mürrischer Miene.
Die Vestalinnen wohnten bereits seit zwei Tagen im
Hotel du Nil und hatten die Zeit fleißig dazu benutzt,
sich alle Merkwürdigkeiten der ägyptischen Hauptstadt
anzusehen, und zwar diesmal in Begleitung der englischen Herren, welche in demselben Hotel logierten.
Es waren zuerst Schwierigkeiten entstanden wegen der
befreiten Mädchen, welche nicht stets mit herumgeschleppt werden sollten, bis Johanna vorgeschlagen
hatte, man sollte den Kapitän des ›Blitz‹ fragen, ob er
vielleicht mit seiner zahlreichen Mannschaft über die
Sicherheit der Mädchen wachen wolle.
Gedacht, gethan, Miß Ellen hatte dem Ingenieur
geschrieben und sofort eine zusagende Antwort erhalten. Noch an demselben Tage verließ sein Schiff den
alten Ankerplatz im Hafen und legte dicht neben der
›Vesta‹ an.
»Bleiben Sie so lange aus, wie Sie wollen,« hatte Felix
Hoffmann zu der Kapitänin gesagt, »und Sie werden
bei Ihrer Rückkehr kein Haar auf den Häuptern Ihrer
Schützlinge durch irgend eine menschliche Macht
Wasser-Prawda | Juni 2014
140
SPRACHRAUM
gekrümmt finden. Trauen Sie meinem Wort als dem
eines Ehrenmannes.«
Völlig beruhigt verließ Ellen in Begleitung ihrer
Gefährtinnen Alexandrien, die Mädchen unter dem
Schutze des deutschen Ingenieurs und seiner Matrosen
zurücklassend, nur Sulima und Yamyhla nahm sie
mit, erstere, um sie in ihre Heimat zu bringen und
durch ihre Aussage den Anstifter des räuberischen
Ueberfalles zu entlarven, letztere, weil alle Vestalinnen
ein ganz besonderes Wohlgefallen an der Amazone
fanden, welche bei jeder Schiffsarbeit mit einem Eifer
und einer Geschicklichkeit ans Werk ging, welche die
Damen immer wieder in Erstaunen setzten. Ueberhaupt
betrachteten sie das Mädchen mehr als Genossin, denn
als eine der Aufsicht bedürfende Sklavin.
Der ›Amor‹ hatte zur anderen Seite des ›Blitz‹ beigelegt,
und Lord Harrlington hatte dem Ingenieur die Brigg
ebenfalls zur Aufsicht übergeben.
Die alten Moscheen der einstigen Herrscher Ägyptens,
die Wasserkünste, die berühmten Mameluckengräber,
die Andenken, welche sich an den Aufenthalt der Juden
in Ägypten knüpfen, alles war schon besehen, es galt
nur noch, den Pyramiden einen Besuch abzustatten,
dann sollte dem heißen Wunsche Sulimas, sie nach der
Heimat zu bringen, willfahren werden.
Man sah es dem armen Mädchen an, daß es bald vor
Sehnsucht verging, aber zu rücksichtsvoll war, um
durch Bitten ihre Retterinnen zur Beschleunigung des
geplanten Vorhabens anzutreiben.
Jetzt harrten unten die bestellten Esel, um die Herren
und Damen nach Giseh, wo die Pyramiden und die
kolossale Sphinx sich erheben, zu bringen. ...
In einem Zimmer des Hotels fand kurz vor dem Abritt
noch eine Unterhaltung zwischen Ellen, Johanna und
Miß Murray statt, während Sulima und Yamyhla,
ebenso wie die übrigen Damen, in helle, bequeme,
aber dennoch geschmackvolle Toiletten gekleidet, am
Fenster standen und sich über das Treiben der Herren
zwischen den Eseln freuten.
Soeben hatte Miß Petersen den beiden Damen einen
laugen Artikel aus einer englischen Zeitung vorgelesen,
deren es in Kairo mehrere giebt.
»Sieht es nicht gerade aus,« setzte Ellen am Schluß
hinzu, und ihr schönes Gesicht strahlte von innigem
Wasser-Prawda | Juni 2014
Entzücken, »als hätte der Schreiber dieses uns ganz in
der Nähe beobachtet?«
»Fast scheint es so,« entgegnete Miß Murray, auch sie
war ungemein erfreut. »Alles, was wir gethan haben, wie
Sie dem Mädchenhändler erst die Pistole aus der Hand
schossen, dann sein Ohr trafen, wie ich das Kommando
gab, das Steuerrad der ›Undine‹ zu zerschmettern – alles
ist so geschildert, wie es geschehen ist.«
»Merkwürdig ist es auch,« fuhr Ellen fort, »wie genau
der Name jeder Vestalin genannt ist, die am Geschütz
stand, die im Boot war oder die die Bootsbesatzung
mit Revolvern bedrohte. Das Verhalten des Türken,
des Kapitäns, unser eigenes, alles und alles so, als hätte
sich irgendwo ein Reporter versteckt gehalten und unser
Thun in seinem Buche notiert. Wer mag dies nur gethan
haben? Eine unserer Gefährtinnen?«
»Das kann ich nicht glauben,« sagte Jessy Murray
bestimmt.
»Dann weiß ich es wirklich nicht. Was meinen Sie dazu,
liebe Jane?«
»Ohne allen Zweifel hat den Artikel einer der Engländer
in die Zeitung gesetzt,« entgegnete Johanna.
»Nicht möglich,« riefen beide Damen zugleich aus.
»Der ›Amor‹ war nicht in Sicht, und derjenige, der
dieses aufgesetzt hat, muß unbedingt Augenzeuge des
Vorfalles gewesen sein.«
»Und doch ist es nicht so unmöglich,« meinte eben
Johanna lächelnd, »daß uns dabei die Herren beobachtet haben. Sie entsinnen sich, daß der ›Amor‹ eben
in Sicht kam. als wir die Sklavinnen an Bord nahmen.
Den näheren Anblick dieser Mädchen wollten sich die
jungen Herren natürlich nicht entgehen lassen. Mir fiel
übrigens gleich auf, daß sie uns zwar beglückwünschten uud sehr viele Schmeicheleien sagten, aber ihr
Erstaunen über unsere That war doch nicht das rechte.
Zeigten es einige doch, so machte es einen erkünstelten Eindruck.
»Aber ich bitte Sie,« unterbrach Jessy die Sprecherin,
»wie sollen sie uns beobachtet haben, wenn wir den
›Amor‹ gar nicht sehen konnten!«
»Ah, doch! Wissen Sie noch, daß nicht so sehr weit von
uns das letzte Inselchen des griechischen Archipels lag!«
SPRACHRAUM
– »Ah, in der That!«
»Nun, und eben, als das Werk vollendet war, kam der
›Amor‹ hinter diesem Inselchen vorgedampft, und die
Herren beglückwünschten uns,« schloß Johanna.
»Das wäre allerdings die einzige Lösung des Rätsels.
Doch sei es, wie es wolle,« meinte Ellen und stand auf,
um vor dem Spiegel ihr Kleid zu ordnen. »Böse bin ich
dem Betreffenden jedenfalls nicht, daß er so indiskret
gewesen ist, das Geschehene in den Zeitungen zu veröffentlichen. Im Gegenteil, ich bin sehr zufrieden damit.«
»Das kommt doch auch noch in andere Zeitungen?«
fragte Jessy.
»Natürlich! Alle Redaktionen der Welt werden sich
um die Ehre reihen, ihren Leserkreis zuerst mit dieser
Neuigkeit und unseren Namen bekannt zu machen.«
»Bravo, bravo!« rief Jessy entzückt und klatschte in die
Hände. »Es ist schade, daß Sir Williams nicht nahe
genug war, sonst hätte er uns mit seinem unvermeidlichen Photographenapparat aufgenommen.«
»Ich weiß nicht,« meinte Johanna, »mir gefällt es nicht
besonders, daß die Befreiung der achtzehn Mädchen
durch uns so freimütig ausgerufen wird.«
»Warum nicht?« fragten die beiden Damen erstannt.
»Wir haben doch kein Unrecht begangen, sondern vielmehr eine sehr lobenswerte Handlnng ausgeführt!«
»Gewiß, das haben wir! Aber immerhin, der Schreiber
hätte wenigstens warten können, bis wir Sulima sicher
den Ihren ausgeliefert haben, wir selbst wieder an Bord
der ›Vesta‹ sind und Alexandrien hinter uns haben.«
»Haben Sie etwa Angst, daß wir für unsere Kühnheit
von jenem elenden Mädchenhändler bestraft werden
könnten?« fragte Jessy in etwas spöttischem Tone.
Johanna richtete sich hoch auf und schaute die Fragerin
mit einem festen Blicke an:
»Sie sollten doch wissen, Miß Murray, daß Johanna
Lind keine Furcht kennt.«
»Verzeihen Sie mir,« bat sofort Jessy und reichte ihr die
Hand, »so war dies nicht gemeint. Aber warum sollte
diese schnelle Veröffentlichung eine Gefahr für uns
bedeuten?«
Johanna zuckte die Achseln. »Eine Ahnung sagt es mir.
Wir sind in einem Lande, das unter der Oberhoheit des
Sultans steht. Die Türkei darf den Sklavenhandel zwar
nicht dulden, dafür haben die europäischen Mächte
141
gesorgt, aber sie leistet ihm, und ganz besonders dem
Mädchenhandel, heimlich Vorschub.«
»Nun, laßt sie kommen!« meinte Ellen. »Wir werden
schon mit ihnen fertig werden. Aber auf nun, meine
Damen, wir wollen hinunter! Kommt, Sulima und
Yamyhla!«
»Ja, auf, denn schon wiehern vor der Thür die Rosse,«
lachte Jessy, als eben ein Esel ein langgezogenes Y–y–ah
ausstieß, welches seine Brüder beantworteten. Freudig
wurden die Damen unten begrüßt. Schon lange hatte
man auf ihre Ankunft gewartet, um den Ritt nach den
Pyramiden beginnen zu können.
Jede hatte sich einen Esel ausgesucht, einige weitere
Tiere wurden mit Lebensmitteln bepackt, um nach
Befriedigung der Augen auch dem Verlangen des
Magens genügen zu können. Die mit diesen Schätzen
beladenen Tiere und deren Treiber kamen unter die
besondere Aufsicht des ebenfalls mitreitenden Hannibal,
denn dieser weitgereiste Mann gab sich den Anschein,
als ob das Merkwürdigste der Welt nicht mehr sein
Interesse erregen könne, nur eine gute Mahlzeit und
ein gutes Glas Wein lockten ihm, dem verwöhnten
Feinschmecker, ein wohlgefälliges Lächeln ab. So ritt
er jetzt hinter den den Beschluß bildenden Eseln mit
den Vorräten her und verwandte kein Auge von ihnen.
Erst als Yamyhla ihr Tier neben das seinige lenkte,
wurde seine Aufmerksamkeit durch die Unterhaltung
in Anspruch genommen, die beide in jenen tiefen
Gaumenlauten ihres Volkes führten.
Wasser-Prawda | Juni 2014
142
ENGLISH
PREFACE
BY RAIMUND NITZSCHE AND BERND KREIKMANN
The „Wasser-Prawda“ is rapidly becoming a highly
respected international music medium. We have gained
many readers and friends in Europe and the American
continent. Since it seemed like a good idea to ask some
of these friends if they are willing to send us regular
reports from their environment.
It‘s primarily about the blues - told from eye level. Where
are the most interesting clubs which musicians are particularly popular, what are the trends, where are the
popular meeting points?
Our friends are musicians or designated spotters, who
live locally. We want to report from the West Coast, from
Chicago, Detroit, Austin and New Orleans. Toronto and
Sao Paulo are also important places.
As pioneer we have picked out our friend Howard Glazer
- in the last issue we presented Detroit‘s leading blues guitarist, now he will bring us closer to his city and region.
The city of Tamla Motown, Mitch Ryder, Donald Byrd,
Eminem, Glenn Frey, Smokey Robinson, Bob Seeger
and the great Diana Ross, the city of steel and the car
industry; the city that struggles out of bankruptcy.
Howard would not be a US born man if he did not first
imagine his immediate surroundings, he leads us into a
culture that differs greatly from ours, but closer inspection has a lot in common.
First we thought: For the sake of authenticity, we refrain
from the texts to be translated into German; they are
written in a manner that they are easy to understand.
But after we asked some of our readers, another decision
was made: Online we’ve got some articles in German and
English already. And this way we’ll do in our monthly
pdf-version too. Starting now you can find some articles
in English here, mostly written by our authors from the
United Kingdom or the US. But we’ve got some reviews
Wasser-Prawda | Juni 2014
and texts we translated in English by ourselves also.
The layout will be very stripped down and rough - our
magazine is still the work of some enthusiasts without
funding. But we hope, you’ll find it helpful, to have the
articles in English.
And all the other pages you can use to train your
German language. There’s not only Blues and music
music. We’ve got a lot of literature here too, some reviews
of books and films and sometimes articles on history,
arts or philosophy too.
At last a word to all the musicians, promoters or music
labels: If you’ve got money left in your marketing budget:
Why not put ads in our magazine online and in the pdf
as well? We’ve got more than 1500 visitor/day on www.
wasser-prawda.de and about 600.000 pageviews/month.
The pdf-magazine has more than 1000 readers each
month. And they all know, this is the best place to look
for Blues, Soul and related music in Germany online.
Ask for an offer via marketing@wasser-prawda.de.
ENGLISH
143
Video Killed The Radio Star?
LETTER FROM THE UK NO 8. BY DARREN WEALE
was fifty years old in March. In the 1960’s, when it
was for a time the sole nearby broadcaster of breaking
music to the UK, it had 10 million listeners (its record
AUS DEM VEREINIGTEN
was 24 million!). Fifty years on, Radio Caroline and its
latest ship, the Ross Revenge, is still here and broadKÖNIGREICH.
casting. Ship? Yes, Caroline was ship-based, and if you
Have you heard the old hit by The Buggles “Video Killed have seen the movie the Boat That Rocked, that gives
The Radio Star”? It is a great song, and the only one I you some idea of what it was like. Radio Caroline’s precan think of where singing “oo-wee-oo-wee” works.
sence today is highly remarkable, even miraculous, given
Radio has a massive part in the history of modern its history. Legislation - the Marine and Broadcasting
popular music, making many acts household names. Offences Act 1967 – was enacted to restrict or destroy
Even in these days of digital access to music, radio, and Radio Caroline. A Radio Caroline ship, the Mi Amigo,
the personalities that work in it, are important.
sank. The authorities boarded and impounded a Radio
The British radio station that means the most to me Caroline vessel for a time as well. Then there has been
is Radio Caroline. I have written about it in an earlier the spread of competing broadcast radio stations offline
Letter from the United Kingdom, so after this I had and online. Plus, of course, the rise of music video. Yet
better leave that topic alone for some time. Caroline
WILLKOMMEN ZUM BRIEF
Wasser-Prawda | Juni 2014
144
ENGLISH
Radio Caroline is still here, broadcasting chiefly via
the internet, owing to difficulties in getting a terrestrial
licence and wavelength.
Radio Caroline is best known as a Rock ‘n’ Roll station.
However, Radio Caroline started life in 1964 when most
of the biggest bands were Rhythm and Blues or highly
inspired by it – The Rolling Stones, The Animals, Them,
John Mayall’s Bluesbreakers, Buddy Holly, Elvis Presley,
even the Beatles. So it is good to see that the station in
its current output has the Blues on some of its shows, as
well as shows that play music from the 60’s.
Video is, though, starting to help music and musicians, a
little like radio did before. The late, great guitarist Alvin
Lee is responsible for one new example of this. He is the
first artist to feature on the Digital White Label platform, ‘the next generation of fanclubs’. In short, Digital
White Label allows fee-paying fans to follow their favourite artists on a year-long campaign where they will
be given exclusive material from an unreleased collection of tracks, and a variety of other exclusives. The first
select footage to be shared on the Digital White Label
platform is the unreleased album, ‘Alvin Lee & Co. –
Live From The Academy of Music, New York, 1975.’
The early promotion of the platform features some very
good video, one with voiceover by Huey Morgan, of
Fun Lovin’ Criminals.
Arguably, a Blues artist would be an unlikely choice
to launch such a platform. However, there are special
reasons for the choice. Family reasons. Alvin’s daughter, Jasmin, together with her mother, Suzanne, and
Lee’s widow, Evi, have been working to deliver a project
her father helped to inspire. Jasmin said, “We started
pulling this together with Dad before he passed away
and he really liked the concept, but now myself, Evi
and Suzanne have taken the reigns with this and it has
become a commemorative release where we can go a bit
more into Alvin Lee the person.”
The artists will receive 80% of the income directly. The
platform is hosted by Tunehog - www.tunehog.com and
Digital White Label provides a way of monetising all
content for artists instead of them having to give away
so much for free.
Will Digital White Label be a real help to musicians
in the digital age? Will it last fifty years and more, like
Wasser-Prawda | Juni 2014
Radio Caroline? I’d like to hope so. Now you’re finishing
reading this, why not tune in to Radio Caroline? And
take a look at Digital White Label and Alvin Lee. After
all, video hasn’t killed the radio star. Not yet. Not yet.
SEID GLÜCKLICH UND
ERFREUT EUCH AN EURER
LIVE-MUSIK UND ALLEM
WAS DEUTSCH IST!
LINKS
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Radio Caroline - www.radiocaroline.co.uk/#home.
html
Now I n Foc u s podc a st – i nter v ie w
with current Radio Caroline DJ, Steve
A nt hony - http://nowinfocus.libsyn.com/
radio-caroline-dj-steve-anthony-interviewed
Now In Focus podcast – interview with two former
Radio Caroline engineers, Mike Barrington and
James Kay. Hear about the sardine and pickled
onion curry and more – http://nowinfocus.libsyn.
com/interview-with-radio-caroline-engineers-mikebarrington-and-james-kay
Talent In Focus video interview with DJ Steve
Anthony - www.youtube.com/watch?v=KvkzlybxPLM
Talent In Focus – The Billy Walton Band from the
US explore the Ross Revenge and play on the deck
- www.youtube.com/watch?v=0v_UnTfE7r4
Alvin Lee - www.alvinlee.com
Digital White Label - http://digitalwhitelabel.com
ENGLISH
145
song by Rodriguez).
Gracie’s is one of the few “mom & pop” or independently owned Italian restaurant and pizzerias around.
The homemade pasta sauce and old school oven baked
pizza’s are great! Not to mention the Wednesday $5
Spaghetti Dinners, $1.50 draft beers and live blues
music!
Hello, I’m writing to you from Detroit, MI USA. I know One side is just the restaurant the other side is the party
around the world Detroit doesn’t always have the gre- room and the back bar (with a pool table, this is where
atest reputation; I want to take this opportunity to let I play on Wednesday nights).
you know about the many positive things going on in
You never know who you’ll run into there either, a
and around the city.
Detroit City Council member, policeman, or fireman
I’m going to start with Gracie See’s Pizzeria. You may to another local musician, or just neighborhood people
ask: why a pizzeria? Gracie’s isn’t just a pizzeria, it’s a res- enjoying dinner and a night out. Now with live blues
taurant, bar and gathering place for many people on the on Wednesdays (started in December 2013) new people
West side of Detroit. When you walk into Gracie’s and are going there for the music. Often musician friends
look around you almost feel like you have walked back come and sit in with me. I’ve even had poets come out
in time to the 70’s. The restaurant features vintage pane- and read both on their own and with live blues backing
ling and an amazing collection of plaster statues, black them up. In the party room who knows….a birthday
velvet paintings and vintage tin signs from the 60’s and party, holiday party, retirement party it all happens!
70’s, scattered throughout.
You can also order your food for takeout. But……if you
Many of the happening places in the suburbs claim to want to stay home not only will they deliver food right
be in Detroit and they really aren’t, nothing against to your front door, they will also deliver beer & wine as
them, there is just a certain character that a Detroit busi- well (I personally don’t know of any other place in the
ness has, and Gracie’s is no exception It’s actually rather area that does that).
unique because one side of the street (the side Gracie’s
is on) is Detroit, the other side of the street is Dearborn Gracie’s has been around for many many years and has
(home to Ford Motor Company and made famous in been a family tradition spanning several generations I
had a chance to sit down with Joe Puleo, (Gracie’s son
and restaurant manager) and ask him a few questions
Howard Glazer’s Blues,
Views & News from
Detroit
Wasser-Prawda | Juni 2014
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ENGLISH
in 1969
HG: How do you feel about being a business owner
in Detroit?
JP: Being a business owner in Detroit is kind of a mixed
bag. The good people are the best and the worst are the
worst. I couldn‘t imagine being anywhere else. Detroiters
are the best neighbors, everyone knows everyone, and
it’s like a small town that just keeps going.
HG: I just saw on the news there will be an outside
investor investing 100 million dollars into Detroit
over 5 years, do you think that has any chance creating a positive affect?
JP: Any investment is good investment. I hope everyabout the families business.
one in the city is committed to getting though his banHG: How many years has Gracie See’s been in kruptcy and becoming a functional place to live. I think
business?
that JP Morgan is betting on just that.
JP: Gracie’s has been in business for 45 years, we opened
in the summer of 69.
HG: Is there anything you want to say to the readers
HG: Who created the great pasta sauce?
JP: My grandmother but the truth is no one really
knows, the recipe is ancient. Right now she’s 90, before
it was my great grandmother‘s. Some day it’ll be my
mom’s then my sisters, my daughters and so on. (it’s
passed on from generation to generation)
HG: What about the pizza recipes?
JP: It’s just bread sauce and cheese so it kind of came
together back in the 1920s to 1940s. Use good ingredients, lots of practice. Dough really does need an experienced hand to make it, the temperature outside, how
quickly you expect to use it, and there are a lot of things
that come into play. But we don’t change the recipes.
HG: Have the recipes just sort of developed over the
years?
JP: We don’t like change, but that’s a good thing in
this case. You can eat the exact same thing as they did
Wasser-Prawda | Juni 2014
in Germany? Or why they should come out to Gracie
See’s when they are in the Detroit area?
JP: hallo, Kommen Sie vorbei, wenn Sie gutes Essen und
ein Getränk mögen. Deutschland ist ziemlich weit weg,
aber unsere Pizza ist so gut, es ist die Reise wert. Wir
trinken Barrel Oktober Dunkel. Sie haben auch unsere
repect als Auto Leute.
Also, Howard gets some many American ladies in when
he plays that the fire marshal has 2 girl friends now.
So with that being said if you are in Detroit and want
a great reasonably priced meal or some adult beverages
while hanging out with really friendly people Gracie
See’s Pizzeria, 6889 Greenfield, Detroit, MI is the place
to be.
ENGLISH
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Ten Questions To: Chantel McGregor
A SERIES BY DAVE WATKINS
1: What were your earliest musical tastes and how
did you discover the world of blues?
Like most children, I was brought up on a mix of what
my parents listened to, and it was usually guitar based
music that was floating around our house, bands like
Zeppelin, Free, Hendrix and Fleetwood Mac etc, in fact
one of my earliest memories of music is Rumours by
Fleetwood Mac – Stevie Nicks has been my idol since
I was a toddler!!!
2: Who were the artists that you listened to that
made you want to play this music? When did you
realize you had the talent to do it?
It’s strange really because I never really listened to people
and thought ‘I want to play like that’, that still never
happens. A lot of young players hear a guitarist and want
to become that guitarist, so they sit in their bedroom
learning someone else’s riffs, style and tone. I never did
that, I always liked doing my own thing, improvising
to things in my own style and creating my own sound.
To part 2 of the question, I don’t think you ever realize
your own talent, you should always be critical of yourself, there’s always something you can improve on.
3: Your first recordings - do you still listen to them?
How do you rate them now? Are there any that you
won‘t listen to?
I don’t actually know where my first recordings are, I
know there are tapes of me singing nursery rhymes from
when I was about 2 years old somewhere, but anything
actually musical is lost. I remember getting a 4 track
tape recorder when I was about 10, which I used to
throw ideas down on and record my own pretend radio
shows, but I’m not sure what happened to both the tapes
or the recorder!
4: What other jobs have you done to be able to
support your music career?
I’ve never actually done anything else. I did my A-Levels,
left school, did a BTEC and then a degree at Leeds
College of Music, and whilst I was doing my degree,
put my band together and gigged. When when I left
university, I had my career all ready to walk into and
Wasser-Prawda | Juni 2014
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ENGLISH
started touring professionally.
which will be great fun. I think my future will include
touring further afield. My main ambition is to be happy
5: How hard is it to make a living in music? Is there and successful in whatever I’m doing, as long as it’s all
anything that would make it easier for all artists?
going well and I’m enjoying it, what more can a girl
It is a very hard industry to be involved in, both from want!!!
the amount of work you have to put in, the amount of
money you have to invest, and the lack of rewards both 10: What do you like to do outside of music?
financially and professionally that you get back. But if I like to travel, explore different places, shopping, and
you get it right, work 24 hours a day and put your all trying different food and drinks.
into it, it can be very rewarding. You just have to be preBONUS QUESTIONS:
pared to sacrifice a lot.
1: What is the greatest guitar riff you ever heard? The
6: Which song of your own are you most proud of? one you would most likely play just for fun?!
Can you tell us the story behind that song?
I’m massively into Prince at the moment, so probably
I think I’m most proud of ‘Fabulous’. It’s a rock-pop song ‘Lets Go Crazy’, the live version. I’ve been jamming it
that I wrote for my first album, it came very quickly. I at sound checks since I went to see him play in May.
was thinking about writing a song about partying on a
weekend, and within a couple of hours, ‘Fabulous’ was 2: Do you ever get strange looks from an audience
who don‘t expect a female to be able to play that well?
written. It’s a good fun song to dance to!
I get that at most shows, it is really funny to see. I enjoy
7: When you sit down to write, what comes first - the watching the realization that girls can play guitar, its
lyrics, the tune or an idea for a whole song?
really good fun!
I don’t really have a method for writing, it happens differently every time. Sometimes I try to write lyrics on 3: What is your favourite food treat - chocolate,
my phone, other times I’ll pick up a guitar and come biscuit or sweets??
up with the harmony, sometimes both of those magi- I’d have to say chocolate, it’s my weakness!!!!!!!
cally fit together, and sometimes nothing comes at all,
songwriting is one of those elusive things.
8: Tell us about your favourite instrument in your
collection? Is there any other instrument that you
would like to own or want to learn how to play?
I’ve three favourite guitars, a PRS Custom 24, a Music
Man Petrucci, and a Fender Stratocaster which my dad
modified. They’re all different but they just feel perfect
to me, depending on the song, whenever I play them
they are so natural in my hands, not many other guitars
feel like. I’d love to have and to be able to play a grand
piano, although it would be a bit of a waste, my piano
talents are limited to ‘Chopsticks’!
9: Where do you like to see your career heading to
in the future? What are your main ambitions?
My next ambition is to finish writing the second album,
get it recorded and released, and then later this year I
have a European tour lined up, including Germany,
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play guitar he was not the reason I started playing
blues music. My Mom was the person that got me into
the blues. At the age of 16 she took me to see Stevie
Ray Vaughan and that changed my whole world. At
the age of eighteen my father passed away and I feel
blues music helped channel my anger and depression
into a positive thing. Blues music to me is a very spiritual and healing part of my life!! It has helped me to
release the stress from the daily trials and tribulations
of everyday life and at the same time while performing
it does the same for the people at my shows. It is my
wish to help people forget about the bad in their life‘s
and cut loose the worries and have a good time, if even
only for a moment. If I can make that happen for the
people then to me that is the ultimate feeling of gratification that money can‘t buy!!
BK: It was a pleasure to see your CD „Rough Cut“
climbing up the charts. It’s still a chart breaker.
AV: Our CD titled „Rough Cut“ was named for in
which the process it was recorded. We went into the
studio and just laid down the tracks with no rehearsal,
heck we didn‘t even know what songs we were going
to record. We recorded the album in one session with
AN INTERVIEW WITH ALLEN
the band, Aldwin London on Bass & Vocals, Sugar G
VEGA. BY BERND KREIKMANN. Robinson on Keys, Mr Paquettez on Drums, Armen
Boyd on Sax and myself on Guitar and Vocals. I did
PHOTO: BOBBIE GOODMAN.
two more sessions to do the vocal tracks and to mix the
BK: We know each other since some years Allen, CD. Rough Cut has been doing well since it‘s release
in 2013 we are grateful it has captured the attention
good to see you in great shape.
AV: Yes Bernd, I believe we met in 2011 on Facebook, of many people throughout the world and has been
your general interest in American blues music caught number one on the ReverbNation blues chart for over
my attention and I‘m happy we became friends, I have six months.
made some changes in that time, becoming sober and BK: When we met first time you’ve been with BigCat
taking charge of my health and musical direction.
Tolefree, what happened?
Mission: To Make People
Smile
BK: I’ve been impressed of what you changed and
realized in your personal life during that time. To
come to your roots Allen, your uncle has been a well
known musician too, has he been the one to bring
you to the blues?
AV: My uncle David „Dynamite“ Vega was the original guitarist for the band „Graham Central Station“
although he was a huge influence on me learning to
AV: Well, my friends and fans kept telling me they like
my show better, so I decided to front my own band, I
didn‘t feel Big Cat was growing and I made the choice
to move on!
BK: I understand, you want to continue to go your
own musical way as started with „Rough Cut“. BTW
Wasser-Prawda | Juni 2014
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ENGLISH
my favourite take is „Tin Pan Alley“
which is being released in July 2014. I am currently
AV: After being a side man for over 20 years I feel the writing and recording my second album and we should
time has come for me to step up front, BTW Tin Pan have it complete by the end of summer.
Alley is also my favorite track on our album and is
BK: Do you plan to do your CD Realease tour in
getting a lot of attention.
Europe too? Do we have a chance to see you on our
BK: Attending your gigs it is great to see that the stages in Germany?
crowds are enthusiastic to see you with your new AV: We are currently looking for contacts in Europe
band.
and overseas to help us with tour support. We would
AV: The response has been amazing and we look forward like to perform all over the world!!
to bringing a new high energy show where ever this ride BK: Many thanks for taking your time Allen, all the
may lead us!!
best for your plans and hope to see you soon on the
other side of the pond.
BK: Isn’t it a risk to start up with a new band, when
you’re on top?
AV: As I stated, I want to grow and being in BC & the
Hipnotics was stifling my creativity. My grandmother
always told me to follow my heart and take chances!
BK: I know that times are getting harder for musicians on West Coast too. You have a very nice family
a wonderful wife and two children. How is it possible to survive as a Blues Musician under these
circumstances?
AV: I‘ve had to make sacrifices for my family, I gave up
touring and got a day job to support my family. I have
no regrets, sure it‘s tough to do music and work a day
job but the most important thing to me is to be there
for my wife and kids!
BK: I understand that the love to your music is deep
down in your heart, it is not a job but kind of a
mission.
AV: You got that right!! I‘m on a mission to make people
smile, dance and forget about all there problems if even
for only a moment!
BK: That is great Allen, what are your plans for the
next times? I heard a rumor that you are working
on a new CD?
AV: I have a lot on my plate right now and I‘m very fortunate to be involved in multiple projects. I recently
recorded with some huge names in the Funk music
industry that I will name at a later date upon the record
release. I have also recently recorded with a true blues
man by the name of Silver Fox on his all original album
Wasser-Prawda | Juni 2014
ENGLISH
Eeny, meeny, miny, moe:
the blues versus racism
BY GARY BURNETT1
151
admitted to publically calling the president of the United
States a “f***ing nigger.” In March Jane O’Toole overheard Copeland make the remark as she finished her
dinner in a local bistro.
O’Toole complain to the town management, but
Copeland was unrepentant, saying in an email to his
fellow police commissioners, “I believe I did use the
‘N-word’ in reference to the current occupant of the
Whitehouse. For this, I do not apologise – he meets and
exceeds my criteria for such.” His loudly stated opinion,
according to Copeland, was merely an exercise of his
first amendment rights.
The sorry tale was compounded by the Chairman of the
Police Commission, Joseph Balboni, saying he had no
plans to ask Copeland to resign. He said of Copeland,
“He’s worked with a lot of blacks in his life. . . . He said
some harsh words about Mr. Obama, and here we are.
This woman, she’s blowing it all out of proportion.” Mr.
Copeland has now resigned.
There have been other incidents of expressions of racism
recently. One Cliven Bundy, a Nevada rancher who is
leading a ranchers’ dispute with the government over
cattle grazing, recently wondered whether the “Negro”
shouldn’t be back in chains. He recalled driving past a
public-housing project in North Las Vegas, “and in front
of that government house the door was usually open and
the older people and the kids – and there is always at
least a half a dozen people sitting on the porch – they
didn’t have nothing to do. They didn’t have nothing
for their kids to do…And because they were basically
on government subsidy, so now what do they do? They
abort their young children, they put their young men in
jail, because they never learned how to pick cotton. And
I’ve often wondered, are they better off as slaves, picking
cotton and having a family life and doing things, or are
they better off under government subsidy? They didn’t
“Well, them white folks in Washington they know how get no more freedom. They got less freedom.”
To call a colored man a nigger just to see him bow.”
Bundy, the New York Times reported, has become a
celebrity, “drawing hundreds of supporters, including
But those days are long gone, right?
dozens of militia members, many carrying sidearms, and
Last week the news emerged that the police commissi- members of Oath Keepers, a militia group, who have
oner of Wolfeboro, New Hampshire, Robert Copeland, embraced him as a symbol of their anger and a bulwark
The blues grew up in an environment of the most virulent racism and discrimination, perpetrated by white
people on the black communities of the Southern States.
Many of the early blues songs bear witness to the suffering endured by black communities. In 1930, Lead Belly
sang Jim Crow, bemoaning the inequity he found everywhere he went: “I been traveling, I been traveling from
shore to shore, Everywhere I have been I find some old
Jim Crow.” Eleven years later, Josh White gave us Jim
Crow Blues, where he complains he “ain’t treated no
better than a mountain goat.”
Lead Belly also suffered racism in the nation’s capital.
In Bourgeois Blues, he tells us about the ostracism he
faced as a black person: “Well, me and my wife we were
standing upstairs, We heard the white man say’n I don’t
want no niggers up there.” Then:
1
from his blog „Down At The Crossroads“ (downatthecrossrads.wordpress.com)
Wasser-Prawda | Juni 2014
152
ENGLISH
against federal abuse.”
Then there’s the recent case of Donald Sterling, manager
of the LA Clippers basketball team, who asked his girlfriend not to take pictures with black friends or bring
them to games. “Admire him, bring him here, feed him,
f*** him,” he said of former basketball legend, Magic
Johnson. “But don’t put him on an Instagram for the
world to have to see so they have to call me.”
Racism is alive and well on the other side of the Atlantic
as well. The host of the BBC’s successful Top Gear programme, was caught on camera reciting a version
of “eeny, meeny, miny, moe” from his childhood in
which he is heard to mutter “catch a nigger by the toe.”
Clarkson’s got form in this regard, of course, previously
calling Mexicans “lazy, feckless and flatulent.”.
Perhaps this is just a few ignorant and well-known
people getting caught saying some things they shouldn’t.
In a recent Guardian newspaper article, however, Gary
Younge argued that racism is “a system of discrimination
planted by history, nourished by politics and nurtured by
economics, in which some groups face endemic disadvantage” and went on to say that, “The reality of modern
racism is…the institutional marginalisation of groups
performed with the utmost discretion and minimum
of fuss by well-mannered and often well-intentioned
people working in deeply flawed systems. According
to a recent US department of education report, black
preschoolers (mostly four-year-olds) are four times more
likely to be suspended more than once than their white
classmates. According to a 2013 report by Release, a UK
group focusing on drugs and drug laws, black people in
England and Wales are far less likely to use drugs than
white people but six times more likely to be stopped
and searched for possession of them. In both countries
black people are far more likely to be convicted, and to
get stiffer sentences and longer jail time.”
The blues, forged as they were at a time of deep distress
and racial oppression, continue to be a howl of protest
and a stark warning about the racism that, sadly, often
seems to be just under the surface.
Wasser-Prawda | Juni 2014
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ENGLISH
Reviews
BRIAN KRAMER - OUT OF
THE BLUES & FULL CIRCLE
Stockholm-based, Brooklyn-born
bluesman Brian Kramer seems a
pretty talented guy. In an almost
unprecedented move, Kramer
has boldly gone where few have
gone before with the simultaneous release of his first novel, ‘Out
Of The Blues’ and a new CD, ‘Full
Circle’. Launched at his literal stamping ground in the Swedish capital,
‘Stampen’, a blues/jazz venue where
the man himself is often found
leading jams and otherwise kicking
up a fine old blues-inspired shindig,
the novel is published by Bullet Point
Publishing under his full name of
Brian D Kramer.
And in Scandinavia, a region now
leading the world in crime fiction,
‘Out Of The Blues’ fits nicely into
the genre with the added twist of
blues music and dodgy dealing at
its heart and an author who certainly knows the business back to
front and inside out. But to say it’s a
crime novel, does Kramer a disservice: instead it’s an intriguing insider
view of the world of the pro musician
and the daily trials and troubles that
can all too easily beset the unwary
player. The album is themed with
the book, and lyrics from it crop up
repeatedly as prompts in the book’s
pages and chapters. It’s an interesting idea that Kramer carries off
with apparent ease. Anyone who has
picked guitar as a jobbing player or
sideman will identify with the principal New York down at heel character, his life and his problems. The
strong whiff of biographical detail
pulses at the heart of the book,
including the wistfully titled track,
‘Going Back To Brooklyn’.
‘Full Circle’, the accompanying CD
release, is an excellent little album.
Themed around Kramer’s quarter
century as a pro player and his New
York roots, It sure resonates with me
with its laid-back rhythm and material that ranges from Ragtime-Blues
influences to Brian’s beloved and
sensitively picked Steel Guitar work.
His electric playing is also showcased
with a fine bunch of backing musicians including Chuck Anthony on
guitar, Mats Quartfordt on Harp,
another Swedish based US player,
Bert Deivert, Steel Mandolin, and
some very soulful backing vocals
from Maria Blom, Isabella Lundgren
and Fanny Holm. At times the
groove here is reminiscent of the
late JJ Cale, with its deceptively laidback melodies and clever lyricism.
You might be excused for thinking
that Kramer, who for many years
provided back-up guitar to Eric
Bibb, both on the road and in the
studio, and has also worked with
Junior Wells, Larry Johnston and
Taj Mahal, would be struggling
with writers block having laboured
to fruition and produced this highly
153
readable novel. Well you’d be wrong:
he also wrote all of the material that
features on this solid CD. (Bullet
Point Publishing & BKB CD0007)
Iain Patience
David Michael Miller Poisons sipped
Soul Blues meets Sacred Steele
Guitars: On his solo album „
Poisons sipped „ a native of Buffalo
songwriter and guitarist David
Michael Miller was supported by
the Campbell Brothers. The result
is a great collection of songs ranging
from gospel, blues , soul and folk
with fascinating guitars.
The eternal struggle between good
and evil , the struggle against the
adversities of life - you can hear him
more credible than in the songs of
the great blues and Soulmen or the
Gospel preachers . The white David
Michael Miller , who represented
2013, the western region of New
York State at the International Blues
Challenge in Memphis. Whether he
is singing with his rough and powerful voice , or interferes with the
strings : „ Poisons sipped „ is an
album of soul blues and church
become , with songs that are meant
Wasser-Prawda | Juni 2014
154
ENGLISH
to give to the listeners force in and
for their own struggle through life
. It‘s about the struggle for love
against all odds to loss and redemption in these songs . To women who
„ soothes like Heaven but burns like
Hell“.
The power and passion of the songs
here is supported by a great band :
When the Campbell Brothers their
pedal Steele play guitar , then you
are immediately there in the passion
of worship. The saxophone of Jay
Moynihan emphasizes the character of the Soul songs.
„Poisons sipped“ is an absolutely surprising discovery in contemporary
blues. Th is is an album that you
can safely press also newcomers to
the blues in the hand. Here is a real
bluesman to experience! (cdbaby)
Raimund Nitzsche
starts to think, all is good for the soul
of the blues-lover: Janiva Magness
won‘t be the next Pop-Diva. Quite
the opposite: The ballad „When You
Were My King“ about a broken relationship shows us almost painful a
vulnerable singer. The voices in the
background do little to ease it. Here
is a woman singing about her pain,
about starting all over again - and
from the emptiness in life after the
breakup.
At least with „Stronger for it“ the
songs of Janiva Magness became
more and more personal. And she
began to show her vulnerabilty in
her singing more and more. It seems
like a logical move for her, to sing her
own songs now. This ballad is a good
example for it, how far Magness
was willing to go on „Original“.
„Mountain“ ist another of theses
songs, where you can feel the pain
almost physical. It‘s quite impossible
to get a song more intense!
Other songs are not as painfully
beautiful, they are more catchy but
even accurate in their stories. Take
for example „I Need A Man“ with its
rhythm directly imported from some
great juke joint: There is no reason
for sitting alone in the corner having
the blues or for staying alone forever.
Or „Twice As Strong“, a soul-hymn
Janiva Magness - Original
for women who will help each other.
A new beginning is doing singer/
As a singer with an incredible voice,
songwriter Janiva Magness with her
Janiva Magness became more and
new album. „Original“ is not pubmore popular in the years gone by.
lished by Alligator anymore. Most of
Now you have the opportunity to
the songs between Blues, Rock were
learn about a really good songwri(co-)written by herself.
ter as well, a woman who doesn‘t
First you may think of any concare about the borders between the
temporary R‘nB-song. There is this
voice in a room full of reverb, a little
rhythm is tickin. But when the guitar
Wasser-Prawda | Juni 2014
genres.
I truly recommmend to buy
„Original“. This album is simply
terrific!
Raimund Nitzsche
Little Mike and the Tornadoes: All The Right Moves
All The Right Moves reunites Little
Mike Markowitz, guitarist Tony
O. Melio, bassist Brad Vickers and
drummer Rob Piazza after a brief
musical hiatus. The band has been
playing together since forming in
the late seventies. They were the
band of choice when visiting blues
luminaries came to New York City
to perform and have toured with
the likes of Hubert Sumlin, James
Cotton, Pinetop Perkins, and Jimmy
Rogers.
All The Right Moves is a highly
enjoyable blues album with a classic
feel that recalls the Chicago blues
of the 1950s. Mike Markowitz sings
throughout, with deft phrasing, and
plays the harmonica masterfully,
always tastefully and never becoming overbearing. The title track
showcases his harmonica chops
admirably, without ever overshadowing the other instrumentals. The
ENGLISH
guitar work throughout is very cool,
very retro, never boring. The songs,
all original, are a fine collection of
blues songs that you feel you already
know, but look forward to hearing
again. There is some fine blues piano
from Jim McKaba as well, with interesting interplays between guitar and
piano on a number of tracks, including Since My Mother’s Been Gone.
The latter has a lovely 1960s feel to
it, best heard in a dark room, late
at night.
From the opening Hard Hard way
– immediately appealing with its
hoochie coochie man feel – through
the 13 songs to the final Close to
My Baby, a throbbing, vintage
12-bar number, Little Mike and the
Tornadoes have given us a terrific,
stripped down, classic Chicago blues
album that should be on every blues
fans wanted list this year.
Gary Burnett
album after another - each a small
masterpiece in itself.
Robert Cray has of course developed
his own style. Rather, it is a masterpiece of soft sounds, excited Blues
Rock twiddlel is not him. He plays
a clear, often insinuating guitar, his
voice is calm, clear and fits perfectly
with the mood of each song .
There are critics who accuse him his
music was too smooth, maybe a bit
boring. Of course, Robert Cray‘s
music fits well to a quiet evening,
she sure is also perfect as background
music, but for what it‘s too bad.
A good picture you get with my
previous favorite CD <Cookin‘ in
Mobile> of 2010. CD and accompanying DVD was recorded on the
occasion of a concert in Saenger
Theatre in Mobile, Alabama and
show the incredible versatility and
great perfection by Robert Cray
(Vanguard Records , 78073-2 ) .
Now he presents us with <In My
Soul> another strong souloriented
album.
The presentation of the album has
surprised me at first. Provogue has
it as <classic series 33 1/3 microgrooves> on the cover, and points out
that the album can be played with
mono equipment. Do not hunt in
the Fenugreek: The CD is not a
rerelease but recorded brand new.
The Love Song <You move me>
starts the album in the classic Robert
Cray sound excellently. Then it goes
Robert Cray Band, In My
Soul
on with Otis Redding‘s <Nobody‘s
(Provogue, 7436 2) 2014
fault but mine> - what a voice! In
<I guess I‘ll never know> the horns
Who does not know Robert Cray
have their big show, the ballad <Hold
. For decades, from the born in
on> restores Cray‘s voice to the fore.
Columbus Georgia thoroughbred
With the instrumental <Hip Tight
musician returns with regularity one
155
Onion> Robert Cray proves the
great Booker T takes at its best.
Slowly I understood when listening
that the presentation of the album
makes sense. Robert Cray brings us
with this album back to the Soul
World of the sixties and seventies
of the last century, coupled with his
musical perfection of the present. To
this end, he uses his own pieces and
carefully selected classics of the great
soul singer.
The album is a must for lovers of
timeless soul influenced blues music
that love to listen to music!
Bernd Kreikmann
Wasser-Prawda | Juni 2014