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B I L A N Z Fe b r u a r 2 0 1 5 / Das deutsche Wirtschaftsmagazin F e b r u a r / 2 0 1 5 B UNFAIRES SPIEL Telekom-Chef Höttges klagt an / Vorbild Hollywood Wie sich IT-Stars vermarkten lassen / D E U T S C H L A N D S ABSCHIED VOM STAHL Geheimpläne bei Thyssen-Krupp B E S T E S T R A F V E R T E I D I G E R DEUTSCHLANDS BESTE STRAFVERTEIDIGER Ihre größten Fälle, ihre besten Tricks, ihre berühmtesten Mandanten TITEL IDEEN & INNOVATIONEN Dieses Foto kennt jeder: Ackermann vor Gericht Editor-at-Large bei den Großen der Welt „ Das Victory-Zeichen auf unserem Titelblatt zeigte der damalige Chef der Deutschen Bank 2004 bei der Eröffnung eines Prozesses wegen Untreue gegen ihn. Als Aufsichtsrat hatte er dem Mannesmann-Management Rekordabfindungen (mit) genehmigt. Sein Anwalt Eberhard Kempf – einer der zehn, die wir in der Titelgeschichte vorstellen – sorgte für den Freispruch. Jetzt droht Ackermann wieder der Prozess. Kempf steht bereit. Manager leben gefährlich. Vor den Strafgerichten müssen sie mit einem Promi-Malus rechnen. “ Glückserfahrungen ohne Fleisch und Wein U S E B I L A N Z R / D / „HIER SIND SIE, HERR BOLDT! ICH WARTE SCHON DIE GANZE ZEIT, DASS SIE VORBEIKOMMEN.“ „DAS GLÜCK KOMMT ZU DEM, DER WARTEN KANN.“ (Dialog zwischen Schlussredakteurin Jasmin Doehl und Klaus Boldt) Für Matthias Matussek (60) schließt ein gelungener Tag mit einem feinen Essen ab, einem gut abgehangenen Stück Fleisch mit all diesen unnötigen Beilagen etwa. Dazu ein Glas Rotwein, danach ein Dessert. So war es für ihn ein großer Schritt: gar nichts zu essen. Wie sehr ihn das „Heilfasten“ an Grenzen führte und welche Glückserfahrungen er dabei machte, schildert er in diesem Heft. A KLAUS BOLDT Chefredakteur / PRIVAT Seit dem 1. Januar steht Annette Pawlu als Editor-at-Large bei BILANZ unter Vertrag. Die promovierte Historikerin und Politikwissenschaftlerin hat zuvor als Kolumnistin und Autorin bei BILD und davor drei Jahre lang beim Schweizer Wirtschaftsmagazin „Cash“ gearbeitet. Jetzt besuchte sie zum zehnten Mal das World Economic Forum in Davos – und führte für uns fünf Tage lang Gespräche mit Managern, Nobelpreisträgern (wie Mikrokredit-Erfinder Muhammad Yunus, o.) und Vordenkern (wie Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini, Seite 54). / D F e b r u a r A / K 2 0 1 5 R E T Ausgezeichnet Eine Jury der Fachzeitschrift „Wirtschaftsjournalist“ kürte BILANZ im Premierenjahr zur Redaktion des Jahres. Begründung: „BILANZ ist eine bemerkenswerte Neugründung im deutschen Markt mit konsequent hart recherchierten Geschichten.“ Unseren fast eine Million Lesern sind wir verpflichtet und arbeiten weiter daran, noch besser zu werden. I O N / Die nächste BILANZ erscheint am 6. März 2015 / Titelfoto: Picture Alliance, [M] BILANZ Illustration: Alexandra Compain-Tissier/ Siri Matthey Fotos: Picture Alliance/privat/Julian Baumann 3 / N 6 V W / D A I M L E R Dem Lkw-Chef von Volkswagen droht eine Millionenklage vom alten Arbeitgeber 7 B I L F I N G E R Übergangspatron Peter Bodner darf endlich in Rente gehen, zwei neue Vorstände kommen 7 W I N D E L N . D E Der Internethändler für Babybedarf geht an die Börse 8 M I C R O S O F T Der Programmeverkäufer lässt Tausende Kunden überprüfen – Nachzahlungen drohen 14 8 Eilt herbei, wenn der Staatsanwalt klingelt: Daniel Krause gehört zur Spitzenriege der Wirtschaftsstrafverteidiger. C O N T I N E N T A L Beim Geschäft mit Roboterautos fahren die Hannoveraner vorneweg 10 M A Z D A Tot gesagt, auferstanden – und dynamischer als der Erzrivale Toyota 10 E L F M I L L I O N E N Ex-Metro-Spitze Eckhard Cordes verkauft sein Münchener Anwesen 11 R W E Seltsames Schachern um den Aufsichtsratsvorsitz beim Energie-Riesen 12 M A C H T N E T Z Getreue und Rivalen des neuen Chefpiloten von Air Berlin, Stefan Pichler Auf Kollisionskurs: Lkw-Lenker Andreas Renschler (l.) von VW und Wolfgang Bernhard von Daimler. 6 I N H A L T U 28 Wie Sie in einer Konferenz glänzen können, auch wenn Sie keine Ahnung haben. / 4 / NAMEN & NACHRICHTEN UNTERNEHMEN & MÄRKTE 14 S T R A F V E R T E I D I G E R Wer vertritt Deutschlands Wirtschaftslenker vor Gericht? BILANZ stellt die besten Anwälte vor 22 N O T I Z E N A U S . . . Venezuela steht vor dem Ruin 24 I N T E R V I E W Telekom-Boss Tim Höttges über den ungleichen Wettbewerb mit den US-Internetmultis 28 P H R A S E N Managersprech: die gröbsten Stilblüten 30 GENERATIONSWECHSEL Besuch bei den Instant-Krügers Willibert und Marc in Bergisch Gladbach 36 WACHABLÖSUNG Drei Dax-Konzerne bekommen 2015 eine neue Nummer eins – was sie können müssen 38 P O R T R Ä T Was bewegt Bernard gr. Broermann, den Herrn über die Asklepios-Kliniken und das Hotel Atlantic? 42 T H Y S S E N - K R U P P Das Geschäft rentiert sich nicht: Die Essener wollen „raus aus dem Stahl“ 46 G E S P R Ä C H BILANZ-Autor Matthias Matussek unterhält sich mit Flughafengeneral Hartmut Mehdorn über harte Kerle und possierliche Rote 52 R A N G L I S T E Die größten Börsengänge – und welche Banken daran am meisten verdienten I 42 Kruppstahl macht unglücklich: Thyssen-Krupp plant den Ausstieg aus dem Stammgeschäft. B I L A N Z IDEEN & INNOVATIONEN 54 K O N T A K T B Ö R S E Viel los in Davos – ein Blick hinter die Kulissen des World Economic Forum 60 T A L E N T A G E N T U R Wenn’s gut werden soll: Die Agentur 10x vermarktet die begabtesten Programmierer wie Hollywoodstars / 64 R A N G L I S T E Die grünsten Banken und die Universitäten, die die meisten Nobelpreisträger hervorgebracht haben Programmierer sind die neuen Popstars: Vermarkter Rishon Blumberg und Michael Solomon von 10x. 60 F e b r u a r / P PRIVAT 66 F A S T E N Was der Nahrungsentzug in der Buchinger Klinik bei intelligenten Burschen wie BILANZ-Autor Matussek so alles auslösen kann 74 K O L U M N E K U N S T Max Hollein über die Kunst, eine große Ausstellung zu organisieren 76 Z E H L E S Z I E L E Zu Gast im Londoner Hotel Claridge’s 79 R A N G L I S T E Die teuersten Villen und die attraktivsten Städte 80 KOLUMNE KOCHEN Fred Baaders Quelle für besten Lachs 82 G E W I N N E R Rolf Buch, der seine Deutsche Annington zum zweitgrößten Immobilienkonzern Europas macht 81 Register, Impressum 76 Art déco in der Hotelhalle: Mit BILANZ zum Tee ins Hotel Claridge’s. 2 0 1 5 80 / Wo gibt’s die besten Kohlrouladen? In Fred Baaders Kolumne. 5 / VW KONTRA DAIMLER AU F KOLLISIONSKU RS Nach einem Jahr Zwangspause startet A N D R E A S R E N S C H L E R als Lkw-Chef bei VW. Doch ihm droht Ärger von Ex-Arbeitgeber Daimler. N A M E N / N A C H R I C H T E N / 6 Andreas Renschler (56) hat keine Zeit zu verlieren. Seit Februar macht sich Volkswagens neuer Vorstand daran, eine schlagkräftige Lkw-Allianz zusammenzustellen. Die Wolfsburger haben viele Milliarden Euro in den Kauf von MAN (im Lastwagengeschäft zuletzt zwölf Milliarden Euro Umsatz) und Scania (zehn Milliarden Euro) gesteckt. Der Euros sind genug gewechselt, VW-Patron Ferdinand Piëch (77) will jetzt endlich Taten sehen. Die Nutzfahrzeugmarken des Autokonzerns Volle Kraft voraus: die LastwagenLenker Andreas Renschler (VW, l.) und Wolfgang Bernhard (Daimler). sollen möglichst bald in einer neuen Dachgesellschaft vereint werden, die ihren Sitz entweder in Wolfsburg oder aber in Hamburg bezieht. Um den Abstand zum Weltmarktführer Daimler (Lkw-Umsatz: 32 Milliarden Euro) spürbar zu verkürzen, muss Renschler auch in den USA endlich Fuß fassen. Das beflügelt die Fantasie, er könne einen Teil / Illustration: ZOHAR LAZAR der neuen Holding versilbern, um den US-Lkw-Hersteller Paccar zu übernehmen, der derzeit einen Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Dollar hat. Pikanterweise zielt Renschler bei all dem frontal auf seinen Ex-Arbeitgeber: Daimler hat den im Streit Geschiedenen ein Jahr lang zwangspausieren und sein Handicap auf dem Golfplatz verbessern lassen. Renschler versuche, weitere Manager mit der Aussicht auf enorme Gehälter und Karrieresprünge nach Wolfsburg zu locken, behaupten die Stuttgarter. Ein freier Posten wäre jener des LkwChefs von MAN: Amtsinhaber Anders Nielsen (52) muss wohl zu Scania zurückkehren. Die Fehde wird nicht einseitig ausgefochten. Auch Daimler dürfte den Weggefährten von Konzernchef Dieter Zetsche (61) piesacken: Renschler droht eine Entschädigungszahlung, die in die Millionen geht. Worum geht es? Die EU-Kommission wirft Mercedes-Benz und Rivalen wie MAN, Scania und Iveco ein Kartellvergehen vor. Sie sollen Preise, Mengen und Produktzyklen abgesprochen haben. Verantwortlicher Vorstand damals: Renschler. Daimler nimmt die Vorwürfe ernst, zuletzt hat der Dax-Konzern die Rückstellungen um 600 Millionen Euro erhöht. Das wird nicht genügen. Kenner rechnen mit einem Bußgeld von bis zu zwei Milliarden Euro. In der Pflicht steht das Unternehmen. Doch der Aufsichtsrat des Konzerns unter Leitung von Chefkontrolleur Manfred Bischoff (72) muss dann prüfen, ob er von Renschler Schadenersatz verlangen kann, bestätigen mit der Angelegenheit Vertraute. Verfolgt der Aufsichtsrat die Ansprüche nicht, macht er sich selbst angreifbar: „Er setzt sich und die Gesellschaft dem Risiko von Aktionärsklagen aus“, sagt Robert Heym, Aktienrechtler bei der Kanzlei Graf von Westphalen. Die Hauptversammlung kann eine Schadenersatzklage erzwingen. Die Vorwürfe beziehen sich im Kern auf die Jahre 2000 bis 2011. Renschler, der die Lkw-Sparte von Daimler 2004 bis 2013 führte, haftet als zuständiger Vorstand unabhängig von persönlicher Schuld bei einer Pflichtverletzung. Ob der Abtrünnige am Ende wirklich zahlen müsste, ist unklar. Möglicherweise würde eine Manager-Haftpflichtversicherung, D&O genannt, einspringen – wobei diese Zahlungen gern vermeidet, zumindest aber drückt. In jedem Fall würde den Wolfsburger Hoffnungsträger eine Auseinandersetzung mit seinem Ex-Unternehmen und Neu-Rivalen über Jahre belasten. Renschler hat Wichtigeres zu tun, als seinen Ruf zu verteidigen. Die Justiz verfolgt solche Delikte konsequent. Thyssen-Krupp musste Anfang des Jahres eine juristische Schlappe einstecken. Der Stahlkonzern verlangte von einem Ex-Manager 291 Millionen Euro an Schadenersatz für Bußgelder aus dem Schienenkartell. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf wies Forderungen in Höhe von 191 Millionen Euro ab und entscheidet über weitere 100 Millionen Euro erst, sobald die strafrechtlichen Ermittlungen durch sind. Schmiergeldzahlungen kosteten Hakan Samuelsson (63) trotz fehlender Beweise 2009 den Job als MAN-Chef. MAN forderte von ihm auf Druck der Versicherung Ersatz für den gesamten Schaden in Höhe von 237 Millionen Euro, der aus der Schmiergeldaffäre in Samuelssons Amtszeit resultierte. Zumindest finanziell kam der Schwede, heute Vorsteher des Autobauers Volvo, nach zermürbenden Jahren öffentlicher Vorwürfe und Verhandlungen mit einem schwarzen Auge davon: MAN trieb 1,25 Millionen Euro bei ihm ein, die Münchner Staatsanwaltschaft stellte die strafrechtlichen Ermittlungen gegen eine halbe Million Euro für wohltätige Zwecke ein. MAN hat den Kartellverdacht ins Rollen gebracht, der den Neu-Wolfsburger Renschler bei Volkswagen einholt – und kooperiert ebenso wie Daimler und andere mit den Behörden. Wird Daimler zu einer Kartellstrafe verurteilt, nützt das Renschlers Nachfolger Wolfgang Bernhard (54). Nach fast zwei Jahren kann er punkten. 2014 setzte Daimler fast 500.000 Lkw ab, erwirtschaftete gut sechs Prozent Rendite. 2015 dürften es sieben Prozent sein. Das Geschäft mit Großmotoren verkaufte Bernhard mit fast einer Milliarde Euro Gewinn. Das Duell der Duzfreunde Bernhard und Renschler hat erst begonnen. N ABSATZZAHLEN NUTZFAHRZEUGE Daimler Trucks ( + 2,4 % ) MAN ( - 12 % ) Scania ( - 0,8 %) 496.000* 125.000* BILFINGER Zwei neue Vorstände Übergangschef B O D N E R darf in Rente gehen, Medienmanager S A L Z M A N N übernimmt die Finanzen. Das große Aufräumen beim angeschlagenen Baukonzern Bilfinger geht seinem Höhepunkt entgegen. Nach dem Verkauf der Ingenieurbausparte an den Schweizer Tunnelbohrer Implenia stockt der Konzern jetzt erst mal wieder auf, und zwar ganz oben. Übergangschef Peter Bodner, der 2011 aus Altersgründen ausschied und durch den früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ersetzt wurde, musste nach dessen Abdankung noch mal ran. Jetzt darf er endlich aufs Altenteil wechseln. Als Nachfolger hat der schwedische Großaktionär Cevian Capital einen skandinavischen Verwalter im Visier. Auch das Finanzressort bekommt einen neuen Chef: Neuer Herr der Zahlen wird der frühere ProSieben-Sat.1-Mann Axel Salzmann (56). Der Ingenieur hatte das Medienhaus letztes Jahr im September verlassen, mit einem Bonus für „außerordentliche Leistungen“ in Höhe von 12,8 Millionen Euro. N B I L A N Z / M ä r z / 2 0 1 5 BÖRSENGANG Wertpapier-Windeln Kein Kinderkram: Der Händler W I N D E L N . D E geht aufs Parkett. Gerade erst hatten die Gründer von Windeln.de, einem der Marktführer für Schnuller, Babybrei und kindgerechtem Zubehör, mit dem Erreichen der Gewinnschwelle ein Rekordjahr abgeschlossen, da steht schon der nächste Schritt an – der aufs Börsenparkett. Außer den bereits bekannten Konsortialbanken Deutsche Bank und Goldman Sachs ist auch die Bank of America Merrill Lynch beteiligt. Für 200 Millionen Euro sollen Anteile verkauft werden. N / 7 80.000 / * Prognosen für 2014 Quelle: Unternehmen LIZENZGEBÜHREN CONTINENTAL BLAU E BRIEFE Automatischer Erfolg M I C R O S O F T überprüft mehr als 15.000 deutsche Kunden. Hohe Nachzahlungen drohen. N A M E N / N A C H R I C H T E N / 8 Microsoft hat eine neue Geldquelle entdeckt. Ende 2014 verschickte der Programmeverkäufer Briefe an mehr als 15.000 deutsche Mittelstandskunden: „(Wir möchten) Ihnen helfen, Ihren Softwarebestand bestmöglich an Ihrem Bedarf auszurichten. Dies umfasst u.a. auch die Identifikation von möglichen Einsparpotenzialen“, heißt es in dem Schreiben. Was hinter den freundlichen Worten steckt: Microsoft kündigt eine Lizenzprüfung an. Wirtschaftsprüfer kontrollieren bei dem Verfahren, ob die Anzahl der erworbenen Microsoft-Lizenzen eines Unternehmens mit jener der genutzten Produkte übereinstimmt. Sie kommen, berichten Eingeweihte, meist zu dem Schluss, dass der Kunde kräftig Viele Lizenzkontrollen kommen zu dem Ergebnis: Das Unternehmen muss nachzahlen. nachzahlen muss. Ein Drittel des Umsatzes von Microsoft in Deutschland (Schätzungen zufolge etwa drei Milliarden Euro) stamme schon aus den Prüfungen. Microsoft wiegelt ab: Von Tausenden Kunden, die ein Enterprise Agreement (für mehr als 250 Lizenzen) geschlossen hätten, würden im Jahr 30 bis 40 Unternehmen überprüft. Mag sein. Die Briefe gingen jedoch auch an Kunden mit anderen Verträgen. Dort wartet, aufgrund der Masse, das große Geld. Microsoft kann bei dieser Prüfung mit Mehreinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe rechnen. N / Illustration: ZOHAR LAZAR Das R O B O T E R A U T O beflügelt die Fantasie von Managern und Politikern. Die Zulieferer verdienen schon daran. Alle reden vom selbstfahrenden Roboterauto, das nach 2020 das Verkehren bequemer und die Straßen sicherer machen soll. Bund und Länder wollen so schnell wie möglich Teststrecken einrichten. Der Zulieferer Continental profitiert bereits vom zunehmenden Einsatz von Rechnerprogrammen im Auto, die eigenmächtig Abstand halten, bremsen oder einparken. „Seit einigen Jahren verzeichnen wir im Schnitt ein Umsatzwachstum von gut 30 Prozent jährlich mit solchen Fahrerassistenzsystemen. Damit sind sie unser stärkstes Wachstumsfeld“, sagt der Continental-Vorstand Frank Jourdan (54). „Bis Ende des dritten Quartals 2014 hat der Verkauf solcher Systeme sogar um fast 50 Prozent zugelegt.“ Konsequenz des Booms: Bereits 2018 will Jourdan rund 1,5 Milliarden Euro mit Fahrerassistenzsystemen umsetzen, Tendenz steigend. „2019 wird der Umsatz dann mehr als 1,5 Milliarden Euro betragen.“ Um mit den Entwicklungsaufträgen Schritt zu halten, stellt Jourdan 350 neue Ingenieure pro Jahr ein. Das öffentliche Interesse an selbststeuernden Fahrzeugen ist groß, der Bedarf an Zubehör enorm. Jourdan: „Automatisiert kann ich nur fahren, wenn das Auto die Umwelt erkennt. Dazu brauchen wir Umfeldsensoren wie Kameras, Radarsensorengeräte oder Laser.“ Produzierte der Dax-Konzern zwischen 1999 und 2014 zehn Millionen solcher Sensoren, wird er schon in den kommenden zwei Jahren weitere 40 Millionen davon herstellen. Continental hat 2014 konzernweit vorläufigen Daten zufolge insgesamt 34,5 Milliarden Euro umgesetzt. Die genauen Zahlen werden Anfang März veröffentlicht. „Für unsere Division liegen wir mit dem Umsatz auf Forecast-Niveau von rund 7,5 Milliarden Euro nach 7,3 Milliarden im Vorjahr“, berichtet Jourdan. N W W W. ZENITH-WATCHES .COM | W W W. ROLLINGSTONES .COM F O L L O W Y O U R O EL PRIMERO CHRONOMASTER 1969 TR I BUTE TO TH E RO LLI NG STONES W N S T A R MAZDA IMMOBILIE DES MONATS Dynamischer als Toyota A L L E S M U S S R AU S Vor wenigen Jahren noch mattmarode, hat sich der japanische A U T O B A U E R nicht zuletzt in Deutschland wieder berappelt. N A M E N / N A C H R I C H T E N / 10 Jeff Guyton (48) ist Amerikaner. Doch nach fast 15 Jahren bei Mazda denkt er wie ein Japaner. Nie würde sich der Manager zu großartigen Ankündigungen hinreißen lassen. Er wirkt lieber im Stillen. Mit Erfolg: Gewinnt der vor wenigen Jahren als Knirps geschmähte und von Szenekennern totgesagte Autobauer weiter wie zuletzt an Größe, überholt er in Deutschland wohl schon bald den weltweit mehr als siebenmal so großen Weltmarktführer Toyota, ebenfalls aus Japan. Der verkaufte 2014 im deutschen Schlüsselmarkt 70.267 Autos, ein Minus von 5,1 Prozent. Mazda war im Volumengeschäft der wachstumsstärkste Autohersteller, steigerte den Absatz um 16,7 Prozent auf 52.491 Autos. Bestseller war der Geländewagen CX-5. „Auch wenn ich damit manchmal Lacher ernte: Mazda ist nicht viel kleiner als BMW und Mercedes-Benz“, sagt Mazdas Europa-Chef Guyton. „Wir fertigen verschiedene Modelle und Motoren in Japan auf einer Linie, so können wir auch mit absehbar 1,5 Millionen Fahrzeugen pro Jahr wirtschaftlich erfolgreich sein.“ Mazda macht vieles anders. Im Gegensatz zu Toyota und Nissan will Guyton keine Autos in Europa herstellen. Er beschränkt sich auf wirtschaftlich aus Japan zu bedienende Segmente. „Wir werden keinen Kleinwagen unter dem Mazda 2 bauen“, sagt Guyton. Dafür tritt der Mazda CX-3 ab Sommer im Wachstumsmarkt der Mini-SUV an, im Herbst erscheint zudem das Kabrio MX-5 in vierter Auflage. Auch in Europa legten die Japaner zu, steigerten ihren Absatz im vergangenen Jahr um 19 Prozent auf 175.000 Fahrzeuge. „2015 werden wir mehr als 200.000 Autos verkaufen“, sagt Guyton. „Mittelfristig sind durchaus 250.000 realistisch.“ Man muss ihm wohl glauben. N Von unbändigem Neuerungswillen getrieben: Großmanager und Industriefunktionär E C K H A R D C O R D E S . Platz für Neues schafft Eckhard Cordes (64). Der frühere Metro-Chef und heutige Multifunktionär (u.a. Aufsichtsratsvorsitzender des Baudienstleisters Bilfinger) trennt sich nicht nur von Gattin Kirstin – die Scheidung ist eingereicht –, sondern desgleichen von seinem Anwesen in München: Die Architekten-Villa des Managers am schönen Bogenhausener Normannenplatz steht zum Verkauf. Interessenten berichten BILANZ von einem Wunschpreis von elf Millionen Euro. Liiert ist der Vorsitzende des OstAusschusses der Deutschen Wirtschaft inzwischen mit Christine Schuchart, die dort als sogenannte Regionaldirektorin Russland ihre Wirksamkeit entfaltet. Die Pressestelle des Ostausschusses kommentierte das dynamisch: „Die Beziehung ist allen bekannt und wird rundum akzeptiert.“ Auch Christine Schuchart lebe getrennt. Informationen, dass es zu Unstimmigkeiten bei den Spesen- und Reisekostenabrechnungen des neuen Paares / Illustration: ZOHAR LAZAR Schöner wohnen: Blick in Cordes’ Bogenhausener Domizil. innerhalb des Ost-Ausschusses gekommen sei und dass diese überprüft würden, ächtete der Sprecher als „bösartige Gerüchte“, die nicht der Wahrheit entsprächen. Von BDI-Insassen aus Berlin hört man nichtsdestotrotz, dass die Tage von Cordes als Vorsitzender des Ost-Ausschusses gezählt seien. Warum auch immer. Exfrau. Exhaus. Und dann ist da noch die Exwohnung: Seine Ferienanstalt in Lech hat Cordes ebenfalls verschlissen, wie man in Österreich sagt – und damit auch den Streit geschlichtet, der sich darum entzündet hatte: 2013 musste Cordes eine Strafe von 20.000 Euro zahlen, weil er Gewerberäume angemeldet, die Wohnung dann aber tatsächlich als Feriendomizil für sich und Freunde genutzt haben soll. Lechs Bürgermeister Ludwig Muxel zu BILANZ: „Herr Cordes hat seine Wohnung 2014 verkauft. Damit ist die ganze Sache elegant beendet worden.“ N RWE Ruhrfestspiele Wer wird Aufsichtsratschef beim angeschlagenen E N E R G I E - R I E S E N ? Ein seltsames Geschacher droht. Der Job verlangt vollen Einsatz. Dafür ist er mit rund 260.000 Euro im Jahr auch nicht schlecht dotiert; selbst wenn man bedenkt, dass die Kollegen in anderen Dax-Konzernen im Durchschnitt rund 100.000 Euro mehr einstreichen. Nun zeichnet sich ein Geschacher um den Posten ab, wie man ihn im Konzern seit Jahren nicht erlebt hat: Die Rede ist vom Aufsichtsratsvorsitz der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG, seit 1990 kurz RWE (Umsatz: 54 Mrd. Euro). Manfred Schneider (76), seit mehr als 20 Jahren im Kontrollorgan und seit bald sechs Jahren Oberaufseher, will sein Mandat zur Hauptversammlung im kommenden Jahr abgeben. Doch die zehn Vertreter der Anteilseigner sind sich über die Regelung der Nachfolge nicht einig. Die Kommunen, mit vier Sitzen im Kontrollgremium vertreten, drängen auf einen Wachwechsel zur HV im April diesen Jahres. Dazu wäre Schneider vielleicht ja auch bereit, wenn er seinen Ersatzmann, den früheren BDI-Präses und Hochtief-Primus Hans-Peter Keitel (67), durchbringen könnte. Doch den lehnen die Gemeindevertreter ab. Andere selbst ernannte Anwärter, wie das frühere RWE-Schwergewicht Jürgen Großmann (62) oder der einstige Finanzchef und spätere Deutsche-Bank-Oberaufseher Clemens Börsig (66), haben bei ihnen ebenfalls keine Chance. Kommt es nun zu einem Pakt der Arbeitnehmer-Vertreter mit den Kommunen? Ein solches Bündnis könnte mühelos einen neuen Oberaufseher küren. Doch dafür müssen sich die Arbeitnehmer-Funktionäre Ralf Sikorski (50, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) und Frank Bsirske (62, Verdi) auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Die beiden sind sich allerdings auch nicht grün. N Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Baufritz mit wohngesunder Holzbauweise nach dem Vorbild der Natur. Denn sie macht uns am besten vor, wie Hightech-Häuser idealerweise funktionieren. Nach diesem Prinzip stammen von Baufritz zum Beispiel Patente für die geniale Biodämmung aus Holzspänen, optimale Winddichtigkeit, Schutzimprägnierungen aus Naturstoffen, erdbebensichere Häuser und die nahezu wartungsfreie Natursilber-Fassade. Lassen Sie sich von den Baufritz-Innovationen überzeugen und von Ihrer persönlichen Architekturbroschüre inspirieren. Jetzt bestellen: Telefon 0 83 36 - 9000, www.baufritz-bz.de MACHTNETZ EISENMANN MIT HERZ N A M E N / N A C H R I C H T E N N M A C H T N E T Z / 12 / Nach dem Rauswurf bei Thomas Cook 2003 flüchtete Stefan Pichler: Australien, Kuwait, die Fidschis. Nun soll er Air Berlin retten. Zweimal ließ er sich angeblich schon beknien, aus seinem Exil, wo es viel schöner ist als in Deutschland, in die Heimat zurückzukehren und die Fluggesellschaft Air Berlin vor dem Tode zu retten. Jetzt ist er da, Anfang Februar nahm er den Dienst in der Hauptstadt auf. Zu trostlos war Stefan Pichler (57) das Berufsleben auf den Fidschis erschienen, deren Fluglinie er seit 2013 führte. Mit 123 Maschinen ist die Flotte von Air Berlin (Umsatz: 4,1 Mrd. Euro) 17-mal größer als jene der Fidschi-Inseln. Dass Pichler bereits mehrfach im Gespräch für den Chefposten war, zeigt: Air-Berlin-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Körber und Etihad-Kapitän und Mitgesellschafter James Hogan suchen die große Lösung. Zur Luftfahrt kam Pichler, der einst der Marathon-Nationalmannschaft angehörte, aber auch BWL und Jura studiert hat, über ein Management-Programm der Lufthansa. Gefördert von Jürgen Weber stieg er rasch auf, zog 1997 in den Vorstand ein. Seine generelle Verbissenheit stellte er bei einem Freundschaftskick von Lufthansa und United Airlines unter Beweis, als er sich bereits vor dem Spiel beim Aufwärmen das Schlüsselbein brach. Ab 2000 sollte er der Touristiksparte Condor+Neckermann (später: Thomas Cook) Geltung verschaffen – was ihm jedoch ein wenig schiefging: 2003 setzte ihn die LH vor die Tür, er verließ Deutschland, machte auf den Malediven möglicherweise eine wegweisende Tauchlehrerausbildung, lernte in Australien seine heutige Frau lieben, übernahm die Leitung der Linie Virgin-Blue, später von Jazeera-Airways in Kuwait. Dann landete er auf den Fidschis. Bei Air Berlin kann Pichler zeigen, ob er wirklich auf Draht ist. N RICHARD B R A N S O N (64) Britischer SpaßUnternehmer, holte Pichler 2004 zu seinem australischen Ramschflieger Virgin Blue; Pichler brachte den Laden nach vorn, Branson ist seither großer Fan von ihm. KARLHEINZ K Ö G E L (68) Gründer des Reiseanbieters Ltur, seit Jahren guter Freund Pichlers: „Er ist“, seufzt Kögel, „ein Ironman mit Herz, der ohne Kompromisse das Unternehmen auf Erfolg trimmen wird.“ JÜRGEN W E B E R (73) Der Mann, der sich für den größten Lufthansa-Strategen aller Zeiten hält, war lange Pichler-Unterstützer: Weber förderte ihn während der gemeinsamen Lufthansa-Zeit, nannte Pichler seinen „besten Mann“ oder „meinen Rambo“ – doch als es mit Thomas Cook bergab ging, ließ er ihn fallen. MICHAEL FRENZEL (67) Tui-Chef und einst der übelste Widersacher vom Thomas-Cook-Mann Pichler. Äußert sich heute, als Präsident des Bundesverbandes der deutschen Tourismuswirtschaft, zutiefst wohlwollend: Er schätzt Pichlers „hohes Maß an Dynamik und Veränderungswillen“. VERGANGENHEIT KARL-LUDWIG K L E Y (63) Chef des Pharmakonzerns Merck. War 2003 Finanzchef der Lufthansa und empfahl als solcher, Pichler bei Thomas Cook abzusetzen. Tiefe Freundschaft soll sie nicht verbinden: Angeblich konkurrierten beide sogar mal um den Lufthansa-Vorstandsposten. ALEXANDER D O B R I N D T (44, CSU) Er, Verkehrsminister, und das Luftfahrtbundesamt (LBA) diktieren Air Berlin argwöhnisch Vorschriften, um sicherzustellen, dass die Berliner nicht vom Großaktionär Etihad aus Abu Dhabi (29,2 Prozent) ferngesteuert werden: Air Berlin muss regelmäßig Sitzungsprotokolle an das LBA weiterleiten, der Aufsichtsrat mehrheitlich mit EU-Bürgern besetzt sein. G E T R E U E J A M E S H O G A N (58) Chef des Großaktionärs Etihad und Kraftmann im Air-Berlin-Aufsichtsrat, gilt als fanatischer Pichlersupporter. Wollte Pichlers Vorgänger Wolfgang Prock-Schauer, aktuell wieder im Aufsichtsrat, wohl schon läng e r g anz los we r d e n; d as überlässt er nun offenbar Pichler selbst, dessen Macht dort endet, wo Hogans Büro beginnt. H A N N E L O R E K R A F T (53, SPD) und W I N F R I E D K R E T S C H M A N N (66, Grüne) Die Parteisoldaten unterstützen Air Berlin nicht aus lauter Liebe: Die LandeshauptstadtFlughäfen Düsseldorf und Stuttgart sind Air-Berlin-Dreh kreuzchen. Beschneidet man deren Flugpläne, könnte dies Arbeitsplätze kosten. Und die nächsten Wahlen. B I L A N Z / ZUKUNFT F e b r u a r / STEFAN PICHLER R I V A L E N JOACHIM HUNOLD (65) Der olle Gründer von Air Berlin wacht noch im Air-BerlinVerwaltungsrat; einflussreiche Mitwächter wollen ihn gern ausquartieren, da er den Laden bremse und zu viel herumquengele. Bremst er auch Pichler? 2 0 1 5 H O R S T S E E H O F E R (65, CSU) und V O L K E R B O U F F I E R (63, CDU) Der Bayer und der Hesse gelten nicht als (Air-) Berlin-Freunde: Da Konkurrent Lufthansa an Flughäfen in ihren Bundes ländern Drehkreuze unterhält (München und Frankfurt), würde eine Stärkung von Air Berlin eine Schwächung der Lufthansa nach sich ziehen. Unschön: Seehofer weigerte sich angeblich im Dezember, mit Air Berlin zu fliegen. C A R S T E N S P O H R (48) und R A L F T E C K E N T R U P (57) Natürliche Fressfeinde. Marktführer Spohr (LH) und Ferienflieger Teckentrup (Condor) tun alles, um Pichler fertigzumachen, würden das aber nie zugeben. Fotos: Picture Alliance, Condor / 13 / U N T E R N E H M E N U M Ä R K T E SVEN THOMAS / 14 Der Düsseldorfer hat jede Menge Prominenz vertreten: den abgedankten Siemens-Chef Heinrich von Pierer, den Formel-1-Boss Bernie Ecclestone und viele mehr. Zurzeit bereitet er die Verteidigung von Deutschbankier Rolf-Ernst Breuer und die nächste Runde im Fall Thomas Middelhoff vor. / Foto: Albrecht Fuchs für BILANZ „ H A LT E N S I E D E N M U N D “ Staatsanwälte haben die Spitzen der Deutschland AG im Visier – vom Deutschbankier Jürgen Fitschen bis zum VW-Patriarchen Ferdinand Piëch. Eine kleine Schar hochspezialisierter Verteidiger versucht, die Wirtschaftsgrößen vor Gericht rauszupauken. U Text N MICHAEL GATERMANN und VOLKER TER HASEBORG T E R Was ist der beste Rat, den ein Strafverteidiger seinem Mandanten geben kann? „Halten Sie den Mund“, zitiert der Hamburger Anwalt Gerhard Strate einen amerikanischen Kollegen. „Wenn Sie das durchsetzen, haben Sie 90 Prozent Ihres Honorars verdient.“ Betreten, beschämt oder auch nur eisig zu schweigen – das fällt Strates Mandanten naturgemäß nicht leicht, handelt es sich doch oft genug um Männer (und wenige Frauen), die es gewohnt sind, dass die anderen den Mund halten und lauschen. Der 64-Jährige gehört zu den besten Verteidigern in Wirtschaftsstrafsachen. Sein derzeit berühmtester Mandant ist Ferdinand Piëch: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft dem VW-Patron vor, gemeinsam mit dem Porsche-Vorstand die Aktionäre über die wahren Beweggründe bei der geplanten Machtübernahme bei VW hinters Licht geführt zu haben (siehe Seite 20). Strate gehört einem kleinen Zirkel von Rechtsgelehrten an, der in großen Wirtschaftsstrafprozessen regelmäßig um Hilfe gerufen wird. Und das Geschäft blüht: Im vergangenen Jahr sorgte der Steuerbetrugsfall Uli Hoeneß für öffentliches Aufsehen, der Bestechungsprozess gegen den Formel-1-Impresario Bernard Charles Ecclestone und vor allem das (seiner Höhe von drei Jahren Gefängnis wegen) Skandalurteil gegen den ehemaligen Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, der wegen Untreue (500.000 Euro) verurteilt worden war. In diesem Jahr kommt noch mehr Ärger: Juristen rechnen mit der Zulassung der Anklage gegen amtieren- de und frühere Elitekräfte der Deutschen Bank: Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen, seine Vorgänger Rolf-Ernst Breuer und Josef Ackermann, Ex-Vorstand Tessen von Heydebreck sowie der frühere Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Börsig müssen wohl auf der Anklagebank Platz nehmen. Deutschlands beste Strafverteidiger HANNS W. FEIGEN Verteidigt Jürgen Fitschen, Wendelin Wiedeking und Uli Hoeneß. EBERHARD KEMPF Der Ex-Kommunist vertritt Josef Ackermann und Josef Esch. DANIEL KRAUSE Seine Kanzlei berät die Porsches, er selbst umsorgt Wolfgang Porsche. HEIKO LESCH Macht sich im Kölner Untreue-Prozess ebenfalls für Josef Esch stark. BARBARA LIVONIUS Kämpft im Porsche-Prozess für Ex-Kommunikator Anton Hunger. FRANZ SALDITT Ist im Oppenheim-Prozess aufseiten von Friedrich „Fiete“ Carl Janssen. GERHARD STRATE Ferdinand Piëch und Carsten Maschmeyer schweigen, Strate redet. SVEN THOMAS Seine kniffligsten Fälle: Rolf Breuer und Thomas Middelhoff. RENATE VERJANS Die Düsseldorferin berät Ruhrkonzerne in Sachen Regeltreue. KLAUS VOLK Soll Ex-Deutschbanker Tessen von Heydebreck in München rauspauken. Die Staatsanwaltschaft München wirft der Versammlung vor, das Oberlandesgericht München 2011 belogen zu haben, um eine Milliardenforderung des inzwischen abgeschiedenen Medienunternehmers Leo Kirch abzuwehren (siehe Seite 19). In Fachkreisen heißt das: „Prozessbetrug in einem besonders schweren Fall.“ Gefängnis droht. Nicht minder prominent besetzt ist ein zweiter Fall, dessen sich die Staatsmacht angenommen hat: die Aufarbeitung der Vorgänge um die gescheiterte Übernahme von VW durch Porsche 2008. Der Fall bringt den damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und seinen Finanzvorstand Holger Härter auf die Anklagebank. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft setzt alles daran, dass dort auch die damaligen Aufsichtsräte des Sportwagenbauers landen: Strate-Mandant Ferdinand Piëch, Deutschlands mächtigster Automagnat, Familienoberhaupt Wolfgang Porsche, diverse weitere Piëchs und Porsches als Vertreter der Eigentümer, aber auch der Betriebsratschef und Aufsichtsrat Uwe Hück. Ebenso muss sich Porsches inzwischen pensionierter Firmensprecher Anton Hunger auf eine Anklage gefasst machen. Auch das Verfahren um die kriminellen Machenschaften in Verbindung mit dem Zusammenbruch der Privatbank Sal. Oppenheim geht vorm Kölner Landgericht in sein Finale. Die Richterin hat Ende Januar verkündet, dass sie die einstige Führungsriege für schuldig hält. Ihr „Verständigungsvorschlag“: Ex-Gesellschafter Matthias Graf von Krockow soll bei einem Geständnis für zwei bis drei Jahre H B I L A N Z M / E F e b r u a r N E N / / M Ä 2 0 1 5 R K T E / 15 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 16 ins Gefängnis; Mitgesellschafter Christopher von Oppenheim könnte für bis zu zwei Jahre und zehn Monate einfahren. Und dann ist da natürlich noch die nächste Runde in der Causa Middelhoff. Der Manager geht höherinstanzlich gegen seine Verurteilung vor, muss aber gleichzeitig noch eine weitere Anklage wegen einer 800.000-Euro-Spende von Arcandor an die Uni Oxford im Jahr 2009 gewärtigen. Vor dem Kadi landen werden schließlich wohl auch die üblichen Verdächtigen aus den Reihen der Landesbanken – in diesem Jahr vor allem der Sachsen LB –, denen nicht nur wegen Blödheiten und Blauäugigkeiten vor und während der Finanzkrise der Prozess gemacht wird. Beistand, Unterstützung und bisweilen vielleicht sogar Trost suchen und finden die Verfolgten indes nicht in den wirtschaftsnahen Großdienststellen mit ihren Hunderten von Juristen. Im Gegenteil, die Spitzenleute wirken durchweg in Kanzleien geringerer Abmessung, bringen dafür aber ein Groß-Ego mit – unerlässlich im Umgang mit den Hauptleuten der Wirtschaft. „Ich gehöre eigentlich nicht richtig zu diesem Zirkel“, sagt Strate mit der erforderlichen Bescheidenheit. Und er sagt auch: „Nur Wirtschaftsstrafrecht zu machen wäre mir zu langweilig.“ Er vertrat den Hamburger Kiezkönig Burim Osmani, die Kindsmörderin Monika Weimar und den Hamburger Verlagserben Alexander Falk, dem versuchter Betrug und Bilanzfälschung vorgeworfen worden waren; 2014 kämpfte er den zu Unrecht in die Psychiatrie eingewiesenen Gustl Mollath frei. Zurzeit arbeitet Strate an der Wiederaufnahme des Verfahrens des verurteilten Doppelmörders Andreas Darsow. „Ich brauche ab und an das Stahlbad des Schwurgerichts.“ Ihr Geld aber verdienen Strate und die drei Kollegen seiner Kanzlei mit Wirtschaftsstrafrecht. Eine Scheu vor den dort vielschichtig auftretenden Zahlen- und sonstigen Verhältnissen ist dem Juristen fremd: „Auf den ersten Blick ist die Sachlage sehr kompliziert, aber die Aufgabe des Anwalts ist es, die Komplexität zu reduzieren.“ Strate, der auch für den Finanzier Carsten Maschmeyer arbeitet, zeigt auf die Regale: „Ich habe bestimmt einen Meter Handbücher zur Bankbilanz.“ Fleiß ist hier, wie überall, unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg: „Die Akten in Wirtschaftsstrafsachen sind fast immer dicker als jene in Mordfällen.“ Im Gegenzug sind die Mandanten einander recht ähnlich: „Die kriminelle Energie ist in bürgerlichen Kreisen nicht geringer als auf St. Pauli.“ Umso wichtiger, dass der Verteidiger genügend Stärke und Strahlkraft besitzt, um die selbstbewusste und schwierige Klientel zu steuern. „Arroganz vor Gericht kommt nicht gut an“, sagt Strate mit einem Seitenblick auf den Fall Middelhoff, „das wird heimgezahlt.“ Deshalb der Rat, im Prozess weitgehend zu schweigen: Denn „wenn ein Mandant sich einlässt, dann muss er sich allen Fragen stellen“. Aber befolgen die Herrscher der deutschen Wirtschaft seine Anweisungen? „In der Regel halten sich die Mandanten an meine Ratschläge“, sagt der Alt-68er, der über seine einstige Mitgliedschaft im Kommunistischen Studentenverband KSV heute schmunzelt: „Ich bin ein sehr bürgerlicher Anwalt geworden.“ „Schweigen ist der Dollpunkt der Verteidigung“, pflichtet Sven Thomas (67) bei, Staranwalt aus Düsseldorf. „Schwei- HANNS W. FEIGEN ist eine zentrale Figur in der Oberliga der Wirtschaftsstrafrechtler. Im vergangenen Jahr verteidigte er Uli Hoeneß, jetzt bereitet er sich auf die Prozesse gegen seine Mandanten Wendelin Wiedeking, Ex-PorscheChef, und Jürgen Fitschen, Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, vor. / Fotos: Picture Alliance; dpa; [M] BILANZ gen ist reversibel“, sagt er. „Was vor Gericht gesprochen ist, können Sie dagegen nicht zurücknehmen.“ Sein Mandant Bernie Ecclestone etwa schwieg im Münchner Bestechungsprozess bis zum 15. Tag, machte dann einige knappe Einlassungen und kam ohne Verurteilung davon (gegen eine bis heute umstrittene Ablasszahlung von 100 Millionen Euro). Sven Thomas, seit 1974 im Geschäft, ist eine zentrale Figur im Spitzenkabinett des hiesigen Wirtschaftsstrafrechts. Sein erster großer Fall war die strafgerichtliche Aufarbeitung der Pleite des Bankhauses Herstatt. Er ist ein alter Fuchs, überraschen kann ihn wenig: „Was sich in der Finanzkrise 2008 abspielte, hatten wir schon 1973.“ Ein Händler der Kölner Bank hatte 600 Millionen Mark in Devisengeschäften verspekuliert und so das Geldhaus in den Bankrott getrieben. Thomas vertrat den Ex-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, den baden gegangenen Chef der Westdeutschen Landesbank, Friedel Neuber, und den im Bestechungsskandal verwickelten Siemens-Herrscher Heinrich von Pierer. Zurzeit bereitet er die Verteidigung Rolf-Ernst Breuers vor, des ehemaligen Chefs der Deutschen Bank, dem die Staatsanwaltschaft Prozessbetrug im Kirch-Prozess vorwirft. Thomas vertritt auch Clemens Tönnies, den Milliardenschlachter und Herrscher über Schalke 04, und rüstet sich für die nächste Runde im Freiheitskampf seines Mandanten Middelhoff – den er im vergangenen Jahr wegen des zeitgleich laufenden Ecclestone-Prozesses nicht selbst verteidigen konnte. 14 Anwälte arbeiten bei Thomas Deckert Wehnert Elsner. Einer von ihnen hatte Middelhoff betreut, aber nicht dafür gesorgt, dass er schwieg. Bei einem festgestellten Schaden von einer halben Million Euro wurde Middelhoff zu drei Jahren Haft verurteilt, während der reuige Steuersünder Uli Hoeneß mit ungefähr derselben Strafe davonkam für eine Schadensumme freilich, die mit 28,5 Millionen Euro 57-mal höher war. „Strafrecht greift in die Existenz ein“, sagt Thomas; seine Klienten stünden unter größter seelischer Anspannung, der Druck sei für viele von ihnen kaum erträglich. Der Verlust der bürgerlichen Lebensgrundlage drohe. Aufgeregtheit, Hektik und Unruhe setzen lange vor der Verhandlung ein und klingen erst lange danach wieder ab. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 GERHARD STRATE vertritt Deutschlands mächtigsten Auto-Manager, Ferdinand Piëch, ebenso den Finanzier Carsten Maschmeyer und früher im Prozess den Verlagserben Alexander Falk. Ab und an wird es ihm langweilig, dann braucht Strate zur Abwechslung einen dramatischen Mordfall. / 17 / Foto: Benne Ochs für BILANZ U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E RENATE VERJANS / 18 glaubt nicht, dass Manager heute krimineller sind als vor zehn Jahren. Das Strafrecht habe sich verschärft, Titel und Ehren schützten nicht länger vor einer Anklage. Sie kämpft im Porsche-Prozess und berät Konzerne bei der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien. / Foto: Albrecht Fuchs für BILANZ HEIKO LESCH Der 55-jährige Advokat mit Professorentitel erregte im vergangenen Jahr Aufsehen, als er den ehemaligen SiemensVorstand Uriel Sharef im Korruptionsprozess rauspaukte. In diesem Jahr vertritt Lesch den schillernden Unternehmer Josef Esch. Zumal Leute, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen, seien Belastungen ausgesetzt. Ihr Schicksal, sagt Thomas, erfahre „vom Zeitpunkt der Beschuldigung“ an „eine mediale Vervielfältigung“. Aus diesem Grund müsse sich der Verteidiger auch der Pressearbeit annehmen und sich die Frage stellen: „Wie bringe ich den Mandanten ’rüber?“ PR-Firmen wie Brunswick, die sich Beschuldigten als Medienberater andienen, traut Thomas wenig zu: „Von dieser spezifischen Materie verstehen die nichts.“ Vor Gericht gibt der wuchtige Anwalt mit der grauen, zurückgegelten Mähne und der tiefen Stimme alles für seine Mandanten. „Das ist eine irre Belastung. Wenn Sie den ganzen Tag vor Gericht unter Höchstspannung stehen, sind Sie abends total erledigt.“ 400 bis 500 Euro nimmt er pro Stunde: „Davon kann die Praxis sehr gut leben.“ Mit seinem Honorar bewegt er sich auf gleicher Höhe wie die Spitzenathleten anderer Kanzleien. Nur die Porsches, deren Vermögen BILANZ-Recherchen zufolge über 23 Milliarden Euro beträgt, honorieren ihren Advokaten angeblich mit bis zu 800 Euro pro Stunde. Als Mann von ähnlicher Präsenz wie Thomas tritt Hanns W. Feigen (65) im Gerichtssaal auf: Seinen Mandanten Uli Hoeneß brachte er in der Verhandlung durch ein donnerndes „Jetzt rede ich!“ zum Schweigen. Feigen, ein Oberhausener der Herkunft nach, ist in den zwei großen Prozessen, die gerade anstehen, mit von der Partie: Er vertritt den ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, und er soll Deutschbankier Jürgen Fitschen vor einer Verurteilung bewahren, der FRANZ SALDITT Ex-Baulöwe Jürgen Schneider ließ sich einst von ihm vertreten, ebenso Tennisspielerinnenvater Peter Graf. Auch Salditt (75) ist beim Kölner OppenheimProzess dabei, vertritt den früheren BankGesellschafter Friedrich Carl Janssen. allerdings nicht der Lüge im Kirch-Prozess bezichtigt wird, sondern nur des Vergehens, unrichtige Einlassungen seiner Kollegen nicht korrigiert zu haben. Feigen hat miterlebt, wie in den vergangenen Jahren die Konfrontation zwischen Staatsanwälten und Verteidigern immer härter wurde. Mehr als 20 Schwerpunktstaatsanwaltschaften sind für Wirtschaftskriminalität eingerichtet, die Strafgesetze verschärft worden. Manager leben gefährlich. Fitschen und Breuer müssen vor Gericht Peinlicher Prozess für DeutscheBank-Chef Jürgen Fitschen und seine Vorgänger Rolf Breuer und Josef Ackermann sowie den früheren Aufsichtsratschef Clemens Börsig und Ex-Personalvorstand Tessen von Heydebreck: Die Bankiers sollen 2011 im Prozess gegen den mittlerweile seligen Medienunternehmer Leo Kirch gelogen haben, um Schadensersatzzahlungen zu drücken. Kirch warf den Bankern vor, für seine Pleite verantwortlich zu sein, und forderte 3,5 Milliarden Euro. Breuer hatte in einem Interview die Liquidität des Moguls bezweifelt. Weil die Bank Kirchs Laden verscherbeln wollte, um daran gut zu verdienen? Nein, beteuerten die Banker damals. Ob das stimmt, soll der Prozess vor dem Oberlandesgericht München zeigen, mit dessen Beginn in diesem Jahr gerechnet wird. EBERHARD KEMPF Als Kommunist sympathisierte er in jungen Jahren mit Gestalten wie Pol Pot. Mittlerweile vertritt der 71-Jährige Kapitalisten: einst Josef Ackermann im Mannesmann-Gefecht, jetzt Josef Esch im Kölner Untreue-Prozess. Als Auslöser für die Verhärtung der Fronten gilt unter Fachleuten das Korruptionsverfahren gegen Siemens. Es habe die Wirtschaftswelt in Deutschland und das Wirtschaften überhaupt verändert. Feigens Gattin Barbara Livonius (48), deren Kanzlei unweit von der ihres Mannes im Frankfurter Westend angesiedelt ist, beobachtet noch einen weiteren Grund für die stetig wachsende Zahl von Wirtschaftsstrafverfahren: „Mitschuld sind taktische Schachzüge von Zivilrechtlern. Wer einen Zivilstreit verliert, erstattet heute gern eine Anzeige wegen Prozessbetrugs.“ Dann springt der Aufklärungsapparat der Staatsanwaltschaften so zuverlässig an wie ein Mercedes-Diesel. Barbara Livonius, die wie ihr Mann zu den Besten ihres Fachs zählt, hat sich 2004 als Anwältin selbstständig gemacht und Aufsehen erregt unter anderem in den Prozessen um den Rückkauf des Energie-Riesen EnBW durch das Land Baden-Württemberg und gegen den Schumi-Manager Willi Weber. Im Porsche-Verfahren steht sie an der Seite des früheren Unternehmenssprechers Anton Hunger. Warum finden sich so wenige Frauen in diesem Feld des Strafrechts? Barbara Livonius hat eine überraschende Erklärung: „Die Beschuldigten sind fast alle Männer.“ Und weil häufig existenzielle Fragen berührt sind („Hier geht es nicht nur um Geld, sondern oft um die Frage: Freiheit oder Haft?“) wählten die Beschuldigten instinktiv einen Vertreter des eigenen Geschlechts. „In der Phase vor und während des Prozesses ist einem niemand näher als der Anwalt“, sagt Renate Verjans (54). Denn „da wird auch die persönliche B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 19 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 20 KLAUS VOLK BARBARA LIVONIUS Vor allem Top-Banker schwören auf den Rat des 70-Jährigen. Er verteidigte Ackermann im Mannesmann-Prozess. Aktuell kämpft er in Köln für Christopher von Oppenheim und in München für Ex-Deutsche-BankVorstand Tessen von Heydebreck. Die Gattin von Branchen-Primus Hanns W. Feigen ist in den Prozessen um den Rückkauf des Energie-Riesen EnBW bekannt geworden. Im Porsche-Prozess vertritt die 48-Jährige den ehemaligen Unternehmenssprecher Anton Hunger. Schuld besprochen.“ Die Düsseldorferin, die mit 14 Kollegen in ihren Kanzleien an der Königsallee und in Essen ausschließlich Wirtschaftsstrafrecht betreibt, sieht „pure Angst“, wenn plötzlich eine Gefängnisstrafe droht. „Im Knast gelten andere Regeln als im Büro“, weiß Verjans, hält aber immerhin einen schwachen Trost für die verunsicherte Kundschaft parat: „Wer soziale Kompetenz und Autorität hat, kann auch in der Justizvollzugsanstalt zurechtkommen.“ Die auffällige Häufung prominent besetzter Wirtschaftsstrafverfahren erschüttert ihren Glauben an die Wirtschaftsführer nicht: „Manager sind heute nicht krimineller als vor zehn Jahren.“ Einerseits habe das Strafrecht sich verschärft – bei Bestechung etwa, die früher als „nützliche Aufwendung“ betrachtet wurde und sogar steuerlich absetzbar war –, andererseits habe die Gesellschaft ihre Ehrfurcht vor Hierarchien und Titeln verloren: „Vor 20 Jahren hätte man sich wohl noch nicht getraut, die Vorstände der Deutschen Bank auf die Anklagebank zu setzen.“ Renate Verjans und ihre Kanzleikollegen verdienen das meiste Geld damit, ihre Mandanten vor einem Prozess zu bewahren: „Die schönsten Fälle sind die, die gar nicht vor Gericht kommen.“ Sie berät eine Reihe von Ruhrkonzernen in Sachen Regelkonformität, also bei der Einhaltung sowohl von Gesetzen als auch von Richtlinien, die sich das Unternehmen selbst gegeben hat. Vorteil dieses Geschäfts: Es sorgt für einen stetigen Einnahmefluss, anders als die wechselvollen Auftritte als Verteidiger, die von vielen günstigen oder bes- ser gesagt: ungünstigen Zufälligkeiten abhängen. „Als ich anfing, gab es noch keine Kanzlei mit 14 Anwälten, die nur Wirtschaftsstrafrecht machten.“ Das öffentliche Aufsehen, das Wirtschaftsprozesse mittlerweile erregen, steigert die Attraktivität des Gewerbes. „Wir registrieren jetzt das Interesse von jungen Leuten, die früher zu klassischen Großkanzleien wie Hengeler Mueller oder Freshfield gedrängt hätten“, sagt Daniel Krause (50), dessen Kanzlei Krause & Muss Piëch auf die Anklagebank? Vor dem Stuttgarter Landgericht wird 2015 der größte ÜbernahmeKrimi der vergangenen Jahre aufgerollt. 2008 wollten der damalige Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking und sein Finanzjongleur Holger Härter VW übernehmen. Die Staatsanwälte werfen den beiden Marktmanipulation vor: Sie sollen lange abgestritten haben, 75 Prozent der Stammaktien von VW erwerben zu wollen – tatsächlich den Plan aber heimlich verfolgt haben. Ein Betrug an den Kapitalmärkten, behaupten die Ankläger. Offenbar finden die Staatsanwälte, dass auch die damaligen Porsche-Aufseher von der Schwindelei wussten. Deshalb müssen auch sie aller Wahrscheinlichkeit nach vors Landgericht: darunter Ferdinand Piëch, Wolfgang Porsche, Multi-Aufsichtsrat Ulrich Lehner und Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück. / Fotos: Sven Hoppe / Stiftung Pro Justitia Kollegen in einem aufs Feinste behandelten Altbau am Kurfürstendamm residiert. Krause vertritt persönlich Wolfgang Porsche, das Familienoberhaupt der Autosippe, in den anstehenden Auseinandersetzungen; Ferdinand und Hans-Peter Porsche sowie Hans Piëch ist in dieser Angelegenheit je einer seiner K&K-Kollegen zur Seite gestellt. Welche Fähigkeiten sollte einer mitbringen, der im Wirtschaftsstrafrecht seinen Weg machen will? Erfahrung aus Gerichtsverhandlungen hält Krause für unabdingbar: „Sie müssen strategisch denken: Welche Behauptungen lassen sich halten? Was kann erschüttert werden?“ Eine überdurchschnittliche Menschenkenntnis ist vonnöten und vor allen Dingen eine natürliche Autorität („Die Menschen, mit denen Sie es zu tun bekommen, sind gewohnt, dass alle auf sie hören“). Respektspersonen sind gefragt, Leute mit Nimbus und Prestige. Denn in einem Gerichtsverfahren hängt viel davon ab, ob es dem Anwalt gelingt, seinen Mandanten zu steuern und seinen Auftritt erfolgversprechend zu inszenieren: „Richter wollen keine falsche Demut, sondern erwarten Nachdenklichkeit und Anerkennung des Gerichts.“ Das fällt nicht immer leicht, zumal jenen Angeklagten nicht, die von ihrer unbedingten Unschuld überzeugt sind. „Viele Mandanten fühlen sich ungerecht behandelt“, sagt Krause. Wenn das Gericht im Namen des Volkes dennoch ein hartes Urteil fällt, dann sind die Übeltäter zuweilen erst recht nicht zur Einsicht fähig. Sven Thomas hat es oft genug erlebt: „Dass der Anwalt schuld hat, wenn es schiefgeht, ist doch selbstverständlich.“ U B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 DANIEL KRAUSE Prominentester Mandant des Berliners ist Wolfgang Porsche, Stammesoberhaupt der Auto-Union. Krauses Kanzleikollegen vertreten die anderen Familienmitglieder, die als Porsche-Aufsichtsräte ins Visier der Staatsanwälte geraten sind. / 21 / Foto: Daniel Hofer für BILANZ Notizen aus… …VENEZUEL A Wie der Verfall des Ölpreises und Misswirtschaft ein Land in den Ruin treiben. 96 % DER EXPORTEINNAHMEN kommen aus dem Verkauf des Erdöls U N T E R N E H M E N PREISE Der Treibstoff für die Autos der Venezolaner wird subventioniert, andere Güter nicht. (Stand: Januar 2015) Venezuela hat die weltweit größten ÖLRESERVEN / (Ausgewählte Länder im Vergleich) M Ä R K T E 0,07 € 1 Liter Benzin VENEZUELA 298 Mrd. Barrel 1,88 € 1 Liter Milch SAUDI-ARABIEN 266 Mrd. Barrel 2,43 € 1 Dose Cola 7, 3 2 € 1 Kilo Äpfel 209 € 1 Paar Nike-Turnschuhe / 22 Vor Kurzem noch galt Venezuela als das Saudi-Arabien Südamerikas: Kein Land verfügt über größere Ölreserven. Der Ex-Machthaber Hugo Chávez (1954– 2013) hatte vom Reichtum geträumt und den Staat vom Schwarzgold abhängig gemacht. Doch wirklich hergestellt wird ansonsten wenig, wonach es die Menschen außer-, aber auch innerhalb des Landes verlangt. Das meiste Gut muss eingeführt oder seine Fabrikation bezu- 64 % INFLATIONSRATE im Jahr 2014 – die höchste der Welt schusst werden. Solange die Ölausfuhr hohe Deviseneinnahmen garantierte, konnte sich Venezuela diesen Luxus leisten. Doch nachdem sich der Preis für ein Fass Öl binnen eines Jahres halbiert hat, ist dem Land die Wirtschaftsgrundlage praktisch entzogen. Mit jedem Euro, den der Ölpreis fällt, entgehen dem Land aufs Jahr gerechnet 600 Millionen Euro. Lebensmittel sind knapp, vor den Läden stehen die Leute Schlange, die Angst / Fotos: Picture Alliance (2), Facebook IRAK 150 Mrd. Barrel RUSSLAND 93 Mrd. Barrel USA 44 Mrd. Barrel vor Unruhen wächst. Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro macht die Amerikaner, die mit der Fracking-Förderung den Markt mit Billigöl fluten, für den „ÖlKrieg“ verantwortlich. Jetzt versucht er, sich Geld bei den Chinesen zu beschaffen. Venezuela hat 100 Milliarden Euro Schulden, aber nur 20 Milliarden auf der hohen Kante. Die Schweizer Bank UBS schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts auf 82 Prozent. Wenn sich ein Wechsel für dich auszahlt, dann ist es Die Wechseln-lohnt-sich-Wochen Bis zu 250 € Gutschrift* Gutschrift sichern und günstig handeln! ■ Beim „Besten Onlinebroker“ 2014 ■ Dauerhaft günstig handeln – ab 9,90 € ■ Bis 28.02.2015: Gutschrift für Depotübertrag * Für Ihren Depotübertrag bis zum 28.02.2015 bedanken wir uns ab 5.000 € mit 20 €, ab 50.000 € mit 100 € und ab 250.000 € mit 250 € Gutschrift auf Ihr Verrechnungskonto. Voraussetzung: Die übertragenen Wertpapiere verbleiben mind. 6 Monate bei der ING-DiBa. Jeder Kunde ist nur einmal prämienberechtigt und es zählen nur übertragene Wertpapiere, die vorher nicht bei der ING-DiBa verwahrt wurden. Interne Depotüberträge sind ausgeschlossen. 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B Zum Beispiel den FacebookMessenger-Dienst. Es geht mir nicht um das einzelne Unternehmen, sondern um das Geschäftsmodell: Es gibt ja eine ganze Reihe Anbieter – Whatsapp, Skype oder Viber –, die sind in den Augen der Regulierungsbehörden keine Telekommunikationsunternehmen, obwohl sie solche Dienste anbieten. Für diese gelten deutlich weniger strenge Regeln als für unsere Branche. Das ärgert mich, weil es unfair ist. Und das muss sich ändern – wir brauchen Chancengleichheit! B Werden Sie sich gegen Facebook durchsetzen? Es geht nicht darum, sich gegen ein einzelnes Unternehmen durchzusetzen, es geht um Chancengleichheit für unsere Branche und um offene Systeme. Haben Sie schon mal versucht, Ihre Lieder von Itunes auf ein Android-Handy zu übertragen? Geht nicht! Warum eigentlich nicht? Der Kunde hat doch bezahlt! Stellen Sie sich vor, wir würden sagen, dass wir unsere Nachrichten nur innerhalb des Telekom-Netzes zustellen… Der Aufschrei wäre groß, bei allen Messaging-Diensten ist genau das Realität. B Besonders fair hört sich das in der Tat nicht an. Sag ich doch! B Wie sieht’s aus, gehen Sie rechtlich gegen Facebook vor? Ich sehe hier eher die Politik gefordert, einheitliche Regeln zu schaffen. Und natürlich muss auch die Industrie ihre Hausaufgaben machen: Die Alternative zu den geschlossenen Systemen der Internetgiganten heißt offene Plattformen statt geschlossener Systeme. Mit unserem „Tolino“ haben wir zusammen mit dem Buchhandel einen E-Book-Reader auf den Markt gebracht, mit dem man Bücher von allen Plattformen lesen kann. Und Qivicon, unsere Plattform fürs vernetzte Haus, steht auch jedem Hersteller offen, ohne dass er in eine eigene Plattform investieren müsste. B Whatsapp operiert in Europa nach Lust und Laune. Dürfen die Amerikaner machen, was sie wollen, während die bedauernswerte Telekom streng reguliert wird? Ja, noch ist das so, und das muss sich ändern! Es kann nicht sein, dass man einmal „I agree“ drückt und damit sämtliche Persönlichkeitsrechte an den Anbieter abtritt, nur weil das Unternehmen seinen Sitz in Amerika hat. Das geht hier in Deutschland nicht: Wir nämlich müssten Sie erst anrufen und Sie fragen, ob wir Ihre Daten benutzen dürfen. Mir ist der europäische Angang in Sachen Datenschutz deutlich lieber. B Spricht daraus nicht nur der Neid der Erfolglosen? Den Vorwurf höre ich immer wieder, aber das trifft’s nicht! Ich gönne jedem Unternehmen, das ein erfolgreiches Geschäftsmodell hat, seinen Erfolg, aber man muss auch uns die Möglichkeit geben, mitzuhalten. Ich komme mir vor, als würde ich mit Gewichten ein Wettrennen gegen die Giganten laufen und höre dann auch noch Vorwürfe, warum ich langsamer war… B Und? Was schlagen Sie vor? Wir brauchen einheitliche Regeln. Wir brauchen neue Gesetze für Big Data, also die Erfassung und Verwertung von Datenmengen, die so groß sind, dass sie mit den klassischen Instrumenten der Datenverarbeitung nicht mehr ausgewertet werden können. Es findet gerade F e b r u a r / 2 0 1 5 / 25 / Foto: Thomas Rabsch/laif U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 26 / ein Umdenken in den Köpfen der Europapolitiker statt. Dann können wir auch mit Asien und den USA konkurrieren. Letztlich geht es auch um Arbeitsplätze, und davon sind in den letzten Jahren in Schlüsselbereichen in Europa viele verloren gegangen. Denken Sie nur an die Handy-Hersteller: Wie viele europäische Unternehmen gibt es noch? Der Markt wird von asiatischen und amerikanischen Herstellern dominiert. B Welche Vorteile böte eine einheitliche Gesetzgebung? Nehmen Sie zum Beispiel den Verkehr und das Unternehmen Toll Collect, das das Maut-System auf deutschen Autobahnen betreibt und die Gebühren abrechnet. Mit den Daten, die dabei anfallen, könnte man Verkehrsströme viel intelligenter steuern als heute. Ein Fahrer bekäme zum Beispiel signalisiert, mach deine Pause jetzt, weil auf deiner Strecke ein Stau ist. Oder ihm wird eine Alternativroute angeboten. Aber aus Datenschutzgründen dürfen diese Daten nicht genutzt werden. Was passiert also: Anbieter, die solche Daten nutzen wollen, gehen zu großen amerikanischen Internetdiensten und kaufen sie dort ein. Das zeigt, dass die Gesetzgebung im digitalen Zeitalter noch nicht vollständig angekommen ist. B Aber privat nutzen Sie Facebook oder doch zumindest Google sicherlich auch ganz gern. Soziale Netzwerke sind nicht mein Ding. Facebook nutze ich nicht, und Twittern überlasse ich unserem Amerika-Chef John Legere. Die Google-Suche nutze ich natürlich schon, probiere parallel auch immer wieder alternative Suchmaschinen aus. Ich habe einen Blackberry, den ich beruflich nutze. Und ein Iphone. Aber ohne Whatsapp. B Aber mit anderen Anwendungen? Ja, insgesamt 73 Apps. Ich habe die mal alle gezählt. B Wahrscheinlich nutzen Sie als leidenschaftlicher Jogger „Runtastic“ aus dem Springer-Verlag. Nein, nicht mehr. Ich bin jetzt 52, und es ist mir zu stressig, mich von einer App unter Druck setzen zu lassen. Und ich will mich auch nicht mehr vergleichen. B Welche Anwendungen schätzen Sie besonders? Meine Lieblings-App ist „Bloomberg“. Toll, was man da kostenlos alles serviert bekommt. B Ihre Daten werden da natürlich auch weiterverwertet... Das ist mir schon klar. Ich habe ja „I agree“ gedrückt. B Wie sieht’s in Ihrer Familie aus: Mussten Sie eine Digital-Etikette einführen? Wenn wir gemeinsam abendessen – und das passiert leider selten genug –, herrscht striktes Handy-Verbot. Ich finde nichts schlimmer als Leute, die an einem Tisch sitzen, und jeder schaut auf sein Handy. Aber dieses Handy-Weglegen ist gar nicht so einfach: ein schneller Blick auf den Terminkalender, wie wird das Wetter oder irgendwas schnell im Internet nachschauen. Man merkt bei so was, wie bestimmend die Smartphones für unser Leben geworden sind. Wir versuchen aber bewusst, das beim Abendessen nicht zu machen. B Lassen Sie uns mal ein bisschen herumspinnen: Wohin führt uns die Zukunft des Digitalen? „Noch was...?“ DER TELEKOM-PREMIER GILT ALS GEWIEFTER BURSCHE Anfang 2014 hat der damalige Chefkämmerer Timotheus Höttges (52) die Geschäftsführung der Deutschen Telekom (von seinem Duzfreund René Obermann) übernommen und sich seither einen guten Namen in der Innung gemacht. Höttges gilt als vorzüglicher Marketing-Mann („Ein erfolgreiches Unternehmen braucht eine unverwechselbare Identität. Ein Gesicht, das den Menschen sympathisch ist und zu dem sie ein positives Verhältnis aufbauen können“), aber auch als ein Vertreter von der ganz pingeligen Sorte: Schon als Finanzchef hatte er seine Vorstandskollegen ständig mit strapazierenden Nachfragen („Noch was...?“) genervt. Seit Jahren fallen ihm Digitalmonopolisten wie Facebook oder Whatsapp auf den Wecker. Er meint, dass die Telekom (Umsatz: 60 Mrd. Euro) von der Gesetzgebung benachteiligt werde. BILANZ sprach mit ihm auf dem DLD-Kongress in München. Genau in diese Richtung: Alles wird auf uns maßgeschneidert! Dem Nutzer werden alle Informationen, die für ihn wichtig sind, persönlich serviert. Das ist genial. So wird vieles für die Menschen erleichtert. Sie werden viel mehr Zeit gewinnen und viel effektiver werden. B Vor fast genau acht Jahren hat Apple das Iphone eingeführt und damit die Kommunikationswelt verändert. Schauen Sie einmal acht Jahre nach vorne: Mit welchen neuartigen Instrumenten rechnen Sie? Sicher ist: Alles wird miteinander vernetzt. In nicht mehr allzu ferner Zukunft werden mal alle Geräte mit dem Internet verbunden sein. Dadurch können Maschinen zielgerichtet gesteuert werden, dadurch wird aber auch vieles automatisiert ablaufen. Es werden Arbeitsplätze wegfallen und neue entstehen. Die Frage ist nur, wo? Deswegen ist es wichtig, jetzt schon die nötigen Weichenstellungen vorzunehmen. Daten werden das Öl des 21. Jahrhunderts sein, und ich möchte nicht, dass in Europa gefördert wird und in den USA die Veredelung und Wertschöpfung stattfindet. B Und die Zukunft der Telekom? Da sorgen wir vor: Wir investieren massiv in unsere Netze und damit in unsere Zukunft, wir modernisieren sie und bauen sie aus. Dafür nehmen wir jährlich vier Milliarden in die Hand. Eine gewaltige Summe, die wir allein in Deutschland verbuddeln und in Antennen investieren. Ich sage immer, würde die Telekom Hallen und nicht Netze bauen, würde gerade an jeder Autobahnausfahrt in Deutschland eine Halle von uns gebaut. B Sind Sie selbst mal ohne Mobilgerät und von der digitalen Welt abgeschnitten? O ja, heute zum Beispiel. Heute ist Sonntag, und ich habe kein Handy dabei. Das halte ich den ganzen Nachmittag aus. Herrlich. Kommt aber eher selten vor. Nach dem Gespräch mit Tim Höttges läuft mir sein KommunikationsReferent Philipp Schindera auf der DLDKonferenz über den Weg. „Suchen Sie Ihren Chef ?“ – „Ja.“ – „Wo steckt er denn?“ – „Das frage ich mich auch seit einer halben Stunde, er ist ohne Handy unterwegs!“ © 2015 KPMG AG Wir tschaf tsprüfungsgesellschaf t. Alle Rechte vorbehalten. DAS IST T Angelika Huber-Straßer Bereichsvorstand Corporates Ganghoferstraße 29 80339 München WENN SIE ANGELIKA IST. W T 089 9282-1142 M 0173 5764021 ahuberstrasser @kpmg.com KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Um ihre privaten Charity-Projekte von Jahr zu Jahr noch erfolgreicher umzusetzen, ist Angelika immer mit ganzem Herzen und geballtem Organisationstalent dabei. Genauso berät sie auch ihre Mandanten. Sie hilft jedem, sein ganz persönliches Optimum zu erreichen. Eine Philosophie, mit der vieles anders wird: Einfach. KPMG. Besuchen Sie uns doch mal auf persoenlich.kpmg.de U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 28 / Illustration: STEVEN WILSON BULLSHITSTORM Vom Phrasendreschen in der Wirtschaft. Notizen eines erfundenen Vorstandsassistenten. „Jeder Change-Prozess beginnt mit einer rock-solid Status-Analyse“, sagt Dr. Jan-Philip Wendenschloss. Er muss es wissen: Bis vor Kurzem war er noch Senior Principal in der Practice Mindsets, Capabilities and Transformational Change von McKinsey. Alle Vorstände am Konferenztisch nicken. Seit einem Jahr ist Wendenschloss unser Strategiechef. Noch E1, aber mit klaren Vorstandsambitionen. Ja, nun ... Unser CEO war ja auch mal bei McKinsey. Davon unabhängig: Unser ChangeProzess läuft „in der Tendenz sub optimal“. Das hat Wenensch loss selbst herausgefunden. Beziehungsweise, er hat sich im Nachsatz sofort verbessert: „Es gibt noch deutlich Raum für Verbesserung.“ Der Head of Human Ressources, Dr. Richard Semmling, mischt sich ein: „Wir müssen den Wandel anders takten.“ – „Da bin ich bei Ihnen“, sagt Wendenschloss und nickt. Der gesamte Vorstand nickt. Semmling setzt nach: „Ich erlaube mir, zudem hinzuzufügen: Wir brauchen eine solide Status-quo-Analyse auf jeder Stage des Prozesses.“ Wendenschloss ist wieder ganz bei ihm: „Genau. Sonst können wir den Change nicht kalibrieren.“ Unser CEO Hanns Kaiser sitzt am Kopf des Tisches. Wie immer. Er räuspert sich. Und nickt nicht. „Was müssen wir denn wie kalibrieren?“ Alle nicken wieder. Auch Wendenschloss. „Genau das Issue müssen wir präziser adressieren. Evidenzbasiert.“ Der Strategiechef steht auf und läuft zum Smartboard. Er nimmt den Digitalstift und malt eine Matrix. Neben die X-Achse schreibt er „Time“, neben die Y-Achse „Morale / Performance“. Dann malt er eine Kurve, die auf überraschend hohem Performance-Niveau beginnt, wenn man unseren aktuellen Vorsteuergewinn evidenzbasiert in Relation setzt. Die Kurve steigt an, rauscht dann in Relation zu unserem aktuellen Customer Churn realistisch tief in den Keller. Da verweilt sie nur sehr kurz, steigt wieder optimistisch steil an und landet bei einem deutlich erhöhten Performance-Wert. „Die Change Curve nach Kübler-Ross kennen Sie ja alle“, sagt Wendenschloss. Dr. Semmling nickt eifrig. Die anderen beeilen sich, hinterherzunicken. Aparte Phrasen-Fragen: Wer braucht eine biologische Pause? Ist der Termin tentative oder fix? Könnten Sie bitte mal in Ihre Agenda schauen? Wie sieht die Agenda aus? Was haben wir noch in der Pipeline? Sinnverwandte Ausdrücke für ... Oh. Mann, das ist miserabel: Das war in meiner Wahrnehmung eher mittelprächtig. Mir fehlte es ein wenig an Commitment. In Sachen Ergebnisorientierung sehe ich noch Luft nach oben. Stark vergiftetes Lob: Das klingt spannend. Das klingt sportlich. Die Idee hat großes Potenzial. Sie könnten noch sichtbarer werden. Ausdrücke kompletter Planlosigkeit: Das findet sich, da bin ich sicher. Das erledigen wir on the fly. „Seien wir doch mal ehrlich“, fährt Wendenschloss fort. „Der Status quo in unserem Change-Prozess ist das Tal der Depression.“ Jetzt nickt wieder der CEO. Sehr heftig sogar. Wendenschloss lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Secure Overachiever, denke ich. „Aus diesem Tal führt nur ein Weg heraus.“ Seine Hand fährt die Kurve über die Stationen Experimente und Akzeptanz nach oben. „Wir brauchen bessere transformationale Führung. Und zwar von uns allen.“ Er macht eine Kunstpause. Die Hand ruht auf dem Wort „Acceptance“. Wendenschloss schaut jeden Einzelnen am Tisch an. Die Hand nimmt wieder Fahrt auf. Oben angekommen, klopft er mit der Handfläche auf „Commitment“. „Das brauchen wir: Commitment für die Transformation. Das lässt sich nicht delegieren. Der Change gelingt nur Top-Down.“ Alle schweigen. Alle schauen auf unseren CEO. Der lässt sich Zeit mit seiner Reaktion. Eigentlich findet Hanns Kaiser „TopDown“ immer gut. Bis runter zur Bottom Line. Er erhebt sich, geht zum Smartboard. Wendenschloss tritt einen Schritt zur Seite. Kaiser lächelt. Er klopft mit dem Knöchel seines Zeigefingers auf „Commitment“. Und sagt: „Walk as you talk! Nur wenn wir uns wirklich committen, schaffen wir im Change-Prozess den Turn-around.“ Dr. Semmling klopft Beifall auf der Eichenholzplatte des Konferenztischs. Die anderen stimmen ein. Unser CFO, Henning von Lintfort, fragt, ob man nicht noch KPIs für das Top-Management-Commitment definieren könnte. Damit kommt er nicht weit. Die gehören schließlich nicht zu einer rock-solid Status-quo-Analyse. Zumindest nicht auf der aktuellen Stage des Prozesses. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 Das mache ich zeitnah. Das gehen wir ergebnisoffen an. Strategisch geplante Zustimmung: Da bin ich ganz bei Ihnen! Das ist klar ein No-Regret-Move! Reschpeggt! Aaabsolut! T H O M A S R A M G E (43) ist Technik-Korrespondent des Wirtschaftsmagazins Brand Eins, freier Mitarbeiter des Economist und Autor einiger Bücher. Montags könnt‘ ich kotzen (erschienen bei Rowohlt) ist der Titel seines neuesten Werks, einer Phantasie über den „ganz normalen Bullshit“ in Unternehmen: Der hier auftretende, natürlich frei erfundene Ex-McKinseyBerater Dr. Jan-Philip Wendenschloss spielt darin eine der Hauptrollen. / 29 / W E N N D E R VAT E R U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 30 / Text STEPHAN KNIEPS MIT DEM SOHNE B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 Willibert Krüger hatte sich einst auf die Herstellung von Getränken vermittels Granulaten spezialisiert. Jetzt führt Sohn Marc den Milliardenbetrieb. Gemeinsam mit seinem Vater entwickelt er ein neues Geschäftsmodell. Ein Generationswechsel aus dem Bilderbuch. Fotos TILLMANN FRANZEN / 31 / W U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 32 / er mit den Krügers, den Instantpulver-Königen aus Bergisch Gladbach, übers Geschäft redet, wird irgendwann an den Punkt kommen, wo sie ihm vorschlagen, doch mal das Jackett abzulegen, die Ärmel hochzukrempeln und zum Kugelstoßen anzutreten. Bank- und Sparkassendirektoren, Einkäufer, Lieferanten und selten auch einmal ein Journalist werden dann nach draußen und nach unten gebeten, vom Büro im zweiten Stock des mausgrauen Verwaltungsgebäudes hinunter und zum Empfang, wo auf dem Tresen dieses Ding liegt, angerostet und 8,25 Kilogramm schwer: die Kugel. Dann geht’s hinaus durch die Glastür zum Blumenbeet zwischen Betriebskantine (wo Krüger-Leute, den Mund voll, bisweilen am Fenster stehen und das Spektakel beobachten) und Chefparkplatz, wo an diesem Januartag ein Mercedes S 500 und ein Porsche Panamera stehen, weiß der eine, schwarz der andere. Und weil Willibert Krüger, der Benz-Fahrer, das Kugelstoßen als Mittel der Gesprächsauflockerung einst erfunden hat und mittlerweile 74 ist, darf er anfangen. Er schafft (boing!) gut vier Meter, er schnauft, er flucht, er stößt Atemwolken aus wie eine alte Lokomotive. Sein Sohn Marc, 40 Jahre jünger als sein Alter und dank der Gewichtheberei in Gewichthebereistudios mit Oberarmen ausgestattet wie der Rausschmeißer einer Vorstadt-Disco, stößt die Kugel dann zwar nicht so weit, dass sie über die Betriebskantine donnerte, aber immerhin unters Gestrüpp rollt, denn „kullern“ wäre untertrieben. Auch in diesem Fach hat er seinen Vater inzwischen abgelöst. Im April 2009 ist der Junior in die 1971 von seinem Vater ins Leben gerufene Krüger GmbH & Co. KG eingetreten, einem führenden Fabrikateur von Instantprodukten. Vor gut zwei Jahren hat er die geschäftliche und künstlerische Leitung übernommen. Nach wie vor aber schaut der Senior täglich nach dem Rechten. Die beiden Krügers zeigen, dass die Übergabe der Führung von einer Generation auf die nächste nicht nur ordnungsgemäß und reibungslos, sondern wie geschmiert und am Schnürchen laufen kann – eine Aufgabe, vor der die Eigner vieler namhafter Familienbetriebe zurzeit stehen (siehe Seite 34). Marc Krüger – Schwester Anke ist 40, hat jedoch keine unternehmerischen Ambitionen entwickelt – wuchs mit der Firma auf. Bis er 14 war, wohnte die Familie direkt über der Verwaltung. Bei Empfangsdame Pieper, in deren Obhut sich die Stoßkugel noch heute befindet, hatte sich Klein-Marc schon mal nackt unterm Schreibtisch verkrochen, wenn Mama ihn in die Badewanne stecken wollte. In der Schulzeit gurkte Marc mit dem Fahrrad regelmäßig zweimal in der Für sein Kapselgeschäft lässt Marc Krüger zurzeit zwei neue Kaffeeröstereien bauen. Woche zu Vaters Fabrik ins Gewerbegebiet und schleppte Säcke mit Zucker und Milchpulver. Von zwei Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends. „Der Jung is’ jroß un stabil“, sagt Willibert. Marc Krüger misst der Länge nach 1,94 Meter, aber auch sein Vater leidet nicht unter dem, was man Zwergwuchs nennt. Nach einer Banklehre – er wollte verstehen, wie die, Achtung: „Kreditseite funktioniert“ – befasste sich der Filius an der Universität für Recht und Wirtschaft in Oestrich-Winkel eingehend mit der Lehre von der Betriebswirtschaft und unterschrieb anschließend seinen ersten Vertrag bei der Beratungsfirma KPMG, für die er zweieinhalb Jahre lang tätig war, in Düsseldorf als auch in Köln. Die Krüger-Betriebe waren lange Zeit vor allem für ihre Lebensmittel bekannt, die halb fertig und als solche kaum zu erkennen waren: für verschiedene Pulver nämlich, die man erst mit Wasser anrühren musste, um Zitronentee, Cappuccino, Eiskaffee oder Kakao zu erzeugen. Der fälschlicherweise als Komiker gekennzeichnete Mike Krüger hatte die Krüger-Granulate einst in einer TV-Werbung mehr oder weniger besungen. Daneben führen die Krügers und ihre Tochterfirmen auch die in den 60er-Jahren noch volkstümlich-anerkannte, heute aber nur noch bescheiden auftretende Schokoladenmarke „Schogetten“ in ihrem Sortiment und die Likörpralinen „Edle Tropfen“ von Trumpf; im Angebot finden sich des Weiteren Vitaminpillen und Kosmetika, Brotaufstriche, Kuvertüren, Milchpulver, Süßungsmittel und neuerdings auch Kaffeekapseln, die in der Innung so etwas wie le dernier cri sind. Mit ihren mehr als 500 verschiedenen Artikeln erwirtschaftete die Familie 2013 einen Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro, was damals einer Anschwellung der Vorjahreseinnahmen um neun Prozent entsprach. Neuere Auszählungen liegen nicht vor. Der Umsatz wird im vergangenen Jahr aber sicherlich nicht gefallen sein. Gewiss, der Markt für Pulvergetränke, in dem die Firma einst groß geworden ist, erregt wenig Aufmerksamkeit, es sei denn durch seine Ermüdung und Erschlaffung, durch Stockung und Stillstand. Wer rührt heute noch Granulat mit heißem Wasser an, wenn er Cappuccino trinken will? „Sojar mehrheitlisch“, bellt Willibert Krüger aus irgendeinem Grund. „Auch meine Frau trinkt jeden Morjen unsern Cappuccino, zusammen mit unserm Hausmädchen. Und mittags trinken die uns’ren Expresso.“ Willibert Krüger klingt wie eine heisere Version von Willy Millowitsch, dem Kölner Karnevalisten. Sein „g“ klingt wie ein „j“, sein „ch“ wie „sch“, sein „Guten Tag“ wie „Jutentach“. Er plappert beherzt drauflos, als erzähle er Witze. Allerdings, sagt er, sei er zurzeit ein bisschen geschwächt. Eine Operation, nicht wahr. An der Prostata. Dazu die Medikamente. Man weiß ja, wie das ist. So was macht einen knille. Marc Sie wollen immer das Einzigartige? Bitte: die einzige Großbank mit prämierter Vermögensverwaltung. Eigentlich kümmern wir uns nicht um Auszeichnungen, sondern um unsere Kunden. Dennoch sind wir stolz, dass der Elite Report uns gleich doppelt prämiert hat: das HypoVereinsbank Private Banking bereits im zweiten Jahr in Folge mit dem Prädikat „summa cum laude“. Sowie das HypoVereinsbank Wealth Management für vorbildliche Beratungs- und Betreuungstiefe. (Elite Report: die Elite der Vermögensverwalter 2015). Aber was uns noch stolzer macht, sind unsere zufriedenen Kunden – jeden Tag aufs Neue. Mehr unter: hvb.de/privatebanking U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 34 Krüger, der ihm am ovalen Tisch im Geschäftsführerbüro zur Seite sitzt, ist höflich um sprachliche Bearbeitung dessen bemüht, was sein Papa so ablässt. Jetzt lächelt er etwas verlegen und schaut kurz zur Seite. Wie jemand, der bei irgendwas ertappt wurde. Denn, ja, er muss ganz offen sagen, er selbst sei geradezu „kapselsüchtig“: Granulat-Cappuccino rühre er nicht mehr an. Der Senior hatte sich den Granulat-Trick, mit dessen Hilfe sich alle möglichen Tees herstellen lassen, in den USA abgeguckt. Es galt damals als eine bahnbrechende Neuheit in der Getränkeindustrie. Gemeinsam mit dem Kölner Zuckerhersteller Pfeifer & Langen, der nach wie vor über die Hälfte der Unternehmensanteile verfügt, baute Krüger auf dieser Erfindung sein Unternehmen auf. Der Junior war aber, als er 2009 bei seinem Vater zum Dienst antrat, wie alle Junioren der festen Überzeugung, dass sich die Zeiten geändert hätten, und gründete, auf Anregung und Anraten seines Vaters, eine Tochterfirma, die die heute so angesagten Kapseln und Kapselmaschinen herstellt und vertreibt und die er sinnigerweise K-fee nannte. 100 Millionen Euro steuert K-fee bereits zum Umsatz bei. „Früher war Instant die einfachste Form, einen Cappuccino zu Hause zu machen“, sagt Marc Krüger. „Heute hast du Pads, Vollautomaten, Kapseln. Konsumgewohnheiten ändern sich. Märkte verändern sich. Produkte haben Lebenszyklen.“ Der Alte nickt mit geschlossenen Augen: „… und die werden immer kürzer.“ Damals, 2010, hatte Marc Krüger, wie in diesem Augenblick, im Büro seines Vaters gesessen, dessen Wände dekoriert sind mit Bundesverdienstkreuzen und Bergisch Gladbach’schem Ehrenbürgerbrief, als ihm sein Vater, der schlaue Hund, und ein paar seiner Geschäftsleiter die Idee mit den Kapseln präsentierten: „Die Kapseln waren mein Lernprojekt, meine Spielwiese“, sagt er. Die Zeit drängte: Hegemonen wie Nestlé („Nespresso“) und Kraft-Mondelez („Tassimo“) hatten ihre Kapselsysteme bereits machtvoll eingeführt. Krüger indes nahm Geld und Mut zusammen, warb Fachleute bei der Konkurrenz ab und stellte einen wettbewerbsfähigen Kader zusammen. Die ersten Bemühungen freilich, mit dem Verschleuderer Penny als Handelspartner, missrieten. Zum Glück hörte er Wechsel kommen in den besten Familien vor Neun von zehn deutschen Firmen sind familiengeführt. Drei Beispiele. Der Drogist Dirk Roßmann (68) hat zum Jahreswechsel Sohn Raoul (29), Absolvent der Londoner WirtRaoul (l.) schaftsuni, und Vater Dirk zum neuen Roßmann. Einkaufsund Marketingchef ernannt. Der Senior sagt ganz bescheiden: „Als Teil eines lebendigen Teams schließe ich nicht aus, dass meine Lebenserfahrung gelegentlich im Kollegenkreis geschätzt wird.“ Auch der Hamburger Unternehmer Günther Fielmann (75) möchte seinen Sohn Marc (25) gern zum Nachfolger seiner Optikerkette gleichen Namens formen, wenngleich er sagt: „Marc muss nicht von heute auf morgen die ganze VerantGünther Fielmann (l.) wortung und überSohn Marc. nehmen.“ Sein eigener Vertrag wurde erst 2014 um drei Jahre verlängert. Aber Marc, auch in London in Wirtschaftsstudien gebildet, habe schon Praktika „bei befreundeten führenden Optiker-Unternehmen in den USA, Italien und Deutschland“ geleistet und in Österreich eine Kontaktlinsen-Applikation eingeführt. Auch Tochter Sophie-Luise (20), zurzeit Wirtschaftspsychologie-Studentin, sei „für eine Aufgabe im Unternehmen prädestiniert“, sagt Fielmann umsichtig. Modepatriarch Gerhard Weber (73) aus Westfalen hievte 2013 Filius Ralf (50) in den Vorstand. Aber erst am 25. Februar wird Ralf Chef. Weber: „Es muss sich jeder erst einmal bewähren, das gilt auch für Modemann Gerhard meinen Weber (l.), Sohn Ralf. Sohn.“ / Fotos: Christiann Burkert (2), Peter Förster (2), Malte Ossowski (2) dann in einem entscheidenden Moment auf seinen Vater. Als Marc 2011 im Flugzeug auf dem Weg in die Schweiz einen Artikel las über die US-amerikanische Kaffeehauskette Starbucks (12,4 Mrd. Euro Umsatz) und deren Wunsch, ins Kapselgeschäft einzusteigen, dachte er sich: „Menschenskind, Starbucks ist doch der richtige Partner.“ Nach der Landung frug er seinen Vater: „Papa, soll ich da mal ’ne E-Mail hinschreiben?“ Der riet ihm jedoch dazu, lieber einen handschriftlichen Brief aufzusetzen. Guter Tipp: Howard Schultz (61), Gründer der Starbucks-Kette, lud die Krügers nach Seattle ein, zu sich nach Hause. Heute, zwei Jahre nach Stabsübergabe, kann Marc Krüger eine ordentliche Bilanz vorlegen. Vor allem, weil – neben Starbucks – mit Aldi-Süd ein zweiter und mit Teekanne ein dritter großer Geschäftspartner für das Kapselgeschäft gefunden wurden. Die Systeme lassen sich miteinander verbinden und verknüpfen: Die Starbucks-Kapseln passen in die Aldi- und Teekanne-Maschinen – und umgekehrt. Nur die Preise variieren von Fall zu Fall. „Wir sind von der Mentalität her ein Eigenmarkenproduzent“, sagt Marc. Auf den jeweiligen Maschinen und Kapseln prangt deshalb auch nicht der Name „Krüger“, sondern die Marke, die sich der jeweilige Partner ausgedacht hat. „Verismo“ bei Starbucks, „Expressi“ bei Aldi-Süd. Der Kapselmarkt, glaubt Marc, werde sich bald konsolidieren. Schwache Anbieter und Waren werden getilgt, die starken überleben, und die Krügers haben „den vermessenen Anspruch, zu sagen: Wir wollen einer von denen sein. Denn eines zeichnet uns aus: Bescheidenheit und unterm Radar fliegen. Das ist das Beste, was du machen kannst“. Willibert nickt. „Dat ist rischtisch.“ Die Einigkeit und Vertrautheit, die Vater und Sohn Krüger heute auszeichnen, war anfänglich alles andere als sicher: „Wenn man als junger Mann in so ein Unternehmen kommt“, sagt Marc, „möchte man seinem Vater ja auch beweisen, dass man es weiterführen kann. Es hat bei mir eine gewisse Zeit gedauert, bis ich festgestellt habe: Nutze die Erfahrung.“ Sei es beim Kugelstoßen oder beim Briefeschreiben. Marc Krüger lässt gerade ein Haus bauen, gegenüber dem von Willibert. U <28 :$ 1 7 ,7 ,7 :$ 176 <28 + " 6'"-1' '- ' 6,' - "- , 3 , 1, - ' '+ - 6" '' - (' "'&% ,"' ---' '+ " $)''' - #181 ',' 2./ 2+9 3,(&(1(, &"1 99 & '1" " ('1,(% 4, & , ,7'&"$ "%% 3%1"!(3 '1,1"'&'1 7-1& , , ,' 4, "%% 3 666+"%%3,(*+(& !1# 0&6 " / 06/ , 0*+ 66 & 5' '(.!3''1 $ , "66 % / ( ) !5 (#5( 0((! $ , % " / ( 06/ & 55(( $3!'1 '.% & ( (. !. 3! 1'!# .5(.'(( "0 ..#' 45& VERNETZT Oliver Bäte – Allianz Der 49-Jährige ist international bestens vernetzt. Der ehemalige McKinsey-Berater gilt als Vordenker der Assekuranz. GESCHMEIDIG U N T E R N E H M E N Harald Krüger – BMW Der 49-Jährige hat den sogenannten „permanenten Effizienz- und Innovationsdruck“ erlebt und überstanden: als Vorstand für Personal, Mini, Motorräder und Rolls-Royce sowie, zuletzt, für Produktion. / M Ä R K T E HARTNÄCKIG Werner Baumann – Bayer Der 52-Jährige kommt aus Krefeld, startete seine Karriere in der Leverkusener Zentrale von Bayer. Karriere machte er über langjährige Stationen in Spanien und den USA. GELÄUTERT Carsten Kengeter – Deutsche Börse Der 47-Jährige hat aus der Krise gelernt, für die Karriere und fürs Geschäft. Eigentlich wollte er Chef der Großbank UBS werden. Als er nicht zum Zug kam, unterrichtete er an der London School of Economics. / 36 / Fotos: Frank Hoermann, Malte Ossowski, Bayer AG, Axel Hoedt KINDER DER KRISE Bei drei Dax-Konzernen treten in diesem Jahr neue Chefs an, bei mindestens einem weiteren wird ein frischer Anführer gekürt. Die Ansprüche an die Neuen sind hoch. B I L A N Z Text MARK C. SCHNEIDER Zumindest in der Spezialdisziplin „Wie wird man die Nummer eins?“ haben die Neuen schon gepunktet: Der Aufstieg der im Mai debütierenden Konzernchefs Oliver Bäte (Allianz), Carsten Kengeter (Deutsche Börse) und Harald Krüger (BMW) ging vonstatten wie aus dem Lehrbuch: professionell und diskret. Von großer Bedeutung für die Eleganz ihrer Kürung war, dass sich ihre Aufsichtsratsvorsitzenden unverlangt eingehende Ratschläge verbaten, mit denen etwa McKinsey-Pensionär Herbert Henzler (73) vorstellig geworden war. Männer vom Schlage eines Helmut Perlet (67, Aufsichtsratschef Allianz), Joachim Faber (64, Deutsche Börse) oder Joachim Milberg (71, BMW) dulden keine Einmischungen von außen. Dass ein intrigenfreier Führungswechsel alles andere als selbstverständlich ist, zeigt der Fall Schaeffler: Der Wälzlagerfabrikateur aus Herzogenaurach hatte im Sommer 2014 zunächst den Knorr-Bremser Klaus Deller (52) zum Firmenchef ernennen wollen, sich dann aber anders besonnen und den Finanzchef Klaus Rosenfeld (48) berufen, woraufhin Deller mit rund zehn Millionen Euro abgefunden werden musste. Nicht mit dem leisen Rauschen einer gut gewarteten Drehtür vollzog sich im Sommer 2013 der Wachwechsel bei Siemens, sondern klirrend und scheppernd, als räumte jemand die Suppenteller weg: Bevor Finanzchef Josef Käser (57), der unter dem Künstlernamen „Joe Kaeser“ auftritt, und seine Bandmitglieder gegen Altmeister Peter Löscher (57) aufbegehrten, brachte er, Kaeser, sich sicherheitshalber noch kurz bei Linde als Nachfolger von Wolfgang Reitzle (65) ins Gespräch. Als die Sache aber klar war, sagte er Linde kurzerhand wieder ab, angeblich aus Pflichtgefühl. Wer sich zum Anführer berufen fühlt, muss mehr mitbringen als Machtwillen, ständige Positionsoptimierungsbereitschaft und die Freude am Geldverdienen. „Das Anforderungsprofil ist deutlich höher als vor zehn oder zwanzig Jahren“, sagt Personalberater Hermann Sendele (74), der seit fast 30 Jahren Großkonzerne mit den passenden Kandidaten für Spitzenpositionen versorgt. Der Archetyp des Wirtschaftskapitäns, der mit großer Bugwelle durch die Geschäftswelt pflügt, ist zurzeit nicht gefragt. Man zieht den zurückhaltenden Auftritt vor. „Der ideale CEO 2015 muss über ein breites Repertoire verfügen“, sagt Sendele. Nichts geändert hat sich an den üblichen Qualitätsanforderungen: Beliebt sind nach wie vor Anführer, die sich als Mannschaftsspieler nötigenfalls auch für die Lauf- und Drecksarbeit nicht zu schade sind. Grundsätzlich gut kommt es an, wenn sich einer „angelsächsisch-smart“ bewege. Da noch jede Generation behauptet hat, dass es die ihre besonders schwer habe, wäre es eine Überraschung gewe- sen, wenn die heutige es anders sähe. Doch diese tut es durchaus mit einiger Berechtigung. Die Markt- und Währungswirrnisse, das Politik- und Regelchaos, die Neuerungen in der Technik, die den Bestand von Geschäftsmodellen gefährden und Wertschöpfungsketten zerschneiden, wirken bedrohlicher denn je. Die Dax-Novizen Bäte, Kengeter und Krüger sind perfekt an diese Bedingungen angepasst: intelligent, im In- und Ausland vernetzt und krisenerprobt. Kampferfahrung zählt heute mehr denn je. Gesucht sind Leute, die nicht zusammenzucken, wenn es knallt, und die die Strapazen eines weltweiten Rund-umdie-Uhr-Einsatzes mit einem Lächeln quittieren. Wie etwa Werner Baumann, der 2016 die Bayer-Führung übernimmt. Spannungsreich dürfte die Kandidatenkür bei einem anderen Dax-Konzern verlaufen: bei Adidas. Chefkontrolleur Igor Landau (70), einst Président-directeur général des Pharma-Multis Aventis, will im Sommer einen Nachfolger für den Langzeitvorsteher Herbert Hainer (60) vorstellen, der zuletzt keine gute Figur mehr machte. Eine starke Fraktion im Aktionärskreis favorisiert eine Lösung von außen, einen international versierten Marketing-Profi. Ob der es gut findet, dass Hainer vor seinem Abgang noch die neue Strategie ausarbeiten und präsentieren darf, ist eine Frage, die sich jeder schnell selbst beantworten kann. U / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 37 / Text SIBYLLE ZEHLE Foto MARC KRAUSE U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E EIN FELDFORSCHER / 38 / Unlängst hat er sich auch noch das Hamburger „Atlantic“-Hotel zugelegt: B E R N A R D G R . B R O E R M A N N , der erstaunliche Besitzer der Asklepios-Kliniken. Geschichte von einem, der sich seinen Lebenstraum erfüllt. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 39 / E U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 40 / r hat sie tatsächlich fotografiert, die Seezunge im Hamburger Atlantic-Restaurant. „Hier – das war sie!“ Auf seinem Mobiltelefon leuchtet ein Fischfilet in sattem Goldbraun: „Die Seezunge fand ich dort immer hervorragend. Darum habe ich sie als Muster aufgenommen, für unser Falkenstein-Hotel.“ Der Tag, an dem er die Aufnahme machte, steht auf der Digitalanzeige: 25. Februar 2013, 21:21 Uhr. „Dass ich anderthalb Jahre später das ganze Haus kaufen würde, habe ich damals wirklich nicht gewusst“, freut er sich. „Wer hätte denn ahnen können, dass das Atlantic auf den Markt kommt?“ Der Atlantic-Stammgast, dem heute das Fünf-Sterne-Hotel gehört, trägt den ungewöhnlichen Namen Bernard große Broermann (71) – in seiner Heimat, dem Münsterland, soll es tatsächlich auch deren kleine geben. Er ist Wirtschaftsprüfer und Jurist, vor allem aber Alleingesellschafter von Asklepios, einer der angesehensten Klinikketten Europas. Kennengelernt haben wir ihn vor ein paar Jahren. Und ob beim Vier-Augen-Gespräch am Kamin oder im Kreis von Asklepios-Mitarbeitern: Stets machte gr. Broermann einen leisen, zurückhaltenden Eindruck, wirkte mitunter misstrauisch, wie verletzt. Jetzt sitzt da ein anderer Mann, so viel offener tritt er auf, wie befreit von einer Last. Das drückt sich in kleinen Gesten aus – 2010 hätte er uns wohl noch kein Fischfoto auf seinem Mobiltelefon präsentiert –, zeigt sich aber auch bei Auftritten in der Öffentlichkeit. Bernard gr. Broermann, der vorsichtige, öffentlichkeitsscheue Unternehmer, er geht jetzt auch mal auf ein Podium, stellt sich der Diskussion auf einer Gesundheitskonferenz, zeigt plötzlich Gesicht. Dieses Mal treffen wir uns in seinem Büro, gleich gegenüber seines Hotels Falkenstein Grand Kempinski in Königstein, nahe Frankfurt am Main. Hinter ihm ein Gemälde, das blühende Mandelbäume am Wegesrand zeigt, ebenso artig wie liebevoll ausgeführt von Titia (38), seiner Frau, die malt und schreibt und ihn mitunter auch in die Museen treibt. Titia gr. Broermann ist ein schöpferisches Kraftpaket: Sie hat an der Karlsruher Kunsthochschule studiert und in etwa das Alter seiner Töchter aus erster Ehe. Ist es vielleicht das neue, junge Familienleben, das ihn so offensichtlich gelockert hat? „,Der Weg ist das Ziel‘ nennen wir beide das Bild“, lächelt er. Dann strafft er sich: „Nein, dass ich mehr ’rausgehe, hat allein mit Asklepios zu tun.“ Nachdem er 2005 den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) von Hamburg übernommen habe, eine Anlage, die hohe Verluste schrieb, sei der Gegenwind so enorm gewesen, die Verdächtigungen und Unterstellungen von Gewerkschaft und Presse so verheerend, „da war mir klar: Reden hat keinen Sinn. Das Misstrauen gegen uns als private Klinikbetreiber war einfach zu groß. Wir mussten Leistung zeigen“. Er lehnt sich zurück: „Jetzt, nach zehn Jahren Asklepios in Hamburg, können wir sagen: Wir haben geliefert.“ Der Erfolg ist messbar. Asklepios hat die sieben Häuser saniert und den Gewinn im Unternehmen belassen; eine halbe Milliarde Euro an Eigenmitteln flossen somit in die Hamburger Hospitäler. „Innerhalb von zwei Jahren“, sagt er, „konnten wir statt des zuletzt 100 Millionen Euro hohen Defizits ein ausgeglichenes Ergebnis vorweisen.“ Er sagt es eindringlich: „Die Patienten haben Privat-Lazarett Broermanns Klinikverbund zählt zu den größten Europas. Mit über 45.000 Mitarbeitern gehören die Asklepios-Kliniken zu den großen Arbeitgebern Deutschlands. Insgesamt betreibt das von Bernard gr. Broermann gegründete Unternehmen rund 150 Einrichtungen mit fast 27.000 Betten. Der Umsatz erreichte zuletzt rund drei Milliarden Euro. Asklepios oder Äskulap ist der griechische Gott der Heilkunst. mit den Füßen abgestimmt. Jeder zweite Hamburger kommt zu uns.“ Man spürt: Da sitzt ein Mann, der Anerkennung sucht, der respektiert werden möchte. Die Feindseligkeit, die ihm damals, nach der LBK-Übernahme, entgegenschlug, muss für ihn unerträglich gewesen sein. Dabei benennt er die Probleme, sieht die Schwachstellen in seinen Häusern durchaus: die unbarmherzigen Mechanismen, mit denen man aus unrentablen Krankenhäusern ertragreiche Anstalten macht. „Die Arbeitsverdichtung, zu der wir aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, ist nicht mehr tragbar.“ Die im internationalen Vergleich rigide deutsche Kostendämpfungspolitik dürfe „nicht weitergetrieben werden“. Auch nach dem Kauf des Atlantic Ende vergangenen Jahres kam es kurzzeitig zu Turbulenzen. Wie gut die Kombination von Luxushotels und Spitzenkliniken funktioniert, zeigt sich freilich am Beispiel München, wo ausländische Patienten ihre Familien über Wochen in Hotels einquartierten. „Allen bringt es nur Vorteile“, meint er, „den Kliniken, Hotels, sogar dem Einzelhandel.“ Doch selbst die Süddeutsche beschrieb den neuen Besitzer des Atlantic als „Mann, der sein Geld mit Krankenhäusern gemacht hat“ und zitierte einen Hamburger Grünen-Politiker, der gr. Broermann beschied, er solle seine Gewinne in die Verbesserung der Versorgung der breiten Bevölkerung stecken, statt Luxushotels zuzukaufen. „Immer derselbe Unsinn“, sagt gr. Broermann. „Kein Cent fließt aus den Krankenhäusern in diesen Kauf.“ In den vergangenen 30 Jahren hat gr. Broermann, seinen Worten zufolge, keinen Cent für sich selbst aus dem Klinikgeschäft abgezweigt. Ein beträchtlicher Immobilienbesitz hat ihn schon früh zu einem vermögenden Mann gemacht. Privatjet? Jacht im Mittelmeer? „All das hat mich nie gelockt.“ Er brennt für andere Dinge. Seine Mission ist die Prävention. Die Vorsorge in der Medizin, das ist gr. Broermanns Lebensthema. Da sieht er sich als Feldforscher: „So vielen Menschen fehlt doch das Wissen über die Zusammenhänge zwischen ihrer Lebensführung heute und den Erkrankungen morgen.“ Man könne Millionen von Schicksalen verbessern, gewaltige Kosten einsparen. Er selbst befleißigt sich eines maßvoll kontrollierten Lebensstils, läuft täglich eine Stunde und ernährt sich mild: viel Obst, Gemüse, kaum Fleisch. Der Stempel „Klinik-Milliardär“ aber bleibt haften: Dass ein Mensch mit Vermögen sich auch mit anderen Dingen beschäftigt als der Vermehrung desselben, übersteigt gemeinhin die mitmenschliche Phantasie. Dabei ist gr. Broermann eher ein Getriebener; die Angst, er könne sein Leben sinnlos verschwenden, hat ihn schon als Schüler beschwert. „Ich hatte einen unbändigen Wissensdurst.“ Bereits mit 17 Jahren, fasziniert von den Naturwissenschaften, möchte er ein Pharmaunternehmen gründen. Sein Traum: ein Medikament zu entwickeln, das nicht die Symptome einer Krankheit, sondern ihre Ursachen bekämpft. Ernüchtert muss er später, als Chemieund Medizinstudent, feststellen, dass er für die Erreichung dieses Ziels mindestens eine Milliarde Mark und 50 Jahre Zeit bräuchte, woraufhin er, eher lustlos, auf Jura und BWL umsattelt. Aufgewachsen ist Bernard gr. Broermann in Damme im Landkreis Vechta auf einem großen Bauernhof: Milchwirtschaft, Schweine- und Bullenmast. Der Vater starb, als er zehn Jahre alt war. Geprägt hat ihn die Großfamilie: all die Verwandten, die (in Ermangelung eines Erbhofs) Ärzte, Anwälte, Unternehmer geworden waren, jedenfalls „mit eigenen Händen etwas aufgebaut hatten“. Die imponierten ihm, so wollte er werden. In der Rückschau am stärksten beeinflusst aber habe ihn sein Jahr als Austauschschüler in den USA: Dort lernte er, wie hilfreich Top-Abschlüsse an namhaften Hochschulen für eine Karriere sein können. Später sammelte er sie dann wie Sportabzeichen: Münster, Berlin, Fontainebleau, Harvard, Diplomkaufmann, ein Doktor-, zwei MBA-Titel. Alles mit Auszeichnung. In Amerika fand er auch die Werkzeuge für seinen Erfolg. Anfang der 80er-Jahre, während seiner Beratertätigkeit bei Ernst & Whinney (später Ernst & Young, heute EY), baut er im Auftrag der Bank of America eine Krankenhauskette auf. Danach hatte die Bank so viel Vertrauen zu dem jungen Deutschen gefasst, dass sie ihm eine eigene Klinikkette in Kalifornien finanzierte. In Los Angeles stieß er schließlich auf das Buch, das seinem Leben zu jenem Sinn verhelfen sollte, nach dem er damals immer noch suchte: auf einen Ratgeber der Ernährungswissenschaftlerin Adelle Davis (1904–1974), in dem sie darlegt, welche Ernährungsfehler welche Krankheiten auslösen. Prävention! Da war es wieder, „dieses Ziel, etwas Positives in der Medizin zu bewegen“! Schlagartig wurde gr. Broermann klar, dass sich der Traum seiner Jugend über den Umweg eigener Krankenhäuser vielleicht doch erfüllen ließe. Allein, um ihn zu verwirklichen, brauchte er vor allem eines: Geld. In Harvard hatte er Spitzenleute aus der New Yorker Immobilienszene kennengelernt. Jetzt machte er es genau wie die, mit dem gleichen untrüglichen Gespür fürs Geschäft: „Ich bin einfach ’rumgelaufen“, erzählt er. „In Städten wie Köln oder Frankfurt. Habe ungenutzte Grundstücke entdeckt, Ideen entwickelt, Interessenten gewonnen, Vorverträge geschlossen, Banken überzeugt. Die meisten Gebäude waren schon vor Baubeginn vermietet.“ Immobilienbesitz – aus dem Nichts. Heute dreht gr. Broermann große Räder, wie man so schön sagt. Gewiss, die Fresenius AG hat mit ihrer Klinikgruppe Helios (neuerdings verstärkt durch etliche Rhön-Kliniken) das Familienunternehmen Asklepios von Platz eins in Europa verdrängt. Aber die Angriffslust des Atlantik an der Alster Im Luxushotel können Patienten ihre Angehörigen einquartieren. Gr. Broermann übernahm das Fünf-Sterne-Haus Atlantic von der Octavian Hotel Holding GmbH. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart, er dürfte aber im höheren zweistelligen Millionenbereich liegen. Der Eigentümerwechsel wird zunächst keine Auswirkungen auf den Hotelbetrieb haben. Kempinski betreibt das Hotel bis 2020. Münsterländer Bauernsohns scheint ungebrochen: „Um der Beste zu sein, müssen Sie sich permanent weiterentwickeln, wie in der Natur: Leben heißt Wachstum.“ Den Gang an die Börse schließt er nicht aus. Aber „noch ist es nur eine Option“. Die Rolle des Hoteliers übernahm er eher unfreiwillig. Ursprünglich wollte er neue Kliniken einrichten, doch mangels Genehmigungen, „allein aus der Not geboren“, verlegte er sich aufs Hotelfach. Gr. Broermann, der einem aus dem Stand die Vorteile der intraoperativen Magnetresonanz-Tomografie oder des Elektrophysiologie-Labors für die Behandlung von Herzrhythmusstörungen erläutern kann, sorgt sich in diesen Häusern inzwischen freilich noch um kleinste Details, selbst Stöffchen für die etwas biederen Suiten seiner Villa Rothschild hat er schon ausgesucht, im Paisley-Muster, natürlich gemeinsam mit der Ehefrau. „Titia Design“, so heißt das nun, habe auch die Neugestaltung des Penthauses auf dem Hoteldach künstlerisch betreut, über Jahre das versteckte private Domizil des Unternehmers. Fünf neue Hotelsuiten wurden nach dem Auszug der Familie daraus. Die Speisekarte des Landguts, des neuen Restaurants in seinem Falkenstein Grand, mit ihrem Zusatz-Angebot an „Healthy-Food“ aber sei seine Idee, „da stecke natürlich ich dahinter!“ Mit dem Atlantic als Flaggschiff werden gr. Broermanns vier Hotels, darunter drei mit fünf Sternen und allesamt profitabel, nun zu einer eigenständigen Hotelgruppe zusammengefügt, unter Leitung von Stefan Massa, dem Königsteiner Hoteldirektor. Zwar habe Dieter Bock, der Vorbesitzer, bereits 30 Millionen Euro in die Zimmerrenovierung des Atlantic gesteckt. Dennoch sieht gr. Broermann noch erheblichen Investitionsbedarf. Er werde mindestens noch einmal so viel aufwenden müssen. Die Konkurrenz auf der anderen Alsterseite – dort entsteht ein neues Luxushotel – fürchte er nicht. „Wettbewerb ist immer gut. Und außerdem“, setzt er, ohne die Stimme zu erheben, auf seine untertreibende Art hinzu: „Wir haben den Ehrgeiz, es sehr gut zu machen.“ Er gehe das alles an „mit Ruhe und Bedacht – wie früher ein Bauer den Umbau seines Hofs“. Bloß keine großen Worte. Das spröde Hanseatische und das karge Münsterländische gehen ganz gut zusammen. U B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 41 / OF E N FA H RT U ND R ATTEN R EN NEN Thyssen-Krupp kämpft um eine Zukunft für sein Stahlgeschäft. Ganz am Ende wartet die Abspaltung. Text BERND ZIESEMER Foto UWE NIGGEMEIER U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 42 / B I L A N Z Das Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Duisburg. / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 43 / S U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 44 / tahlwerker reden wie Manager in ihrem eigenen Jargon: sagen Bramme statt Metallblock, Abbrand statt Verschleiß, Ofenfahrt statt Laufzeit. Wollte man das Stahlgeschäft von Thyssen-Krupp (T-K) im Ruhrdialekt beschreiben, böte sich die Verbildlichung von der „höllischen Ofenfahrt“ an. Man kann es aber auch so ausdrücken wie Andreas Goss (50), der Stahlbaron des Dax-Konzerns: „Solange es so viele Überkapazitäten in Europa gibt, liefern wir uns ein Rattenrennen mit unseren Wettbewerbern.“ Am Geschäft mit dem Stahl oder besser: an seinem Unwesen wäre das Essener Traditionsunternehmen (Umsatz 2013/14: 41 Milliarden Euro) beinahe zugrunde gegangen. Der vor einigen Jahren vom damaligen Vorstandschef Ekkehard Schulz (genannt: „eiserner Ekki“) eingeleitete, aber fehlgeplante, völlig missratene und restlos verschluderte Bau von Stahl- und Walzwerken in Brasilien und den USA hat den Konzern die Unsumme von 13 Milliarden Euro gekostet und ihn, da das Stahlgeschäft auch in Europa immer weniger abwarf, fast um die Existenz gebracht. Nachdem sich Notverkäufe einiger Anlagen, mit denen sich die Essener Luft zu verschaffen hofften, nicht verwirklichen ließen, stand das Unternehmen, das mehr als 1.000 Sorten Stahl herstellt, aber nur noch ein Drittel seines Umsatzes damit macht, vor dem Bankrott. Die Dinge haben sich inzwischen etwas reguliert, das Stahlgeschäft, aus dem Thyssen und Krupp einst hervorgegangen sind, wirkt weniger brüchig und baufällig als noch vor Jahresfrist. Doch in der Konzernspitze gilt der Geschäftszweig als hochgefährliche Angelegenheit, von der man die Finger ließe, wenn man könnte. Die Aussicht, einen Käufer oder zumindest Teilhaber für den maroden Gewerbezweig zu begeistern oder doch wenigstens für ihn zu interessieren, ist freilich denkbar schlecht. Daraus machen auch die Firmenstrategen, an denen das Schicksal der Sparte hängt, im Gespräch mit BILANZ keinen Hehl: Thyssen-Krupp-Premier Heinrich Hiesinger (54), sein Stahlvormann Goss und dessen neuer Finanzvorstand Premal Desai (45). Wer mit den Managern spricht, hört von allen dreien die gleiche frohe Botschaft: Wir haben einen Plan, er ist richtig, wir ziehen ihn durch. Ganz so einfach, wie sie sie darstellen, ist die Sache natürlich nicht. Aber Hiesinger ist alles andere als ein Schönredner und Schaumschläger. Ende November vergangenen Jahres gab der berühmteste Sohn Bopfingens, einer Ortschaft im Ostalbkreis Baden-Württembergs, eine Kostprobe seiner Anreizkünste und seines Neuerungswillens, als er 800 T-K-Führungskräfte im großen Saal des firmeneigenen Vorstandsquaders Q2 in Essen zusammenzog und seine Manager auffordern ließ, die Papphocker, auf denen sie Platz nehmen sollten, auf einer großen Freifläche, einem stilisierten Fußballplatz, erst einmal tragfähig selbst zusammenzufalten. Das gefällt Hiesinger: wenn seine Herren (und wenigen Damen) gleich ein bisschen in Schwung kommen. Die Botschaft des wachsamen Grauschopfes Hiesinger, des vielleicht klarsten Kopfes unter Deutschlands Dax-30-Generälen: Er will das Wir-Gefühl steigern und seine Kader zu äußerstem Kosten- und Problembewusstsein anstacheln. Nichts soll unversucht bleiben, alles soll unternommen werden, damit sich der Konzern sein „Existenzrecht“ (wie eine Überschrift seiner Präsentation lautete) verdient. Gewiss, T-K weist wieder einen Überschuss von gut 200 Millionen Euro aus. Doch Hiesinger, der „Cashflow-Fanatiker“, wie ihn einer seiner Aufsichtsräte anhimmelt, muss deutlich mehr schaffen. Und Stahlmann Goss muss ein Gutteil davon richten. Der Zwei-Meter-Mann, in dessen Brammengestalt sich möglicherweise ein feinfühliges Wesen verbirgt, fällt seit seinem Wechsel von Siemens im Oktober 2012 nicht durch übertriebene Rücksicht auf. „Meine Rolle ist es sicher nicht, nur ein lieber Kerl zu sein.“ Goss, ein bayerisches Urviech der Herkunft nach, amtiert nicht in der Hauptverwaltung, sondern in Duisburg-Bruckhausen, wo relativ wenige Touristen ihren Urlaub verbringen. Seines Amtes als Herr über das europäische und außereuropäische Stahlgeschäft waltet der Riese in einem durchaus halb schäbigen Eckbüro, das er mit dem Foto eines Alpenpanoramas nicht wesentlich zu verschönern vermochte. Hiesingers Vorgaben für den Doppel-Stahlfunktionär: Steel Europe soll wieder kostendeckend arbeiten und damit Wert für den Konzern schaffen, Steel Americas wenigstens kein Bargeld mehr den Flammen zum Opfer bringen wie bisher. Jüngsten Berechnungen zufolge konnte Goss sowohl in der Alten als auch der Neuen Welt ein ordentliches Fortkommen melden: In Europa stieg das Betriebsergebnis um 51 Prozent, im Sorgenland Brasilien und in Nordamerika gar um erstaunliche 88 Prozent. Goss ist von geradezu dämonischer Erfindungskraft auf dem Gebiet des Sparens. Er lässt nichts aus, er geht überall nach urbayerischer Sitte hart ran: Gleich neun Problemfelder hat er, wie eine interne Übersicht zeigt, identifiziert, von „E“ wie Einkauf bis „V“ wie Vertriebsund Verwaltungskosten. Beim Personalaufwand hat die im vergangenen Jahr mit dem Betriebsrat ausgehandelte Verkürzung der Arbeitswoche auf 31 Stunden für eine Entlastung von rund 100 Millionen Euro gesorgt. Das operative Ergebnis soll sich in Europa jetzt noch einmal verdoppeln. Die genauen Zahlen hält Goss zwar unter Verschluss. Geheimsache. Aber er lässt durchblicken: „Wir sind nicht mehr so weit von unserem Ziel entfernt, unsere Kapitalkosten zu erwirtschaften.“ Dafür müssten allerdings fast 500 Millionen Euro übrig bleiben beim operativen Ergebnis und nicht nur gut 200 Millionen wie im Vorjahr. Wie aus vertraulichen Protokollen hervorgeht, hat Goss 450 Millionen Euro als Ziel fürs Europageschäft ausgegeben. Gelänge es ihm dann noch, einen kleinen Profit in Amerika einzufahren, könnte er mit sich und der Welt durchaus zufrieden sein. Allerdings ist ihm der Auftakt des neuen Geschäftsjahrs etwas verdorben worden. Grund: Die Reparatur einer Strangguss-Anlage dauerte mehr als doppelt so lange wie geplant, die Produktion bei Steel Europe brach ein. Inzwischen dämmert den Essener Konzerngranden, dass Sparen keine unternehmerischen Perspektiven eröffnet, ja, bei der Kundschaft auch zu Missbehagen führen kann. Bei „Qualität, Innovationsfähigkeit und Liefertermintreue“ sei die Stahlsparte „nicht best in Class“, heißt es in einer Übersicht vom Januar. So gut Goss auch vorankommen mag: Ihm fehlt wegen seiner Doppelverantwortung in Europa und Amerika schlichtweg die Zeit, sich um alles selbst zu kümmern. HEINRICH HIESINGER Seit Januar 2011 Vorstandsvorsitzender der Thyssen-Krupp AG. Nachfolger von Ekkehard Schulz. Thyssen-Krupp Komponententechnik Fahrstuhltechnik Stahl Europa/Amerika ANDREAS GOSS Der Bayer kommt von Siemens. Gilt als Mann für schwierige Fälle. Führt seit 2014 die Stahlsparte. Deshalb hat ihm Hiesinger einen seiner besten Jungmänner als Sekundanten zur Seite gestellt: sein enger Vertrauter und bisheriger Strategiechef Premal Desai. Er amtiert seit Januar als neuer Finanzvorstand bei Goss in Duisburg. Offiziell bildet der rundliche Mann mit den wachen braunen Augen nun ein „Duo mit Goss“, wie es Desai selbst formuliert. Der in Tansania geborene, in Kenia aufgewachsene, aber in Leverkusen als Sohn eines indischen Bayer-Managers stramm rheinländisch sozialisierte Multikulti-Manager und Betriebswirt hat viele Jahre lang als Berater bei Boston Consulting gedient, bevor er 2006 zu Thyssen-Krupp wechselte, wo ihn der eiserne Ekki Schulz seiner allzu treffsicheren Voraussagen wegen als „Kassandra“ bezeichnete. Als Hiesinger die Konzernführung übernahm, zog Desai einen bis dahin missachteten Plan für einen Strategieprozess aus dem Hängeordner. Seitdem war er stets vorne dabei, wenn es unangenehme Dinge im Konzern zu erledigen gab – beispielsweise beim Verkauf der Jagdreviere der früheren Konzernoberen und der von ihnen geliebten Firmenflieger. So was stählt einen Manager: Jetzt soll Desai neben den Aufgaben, die das Amt des Finanzchefs mit sich bringt, einige der drängenden Zukunftsthemen der Stahlsparte angehen: Er soll die Informationstechnik modernisieren und endlich mit der Essener Konzernzentrale vernetzen, die Abläufe in der Logistik sowohl wie jene in der Produktion optimieren. Gelegentlich spricht Desai sogar das Zauberwort „Industrie 4.0“ aus – den Maschinen-/ Anlagebau Werkstoff– handel PREMAL DESAI Früher Chefstratege von Thyssen-Krupp. Seit Januar der Schatzmeister von Goss. Traum von der digitalen Vernetzung aller Vorgänge und Abläufe, vom Rohstoffeinkauf über den Hochofenbetrieb bis zum Verkauf. Erkundigt man sich bei dem freundlichen Ex-Berater über Details oder Sonderaufträge seines Mentors Hiesinger, dann lächelt der Mann mit dem strahlend weißen Hemd feinsinnig – und sagt keine Silbe. Eine Erklärung dafür: Desai steht unter besonderer Beobachtung des notorisch zerstrittenen, aber vielleicht gerade deshalb besonders kämpferischen Betriebsrats in Duisburg. Sie wissen: Wenn jemand die Abspaltung der Stahlsparte vom Gesamtkonzern vorbereitet und Bescheid weiß, dann ist es der neue Finanzchef mit seinen Erfahrungen sowohl als Chefstratege als auch Experte für trickreiche Unternehmensfinanzierungen. Kurzum: Bei Desai achtet man auf jeden Wimpernschlag. Offiziell lautet die Sprachregelung der Zentrale: Thyssen-Krupp wolle, wenn die Gelegenheit günstig ist, den Restposten des Stahlgeschäfts in Amerika loswerden. Mehr nicht. Doch einige Betriebsräte agitieren trotzdem unermüdlich gegen den angeblichen „Totengräber“ Hiesinger, der nicht mehr in Treue fest zum Stahl stehe. Der Denker aus Bopfingen irritiert seine Belegschaft in erster Linie durch die (kluge) Weigerung, ein ewig gültiges Bekenntnis zum Stahlgeschäft abzugeben. Als der gläubige Katholik im Dezember beim ökumenischen Gottesdienst zum Festtag der Heiligen Barbara als Gastprediger auftrat, reizte er die anwesenden Arbeiter vor dem Tor 1 der Duisburger Stahlhütte mit dem Satz: „Unsere Wurzeln dürfen uns nicht fesseln, Neues anzugehen.“ Die Betriebsräte sahen sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage herausgefordert, kurz vorher hatten sie schon einen kleinen Proteststreik angezettelt gegen angeblich geplante Schließungen in Duisburg. Doch selbst wenn Hiesinger einen Verkauf anstrebte, fehlten dafür zurzeit schlicht die Voraussetzungen: Um das knappe Eigenkapital nicht zu belasten, müsste er mindestens acht bis neun Milliarden Euro aus einem Verkauf erlösen. Doch diesen Preis wird niemand bezahlen, man habe es momentan mit einem „richtigen Scheißmarkt“ (ein Stahlmanager) zu tun. Auch eine Abspaltung vorab, ohne Käufer in Sicht, hilft nicht weiter. Natürlich hoffen einflussreiche Investoren, wie die Fondsgesellschaft Union Investment, auf eine Zukunft ohne Stahl. Der Großaktionär Cevian Capital, der jetzt seinen Partner Jens Tischendorf in den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp schickt, äußert sich nie öffentlich. Aber seine Sympathien gelten angeblich auch einer mittelfristigen Loslösung vom Stahlgeschäft. Hiesinger selbst macht aus seinem Willen, Thyssen-Krupp zum modernen Technikkonzern auszubauen, keinen Hehl. Er möchte lieber in die Entwicklung neuer Aufzüge oder neue Werke für fortschrittliche Autoteile investieren als in Hochöfen. Doch der brillante Analytiker sieht vorläufig noch Werte im Stahl, die man heben kann und muss zum Nutzen des schwachen Gesamtkonzerns. Deshalb gilt vorläufig die Devise, den Stahl so stark wie möglich zu machen und dabei Synergien im Konzern maximal zu nutzen. Bei Thyssen-Krupp nennen sie es denglisch „Premium of Together“. Ein Paradoxon: Hiesinger glaubt an den Nutzen einer engeren Verzahnung aller Geschäftsbereiche, selbst wenn sich Thyssen-Krupp mittelfristig doch vom Stahl trennen sollte. Der Konzernchef wartet, wie alle in der Stahlbranche, auf den Tag X. Die Konsolidierung der Stahlindustrie in Europa werde irgendwann kommen – in drei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren. Dann werde es neue Zusammenschlüsse geben und einen Abbau der Überkapazitäten. Und dann könne das Stahlgeschäft von Thyssen-Krupp, wenn jetzt alles richtig weiterläuft, so Hiesinger, „aus einer Position der Stärke an diesem Prozess teilnehmen“. U B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 45 / Fotos: Thyssen-Krupp AG „UNS GEHT’S ZU GUT“ Im Sommer will Hartmut Mehdorn, genervt und zermürbt von den Winkelzüglern in der Politik, seinen Posten als Chef des Flughafens Berlin-Brandenburg niederlegen: Er hat’s satt, er hat die Faxen dicke. U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E B / 46 MATTHIAS MATUSSEK HARTMUT MEHDORN Der 60-jährige Münsteraner ist Journalist, mehrfach ausgezeichneter Buchautor und Videoblogger. Für den Spiegel leitete er die Büros in New York, Rio de Janeiro und London, später das KulturRessort. Seit 2014 arbeitet er als Autor für Axel Springer. Nur wenige Typen haben so eine Karriere hingelegt wie dieser 72-jährige Vollkontaktmanager aus Warschau: Vorstand bei der Dasa, Chef von Heidelberger Druck (bis 1999), von der Deutschen Bahn (2009), von Air Berlin (2013) und seither vom Skandal-„Flughafen“ BER. Herr Mehdorn, Ihre Tätigkeit am Berliner Flughafen hat ein abruptes Ende gefunden. Typisch Mehdorn? So abrupt nicht, ich bleibe bis auf Weiteres und übergebe jetzt eine geordnete Baustelle. Als ich hier anfing, herrschte Stillstand. Der Bau ruhte. Jetzt läuft die Baustelle wieder auf vollen Touren. Wir sehen ein Ende. Den Betriebsstart in der zweiten Jahreshälfte 2017 können wir garantieren. Parallel dazu haben wir ein neues Management und eine kompetente Bauherrenfunktion installiert, sodass der Zeitpunkt meiner Geschäftsübergabe gut passt. B Sie gelten als sehr impulsiv. Ja, das wird behauptet, das bin ich gar nicht. Aber wenn ich etwas mache, dann mache ich es zu 100 Prozent und voll engagiert. B Mich interessiert Mehdorn, der Macher, und die Kunst des Managements. Sie sind 1980 zum ersten Mal Vorstand geworden, haben also in den vergangenen 35 Jahren viele Manager-Generationen erlebt. Wie unterscheiden sich die Führungskulturen früher und heute, was hat sich geändert? Zunächst mal seh’ ich wie bei meinen Enkelkindern, dass ich älter geworden bin. Mein erstes Interview hab’ ich 1978 gegeben. Das ist lange her. / Fotos ROBERT SCHLESINGER B Ihr Verhältnis zur Presse war nie spannungsfrei. Sie sind immer mächtig angegangen worden: „Penner“, „Versager“ oder „Mister Beinah“ sind dabei noch Freundlichkeiten gewesen. Aber Sie haben auch ausgeteilt. Was heißt austeilen? Ich sage, was ich denke. Und das bleibt auch so. B Was war denn die fantasievollste Beschimpfung, die Sie je erlebt haben? Ich sag’ Ihnen dann auch, was sie bei mir war! Uff, ich les’ nicht alle Artikel über mich wie andere Manager, die da immer ganz aufgeregt sind, wenn ein Artikel erscheint. Ich nehme das gar nicht wahr. B Sie lesen keine Kritiken? Na doch, schon, aber ich höre im Wesentlichen davon. Warum soll ich mich denn über jeden Artikel aufregen, den irgendeiner schreibt, der vieles nicht beurteilen kann, was ich tue? B Über mich hat mal einer geschrieben: „Schießt es tot, bevor es Eier legt.“ Ganz originell war auch der Aufruf der Taz an die männlichen Leser, mich mal ordentlich ranzunehmen, weil ich mich kritisch zur Homo-Lobby geäußert habe. Die PC-Polizei geht um, und die ist drakonisch. Also, es ist nicht immer schlau und weise, was ich sage. Manchmal wäre Schweigen Gold gewesen. Aber deshalb bekomm’ ich keinen Herzinfarkt, und deshalb fühle ich mich in meiner Pelle wohl und krieg’ kein Magengeschwür. B Aber ist es nicht so, dass Fehler heute unbarmherziger geahndet werden? Dass Unternehmensführer deshalb nur noch darauf aus sind, keine Fehler zu machen? Lassen Sie es mich mal anders sagen: Die Dinge werden immer mehr personalisiert. Wir leben in einer Welt, die immer einen Schuldigen braucht. Die Frage, wer die Schuld trägt am Flughafen-Debakel, beschäftigt hier seit Jahren jede Menge Ausschüsse. Und es kommt nichts dabei heraus. Denn natürlich hat nie einer allein die Schuld, sondern immer ein Kollektiv. Weil es viele Ursachen gibt. Aber es ist natürlich bequemer, auf einen Einzelnen zu zeigen. Und der wird dann abgeräumt. Wie der Zumwinkel. B Der blöderweise Steuern hinterzogen hat. Aber man hat Zumwinkel vorher zu Recht vergöttert. Auch von Pierer. Der hatte Siemens saniert, Zumwinkel die Post. Das waren industrielle Großtaten. Als Dank hat man sie ungespitzt in die Erde gerammt. Steuer hin, Steuer her. Dann der Hoeneß, dann der Middelhoff – es gibt schon eine gewisse Jagd auf die Wirtschaftselite. Und das hängt auch mit dem Strukturwandel der Medien zusammen. Die alten, erfahrenen Journalisten schmeißt man raus, weil die zu viel Geld verdienen und weil man sich lieber mit hungrigen 20-Jährigen umgibt. B Das kann passieren, sicher, obwohl ich das persönlich noch nicht erlebt habe. Wer sollte mich feuern wollen? Meine Arbeitgeber sind stets überglücklich, mich zu haben! Auch wenn sie es sich nicht immer anmerken lassen… Aber generell ist es doch so: Die Jungen bekommen Zeilenhonorar, einen befristeten Vertrag und müssen irgendwas schreiben. Die Qualität ist oft entsprechend. Ihr seht es ja viel besser als einer wie ich. Überall angepasste Typen – in allen Bereichen der Gesellschaft, in den Medien, im Management. Die Topleute verstecken sich mehr und mehr. Man kennt sie kaum noch. B Verstecken die sich mehr und mehr, oder sterben die auch aus? Ist es nicht so, dass die Wirtschaft die Einzelgänger mehr und mehr abräumt zugunsten einer größeren Streuung von Verantwortung? So eine Art feminisierte Konsenskultur hält Einzug. Ich seh’ das so: Erfolgreiche Unternehmen haben einen erfolgreichen Chef. Und wenn die keinen erfolgreichen Chef haben, sondern eine Pflaume, dann kracht die Firma hinten zusammen. So ist es im Sport, so ist es in der Industrie. Allerdings wird es schwerer, da gibt es Untersuchungen. B Welche? Wissenschaftler von der Dresdner Uni haben den Ackermann, mich und den früheren Chef der Deutschen Börse AG, Seifert, mal medial begleitet, Fotos und Artikel analysiert und so weiter. Die sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Leute keine Chance mehr haben. Ackermann ist quasi tot seit seinem Victory-Zeichen im Mannesmann-Prozess. Einmal hat er nicht nachgedacht, aber deshalb ist der eben tot. B Man kennt von Ihnen kaum politische Stellungnahmen. Sie halten sich da raus. Aus Vorsicht? Nein, weil mich keiner fragt. B Dann sprechen wir doch einmal über den Islam, über das Attentat in Paris. Sie haben ja eine besondere Beziehung zu Frankreich, Ihre Frau ist Französin, Sie leben in Frankreich. Ist es nicht ein bisschen absurd, dass dieses islamistische Massaker mit einer großen Umarmung der Moslems beantwortet wird? Ich glaub’, das hat uns schon alle auf besondere Art berührt. Das, was das ausgelöst hat, verwundert mich wie Sie: dass plötzlich alle Menschen alle Muslime lieben. Aber dagegen kann man doch gar nichts haben, das ist schön! Bei uns sind das ja Zugereiste mit Migrationshintergrund, in Frankreich sind sie Franzosen. B Ich war Spiegel-Korrespondent in London, als die U-Bahn in die Luft ging. Das waren vier Jungs aus Leeds, aus dem Norden. Die zweite Generation also. 14 Tage später ging ein Bus hoch. An diesem Tag gab die Queen ihre jährliche Teeparty im Garten von Buckingham Palace. Sie fand statt! Beeindruckend: Die Queen, blass und sehr höflich, schreitet die Reihen ab und oben das Flattern von Polizei-Helikoptern, die nach den Tätern suchten. Ich persönlich glaube ja, dass religiöser Fanatismus, egal welche Form, immer – frei nach Karl Marx – Opium des Volkes ist, in jeder Beziehung. B Religiöse Menschen haben ein längeres und glücklicheres Leben, behaupten Wissenschaftler. Sind Sie Atheist? Also, ich habe hohen Respekt vor allen Kirchen. Aber ich denke selber, ich lasse mir da nichts von irgendeinem vorschreiben. So bin ich erzogen worden, so waren meine Eltern, so geht das auch. Und diese klerikalen Fanatiker, die gab’s vor 400 Jahren in Europa bei den Katholiken übrigens genauso. B Aber der Katholizismus heute ist doch, zumindest in Deutschland, ein zahnloser homöopathischer Stuhlkreis geworden. Deshalb B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 47 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 48 / hab’ ich ja mein Buch „Das katholische Abenteuer“ geschrieben. Als das herauskam, haben meine damaligen Spiegel-Kollegen gesagt: Du hast einen Knall! Und als es ein Bestseller geworden war, haben sie gekotzt. Ich glaube, dass man Religionen respektieren muss, aber auch, dass der Staat Religion und Politik trennen sollte, wie es in Frankreich der Fall ist. Was mich besonders berührt hat, ist, dass die jüdische Gemeinschaft in Frankreich das zu einem jüdischen Problem gemacht hat, nur weil der da im jüdischen Gemüseladen um sich geschossen hat. B Der zeitgenössische Antisemitismus ist nun mal ein islamischer Antisemitismus. Das müssen sie bei uns mal in die Birne kriegen. Bei uns starrt man immer nur nach rechts. Auch in Frankreich. B Ja, natürlich. 10.000 Juden sind aus Frankreich im letzten Jahr nach Israel emigriert. Eigentlich müsste die Politik doch sagen: „Liebe Moslems, jetzt ist mal Schluss. Ihr müsst mal nachdenken über die Gewalt in eurer Religion.“ Stattdessen stehen die islamischen Funktionäre mit dem Kabinett wie Konfirmanden vor dem Brandenburger Tor beim Fototermin. Na ja, das war wie in Paris, wo sie gezeigt haben: Wir machen keine Unterschiede mehr, wir sind offen für alle, denn wir sind alle angegriffen worden. Es ist ja noch nicht lange her, da waren die Deutschen und Franzosen Erbfeinde. Das Abendland hat 1.000 Jahre gebraucht, bevor man aufgehört hat, alle 14 Tage einen Krieg gegeneinander zu führen. B Wie haben Sie Ihre französische Frau kennengelernt? Sorry: Das ist privat und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. B Sie haben in Berlin Anfang der 60er-Jahre studiert, an der TU, Maschinenbau, bis 1966, das war zwei Jahre vor dem Vietnam-Kongress. Haben Sie von den tumultösen Zeiten was mitbekommen? Nein, das war nicht mein Thema. Ich war in dieser Zeit ziemlich stark engagiert im Ruderverein. Wir haben da schwer geschrubbt, jeden zweiten Tag da unsere 30, 40 Kilometer gerudert. Ich wollte fertig werden. Ich war da nicht politisch. Ganz ehrlich. B Sie sind, laut Wikipedia, in Warschau geboren, wo Ihr Vater Soldat war. Er war nicht Soldat. Er war bei Siemens Angestellter für industrielle Produktion. Die haben Weltempfänger und solche Sachen gebaut. Und in dieser Zeit ging es mit den Bombenangriffen in Berlin los, da hat er die Familie ’rübergeholt, deshalb bin ich in Warschau geboren. B Hat Ihr Vater Ihnen später viel über die Zeit berichtet? Wenig. Er war ein Nazi, einer von denen, die geschwiegen haben. Er war ein Intel- lektueller, hat BBC gehört. Es ist also nicht so, dass er nicht gewusst hätte, was da gelaufen ist. Er sagte: „Wir haben das gehört, wir haben das natürlich erst mal als Propaganda empfunden.“ B Gab’s nie diese typische Rebellion des Sohnes gegen den Vater? So richtig nicht. Wir waren vier Kinder. Ich kenne meine Eltern eigentlich nur arbeitend, inklusive meiner Mutter, sie hatte den kaufmännischen Part des Unternehmens. Ich werde das nie vergessen, wie sie da immer diese Lohnstreifen abgerissen hat. Es gab ja Lohntüten damals, den Lohn hat sie da auf Heller und Pfennig ’reingerechnet. Also, wenn die mal Urlaub gemacht haben, dann sind sie von Berlin in eine Pension nach Pottenstein, Fränkische Schweiz, und das maximal eine Woche lang. Ich habe meine Eltern nur arbeitend gekannt. B Das war Ihre Prägung? So hab’ ich sie erlebt. Das war für mich der Grund, zu sagen: „Ich will nie selbstständig werden.“ Weil ich das nicht richtig fand, wie man so total in der Arbeit aufgehen kann. Das fand ich eigentlich nicht adäquat. B Ihre Frau hat nie gearbeitet, also in einer Firma? Hören Sie mal, drei Kinder sind Arbeit! Sie hat studiert. B Wollte sie nicht, oder wollten Sie nicht? Wir haben hintereinander drei Kinder gehabt, und dann war da genug zu tun. B Was halten Sie denn von der Idee, dass Frauen einer Beschäftigung außerhalb des Hauses nachgehen müssen? Das muss jeder selbst entscheiden. Es gibt Frauen, die sind gerne Manager. Und es gibt Frauen, die sind gerne Hausfrauen. Und das muss man so akzeptieren und nicht verteufeln. B Absolut! Eine Hausfrau wird behandelt wie jemand mit einem Dachschaden. Meine Frau hat das erlebt. Sie hat einen MA von der Columbia University und ist jetzt Lehrerin, aber früher ist sie auf Partys behandelt worden wie eine Bekloppte. Was halten Sie denn von der Frauenquote für Dax-Unternehmen? Ich halte das für Unsinn. Ich bin ein großer Vertreter einer nachhaltigen Frauenförderung. Das beginnt schon in der Vorschule, dann braucht es Ganztagsschulen – da kann eine Gesellschaft viel machen. Gesetzliche Regelungen bringen gar nichts, das hilft nicht. Von den drei K’s der Adenauer-Zeit (Kinder, Küche, Kirche) sind wir doch mittlerweile entfernt. B In Frankreich werden Frauen angespornt, zu arbeiten. Da ist es normal, wenn eine Frau ein Baby kriegt, nach sechs Wochen geht das Baby in eine Krippe um die Ecke. Da ist dann eine Mami, die wird staatlich überwacht, die Hygiene und alles, die hat dann sechs, acht Säuglinge. Die ist happy, die Babys sind happy, die Mama ist happy, und den Kids fehlt gar nichts. Das Wort Rabenmutter gibt es nur in Deutschland. B Also DDR light sozusagen? Weiß nicht, ob so viel Staat drin sein muss. DDR war für mich zu viel Staat. B Aber ist es nicht so, dass der Staat sich mehr und mehr in diese privaten Entscheidungen einmischt? In Deutschland werden wir es noch erleben, dass Paragrafen regeln, wie wir unser Privatleben zu leben haben. Wir sind schon sehr gesetzeswütig, mehr als andere Staaten in Europa. B Ach, das fängt doch schon vorher an: Dieses alberne Mitbürgerinnen und Mitbürger, Bäckerinnen und Bäcker. Nur bei „Holocaustleugner“ hab ich noch keine weibliche Form erlebt. Spannend natürlich, welches Geschlecht das Ampelmännchen hat. Mit so einem Käse muss sich die einst stolze Aufklärung heute befassen. Man muss nicht auf jeden Verrückten eingehen. B Hätten Sie es für möglich gehalten in der Nachkriegszeit, dass sich eine Gesellschaft ernsthaft über Wochen mit so einem Thema wie „Drittes Geschlecht“ beschäftigt? Das würde ich nicht kritisieren. Aber aufs große Ganze gesehen, ist eines klar: Uns geht’s zu gut. Wir sind ein fetter, satter Wohlstandsstaat und haben vergessen, dass es Millionen Menschen auf der Welt gibt, die nichts zu essen haben. B Zurück in die goldenen Fünfziger, als es immer nur nach oben ging. 1954, mein Geburtsjahr – haben Sie das auf dem Radar? Ihren Geburtstag nicht, aber die WM. Klar! Also, ich hatte einen Klassenkameraden, der hieß Sobek. B Ach nee. Berlin, „Hanne“ Sobek, berühmter Hertha-Spieler. Mein Vater hat mir von ihm erzählt! Ja, der Sohn von ihm war mein Freund. Hanne Sobek hatte ein Sportgeschäft und das Wichtigste: Der hatte schon einen Fernseher! Und dann sind wir zu Johannes Sobek nach Hause und haben da auf einer flimmerigen Kiste geguckt. B Haben Sie ihn gesehen, Helmut Rahn, Fritz Walter, die anderen Legenden? Ja. Nicht nur ich alleine, wir alle. Soweit man was erkennen konnte bei den kleinen Flimmerapparaten. B Wie geht es jetzt weiter für Sie? Was machen Sie im Sommer 2015? Wir gehen zurück nach Südfrankreich, in unser Haus, ich hab da viel zu ordnen, viele Papiere im Keller, viel zu tun. B Sie bereiten Ihre Autobiografie vor? Eigentlich nicht. Die Papiere will keiner lesen. B Och, ich helfe beim Aufräumen! Oh, da sammelt sich was an, unglaublich. Ich habe mal eine Zeit lang alle meine Vorträge gesammelt. Manchmal ist es witzig, wenn man sich heute anguckt, was man 1975 oder 1980 bei Airbus Industry im Wings Club oben im PanAm-Gebäude zum Verhältnis Airbus–Boeing erzählt hat. Vor 150 Airlinern aus den USA. B Wenn Sie nun Bilanz ziehen, was kommt unterm Strich für Sie dabei raus? Verlust und Gewinn: Wie hält sich das die Waage? Es klingt merkwürdig, wenn ich das sage, aber ich bin eigentlich ein richtiger Glückspilz. Ich hab’ in meinem Leben vier Karrieren in vier verschiedenen Branchen gemacht, Luftfahrt, Maschinenbau, Bahn und Airport. Ich glaube, das ist einmalig und hat mein berufliches Leben wirklich spannend und interessant gemacht. Davon möchte ich keinen Tag missen. B Sie legen manchmal ein Tempo vor, das andere nicht mithalten? Ja, zum Teil ist das so. B Das war bei mir auch manchmal so. Große Schwierigkeiten hat mir gemacht, dass ich nicht gut delegieren konnte. Mit Delegieren hab’ ich kein Problem. Wenn Sie große Organisationen führen, sind Sie alleine nichts. Da müssen Sie das Konzert aller spielen, sonst geht das nicht. B Nun war bei mir die Truppe eher überschaubar. Und, tut mir leid: Ich konnte es auch immer am besten. Ich bin tief davon überzeugt, dass das nicht der Fall ist. Nicht bei mir, meine ich. B Sie trugen früh Verantwortung. Mit 40 hatten Sie schon 1.400 Mitarbeiter unter sich. Sie wissen, dass die Deutschen nach dem Krieg keine Flugzeuge bauen durften. Als ich dann zu Focke-Wulf und Weser Flugzeugbau kam, 1966, haben die Deutschen gerade die „Noratlas“, dieses doppelschwänzige Ding, da zusammengeschraubt und angefangen, die „Transall“ zu entwickeln, die ja immer noch fliegt. Heute sind das ja Computerprogramme, aber damals wurde alles von Hand gemacht, gestrakt wie ein Schiff: Das war klassischer Flugzeugbau zum Anfassen. Darüber würde ich gern mal ein Buch schreiben: wie wir früher Flugzeuge gebaut haben. Das waren noch Künstler! Maschinenbauer, die Bleche noch dreidimensional geformt haben. Unglaublich! Ich glaub’, das können die Leute heute alles gar nicht mehr. Tolle Zeit. B Jetzt beginnt die Rückschau. Was ich sagen will, ich hatte Glück, ich habe 28 Jahre in der Luftfahrt verbracht, war ein spannendes Leben. Ich war dabei, als die Airbus-Familie geboren wurde. Ich war im Vorstand des Luft- und Raumfahrtkonzerns Dasa, der zu Daimler gehörte. B Auf die Abfindung sollen Sie damals verzichtet haben. Ich wollte kein Geld. Ich wollte gehen. Punkt. Und mir hat das sehr gut getan. Ich bin dann in den Maschinenbau gegangen, als Vorstandsvorsitzender der Heidelberger Druck. Wenn Herr Schröder mich nicht für die Bahn berufen hätte, wäre ich dort sicherlich in den Ruhestand gegangen. B War die Bahn unter dem Strich für Sie eine Erfolgsgeschichte? Ja. Eins zu eins. Damals war Privatisieren die große Philosophie. Wenn die Pleite von Lehman Brothers nicht die Finanzkrise eingeleitet hätte, hätten wir den Auftrag des Parlaments zur Privatisierung der Bahn, nach Lufthansa, Post und Telekom, auch umgesetzt. Das hat wegen der weltpolitischen Gesamtsituation leider nicht mehr geklappt und war so ohne Weiteres auch nicht mehr auf die Agenda zu setzen. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 49 / B U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 50 / Aus einem Staatsbetrieb ein Dienstleistungsunternehmen zu machen ist nicht leicht. Als ich kam, haben die 1,5 Milliarden Verlust gemacht, als ich ging, schrieben wir 2,4 Milliarden Gewinn. B Und wie viele Leute gab’s da, die Sie umbringen wollten? Eigentlich nicht so viele. Ich glaub’, dass die Bahner mich da heute immer noch sehr gerne haben. Ich hab’ da immer meine Erlebnisse, wenn ich auf dem Bahnsteig stehe. Kommt immer noch mal vor, dass ein Bahner „Hallo, Herr Mehdorn!“ ruft. B Sie hatten damals viele Sicherheitskräfte, habe ich gelesen. Im Umfeld der Bahn gibt es immer Leute, die unzufrieden sind. Die Polizei hat mich seinerzeit als gefährdet eingestuft und dadurch den Einsatz von Sicherheitskräften notwendig gemacht. B Und dann gingen Sie zu Air Berlin? Ich war ja schon als Bahnchef im Aufsichtsrat der Air Berlin. Dann hat Herr Hunold, der Firmengründer, ziemlich abrupt aufgehört und gesagt: „Ich mach’ jetzt nicht mehr weiter.“ B Wie fällt Ihre Bilanz bei Air Berlin aus? Kann man schwer sagen. Unter meiner Führung haben wir Etihad aus Abu Dhabi als neuen Gesellschafter gefunden. Das hat uns in die Lage versetzt, unser internationales Flugnetz in Asien auszudünnen und uns voll auf den sich lohnenden amerikanischen Markt zu konzentrieren. Das hat Air Berlin ein gutes Stück weitergebracht. Aber Air Berlin sollte ich nur interimsweise für drei Monate machen. Da sind zwei Jahre draus geworden, länger als geplant. B Aus den drei Monaten wurden zwei Jahre. Welcher Job würde Sie noch reizen? Freie Auswahl. Im Augenblick mach’ ich den hier am Flughafen noch fertig und denk’ über nichts anderes nach. Das ist jetzt nicht die Zeit. B Was würden Sie denn machen, wozu Sie nie gekommen sind? Einer meiner Träume ist, dass ich mir gern in Florenz eine kleine Wohnung mit meiner Frau mieten würde, mitten in der Altstadt. Wir können zwar kein Italienisch, nur meine Frau ein biss- chen, aber das braucht man da auch nicht. Und dass wir da in Jeans und Latschen wie die Italiener mittendrin leben. Nicht im Hotel, sondern selber kochen und die Kneipe an der Ecke und dann Florenz plus 30 Kilometer. Da tobt ja die abendländische Geschichte. Da hat das Bankenwesen angefangen, die Kunst, alles. B Also, Sie würden gerne die Bohème nachholen, die Sie sich als Student nicht gegönnt haben. Die mein ganzes Leben lang nicht stattgefunden hat. Ja. B Würden Sie künstlerisch tätig werden? Sie sagten, Sie schweißen gern Metall. Das ist was anderes. Ich würde wirklich systematisch Literatur lesen, um die Zeit, in der Florenz wirklich das europäische Abendland geprägt hat, zu verstehen. B Die katholische Kirche war der erste Globalisierer. Das oberitalienische Finanzkapital in der Renaissance arbeitete weltweit, da war der Protestantismus erst mal ein ziemlicher Rückschritt. Ja, das ist richtig. Der Protestantismus hat dort keine Rolle gespielt. Aber das zu verstehen und nachzuvollziehen, vielleicht ein paar Kurse an der Uni dort zu belegen, das wäre einer meiner Träume. Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gefragt hätten, dann hätte ich Ihnen noch gesagt, ich will mal eine Atlantiküberquerung mit dem Segelschiff machen, segeln mit meiner Frau. B Das klingt so, als ob Sie sich eigentlich drauf freuten, Zeit zu haben? Ich bin nicht unzufrieden. Ich geh’ hier nicht bitter, bin auch bei der Bahn nicht bitter ’rausgegangen. Ich hat- te ja schon bei der Bahn gedacht: Das war’s jetzt. B Sie sind mal „Ex-Raucher des Jahres“ gewesen. War’s schwer, aufzuhören? Kein Problem. Was ich mir vornehme, ziehe ich durch. B Ich hab’ aufgehört nach dem WM-Endspiel vergangenes Jahr. Ich hab’ gesagt: Wenn wir gewinnen, höre ich auf. Und wenn ich jetzt gelegentlich kiffe, dann nur mit Cannabis, also kein Tabak. Was war Ihre Lieblingsdroge? Ich hab’ nie gedrogt. Ich hab’ auch nie gesoffen. Ich trinke gern ein Bier, und wir machen einen kleinen Wein, ja. Wir haben einen kleinen Weinberg in Minerve östlich von Carcassonne, westlich von Béziers und nördlich von Perpignan. Da sausen ein paar Wildschweine durch die Gegend. Fertig. Da haben wir ein kleines Steinhaus, ohne Strom, ohne alles, Wasser müssen wir dahinschleppen. Da haben wir 4,5 Hektar Weinstöcke und genießen die Einsamkeit. Das ist meine Droge. B Welche Rebsorten? Le Cabernet ist eine, wir machen da einen ganz freundlichen Rosé und einen possierlichen Roten. Keinen großen Wein, sondern schön zu trinken. B Was machen Ihre Kinder beruflich? Die sind eigentlich alle ganz gut gelungen. Der Älteste ist ein ganz friedlicher Banker. Hochsolide, schlägt damit völlig aus der Art, verlässlich ohne Ende, organisiert, Schreibtisch sieht immer ordentlich aus. Dann haben wir eine Tochter, die ist Ärztin. Die arbeitet auf La Réunion, vor Madagaskar, diese kleine französische Insel. Der Jüngste ist Jurist und lebt in Paris. B Sie sprechen zu Hause Französisch? Nein, merkwürdigerweise englisch. B You speak English? Yes, Sir. Meine Frau und ich haben uns auf Englisch kennengelernt. Ihr Deutsch war nichts und mein Französisch zu schlecht. Das hat sich so erhalten. Dann war ich lange bei Airbus, da wurde nur englisch geredet. Heute spricht meine Frau besser Deutsch als ich. Das Schärfste ist: Sie schreibt es besser. Sie kennt alle grammatikalischen Regelungen, weil sie es systematisch gelernt hat. B Eine große Kunst für eine Französin, die Artikel zu beherrschen. Meine Frau spricht auch einige Sprachen, auch Russisch, sie ist in Ostberlin groß geworden. Russisch würde ich gern sprechen, sehr schwierig. Ich bin im Aufsichtsrat der Russischen Eisenbahn, seit 15 Jahren. Das klappt auch sehr gut. Ich habe dort viele Diskussionen über das Bahnsystem der Zukunft und die Europa-Fähigkeit der russischen Bahn geführt. B Ihr Vater ist ja früh gestorben. Welches Bild haben Sie von Ihrem Vater, war er ein kalter Mensch? Das nicht. In der Nachkriegszeit war halt alles schwierig. Er war auch einer, der viel gearbeitet hat. Wir waren eine große Familie. Ich hab’ Respekt vor seiner Lebensleistung. Meine Mutter nach dem Krieg, mit vier Kindern, die ist durch Deutschland gezogen und wusste am Abend nicht, was sie ihren Kindern am nächsten Tag zu essen gibt. Da gab’s keine Wohlfahrt oder Hartz IV. Was die Frauen damals geleistet haben, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. B Anderes Thema: Ihr Lieblingsfilm? Keine Zeit gehabt. B Aber Fußball. Fußball, ja. Ich bin seit 1966 Mitglied von Werder Bremen. B Ach? Da kann ich als HSVer nur sagen: Pech gehabt. Leider wird Werder absteigen. Ich wein’ dem Verein keine Träne nach, seit Tim Wiese damals den HSV so beschimpft hat. Das ist ein lokales Problem zwischen den Hamburgern und den Bremern, genauso wie es zwischen Schalke und Dortmund eine ausgeprägte Rivalität gibt. B Und eher Bayern oder eher Dortmund? Gerne Bayern, gerne Dortmund – da gibt es immer schöne Spiele. B Was lesen Sie zurzeit? Ich bin ein Urlaubsleser. Ich sammle Bücher. Ich habe eine schöne Bibliothek, schätzungsweise 3.000 Bände. Meine Mutter hat immer Rororo-Bücher gelesen, die hat sie mir vererbt. Die hab ich weitergesammelt. Von dem Verlag hab’ ich, glaub’ ich, 1.300 Stück. Ich hab’ mal angefangen, Haken dran- zumachen, aber nicht mal 15 Prozent davon gelesen. Ich hab’ noch viel zu lesen in meinem Leben. B Ihr Lieblingsroman? „Einst wird kommen der Tag“ von Taylor Caldwell. Ein Roman über die amerikanische Gründerzeit, absolut packend. Es gibt einen Haufen Bücher, die ich mag. Ich bin Urlaubsleser. Ich brauche im Urlaub immer drei, vier Tage, bis ich wieder richtig lesen kann. Diese Schnellleserei am Schreibtisch oder am Screen – man guckt: Wer hat’s geschrieben, was ist der Verteiler, der Betreff. Dann hakt was ein, aber ansonsten „Klick“. B Ich kann Ihnen ein gutes Buch empfehlen: „Wir Deutschen – warum die anderen uns gern haben können“ von Matthias Matussek. Sehr aktuell. Sehr amüsante Lektüre. Das Ver- rückte ist ja, dass die Deutschen die beliebteste Nation der Welt sind. Außer bei den Deutschen. Wobei wir Deutschen ja immer denken, wir sind das Verbrechervolk schlechthin. Auch das ist nicht mein Problem. Das ist ein Problem für die Gesellschaft, das darf man nicht wegdrücken und wegretuschieren. Aber ich persönlich befass’ mich nicht damit. Mich hat mein internationales Berufsleben stark geprägt. Ich gehöre daher zu den Europa-Fans. Auch wenn ich eher ein Verfechter von Charles de Gaulle und seiner Vision eines „Europas der Vaterländer“ bin. Die Vaterländer sind bei ihm die Sachsen, die Bayern, die Schotten, die Katalanen, die Friesen usw. B Mir hat mal ein englischer Freund gesagt, was er verrückt findet, ist, wenn du die Deutschen fragst, woher sie kommen. Die sagen am liebsten, sie sind Europäer oder Bayer oder Berliner. Keiner der Deutschen sagt: Ich bin Deutscher. Das ist neurotisch. Bis vor ein paar Jahren haben die Deutschen ja ihre Fahne gar nicht gezeigt. Da hat der Fußball geholfen. B Auf Ihrem Bahnhof konnte man 2006 das Sommermärchen erleben. Plötzlich hat man entdeckt: Die deutsche Fahne ist nichts, was den Skinheads gehört, da sind auch Familienväter, junge hübsche Frauen, Kinder mit Schwarz-Rot-Gold. Mittlerweile sind aber wieder die „Nie wieder Deutschland“Rufe von Schreihälsen auf Anti-Pegida-Demos zu hören. Das ist das Schöne an Deutschland, dass jeder sagen darf, was er will. Vieles davon muss man nicht so ernst nehmen und erledigt sich von allein. B Wäre eine Karriere wie Ihre mit diesen vier Hauptstationen heute noch möglich? Haben Typen wie Sie heute noch Chancen, ganz nach oben zu kommen? Ich bin oft mit Studenten oder jungen Leute zusammen, die fragen: „Was muss man machen, um einen solchen Weg zu gehen?“ Da gibt es kein Patentrezept. Sie brauchen Glück, Sie müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dass Sie den nächsten Sprung machen können. Sie müssen sich anbieten, mehr arbeiten als alle anderen. So richtig Feierabend haben Sie dann eben nicht. Als wir früher die „Transall“ oder die „V 614“ gebaut haben, da haben wir durchgearbeitet. Da ist meine Frau mit den Kids immer alleine an die Nordsee gefahren. Wir hatten keinen Urlaub. Wir haben die Wochenenden durchgezogen, und da hat keiner gemeckert. Da gab’s auch keinen Betriebsrat, der sagt: „Um sechs Uhr müssen hier Überstunden beantragt werden.“ Das wurde durchgezogen. B Heute will die Generation Y die sogenannte Work-Life-Balance. Tja, das ist dann eben nicht zu schaffen – wenn Sie erfolgreich sein wollen, müssen Sie am Ende bereit sein, ein Stück persönlicher Freiheit aufzugeben. Das ist so. Und das bleibt so. U B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 51 / RÄNGE & LISTEN Alibaba stellte im vergangenen Jahr eine neue Börsen-Bestleistung auf. Frohlocken und Entzücken herrschten auch bei Investmentbanken. Millionen- und Milliardenfreuden Anlegers Liebling Fünf der sieben Bankhäuser, die im vergangenen Jahr das meiste Geld bei Börsengängen einnahmen, sind in den USA beheimatet. Die Deutsche Bank landete immerhin auf Platz sieben. I D E E N / I N N O V A T I O N E N FIRMA Höchste Einnahmen GOLDMAN SACHS 3,6 Milliarden Euro FIRMA Jahr / Wert 1 ALIBABA 2014 / 19,9 Milliarden Euro 2 AGRICULTURE BANK OF CHINA 2010 / 17,6 Milliarden 1 J . P. M O R G A N 3 Milliarden Euro 2 3 MORGAN STANLEY 280 Millionen Euro INDUSTRIAL & COMMERCIAL BANK OF CHINA 2006 / 17,5 Milliarden Euro 3 4 AIA 2010 / 16,2 Milliarden Euro CITI 161,9 Millionen Euro 4 5 Visa 2008 / 15,6 Milliarden Euro CREDIT SUISSE 149 Millionen Euro 6 5 GENERAL MOTORS 2010 / 14,4 Milliarden Euro 7 ENEL 1999 / 13,7 Milliarden Euro BANK OF AMERICA 138,6 Millionen Euro DEUTSCHE BANK 135 Millionen Euro / Die größten Börsengänge veranstalten mittlerweile chinesische Firmen. Zuletzt stellte der Händler Alibaba an der NYSE einen neuen Weltrekord auf. 1.155 Börsengänge zählten Statistiker 2014, für 179,3 Milliar den Euro wurden frische, ofenwarme Aktien ausgegeben. Nicht zuletzt zur Beglückung der Investmentbanken, die mit den erstmaligen Aktienausgaben, den sogenannten initial public offerings (IPOs), jede Menge Zaster verdienten. Die Mastodonten von Goldman Sachs allein setzten 109 Börsengänge in Szene und strichen dafür 3,6 Milliarden Euro ein. In der Regel kassieren Banken zwischen 3 und 5,5 Prozent des an der Börse erzielten Verkaufserlöses. Bei der Markteinführung der chinesischen Firmengruppe Alibaba nahmen die beteiligten Geldhäuser indes mit einem Anteil von 1 Prozent vorlieb. Sie kamen, erstens, trotzdem auf ihren Schnitt und hoffen, zweitens, mit ihrem Sonderangebot auf schmackhafte Folgegeschäfte. 6 8 8 7 FACEBOOK 2012 / 12,7 Milliarden Euro NTT MOBILE COMMUNICATION 1998 / 12,7 Milliarden Euro 10 NIPPON TELEGRAPH & TELEPHONE 1987 / 12,2 Milliarden Euro 12 DEUTSCHE TELEKOM 1996 / 10,4 Milliarden Euro Als die Deutsche Telekom 1996 an die Börse ging, machte sie daraus ein Volksfest; Schauspieler Manfred Krug half kräftig („T-Aktie“), bat später alle Spekulanten aber reuevoll und überflüssigerweise um Nachsicht: „Ich entschuldige mich aus tiefstem Herzen bei allen Mitmenschen, die eine von mir empfohlene Aktie gekauft haben und enttäuscht worden sind.“ Mit 10,4 Milliarden Euro war es der bislang größte Börsengang aller Zeiten – jedenfalls hier zu Lande und in der Luft. 52 / Quelle: Fortune.com Quelle: Bloomberg Computer-Profi Superhirn Gipfelstürmer Kein Job wie jeder andere: Duales Studium bei der DB. Finde raus, was zu dir passt! Gemeinsam mit Kollegen die Zukunft programmieren: Duales Studium (Wirtschafts-)Informatik bei der DB – einer von über 20 dualen Studiengängen, für die wir jährlich mehr als 400 begeisterte (Fach-)Abiturienten (w/m) suchen. Für Menschen. Für Märkte. Für morgen. deutschebahn.com/schueler DBKarriere DBKarriere DBKarriere V I E L L O S I N DAVO S Hinter den Kulissen des World Economic Forum, der größten Kontaktmesse des Establishments. I D E E N Tscha-tscha-tscha: McKinsey lud zur Geheimparty. Greg Denard und seine Kapelle heizten ein. / I N N O V A Ihm zu Gefallen ließ man umgehend die Hotel-Lobby abriegeln: Fürst Albert aus dem früheren Piratennest Monaco, wie immer von Wichtigheimern umtrippelt. Ex-RWE-Leiter Jürgen „Bart“ Grossmann (o.) gilt als besonders klatschfreudig. Henkel-Chef Kasper Rorsted (l. mit BILANZ-Autorin Annette Pawlu) ist steiferer Natur. T I O N E N / 54 / Lufthansa-Chef Carsten Spohr (l.), ein Mann der Kompaktklasse, stellt hier gerade eine Betrachtung an mit dem langen Peter Löscher (Renova). Warum treffen sich 2.500 Macher und Mächtige beziehungsweise solche, die sich und andere dafür halten, in Davos? Bestimmt nicht wegen der Schönheit des Ortes. Viel ist vom mystischen Zauber des Zauberberg -Dorfs nicht mehr zu finden. Im Grunde genommen gar nichts: Apartmenthäuser aus den Sechzigern allenthalben. Das, was man früher Betonburgen nannte, könnte man heute genauso gut Davosburgen nennen. „Gerade weil es keine große Ablenkung gibt und wir hier so abgeschieden sind, kommen wir alle hierher“, erklärt Google-Aufsichtsratschef Eric Schmidt (59) gegenüber BILANZ die Anziehungskraft des WEF. „An einem Ort wie New York“, lächelt Salesforce-Gründer Marc Benioff (50), „hätte ich schon wieder zig andere Geschäftstreffen in zig verschiedenen Restaurants. Hier ist alles an einem Fleck.“ mit dem eigenen Jet, versteht sich. Die Anschläge in Paris, die Entscheidungen der EZB und der Schweizer Nationalbank: „Die geopolitischen Probleme sind überragend“, sagt Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen (66) zu BILANZ. Auch Henkel-Obmann Kasper Rorstedt (52) klingt besorgt. „Ich mache hier hauptsächlich Politik, denn die Risiken für die Wirtschaft sind alle politischer Natur.“ Tagsüber ist das Konferenz-Zentrum die Bühne, auf der man sich bewegt, die Hände schüttelt und stirnumwölkte Unterhaltungen und manchmal sogar Gespräche führt: Audi-Chef Rupert MINISTER AUF MARIHUANA Karim Massimow (49), relativ unbekannter Premierminister von Kasachstan, empfängt im Rixos-Hotel zum Mittagessen: „Wenn der Ölpreis hoch ist, sind wir wie auf Marihuana und machen gar nichts.“ Der niedrige Ölpreis bringe Kasachstan dafür richtig in die Puschen. Großes „Harhar“ unter den Gästen, unter ihnen Investor George Soros und Tony Blair. WER DRIN IST, IST IN Aber wie kommt man eigentlich hinein? Ins Konferenz-Zentrum mit einem weißen Namensschild zum Anstecken. Für einen Teilnehmerausweis zahlen Firmen im Schnitt über 50.000 Dollar. DIE HOTELS Man muss sich in Davos hochschlafen. Je häufiger man zu Gast war, desto besser das Hotel. Die Einteilung der Hotels besorgt die Organisationstruppe des WEFs. Dass US-Außenminister John Kerry ins Steigenberger darf, erstes Haus am Platze, ist klar. Viele müssen sehen, wo sie bleiben. Zimmer für Spartaner auf Jugendherbergs-Niveau kosten in dieser Woche 700 Franken. Aber man muss ja schon froh sein, wenn man nachts nicht nach Klosters (zwölf Kilometer entfernt) fahren muss. Taxis sind knapp in der WEF-Woche. PARTY MIT 100 MILLIARDÄREN Das Forum bietet ungezählte sessions und Programmpunkte. Die Leute reden über den Ölpreis, über Kunst, Bitcoins, G-20 und den Urknall. Und alle üben sich in der Kunst des Vernetzens. Man schließt Bekanntschaft. Und es wird selbstverständlich gefeiert. Im Steigenberger steigen die legendenhaften WEF-Partys. Über 100 Milliardäre sollen dieses Jahr in Davos gewesen sein – eingeflogen natürlich Angela Merkel redet viel über den EZB-Entscheid, sagt aber wenig; Chinas Premier Li Keqiang spricht über China und die Welt. Man lauscht ergriffen. Der blinde Sänger Andrea Bocelli referiert über „Insights“, und Bill und Melinda Gates, die Popstars des Spendenwesens und der Wohlfahrtei, geben „einen Ausblick“, was sonst, aber nicht auf die Vergangenheit oder die Alpen. Facebook-Managerin Sheryl Sandberg zeigt in Zahlen, wie viele Jobs Facebook schaffe, und die Musikfachkräfte Will.I.Am und Pharrell Williams erklären, was Digitalisierung für sie bedeutet. Stadler, Credit-Suisse-Verwaltungsrats-Präsident Urs Rohner, Ex-Siemens-Leiter Peter Löscher sind da, die unvermeidlichen Hedgefonds-Manager und jene Unternehmer, die man in ihrer Stattlichkeit durchaus schon einmal gesehen zu haben glaubt, deren Name einem aber partout nicht einfällt. Im Gesellschaftsraum hält Oliver Samwer, die Angriffsspitze von Rocket Internet, die eine oder andere Rücksprache. Investor Marc Holtzman (54) gleitet vorbei: In seinem Kalender seien 50 beziehungsweise 125 „optionierte“ Termine in drei Tagen eingetragen. Für sessions habe er „einfach keine Zeit“. Roche-Präsident Christoph Franz (54) dagegen, der einmal flüchtig die Lufthansa geführt (2011–2014), jetzt aber mehr Zeit hat, marschiert von Saal zu Saal: „Ich höre mir hier möglichst viel an – dafür bin ich schließlich da.“ NACHTS IN DAVOS Obwohl die Gästelisten-Politik der WEF-Partys ähnlich streng gehandhabt wird wie das Einwanderungsgesetz der USA, mischen sich auch neue Gesichter unter die Gäste. Man erzählt sich, dass die Unternehmen, die die Partys und Empfänge ausrichten, aufgefordert worden seien, die Korken leiser knallen oder nicht so hoch fliegen zu lassen und dergestalt Krisenbewusstsein zu dokumentieren. Party ist trotzdem. McKinsey, Google und Salesforce bringen Gruppen wie The Killers auf die Bühne, bei der Deutschen Bank jazzt eine E-Geigerin. Die sagenumwobene „Russen-Party“ von Wirtschaftsherrscher Oleg Deripaska steigt in einem privaten Chalet. Investor Nat Rothschild trifft hier auf Karl-Theodor zu Guttenberg. Wodka, nastrovje! Die Kosacken tanzen wie auf Duracell. „What happens in Davos, stays in Davos.“ Die Nacht der Nächte aber bleibt und ist die Party von McKinsey: Seit 14 Jahren lassen die Berater eine Band aus Miami einfliegen. Das gibt es nur in Davos: Weltchef Dominic Barton führt die Polonaise an. I D E E N / B I L A N Z / I N N O F e b r u a r V / A T I 2 0 1 5 O N E N / 55 / Fotos JULIAN BAUMANN SIGNALE AUS BERLIN Angela Merkel sagt über die Europäische Zentralbank nicht die Wahrheit, behauptet Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini. Schiefes Langarm-Foto nach dem Interview: US-Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini mit Annette Pawlu. I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 56 B Mr Roubini, was halten Sie von der Entscheidung der EZB, Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von rund 1,1 Billionen Euro zu kaufen? Die deutsche Presse ist in weiten Teilen gegen die Entscheidung der EZB und gegen Draghi. Aber was die EZB gemacht hat, ist gut, und es war sehr notwendig. Die EZB hat damit die Eurozone gerettet, und die Eurozone ist gut für Deutschland. Deutschland braucht die Eurozone. Auch wenn sie am meisten dafür bezahlen und auch wenn die Leute das nicht verstehen. Und ich kann Ihnen eines sagen: Was Angela Merkel öffentlich sagt und was sie eigentlich denkt und tut, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ich bekomme „Signale“ aus Berlin, dass Draghi in Berlin war und dass das alles mit der deutschen Regierung abgestimmt war. Dass es ein Problem zwischen Berlin und Draghi geben könnte, ist einfach falsch. Wenn es ein Problem gibt, dann zwischen der Regierung und der Bundesbank. Die Bundesbank verhält sich aggressiv. Nicht die EZB. B Droht der Eurozone ein anhaltender Rückgang der Preise? Die Eurozone ist nur einen Schritt von der Deflation entfernt. Sie braucht endlich eine richtige, einheitliche Finanzpolitik. Und eine einheitliche Infrastruktur. Überhaupt die ganze Infrastruktur in Europa ist doch eine Katastrophe! Das fängt bei den Straßen an und hört bei der Digitalpolitik auf. Wenn die Eurozone mithalten mag, braucht sie eine einheitliche Struktur. B Wie steht es um den Zustand der Weltwirtschaft? Sie ist gerade an einem sehr zerbrechlichen Punkt. Nur den USA geht es einigermaßen gut. Japan und Europa stagnieren. China wird langsamer. Es herrscht eine große geopolitische Unsicherheit – das wird negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben. B In Davos wurden viele Prognosen zur Weltkonjunktur abgegeben. Ja. Tausend Leute vertraten tausend Meinungen. Es gibt keine einheitliche Prognose. 2006 und 2007 war ich hier und hatte die Finanzkrise vorausgesagt – NOURIEL ROUBINI Unter all „den Einzigen“, die die Finanzkrise 2008 angeblich vorhersahen und seither die Wirtschaftspresse bevölkern, war Nouriel Roubini (56, mehr als 300.000 Twitter-Anhänger) der Erste. Der Professor der zur New York University gehörenden Stern School of Business traf sich am Rande des WEF mit BILANZ zu einem Gespräch über den Euro, die Weltwirtschaft und den Ölpreis und gab diverse Vorhersagen zum Besten. / Foto: Annette Pawlu niemand wollte das hören. Aber das ist ja immer so, wenn eine Krise ansteht. B Wo sehen Sie den Ölpreis Ende des Jahres? Ich glaube, wir sind nah an der untersten Linie. Ich glaube nicht, dass er noch weiter fallen wird. Meine Vorhersage ist, dass wir Ende des Jahres wieder bei 50 bis 60 Dollar sind. Aber der Ölpreis hängt von so vielen Dingen ab, dass eine Vorhersage schwierig wird. B Lassen Sie uns noch ein bisschen in die Zukunft schauen. Es gibt so viele Unwägbarkeiten. Selbst die besten politischen Fachleute konnten die Ukraine-Krise nicht vorhersehen, Militärexperten nicht den wachsenden Einfluss der Terrororganisation ISIS. In allen Lebensbereichen wächst die Unvorhersehbarkeit. Alle Techniken entwickeln sich schnell. Am meisten könnte die Entwicklung die untere Mittelklasse treffen. Denn die Jobs vieler Menschen werden einfach ausgelöscht werden. Das ist eine große Herausforderung für die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren. Nicht nur in der herstellenden Industrie, nicht nur in Fabriken, nicht nur in Asien wird die Arbeitsmarktpolitik zur zentralen Herausforderung werden. Ich fürchte, dass durch die Digitalisierung auch viele Service-Jobs in der westlichen Welt verschwinden. Das wird unsere größte Herausforderung werden. B An den Börsen herrscht eine Bullen-Stimmung: Sollten wir uns für eine Krise wappnen? Nächstes Jahr gibt es noch keine. Einige Werte mögen vielleicht dramatisch überbewertet sein. Aber das macht nichts. Wir haben noch keine Spekulationsblase. Die muss sich erst aufbauen. 2015 können wir alle noch ganz ruhig bleiben. In Form bis zur Zeigefingerspitze: Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain hatte sich ein Fitness-Gerät ins Hotelzimmer stellen lassen (l.). Ragt strahlend hervor: Verleger Hubert Burda (u.). B I L A N Z / F e b r u a r Thomas de Maizière (o.) bekam ein Geburtstagsständchen von der Band, Nikolaus von Bomhard (l.), Chef der Münchner Rückversicherung, lauschte. Finanzjongleur Carsten Maschmeyer (o.). Mit einem „Spouse Ticket“ darf auch die Begleitung hinein (u.), verheiratet oder nicht. / 2 0 1 5 / 57 Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit Unternehmergattin Regine Sixt. / Unternehmer Oliver Samwer beim Begrüßungs-Marathon (o.). Hallöchen! Bertelsmann-Matriarchin Liz Mohn winkt auf kurze Distanz (u.). I D E E N / I N N O V A T I O N E N Zwei Uhr morgens, die meisten Gläser sind geleert! Wer noch weiterfeiern will, macht das an der Karaoke-Bar im Hotel Europe. Das halten nicht alle durch – ein kurzes Schläfchen macht wieder fit. / 58 / Heute schon gelacht? Investor Leonhard Fischer (2.v.r.) amüsiert sich mit der BILANZ-Frau Pawlu. FLÜCHTIGE GESPRÄCHE Fünf Chefs äußern sich übers Skilaufen, über Zylinder, ständig falsche Vorhersagen und eine „ganz trübe Grundstimmung“. JOSEF KÄSER Siemens CORNELIUS BAUR McKinsey Deutschland Was führte Sie nach Davos? Mich interessieren hier die Themen der Zukunft. Vor allem die Digitalisierung. Damit setze ich mich gerade sehr auseinander. Und wo steht Siemens, wenn es um die Digitalisierung geht? Wir sind super aufgestellt. Wir sind auf dem richtigen Weg und haben bisher alles richtig gemacht. Gratuliere, das können die wenigsten von sich behaupten. Dann haben Sie ja Zeit und können am Sonnabend beim Skirennen mitfahren. Vielleicht gewinnen Sie da auch noch? Nein, ich kann leider am Skirennen nicht teilnehmen. Ich muss nach Hause und die Hauptversammlung vorbereiten. Da hab’ ich Skirennen genug. Hat Davos grundsätzlich recht? Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass alles, was hier vorhergesagt wird, umgekehrt eintritt. Man könnte eigentlich darauf wetten, dass alles, was hier besprochen wird, genau anders kommt. Was denn zum Beispiel? Vergangenes Jahr war allgemeine Meinung: 2014 wird super. Dass Russland in so eine Sackgasse gerät, konnte keiner voraussehen. Dass die Weltwirtschaft auf einem Zylinder vor sich hintuckert, hat niemand gesagt. Es war nicht die Rede von ISIS. Das sind alles Entwicklungen, die niemand gesehen hat. Was ist für Sie das große Thema 2015? Ganz klar: die Digitalisierung. Wir brauchen eine Sicherheit der Cloud für die deutsche Industrie. CHARLES-ÉDOUARD BOUÉE Roland Berger Wie empfinden Sie die Stimmung hier in Davos? In den Sessions merkt man richtig, wie die Leute Angst vor der Zukunft haben. Es ist eine ganz trübe Grundstimmung im offiziellen Teil des Meetings... Ist es im inoffiziellen Teil anders? Ja! Auf jeden Fall! Hier bei den Empfängen und Partys sind alle gut gelaunt und fröhlich. Es herrscht eine ganz andere Atmosphäre als im Konferenz-Zentrum. Hier in den Gesprächen zeigt keiner Angst. Und das ist gut so! So ist es wieder ausgeglichen. Denn die depressive Grundstimmung spiegelt ja die Realität auch nicht wirklich wider. Was nehmen Sie aus Davos mit? Ich war in einer Session über die Perspektiven für die Zukunft. Das hat mich sehr beeindruckt. Unser Leben in zehn Jahren wird ein völlig anderes sein. Das werde ich auch unseren Kunden erzählen. Wir müssen viel verändern. Es gibt sehr viel zu tun! Es ist einfach zu viel passiert: Jürgen Fitschen von der Deutschen Bank hat morgens um sieben die ersten Treffen. SERGIO ERMOTTI UBS B I L A N Z / F e b r u a r / JÜRGEN FITSCHEN Deutsche Bank Wie waren die Tage in Davos für Sie? Ich habe das Gefühl, dass alle Teilnehmer ganz erschlagen sind von der Komplexität der Ereignisse der letzten Wochen. Von EZB bis Paris – es ist einfach zu viel passiert. Was heißt das konkret? Die Angst lähmt uns hier in den Gesprächen. Bevor wir in wirkliche Business-Talks einsteigen können, besprechen wir erst einmal die Weltsituation. Wir reden über Politik. Darunter leidet dann das Geschäft – so oder so. Was nehmen Sie für sich privat aus Davos mit? Leider gar nichts. Ich hab’ morgens um 7 Uhr die ersten Meetings und überhaupt keine Zeit, in irgendwelche Sessions zu gehen. Inspiration gibt es für mich wenn dann nur aus den bilateralen Gesprächen. Was hat Sie auf der Jahrestagung am meisten interessiert? Das waren auf jeden Fall die Digitalthemen. Die interessieren mich privat wie auch beruflich sehr. Wo haben Sie sich dazu informiert? Haben Sie dazu „Sessions“ besucht? Nein. Wir haben im kleinen Kreis ein fünfstündiges Meeting mit Experten veranstaltet und über Zukunftsfragen diskutiert. Und wie sieht sie aus, Ihre Zukunft? Wir sind Oldplayers und müssen uns ganz schnell ändern. Genauso wie viele andere Industrien auch. Die Autoindustrie hat ein großes Problem. Wir als Bank sind schon ein bisschen besser aufgestellt, aber wir müssen uns jeden Tag weiter anstrengen, dass wir keine richtige Klatsche kriegen. Das Spiel ist neu. Die old economy ist over. Es geht um völlig neue Herausforderungen. Und wir haben neue Gegner. Dessen sind sich die meisten noch gar nicht bewusst. 2 0 1 5 / 59 / I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 60 / EIN HERZ Text JÜRGEN SCHÖNSTEIN B I L A N Z / Programmierer sehen sich gerne als die neuen Rockstars der IT-Innung: Die New Yorker Agentur 10x vermarktet die besten Code-Künstler zu Spitzenpreisen. F e b r u a r / Fotos RODERICK AICHINGER 2 0 1 5 Januarsonne in Manhattan: Die 10x-Gründer Rishon Blumberg (l.) und Michael Solomon in beneidenswert guter Laune. FÜR NERDS / 61 / G I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 62 / reg Jorgensen (55) ist einer der höchstbezahlten Programmierer auf Erden. Eine Minute seiner Zeit kostet fünf Dollar, manchmal mehr. Dafür ist der Mann – wenn’s um seinen Arbeitsplatz geht – vergleichsweise genügsam und bescheiden: Ihm reichen ein Rechner mit Internetverbindung für den Schoß, ein Liegestuhl oder eine Hängematte, egal wo. Hauptsache, das Wetter ist gut, am besten in den Tropen am Strand. Dass Jorgensens Auftragsbuch stets gut gefüllt ist, selbst wenn er zum Tauchen in Belize oder nun auf absehbare Zeit in Bangkok weilt, verdankt er seinen Agenten. Jawohl, richtig: Heute haben auch Code-Künstler wie Jorgensen ihre eigenen Manager. Die sitzen, wie in Jorgensens Fall, einen halben Erdumfang von dessen Thailand-Idylle entfernt in einem schon etwas angejahrten Hochhaus in der 32. Straße in Manhattan, also jenem Teil von New York City, der weniger dem Herzen als schon eher den Achselhöhlen dieser Stadt zuzurechnen ist und wo sich die leicht müllsäuerlich riechende Straßenluft in einer durch eine Spiegelwand vorgetäuschten Eingangs-„Halle“ mit dem ranzigen Aroma von Bohnerwachs mischt, das diesem Büroturm so tief in den Poren steckt wie der Kohlenstaub in einer Bergmannslunge. Im 14. Geschoss hat die Agentur 10x ihr Quartier bezogen. Eine Firma, die von sich behauptet, nur die Weltbesten im Fach des Programmierens – die Großartisten und Rockstars unter den nerds also – an zahlungskräftige Auftraggeber zu vermitteln. Die 10x-Gründer Rishon Blumberg und Michael Solomon bringen Erfahrungen aus dem Schaugeschäft mit: Mit ihrer anderen Firma, Brick Wall Management, umhegen sie seit fast 20 Jahren ein gutes Dutzend betreuungsbedürftiger Musiker. Die beiden Mittvierziger, die sich seit der Grundschule kennen und wie ein Ehepaar gegenseitig ihre Sätze vervollständigen, haben beispielsweise dem Liedermacher und Rockmusiker John Mayer zu seinem ersten Grammy für „Your Body Is A Wonderland“ im Jahr 2003 verholfen. Dass Musiker wie Mayer oder Vanessa Carlton ohne ihre Manager aufgeschmissen wären, darf als gesichert gelten… Aber all diese Perl-, Python-, Javascript- oder Was-auchimmer-Virtuosen der Programmpaketbranche haben mit Musikern etwa so viel gemeinsam wie Hollandtulpen mit Königs-Strelitzien. Greg Jorgensen zum Beispiel erinnert mit seinem runden, kahlen Kopf und seinem freundlichen Lächeln eher an Charlie Brown als an Justin Timberland. Der allgemein verbreitete Verdacht, dass freiberufliche Programmierer nicht unbedingt über praktischen Geschäftssinn verfügen, hatte sich bei Blumberg und Solomon vor mehr als zehn Jahren zur Gewissheit verdichtet, als sie selbst zum ersten Male den einen und anderen Freiberufler angeheuert hatten, um die Heimseite ihrer eigenen Agentur und der von ihr betreuten Musiker zu erstellen. „Wir waren mit der Kreativität und der Arbeit der Programmierer zwar sehr zufrieden“, sagt Blumberg, „aber wir wussten auch, dass wir sie beim Aushandeln der Honorare ganz einfach über den Tisch gezogen hatten.“ Wenn’s um Kohle geht, lassen sich auch Künstler schnell lumpen. Doch so richtig fiel der Groschen erst, als sie hörten, dass die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, aber auch ein steifer Typ wie Mark Zuckerberg von Facebook immer häufiger von ideenlosen Journalisten als „neue Rockstars“ bezeichnet worden waren. „Da fühlten wir uns herausgefordert“, sagt Solomon. „Alles, was wir brauchten, war der richtige erste Klient.“ Der begegnete ihnen im Spätherbst 2011 in Gestalt von Altay Guvench (33): Harvard-Absolvent, Programme-Unternehmer, Musiker. Mit seiner Kapelle The Great Unknowns war Guvench sogar einmal gemeinsam mit den hierzulande weithin unbekannten Indigo Girls auf Tournee gegangen. D er Zufall sowohl wie ein gemeinsamer Bekannter sorgten dafür, dass sich die Laufbahnen Solomons und Guvenchs kreuzten. Das Problem des pausbäckigen Programmierers Guvench war indes nicht etwa der Mangel an Aufträgen: „Ich hatte mehr Arbeit, als ich stemmen konnte“, sagt er. Aber er habe „einfach keine Lust mehr“ auf den ganzen „Organisationskram“ gehabt. Also habe er sich bereit erklärt, das „Versuchskaninchen“ zu spielen, und war angetan: Innerhalb von 20 Minuten habe Solomon einen Vertrag für ihn ausgehandelt, der ihm nicht nur 50 Prozent mehr Honorar einbrachte, sondern ihn auch von der Abwicklung befreite, von der Auftragsbestätigung bis zum Rechnungschreiben. Dank Brick Wall Technology (wie sich die Agentur damals noch nannte) knüpfte Guvench darüber hinaus erste Verbindungen ins Silicon Valley bis nach Übersee: Google engagierte ihn, Ebay und Paypal, auch American Express, der Kaufhauskonzern Nordstrom und die London School of Economics and Political Science. „Meine Freunde merkten schnell, dass ich immer mehr Aufträge erhielt und immer weniger Büroarbeit hatte, und sie wollten natürlich wissen, wie sie selber einen Agenten finden könnten.“ Rasch kam ein Dutzend Anfragen zusammen, und Guvench fasste den Entschluss, sich nicht mehr von Brick Wall vertreten zu lassen – sondern, im Gegenteil, selbst Manager zu sein: „Ich werd’ euer Geschäftspartner“, eröffnete er den beiden Musikmännern Blumberg und Solomon. Und so entstand im Juli 2012 unter dem Dach von Brickwall Management die Agentur 10x. Der Name geht zurück auf die im Silicon Valley vorherrschende Überzeugung, dass die besten Programmierer zehnmal einträglicher und ertragreicher seien als die Abertausenden, Code-schreibenden Discountkräfte. Und weil sie fortan nur die Besten der Innung vertreten wollten, nannten sie ihre Agentur eben 10x. Fragt sich nur: Wer sind denn die Besten, und woran erkennt man sie? Im Digitalmilieu hält sich ja bekanntlich jeder für große Klasse, zumal Absolventen von Stanford, Carnegie Mellon oder MIT. Aber an denen, sagt Blumberg fintenreich, sei er gar nicht interessiert. Oho, denkt man: „Gar nicht interessiert“? „Mag sein, dass die brillant sind“, sagt er listig, „aber wir vertreten nur Leute, die phä-no-me-nal auf ihrem Gebiet sind und die dazu auch noch ein paar Jahre Erfahrung mitbringen.“ Wie etwa Adrian Holovaty, einer der beiden Urheber der Programmiersprache Django, die die Internetdienste Pinterest und Instagram sprechen. Oder ein anderer: Mathieu D’Amours, Mitautor von Coffeescript, einem Javascript-Umwandlungsprogramm; oder der Mann, der hinter Apples IcloudCode steckt (Namen nennen die Agenturbosse nur ungern. Solomon: „Ich zähle lieber ihre Errungenschaften auf“); oder eben Greg Jorgensen, der sich seit 30 Jahren auf die Reparatur von Programmen und Internetseiten versteift beziehungsweise spezialisiert hat, die als restlos hinüber gelten. Derzeit vertritt 10x ungefähr 80 Klienten, die Einnahmen betrugen im vergangenen Jahr fünf Millionen Dollar. 1.500 Leute, die sich um 10xBetreuung bewerben, haben es immerhin auf die Warteliste geschafft – nach etlichen Vorstellungsgesprächen, langem Prüfverfahren, Testeinsätzen sowie der Abgabe von Arbeitsproben und Empfehlungen. Der Aufwand lohnt sich für beide Seiten: 10x beansprucht und vereinnahmt 15 Prozent des Honorars, das sich selbst für die Vertretung eines Teilzeit-Programmierers wie den Bioinformatiker Max Nanis „auf 30.000 bis 40.000 Dollar im Jahr“ summieren kann. Was übrigens einem Jahreseinkommen von rund 250.000 Dollar entspräche und damit fast dem Doppelten dessen, was Programmierer im Silicon Valley verdienen, die keinen Agenten haben. Im Rechnergewerbe geben Männer den Ton an, Frauen spielen geschäftlich keine Rolle. Unter den 80 Kunden der New Yorker findet sich nur eine einzige Vertreterin des starken Geschlechts: Sara Argue, und die ist nicht einmal Programmiererin, sondern Grafikdesignerin und Illustratorin. Blumberg will aus verständlichen Gründen den Frauenanteil erhöhen: „Ich hatte gerade erst mit einer Programmiererin aus Seattle darüber geredet, wie wir mehr Expertinnen an Bord holen können.“ Solomon murmelt etwas von einer möglichen Frauenquote für ihre Warteliste. Aber er murmelt wirklich nur sehr leise. An Interessentinnen dürfte kein Mangel herrschen: Denn das Klima in den Programmierstuben der Silicon-Valley-Betriebe ist von berüchtigter Frauenfeindlichkeit; es ist so chauvinistisch, dass sich inzwischen der Spottname brogrammer eingebürgert hat – ein Wortspiel, das auf brother Bezug nimmt, aber besser mit einem von Testosteron triefenden „Kumpel“ zu übersetzen wäre. D ie Zustände haben viele begabte Programmiererinnen bewogen, sich aus der übertrieben männlich aufführenden Zunft zurückzuziehen oder sich dort gar nicht erst blicken zu lassen. Für diese Fachfrauen ist freiberufliche Arbeit zumeist der bevorzugte Ausweg. „Wir wollen diesen weiblichen Markt erschließen, und wir glauben, dass sich te noch keine Ahnung, wie ich die richtige Person für den Job finden sollte.“ Ein Bekannter empfahl ihr 10x, und es dauerte nicht lange, bis die New Yorker ihr einen Code-Jockey vermittelten, der das Progrämmchen zack, zack und elegant zurechtschneiderte für ungefähr 175 Dollar pro Stunde. Trotz der hohen Honorarrechnung schwärmt Elish, die Agentur-Idee sei „brillant“ – zufrieden scheint sie jedenfalls zu sein. Zufrieden ist auch der Code-Doktor Jorgensen: „Wenn ich mich mit meinen 55 Jahren im Silicon Valley um einen Job bewerben müsste, würden die mich wegen meines Alters nur schräg anschauB I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 Blumberg und Solomon: Wenn die anderen warten, gehen sie einfach weiter. das für alle wirklich lohnt“, versichert Solomon. „Denn wir haben auch viele Kundinnen.“ Andrea Elish beispielsweise: Die 44-jährige Textilunternehmerin hatte im Sommer 2013 die Idee, ein Dienstprogramm für das Iphone anzubieten, mit dessen Hilfe ihre Kunden – Innenarchitekten und Designer – Fotos schneller nach Größe, Ort oder Dekor sortieren und vorzeigen können (ohne dass, wie so oft, peinliche Familienfotos dazwischenrutschen). Doch wie man so ein Programm schreibt, wusste sie mitnichten: „Ich hat- en“, meint er. Dank der 10x-Agenten sei sein Alter kein Hindernis mehr, im Gegenteil: „So spricht meine Erfahrung sogar für mich.“ Und was ist eigentlich mit den Musikern, die immer noch von Brick Wall vertreten werden (mit Ausnahme von John Mayer, der die Agentur im Jahr 2005 verließ) und deren digitale Bedürfnisse dereinst den Keim für die 10x-Idee sprießen ließen? Werden deren Internetseiten und Mobiltelefon-Anwendungen jetzt wenigstens auch von der Crème, von den Rockstars der Programmierbranche, gedrechselt, mit denen sie ja schließlich das Management-Dach teilen? „Keine Chance“, sagt Blumberg achselzuckend. „So teure Programmierer können die sich gar nicht leisten.“ I / 63 / RÄNGE & LISTEN Neue Ideen braucht die Welt. Das haben auch die grünsten Banken erkannt. Von den Unis mit den meisten Nobelpreisträgern können sie aber noch lernen. Es grünt so grün Schnell im Kopf Bankhäuser bringt man selten mit dem Umweltschutz in Verbindung. Doch weit gefehlt: Hier sind Institute, die das Gute finanzieren. Die Überlegenheit der amerikanischen Hochschulen und Institute ist Konkurrenz-erschütternd, jedenfalls was ihre Erfolge im Nobelpreisgeschäft angeht. B A N K / Land / Punktzahl von 100 möglichen I D E E N SANTANDER Spanien / 85,1 1 BNP PARIBAS Frankreich / 82,3 2 UNICREDIT Italien / 81,8 3 1 / U N I V E R S I T Y O F C A L I F O R N I A (39) ROYAL BANK OF CANADA Kanada / 81,5 4 2 H A R V A R D U N I V E R S I T Y (35) GOLDMAN SACHS USA / 81,1 5 3 MAX-PL ANCKG E S E L L S C H A F T * (33) MIZUHO FINANZGRUPPE Japan / 78,8 6 4 HSBC Großbritannien / 78,7 S T A N F O R D U N I V E R S I T Y (21) 7 MITSUBISHI FINANZGRUPPE Japan / 78,3 8 SKANDINAVISKA ENSKILDA BANKEN Schweden / 77,0 9 I N N O V A T I O N E N / 5 MASSACHUSETTS INSTITUTE O F T E C H N O L O G Y (18) C O L U M B I A U N I V E R S I T Y (17) C R E D I T S U I S S E / Schweiz / 76,9 J . P . M O R G A N / USA / 76,9 10 10 7 DEUTSCHE BANK Deutschland / 76,3 12 7 Welche Banken am nachhaltigsten wirtschaften, ist eine Frage, die Tugendbolde seit Jahrzehnten umtreibt. Als Maßstab zur Beantwortung herangezogen haben die Zusammenzähler von Bloomberg die Menge des Kapitals, das die Institute in umweltverträgliche Energie erzeugung (Gewichtung: 70 Prozent) stecken. Einbezogen wurde frecherweise auch der Wasser- und Stromverbrauch der Banken selbst (30 Prozent). Für Investitionen in Kohle-Projekte gab es natürlich Schäm-dich-Abzüge. Hier schaffte die Deutsche Bank die volle Minus-Punktzahl (10). U N I V E R S I T Y O F C H I C A G O (18) 5 7 7 R O C K E F E L L E R U N I V E R S I T Y (17) U N I V E R S I T Y O F C A M B R I D G E (17) CALIFORNIA INSTITUTE O F T E C H N O L O G Y (17) Die am häufigsten belobigten Landsleute sind US-Amerikaner; mit Ausnahme der Literatur führen sie die Tabellen an in den Fächern Chemie, Physik, Medizin, Frieden und auch der Wirtschaft. Nicht unerfreulich ist der dritte Platz der deutschen Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die unter ihren Dächern 83 Institute arrangiert hat. Wer von der „University of California“ noch nie etwas gehört hat, dem sei gesagt, dass sich hinter diesem Allerweltsnamen die Unis von sage und seufze zehn Städten (u.a. Los Angeles, San Francisco) verbergen. 64 / Quelle: Bloomberg * mit Vorgängerin Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Quellen: Nobel Stiftung, Max-Planck-Gesellschaft Der Mann von heute macht nicht mehr auf dicke Hose. LEO Smartkey. Schlüsselbund war gestern. Jetzt für Euro Bestückbar mit bis zu 6 Schlüsseln Beleuchtete Bedienelemente Optionales Zubehör (u. a. USB-Stick) Aufladbar über Micro-USB LEDSuchleuchten Erhältlich* bei Conrad, Expert, Media Markt, Saturn, Telepoint oder bestellen unter www.leo-smartkey.de nur in teilnehmenden Märkten Schlüssel bereit auf Knopfdruck * leo-smartkey.de Ein Angebot der TrekStor GmbH, Kastanienallee 8–10, 64653 Lorsch. 69,– MATTHIAS MATUSSEK DER NEUE MENSCH P R I V A T P In der Buchinger-Klinik, wo Manager und Majestäten fasten, Hollywoodstars und Hungerkünstler, ging unser Autor in Klausur und traf auf Goethe, Walser, Pascal und den Geist der Geschichte. / 66 / Foto: Thom Atkinson/Gallery Stock DIE SATTE GENERATION Das Glück stellt sich am siebten Tag gegen 17 Uhr ein, unerwartet, unverhofft, unverdient. Ich liege auf dem Bett in der Villa Belgrano, in der Buchinger-Klinik über dem Bodensee, offene Verandatüren, draußen geht ein Sommerregen nieder, er rauscht auf die Rosen und die Büsche, er trommelt auf die Blätter der Bäume, das graue Rauschen zieht Himmel und See zusammen, der Regen fällt beständig und dicht, und mit ihm fällt dieses irrsinnige Glück über mich. Daseinsglück. Die Yogi- und Yoga-Literatur nennt es sheer bliss, den Zustand der Verzückung. Die Rosen, die Büsche, die Bäume bekommen, was sie brauchen, und ich, wonach ich mich, wonach sich wohl alle sehnen: Geborgenheit in der Ordnung der Welt, einer Welt, die überall sonst brennt. Oasenglück. Offenbarungsglück. Und ich bin angekommen in diesem Moment, alles ist gut, wie es ist. Alle Ängste sind gefallen, die persönliche und die Weltangst, sie sind einer gewaltigen Freude gewichen. Freude! „Freude, Freude, Freude“, heißt es auf Pascals berühmtem Mémorial, dem kleinen Zettel, den er sich in seinen Mantel eingenäht hat und der erst nach seinem Tod gefunden wurde. Dieser Zettel, auf dem er sich den Moment seiner Vision notiert hat, am 23. November 1654, sie dauert von 23.30 bis 1.30 Uhr. „Feuer“, hatte er aufs Papier gestammelt, und „Gewissheit“. Pascal war Mathematiker und Mystiker, ist Begründer der Hydrostatik – der Wissenschaft von den Gleichgewichtszuständen –, Erfinder der öffentlichen Omnibuslinie, und er hat viel gebetet. Es ging ihm ums ewige Leben. Ich weiß nicht, ob er aufhören wollte, zu rauchen. Wahrscheinlich hat er gar nicht geraucht. Er litt unter fürchterlichen Kopfschmerzen, sein Leben lang ertrug er sie klaglos, dieser Gigant der französischen Sprache und der Gottesergebenheit. Zwei Wochen zuvor hatte ich mit dem krebskranken Helmut Dietl telefoniert. Eine runde Million „Gitanes“ hat er für sich errechnet. Bei mir dürften es eine halbe Million „Marlboros“ sein. Fasten-und-Erneuerungs-Tage. Jetzt war der Zeitpunkt, darauf zurückzukommen. Ich hatte mir dafür ein Datum gewählt, das ich ganz sicher nie vergessen würde, eines, das wie ein Abdruck in Siegelwachs sein würde: den Tag nach dem Endspiel der Fußball-WM. Tatsächlich begann dieser merkwürdige und zerrissene Sommer, der Sommer der Erinnerungen an große Katastrophen (1914, 1939) ja mit diesem größten Fest des Planeten, der Fußball-WM, einem Spektakel aus der Vorzeit der Globalisierung, ein Kriegsspiel der Länderfahnen und Symbole, so ursprünglich und primitiv, so leidenschaftlich, in diesen WM-Tagen wurden alle zu Nationalisten. Es wäre der vierte WM-Titel meines Lebens, ich bin 1954 geboren, im Jahr der Helden von Bern. Und jetzt, am 14. Juli 2014? Wie wir uns in den Armen lagen, die Nachbarn, Familien aus dem Haus, Freunde, eine Notarin und Politikerin darunter, die sich nie Fußball anschaut, komisch, wie sehr das nationale Zugehörigkeitsgefühl wuchert, heimlich, unausrottbar in unserer globalisierten Welt. Ich hatte mir und meiner Frau versprochen, dass ich im Falle eines Sieges mit dem Rauchen aufhören würde. Ab Mario Götzes Tor in der 113. Minute hatte ich dann durchgefeiert. Die Umarmungen bei uns und in Rio, die Schalten auf die Fanmeilen, schwarz-rot-goldene Fahnenmeere, Jubel, das Feuerwerk, der GoldlamettaRegen, die Kanzlerin, der Bundespräsident, und Papa Poldi spielte auf dem Rasen im nächtlichen Rio mit seinem Jüngsten Fußball. Viele Biere bei uns, darunter ein original argentinisches („Quilmes“), ein paar Schnäpse, während der nächtlichen Wiederholung ein oder zwei Joints, ich wurde von dem tunesischen Fahrer, der mich am Flughafen Zürich erwartete, in der Klinik angeliefert wie das Terminator-Wrack mit schwachem flackerndem Restglimmen im linken Auge. Alles auf null. Bitte heil machen. Durch Fasten. Fasten ist freiwilliges Hungern, und Hunger ist das Gefühl, das meine Generation – jenseits von krankhaften Essstörungen – NICHT kennengelernt hat. Wir Friedensgeneration. Wir satte Generation. Wir kennen Hunger aus der Tagesschau. Natürlich kenne ich „Hunger“ aus der Literatur. Knut Hamsun. Ich litt körperlich bei der Lektüre. Léon Bloy, der katholische Fanatiker, der es sich mit allen verdarb, er selber litt Hunger ein Leben lang, weil ihn seine Schriftstellerei nicht ernähren konnte und weil er sich mit allen anlegte. Von seinen vier Kindern verlor er zwei an den Hunger mitten in Paris, ein heiliger Verrückter, ein brennender Autor. Ich hatte Beistand. Mein jüngerer Bruder Peter, Professor für Kulturwissenschaften, fastete mit, er zum dritten Mal. Früher Sannyasin wie Sloterdijk, Goethe-Spezialist, forscht über Erinnerungstechniken, ein spielendes Genie, Internettüftler, voller Anekdoten aus der Welt der Philosophie, von Gestalt größer als ich und ein wenig schwerer. Mein Bruder, der Fastenprofi, versorgt mich abends auf dem Parkdeck der Klinik mit meiner Henkersmahlzeit: ein Paar Landjäger, eine letzte Dose Bier, eine letzte Zigarette. Sie glühte ein letztes Mal auf, wie passend die Bezeichnung „Glimmstängel“, ein letztes Inhalieren, tiiieef, dann B I L A N Z P / R I V A F e b r u a r T / 2 0 1 5 / 67 / wird er weggeschnipst, lässig, als gäbe es endlos Nachschub, und die leere Schachtel fliegt hinterher, gekonnte große Ekelgeste, mein Gott, Basti Schweinsteiger hat sich tackern lassen und ist wieder aufs Feld gestürzt, da werde ich doch zu meinem Wort stehen! Für beides gilt Leni Riefenstahls Motto: Triumph des Willens. Peter nickt beeindruckt, was mir von seiner Seite selten passiert. Er selber wird weiterpaffen. Fasten, sagt er sich, ist Stress genug. Letzte Abendröte über dem See, die dann von aufziehenden schwarzen Wolken ausgelöscht wird, Tintenkleckse, die sich rasch vergrößern, Unheilszeichen, ein Himmel wie am Ende des ersten Teils von „Vom Winde verweht“, als Vivien Leigh sich aufrichtet auf dem Feld vor dem niedergebrannten Tara und sagt: „Ich schwöre bei Gott, dass ich nie wieder in meinem Leben hungern werde.“ Ich übersetzte mir den düsteren Schwur: hungern, meinetwegen, ein paar Tage, aber nie wieder rauchen? P R I V A T / 68 / EIN ZAUBERBERG Am nächsten Morgen erkenne ich: Diese Klinik strahlt. Sie ist in einem Villenviertel am Hang über dem Bodensee angelegt wie ein Trichter. Da ist der sonnenbeschienene kreisrunde Platz vor dem Empfang mit seinen Blumenrabatten, und von dort wirst du regelrecht reingesaugt von einem freundlichen und allerkompetentesten Lächeln. Verleger wie Joachim Unseld, Publizisten wie Karasek, Wirtschaftsbosse wie Josef Ackermann oder bekannte US-Schauspieler sowie Angehörige europäischer Fürstenhäuser suchen dieses exklusive Refugium über dem Bodensee regelmäßig auf, um zu „entschlacken“. Am Empfang nimmst du den Schlüsselanhänger mit dem blauen Band entgegen, eine Initiation, mehr brauchst du nicht, jetzt gehörst du dazu, zur fastenden Ritterschaft, die medizinische Voruntersuchung wird festgelegt, dann die Stundenpläne, Massagepläne, Essenspläne, du musst gar nichts mehr viel selber tun, außer Entscheidungen treffen für oder gegen Shiatsu- oder Ayurveda-Massage, Myoreflex, Heusack oder Akupunktur. Mal sehen. Ich hab’s mit der Schulter. Ich will ein neuer Mensch werden. Das findet die aufnehmende Ärztin, Frau Dr. Hebisch, in Ordnung: „Sollte man sowieso alle fünf Jahre machen.“ Alle vier Jahre, würde ich vorschlagen, das wäre das WM-Intervall, das müsste auch hinhauen. Was für ein sensationeller Sommer hier oben über dem See, der durchpflügt wird von den winzigen weißen Segeln der Yachten, von den Fähren, die nach Konstanz kreuzen, unten die Segel und oben weiße Wattebällchen im azurnen Himmel, wie in einem durchsichtigen Spiegel, wie ein Eintritt in eine andere Welt. Der dress code ist denkbar einfach: flauschige weiße Bademäntel. Die Essenspläne sind eigentlich Nicht-Essenspläne: viel Wasser trinken, morgens Tee, ein wenig Honig, um 11 Uhr einen Apfel, den man sich einteilen kann, mittags eine Suppe, die wir in der Suppenlounge einnehmen werden mit Panoramablick auf den See, der eigentlich ein Fünf-Gänge-Menü und Streichermusik verdient hätte. Wir hängen in diesen unendlich bequemen, drehbaren Nierensesseln, die einer PanAm-Lounge aus den 50ern entstammen könnten, wenn sie hellblau wären statt modisch braun und grau, eine Art luxuriöse Raumkapsel, diese Suppenlounge. Unten der See, hier oben gedämpftes Geplauder der erinnernden Art, könnte in einem Zeppelin um die Jahrhundertwende stattfinden. Ich lerne Dagmar Konsalik kennen, die Tochter des Meisters („Der Arzt von Stalingrad“), sie ist schon mindestens zum zehnten Mal hier, diesmal mit einer alten Freundin, sie ist eine TV-Produzentin und Mutter eines Jungen, der so alt ist wie meiner, wir nörgeln bildungsbürgerlich über die Computer-Ballerspiele, wahrscheinlich, weil wir sie nicht mehr so richtig kapieren. Sie ist auf dem Weg nach Bayreuth, ich auf dem Weg ins Licht. WIR DEUTSCHEN Eine bunte Truppe, die das Schicksal da zusammengewürfelt hat, einige Saudis, die öfter hierherkommen, um sich auf den Ramadan vorzubereiten, französisch sprechende Marokkaner, Algerier, doch in der Mehrzahl Deutsche. Dazwischen Neugierige aus Übersee, die uns als Forscher besuchen, uns, die Deutschen. Da ist Cathy, die für die New York Times schreibt, selbstverständlich Nichtraucherin wie die meisten hier, also im Vergleich zu mir unter erleichterten Bedingungen. Anschließend an ihre Hungertage will sie einige Sterne-Restaurants in Baiersbronn im Schwarzwald testen: Fasten und schlemmen, beides offenbar sehr deutsch, warum ist das so?, fragt Cathy. Ja, wir Deutschen, sinniere ich, genauso dramatisch und nachdenklich, wie sich das eine New Yorker Intellektuelle erwarten darf angesichts unserer Schreckensgeschichte, also, wir Deutschen, und ich senke die Stimme, wir neigen wohl zu Extremen … Ehrlich gesagt, hätte ich mich jetzt lieber über den extrem erfreulichen deutschen Fußball verbreitet, noch einmal diesen Lauf von Schürrle an der linken Außenlinie besingen, eine letzte Anstrengung in dieser Nacht der erfüllten Träume, die 113. Minute, der bedrängte Flankenschlenzer auf Götze, der nimmt den Ball mit der Brust, liegt quer und spitzelt ihn mit links ins lange Eck, das war ein Mozart-Menuett, gnädige Dame aus New York, ach was: Das war Beethovens Neunte, das war ... aber Cathy hat kein Interesse an deutschem Fußball, sondern an deutscher Esoterik, deutschen Rätseln, deutscher Seele. Bediene ich gerne. Interessiert mich nämlich auch. Hippiematerial, wenn man genau hinschaut, all die Lebensreformer um die Jahrhundertwende, die Kommunen, die antibürgerlichen Außenseiter, Radikalengeschichten, wer sind wir Deutschen? Auf alle Fälle experimentierfreudig im zwanzigsten Jahrhundert, medizinische und lebensphilosophische Durchbruch-Genies, Koch, Röntgen, Virchow, Daimler, Siemens, Planck, Freud (klar, nehmen wir den dazu), dann Rudolf Steiner, Bircher-Benner, Schroth, Buchinger, Typen mit Bärten und dem Feuer von Weltverbesserern. All die modernen Wellnesstherapien, ja, die moderne Ernährungs- und Diätwissenschaft nimmt ihren Ausgang hier, unter Deutschen und Schweizer Pionieren, Revolutionären, zu denen auch die Sonnenanbeter und Vegetarier gehörten, die Wandervogel-Bewegung, die Avantgardisten auf dem Monte Verità im Tessin. Hermann Hesse pilgerte dorthin. Wie seltsam, dass damals, zu Beginn des mörderischsten Jahrhunderts der Geschichte, so sehnsüchtig und dringend vom neuen Menschen geträumt wurde, in der expressionistischen Lyrik, in der Kunst, und später wurde dieser Traum zudem von einer neuen Herrenrasse pervertiert oder dem einer neuen Herrenklasse, zum albtraumhaften Mega- und Züchtungsprojekt weitergetrieben, mit Millionen von Toten. „Der neue Mensch“ hieß eine Plastik von Otto Freundlich, sie sah den ungerührt blickenden Riesenköpfen der Osterinseln nicht unähnlich, ja, der neue Mensch sah aus wie der uralte. Wie eine Götze. Der Künstler Freundlich wurde von den Nazis als entartet gejagt. Draußen hinter der Panoramascheibe schimmert der See, und Cathy nickt gedankenverloren über ihrer Gemüsesuppe. Sie ist blass und trägt ein graues T-Shirt, sie durchläuft eine schwere Lebenskrise, ihr Partner ist gestorben, „nach langer Krankheit“, wie es in solchen Fällen heißt. Sie hat in der Redaktion gearbeitet, während er dahinsiechte, und nun hat sie auf die Stopp-Taste ihres Lebens gedrückt. „Leider zu spät“, sagt sie. Sie hätte gerne mehr von ihm gehabt in seinen letzten Monaten. Nun liegt er tot da, in ihrer Lebensspur, und sie betrachtet und mustert und betrauert diesen monumentalen Schaden, der erst einmal verarbeitet werden muss. Sie hat ihre Festanstellung gekündigt. Um zu trauern. Und um an einem Buch zu arbeiten, das ihr schon lange am Herzen liegt. Die Buchinger-Klinik bietet den Einschnitt, die Pause, die Chance zum neuen Leben. DER FASTENHEILER Otto Buchinger, die imposante Gründerfigur, Chirurgenschädel, kantiger, kahl rasierter Klotz wie der von Benn, er ist hier oben in der Klinik nicht zu übersehen. Am Ende des Flurs mit den Behandlungszimmern nämlich klebt er auf der Stirntür als lebensgroßes Foto, er überwacht das Heiltreiben im hellgrauen Dreiteiler mit durchgeknöpfter Weste, weißes Hemd, Krawatte, der weiße Kittel darüber steht offen, prüfender Blick – DER SIEHT ALLES –, die Andeutung eines Lächelns, noch im Alter ist die Mensur sichtbar, die er sich als Student in Göttingen verpassen ließ. Wie bei vielen Außergewöhnlichen ein merkwürdig verschusselter Beginn. Wollte eigentlich Jura studieren, entschied sich dann, weil er gerne ausschlief, wegen der späteren Vorlesungszeiten für Medizin. Die damals übliche Schlagende Verbindung in Göttingen, Bier, Zoten, Strafanzeige wegen öffentlichen Unfugs, aber auch das andere: der Hunger nach dem ganz Neuen, ganz anderen, Philosophie und Lieder mit Freunden auf Wanderungen durchs Gebirge. Ich weiß nicht, ob ich ihn sympathisch finde in seiner Lebensstrenge, diesen zunehmend fanatischen Abstinenzler, der wie unsere Grünen den Veggie-Day einführen wollte, und das in der kaiserlichen Marine, wo er als ärztlicher Betreuer auf der S.M.S. „Hertha“ durchs chinesische Meer dampfte, zum Teil als Begleiter des Kaisersohns Prinz Adalbert. Besuch beim Vizekönig von Indien, wo er auf Lord Kitchener trifft, später eine erste Begegnung mit einem fastenden Brahmanen, die ihn bewegt. Er notiert in sein Tagebuch: „Dick, faul, und das Hohe schwindet. Ich muss fasten.“ Buchinger ist Goethe-Leser, Goethe-Bewunderer und begreift wie dieser Ausnahmemensch das Leben als Kunstwerk, das zu gestalten ist. Pflanzen, Tiere, Menschen, alle sind auf ein „Werdeziel“ ausgerichtet, das gefunden werden muss, ausgehend von einem „Urbild“. Das ist die Eschatologie der Lebensreformer, die Hoffnung auf eine innerweltliche Vollendung. Ich bin sicher, dass jede Menge Frauenzeitschriften sich bereits mit Buchinger beschäftigt haben. Frauenzeitschriften sind heute die letzte Bastion der Sinnsucher und Lebensüberprüfer und Selbstbefrager. Frauen machen sich mehr Gedanken über den neuen Menschen, vulgo: den neuen Mann. Sie müssen es wohl, weil sie es ja sind, die unter dem alten so leiden. Buchinger ist Oberstabsarzt. Er wird in ein Marinelazarett in die Nähe seiner jungen Familie abkommandiert. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 69 / P R I V A T Notiert: „Kaltgestellt, während die anderen Aktiven Leib und Leben einsetzen.“ Kurz darauf der Einsatzbefehl auf den Panzerkreuzer „Roon“. So war das vor 101 Jahren, 1914: Alle hielten diesen Krieg für unausweichlich, alle wollten sich in ihm bewähren. Tatsächlich, Buchinger hofft auf die Schlacht. Der Abschied von der Familie schmerzt, aber: „Ich freue mich, dass ich mich ganz in der Gewalt habe. Komme nun, was wolle. Ich glaube, ich bin bereit.“ Das August-Erlebnis hat auch ihn gepackt. Ich lese das alles in diesem blauen Leinenband „Otto Buchinger – ein Leben für das Heilfasten“, den es hier, neben Hornkämmen und Naturprodukten und Diät- und vegetarischen Rezepten, im Klinikladen zu kaufen gibt. Ich spaziere durch die Gärten, ich lasse mir die Leberwickel legen, alles ist hier verlangsamt auf diesem Zauberberg, ich denke über 1914 nach, wie fühlten sie sich im Sommer 1914, unausdenkbar, wir haben Clarks „Die Schlafwandler“ und Friedrichs „14/18“ gelesen und sind dem Bewusstsein und dem technischen Niveau der Damaligen doch so fern. Denen wurde schwindelig, als auf den diversen Weltausstellungen die erste Rolltreppe, der erste Propellermotor, der erste Reißverschluss vorgeführt wurde. Und danach wurden sie zur Schlachtbank geführt. Heute erleben wir das Wunder der Gleichzeitigkeit dank des Internets. Wir skypen mit Freunden in Brasilien, wir sind mit Surfern vor Australiens Küste unterwegs oder im Beschuss von Aleppo und mischen uns auf Facebook in Debatten darüber ein. Wir mögen vielleicht die Generation ohne Schicksal sein. Aber wir sind auf alle Fälle die Generation, die den kräftigsten Innovationsschub der bisherigen Menschheitsgeschichte zu verkraften hat. Vielleicht sind ja unsere Sauriergehirne nicht in der Lage, auf der Höhe der Zeit und ihrer technischen Möglichkeiten zu denken, vielleicht bleibt uns gar nichts anderes übrig, als hinter uns herzuhinken. Ja, vielleicht erleben wir gerade die Übergangsstelle zum neuen Menschen, den digitalen, vernetzten, auf alle Fälle ernährungsbewussten und nichtrauchenden Zeitgenossen. Eine neue Anthropologie! Und gleichzeitig wehen schwarze Fahnen mit altarabischen Schriftzeichen, machen sich fanatische Killerhorden auf, ein Kalifat aus dem 7. Jahrhundert zu errichten und Europa neu zu erobern. BUCHINGERS BLUMEN 1914 arbeitet Otto Buchinger auf seiner „Roon“, medizinisch verantwortlich für die Besatzungen von 17 Kreuzern, in der Kieler Bucht. Bürokratie. Kaiser Wilhelms / 70 / Flotte wird nicht gebraucht. Buchinger arbeitet Essenspläne aus, die Fleisch reduzieren. Kaum Feindberührung, bis ein englisches U-Boot der „Roon“ ein Loch schießt. Ein Kollege, gläubiger Christ, philosophiert mit ihm durch die Nächte und berührt Buchinger. Und er versteht, was unser Blaise Pascal notierte: „Das Herz hat für so manches seine guten Gründe, die die Vernunft gar nicht kennt.“ 1917 erleidet Buchinger einen körperlichen Zusammenbruch. Eine nicht auskurierte Mandelentzündung führt zu zermürbendem rheumatischen Fieber, Infekt-Arthritis, Internisten erklären ihn für bordunfähig, das Abschiedsgesuch wegen Invalidität muss eingereicht werden. Schließlich trifft er 1919 auf den praktischen Arzt Dr. Riedlin, einen weiteren Lebensreformer, der auf Fasten schwört. Die Kur gelingt. Buchinger notiert: „Als ich am 19. Tag das Fasten beenden musste, war ich schwach, mager, aber – ich konnte alle Gelenke bewegen wie ein gesunder Rekrut.“ Die Kur, so schreibt er, „rettete mir wahrhaftig Existenz und Leben“. Seitdem ist Buchingers Heilfasten durchgesetzt. Erste Praxen und Kliniken in Witzighausen, dann in Bad Pyrmont, schließlich in Überlingen und in Marbella, ein Fasten-Imperium, das natürlich auch besticht mit dem Versprechen blitzartiger Gewichtsabnahme. Pro Tag ein Kilo. Logisch – viel Wasser fließt ab, der Darm entleert sich, was kommt da noch auf die Waage? Zauberberg. Großer schöner Pool, geheizt, Liegewiese daneben und der Kraftraum mit den Geräten der Villa Larix und dahinter der weite blaue See mit den grünen Ufern, den weißen Villen, den Schindeln der älteren Schlösschen und die hübsch hingetupften weißen Segel. Wie hat es Martin Walser, der irgendwo da unten schon sein Leben lang wohnt, wie hat er es nur geschafft, aus diesen ordentlichen, satten Menschen an den Ufern des Bodensees diesen Wahnsinn zu schlagen und diesen Wahnsinn auch noch so wahnsinnig pedantisch zu beschreiben? Buchingers Klinik ist vom Seeufer unten den Hang hinaufgewachsen am Rande eines wunderschönen Parks, als Erste war da diese Villa dort unten aus den 20erJahren, dann kam, oberhalb davon in den 50er-Jahren, das Ärztehaus, dann in den 70ern wieder höher die erwähnten Villa Larix und Villa Bellevue und das heutige Haupthaus. Als letzte Erweiterung wurde die hyperleicht-wirkende Villa Belgrano an den Hang geklebt, wie die luftige Takelage eines Dreimasters, der Zugang erfolgt auf Höhe des Mastkorbs, Terrassen vor den Zimmern darunter, viel Glas, viel Grün, und auf die verputzte freigestellte Bergwand sind Zauberwörter gemalt wie „Eberesche“ oder „Glockenblume“, „Eichhorn“, „Taubnessel“, „Steinnelke“, „Rainfarn“, „Wegerich“, „Türkendolch“. Bildreiche Bauernsprache, schönste Beschwörungen aus einer Zeit, in der Wort und Gegenstand verschmolzen zu Bildern, Eichendorff-Magie. „Ich hör die Bächlein rauschen / im Walde her und hin / im Walde in dem Rauschen / ich weiß nicht, wo ich bin.“ Das klappert und kreist so wunderschön in sich, in seiner eigenen Welt. Und tatsächlich wiederholt sich das Wunder, denn draußen ist dieses beschworene Naturorchester aus Feld- und Wiesenblumen tatsächlich gepflanzt, am Weg zum Haupthaus. Brusthohe Gräser und Blumenstauden und Blütenberge, die ihre duftenden Wolken verströmen, anmutige blaue Glocken und gelbes Strahlen und glühend schwere rote Rosenglut und zitternd die Gräser, Aromen, die den Geruchssinn wachkitzeln und küssen und das Hirn benebeln und so toll zum Klingeln bringen. Ein Geruchs-Flash. Die Sinne öffnen sich. Die Müdigkeit? Sie ist normal, sagen alle. Wer müde ist, soll sich hinlegen. Ich liege viel. Bei mir kommt als zusätzlicher Schlappmacher dann doch der Nikotin-Entzug hinzu. Ihr Hochzeitsfoto. Es ist das ernsteste und traurigste. Sie trägt dunkel. Der Mann an ihrer Seite ist mager und krank, die Chancen stehen nicht gut. Warum heiratet man jemanden, kurz vor seinem Tod?, frage ich sie später. „Ich hätte ihn sonst nicht pflegen können, die Zeiten waren so.“ Muss ich mit meinem Bruder erörtern, aber der Professor ist nicht auf dem Zimmer, sondern auf dem Parkdeck, wo die Raucher stehen und sitzen und wo er sich regelmäßig mit Ismael und Saheeb und den anderen lustigen Paffern von der arabischen Halbinsel trifft. Auf meiner Seite: der Triumph des Willens. Auf der anderen: entspannter Humor. Galgenhumor, möchte ich sagen, Herrschaften, denn Rauchen verkürzt das Leben! „Fasten ist hart, nicht wahr?“, fragt Peter einen seiner orientalischen Freunde dort am Aschenbecher. „Oh yes, very hard“, sagt der und grinst, „but you know, I steal from the kitchen.“ Und lacht und lacht und klatscht sich auf seine ansehnliche Wampe, nach den Motto: Man muss das nicht alles so schrecklich ernst nehmen. DIE ZEIT AUFBRUCH Die Entsagung als Luxusprogramm, das schlägt jede Thailandreise. Dort, wo das Fasten hinführt, ist man seltener. Leicht, durchsichtig und sehr bei sich. Fasten. Das wirft den Schatten der Wüsteneremiten, der Säulenheiligen, der Entsagungskünstler bis hin zu denen Kafkas. Jesus fastete in der Wüste, in vielen Religionen gibt es Fastentage, Gandhi pries das Fasten so: „Was die Augen für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere.“ Meinen Bruder verliere ich tatsächlich aus den Augen, er hat ohnehin zu tun. Er schneidet einen Film zusammen, den er zum Geburtstag der Mutter vorführen wird. Ein schwungvolles biopic aus alten Kindheitsfotos und Wochenschau-Aufnahmen, das jeden Frauenparteitag begeistern dürfte. Jawohl, die Weltgeschichte hat ihre Jubiläen, und die Familie hat ihre. Mutter wird 90. Ich blättere mich auf meinem Zimmer durch ihre Alben, teilweise noch mit Holzdeckeln, da sitzt sie als kleines lockiges Mädchen, vielleicht vier Jahre alt, auf dem Trittbrett eines „Horch“ in den 20ern, eines prächtigen Sechssitzers, ihr Vater war Industrieller. Und dort als Teenager, schüchtern und klein und in weißen Kleidern, mit ihren beiden anderen Schwestern und dem älteren Bruder, sie war die Schönste. Und all diese glänzenden Kinder- und Jugendgesichter ahnen nicht, wie bald die Welt im Inferno versinken wird. Auch sie hat Hunger erlebt. Wie sie später die wachsende Familie gestemmt hat und dazu den eigenen Mann, der tuberkulös aus dem Krieg heimkam und studierte. Spätestens nach drei Tagen fällt der Appetit, fällt das Gefühl des Hungers, der ja oft nur emotionaler Hunger ist, dieses Mangelgefühl, das wie ein unruhig schlafendes Tier ständig präsent ist, plötzlich ab. Ein Gefühl von Leichtigkeit ergreift Besitz. Ja, ich werde leicht und wach und rastlos, die Fachliteratur kennt das von den Kaiserpinguinen, die auf ihren Hundert-Kilometer-Gewaltmärschen ins Landesinnere zum Brüten von ihren Fettreserven leben müssen. Also, er übernimmt das Brüten, während sie zurückwatschelt, um Nahrung zu holen. Nun, und wenn sie sich verspätet, wird er nervös, dann muss er los, leicht und beschwingt, und lässt durchaus mal das Junge im Stich. Wir sind Kaiserpinguine, jetzt vom Prinzip her. Ich habe Lust auf die Welt jenseits des Zauberbergs. Ich stifte meinen Bruder an zu einem Spaziergang an den See, durch den Park mit den kunstvollen Blumenrabatten, die aussehen wie Wappen, die dort für Nichtraucherkönige wie mich gepflanzt wurden, mediterran die Palmen, unten glitzernd und schwappend der Bodensee, unser Lago Maggiore, und an der Promenade sitzt ein Mädchen im weißen Kleid und spielt Harfe. Deutschlands fettes Südseeparadies. Spirituelle Wende? Ach was, alles so schön hier. Jetzt doch mal hinsetzen, ungewohntes Gehetze. Vor allem die Hektik, das Geschiebe hier an der Promenade, wie hält der menschliche Organismus das aus? Die Ausflugsdampfer und die Cafés, zwischen den B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 71 / P R I V A T / 72 / Tischen schaukeln Kellner ihre Tortentürme und Eiskreationen, wir bestellen Wasser, diesmal mit Kohlensäure und Zitronenscheibe, man gönnt sich ja sonst nichts. Danach, im Gedränge, ein Blick auf den grotesken Martin-Walser-Brunnen, barbusige Nixen stemmen mit endlosen Schwanzflossen ein Brett in die Höhe, auf dem, verdrossen wie ein missmutiger Postbeamter, der Schriftsteller Walser mit Aktentasche auf einem Pferde sitzt. Das Pferd sträubt sich und stemmt sich gegen diesen Ritt über den Bodensee, eine groteske und leicht gehässige Alberei des Künstlers Peter Lenk, dem nichts heilig ist, übrigens auch die Päpste und Kaiser nicht, die er gegenüber in der Konzilsstadt Konstanz karikiert hat, doch der Literaturfürst Walser lebt hier, und er hat sich tatsächlich beschwert. Enttäuschend. Sollte ihm im Alter die Fähigkeit zur Selbstironie abhandengekommen sein? Allerdings sieht das Denkmal wirklich beschissen aus. Der Marsch zurück wird beschwerlich, diesmal bergan, dem Bruder pfeifen die Bronchien, während mir schon jetzt ein paar Kubikliter Sauerstoff mehr in die Lungen strömen, prima! Ich überspiele eine eigene kurze Verschnaufpause mit einem Stegreifvortrag über die Vorteile des NICHTRAUCHENS, da kann er noch so viel Professor und Doktor sein. Ich schlafe besser. Ich rieche besser. Meine Sinne sind geschärft. Ich habe ... keinen Hunger!!! Was ist da los? Vortrag in der Villa Larix. Die Buchingersaga ist ein epischer Stoff, der einen missionarischen Einzelnen gegen die Masse setzt, den Propheten gegen die Unerleuchteten, den Außenseiter gegen die Schulmedizin, und davon erzählt sie bis heute. Sie erzählt auch von der Hinwendung eines Arztes und Atheisten zur Religion – spät im Leben konvertierte der einstige Freigeist zum katholischen Glauben. Fasten bei Buchinger ist nicht mehr nur Entschlacken, sondern eine geistige Übung. Immer noch raten Ärzte vom Fasten ab, da Organismus und Kreislauf allzu großen Belastungen ausgesetzt seien. Weshalb es immer noch dieses Erweckungsleuchten in den Gesichtern derer gibt, die es betreiben und propagieren, ein Leuchten, das aus dem Kampf mit Widerständen gewonnen wird. Auftritt Françoise Wilhelmi de Toledo, Ärztin und Ehefrau des Klinikchefs Raimund Wilhelmi, so spanisch kastagnettenstolz und verhalten feurig wie ihr Name, und wenn sie vorträgt, dann tut sie es mit einem leischtööön französischönn Akzent, und ich bin sofort hin und weg, weil ich mich an meine Jugendverzückung für France Gall erinnere. Madame Toledo hat silberweißes Haar über funkelnd schwarzen Augen, und sie steht in diesem Vortragssaal vor ihren Powerpoint-Schaubildern wie die Reiseführerin in eine Geheimniswelt, in der sich Wissenschaft und metaphysische Weisheit tatsächlich nicht im Wege stehen. Rund 20 Fastende, unter ihnen Harvards Miriam Bredella, die ein Fettleibigkeits-Forschungsprojekt an Harvard leitet („Wir müssen da völlig umdenken, das hab ich hier verstanden“), unter ihnen auch Niklaus Brantschen, Jesuitenpater und Zen-Großmeister, interreligiös engagierter Theologe. In seinen Büchern schreibt er über die Parallelität von ignatianischen Exerzitien und Zen-Praxis. Er hat jüngst ein Bekenntnisbuch über seine zölibatäre Liebe zu einer Frau veröffentlicht. Mann und Frau, sagt er, sind wie Schwingen eines Vogels, der die Menschheit voranbringt. Nun ist er mit einer Schwinge unterwegs, seine Freundin ist gestorben. Er trauert. Auch Gläubige können in Depressionen, in schwarze Trostlosigkeit, abstürzen. Solche Leute sitzen da. Solche, die ihren Körper entschlacken oder ihre Seele, die Ruhe brauchen oder die Lebenspause. Der neue Mensch braucht Reinigungsrituale, Umkehrprozesse: Madame Toledo spricht über die drei Fasten-Dimensionen, die in allen Religionen die gleichen sind: Beten – Almosen geben – Fasten, also die spirituelle, die soziale und die körperliche Dimension. Die Tage in der Buchinger-Klinik sind wie ein Besinnen, auf das ein großes Aufwachen folgt. Mit jedem Tag fließt neue Energie. Am Schlusstag treffe ich auf Raimund Wilhelmi, der mir diese Sache eingebrockt hat, und ich schwärme wie ein Klosternovize von inneren Erlebnissen. Ich bin fünf Kilo leichter und Nichtraucher und bin sonnengebräunt und tiefenentspannt. Das Familientreffen, was für ein Fest. Wir fünf Brüder sind harmonisch gestimmt wie seit Jahren nicht. Bei uns allen hat sich, so scheint mir, die Erkenntnis durchgesetzt, dass unsere Tage gezählt sind auf Erden. Aber ganz besonders die der Mutter. 90 Jahre! Auf ihren Stock gestützt, betritt sie die Terrasse des Hotels, trotz ihrer Hüftschmerzen mit dem Lächeln einer abgedankten Königin. Lächeln war immer ihre Devise. „Kinder, lächeln!“, hieß das beschwingte Kommando, bevor auf den Auslöser gedrückt wurde, und an diesem Tag lächelt sie über ihre Müdigkeit und ihre Schmerzen hinweg. Ganz in Weiß ist sie gekleidet, Hose, Bluse, Jacke, mit silbernen Perlen. Und so klein ist sie. Es stimmt alles an diesem Tag, das biopic des Bruders, die Erinnerungen der Kinder, das Wetter, eine Familienfeier mit Tratsch und Erinnerungen und Diskussionen zur Weltlage und Schweigen und Geplauder bis spät in die Nacht zu Kerzenlicht. Teller, Lügen im Radio, ein Blick aus dem Fenster in die noch junge, seit sieben Jahren abgeriegelte DDR, Stillstand, vielleicht ist es die Seeräuber-Jenny, Sehnsucht auf ein Schiff, das nie kommt. Und dann kommt es doch. Es war der Sommer der Jubiläen. 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs. 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. 25 Jahre Fall der Mauer, dem ich meine Frau verdanke, und der 90. Geburtstag meiner Mutter, Weltgeschichte, Familiengeschichte, persönliche Geschichte, eine einzige große Rückschau. Und dieser merkwürdige Sommer wollte sich gar nicht verabschieden – noch am 1. November konnten wir an der Alster in der Sonne sitzen. Die politischen Horizonte verdüsterten sich weiter. Aber immerhin: Ich weiß mittlerweile, dass das Leben auch ohne Zigarette möglich ist. Was weiß ich noch, mit Sicherheit? Dass der neue Mensch eine Schimäre ist. Es gibt nur den alten, mit dem wir uns herumschlagen müssen. Aber ich weiß auch, dass die Hoffnung auf ihn, den neuen Menschen, am allerletzten stirbt. Zur Mittagspause hatte sich die Mutter auf einer großen Gartenliege ausgeruht, unter einer Eiche, und auf der riesigen Matratze lag sie klein und weiß. Ja, da lag sie, auf ihrem viel zu großen Bett unter dem grünen Dach der Eiche, schwarzen Blätterschatten auf der weißen Hose, der Bluse, dem weißen Haar, klein wie ein Mädchen. Es war still. Und ihre Züge waren ganz entspannt wie in einer Vorahnung, versöhnt, als würde sich der Kreis ihres Lebens sanft und langsam schließen. Meine Frau und ich brechen zwei Tage später nach Norwegen auf, dorthin, wo Knausgård seine Jugend verbrachte, ich erkenne die Gegend wieder, Fjorde und Kiefern und Laubbäume, mit dem Boot über blanke Seen, in denen sich die Wolken spiegeln, Makrelen auf dem Grill, so langsam schwindet meine Achtsamkeit für Diät. EIN MERKWÜRDIGER SOMMER „Es war dieser merkwürdige Sommer“ heißt ein Gedicht von Sarah Kirsch aus dem Jahre 1968. Stapel schmutziger B I L A N Z / P F e b r u a r / 2 0 1 5 / 73 / Fotos: Buchinger Klinik; Matthias Matussek P R I V A T P H O L L E I N S K U N S T W E L T / 74 / Heikle He H eikle ikkllee O Operation: pera pe e raati tion on: Tr T Transport ran a sp spor orrt undd Ve Versicherung Kunstwerken u un V e rssic iche h rung he ru ungg vvon oon nK un nst stwe wee rk w rken n verschlingen Millionenbeträge ve e rsch rssch chli l ng li ngen gen nM i li il lioon nen nbe betr t äg tr äge äge IM MASCHINENRAUM DER AUSSTELLUNGSINDUSTRIE Vom schwierigen (und teuren) Geschäft der großen Kunstschauen. Das neue Jahr beginnt mit großen Ausstellungsereignissen: Südseemeisterwerke von Paul Gauguin in der Baseler Fondation Beyeler, die Farbenpracht von Claude Monet ab März im Frankfurter Städel und Rembrandts Spätwerk im Amsterdamer Rijksmuseum. Ausstellungen wie die genannten sind vielschichtige, aufwendige Projekte, an denen Dutzende Museumsmitarbeiter und aushäusige Kräfte zusammenwirken. Mindestens zwei Jahre dauert es von der Idee bis zur Eröffnung der Exposition. Konzepte sind, zugegebenermaßen, oft zügig formuliert, die passenden Werke auch relativ rasch lokalisiert. Doch damit ist es nicht getan: Um ebendiese Werke tatsächlich für eine Ausstellung zu sichern, bedarf es langwieriger und komplexer Leihgaben-Verhandlungen. Ein Kunstwerk wird ja nicht unerheblichen Risiken ausgesetzt, wenn man es über Hunderte Kilometer transportiert und vor vielen Tausenden Besuchern zur Schau stellt. Und natürlich wird es an seinem angestammten Platz auch vermisst – sei es als zentrales Objekt in einem öffentlichen Galerieraum oder als imposantes Werk über dem Familiensofa. Eine Entscheidung zur Ausleihe ist stets ein Ringen mit den Umständen. Geld selbst fließt bei diesen Geschäften in der Regel nicht: Museen, die sich gegenseitig mit Leihgaben unterstützen, versuchen, besondere Ausstellungen auf kollegiale Weise zu ermöglichen, je nach ihrem künstlerischen oder wissenschaftlichen Wert. Selbstverständlich führt man im Kopf auch eine kleine Liste gegenseitiger Gefälligkeiten: Wer hat einem selbst etwas gegeben? Von wem braucht man bald einmal etwas? Und fallweise muss man dann handeln wie auf dem Basar: zwei Renoirs für eure Ausstellung im Herbst, dafür einen Tizian für uns im Sommer. Bei Privatsammlern liegen die Dinge anders. Sie veranstalten keine Ausstellungen, bei denen sich andere Sammler oder Museen mit Gegen-Leihgaben erkenntlich zeigen könnten. Umso mehr ist es ein besonderes Entgegenkommen dieser Sammler, wenn sie ihre wertvollen Werke zur Verfügung stellen. Hier zählen vor allem persönliche Verbindungen und das Vertrauen in die Arbeit der Institution – und nicht selten der persönliche Besuch des Ausstellungskurators oder Direktors. Auch Anrufe wichtiger Würdenträger, lange Partynächte, 1:1-Reproduktionen zur Überbrückung der Ausleihe und Sachertorten zum Geburtstag haben bereits geholfen. Teuer sind Ausstellungen leider auch: Rasch sind Millionenbeträge erreicht, wobei besonders die Transport- und Versicherungskosten zu Buche schlagen. Bis ein einziger bedeutender Botticelli aus einer Sammlung aus Übersee – nach Verpackung in Klimakiste, Transport mit Lkw und Flugzeug in Begleitung eines Kuriers (und manchmal sogar eskortiert von der Polizei) – an der Wand hängt, können schon 50.000 Euro angefallen sein. Der seit Jahren in Blüte stehende Kunstmarkt, geprägt von steigenden Preisen, hat natürlich auch die Versicherungskosten enorm verteuert – Ausstellungen zu Mark Rothko, Francis Bacon, Jeff Koons oder auch Peter Doig verschlangen vor 15 Jahren einen Bruchteil der heutigen Versicherungssummen. Nun gleichen bei jedem neuen Auktionsrekord die Eigentümer solcher Werke den Versicherungswert umgehend dem neuen Spitzensatz an. Die vom Publikum bezahlten Eintrittsgelder reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um die Kosten wieder einzuspielen. In der Regel decken die Einnahmen nur rund 15 Prozent der Ausgaben. Es sind die Sponsoren, die Stiftungen und die öffentliche Hand, die einen solchen Ausstellungsbetrieb überhaupt ermöglichen. Dabei muss man als Museumsdirektor bisweilen wie ein nervenstarker, den cashflow managender Hasardeur agieren: Die Vorbereitungen MAX HOLLEIN ist der einflussreichste Museumsdirektor des Landes und womöglich der beste Manager Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn Kunsthalle und das Liebieghaus zu internationaler Geltung geführt. Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Foto links: Picture Alliance, [M] BILANZ sind längst angelaufen, die Kosten steigen rasant, doch welcher Geldgeber die Deckungslücke des Projekts schließt und wann und mit welchen Mitteln, all dies klärt sich mitunter erst kurz vor der Eröffnung – ein Unternehmen sucht vielleicht einen Sponsoring-Auftritt, weil es eine neue Produktlinie einführt, eine Großveranstaltung vor Ort plant oder ein neues CI-Konzept umsetzt. Ein Problem der Ausstellungsfinanzierung in den vergangenen Jahren war der Kapitalmarkt: Die mageren Erträge aus dem Finanzstock gemeinnütziger Stiftungen reduzierten auch die Möglichkeiten, Ausstellungsprojekte zu unterstützen. Museen behelfen sich, indem sie etwa die Dauer von Ausstellungen verlängern. Die klassischen dreieinhalb Monate werden auf vier und mehr ausgedehnt, was jedoch das Wohlwollen der Leihgeber nicht selten auf eine harte Probe stellt, besonders jener, die lichtempfindliche Papierwerke bereitgestellt haben. Auch soll die Ausstellung häufig an mehreren Orten stattfinden – sofern die Leihgeber sich dazu bereitfinden –, um Transportkosten zu sparen. Einmal in aller Welt zusammengesammelt, lassen sich die Leihgaben später „en block“ von Station zu Station und damit deutlich kostengünstiger verfrachten. Ein anderes System wurde in Japan entwickelt: Hier werden große Ausstellungen nicht von einzelnen Museen organisiert, sondern von den großen Medienhäusern, wie Yomiuri Shimbun, Asahi Shimbun oder Nikkei. Diese Unternehmen finanzieren auch das gesamte Projekt, „parken“ es dann in einem der großen Museen, bewerben und fördern es massiv über ihre Medienkanäle und nehmen die gesamten Eintrittseinnahmen, Vermarktungserlöse und zusätzlichen Zuflüsse ein. Solche komplexeren Verbindungen von Kultur und Kommerz mögen sowohl für die Programminhalte als auch für ihre Vielfalt eine Gefahr darstellen, sie beschreiben aber auch einen Lösungsweg, den wir in Europa wohl bald öfter zu sehen bekommen. Denn die Sehnsucht nach Ausstellungen ist ungebrochen – über zehntausend werden in Deutschland pro Jahr präsentiert. Tendenz weiter steigend. P B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 75 / Dorem Seit 1898 ipsum unverändert dolor sit amet, – die consectetuer Fassade des Claridge’s adipiscing an elit, dersed Ecke diam Brook/Davies nonummy nibh Street euismod im Stadtteil tinet 00.100 Mayfair. P R I V A T Dorem Art-déco-Glanzstück ipsum dolor sit– amet, die Hotelhalle consectetuer mit gläsernem adipiscing elit, Kronleuchter sed diam nonummy und schwarz-weißem nibh euismod Marmorboden. tinet 00.100 Z E H L E CLARIDGE’S 1 London Z I E L E / 76 / Zurück zur Natur – im Fera kocht Simon Rogan, eine Kanone der britischen Köche. Herberge der Hollywoodstars – die gute Audrey Hepburn bei einem damals nicht unüblichen Action-Torting. Teezeit im „Reading Room“ des C L A R I D G E ’ S – was für ein Auftrieb! Sind es die Himbeertörtchen, nach denen alle so verrückt sind? Ist es die geschwungene Treppe zum Entrée? Oder dieser schwarz-weiß glänzende Marmorboden im Foyer? Sind es die hohen Spiegel, die überbordenden Rosen-Bouquets, die cremefarbenen Art-déco-Säulen? Sind es am Ende gar diese Törtchen vielleicht, winzige Himbeer-Verführungen und sündhaft verzierte Petit Fours, zur tea time gereicht, die das Londoner Claridge’s zu etwas Außerordentlichem machen? Eher unauffällig hinter rostroter Fassade befindet sich das Jugendstil-Schmuckstück im Stadtteil Mayfair, in der City of Westminster. Die gut 150 Plätze zum high tea sind Tage im Voraus ausgebucht. Fünf Uhr im „Reading Room“: was für ein Auftrieb! Man hört Menschen aus aller Herren Länder, es dampft der Tee, es perlt der Champagner, und wie sie duften: die frisch gebackenen Scones! Hausgäste, die keinen Wert auf das tägliche Tee-Gewese legen, trotz seiner Eleganz, können ihm entfliehen in den von köstlich-kostbarer Stille erfüllten „Map Room“, durch den die Butler gleichsam schweben, ohne einen Mucks zu tun, die Diskretion in Person, eine Ruhezone, die David Linley, der Designer und Neffe der Königin, mit Sinn für Tradition und Stil eingerichtet hat. Selbstverständlich sind auch die Assouline-Bände in der Bibliothek von ausgesuchtester Qualität. Das Claridge’s habe ihn schon als Kind, beim ersten lunch , beeindruckt, sagt Linley; seiner Mutter, der 2002 verstorbenen Princess Margaret, Countess of Snowdon, begegnet der Gast heute auf einem Foto im Flur: eine schöne junge Frau auf einer Gala im Jahr 1951. Moment-Aufnahmen aus vergangener Zeit. Die Monarchen, Modekönige, Filmstars, Politgrößen – in den Räumen des vor über 200 Jahren gegründeten Hotels sind sie immer noch gegenwärtig: Audrey Hepburn in ihrer Lieblings- SIBYLLE ZEHLE kennt die wichtigsten Köpfe der Wirtschaft und die schönsten Plätze der Welt. Immer wieder entdeckt die Buchautorin Menschen und Orte mit Charakter und Magie. ecke im „Reading Room“ ; Cary Grant, sehr schmal, sehr elegant, mit Hut in der Hand; Winston Churchill, huldvoll grüßend, natürlich mit Zigarre im Mund – Stammgäste im London der 50er-, 60er-Jahre. Schon damals war das Claridge’s mehr als ein Hotel, es ist, bis zum heutigen Tag, eine britische Institution. Wir wohnten in einer der legendären Art-déco-Suiten mit den typischen, abgerundeten Schränken, eine Zimmerflucht mit den Ausmaßen eines Appartements, samt Marmorbad im Stil der 30er-Jahre. Linley hat die alten Jugendstilmöbel restauriert und eigene Entwürfe zusammenstimmend und ausgewogen eingefügt. Die Verbindungstür zwischen Schlaf- und Wohnraum war allerdings so schmal, dass sich ein Gefühl von Großzügigkeit nicht recht einstellen wollte. Auch wurde es des Nachts bitterkalt: Die Fenster waren, wie wir am Morgen bemerkten, nicht richtig verschlossen, Winterwind fegte durch eine Ritze. Versöhnt indes wird man durch viele kleine Gesten: Die geputzten Schuhe stehen wie eh und je in Seidenpapier gewickelt vor der Tür; der Concierge lässt die Bordkarte, so gewünscht, auf das Telefon des Gastes spielen. Man geht mit der Zeit und pflegt dabei die Manieren von einst. Im Fahrstuhl nimmt ein liftboy in einem geschmeidigen Akt der Zuvorkommenheit die Einkaufstüten ab. Seit 2011 wird das Claridge’s geführt von Thomas Kochs, einem Deutschen rheinländischer Herkunft. Kochs, gut aussehend und gewandt, ist gerade Mit- te vierzig und damit der jüngste Generaldirektor, den das Claridge’s je hatte. Seit gut einem Dutzend Jahren schon arbeitet er für die Maybourne Hotel Group (in deren Besitz sich auch das örtliche Berkeley und das Connaught befinden). Kochs ist Diplom-Betriebswirt, ein Mann, der Durchsetzungskraft und Wirksamkeit unter einer Schale aus Liebenswürdigkeit verbirgt. Ein Deutscher an der Spitze eines britischen Pracht- und Prunkhotels? In London sei das nicht ungewöhnlich, „das Hotel hat Mitarbeiter aus 50 Nationen“. Ihr gemeinsames Ziel formuliert er mit britischem understatement: „We just like to do things properly.“ Zu den verwirrt-verwickelten Eigentumsverhältnissen (die Barclay-Zwillinge, Sir Frederick und Sir David, kämpfen seit Jahren mit dem Iren Patrick McKillen um die Vorherrschaft im Unternehmen) äußert sich Kochs natürlich nicht. Nur so viel: Er sehe sich durch die Vorgänge in seiner Arbeit nicht behindert. Unlängst hat Kochs mit der Inbetriebnahme des Hotelrestaurants Fera einen unter Feinschmeckern und Falstaffs weithin beachteten Erfolg gelandet. Am Herd wacht Simon Rogan, einer der originellsten Köche des Königreichs. Im Dorf Cartmel an der Nordwestküste, 450 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, hat Rogan seine naturnahen Gerichte mit Wildkräutern, Gemüse, Blüten ausgeklügelt und zwei MichelinSterne für sein L’Enclume, eine ehemalige Schmiede, in die tiefste Provinz geholt. Jetzt hat ihm der Gestalter Guy Oliver, seit Jahren mit Maybourne verbunden, ein passendes Ambiente in der Großstadt geschaffen. Handfeste Teller und Schalen stehen auf blankem Holz, es gibt einen Durchblick in die Küche, was der Eleganz des Art-déco-Raumes aber nicht den geringsten Abbruch tut. B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 / 77 / Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Fotos: Getty Images (2), Claridge’s (4) Im „Map Room“ haben Reisende ihre Ruhe und können tun, was man im Analogzeitalter „schmökern“ nannte. In der Bar The Fumoir werden Zigarren aus Kuba gequalmt und Getränke gleichsam eingestrullt. P R I V A T / 78 / Z E H L E CLARIDGE’S 1 London Z I E L E Wir probierten Simons Klassiker: gerösteten Salat, darunter eine luftige Crème mit Trüffeln und Käse von der Isle of Mull. Kein Zweifel, das Fera (lat. „wildes Tier“) gilt schon heute als eines der besten Restaurants in London. Natürlich, im Claridge’s war man nie so verschwiegen wie im Schwesterhotel Connaught (dereinst die diskrete Bleibe der BMW-Bosse während ihrer Rover-Übernahme). Auf erlauchte Gäste ist man durchaus stolz, ob sie nun Kate Moss heißen oder Anselm Kiefer. Sogar den Weihnachtsbaum lässt man von Stars aus der Modeszene schmücken. Wir erlebten eine Party, auf der die Herren Dolce und Gabbana die prachtvolle Freitreppe hinauf- und hinabschwebten und die Popsängerin Kylie Minogue eines der Plüschbambis unter dem „Dolce & Gabbana“-Baum herzte. CLARIDGE’S Brook Street, Mayfair, London W1K 4HR 203 Zimmer inklusive neun Suiten und zwei Penthousesuiten mit Dachterrasse Übernachtung ab 550 Euro. „High Tea“ ab 65 Euro. reservations@claridges.co.uk Mehr unter www.claridges.co.uk und www.feraatclaridges.co.uk Darum müssen Sie hin: der Art-déco-Glanz, Simon Rogans Küche im Fera. Das könnte besser sein: kleinere Mängel bei Reinigung und Instandhaltung. Das Buch für den Nachttisch: Winston Churchill. Der späte Held. Eine Biografie von Thomas Kielinger, C.H. Beck, 24,95 Euro. Dieser Beitrag wurde unterstützt vom Hotel Claridge’s. Nach einem Abend wie diesem zieht man sich gern in seine Suite zurück, um stundenlang alte Filme anzuschauen, „African Queen“ mit Katharine Hepburn zum Beispiel. Die Pressekonferenz zur Premiere fand 1951 im Claridge’s statt. Die Hepburn wohnte damals übrigens im Connaught und betrat das Claridge’s nur durch die Hintertür – aber nicht, weil ihr boyfriend Spencer Tracy, der dort wohnte, verheiratet war. Sondern, weil sie Herrenhosen trug, was man derzeit im Claridge’s als ausgesprochen shocking empfand. Heute ist man weniger streng, besteht aber dennoch auf einer Kleiderordnung. Schriftlich wird darauf hingewiesen, doch bitte „elegant smart casual“ zum Tee zu erscheinen, also: „no shorts, vests, sportswear, flip flops, ripped jeans or baseball caps“. P RÄNGE & LISTEN Wohin ziehen Menschen? Dorthin, wo voraussichtlich am meisten los ist. Die teuersten Häuser sind allerdings alle verkauft oder vergeben. Paläste für Prinzen und Premiers Im Westen ist’s am besten Ein Heidengeld steckte der 1. Duke of Buckingham 1703 in sein neues Haus. Leisten konnte er es sich nicht. 1761 wurde es an George III. verkauft. Allem Schanghai- und Schwellenland-Rummel zum Trotz: Die Traditionsweltstädte New York, London und Paris sind und bleiben die Weltsehnsuchtsorte. 1,31 Milliarden Euro B U C K I N G H A M P A L A C E / London 1 Ta le n tm NEW YORK agnet K u lt u ra ngebot 1 2 3 W ir ts c h a ft ss ta LONDON n d o rt In fo rm a ti o n sf P o li ti sc he Bed lu ss e u tu n g PARIS * B I L A N Z / 850 Millionen Euro A N T I L I A / Mumbai 4 2 5 6 635 Millionen Euro V I L L A L E O P O L D A / Villefranche-sur-Mer TOKIO HONGKONG LOS ANGELES F e b r u a r / 3 7 8 210 Millionen Euro FOUR FAIRFIELD POND / Sagaponack, New York 4 190 Millionen Euro 18–19 KENSINGTON P A L A C E G A R D E N S / London 5 9 10 775 Zimmer zur Verfügung stehen der 88-jährigen Königin Elizabeth. Zum Glück braucht sie sie nicht allein zu bewohnen. Weshalb sie auch Butler und Gouvernanten, Schmiede, Köche, Gärtner und Gerätschaften auf 188 Räume verteilt hat. Mukesh Ambani, der reichste Inder, dessen Spezialgebiet das weite Feld der Petrochemie ist, lebt in einem 173 Meter hohen Eigenheim. Nicht schlecht. Sechs Etagen hat er als Parkhaus mit 168 Stellplätzen eingerichtet. CHICAGO PEKING 2 0 1 5 SINGAPUR WASHINGTON, D.C. Als Standort für Unternehmen und Attraktion für Talente kann es keine Großstadt der Welt mit New York aufnehmen. Auch die Vielfalt des Essens soll nirgendwo größer sein. In Peking und Hongkong, wo Qualm und Stau selten für frohen Anklang sorgen, wird ja meist nur auf chinesische Weise gekocht oder gebacken, was einem auf Dauer durchaus immer fader vorkommt. Hiesigen Patrioten sei dieses mitgeteilt: Berlin liegt wie hingeschmiert auf Platz 19. / 79 Quelle: Comparecamp.com Fotos: picture alliance / dpa Quelle: A.T. Kearney *Gewichtung: 30 Prozent – 30 Prozent – 15 Prozent – 15 Prozent – 10 Prozent / 1 + 2 P R I V A T RESTAURANTS HAERLIN UND JAHRESZEITEN GRILL im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Neuer Jungfernstieg 9–14, 20354 Hamburg, Telefon: (040)3494o, www.fairmont-hvj.de B E S T E / ST. JOHN’S IRISCHER WILDWASSERLACHS Lachs & Meer Sea Perl, Mühlenstraße 10, 25462 Rellingen, Telefon: (04101)409400, www.lachs.de Hamburgs bestes Hotel hat drei Restaurants, von denen zwei das Monopol auf hanseatische Distinktion haben – allerdings in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Das eine, das 1919 gegründete Haerlin, als Abendrestaurant mit den Insignien der Hochküche: zwei Sterne vom Michelin, imponierende Servicebrigade, kultivierte Umgebung, unverstellter Blick auf das städtische Renommiergewässer. Christoph Rüffer, Küchenchef und Ideengeber, kocht wie in dieser Liga die meisten: kreativ, aromenreich, kleinklein. Was gelegentlich zu Portionen führt, die schmaler sind als die Ferse des Achilles. (Geöffnet: von 18.30–21.30, außer sonntags und montags) Der Jahreszeiten Grill ist lässiger, für den Herrn ohne Sakko, mit guter, aber nicht zu guter Küche. Die man freilich steigern kann, wenn man einen der Klassiker bestellt: Steak Tatar etwa für 34 Euro. Es wird wie eh und je am Tisch zubereitet, man bekommt es nirgendwo besser. Das alles in einer Umgebung mit Hollywoodformat. Als man 1995 renovierte, entdeckte man hinter rustikalem Heimatstil und gestalterischen Scheußlichkeiten original Art-déco-Elemente aus den 20er-Jahren. (Täglich von 12.00–14.30 und 18.00–22.30) Der Büchermarkt wird seit einigen Jahren mit Kochbüchern, Weinbrevieren und allerlei Ratgebern zur Gastlichkeit geflutet. Wer in kulinarische Bildung investiert, lautet das Versprechen, der steigere den Genuss. Ben Schott hat ein besonders absurdes, abseitiges Wissen und Bizarrerien der Sorte „Kapitän Nemos Speisekammer“ oder „Verpflegungsansprüche von Popstars“ zusammengetragen. Amüsant! Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Fotos: Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten; Heiner Bayer 5 KOHLROULADEN Mein Rezept mit Einkaufsliste und Anleitung finden Sie auf www.bilanzmagazin.de und in der BILANZ-Tablet-App. SCHOTTS SAMMELSURIUM Essen & Trinken Ben Schott, Berlin Verlag, 7,99 Euro 80 / 4 3 P B A A D E R S FRED BAADER war mit seiner Agentur Baader Lang Behnken einer der Großen in der deutschen Werbewirtschaft. Jüngst veröffentlichte der Hamburger Genussmensch sein erstes Kochbuch. Echten, geräucherten Wildlachs findet man ausgesprochen selten. Was aber noch lange kein Grund ist, auf Massenzuchtware auszuweichen. Es gibt einen dritten Weg: irischer Wildwasserlachs. Der wächst zwar nicht in totaler Freiheit auf, aber mit kräftiger Strömung im sauerstoffhaltigen Wildwasser der irischen Atlantikküste. Das Fleisch ist zarter und deutlich fettärmer als das von Zuchtlachsen aus Aquakulturen. Ich lasse mir den St. John’s pariert, aber ungeschnitten (!) schicken. Die Ein-Kilo-Seite kostet 56 Euro und ist jeden Cent wert. Immer, wenn ich in den 80er-Jahren nach Berlin kam, versuchte ich, bei Heinz Holl in der Damaschkestraße zu Abend zu essen. Weniger, weil das Lokal als Lieblingskneipe der alten Westberliner Society galt (tatsächlich erblickte ich mal Eberhard Diepgen und Harald Juhnke), sondern wegen der legendären Kohlrouladen. Dazu muss man allen modischen Versuchungen widerstehen, darf keinen Wirsing statt Weißkohl nehmen, kein Kalbsstatt Rinderhack. Und Finger weg von Ingwer und Koriander. B 10X A R E G I S T E R B C D E F G ACKERMANN, JOSEF Acton Capital Partners Air Berlin Armacell Asklepios-Kliniken 61 H 47, 68 11 12, 50 11 38 Bacon, Francis Bank of America BARTON, DOMINIC BÄTE, OLIVER BAUER, CORNELIUS BAUMANN, WERNER BENIOFF, MARC BERNHARD, WOLFGANG BISCHOFF, MANFRED BLAIR, TONY BLUMBERG, RISHON BOCELLI, ANDREA BÖRSIG, CLEMENS 7, Boston Consulting BOUÉE, CHARLES-ÉDOUARD 59, BOUFFIER, VOLKER BRANSON, RICHARD BREUER, RALF-ERNST BROERMANN, BERNARD GR. BROERMANN, TITIA GR. BSIRSKE, FRANK BUCH, ROLF BUCHINGER, OTTO Brick Wall BRIN, SERGEY BRUNSWICK BURDA, HUBERT 75 11 55 36 61 36 55 6 7 55 61 55 15 45 Cevian Capital CHÁVEZ, HUGO CHURCHILL, WINSTON Claridge’s Connaught Continental CORDES, ECKHARD & KIRSTIN 45 22 77 76 77 8 Daimler DARSOW, ANDREAS DELLER, KLAUS DE MAIZIÈRE, THOMAS DEPRIPASKA, OLEG DESAI, PREMAL Deutsche Bahn Deutsche Bank DIETL, HELMUT DOBRINDT, ALEXANDER DOIG, PETER Dolce & Gabbana DN Capital 6 16 37 59 55 44 49 11 67 12 75 78 11 ECCLESTONE, BERNARD CHARLES EMOTTI, SERGIO ESCH, JOSEF Etihad Airways 14 61 19 12 61 13 12 14 38 40 7 82 70 62 62 19 59 Iveco J JAIN, ANSHU JORGENSEN, GREG JOURDAN, FRANK 59 62 8 KAISERPINGUIN, DER KÄSER, JOSEF 37, KEITEL, HANS-PETER KEMPF, EBERHARD KENGETER, CARSTEN KEQUIANG, LI KERRY, JOHN KIRCH, LEO KLEY, KARL-LUDWIG KOCHS, THOMAS KÖGEL, KARLHEINZ KOONS, JEFF KPMG KRAFT, HANNELORE Kraft-Mondelez KRAUSE, DANIEL KRETSCHMANN, WINFRIED KRÜGER, HARALD KRÜGER, MARC & WILLIBERT 71 61 7 15 36 55 55 15 12 77 12 75 8 13 34 15 13 36 30 K 10 55 75 11 26 44 67 19 77 82 7, 54 62 10 37 11 15 49 41 20 37 76 78 7 44 15, 47 13 62 11 55 24 50 15 13 I L 7 LAMBSDORFF, OTTO GRAF 16 LANDAU, IGOR 37 Lehman Brothers 49 LESCH, HEIKO 15 LINLEY, DAVID 77 LIVONIUS, BARBARA 15 LÖSCHER, PETER 37, 54, 55 Luftfahrtbundesamt 12 Lufthansa 12 O OSTROWSKI, HARTMUT P Paccar PAGE, LARRY parship.com PASCAL, BLAISE PERLET, HELMUT PICHLER, STEFAN PIËCH, FERDINAND POL POT PORSCHE, WOLFGANG 6 62 11 67 37 12 6, 15 19 15 REITZLE, WOLFGANG RENSCHLER, ANDREAS ROHNER, URS ROLAND BERGER RORSTED, KASPER ROSENFELD, KLAUS Roßmann Rothko, Mark roubini, Nouriel RWE 37 6 55 61 54, 55 37 34 75 58 7 Sachsen LB SALDITT, FRANZ Sal. Oppenheim SALZMANN, AXEL SAMUELSSON, HAKAN SAMWER, OLIVER SANDBERG, SHERYL scania SCHMIDT, ERIC SCHNEIDER, JÜRGEN SCHNEIDER, MANFRED SCHRÖDER, GERHARD SCHUCHART, CHRISTINE SCHULZ, EKKEHARD scout 24 SEEHOFER, HORST SEIFERT, WERNER G. SHAREF, URIEL SIKORSKI, RALF SIXT, REGINE Skype SOLOMON, MICHAEL SOROS, GEORGE SPOHR, CARSTEN STADLER, RUPERT Starbucks STRATE, GERHARD synlab 15 15 15 7 7 60 55 6 55 19 7 49 10 44 11 13 47 19 7 59 25 61 55 13, 54 55 34 15 11 R S T U M Facebook 24 FEIGEN, HANNS W. 15 Fielmann 34 FISCHER, LEONHARD 60 FITSCHEN, JÜRGEN 15, 55, 61 Flughafen Berlin 46 FRANZ, CHRISTOPH 55 FRENZEL, MICHAEL 12 Fresenius 41 Freshfield 20 GATES, BILL & MELINDA GAUGUIN, PAUL Goldman Sachs Google GOSS, ANDREAS GÖTZE, MARIO GRAF, PETER GRANT, CARY GRISHAM, JOHN GROSSMANN, JÜRGEN GUVENCH, ALTAY GUYTON, JEFF HAINER, HERBERT Hapag-Lloyd HÄRTER, HOLGER Heidelberger Druck Helios Hengeler Mueller HENZLER, HERBERT HEPBURN, AUDREY HEPBURN, KATHARINE HEYM, ROBERT HIESINGER, HEINRICH HOENESS, ULI HOGAN, JAMES HOLOVATY, ADRIAN Holtzbrinck Ventures HOLTZMAN, MARC HÖTTGES, TIMOTHEUS HUNERT, JOACHIM HUNGER, ANTON HUNOLD, JOACHIM N MADURO, NICOLÁS 22 MAN 6 Manhattan 60 Mannesmann 47 MARX, KARL 47 MASCHMEYER, CARSTEN 16, 59 MASSIMOW, KARIM 55 MAYER, JOHN 62 mazda 10 McKinsey 55 MEHDORN, HARTMUT 46 mercedes-Benz 7 Merrill Lynch 11 Microsoft 8 MIDDELHOFF, THOMAS 14, 47 MILBERG, JOACHIM 37 MOHN, LIZ 60 MOLLATH, GUSTL 16 MONET, CLAUDE 75 MUXEL, LUDWIG 10 Nestlé NEUBER, FRIEDEL New York Times NIELSEN, ANDERS 34 16 68 6 TECKENTRUP, RALF Telekom THOMAS, SVEN Thyssen-Krupp TISCHENDORF, JENS Tizian TÖNNIES, CLEMENS toyota 82 13 24 14 7, 42 45 75 16 10 UBS Union Investment URBAN, KONSTANTIN 61 45 11 VERJANS, RENATE Viber VOLK, KLAUS Volvo VON BOMHARD, NIKOLAUS VON DER LEYEN, URSULA VON HEYDEBRECK, TESSEN VON KROCKOW, MATTHIAS GRAF VON OPPENHEIM, CHRISTOPHER VON PIERER, HEINRICH 15, VW 15 25 15 7 55 59 15 W WALSER, MARTIN WEBER, GERHARD & RALF WEBER, JÜRGEN Whatsapp WIEDEKING, WENDELIN Windeln.de 70 34 12 25 15 11 Z ZETSCHE, DIETER ZUCKERBERG, MARK ZUMWINKEL, KLAUS 7 62 47 V 15 15 47 6 B I M P R E S S U M BILANZ Deutschland Wirtschaftsmagazin GmbH, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg Tel.: (040) 347 234 47 Fax: (040) 347 234 50 E-Mail: redaktion@bilanz-magazin.de Herausgeber: Dr. Arno Balzer Chefredakteur: Klaus Boldt (v.i.S.d.P.) 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KG, Postfach 30, 52153 Monschau BILANZ – Das deutsche Wirtschaftsmagazin ist ein Supplement der WELT Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 für BILANZ Deutschland, gültig ab 1.1.2015 B I L A N Z / F e b r u a r / 2 0 1 5 Unsere Standards der Transparenz und der journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/ unabhaengigkeit Die Rechte für die Nutzung von Artikeln für elektronische Pressespiegel erhalten Sie über die PMG Presse-Monitor GmbH, Tel.: (030) 284930 oder www.pressemonitor.de Leserservice und Heftbestellungen: BILANZ – das deutsche Wirtschaftsmagazin, Leserservice, 20583 Hamburg E-Mail: kundenservice@bilanz-magazin.de Tel.: (0800) 888 66 30 E-Paper erhältlich unter: www.lesershop24.de und www.ikiosk.de / 81 / HIBBELIGER HERBERGSVATER – 2015 – Buch leistet ganze Arbeit und will sich für 3,9 Milliarden Euro den Konkurrenten Gagfah einverleiben. Mit 350.000 Wohnungen und einer Million Mieter entsteht der zweitgrößte Wohnungskonzern Europas. ROLF BUCH führt die Regie bei der Deutschen Annington, dem größten Immobilienkonzern des Landes und, nach der Übernahme des Rivalen Gagfah, zweitgrößten Europas. – 2013 – Bochum ruft, Buch übernimmt am 1. April die Leitung R der Deutschen Annington. Das Ansehen des Konzerns ist E mies. Mieter sagen, dass DA die Wohnungen verrotten N lasse. Buch bringt die Firma an die Börse. N – 2012 – Thomas Rabe, Nachfolger des Buch-Schirmherrn Ostrowski W als Bertelsmann-Chef, erwartet mehr Schwung und mustert E Buch aus. Der geht mit einer Millionenabfindung und blickt G in Dankbarkeit auf „tolle und intensive Jahre“ zurück. I Z N Kollegen staunen, dass Rolf Buch, selbst ungedopt, Tag und Nacht ackern kann und trotzdem morgens tipptopp aussieht. Sein Spitzname: „Atom-Rolf“. A L I B / 82 – 2008 – Buch steigt auf wie auf Adlerschwingen, malocht für Bertelsmann in Frankreich, lernt Französisch vor Ort. Ostrowski befördert ihn zum Leiter des Bertelsmann-Dienstleisters Arvato und zum Konzernvorstand. – 1991 – Hartmut Ostrowski, Chef der Bertelsmann-Dienstleistungssparte, lockt Buch als Assi nach Gütersloh. – 1986 – Buch studiert Maschinenbau und BWL in Aachen. Und weil er schon mal dabei ist, organisiert er gleich einen Wirtschaftskongress in Köln und beschafft Sponsorengelder: eine Million Mark. – 1965 – Buch erblickt das Licht am 2. April in Weidenau bei Siegen, doch in Essen wächst er auf. Sein Vater ist Manager bei Krupp. Plötzlich sieht Klein-Rolf Chinesen in der Stube, aber es sind keine gelben Gefahren, sondern nur Geschäftspartner von Papa Buch. Von Gütersloh, der Heimat Bertelsmanns, konnte Buch anfangs nicht begeistert sein. Kein Mensch in der Fußgängerzone. An seinem ersten Abend suchte er Trost in einer Fernfahrer-Kneipe. / Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Wenn Buch sich langweilt, greift er zum Buch: am liebsten zu Schwarten von John Grisham. Ob an der Kasse, am Skilift oder am Flughafen: Buch rennt an der Schlange vorbei. „Ich kann nicht warten, ich drängele mich überall vor.“ „Mir wenn es Mir gefällt’s, ge dynamisch vorangeht.“ Obwohl er als Zehnjähriger einen schweren Fahrradunfall hatte, gibt Buch weiter Gas. Er fährt Porsche und Ski. Letzteres besonders gerne im Tiroler Skigebiet Hochgurgl. Hier sehen wachsame Leser und Leserinnen drei Iberische Schweine. Denn Atom-Rolf liebt Ibérico-Schinken. Ibér in Zusammenarbeit mit DIE FANTASTISCHEN VIER www.chronoswiss.com/F4