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B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 4 3 U N T E R 7 5 / D E U T S C H E G R Ü N D E R Juni 2015 Das deutsche Wirtschaftsmagazin MEHR UNTER deutsche-bank.de/borntobe Jeder Mensch hat besondere Begabungen. Allerdings hängt der Bildungserfolg in Deutschland noch immer stark von der sozialen Herkunft ab. Daher erhalten viele junge Menschen nicht die Ausbildung, die ihrer Begabung entspricht. Hier setzen die zahlreichen Bildungsinitiativen der Deutschen Bank und ihrer Stiftungen an: Unter dem Leitgedanken Born to Be unterstützen wir Kinder und Jugendliche dabei, ihre Kompetenzen auszubauen und mehr Selbstvertrauen zu gewinnen – gemeinsam mit unseren Projektpartnern und engagierten Mitarbeitern. Born to Be verbessert so die Zukunftsperspektiven junger Menschen. UNTERNEHMEN & MÄRKTE PRIVAT Voller Körpereinsatz Villeroy & WMF? Den Kaffee trinkt man bei Villeroy & Boch im Saarland selbstverständlich aus den eigenen Tassen. Den Kaffee selbst aber brüht eine Maschine von WMF. Das Kaffeegeschäft der Schwaben, schwärmte V&B-Chef Frank Göring (l.), sei ja sehr profitabel. Oberaufseher Wendelin von Boch-Galhau (M.) verriet, er habe sogar einmal Pläne für eine Zusammenarbeit geschmiedet – folgenlos. Was die beiden sonst noch über ihre Strategie erzählten: S.38. „ Noch nie zuvor war die deutsche Gründerszene so lebendig, so wild und mutig wie heute. Wir stellen die größten Talente vor: die Hopps und Porsches, die Oetkers und Boschs von morgen. “ KLAUS BOLDT Chefredakteur / / A U S Autor Jan Vollmer (27) besuchte für BILANZ den Moskauer Boxklub „Oktober“ (S.68): Hier prügeln sich Mittelschichtler in ihrer Mittagspause. Auch Vollmer stieg in den Ring, vernachlässigte aber die Deckung und holte sich eine blutige Nase. B I D L A E N Z R / E J u n i R / INMA-AUSZEICHNUNG Ein Preis für BILANZ D / UNTERNEHMEN & MÄRKTE A Knorr-Bremse K 2 0 1 5 T I O N Erfolg für die BILANZ: Sie ist nach Meinung der 33 Jury-Mitglieder der International Newspaper Marketing Association „The Best New Print Product of the Year“. Jan-Eric Peters (50), Chefredakteur von Welt-N24, nahm den Preis am 12. Mai in New York in Empfang. Die INMA verleiht ihre Trophäen seit 1935 jährlich in 15 Kategorien. Artdirektorin Katja Kollmann über die chinesischen Schriftzeichen, die sowohl für fermentierten Tofu als auch für Korruption stehen (Seite 20). Er hat den Fuß auff ddem G Gas, war im Treffen mit BILANZ aber mit angezogener Handbremse unterwegs: Henrik Thiele, ab Juli im Vorstand des Weltunternehmens Knorr-Bremse und Sohn des Eigentümers Heinz Hermann Thiele, empfing uns in München (S.28). Fotos wollte er keine machen lassen: „Das ist PR, die wir wirklich nicht brauchen.“ / / Die nächste BILANZ erscheint am 3. Juli 3 / Illustrationen Titel und diese Seite: Siri Matthey für BILANZ Fotos: Ramon Haindl, INMA, Ulrich Mahn, Jan Vollmer, Shutterstock, Franz Xaver N NAMEN & NACHRICHTEN 6 06 HAPAG-LLOYD Großaktionär Klaus-Michael Kühne auf Kollisionskurs mit seinen Partnern. 07 BOGNER Den kennt jeder: Prominenter Investor steigt mit ein 08 ENBW Neue Aufseherin für den Energie-Riesen 08 BORIS BECKER Bobele hilft Schoeller beim Börsengang 08 MERCEDES Die Agentur Antoni soll die neue E-Klasse verkaufen I N 14 HAPAG-LLOYD Großaktionär Kühne und sein kühner Plan 09 VOLKSWAGEN Winterkorn wie einst im Mai: Nach Piëchs Abgang wird der Firmenchef kreativ 10 HENKEL Strahler Kaspar Rorsted plant den Abgang – dreimal hat’s nicht geklappt H 26 ARBEITSRECHT Fachanwalt Peter Rölz über unkündbare Fußballprofis 28 KNORR-BREMSE Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu: Sohn will an die Macht, Vater lässt nicht los 32 NOTIZEN AUS… … deutschen Familienunternehmen: Wo Sippen das Sagen haben 34 BAD BANK Was für ein Job: Christian Bluhm mistet die Reste der Pleitebank HRE aus. Macht er das gut? 38 VILLEROY & BOCH Staubige Pracht: Wendelin von Boch-Galhau will wieder mehr Glanz in den saarländischen Keramikladen bringen A L T 12 NETTER JÄGER Gespräch mit der KKR-Kultfigur George R. Roberts. 4 / STINKTOFU Korruptionsskandal beim chinesischen VW-Partner FAW. MACHTNETZ Wer mit Monika SchulzStrelow für die Frauenquote kämpfte – und wer dagegen 44 43 UNTER 75 Auf die können wir uns freuen: Die wichtigsten deutschen Jungunternehmer 56 STARTHILFE München leuchtet – als Vorbild: Hier hat sich eine tolle Gründerszene entwickelt, auch dank BMW-Großaktionärin Susanne Klatten 60 BETREUTES GRÜNDEN Wagemut und Pioniergeist plus Festgehalt und Firmenrente: Immer mehr Konzerne fördern interne Starts von Jungunternehmen U UNTERNEHMEN & MÄRKTE 14 INTERVIEW Der Wall-Street-Hai nachdenklich: George Roberts, das „R“ der sagenhaften Beteiligungsfirma KKR 19 RANGLISTEN Wie Werber für sich selbst werben und wie ihre Kunden sicherstellen, dass sie nicht darauf reinfallen 20 / I IDEEN & INNOVATIONEN / DEUTSCHE GRÜNDER 20 BESTECHUNG Verhaftungswelle bei Volkswagens China-Partner FAW – Problem oder Chance? 64 59 HITFOX Jan Beckers kann’s, er gründet Unternehmen in Serie. Jetzt greifen seine Plattformen für Finanzdienstleistungen das Geschäft der Banken an 44 GRÜNDER Die Macher der neuen Wirtschaft. RANGLISTEN Wie viel Wasser für die Herstellung von Lebensmitteln verbraucht wird und auf welch skurrile Ideen Architekten kommen P PRIVAT 68 BOXEN Ortstermin: Im Moskauer Boxklub „Oktober“ schlägt sich die lokale Mittelschicht 76 FIT BLEIBEN Kopf und Körper leistungsfähig halten: Ein Bergsteiger, ein Koch und ein Bankier wissen Rat 79 RANGLISTEN Die angesagtesten Städte und die teuersten Schallplatten der Welt 80 PRIVATJETS Psst! Das bleibt unter uns: Ein Pilot packt aus, was er mit den Reichen und Schönen unterwegs erlebt 85 KOCHEN Warum Kolumnist Fred Baader auf Mutti schwört 86 KUNST Kolumnist Max Hollein über den Wettbewerb zwischen Singapur und Hongkong in Sachen Kultur UNTER Mit mehr als 600 Standorten garantiert in der Nähe Ihres Fuhrparks 80 89 }$XWRJODV$XVWDXVFK }6WHLQVFKODJ5HSDUDWXU }+ROXQG%ULQJVHUYLFH 13 20 90 Der A.T.U Rundum-Service für Ihren Fuhrpark Autoglas bei A.T.U: Goldene Flottina 2012 Erster Platz in der Kategorie „Beliebteste freie Werkstatt“ GEWINNERIN Béatrice GuillaumeGrabisch, die künftige Deutschland-Chefin von Nestlé REGISTER IMPRESSUM LIVE AUS DEM COCKPIT Was in Business-Jets so alles abgeht. ZZZDWXGHEEŁ* * &WMH$QUXIDXVGHPGW)HVWQHW]PD[&WMH$QUXI DXVGHQGW0RELOIXQNQHW]HQ HAPAG-LLOYD K Ä PT’N KÜ HN E AU F KOLLISIONSKU RS Alle Gesellschafter von Hapag-Lloyd wollen Deutschlands größte Reederei an die Börse bringen – außer Klaus-Michael Kühne: Der hat eine bessere Idee. N A M E N N N A C H R I C H T E N / 6 Der Zusammenschluss mit der chilenischen Großreederei CSAV ist genehmigt und vollzogen, das erste Quartal schloss mit Gewinn ab (dem ersten seit 2011): Die Welt könnte für die hamburgische Großreederei Hapag-Lloyd so schön sein – gäbe es nicht schon wieder Zwist und Zwietracht, Hader und Händel unter ihren Gesellschaftern. Kaum haben die Hapag-Dampfer wieder eine Handbreit Wasser unterm Kiel und Fahrt aufgenommen, bringt Klaus-Michael Kühne (78), der 20,8 Prozent der Reederei kontrolliert, einen Plan in Vorschlag, der seinem Namen alle Ehre macht: Der neunfache Milliardär und Großspediteur (Kühne&Nagel-Anteil: 53,3 Prozent) verlangt, dass Hapag-Lloyd vom singapurischen Konkurrenten NOL (6,5 Milliarden Euro Umsatz) Besitz ergreift, von dem sich die Staatsholding Temasek trennen will. Es sprechen durchaus einige Gründe für die kühne Idee: NOL verfügt über eine starke Stellung im asiatischen Linienverkehr, einer Region, wo Hapag-Lloyd seinen eigenen Herrschaftsanspruch noch nicht durchsetzen konnte. Überdies würden die Hanseaten, die unter den weltgrößten Reedereien mit / Illustration JÖRN KASPUHL einem Umsatz von gut neun Milliarden Euro nur den vierten Platz einnehmen, den Rückstand auf die Branchenriesen Maersk, MSC und CMA verkürzen. Endlich und schließlich haben die Hamburger mit NOL auch noch eine Rechnung offen: Denn vor der Finanzkrise hatten die Singapurer ihrerseits Hapag-Lloyd kapern wollen – und so erst jenes Konsortium aus Senat und hamburgischen Kaufleuten (unter ihnen Kühne) zum lokalpatriotisch inspirierten Einstieg bei der Traditionsreederei veranlasst, um nicht zu sagen: stimuliert. Lässt sich der Kühne-Plan verwirklichen? BOGNER-VERKAUF Trio Bravo Bernd Beetz und die chinesische Fosun haben beim Kauf einen prominenten Mit-Finanzier: DaimlerChef D I E T E R Z E T S C H E . Seine Mitgesellschafter sperren sich: Zwischen sechs und 6,5 Milliarden Dollar würde die Inbesitznahme kosten. Sie wäre ohne milliardenschwere Kapitalerhöhung unmöglich. Gewiss, Kühne selbst würde Geld lockermachen, er hat genug davon. Doch noch steht er allein. Die Alteigentümer der chilenischen Reederei CSAV, mit dessen Containersparte sich Hapag-Lloyd zusammengeschlossen hat und die 34 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen halten, wollen kein Geld riskieren, ebenso wenig die Stadt Hamburg (23,2 Prozent). Sie kann es aus politischen Gründen nicht, und der Reisekonzern TUI (13,9 Prozent) sucht ohnehin das Weite. Die Mehrheit der Eigentümer strebt stattdessen einen raschen Börsengang an. Doch den hält Vorstandschef Rolf Habben Jansen (48) zurzeit für wenig attraktiv und aussichtsreich. Jansen will mindestens drei, besser fünf Quartale in Folge überzeugende Gewinne verbuchen, bevor er zur Verkaufstour bei Bankleuten und Anlegern aufbricht. Das erste Quartal 2015 zählt in seiner Erfolgsrechnung nicht mit: In der Tat ist das gute Ergebnis nicht der Wirtschaftskraft von Hapag-Lloyd, sondern dem billigen Kraftstoff und dem starken Dollar zu verdanken. Auch ist bislang noch nicht entschieden, welche Bank denn Hapag-Lloyd an die Börse führen soll. An Angeboten freilich fehlt es nicht. Doch wenn ein Börsengang stattfinden soll, dann muss er diesmal auch gelingen. Andernfalls blamieren sich die schon aus lauter Gewohnheit stolzen Reeder bis aufs Mark: Bereits mehrfach hatte Hapag-Lloyd einen Anteilsverkauf an der Börse avisiert – und mal wegen schlechten Geschäftsgangs oder eines schwachen Marktumfelds wieder abgeblasen. Trotzdem drängen die Großgesellschafter zur Eile. Sie beobachten argwöhnisch die Aktienmärkte: Wie lan- ge akzeptieren Aktionäre einen hohen Ausgabepreis? Doch der unbequeme Kühne argumentiert gegen die Hast. Er fürchtet, die Reederei unter Wert zu verkaufen. Schließlich hätten sich die positiven Wirkungen, die sich aus dem Zusammenschluss mit den Chilenen ergeben, noch nicht im Ergebnis entfaltet, teure Doppelstrukturen und Schwächen im Vertrieb seien noch nicht abgebaut. Die wahre Stärke der Reederei zeige sich frühestens im nächsten Jahr. Auch der Vorstandschef zöge 2016 für den Börsengang vor. Habben Jansen erkennt wie Kühne den Charme einer NOL-Übernahme. Aber seine Finanzfachleute, die den Handel grob durchgerechnet haben, kamen zu dem Schluss: zurzeit nicht zu stemmen. Die klassische Akquisition gegen Bares ist zu teuer: Hapag-Lloyd versucht zwar, das Börsendebüt mit einer Kapitalerhöhung zu verbinden. Dies allein wird jedoch nicht zur Finanzierung eines NOL-Kaufs reichen – denn gut ein Drittel eigenes Geld, in diesem Fall mehr als zwei Milliarden Dollar, sollte man mitbringen. Über Reserven verfügt die nach Jahren der Schifffahrtskrise ausgeblutete Reederei nicht. Und hohe Gewinne kann sie nur ansparen, wenn die Frachtraten kräftig steigen – doch dann würde auch NOL entsprechend teurer. Schon der aktuelle Kaufpreis von über sechs Milliarden Dollar gilt in der Branche als überhöht. Mehrere zunächst am Kauf interessierte Großreedereien haben sich bereits zurückgezogen. Zumal der Anreiz auch geringer war: Zu keiner Reederei passt die NOL so gut wie zu Hapag-Lloyd. Habben Jansen sieht nur eine Chance, das Geschäft zu verwirklichen: wenn Hapag-Lloyd neu erstarkt und die Aktionäre mit frischem Mut und ebensolchem Geld einen neuen Vorstoß wagten. Kühne selbst wäre ja auf jeden Fall dabei. Falls man sich auf den verlassen kann. N Der bevorstehende Verkauf der Münchener Modemarke Bogner an das sino-teutonische Traumpaar Liang Xinjun (46) & Bernd Beetz (64) könnten Wirtschaftshistoriker dereinst als kulturpolitische Großtat deuten, vor allem aber als Beleg für diskreten bürgerlich-ökonomischen Gemeinsinn heranziehen: Denn es bedarf weit mehr als eines Bündnisses zwischen dem schwerreichen früheren Coty-Manager Beetz (geschätztes Vermögen: 250 Millionen Euro) und dem nicht minder betuchten Chef der chinesischen Firmenzusammenballung Fosun, um die wirtschaftlich ins Straucheln geratene Willy Bogner GmbH & Co. KGaA in eine gesicherte Zukunft zu führen. Im Windschatten von Beetz und Fosun sammelt die BHF-Bank (Mitgesellschafter: Fosun) still und eifrig bei der eigenen hochliquiden Kundschaft. Das zusammengetrommelte Konsortium risikofreudiger Privatanleger paktiert mit Beetz und Fosun. Prominentester Sponsor der Transaktion ist Daimler-Chauffeur Dieter Zetsche (62). Als der Chefzauderer Willy Bogner (73) von Zetsches Engagement erfuhr, soll dies seine Verkaufsbereitschaft deutlich gestärkt haben, auch wenn er von dem erzielten Preis, rund 250 Millionen Euro, etwas enttäuscht gewesen sei. Anfänglich habe er gehofft, erzählen Vertraute, mehr als eine halbe Milliarde für sein Werk zu erlösen. Besorgte Medien hatten Bogners Miene offenbar falsch gedeutet und gemeldet, der Verkauf stehe auf der Kippe – als ob es sich um irgendeine Zigarettenfirma handele. Tatsächlich braucht Bogner nur etwas Zeit, um den Trennungsschmerz zu bekämpfen. Der sportliche Zetsche (Reiten, Segeln, Skilaufen), wird passiver Miteigner von Bogner bleiben und die Neuausrichtung der Firma dem Multitalent Beetz überlassen. N N A M E N / N B I L A N Z / A J u C n i H / R 2 I 0 1 C 5 H T E N / 7 / N A M E N / N A C H R I C H T E N ENBW MERCEDES-BENZ Gesucht und gefunden Flotte Einschwinger Ute Geipel-Faber soll den Energie konzern überwachen. Die neue Werbeagentur A N T O N I soll schon im Herbst erste Arbeiten zeigen. „Testfall“ aber wird die neue „E-Klasse“ 2016. Ute Geipel-Faber (64), Geschäftsführerin bei Invesco Real Estate und Aufsichtsrätin der Bayerischen Landesbank, soll ab Juli auch das Kontrollgremium der EnBW Energie Baden-Württemberg AG verstärken. Man darf davon ausgehen, dass bei Geipel-Faber daheim ausufernde Tischgespräche geführt werden: Ihr Mann Joachim Faber (65), einst Chef der Allianz Asset Management, ist heute Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Börse, Ratsherr auch bei der britischen Großbank HSBC, beim New Yorker Parfumhersteller Coty sowohl wie der ESMT European School of Management and Technology in Berlin, dazu on top , wie der Franzose sagt, Chairman des Gesellschafterausschusses von Joh. A. Benckiser (u.a. Reckitt Benckiser), Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und Vorstandsmitglied der Deutschen Krebshilfe. N Noch sind nicht alle Büros belegt in der Münzstraße zu Berlin-Mitte, wo sich Antoni ansiedelt, die neue Mercedes-Werbeagentur unter der Leitung von André Kemper (52) und Tonio Kröger (49), zwei in der Reklame-Innung hochverehrte Fachkräfte. Die Gründung des Reklamebetriebs hatte einige Spannungen hervorgerufen, sowohl in der Auto- als auch in der Werbeindustrie: Denn Kemper betreut derzeit für die Agentur Scholz & Friends noch deren Kunden Opel und kann erst im Herbst sein Berliner Büro beziehen. Kröger seinerseits führte zuletzt die Deutschland-Geschäfte der US-Agentur DDB, die seit 1959 Volkswagen betreut. Die Arbeit aufnehmen soll Antoni am 1. Juli. Über 30 Mitarbeiter stünden bereits unter Vertrag, sagt Mercedes-Marketingchef Jens Thiemer (43): „Schlüsselstellen sind besetzt. Wir liegen voll im Zeitplan.“ Schon zur Automesse IAA im September, also früher als erwartet, geht Mercedes mit den ersten Antoni-Kreationen an die Öffentlichkeit. Aber, dämpft Thiemer die Erwartungen, „die neue Agentur muss sich erst einmal einschwingen“. Die „gesamte Bandbreite“ des Feldzugs werde erst im März 2016 sichtbar: „Testfall ist die neue E-Klasse“, sagt Thiemer. „Die Kampagne basiert auf einer Idee aus den USA und China, die wir weltweit ausrollen werden. Wir profitieren vom internen Kreativwettbewerb.“ Die Stuttgarter setzen auf sogenannte „Kreativ-Hubs“ in den USA, China und Europa; zentrale Themen sollen von Antoni bearbeitet werden. Im November hatte Daimler dem Hamburger Mercedes-Betreuer Jung von Matt nach gut acht Jahren gekündigt: Nicht kraftvoll genug seien die Kreationen zuletzt gewesen, heißt es bei Mercedes. Kröger und Kemper in Berlin sollen nun kernig und druckvoll zu Werke gehen, und zwar zwei Jahre lang nur und ausschließlich für Mercedes. Volle Konzentration ist angesagt. Ziel sei es, sagt Thiemer, die Agentur so unter KUNDEN KOBERN Makler von morgen Boris Becker soll P H I L I P P S C H O E L L E R Kunden zuführen. / 8 / Gemeinsame Sache machen wollen Tennis-Trainer Boris Becker (47) und der Münchner Finanzinvestor Philipp A. Schoeller (54). Schoeller ist Partner der sogenannten General Capital Group und wurde 2006 einer breiteren Öffentlichkeit durch seinen gescheiterten Versuch bekannt, die Continental AG zu annektieren. Aus München hört man, dass Schoeller, der als Freizeitpädagoge und Autor („Coaching Kids: Die neue kreative Kindererziehung“) gut mit Becker zurechtkommen wird, den Börsengang der Immobilienfirma Munich Property Invest plane. Mit an Bord: der arme Boris Becker. Er soll Kontakte vermitteln, vorzugsweise solche zu Sultanen und Emiren. N Spannung zu halten, dass sie auch nach dem Ende der exklusiven Partnerschaft mit Mercedes voll ausgelastet ist. Die neue Werberichtung steht fest: „Wir wissen genau, wo wir die Marke ,Mercedes-Benz‘ gern hätten, und sind auf dem Weg bereits ein großes Stück vorangekommen“, sagt Thiemer. Die Marke stehe für „Zukunft, Wertigkeit und entspannten, modernen Luxus“. Dem Autobauer gehe es um „ein erstrebenswertes Markengefühl, Luxus kombiniert mit Nahbarkeit, nicht um Opulenz“. Die Vielzahl neuer Modelle, wie die Geländelimousine „GLA“ oder der Kompakt-Kombi „CLA Shooting Brake“ (über dessen Aussehen die Meinungen auseinandergehen), sieht Thiemer als „Glücksfall“, weil die schnelle Taktung es ermögliche, die Werbebotschaft immer wieder neu hinauszutrompeten. „Die Modelloffensive öffnet die Marke“, sagt er. Dabei will Thiemer jedes Auto individuell vermarkten, Fahrzeuggruppen wie Kompaktwagen aber bündelweise bewerben. Im vergangenen Jahr steckte Mercedes nach zuverlässigen Branchenberechnungen 160 Millionen Euro in die Werbung. Mit dieser Höhe soll es auch in diesem Jahr sein Bewenden haben. „Wir bleiben – bis auf wenige Abstriche – angesichts der Modelloffensive auch 2015 bei den Ausgaben fast auf dem Niveau des Vorjahres.“ Zu hoffen bleibt, dass Antoni rechtzeitig betriebsfertig und startklar ist. Legt man die Erfahrungen zugrunde, die Jung von Matt mit Mercedes gesammelt hat, benötigen die Berliner Einsatzkräfte ungefähr 100 Grafiker, Texter, Berater, Digitalexperten und so weiter. Vielleicht kommt man auch mit weniger aus. Von der Sollstärke ist man jedenfalls noch weit entfernt. Viele Werbekräfte scheuen den Ortswechsel als solchen, mehr noch aber in eine Agentur, die jahrelang nur für einen einzigen Kunden arbeiten darf. Kemper und Kröger bieten zwar energische Gehaltserhöhungen, suchen aber Leute, die nicht nur wegen des Geldes kommen. N VOLKSWAGEN A L L E S AU F A N FA N G Nach der Sommerpause wird im Autokonzern die Firmenkulturrevolution ausbrechen. Worauf der Konzernchef seine Manager einschwört, sagt BILANZ. Wolfsburg steht ein heißer Sommer bevor. Nach den Werksferien im August soll bei der Volkswagen AG vieles anders und hoffentlich noch besser werden. Nach der missglückten Attacke durch den früheren Patriarchen Ferdinand Piëch (78) möchte der dadurch wiedererstarkte, ja, verstärkte Vorstandschef Martin Winterkorn (68) die Gunst der Stunde nutzen und dem Konzern moderne Strukturen und eine zeitgemäße Führungskultur verpassen. Noch vor der Sommerpause soll das Konzept stehen. Grundzüge präsentierte der Konzernchef seinen Führungskräften schon jetzt. BILANZ dokumentiert, worauf er seine Manager auf einer internen Tagung einschwor. Mit der Zukunftsstrategie („Future Tracks“) will Winterkorn „frischen Wind und neue, kreative Energie“ ins Unternehmen bringen. VW gelte zu Unrecht „als schwerfälliger, konservativer Riese“: Schließlich, sagte Winterkorn, stelle sich VW regelmäßig selbst infrage. Besonders aufmerksam schaut Winterkorn auf die – noch – von ihm in Personalunion gelenkte Hausmarke „VW“. Sie gilt im Wettbewerb als wenig einträglich. Doch ein Effizienzprogramm, das Winterkorn 2014 aufgelegt hat, entfaltet offenbar Wirkung: „Die positiven Effekte lagen im ersten Quartal im niedrigen dreistelligen Millionenbereich.“ Das reicht natürlich nicht. „Für die Marke ,VW‘ haben wir einen dezidierten Masterplan aufgestellt, den wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen“, sagte er seinen Kadern. Dazu zählten „Ad-hoc-Maßnahmen“ wie der Start des überarbeiteten US-„Passat“ im zweiten Halbjahr. Der abgetretene Aufsichtsratschef Piëch hatte bemängelt, dass VW in den USA massiv verliert, andere aber zulegen. Umsetzen muss den „dezidierten Masterplan“ Herbert Diess (56), ab Juli Chef der Kernmarke. Den Start des vormaligen BMW-Entwicklungsvorstands belastet, dass er vor seinem Antritt einen engen Draht zu Piëch hielt, vorbei an Winterkorn. Ebenfalls keinen leichten Stand hat der im Februar gestartete Lkw-Vorstand Andreas Renschler (57), der von Daimler kam. Auch er paktierte hinter Winterkorns Rücken mit Piëch, der ihn etwa im gescheiterten Vorhaben unterstützte, die neue Nutzfahrzeug-Holding im Süden anzusiedeln. Die Lkw-Töchter MAN und Scania muss Renschler nun künftig von Hannover aus führen. Um das verbleibende MAN-Geschäft mit Großmotoren und den Maschinenbau kümmert sich Winterkorn auf Drängen des Betriebsrats persönlich. Die Lastkraftwagen werden künftig eine Markengruppe bilden und das Vorbild für den ganzen Konzern abgeben. Die zwölf Pkw-Marken werden wahrscheinlich ebenfalls in Gruppen gefasst, zum Beispiel in „Volumen“ (VW, Skoda, Seat) und „Sport“ (Porsche, Bentley, Bugatti und Lamborghini). Die Gruppen sollen weitgehend eigenständig agieren sowie Entwicklung und Vertrieb selbst organisieren. Folgerichtig werden die entsprechenden Vorstandsjobs auf Konzernebene künftig gestrichen. Das trifft wohl Christian Klingler (46), der bislang allen Vertrieben vorsteht. Nach allerlei Fehlkalkulationen findet er im Konzern kaum noch Fans. Der Job des Konzernvorstands „Produktion“ wird gar nicht erst wieder besetzt. „Wir müssen schneller, effizienter und beweglicher werden“, sagt Winterkorn. Gremienauftritte will er ausdünnen, Selbstständigkeit fördern. Es geht um nicht weniger als einen Kulturwandel, den Arbeitnehmervertreter und das Land Niedersachsen nach Piëchs Abgang einfordern. Gelingt Winterkorn der Umbau, dann winkt ihm 2016 doch noch das Spitzenamt, das ihm Piëch vorenthalten wollte: Aufsichtsratschef. Die Arbeitnehmer nutzen die Gunst der Stunde und zementieren ihren Einfluss. Voran schreitet Porsches schlagkräftiger Betriebsratschef Uwe Hück (53). Mit dem Vorstand ist der sich handelseinig, dass nur noch solche Werkverträgler bei der Stuttgarter VW-Tochter arbeiten dürfen, die der Betriebsrat akzeptiert. Pförtner, Werksschutz und Logistiker sollen dagegen von Porsche sogar festangestellt werden. Funktioniert das Modell, will Volkswagens Betriebsratschef Bernd Osterloh (58) es konzernweit etablieren. N B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 9 / Illustration JÖRN KASPUHL HENKEL RORSTED, DER R ÄTSELH A FTE M ANN Der stets sieghaft strahlende Stratege greift nach Wella, gilt daheim in Düsseldorf aber als latent abgängig. Doch wo will er eigentlich hin? N A M E N / N A C H R I C H T E N / 10 Nach allem, was Kasper Rorsted (53) für die Anteilseigner der aufs Triumphalste bergauf gehenden Firma Henkel (Umsatz: 16,4 Mrd. Euro) mit Einsatz und instinktiver Kunstfertigkeit geleistet hat und immer noch leistet, hätte die Hauptversammlung des Düsseldorfer Konzerns eigentlich zur Festveranstaltung für ihren Vorstandsvorsitzenden geraten sollen. Schließlich hat der Däne in seinen mehr als sieben Jahren bei Henkel den Aktienkurs vervierfacht, die Anleger reich gemacht und mit seinen trompetenhaft aufschmetternden Galavorstellungen bei den Konkurrenten regelmäßig großes Unheil angerichtet. Doch er bekam keine Hymnen, sondern Tadel: Warum er die Probleme auf dem US-Markt nicht in den Griff bekomme, fragte ein Anteilseigner. Ein anderer wollte wissen, welchen Dienstwagen Rorsted als Chef eines Nachhaltigkeit predigenden Konzerns denn führe und wie hoch dessen Kohlendioxidausstoß sei. Statt die Frage in aller Unumwundenheit einfach zu beantworten (es handelt sich um einen persilweißen „Porsche Panamera“ mit einem CO2-Ausstoß von rund 250 g/km), eierte und gurkte Rorsted, dass beinahe die Verkehrswacht aufmerksam geworden wäre. Kein Wunder, dass Gerüchte kursieren, wonach Rorsted das Weite suche. Was seine Presseleute aber auf das Erbittertste dementieren. Rorsted hat Henkel in den vergangenen Jahren auf Effizienz getrimmt, etliche Mitarbeiter auch hart gedrillt. Weiteres Wachstum dürfte aber nur mühsam zu bewerkstelligen sein. Intern wiegelt der Schleifer ab, es gebe keinen Grund für ihn zu gehen, Henkel sei „an ein paar spannenden Themen dran“. Buchhalter und Berater rechnen gerade, ob es sinnvoll sei, sich die Überreste der alten Firma Wella anzueignen. Procter & Gamble (Umsatz: 63 Mrd. Euro) war bei dem Darmstädter Hersteller von Haarpflegeprodukten vor zwölf Jahren für knapp sieben Milliarden Euro einmarschiert, wurde mit der Friseursparte aber auch nicht unbedingt glücklicher. Die Investmentbank Goldman Sachs sucht jetzt einen Käufer. Dass Henkel die Sparte in den Griff bekommen könnte, ist nicht auszuschließen, auch wenn Rorsted nicht gerade als weltbester Integrator gilt. Eine belebende Aufgabe anderswo käme dem Erfolgsmanager mit dem Viertagebart sicherlich nicht ungelegen. Doch bei der beruflichen Neuorientierung stellt sich Rorsted nicht immer geschickt an. Vor zwei Jahren bemühte er sich um den Chefposten bei dem schwedisch-schweizerischen Technikkonzern ABB, hatte mit Großaktionär Jacob Wallenberg auch einen gewaltigen Fürsprecher, doch ABB-Verwaltungsratschef Hubertus von Grünberg setzte den internen Kandidaten Ulrich Spiesshofer durch. Wenig später machten sich Rorsted und das Gaseunternehmen Linde gegenseiti- / Illustration JÖRN KASPUHL ge Avancen. Als Oberaufseher Manfred Schneider ihm dann aber einen Eignungstest abverlangte, verlor er rapide die Lust. Auch mit Adidas wird es wohl nichts. Einige Aufsichtsräte, darunter Anlagebanker Stefan Jentzsch, befürworten zwar einen Transfer des Dänen nach Herzogenaurach. Die Dienstwagen-Regelung passt auch (Adidas-Primus Herbert Hainer fährt ebenfalls „Panamera“). Doch ein Hainer-Freund erklärt unmissverständlich: „An einem Wechsel ist null dran.“ Rorstedt hat ja auch noch etwas Zeit. Sein Vertrag in Düsseldorf läuft bis 2017. Und damit kein wichtiger Posten an ihm vorbeihuscht, netzwerkt er wie kein Zweiter. Bei der Promi-Bergsteiger-Truppe der Similauner klettert er mit Holcim-Chairman Wolfgang Reitzle, BASF-Oberaufseher Jürgen Hambrecht und anderen Veteranen. Obendrein schloss er sich einem Klub junger Firmenchefs an, dem als einziger Nichtmanager auch TVTalker Günther Jauch angehört. N © 2015 KPMG AG Wirtschaf tsprüfungsgesellschaf t. Alle Rechte vorbehalten. DAS IST T Angelika Huber-Straßer Bereichsvorstand Corporates Ganghoferstraße 29 80339 München WENN SIE ANGELIKA IST. W T 089 9282-1142 M 0173 5764021 ahuberstrasser@kpmg.com KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Um ihre privaten Charity-Projekte von Jahr zu Jahr noch erfolgreicher umzusetzen, ist Angelika immer mit ganzem Herzen und geballtem Organisationstalent dabei. Genauso berät sie auch ihre Mandanten. Sie hilft jedem, sein ganz persönliches Optimum zu erreichen. Eine Philosophie, mit der vieles anders wird: Einfach. KPMG. Besuchen Sie uns doch mal auf persoenlich.kpmg.de MACHTNETZ DIE QUOTENFRAU Mit Gewandtheit und Geschick kämpft M O N I K A S C H U L Z - S T R E L O W für mehr Frauen in den Chefetagen. N A M E N / N A C H R I C H T E N / 12 / Nicht schlecht, wenn es einer Frau gelingt, mit Glut und Feuer für die Frauenquote zu kämpfen und dennoch bei Vertretern des schlappen Geschlechts grundsätzlich beliebt zu sein: wie Monika Schulz-Strelow (66), eine schlaue, gewinnende, charmante Rheinländerin. Seit neun Jahren führt die Unternehmensberaterin den Interessenverband Fidar („Frauen in die Aufsichtsräte“), zuvor hatte sie Investoren für das mittellose Berlin angeworben. Schulz-Strelow, heute auch Kuratorin der RAG-Stiftung, weiß, wie man schwierige Typen für sich und die Sache einnimmt. KLAUS-PETER MÜLLER ANGELA MERKEL Die Kanzlerin ließ sich bei den Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten auf die Quote ein. Als CDU-Freischärler den Widerstand gegen gesetzliche Regelungen zu organisieren begannen und Fraktionschef Volker Kauder gellte: „Es muss auch mal gut sein!“ und die SPD-Familienministerin Schwesig der „Weinerlichkeit“ zieh, fürchtete Schulz-Strelow kurzzeitig das Schlimmste. Doch Merkel (60) machte Kauder gefügig und brachte die Lager auf Quotenkurs. Als Chefkontrolleur der Commerzbank mag Müller (70) selten begeistert haben, als langjähriger Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung dagegen hat er sich als verlässlicher Fürsprecher der Frauenquote erwiesen. Dass er mit Monika Schulz-Strelow bestens harmonierte, mag daran gelegen haben, dass beide Rheinländer sind. Wie weit Müllers Liebe zur Quote wirklich geht, weiß man nicht. Er ist ein wendiger Kerl, der seine Meinung notfalls so schnell wechselt, als hätte er sie auf einer Drehscheibe angebracht. FREUNDE Von ihrem Büro am Ku’damm aus harmonisierte sie die Interessen von Politikerinnen aller Fraktionen, bis die sich auf eine „Berliner Erklärung“ für eine feste Frauenquote einigten. Im März verabschiedete der Bundestag das Gesetz, das eine 30-prozentige Frauenquote für Börsenunternehmen vorsieht. Gegen obrigkeitliche Eingriffe bei der Postenvergabe sprechen gute Gründe, von denen die meisten bekannt sind, weshalb sie hier nicht wiederholt werden. Bundespräsident Gauck aber, der alles versteht, hat Schulz-Strelow das Verdienstkreuz am Bande verliehen, „für ihren unermüdlichen Einsatz, qualifizierten Frauen den Zugang zu Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft konsequenter zu öffnen“. Am Ziel sieht sich die Frau, die die Männer bewegt, noch nicht: „Die Quote ist einzig und allein ein Wegbeschleuniger.“ Noch seien Frauen in Führungspositionen keine Selbstverständlichkeit. Bislang wurden nur 20 Prozent der Aufsichtsratsmandate mit jungen oder älteren Damen besetzt. „Das ist zwar deutlich mehr als 2011, aber immer noch weit entfernt vom Zielwert.“ N Fotos: Commerzbank AG, Beiersdorf AG, Picture Alliance (5), Fidar, Heiner Thorborg GmbH REINHARD PÖLLATH Der 67-jährige Wirtschaftsanwalt, Multi-Aufsichtsrat und Berater großer Familienunternehmen ist zahlendes Mitglied bei Fidar und gern gesehener Gast auf den Vereinsabenden. Pöllath hängt sein Engagement nicht an die Glocke. Er tritt für die Frauenbewegung ein – ist aber gegen eine Quote. THOMAS SATTELBERGER Der langjährige TelekomVorstand gehört zu den Avantgardisten der Personalpolitik und dergestalt zu SchulzStrelows engsten Verbündeten. Im Verein mit seinem damaligen Boss René Obermann setzte Sattelberger (66) eine 30-prozentige Frauenquote bei dem Bonner Konzern durch, redete mit Engelszungen auf Politiker ein und trat regelmäßig und fachkundig bei FidarVeranstaltungen in Erscheinung. GERHARD CROMME H A N S -J OAC H I M KÖRBER Der frühere Metro-Chef und heutige Aufsichtsrat bei Air Berlin und Bertelsmann schätzt Schulz-Strelows Engagement ganz und gar nicht: Der 68-Jährige empfahl ihr, sie möge sich aus der Wirtschaft heraushalten und ihre Fürsorge lieber dem öffentlichen Dienst angedeihen lassen. Ja ja, der Körber: Das ist schon ein Stratege! Der Hauptwachtmeister von Siemens und einstige Vorsteher der Regierungskommission für gute Unternehmensführung gab sich 2007 beim Jahrestreffen des Juristinnenbundes eine Blöße, als er in seiner Rede vor 200 Frauen, unter ihnen Monika Schulz-Strelow, ausrief: „Wissen Sie, meine Damen, ein Aufsichtsrat ist kein Kaffeekränzchen.“ Selten verbuchte die Fidar mehr Eintritte als nach Crommes (71) Auftritt. B I L A N Z / FEINDE J u n i / 2 0 1 5 MONIKA SCHULZ STRELOW HEINER THORBORG ULRICH LEHNER Der Frankfurter Personalberater, Frauenfreund und Quotengegner verhunzte die Stimmung einer FidarPodiumsdiskussion, als er bekundete, nur solche Frauen für Führungspositionen zu empfehlen, die ihm auch persönlich gefielen. Was einige ungute Vorstellungen weckte. Außerdem tönte der 70-Jährige: Er vermittele nur Frauen unter 50. Für Schulz-Strelow gilt Thorborg seither als nicht mehr vermittelbar. Als Oberaufseher der Deutschen Telekom hat der frühere Henkel-Chef die freiwillige Frauenquote seines damaligen Vorstandschefs Obermann passieren lassen, offenbar aber nicht aus innerer Überzeugung. Denn Lehner (69) ist strikt gegen die Quote und machte dies gegenüber Schulz-Strelow bei einer Veranstaltung in Düsseldorf unmissverständlich deutlich. / 13 / U N T E R N E H M E N U M Ä R K T E / 14 / „ IC H H A BE M I R G E S AGT: WENN ICH EINMAL R EICH BIN, DA N N W ER DE ICH ZWEI DINGE TUN: M ICH N IE DA RÜ BER BESCHWEREN, STEUERN ZU ZAHLEN, U N D E T WA S T U N , DA S A N DE R E N H I L F T. “ Er ist die Sagengestalt aller Firmenjäger: der Texaner G E O R G E R . R O B E R T S , Mitgründer von KKR, der berühmtesten Beteiligungsfirma der Welt. Mit BILANZ spricht er über seine Träume, seine Pläne, seine Fehler und darüber, was einen Mann zu einem Anführer macht. U N T E R N B I E L A H N Z M / E J N u n i / / 2 0 M 1 5 Ä R K T E Interview SOPHIE CROCOLL / Fotos WINNI WINTERMEYER 15 / B U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 16 / Herr Roberts, Ihr Büro liegt in Menlo Park, mitten im Siliziumtal. Was führt so eine alte, gestandene und tief in New York verwurzelte Beteiligungsgesellschaft wie KKR ins Zentrum der amerikanischen Gründerszene? Ein Erdbeben. Wirklich wahr! Als wir 1976 mit KKR begannen, bauten Jerry und Henry ihr Büro in New York auf... B ...Ihr Mentor Jerome Kohlberg und Ihr Vetter Henry Kravis. Ich blieb in Kalifornien. Damals saßen wir noch in San Francisco, 46. Stock, wirklich schön. Bis zum Erdbeben 1989: Das fühlte sich da oben an, als würden wir gleich in die Bucht stürzen. Danach sind wir hier nach Menlo Park gezogen. Eine gute Entscheidung übrigens: Denn seit einigen Jahren investieren wir auch immer häufiger in junge Unternehmen. Und hier sitzen wir mitten unter ihnen. B Und da teilen Sie sich Ihr Gebäude mit der WagniskapitalFirma Sequoia Capital? Die werden doch, wie auch Kleiner Perkins, alles tun, um Ihnen diese Geschäfte wegzuschnappen. Natürlich stehen wir mit allen im Wettbewerb. Aber wir haben einige Vorteile gegenüber Frühphasen-Investoren: Wir besitzen zum Beispiel Beteiligungen an fast 100 Unternehmen auf der ganzen Welt und verfügen damit über hervorragende Beziehungen, um junge Firmen bei ihrem Wachstum zu unterstützen. B So einfach ist es wohl nicht, seine Rivalen abzuschütteln. Ich denke, bei diesen WachstumsInvestments sieht man doch mehr Zusammenarbeit als Rivalität. Diese Deals können gewagt sein. Wer weiß, ob sie erfolgreich sein werden? Kann ich also zehn Investments zu je 50 Millionen Dollar tätigen oder zwei zu je 250 Millionen Dollar, nehme ich lieber die zehn zu 50 Millionen. Braucht ein Unternehmen mehr als das, haben wir kein Problem damit, uns einen Partner zu suchen. B Ist das die Stimmung im Tal: Es ist genug für alle da? Sie müssen nur aus dem Fenster schauen und den Verkehr auf der Autobahn 280 beobachten. Während der Finanzkrise fuhren deutlich weniger Autos vorbei. Jetzt stauen sie sich jeden Tag ab 17 Uhr. B Firmen wie Uber, Airbnb und Dropbox sollen Milliarden Dollar wert sein. Halten Sie diese Höhe für gerechtfertigt? Man weiß nicht einmal, ob und wann sie überhaupt Gewinne machen. Wer weiß schon, ob Uber richtig bewertet ist? Aber vor einigen Jahren war auch noch nicht klar, dass Facebook und Amazon eines Tages erfolgreiche Unternehmen werden würden. Im Valley gilt noch mehr als anderswo: Erfolg erzeugt Erfolg. Auch Uber wird nicht mehr verschwinden. Ob die Firma dann einen Wert von 20 oder 50 Milliarden Dollar hat, wird die Zeit zeigen. B Hat KKR auch Geld in diese Unternehmen gesteckt? Wir haben sicher einige gute Gelegenheiten verpasst. Bei Facebook und Amazon war ich anfangs nicht sicher, ob sie ein funktionierendes Geschäftsmodell haben. Also haben wir die Finger davon gelassen. Heute ist Amazon wohl mehr als 20-mal so viel wert wie damals. Uber und Airbnb waren, als man uns fragte, ob wir einsteigen wollten, schon so teuer, dass es uns fraglich erschien, ob wir mit einer Beteiligung überhaupt noch Geld verdienen könnten. Heute wünschte ich natürlich, wir wären eingestiegen. B Schmerzt Sie die Erinnerung an all die verpassten Gelegenheiten? Wissen Sie, ich bereue es immer, wenn wir ein Geschäft nicht gemacht haben und es sich dann als erfolgreich erweist. Aber wir schauen nach vorn. Seit 2012 haben wir etwa eine Milliarde Dollar in Wachstumsunternehmen investiert. B Vielleicht bekommen Sie ja nach diesen beiden Gelegenheiten eine dritte Chance. Was meinen Sie: Was ist das nächste große Ding? Ich denke, die Gesundheitsindustrie wird sich sehr verändern: Stark wachsen werden Unternehmen, die es mithilfe neuer Techniken schaffen, Medikamente zu verbilligen und die Behandlungen insgesamt zu verbessern. Sicherheit im Datenverkehr ist auch ein spannendes Thema. KKR Gegründet 1976, wurde die New Yorker Beteiligungsfirma KKR Kohlberg Kravis Roberts zur Symbolfigur der Private Equity -Industrie, die mit dem Handel von Firmenbeteiligungen ihr Geld verdient und wegen ihres bisweilen derben Vorgehens und ihrer häufig überzogenen Renditeerwartungen auch Kritik auf sich zieht. Seit etwa drei Jahren investiert KKR verstärkt in Unternehmensgründungen. B Welche etablierten Branchen bieten die besten Aussichten? Wir interessieren uns zum Beispiel für Teile des Einzelhandels. Ich meine, niemand wird, was die Preise angeht, mit Walmart konkurrieren können. Kommt man nahe genug an deren Preise heran und bietet den gleichen Service, betreibt aber nur 1.000 Quadratmeter große Läden statt solche mit 5.000 Quadratmetern Fläche, dann kann man durchaus gegen Walmart antreten. Man braucht Unternehmen, die den Menschen einen Mehrwert bieten. Auch Finanzdienstleister sind für uns interessant. Industrie-, Medien- und Kommunikationsunternehmen sind dagegen im Moment ziemlich teuer. B Wenn es um junge Unternehmen geht, schauen alle ins Silicon Valley und nach Tel Aviv. Wie ist Ihr Eindruck von der Gründerszene in Europa und besonders von der in Deutschland? Wir mögen Deutschland. Wir haben dort mehr Geld in Firmenübernahmen und -beteiligungen gesteckt als in anderen europäischen Ländern: seit 1999 ungefähr 4,7 Milliarden Dollar. Was Gründer angeht, scheinen Deutsche ein wenig risikoscheuer zu sein als Amerikaner und es als großes Stigma zu empfinden, wenn sie scheitern. B Wer scheitert schon gerne? Ja, es ist auch nicht schön. Aber vielen Deutschen fehlt wohl das Selbstbewusstsein der Amerikaner, zu sagen: Wenn ich scheitere, stehe ich wieder auf und mache etwas anderes. B Dann von den Hasenfüßen abgesehen: Sind die Gründer heute aus anderem Holz als früher? Ich glaube, es gibt zwei Extreme: Manche haben Unternehmen gegründet, die überhaupt kein Geld verdienen. Trotzdem wollen sie sich mit Millionen finanzieren lassen. Das ist gewagt – und nichts für uns. Dann gibt es Leute mit bescheideneren Vorstellungen und vielleicht nicht den lässigsten Produkten, aber bei denen man versteht, was sie verkaufen, und die Umsatz machen. Denen wenden wir uns zu. B KKR ist fast 40 Jahre alt. Wie bewahren Sie da den Gründergeist, der Firmen beweglich hält? Das ist schwer. Vor allem muss man seinen Worten auch Taten folgen lassen. Man kann nicht einfach predigen, dass Mitarbeiter sich wie Unternehmer verhalten und Risiken eingehen sollen, und jemanden dann feuern, wenn er einen Fehler macht. B Und was tun Sie, um nach so langer Zeit im Geschäft nicht zu erschlaffen? Ich versuche, jedes Jahr mindestens einmal um die Welt zu reisen und mit unseren Mitarbeitern zu sprechen. Das ist ungemein bereichernd. Ich liebe es auch, Sendungen auf dem History Channel anzuschauen. Und ich habe mich in den vergangenen Jahren angestrengt, mir jüngere Freunde zuzulegen. B Sie sind 71. Fühlen Sie sich frischer, wenn Sie mit jungen Menschen Zeit verbringen? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe meine älteren Freunde. Aber sie sind eben alt. Wir kennen uns schon unser ganzes Leben. Mit ihnen geht es darum, sich auf dem Laufenden zu halten. Viele 35- bis 50-Jährige machen dagegen ziemlich spannende Dinge, von denen ich lernen kann. B Sind Sie ein anderer Unternehmer als 1976? Gar ein besserer? Ach, wissen Sie, mein Leben ist heute ganz anders als vor 40 Jahren. Damals ging es für unsere Firma ja erst einmal darum, zu überleben und zu wachsen. Später wurde anderes wichtiger: wie wir unser Wachstum steuern oder unsere Mitarbeiter führen. Der Begriff „Management“ wird meiner Meinung nach viel zu oft beansprucht, „Führung“ dagegen viel zu selten. B Was zeichnet einen Anführer denn Ihrer Meinung nach aus? Drei Dinge: Ein Ziel zu haben, den Mut, es auch gegen den Widerstand anderer zu verfolgen, und schließlich musst du Menschen überzeugen, dass dir mehr an ihrem Erfolg liegt als an deinem. Es geht nicht darum, dass du gewinnst und die anderen verlieren. Sondern darum, dass du auf sie Acht gibst und sie dadurch in ihrer Karriere und in ihrem Leben vorankommen. B Wollen Sie sagen, dass die meisten Manager sich vor dieser Verantwortung drücken? Das sage ich nicht. Aber es gibt viele schlaue und erfolgreiche Menschen, die sehr viel Geld verdienen, denen aber diese Fähigkeit zur Verantwortung für andere fehlt. Ich glaube, das kann man auch nicht unbedingt lernen. B Wer ist denn Ihr Vorbild in dieser Hinsicht? George Marshall, der den Marshall-Plan entwickelte, den Wiederaufbauplan für Westeuropa. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war er der ranghöchste Offizier der USA. Er wollte die Alliierten gegen Deutschland führen. Aber er schlug dann doch Eisenhower als Oberbefehlshaber vor. Und warum? Weil er wusste, dass er hier gebraucht wurde. Er war ein einfallsreicher Mann, der bereit war, selbstlos zu handeln. Das finde ich richtig gut. B Und Sie, George Roberts, genügen Sie selbst Ihren hohen Ansprüchen? Ich versuche es zumindest. Ich habe jedenfalls immer versucht, mehr zuzuhöGEORGE R. ROBERTS George R. Roberts (71) wuchs in Houston, Texas, auf. Als Kind spielte er oft mit seinem Vetter Henry Kravis, mit dem (und Jerome Kohlberg) er später KKR gründete. BILANZ traf Roberts im Silicon Valley, in seinem Büro an der Sand Hill Road in Menlo Park. Roberts besitzt eine eindrucksvolle Sammlung zeitgenössischer Kunst, zum Beispiel „Ace“ von Ed Ruscha (oben). ren, als zu reden. Wenn du Menschen lange genug zuhörst, bekommst du mit, was ihnen wirklich wichtig ist. B Das klingt ja alles sehr nett. Die Außenwahrnehmung ist eine andere: Über Ihren Kampf um die 25-Milliarden-Dollar-Übernahme des US-Lebensmittelund Tabakkonzerns RJR Nabisco 1988 wurde das Buch „Barbaren vorm Tor“ geschrieben. Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering geißelte Firmen wie Ihre als „Heuschrecken“, weil sie den Unternehmen, die sie kauften, hohe Schulden aufbürdeten und Mitarbeiter entließen, um die Kosten zu drücken. Fühlen Sie sich missverstanden? Diese Vorwürfe haben mich früher ungemein geärgert. B Heute nicht mehr? Wären wir 40 Jahre lang böse gewesen, gäbe es uns heute nicht mehr. Ich kenne ja die Zahlen: Seit der Gründung von KKR haben wir mehr als 67 Milliarden Dollar über unsere Fonds investiert und den Wert dieser Investitionen auf etwa 138 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Unsere Fonds, die mindestens drei Jahre investiert waren, haben eine interne Rendite von im Schnitt 26 Prozent erwirtschaftet, im Vergleich zu etwa zwölf Prozent, die der Aktienindex S&P 500 schaffte. B Das sagt noch nichts darüber aus, mit welchen Mitteln Sie diese Ergebnisse erzielt haben. Schauen Sie, zwischen 2008 und 2010, also während der Finanzkrise, haben unsere Firmen in den USA Tausende Stellen geschaffen. In unserem Geschäft kommt es auf die Menschen an. B Wirklich? Wählen Sie Beteiligungen nicht eher danach aus, wie schnell sich Ihr Einsatz rentiert? Das stimmt nicht. Du schaust dir die Menschen in einem Unternehmen an – wie sie sich bisher geschlagen haben. Welchen Marktanteil die Firma hat und ob der Markt wächst. Wie man die Arbeitsprozesse verbessern kann. Und wenn du überzeugt bist, dem Unternehmen zu mehr Verkäufen und Einnahmen verhelfen zu können und damit seinen Wert zu steigern, steigst du ein. Nur dann funktioniert unser Geschäft. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 17 / B U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 18 / Vor zehn Jahren investierte KKR nur in den USA und Europa. Inzwischen haben Sie zwölf Büros auf anderen Kontinenten eröffnet, allein acht in Asien. Ja, wir haben uns sogar in Vietnam an Unternehmen beteiligt. Wenn mir das einer vor 15 Jahren gesagt hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Wir haben uns auch Afrika angeschaut: Südafrika, Nigeria, Kenia, Tansania. Bislang haben wir aber nur in Äthiopien investiert, in einen Rosenanbauer. Wir haben ein Büro in Brasilien. Wir sehen dort großes Potenzial, sind aber erst einmal vorsichtig. Die Währung, der Real, verliert zurzeit an Wert, die Wachstumsraten sinken. Es gibt auch immer wieder Korruptionsskandale. Da warten wir erst mal ab. B Ihr Geschäftsmodell, Unternehmen über Schulden zu finanzieren und diese dann aus dem Geldfluss der Neuerwerbungen zu begleichen, muss dieser Tage ja ganz ausgezeichnet funktionieren: Selten war Geld so billig zu haben wie heute. Nein, das macht es schwerer! Unternehmen sind dadurch sehr hoch bewertet und damit zu teuer. B Wie hat sich Ihr Geschäft in den vergangenen 40 Jahren verändert? Oh, es hat sich so vieles verändert. Für mich ist das Leben eine Reise, es hat kein festes Ziel. Und auf dieser Reise geht es darum, die Dinge bei KKR immer noch besser zu machen und unsere Firma daraufhin zu trimmen, dass es ihr auch noch gut geht, wenn Henry und ich einmal nicht mehr da sind. Darüber haben wir vor 40 Jahren natürlich noch nicht nachgedacht. B Schon einen Plan, wann Sie aufhören wollen? Freiwillig werde ich überhaupt nicht aufhören. Aber Henry und ich sind beide 71, da wäre es ziemlich unverantwortlich, sich nicht um Nachfolger zu kümmern, oder? Und Sie können sich sicher sein, dass wir das tun. B Sehnen Sie sich nicht nach Ruhe nach einem langen Arbeitsleben mit kaum Zeit für Privates? Ich habe ein tolles Privatleben. Ich habe zwei großartige Frauen geheiratet. Meine erste Frau starb vor zwölf Jahren nach 36 Jahren Ehe. Und ich habe das Glück gehabt, noch einmal die Richtige zu finden. Ich habe drei tolle Kinder und sechs Enkel, mit denen ich an den Wochenenden Zeit verbringe. Das siebte Enkelkind ist gerade unterwegs. Aber ich werde niemals aufhören, zu arbeiten. B Warum nicht? Ich habe genug Leute gesehen, die in Rente gegangen sind und ihre Verstandeskraft verloren haben. Man muss Körper und Geist trainieren. B Sie gehen gern zu Fuß ins Büro. Von Ihrem Haus sind das gute sieben Kilometer. Sie sind ziemlich gut drauf, oder? Und ob! Ich meine, früher bin ich in der Mittagspause 25, 30 Kilometer Rennrad gefahren, das mache ich jetzt nicht mehr. Aber Schwimmen und Gehen tun meinem Körper gut. Und ich stehe sowieso um fünf auf. Also packe ich frische Kleider in meinen Rucksack und dusche, wenn ich im Büro ankomme. Das ist ein schöner Start in den Tag. B Sie leben hier in Atherton, Ihr Kompagnon Henry Kravis in New York. Seit Jahrzehnten arbeiten Sie zusammen. Treffen Sie sich noch, ohne dass es ums Geschäft geht? Wir sehen uns zehn-, zwölfmal im Jahr. Henry hat ein Haus in den Hamptons, da werden wir im Sommer eine Woche zusammen verbringen. Ich habe ein Haus in Monterey, da wird er im Juni mal vorbeikommen. Wird sicher eine gute Zeit. B Wenn Sie beide unterwegs sind, wer ruft zuerst im Büro an? Es gibt in der Firma niemanden, der härter arbeitet als Henry. Niemanden. Aber wenn wir uns sehen, gehen wir essen, wir sprechen über unsere Kinder und Enkel, unsere Golfpartien... B ...haben Sie immer noch das bessere Handicap? Wissen Sie, ich spiele einfach mehr als er. Wenn er mehr Zeit hätte, wäre er genauso gut. Meine Frau golft, also spielen wir viel zusammen. Heute Abend werde ich in Stanford drüben wieder ein bisschen trainieren. Ich versuche auch, meine Enkel zum Spielen zu bringen. Besteche sie mit Süßigkeiten. B Jetzt verraten Sie schon Ihr Handicap! Fünf etwa. Fünf oder sechs. B Wann haben Sie und Ihr Vetter sich zuletzt darüber gestritten, was in der Firma zu tun ist? Henry erzählt die Geschichte, dass wir uns mit acht Jahren gestritten hätten, wer von uns sein neues Fahrrad fahren darf. Ich erinnere mich nicht einmal dar- an. Wir streiten nie. Klar, wir besprechen uns, haben auch mal unterschiedliche Meinungen, aber wir haben vor langer Zeit beschlossen: Gibt es etwas, was einer von uns auf keinen Fall tun will, machen wir es einfach nicht. B Und das klappt? Sie sind doch beide Männer, die sich gerne mit anderen messen. Wir haben alle unseren Stolz, unsere Gefühle. Aber wir kümmern uns umeinander. Wir wollen beide, dass der andere glücklich, gesund und erfolgreich ist. B Wie ist es, eine Hälfte des berühmtesten Gespanns der PrivateEquity-Geschichte zu sein? Schauen Sie, man ist nie so gut und nie so schlecht, wie andere denken. Man bewegt sich immer irgendwo in der Mitte. Also ist es ganz leicht, nicht abzuheben. B Ach, kommen Sie, das wollen die Leute doch hören: der Milliardär, der bescheiden geblieben ist. Ich kann nicht für andere sprechen. Aber ich weiß, wie viel Glück ich gehabt habe, das andere nicht haben. Ich bin nichts Besonderes, weil wir KKR gegründet haben oder weil es mir finanziell gut geht. Als ich an der Uni war, hatte ich 1.000 Dollar auf dem Konto. Und ich habe mir gesagt: Wenn ich es zu Wohlstand bringe, werde ich zwei Dinge tun. Erstens: Ich werde mich nie darüber beschweren, Steuern zu zahlen. Zweitens: Ich werde etwas tun, das anderen hilft. B Und haben Sie sich an Ihren ersten Vorsatz gehalten? Im Stillen meckert doch jeder mal über seine Steuerabzüge. Mache ich nicht. Ich wünschte nur, unsere Regierung gäbe das Geld besser aus. B Den zweiten Vorsatz haben Sie wahrgemacht. Sie haben eine Einrichtung gegründet, die in sozial engagierte Unternehmen investiert, und ein Umweltzentrum an Ihrem alten College. Dass Unternehmen Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, ist ja ziemlich in Mode. Aber nicht, als wir damit vor 18 beziehungsweise vor 20 Jahren angefangen haben. Dieses Engagement ist sehr wichtig für mich. Ich versuche immer, etwas anzupacken, das, würde ich es nicht tun, auch kein anderer übernehmen würde. B Sie mögen es nicht, wenn man Sie eine Legende nennt. Warum? Die meisten Legenden sind tot. Und ich fühle mich sehr lebendig. U RÄNGE & LISTEN Wie Werber für sich werben Wie man Werber richtig testet Mögen ihre früheren Kampagnen beeindruckend sein – wichtiger ist, ob eine Werbefirma auch vorausschauend ist. Sieben Fragen, die man seiner Agentur stellen sollte. Menschen in Werbeagenturen dürfen sich auf ihre Schöpferkraft ja einiges zugute halten. Nicht wenige inszenieren sich durchaus originell auf ihren Heimseiten. 1 SELECT-NY Kreativchefin Christine Ratsch zeichnet Skepsis (aus). 2 VICEROY CREATIVE Die Chefs bei der täglichen Morgenkonferenz. BBH LONDON Kreativdirektorin Rosie Arnold als Zauberin. EQUATOR Künstlerischer Leiter Stephen Noble und seine Lieblingskollegen. VENABLES BELL & PARTNERS Abteilung: Marsch! 3 WIE WIRD WERBUNG IN FÜNF ODER ZEHN JAHREN AUSSEHEN? Die Agentur muss Wandel erkennen oder doch zumindest vorausahnen, neue Techniken und neue Medien bedienen. Digitalspezialisten sollten deshalb unbedingt zur Kerntruppe gehören. WERDEN IHRE FÜHRENDEN KÖPFE STARKE PARTNER SEIN? Erfahrene Werber, die einen Auftrag ergattern, verschwinden nicht. Sie kümmern sich selbst um den Kunden und überlassen die Arbeit an der Kampagne nicht den Anfängern in der Agentur. PASST IHRE FIRMENKULTUR ZU UNSERER? Wenn Umgangsformen, Vorstellungskraft oder Arbeitseifer zu weit auseinanderliegen, wird man sich kaum auf eine Kampagne einigen. 4 WIE FINDEN SIE IHRE MITARBEITER? Es lohnt sich, herauszufinden, wie Agenturen ihre Kreativen schulen, ob die schnell weiterziehen oder unbedingt dabeibleiben wollen. 5 WER WIRD DIE KAMPAGNE AUSFÜHREN UND WARUM? Die erfolgreichsten Neukundenmanager einer Agentur sind nicht unbedingt die besten Werbeleute. 6 UNTERSCHEIDEN SICH UNSERE VORSTELLUNGEN VON ERFOLG? Aus dem Munde von Agenturleuten zu hören, was sie unter Erfolg verstehen, ist nicht selten einer der aufschlussreichsten Momente des Gesprächs. 7 WOLLEN SIE UNSEREN AUFTRAG WIRKLICH HABEN? Manche Agenturen sammeln Auftraggeber, um mit deren Namen renommieren zu gehen. Andere zeigen Leidenschaft. Die sollte man finden. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 19 Quelle: Agenturen Fotos: Select NY, Viceroy Creative, Stephen Noble/Equator, Linkedin, VB+P / * U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E * Korruption / 20 / * B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 * Volkswagen Text MARK C. SCHNEIDER und BERND ZIESEMER Ausgerechnet der wichtigste chinesische Partner von VW, das S T A A T S U N T E R N E H M E N F A W , steht im Zentrum eines Bestechungsskandals. Der Chef von FAW und scharenweise Manager mussten gehen. Doch wieder einmal gilt die schlichte Wahrheit: In jeder Krise steckt eine Chance – diesmal eine für VW. / 21 / STAATSKAROSSE „ROTE FAHNE“ Unter dem Blech steckt Technik von Audi (r.). HOHER BESUCH (Ex-)FAW-Chef Xu Jianyi mit Kanzlerin und VW-Chef. U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 22 GOLF-FERTIGUNG Im Werk Foshan bauen die Partner seit dem Jahr 2013 den deutschen Klassiker. N ichts riecht so übel wie vergorener Sojabohnenkäse, unter Kennern bekannt als Stinktofu. Langnasen aus dem Westen bringen der schwammartigen Substanz nur wenig Sympathie entgegen, aber die Chinesen lieben sie gebraten und gesotten, mit Essiggemüse oder Chilisoße. Doch bei „faulem Bohnenkäse“ denken viele Menschen in der Volksrepublik dieser Tage nicht ans Essen, sondern an FAW und Volkswagen. Denn die beiden Schriftzeichen „Fu“ und „Bai“ stehen im Chinesischen sowohl für den fermentierten Käse als auch für die weitverbreitete Neigung, zu bestechen oder sich kaufen zu lassen, kurz: für Korruption. Und ausgerechnet ein Gemeinschaftsunternehmen des Wolfsburger Konzerns ist in eine skandalträchtige Affäre verwickelt. Zahlreiche chinesische Führungskräfte des Autobauers FAW-Volkswagen, den VW gemeinsam mit der First Automotive Works in Chángchūn, im Nordosten des Landes, betreibt, sitzen bereits im Gefängnis oder warten auf ihre Anklageschrift: Ob im Einkauf oder Vertrieb – allenthalben hielten heimische Lenker die Hände auf. Dass einer Millionen Euro kassierte, war keine Seltenheit. Inzwischen sind die Reihen in der Führungsriege gelichtet, die Staatsmacht hat erbarmungslos durchgekehrt. Ausgerechnet die wichtigste Gemeinschaftsfirma des bedeutendsten deutschen Konzerns auf seinem größten Markt steckt in ernsten Schwierigkeiten. Was bedeutet das für die Wolfsburger? Können obendrein US-Ermittler FAW auf lange Zeit lahmlegen – oder kann VW-Chef Martin Winterkorn (68) die Krise sogar zu seinem Vorteil nutzen? So viel ist gewiss, die Geschäftspartner aus Deutschland wirken mitnichten verstört oder verärgert: Im Gegenteil, die Wolfsburger Strategen wollen die Gunst der prekären Umstände nutzen und ihren 40-prozentigen Anteil an FAW am liebsten auf die höchstzulässigen 49 Prozent erhöhen, nicht zuletzt, um für mehr Professionalisierung zu sorgen. Kein anderes Unternehmen steht derart unter Beobachtung der Zentralen Kommission für Disziplinkontrolle wie FAW: Die mächtige Anti-Korruptions-Behörde der KP hält sich streng an die Direktive von Staats- und Parteigründer Mao Zedong: den „Hauptschlag gegen die korruptesten Elemente“ zu richten. Ob Parteikader oder Wirtschaftsführer: Wer sich illegal bereichert, muss mit einer „Politik der Erziehung“ rechnen. Mao selbst war es, der 1953 den Grundstein für die „Automobilfabrik / Fotos: Getty Images (3) Nummer eins“ legte. Mit sowjetischer Technik hämmerten und schraubten die Arbeiter im Stammwerk Chángchūn zuerst den Lkw „Befreiung“ zusammen, dann die tonnenschwere schwarze Kaderlimousine „Rote Fahne“. Seit 1991 betreibt FAW eine Gemeinschaftsfirma mit den Deutschen. Im Zug der Öffnungspolitik rollten seit Anfang der 90er-Jahre bei FAW die ersten einigermaßen modernen Autos vom Band – mithilfe von Volkswagen und der VW-Firma Audi. Die Chinesen kauften bald begeistert einen „Jetta“ oder „Audi 100“ aus heimischer Produktion. Heute gehören mehr als 44.000 Beschäftigte in neun Werken zu FAW-VW. Im vergangenen Jahr vereinbarten beide Seiten, die Zusammenarbeit um weitere 25 Jahre zu verlängern. Gemeinsam mit dem zweiten China-Partner des Wolfsburger Konzerns, der SAIC in Schanghai, steuerte FAW zuletzt stattliche 5,2 Milliarden Euro zum VW-Gewinn bei – wobei der Löwenanteil auf FAW-VW entfiel. Ohne Maos erste Autofabrik müsste Winterkorn seine Pläne für den chinesischen Markt ändern: Nach derzeitigem Kalkül wollen die Deutschen 22 Milliarden Euro bis 2019 in die chinesischen Gemeinschaftsunternehmen stecken. Fünf statt zuletzt 3,5 Millionen Autos jährlich will VW vor Ort fertigen. B I L A N Z / Doch das Geschäft wird immer schwieriger, die Wirtschaft wächst langsamer. Zu allem Überfluss hatten Winterkorn zuletzt auch die FAW-Manager einigen Kummer bereitet: Die von VW gewünschte Aufstockung des Anteils stieß in China auf wenig Gegenliebe. Eine chinesische Zeitung geißelte FAW kürzlich im Jargon der Kulturrevolutionäre als „Brutstätte von Ochsendämonen und Schlangengeistern“. Ein Unternehmensberater aus Schanghai, der bei FAW tätig war und Einblick gewann, vermutet, dass gegenwärtig kein anderer Autohersteller „so viele schwere Probleme“ mit den Korruptionsjägern habe wie FAW. In der Gemeinschaftsfirma herrsche „ein regelrechter Sumpf“. VW selbst lehnte jede Stellungnahme zu den Vorgängen in Chángchūn ab. Für die Deutschen sind die Ermittlungen kaum zu durchschauen. Außer der Staatsanwaltschaft schnüffelt auch die Partei im Korruptionssumpf: Führungskräfte verschwinden, ohne dass Vorwürfe bekannt geworden seien; manchmal soll es um veruntreute Millionen, manchmal um privat genutzte Dienstwagen gegangen sein. Seit 2011 verstreicht so gut wie kein Quartal ohne neue Schreckensmeldungen. Anfänglich dachten FAW-Kader noch, sie könnten das Misstrauen der amtli- chen Kontrolleure zerstreuen und die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen zur Umkehr bewegen, indem sie sich in Abteilungsstärke unter roten Transparenten im Sinne Maos zur „Anti-Korruptions-Erziehung“ versammelten. FAW schlug Aufrufe an, richtete Appelle an die Kader – allein, es änderte sich nichts. Ende 2011 rückten Beamte für Disziplinkontrolle in Kompaniestärke bei FAW ein. Ungefähr ein Drittel des oberen Führungskreises musste zum Rapport antreten. Das renommierte chinesische Wirtschaftsmagazin Caijing meldete im Frühjahr 2012, die Polizei habe mehr als 100 FAW-Angestellte mitgenommen, um „bei den Untersuchungen zu helfen“ – die übliche Beschönigung für eine vorübergehende Verhaftung. Die erste öffentliche Anklage nach der Großrazzia traf ausgerechnet den ehemaligen General der FAW-Volkswagen Sales Company. Seitdem kommt die Firma nicht mehr zur Ruhe. So gut wie alle Abteilungen stehen mittlerweile im Verdacht der Selbstbereicherung und Bestechlichkeit. Es geht um mehrere Hundert Millionen Yuan (sieben Yuan = etwa ein Euro). Ob beim Einkauf von Maschinen, bei Verhandlungen mit Lieferanten, bei der Zusammenarbeit mit PR-Agenturen und Werbefirmen – immer wieder floss Geld. Besonders lukrativ waren Händlerlizenzen. Die Eröffnung eines westlichen Autohauses gilt auf dem chinesischen Markt immer noch als eine der besten Gelegenheiten, um ganz schnell reich zu werden. Entsprechend viel (Schwarz-) Geld bezahlten die Interessenten für die Unterschrift eines FAW-Volkswagen-Kaders unter einen entsprechenden Vertrag. Ein einziger Mann, Shi Tao, machte mit diesen Geschäften 33 Millionen Yuan, fast fünf Millionen Euro. Ein Gericht verurteilte ihn im Frühjahr zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe. Andere Manager sollen Verwandten Beteiligungen an den Luxus-Autohäusern von FAW zugeschanzt haben, wo die teuersten Modelle von Audi, Bentley und Bugatti in den Schauräumen stehen. Auch der Privatverkauf verschaffte einigen Führungskräften von FAW-VW erhebliche Nebeneinkünfte: Zwischen 2007 und 2010 verschwanden, offiziellen Ermittlungen zufolge, 170 Luxusautos spurlos aus den Inventarlisten. Die Erträge wanderten in die Tasche von Jing Guosong, Vize-Präsident der FAW-Volkswagen Sales Company. Einer seiner direkten Untergebenen, der sich offenbar ebenfalls selbst bereichert hatte, beging Selbstmord, wie eine chinesische Finanzseite meldete. Insgesamt waren sechs Angestellte an den J u n i / 2 0 1 5 / 23 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 24 Parteichef M A O Z E D O N G inspiziert 1958 die Produktion bei FAW. AUTOPAL AST Lukrative Händlerlizenzen auf dem weltgrößten Automarkt. Machenschaften beteiligt. Auch in der Vertriebsorganisation von Audi wurden die chinesischen Ermittler fündig: Der PR-Chef der Marke, Lu Minje, musste den Dienst quittieren. 19 Agenturen standen auf seiner persönlichen Einnahmeliste, wie chinesische Medien im letzten Jahr meldeten. Allein 2014 fegten die Männer vom 13. Team der Disziplinkontrolle 30 Angestellte des Konzerns, denen Bestechlichkeit vorgeworfen wurde, aus dem Amt – davon ungefähr die Hälfte aus dem Gemeinschaftsunternehmen mit VW. Einige kamen am Ende mit einer „ernsten Verwarnung“ davon, darunter der Generaldirektor von FAW-Volkswagen, Zhang Pijie. Die meisten wanderten jedoch hinter Gitter. Den größten Fisch angelten sich die Ermittler ganz zum Schluss: den Chairman der FAW-Gruppe und persönlichen Freund von Winterkorn, Xu Jianyi. Noch im Sommer 2014 durfte der Chinese gemeinsam mit dem VW-Chef Bundeskanzlerin Angela Merkel in China empfangen. Seit März steht Xu unter Hausarrest wegen „ernsthafter Verstöße gegen die Parteidisziplin“ – die denkbar peinlichste Entwicklung in der Affäre. Bisher hält sich die Hauptverwaltung in Wolfsburg an die Devise: Nichts sagen und so tun, als ob in China bloß ein Sack Reis umgefallen ist. Doch es ist ja nicht nur eine Frage des Reputationsverlustes – VW könnte sich auch rechtliche Probleme vor westlichen Gerichten einhandeln. Die Risikoberater der Hongkonger Firma Steve Vickers & Associates warnen vor allem vor einem möglichen Verfahren in den USA: Nach dem sogenannten Foreign Corrupt Practices Act verfolgt die amerikanische Justizbehörde weltweit Korruptionsfälle. Die Festsetzung von Fifa-Funktionären Ende Mai in Zürich ist ein aktuelles Beispiel. Ein großer Fall in China löse automatisch „spiegelbildliche Untersuchungen“ in den USA aus. Zwar sind VW-Aktien nicht an der Wall Street notiert – trotzdem können US-Staatsanwälte tätig werden. Schon der Verdacht genügt, dass FAW-VW die Interessen von amerikanischen Firmen schädige, etwa jene des Konkurrenten General Motors. Der Staatsführung in Peking sind die Vorgänge um die bekannte Autofirma peinlich. Im Mai beförderte sie den Automanager Xu Ping zum neuen Chef von FAW samt angeschlossener Parteiabteilung. Die Chinesen sind angestrengt bemüht, den Aufbruch in eine neue Zeit zu dokumentieren. Eine aktivere Rolle der Deutschen in der Führung des Gemeinschaftsunternehmens wäre erwünscht. Im Gegenzug verlangt VW jedoch einen / Fotos: VW, FAW, Getty Images höheren Firmenanteil. Im Hintergrund verhandelt China-Vorstand Jochem Heizmann (63) weiter, will die Beteiligung am Gemeinschaftsunternehmen doch noch erhöhen: „Wir beschäftigen uns mit der Bewertung der Anteile.“ Es geht um einen Milliardenbetrag. „Bei den Verhandlungen hilft uns die FAW-Krise“, sagt ein Beteiligter. „Die Zeit arbeitet für uns.“ Denn neben der Korruptionsaffäre drückt auch die abflauende Autokonjunktur in China den Preis der FAW-Anteile. VW hat noch einen weiteren Trumpf in der Hinterhand: Winterkorns Mannen haben noch nicht entschieden, welcher ihrer beiden chinesischen Partner das Einstiegsauto, das „Budget Car“, mitbauen darf: SAIC oder FAW. Für das Modell mit hohen Stückzahlen ist eine neue Fabrik nötig. Noch bewegt sich freilich wenig bei FAW-VW. Alle wichtigen Positionen im Management waren mit je einem Chinesen und Deutschen doppelt besetzt – nach der Säuberungswelle seien jedoch viele chinesische Posten vakant, beklagt ein deutscher Manager. Und wer noch im Amt ist, vermeidet jeden Anschein von Vorteilsnahme, nicht einmal zum Abendessen könne man sich noch treffen, stöhnt der VWMann. U TIEFER FALL Xu Jianyi musste als Chef von FAW zurücktreten. B I L A N Z FUNCTION & EMOTION SAIC IST PROFESSIONELL, FAW KOPIERT RECHT GERN Die beiden staatlichen Partner von Volkswagen in China könnten unterschiedlicher kaum sein: Das erste Unternehmen SAIC untersteht dem Stadtstaat Schanghai und gilt als vergleichsweise modern und aufgeschlossen. FAW obliegt dagegen der Zentralregierung, gilt als bürokratisch und sperrig. Auch mit Toyota betreibt FAW ein gemeinsames Unternehmen. In der VW-Zentrale in Wolfsburg konnten es die Manager nicht glauben, als ihnen vor wenigen Jahren zu Ohren kam, dass FAW bei Zulieferern Angebote für Kernbauteile des VW-Getriebes „MQ 200“ einholte. Der begründete Verdacht: Die Chinesen wollten das Getriebe nachbauen, um es in ihrem nicht zuletzt für Russland gedachten Modell „Besturn B50“ einzusetzen. Der Vertrauensbruch wog umso schwerer, als die Niedersachsen bereits Ende 2010 erfahren hatten, dass die Chinesen ihre Konstruktionspläne nutzten, um den Motor / J u n i „EA 111“ illegal abzukupfern. Der Motor treibt den „VW Polo“ und den „Golf“ an. FAW änderte nur den Abstand der Zylinder um Millimeter. / 2 0 1 5 Volkswagens Spezialisten zufolge wurden damit mindestens vier in China gültige Patente verletzt, der Partner entpuppte sich als Rivale. Vorstandschef Martin Winterkorn konfrontierte den damaligen FAW-Chef Xu Jianyi Ende 2010 mit dem Vorfall. Xu versprach, dem nachzugehen. Im Frühjahr 2011 erklärte FAW dann, bei der Kopie des Motors handele es sich um den individuellen Fehler eines Entwicklungsingenieurs, der etwas missverstanden habe und dafür „hart kritisiert“ worden sei. Mittlerweile hatte FAW laut verschiedener Maschinenbaufirmen, die mit VW zusammenarbeiten, aber bereits in Chángchūn eine Fabrik für den kopierten Motor errichtet. Den Rest besprachen Winterkorn und Xu hinter verschlossenen Türen. U / 25 / www.alberto-pants.com SPORTLICHES URTEIL Auch Fußballprofis mit befristeten Verträgen genießen Kündigungsschutz, hat ein Gericht entschieden. Das schafft Unruhe, nicht nur für Sportmanager. U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E U R E C H T & P F L I C H T / 26 P E T E R R Ö L Z (49), einer der renommiertesten Arbeitsrechtler des Landes, ist geschäftsführender Gesellschafter der Frankfurter Sozietät Ulrich Weber & Partner. Vor wenigen Wochen hat das Arbeitsgericht Mainz eine sportliche Entscheidung gefällt: Die Richter hatten mit Urteil vom 19.3.2015 (Az.: 3 Ca 1197/14) entschieden, dass im Fall eines Fußballprofis die Befristung eines Arbeitsverhältnisses von mehr als zwei Jahren nicht mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz vereinbar sei. Die unmittelbare Konsequenz dieser Entscheidung: Ein Verein kann sich von Spielern nur dann trennen, wenn er einen Kündigungsgrund nach dem Kündigungsschutzgesetz geltend machen kann. Die Entscheidung wurde von Betroffenen als katastrophal für den deutschen Profifußball beschrieben. Dogmatisch ist sie, entgegen vieler Kommentierungen allerdings absolut richtig. Dazu muss man wissen: Das deutsche Arbeitsrecht ist in erster Linie auf den Erhalt des Arbeitsplatzes ausgelegt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wo man bei einer Trennung von einem Arbeitnehmer nur darum streitet, wie viel Abfindung für den Arbeitsplatzverlust zu leisten ist, geht es hierzulande stets um die Fortführung eines Arbeitsverhältnisses. Deshalb sind befristete Anstellungen grundsätzlich eine Abweichung von der Norm, da diese mit Ablauf einer Befristung enden, ohne dass man einen Trennungsgrund im Sinne des Paragrafen 1 des Kündigungsschutzgesetzes benötigt. Auch die weitergehenden Gesetze, wie der Schutz von Schwerbehinderten oder Schwangeren, laufen bei befristeten Beschäftigungen ins Leere. Wegen dieser Konsequenzen gibt es strenge Voraussetzungen, nach denen man ein Arbeitsverhältnis überhaupt befristen kann. Grundsätzlich ist eine Befristung zwar auch ohne Gründe möglich, wenn die gesamte Dauer einen Zeitraum von zwei Jahren nicht überschreitet und eine solche Befristung in dieser Zeit maximal dreimal verlängert wurde. Bei längeren Befristungen verlangt das Gesetz aber einen sachlichen Grund. Im Fall unseres Fußballers vertrat der Verein die Ansicht, dass die besondere Eigenart der Tätigkeit – in der Tat ein vom Gesetz anerkannter sachlicher Befristungsgrund – den Ausschluss aus dem Kündigungsschutz rechtfertige. Dabei stellte sich die Frage, ob ein Arbeitsvertrag mit einem Profifußballer, den der Verein irgendwann nicht mehr spielen sehen möchte, eine Befristung seines Arbeitsvertrages rechtfertigt. In der zitierten Entscheidung verneinte dies das Arbeitsgericht – zu Recht. Dem Verein stehen für den Fall einer gewünschten Trennung die normalen Werkzeuge des Arbeitsrechtes zur Verfügung. So hat sich beispielsweise Bayer Leverkusen kürzlich problemlos und ohne Abfindung von einem Spieler getrennt, der gegenüber Mitarbeitern des Vereins handgreiflich geworden ist. Befristete Anstellungen sind im deutschen Recht nicht gewollt und die Ausnahme von der Regel. Will man mit diesen Konstrukten die Regeln des Kündigungsschutzes umgehen, muss man sich auf eine sehr kritische Prüfung durch die Arbeitsgerichte einstellen, und zwar besonders dann, wenn es um Zeiträume von mehr als zwei Jahren geht. Der Hintergrund: Unternehmerische Risiken / Illustrationen: Cynthia Kittler und Alexandra Compain-Tissier für BILANZ sollen nicht auf die Arbeitnehmer verlagert werden. Aus diesem Grunde ist das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz auch systematisch völlig korrekt. Sollte der betroffene Spieler verletzt sein, seine geforderte Leistung nicht mehr bringen oder sich ungebührlich verhalten, ist dies über die bestehenden arbeitsrechtlichen Instrumente zu lösen. In der „normalen“ Berufswelt findet man aus den erwähnten Gründen befristete Verträge nur noch selten. Vor Jahren war es durchaus üblich, im Topmanagement Verträge zu befristen, ähnlich wie bei Geschäftsführern oder Vorständen. In den Personalabteilungen ist inzwischen aber mehr als bekannt, dass Verträge mit Arbeitnehmern auf Zeit häufig zu juristischen Problemen führen. Ob die Entscheidung aus Mainz vor den höheren Instanzen bestehen wird, bleibt abzuwarten. Die Fußballszene würde dann aber einmal mehr vor Augen geführt bekommen, dass auch sie dem geltenden Recht unterworfen ist. Es hat vor Jahren auch eines Herrn Bosman bedurft, um mit der unsäglichen Praxis von Ablösesummen bei beendeten Verträgen aufzuräumen. Damals hatte man das Ende des Profifußballs skandiert – zu Unrecht, wie man heute weiß. Und eines ist auch klar: Behält die Entscheidung der Mainzer Richter Bestand, können sich natürlich auch Trainer, die länger als zwei Jahre bei einem Verein beschäftigt waren, auf diesen rechtlichen Standpunkt berufen. Damit ist gewiss: Das deutsche Arbeitsrecht wird wohl bald um einige Facetten reicher. U B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 27 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 28 ’Ne Plastik von Pevsner, dem ollen Konstruktivisten? Nee, eine Federspeicherbremse von Knorr-Bremse! / Fotos: Knorr-Bremse AG (3) Kontrollsüchtiger Senior trifft auf ehrgeizigen Junior: Beim Technikkonzern K N O R R - B R E M S E befördert Eigentümer Heinz Hermann Thiele seinen Sohn Henrik in den Vorstand. Geht das gut (oder vielleicht sogar besser)? DIE THIELES HEINZ HERMANN THIELE Kultfigur der Maschinentechniker. Marke: „harter Hund“. Drillt, schleift, stählt und lässt exerzieren. Folge: Knorr-Bremse ist Weltmarktführer. HENRIK YANG THIELE Am 1. des Heumonats übernimmt Jung-Thiele die Leitung des Fachbereichs „Schienenfahrzeuge“. Er ist sanfter als sein Vater. Aber das will nicht viel heißen. B I L A N Z / J u n i Text ANNETTE PAWLU Vier Jahre Hongkong. Das prägt. Jetzt ist Henrik Thiele (47) wieder daheim, zurück in München, und er sagt von sich, er sei Yang: „Ich bin Yang.“ „Yang“ ist ein Begriff aus dem chinesischen Hokuspokus und tritt immer als Gegensatz von „Yin“ in Erscheinung. Die Leute reimen sich seit mehreren Tausend Jahren alles Mögliche über Yang und Yin zusammen, was hier aus Platzgründen nicht alles wiederholt werden kann. Aber es reicht für diese Geschichte ohnehin, wenn man sich merkt, dass Yang der Inbegriff des Hellen, Schöpferischen, Neuartigen, Aufsteigenden ist – und Yin eben nicht. Sollte Henrik Thiele also wirklich recht haben und die Kraft des Yang verkörpern, dann verkörperte sein Vater Heinz Hermann jene des Yin. Jedenfalls wird er von seinen Mitarbeitern, Freunden und Kollegen so beschrieben: als einer, der sich Geltung verschafft, der die Oberhand gewinnt, der kernig und zäh und schwierig ist. 74 Jahre zählt der alte Thiele und ist gut in Schuss, und er weiß, sich nach wie vor Respekt zu verschaffen wie einst im Mai. Er ist eine Autorität. Aber eines ist er mit Sicherheit nicht mehr: auf dem aufsteigenden Ast. Yin und Yang also, vielleicht aber auch einfach nur Kokolores. Vater und Sohn Thiele jedenfalls, um die beiden geht’s. Und warum? Weil sie in nächster Zeit richtig miteinander zu tun bekommen. Denn Heinz Hermann Thiele, Eigentümer und Aufsichtsratsvorsitzender des in München Milbertshofen, Moosacher Straße 80, ansässigen Familienunternehmens Knorr-Bremse, seines Zeichens größter Fabrikateur von Bremsen für Schienenund Nutzfahrzeuge, befördert seinen Sohn zum 1. Juli in den Vorstand: Henrik Thiele übernimmt die Leitung der Abteilung „Schienenfahrzeuge“, der gewinnträchtigsten des Hauses. Es ist ein entscheidender Moment in jedem Familienbetrieb: Wenn der Junior (mit bald 50 auch nicht mehr der Jüngste) nach der Bewährung in der Fremde in Vaters Firma zurückkehrt als ein gestandener Mann, auf Ausdehnung und Erweiterung seines Einflusses durchaus bedacht, ehrgeizig und ideenreich. Aber es ist auch nicht so, dass man jetzt daran denken würde, die Jahreszahl „2015“ ins Firmenwappen einzugravieren. Denn auch bei Knorr-Bremse wohnt wie überall, wo dergleichen geschieht, dem Generationswechsel ein Konflikt inne. Seine Tochter Julia Thiele-Schürhoff (43) hatte Heinz Hermann Thiele im Übrigen nie für eine Führungsaufgabe im Konzern in Betracht gezogen. Einesteils, weil sie selbst kein Interesse daran gezeigt hatte, anderenteils aber auch, weil sie als Frau und Mutter zweier Kinder für ihren Vater keine Option auf eine Leitungsposition war. Entspricht nicht seinem Frauenbild. Gewiss, Thiele führt gern einmal ein Gespräch mit ihr über die Firma, wenn es sich ergibt im „Casino“, der Manager-Kantine mit Eichentäfelung. Aber lieber als im Konzern sieht ihr Vater sie in ihrer Rolle als Chefin der Knorr-Bremse-Stiftung Global Care: betraut mit wohltätigen und herzensguten Projekten in Asien, Südafrika und Mittelamerika. Auch den Sohn, seiner Beförderung zum Trotz, hält Thiele auf Distanz: Henrik als Vorstandsvorsitzender – das ist für Thiele noch weit außerhalb des Vorstellbaren, und das nicht nur, weil er in Gestalt von Klaus Deller über einen hervorragenden Mann verfügt, der nur fünf Jahre älter ist als sein Sohn. Dass Henrik Thiele das Zeug dazu hätte, den Konzern zu führen, wird / 2 0 1 5 / 29 / U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 30 / Dass er nun in die Münchner Zentrale und in den Vorstand eininnerhalb des Unternehmens durchaus nicht in Zweifel gezogen. rücke, hält er für wenig bemerkenswert, es sei ja „irgendwie loAber selbst ein sanfter Führungswechsel, wie ihn zum Beispiel gisch“. So wird sein Einzug auch im Konzern gesehen. „Dabei die Autovermieterfamilie Sixt praktiziert, sei für Heinz Hermann habe ich in Deutschland noch nicht einen Mitarbeiter eingestellt Thiele ausgeschlossen, meinen Vertraute. – ich habe ja für Knorr-Bremse nie hier gearbeitet.“ Thiele ist Thiele betrachtet Knorr-Bremse als seine Schöpfung, und „gespannt“ auf das, was kommt. Die Belegschaft des Ressorts zwar zu Recht. Und er weiß, dass ein familienfremder Angestell„Schienenfahrzeuge“, sagt ein Gewährsmann, freue sich auf den ter an der Spitze niemals so viel Eigenleben entwickeln wird wie Junior, der als abgeklärt und besonnen gilt. der eigene Sohn und Miteigentümer. Der alte Thiele, sagen die Henrik Thiele hat Wirtschaftswissenschaften in München und Leute, sei besessen davon, alles zu kontrollieren und zu inspian der London School of Economics studiert und 2000 seine zieren. Selbst die Raumtemperatur habe er im Griff: Er mag’s bei Doktorwürde erlangt mit einer DisTagungen und Treffen lieber kühl. sertation im Fach „Spieltheorie“. Wie geht der Junior mit der HeVom Sachbearbeiter zum Noch im selben Jahr gehörte er rausforderung um? Henrik Thiele zu den Mitgründern der Programempfängt BILANZ in der KonzernEigentümer mefirma Definiens und ein Jahr zentrale. Es ist ein warmer Frühspäter von TWS Partners, einer lingstag. Kurz vor dem Treffen Beratungsfirma für angewandte ruft seine Assistentin an: Sie fragt Spieltheorie; 2005 wurde er Genach unserem Autokennzeichen: schäftsführer von Knorr-Bremse „Damit es reibungslos läuft.“ Bei in Madrid, 2011 Mitgeschäftsführer Knorr-Bremse herrscht Ordnung. von Knorr-Bremse Asia Pacific in Stimmt, sagt Henrik Thiele: Hongkong. „Wir legen Wert auf Perfektion.“ „Es fällt mir sehr schwer, mich Er wartet schon in seinem Büro im wieder in Deutschland einzufinersten Stock eines wuchtig-beeinden“, sagt Thiele. Ein Jahrzehnt druckenden, denkmalgeschützten DIE SONNE LACHT im Ausland, das entfremdet. „Ich und mit marmorgetäfelten FahrHeinz Hermann Thiele und Frau Nadia liebe Hongkong, ich liebe Asien. stühlen ausgerüsteten Altbaus, (sowie das Haus in Nymphenburg). Eine Lebensqualität, die wir in einst Firmenzentrale von BMW. München nie haben können.“ Er Henrik Thiele hat Charme und 1969 begann Heinz Hermann Thiele als juristischer wohnte ländlich dort mit seiner einen angenehmen Händedruck. Sachbearbeiter in der Patentabteilung des UnterFrau und den drei Kindern, aber Er wirkt bescheiden, aber nicht nehmens. 1985 konnte er mithilfe der Deutschen Bank nah genug an der Stadt. wie einer, der bescheiden wirken den Firmenerben die Firma aus dem Kreuz leiern. Bei Thieles zu Hause wird Spawill. Auf seinem Türschild mit der Thiele machte Knorr-Bremse eigenhändig, eigenmächtig nisch gesprochen, Henriks Frau ist Nummer 113 steht schlicht: „Beraund auf eigenwillige Weise zum Hegemon in der Spanierin. Er liebt das, er hat Sinn ter“. Sein Büro ist klein, ohne DeWelt der Bremsen für Schienen- und Nutzfahrzeuge. Seit und Begabung für Sprachen: „Meiko-Firlefanz, nur Askese. Schlicht 2007 führt er den Aufsichtsrat. Im vergangenen Jahr nen Mandarin-Unterricht gebe ich wie ein Werkzeugkasten. Keine haben seine 21.000 Leute die Einnahmen um aufbrausende nicht auf, ich such’ mir in MünFotos. Keine Bilder. Keine Kunst. 21 Prozent auf 5,2 Milliarden Euro hochgejubelt: chen einen Lehrer.“ Erst recht keine Gummibäume Rekord! Massive 560 Millionen Euro verbleiben als Henrik Thiele wirkt nicht wie oder Topfpflanzen. Thiele trinkt Überschuss im Tresor: Rekord! Thiele führt Knorrein Mann, der sich von seinem VaTee ohne Zucker, ohne Milch, ohne Bremse nach altdeutscher Art. Weil ihm das Geschäfteter kleinkriegen ließe. Und doch Zitrone. Sein Anzug ist grau, der machen so leicht von der Hand geht, kaufte er sich hat der ihn schon recht hart beSchlips rosafarben-gelb gestreift. privatim bei der Firma Vossloh ein, die solche Erzeugnisse handelt, mit Härte geliebt oder Das Bild, das seine Mitarbeiwie Spannklem men und Weichen sowie Stra ßen-, doch zumindest nichts unversucht ter von ihm zeichnen, zeigt einen Schwebe-und Ei sen bah nen fa bri ziert. Thiele hält 30,2 gelassen, um diesen Eindruck zu Mann, der intelligent ist, vielseiVoss loh-Pro zente und führt auch dort den Auf sichts rat. vermitteln, sagt ein Vertrauter. tig und schweigsam – oder sagen Eskapaden habe der alte Thiele wir: zurückhaltend. „Wir sind ein nie geduldet. „Tough love“, wie Privatunternehmen. Wir arbeiten US-Heavy-Metal-Rocker sagen. hart. Ich habe keine Ahnung, was die CEOs in Dax-UnternehIn einer Welt, in der es prestissimo, rapide und gar nicht men den ganzen Tag machen. Aber Erfolg durch Repräsentation hurtig genug voranjagen kann, gehört der 74-Jährige zu den gehört nicht zu unserer Strategie.“ großen Bremskräften und stärksten Verzögerern: Niemand hat „Yang“ hin, „Yin“ her – der junge Thiele hält sich wie sein sich um Stopp und Stillstand und das Stehenbleiben als solches Vater gern bedeckt. Wie das sogenannte Internet der Dinge, die so verdient gemacht wie dieser Jurist und Stratege, der 1969 „denkende Bremse“ zum Beispiel, sein Unternehmen verändern bei Knorr-Bremse als Sachbearbeiter in der Patentabteilung werde? Er habe kein Interesse daran, sich öffentlich über Pläganz bescheiden angefangen und die Firma unter Ausnutzung ne und Vorhaben zu verbreiten, sagt er. Er runzelt lächelnd die günstiger Umstände und eines Millionenkredits der DeutStirn, als sei schon die Frage nach seinen Zielen unangemessen. schen Bank Mitte der 80er-Jahre der entzweiten Eignerfamilie „Ich tische doch Mitbewerbern nicht vorher auf, womit wir sie abgehandelt hatte. als Nächstes überraschen werden.“ Höhepunkt seiner Schaffenskraft vermutlich noch gar nicht erThiele, den das Gewerbe gekältet und gehärtet hat, kann mit reicht hat. Man muss nun abwarten, wie sich die Dinge entwiSelbstgefälligkeit operieren, ohne Scherereien zu gewärtigen. ckeln. Und ob Klaus Deller und Henrik Thiele auch die rechte Man sieht ihm dieses Verhalten gerne nach. Ja, man vermisste Freude aneinander finden. es sogar, legte er es nicht an den Tag. Denn der Senior kann sich fernerhin nicht mehr um jede KleiNicht überall auf Gegenliebe stößt freilich sein Hang zu Drasnigkeit kümmern. Je älter er wird, desto häufiger ist er andertik und Direktheit, und auch sein Humor gilt als so ätzend, dass wärts: besucht die Mango-Plantage in Südafrika, die Rinderzucht man Möbel damit beizen könnte. in Uruguay, die Sommerresidenz auf Sardinien, das Winterhaus Unvergessen sind seine Ausbrüche gegenüber seinem ehemain Jochberg bei Kitzbühel, den Vierseithof bei Vilshofen usw. usf. ligen Finanzchef Peter Riedlinger. Es kam vor, dass er dessen Außerdienstlich ist der Patron, wie so viele andere HardVorschläge vor versammelter Truppe als „Peterchens Mondfahrliner und Falken auch, von sanftten“ verhöhnte. mütigem Temperament: tollt und Aus dem Ost-Ausschuss des albert mit seinen fünf Enkeln BDI hört man, der alte Thiele halte herum, spielt Eisenbahn mit wenig sowohl von dessen Vorsitihnen, obwohl Märklin keine zenden Eckhard Cordes als auch Knorr-Bremsen verbaut. dem BDI-Chef Ulrich Grillo: Die Als Asketen kann man HHT zurückhaltende Russland-Politik dennoch nicht bezeichnen. Am der beiden sage Thiele nicht zu. Ab Wochenende donnert, hagelt und und zu rufe er dann schon bei der gewittert er mit seiner Harley Kanzlerin persönlich an. übers Land, zum Oktoberfest lädt Mit dem Attribut „freundlich“ er Freunde und Geschäftspartner wäre der Führungsstil von Thiele an seine Stammtische in der Käfer nur unzureichend beschrieben – Wies’nschenke und ins Weinzelt aber unumwunden und unmittelder Familie Kuffler. Aber nicht, um bar, ja, das ist er schon. Sein Sohn FAMILIENSelters zu trinken. Henrik schätzt das, und es gibt AUFSTELLUNG Thiele achtet auf alles, nur nicht im Wuchtbau an der Moosacher Heinz Hermann Thiele (l.) immerzu aufs Gewicht. Sein AppeStraße viele Leute, die gerade das gehört mit einem Vermögen tit hat aus ihm die Stattlichkeit in Fehlen alles Hinterfotzigen an dem von 3,6 Milliarden Euro Person gemacht. Dank EntschlaAlten schätzen. (BILANZ 9/14) zu den ckungstees und einer PersonalDer Altmeister, von seinem An30 reichsten Deutschen. trainerin hält er nun sein Gewicht. hang innig verehrt, weiß nur zu geDas Foto zeigt ihn im Seine zweite Frau, Nadia, eine nau, wie viel Macht er teilen darf Jahre 2004 mit Sohn Henrik Ukrainerin, wird dies zu schätzen und mit wem. Wer aber sein Verund dessen Frau wissen. Mit ihr zeigt sich Thiele trauen gewonnen hat, der hat nichts Anna Serrano Biosca. gern auf Gesellschaften und in der zu befürchten. So holte er Klaus Münchener Kunstszene. Deller, der von 2009 bis Mitte 2014 Thiele hält große Stücke auf das Nutzfahrzeuggeschäft von seine Frau, die aus einer früheKnorr-Bremse geführt hatte, dann ren Verbindung einen Sohn mit aber zum fränkischen Familienin die Ehe gebracht hat. Nadia konzern Schaeffler desertiert und Thiele, einst Kundenberaterin dort noch vor Dienstbeginn wieder bei Wempe, gehört dem Vorstand abserviert worden war, Anfang dieder Knorr-Bremse-Stiftung Gloses Jahres nach München zurück bal Care an, sie ist eine fröhliche, und verlieh ihm Amt und Würde junge, attraktive Frau. Bei einem des Vorstandsvorsitzenden. Fotos: Lenbachhaus, Brauer Photos Abendessen im Münchener Hotel „Deller kann nichts mehr falsch Bayerischer Hof erzählte sie von machen. Er hat das totale Vertrauihren Liebhabereien: Zugfahren en von Thiele – und einen wassergehöre nicht dazu. Ihre Leidenschaft seien schnelle Sportwagen. dichten Vertrag“, munkelt ein Personalberater, der die VerhältGemeinsam leben sie in einer Villa im Stadtteil Nymphennisse zu kennen vorgibt. burg, die so ähnlich gebaut ist wie Thiele selbst: im Großen und Henrik Thiele hat sich von einem guten Sohn in einen starGanzen kantig und innen mit viel Marmor versehen, aber hie und ken, zeitweilig herausragenden Manager verwandelt. Viel zu da auch Kranz-Gesimse und Kitschgemälde in der „Spa-Landändern an System und Taktik von Knorr-Bremse gibt es jedoch schaft“. Hinterm Haus: Sommer-Pavillon und Gästehaus. nicht. Zum Führungswechsel besteht kein Anlass. Alles wonderIm Februar hat bei den Chinesen das Jahr der Ziege begonnen. bra. Die Geschäftszahlen sehen so gut aus, als würden sie gleich Die Ziege gilt unter Chinesen merkwürdigerweise als verständfröhlich aus dem Dekolleté kugeln: 5,2 Milliarden Euro bedeuten nisvolle und friedliebende Kreatur. Sei dem, wie ihm wolle: Es ist die direkte Qualifikation für die Champions League. kein schlechtes Omen. Und auch Yin und Yang bilden, dem AberKein Grund für den alten Thiele, jetzt sentimental zu werglauben zufolge, letzten Endes immer eine Einheit. den und mit seinem Sohn zu experimentieren, zumal Deller den U B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 31 / Notizen aus… …DEUTSCHEN FAMILIENUNTERNEHMEN Erst bei der Piëch-Posse wurde vielen klar: Sogar VW ist eine Familienfirma. Wo Sippen sonst noch das Sagen haben. 91 % ALLER UNTERNEHMEN in Deutschland werden von einer Familie beherrscht. HAMBURG U N T E R N E H M E N / BERENBERG BANK Kriege, Inflationen, Zusammenbrüche? Die Privatbank überlebt seit 1590. BEIERSDORF Der Nivea-Fabrikant ist in der Hand der Tchibo-Familie Herz. BERLIN WOLFSBURG HANNOVER DÜSSELDORF HENKEL Die Henkels regieren ohne Mehrheit – gehandelt werden nur stimmrechtslose Aktien. M Ä R K T E CONTINENTAL Die Übernahme der ContiMehrheit hätte die Schaefflers (Kugellager) fast um den Verstand und das Vermögen gebracht. VW Ein Abenteuerspielplatz für die Enkel des Käfer-Konstrukteurs Ferdinand Porsche. MERCK Hier herrschen die 200 Nachkommen von Friedrich Jacob Merck, der 1668 das heute älteste Pharmaunternehmen der Welt gründete. DARMSTADT NECKARSULM SCHWARZ-GRUPPE Haben die Aldis abgehängt: Familie Schwarz macht 79 Milliarden Umsatz. 46 % DES SOZIALPRODUKTS erwirtschaften Familienunternehmen in Deutschland. BMW In München haben die Quandts das Sagen. Die Industriellensippe rettete BMW 1960 vor der Übernahme durch Daimler. MÜNCHEN / 32 / Das größte deutsche Familienunternehmen, Volkswagen (Anteil der Familien Porsche und Piëch: 50,7 Prozent), setzt mehr als 200 Milliarden Euro um. Sechs der 30 im Dax, dem Börsenindex für die größten Konzerne, notierten Aktiengesellschaften, werden von einer Familie beherrscht. Das älteste noch bestehende Familienunternehmen, die Privatbrauerei Brüne in Bad Arolsen, stammt aus dem frühen Mittelalter, Gründungsjahr 1131. Von den ältesten 50 noch aktiven Betrieben sind 40 Brauereien – gesoffen wird immer. Immerhin zimmert seit 1191 die Morasch GmbH und ihre Vorgänger in Volkenschwand Innenausbauten und seit einigen Jahrzehnten auch Einbauküchen. Das Geheimnis der Langlebigkeit? Vielleicht die Widerstandsfähigkeit in Krisen. Untersuchungen belegen, dass die größten 500 deutschen Familienunternehmen in der Wirtschaftskrise nach 2008 deutlich weniger Umsatz verloren als etwa die Dax-Unternehmen. Über den gesamten betrachteten Zeitraum wuchsen sie überdies deutlich stärker – Papa ist eben der Beste! Kann man mit ein paar Litern Kaffee Millionen Liter Sprit sparen? MAN kann. Seit Rudolf Diesel 1897 bei MAN den ersten Dieselmotor entwickelt hat, arbeiten unsere Ingenieure ständig daran, ihn immer noch effizienter zu machen. Ihr Antrieb dabei sind Neugier, Forscherdrang – und jede Menge Kaffee. Das Ergebnis sind unzählige schlaflose Nächte, tonnenweise Skizzen – und geniale Innovationen, die den Dieselmotor immer sauberer und immer sparsamer machen. Wie wir mit Innovationen nicht nur Trucks und Busse, sondern auch Schiffe und sogar ganze Kraftwerke nachhaltig effizient machen, erfahren Sie auf www.man.eu/mankann Engineering the Future – since 1758. DER AUSMISTER –10 Milliarden Euro 37 Millionen Euro Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit der FMS-WM 2010 Oktober 2011 175,7 Milliarden Euro U N T E R N E H M E N 2011 2012 160,7 Milliarden Euro 136,9 Milliarden Euro Buchungsfehler von 55,5 Milliarden Euro wird entdeckt Abbau: –15 Milliarden Euro Abbau: – 23,8 Milliarden Euro Immobilien –25 % Infrastruktur –6 % Öffentliche Hand –6 % Wertpapiere –4 % Immobilien –18 % Infrastruktur –4 % Öffentliche Hand –17 % Wertpapiere –14 % / M Ä R K T E / 34 Wenn der Manager und Risikospezialist Christian Bluhm (45), der den Finanzmüll beseitigen soll, den die Bankengruppe Hypo Real Estate (HRE) hinterlassen hat, die Zeitung aufschlägt, dann stößt er begreiflicherweise nicht nur auf wohlwollende Kritiken seiner Auf- und Vorführungen als, man möchte fast sagen: Tatortreiniger. „Deutschland wirkt wie ein Depp“, beschwerte sich die (allerdings immer schnell beleidigte und sehr empfindliche) FAZ über einen Verlust von angeblich 2,6 Milliarden Euro beim Umtausch griechischer Staatsanleihen. „Bund beglückt Geierfonds mit Millionen“, gellte das Blatt bei anderer Gelegenheit; „zu früh gefreut“, spottete die Süddeutsche, als Bluhm den Verkauf eines Tochterunternehmens abblasen musste. Es sind Schlagzeilen wie diese, die dem studierten Mathematiker die Arbeit nicht gerade erleichtern. Bluhm lud sich die größte Last auf, die im deutschen Finanzgewerbe zu finden ist: Seit fünf Jahren führt er die staatliche Abwicklungsbank FMS Wertmanagement (FMS-WM) in der Münchner Prinzregentenstraße und ist dergestalt der bedeutendste, aber auch hintergründigste Bad Banker des Landes. Von der Presse verständlicherweise argwöhnisch beobachtet, von Interessengruppen in Politik und Finanzwelt belästigt und behelligt, steht Bluhm vor einer der schwierigsten Managementaufgaben der deutschen Wirtschaft. Anders als bei einer vergleichbar anspruchsvollen Obliegenheit bei einer Privatbank ist Bluhms Arbeit immer noch anständig, aber nicht herzoglich honoriert: Institute, die am Staatstropf hängen, begrenzen die Jahresgehälter auf 500.000 Euro. Bluhm muss Abnehmer finden für all die gifthaltigen Kredite und in Fäulnis übergehenden Papiere, die die HRE vor der Finanzkrise geradezu wahnhaft zusammengerafft hat. Es handelt sich um windigste Infrastrukturprojekte, zweifelhafteste Finanzierungen, nahezu unverkäufliche Immobilien und zuschlechterletzt ein großes Quantum griechischer Staatsanleihen. Als Bluhm 2010 seinen Dienst aufnahm, hatte der bereits stark riechende Bestand noch einen Nennwert von 176 Milliarden Euro gehabt. Doch der Ausmister kam voran. Nach einer Messung Ende 2014 war die Menge an unguten und entwerteten Einlagen auf gut 106 Milliarden Euro gesunken. Viele wurmstichige Teile sind entfernt. Dem Finanzminister Wolfgang Schäuble konnte Bluhm auch im vergangenen Jahr einen Gewinn (373 Millionen Euro) melden, den dritten seit Beginn seiner Aufräumarbeiten. Bei allen Widerständen und Schwierigkeiten, denen Bluhm zu trotzen versucht, kommt ihm bei seiner Arbeit doch der tadellose Ruf Deutschlands im Hinblick auf seine Zahlungsfähigkeit zugute: Die Kreditwürdigkeit ermöglicht eine günstige Refinanzierung am Kapi- / IMMOBILIEN INFRASTRUKTUR ÖFFENTLICHEHAND WERTPAPIERE Christian Bluhm hat eine der schwierigsten Aufgaben in der deutschen Wirtschaft: Er wickelt die Bad Bank der HRE ab. Die Frage ist: Macht er es gut? 146 Millionen Euro 373 Millionen Euro Ende 2015 Bluhm verlässt die FMS-WM mit unbekanntem Ziel Oktober 2013 2013 2014 119,1 Milliarden Euro 106,3 Milliarden Euro Finale Trennung von der HRE, bis dahin noch Dienstleisterin Entwicklung des Portfolios der FMS-WM Abbau: – 17,8 Milliarden Euro Abbau: – 12,8 Milliarden Euro Immobilien –20 % Infrastruktur –11 % Öffentliche Hand –11 % Wertpapiere –13 % Immobilien –36 % Infrastruktur –3 % Öffentliche Hand –9 % Wertpapiere –7 % Mai 2015 2015 Rückkauf von Depfa-Anleihen im Volumen von 1,2 Milliarden Euro Seit Ende 2014 wickelt die FMS-WM die frühere HRE-Tochter Depfa ab, eine Hypothekenbank in Irland. Der Kaufpreis betrug 320 Millionen Euro. B I L A N Z / J u n i / talmarkt. Allein 2014 nahmen die Bayern 11,6 Milliarden Euro auf. Der angehäufte Verlust der FMS-WM freilich, verstaut in einem Nebenhaushalt des Finanzministeriums, ist durch die zuletzt ordentlichen Ergebnisse indes nur unwesentlich gemindert worden: Er beträgt noch über zwölf Milliarden Euro. Welches Zeugnis kann Bluhm also erwarten, der die FMS-WM im Oktober verlässt, fast zwei Jahre früher als ursprünglich vorgesehen? Was hat der Mann erreicht in seiner Amtszeit? Sind die größten Risiken beseitigt, alle Gefahren gebannt? Am Anfang stand die HRE, die 2009 in höchster Not verstaatlicht wurde und bis heute vom Steuerzahler, also von Ihnen, Leser, mit mehr als 19 Milliarden Euro gerettet werden musste. Zur Gruppierung gehörten die Deutsche Pfandbriefbank, die jetzt PBB heißt, und die Depfa Bank in Irland, deren unorthodoxes Casino-Management maßgeblich den Niedergang der HRE verursachte. Die Depfa hatte langfristige Kredite durch kurzfristige auf dem Interbankenmarkt refinanziert. Als dieser nach dem Bankrott von Lehman Brothers im Jahre 2008 zusammenbrach, ging den DepfaZockern das Spielgeld aus, und zwar mit rapider Geschwindigkeit: 35 Milliarden Euro fehlten – kurzfristige Kredite konnten nicht mehr zurückgezahlt werden. Doch nicht nur die blanken Beträge bereiten seinen Leuten Kopfzerbrechen. Heikel ist vor allem die Zusammensetzung der Altlasten: „An fast jedem Wertpapier hängt ein Derivat“, sagt Bluhm. Ein Derivat ist ein Vertrag, der seinen Wert von einer bestimmten zeitlichen Referenzgröße ableitet, ähnlich wie ein Termingeschäft. Selbst wenn sich die Kurse etwa für Rohstoffe oder Devisen oder südeuropäische Staatsanleihen erholen, kann die FMS-WM diese Posten nicht gleich verkaufen, weil sie von HRE-Managern an ein Optionsgeschäft gekoppelt wur- den – zum Beispiel, um fallende Kurse abzusichern. Doch der Einfallsreichtum der Bluhm-Truppe ist bemerkenswert. So kamen die Münchner mit einer isländischen Kommune überein, die ihren Kredit seit 2011 nicht mehr bedient hatte. Die Stadt verpfändete freie Grundstücke an die FMS-WM, bis eine Bank vor Ort den Kredit refinanzierte. Die Isländer zahlten daraufhin einen Teil des Kredits ab, der Rest folgt am Ende der Laufzeit – hoffentlich. Den Kredit an einen Betreiber von Container-Endstationen an der US-Ostküste wickelte die FMS-WM ganz ab. Die Einnahmen des Hafenbetreibers waren gering, der Wert der Anlagen sank. Eine Refinanzierung schien aussichtslos. Initiiert hatte das Finanzierungskonstrukt eine Großbank. Die Deutschen nutzten Fehler in der Vertragsdokumentation – die Bank löste den Kredit ab. Zuletzt konnte die FMS-WM gemeinsam mit der Depfa vorzeitig eigene 2 0 1 5 / 35 / Text MARK C. SCHNEIDER Bundesministerium der Finanzen (BMF). Minister ist W O L F G A N G S C H Ä U B L E (CDU). Das BMF beaufsichtigt die FMSA und kontrolliert damit auch die von Bluhm geleitete FMS-WM. Nach einem Buchungsfehler in Milliardenhöhe, den Bluhm nicht zu verantworten, aber in Berlin zu vertreten hatte, musste er sich 2011 gegenüber einem wütenden Schäuble rechtfertigen. Der Fehler war einem Dienstleister unterlaufen, stellte die Bundesbank fest. 2007 U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 36 / 2008 HYPO REAL ESTATE (HRE) Frühere Chefs waren Georg Funke, es folgten Axel Wieandt und Manuela Better. Zum Konzern gehörten die Deutsche Pfandbriefbank, die heute als PBB firmiert, und die von der FMS-WM übernommene Depfa Bank in Irland. Beide finanzieren gewerbliche Immobilien, die öffentliche Hand und Infrastruktur. Anleihen im Nominalwert von 1,2 Milliarden Euro für nur 741 Millionen Euro zurückkaufen. Doch es wird lange dauern, bis der HRE-Müll entsorgt ist: „Der ursprüngliche Zeitplan, bis 2020 durch zu sein, hat sich als unrealistisch erwiesen“, sagt Bluhm, der an der TU München praxisnahe Vorlesungen hält über „Anwendungen der Wahrscheinlichkeitstheorie in der Finanzindustrie“ und die „Stochastischen Probleme der Kreditrisikomodellierung“. Mindestens zehn Jahre mehr sind intern veranschlagt: Vor 2030 wird das Gelände nicht entgiftet sein. Zur FMS-WM kam Bluhm, in dessen Lebenslauf Stationen bei der Deutschen Bank, McKinsey, der Hypovereinsbank und Credit Suisse verzeichnet sind, durch die Vermittlung eines Personalberaters. Bluhm befand sich im Mai 2010 in einer beruflichen Auszeit und war mit Frau und Töchtern gerade in New York, Klamotten sichten bei Abercrombie & Fitch. Die Verkäufer dufteten, Bäs- Die Bundesregierung schuf den S O F F I N 2008, um die Folgen der Finanzmarktkrise abzufangen, die mit der Insolvenz von Lehman Brothers eskalierte. Die F M S A verwaltet den Finanzmarktstabilisierungsfonds (S O F F I N ) und verfügt über bis zu 480 Milliarden Euro. se dröhnten, als sein Telefon klingelte. Bluhm trat hinaus auf die 5th Avenue, weil er kein Wort verstehen konnte. Dann ging alles ruck, zuck: Flug nach Deutschland, Vorstellungsgespräch beim Lenkungsausschuss der Bundesanstalt für Finanzmarkt-Stabilisierung (FMSA), zurück nach New York. „Bluhm ist analytisch und dabei entscheidungsfreudig, in schwierigen Phasen kämpft er beherzt für seine Sache“, sagt Christopher Pleister (67). Der ExChef der FMSA verpflichtete ihn 2010 für die FMS-WM-Mission, für die es kein Vorbild gab und die nur wenig kreativen Spielraum bot, da nicht nach den Gepflogenheit der Finanzwelt, sondern nach den strengen Haushaltsregeln der öffentlichen Hand zu verfahren war. Bluhm, der den dritten Jahresgewinn in Folge verbucht hat, musste dennoch schmerzhafte Rückschläge erleiden. Der Tiefpunkt, sagt er, seien nicht einmal die später eingestellten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn und zwei Chef des Leitungsausschusses des Bundestages war lange Zeit CHRISTOPHER PLEISTER. Er half Bluhm, in der Politik Fuß zu fassen. Kollegen wegen des Verdachts der Untreue gewesen. Die FAZ hatte der FMS-WM 2014 vorgeworfen, beim griechischen Schuldenschnitt unnötigerweise bestimmte Papiere eingereicht zu haben, was zu Mehrbelastungen für die Steuerzahler in Höhe von 2,6 Milliarden Euro geführt hätte. Das Parlament und das Finanzministerium in Berlin forderten Aufklärung. Die Vorwürfe erwiesen sich als falsch, das Vorgehen war nicht zu beanstanden. Für viele war das Störfeuer kein Wunder, steht die FMS-WM doch in einer spannungsgeladenen Beziehung zur HRE selbst. Deren zwischenzeitliche Chefin Manuela Better (54) geriet vor und hinter den Kulissen häufig mit Bluhm aneinander – und quittierte den Dienst, als dieser und nicht sie selbst die Depfa Bank nun verkaufen soll oder abwickeln darf, je nachdem, was lukrativer ist. Doch auch Bluhm selbst kam bei der FMS-WM nicht immer so zügig voran, 2009 Die HRE wurde 2009 verstaatlicht. Heute besteht sie im Kern aus der PBB Deutsche Pfandbriefbank, die aber privatisiert werden soll. Die Rettung der HRE kostete den Steuerzahler bislang gut 19 Milliarden Euro. GRÜNDUNG DER FMS-WM Die Anstalt öffentlichen Rechts wickelt seit Oktober 2010 die teilweise toxischen Vermögenswerte und Papiere der HRE-Gruppe ab. Auftraggeber ist die Bundesrepublik Deutschland. Ziel der Abwicklung ist es, die Steuerkasse zu schonen. Die FMS-WM finanziert sich an den Geld- und Kapitalmärkten und nutzt dabei die Topbonität (AAA) des Bundes. CHRISTIAN BLUHM 2010 Der promovierte Mathematiker aus Singen forschte an der Cornell University in New York und schrieb Fachbücher. 1999 wechselte er in die Finanzwelt, arbeitete für Deutsche Bank, McKinsey, Hypovereinsbank und schließlich für die Credit Suisse, wo er das Kreditportfolio- Management leitete. Zum Start am 1.10.2010 umfasste das von der H R E übernommene Portfolio nominal fast 176 Milliarden Euro. Das Portfolio der FMS-WM verteilt sich auf vier Segmente: Kredite und Wertpapiere für die öffentliche Hand (86,6 Milliarden Euro) Strukturierte Produkte (43,9 Milliarden Euro) Infrastruktur (18 Milliarden Euro) Die F M S W E R T M A N A G E M E N T wird von der F M S A beaufsichtigt. Gewerbe-Immobilien (27,2 Milliarden Euro) wie er es sich gewünscht hätte: Sein Plan, die Servicefirma zu verkaufen, deren 400 Mitarbeiter mit der Umsetzung von seiner Strategie beschäftigt sind, aber wegen des guten Vorankommens nicht mehr in alter Sollstärke gebraucht werden, erwies sich als undurchführbar. Er sei „traurig und enttäuscht“, nachdem man „über zwölf Monate hart daran gearbeitet“ habe. Bluhms persönlicher Tiefpunkt war ein folgenschwerer Buchungsfehler, über den der Mathematiker sich anhaltend ärgert. In der Folge erhöhten sich die deutschen Staatsschulden auf dem Papier um 55,5 Milliarden Euro, zum Glück ohne dauerhafte Folgen. Den Fehler hatte ein Dienstleister der PBB begangen, mit der die FMS-WM zusammengearbeitet hatte, bevor sie ihre eigene Servicefirma gründete. Bluhm hatte die Panne nicht verursacht, aber zu verantworten – und musste sich 2011 gegenüber einem alarmierten Schäuble rechtfertigen. „Der Buchungsfehler war extrem unangenehm für ihn. Aber er hat selbst unter Beschuss nicht auf andere gezeigt, sondern seinen Teil der Verantwortung übernommen“, sagt Florian Toncar (35, FDP), ehemaliger Vorsitzender des Finanzmarktgremiums, dem Bluhm Rede und Antwort stehen musste. „Christian Bluhm ist bei der Abwicklung schneller vorangekommen als erwartet“, sagt Klaus-Peter Flosbach (CDU), der nun besagtem Gremium vorsteht. „Er hat viel Vertrauen geschaffen, dass der Bestand ohne Verluste für den Steuerzahler in den Markt kommt.“ Trotz aller lobenden Worte: Die Arbeit bei der FMS-WM ist für einen Mann wie Bluhm auf Dauer unbefriedigend, weil sie ihrem Wesen nach zum Schrumpfen und Vergehen verurteilt ist und keine Neugeschäfte machen darf. Bluhm, ein Pastoren-Sohn vom Bodensee, wird im kommenden Jahr aller Voraussicht nach wieder für eine Privatbank arbeiten, vielleicht im Aus- land. „Ich lege keinen Wert darauf, im nächsten Job wieder im Rampenlicht zu stehen.“ Sein Nachfolger bei der FMS-WM wird Stephan Winkelmeier (47), zuvor Finanzchef der Bayerischen Landesbank. Winkelmeier muss den Mitarbeitern eine Perspektive bieten, um dem drohenden Abgang weiterer Spitzenkräfte und damit Qualitätsverlust vorzubeugen. Der Politik muss er klarmachen, dass bei der HRE-Müllabfuhr nicht dauerhaft Gewinne zu erwirtschaften sind. Die verbleibenden Risiken für die Steuerzahler sind „allen Erwartungen nach überschaubar“, sagt Bluhm. Das größte Risiko stellte ein Zerfall des Euro-Raums dar: „Was passiert, wenn eine Regierung antritt und sagt, ich komme lieber meinen Verpflichtungen anderen gegenüber nicht nach, als meine Wähler zu enttäuschen?“ Für seine Vorlesungen sammelte der Mathematiker Bluhm jedenfalls geradezu unbezahlbaren Stoff. U B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 37 / Fotos RAMON HAINDL U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 38 / Der Tassenund WannenHersteller VILLEROY & BOCH hat schwere Zeiten hinter und fixe Konkurrenten vor sich. Wie Hausbaron und Oberaufseher Wendelin von Boch-Galhau den Staub von den Tellern wischen will. Text KLAUS BOLDT und STEPHAN KNIEPS B I L A N Z / KAMPF MIT KERAMIK Geblendet von der eigenen Historie? VON BOCHGALHAU schaut ins Ungewisse (r.) und diskutiert in der Abtei mit seinem Anstaltsleiter Frank Göring (linkes Foto rechts). J u n i / 2 0 1 5 / 39 / K U N T E R N E H M E N / M Ä R K T E / 40 / mehr an sich: „...dass hier noch eine deutsche Dame an der Tasse ’rummeißelt.“ Von Bochs Schultern zucken, das mit ürzlich waren wieder Geschäftsleute aus dem „Herummeißeln“ hat ihm gefallen. Dubai in Mettlach: Gesandte des Emirs, „Unser Name“, sagt der Alte, „ist Direktoren von Neubauprojekten, Einnatürlich unsere Stärke: achte Generatikäufer. Über Meere und Wüsten und Geon, spannende Familiengeschichte, Unbirge und Völkerschaften hinweg waren ternehmenskultur. Die Asiaten, Russen sie bis ins Saarland gereist, also ins Weite und Amerikaner fahren ab auf diese Gevom Schuss, um den Edlen vom Keraschichten. Man kann sagen, die Geschichmikbetrieb Villeroy & Boch einen Besuch te macht den Unterschied aus zwischen abzustatten und die feinen BadewanTeller A und Teller B und warum der eine nen, Kloschüsseln und Waschbecken in doppelt so viel kostet wie der andere. Das Augenschein zu nehmen, die man ebenist schon ein Wachstumstreiber.“ dortselbst im Sortiment führt wie Teller Von Boch und Göring sitzen in Zimund Tassen, Geschirre und Bestecke. mer 114 im ersten Stock der Abtei. WenAuf dem dreitägigen Programm der delin Franz Egon Luitwinus Maria von Abordnung standen Führungen durch Boch-Galhau, wie sein vollständiger das Sanitär- und Geschirrwerk, ein Gang Name lautet, wurde in diesem Zimmer, durchs Museum für Irdenware, Steingut, man höre und raune, während des KriePorzellan und Sondermassen sowie ein ges geboren: Den Boch-Galhaus diente Abendessen im Gästehaus Schloss Saardie Ex-Abtei einstmalig als Eigenheim. eck, einer Baulichkeit aus dem Jahre Während seiner fast vierzigjährigen 1903. Hier, wo das Parkett knarrt und Dienstzeit im Unternehmen als „PorElchköpfe und Ölgemälde an den Wänzellan“-Vorstand und Chef (1998–2007) den für altdeutsche Stimmung sorgen, leistete der Herr Baron nach allgemeiverbrachten die Herren aus dem Mornem Dafürhalten gute Arbeit. Unter genland auch die Nacht. seiner erfahrenen Regie wurde die FerDie Bedeutsamkeit von Brauch und tigung automatisiert, die TassengestalÜberlieferung, von Herkommen und tung nachhaltig verbessert und spülmaGepflogenheit zählt zur Wesensart des schinenfestes Geschirr ins Assortiment Unternehmens („Leben und genießen in aufgenommen. Heute ist von Boch Aufmodernem Design. Tradition seit 1748“), sichtsratsvorsitzender. das seinen Sitz auf der anderen, dem Frank Göring, sein Nachfolger als BeSchloss Saareck gegenüberliegenden Seitriebsleiter, gebürtig aus Mülheim an der te der Saar bezogen hat, in einer BenedikRuhr, war 1997 in Mettlach eingetroffen: tiner-Abtei aus dem Jahre 1727. Er hatte zuvor für Procter & Gamble Beinahe jede Woche begrüße man („Ariel“, „Pampers“), die ZigarettenfirGäste aus Übersee, sagt Wenma Reemtsma und den Lebens„ delin von Boch (72), Nachfahr mittelhersteller Hero („SchwarDie Asiaten, des Lothringer Kanonengießers tau“) gearbeitet und bei V&B Russen Jean-François Boch, der 1748 seizunächst das Marketing-Ressort ne Fertigkeiten auf das Brennen und Amerikaner übernommen. Seit acht Jahren fahren von Tellern und Tassen ausgeführt er die Geschäfte als zweiter ab auf diese weitet und dem sich später der Familienfremder in der FirmenFamilienkenntnisreiche Nicolas Villeroy geschichte. Dort, wo Boch-Galgeschichten. angeschlossen hatte, seines Zeihau seinerzeit das Licht des Das ist schon chens Steingutfabrikateur aus Saarlands erblickte, steht heute Metz. Wenn die Orientalen oder ein Wachstums- Görings Schreibtisch. treiber. Okzidentalen nach einem FamiEines der hohen Fenster ist lienmitglied fragen, dann springt geöffnet, draußen gleitet ein “ von Boch hervor und ruft „Hallo!“ Fahrgastschiff über die Saar, ein oder aber „Bonjour messieurs-dames!“ Brunnen gurgelt oder murmelt, und „Natürlich hat das eine Wirkung“, sagt durch den Abteipark wackeln ein paar Vorstandschef Frank Göring (54), und Schwäne und ihre Küken. Die Sonne man ahnt, welche: Eine Besichtigung der scheint, die Magnolien blühen, das Herz Werkstätten beschwört ein Gefühl für lacht, und die Herren reden durcheinandas Vergangene herauf: „Weil die dann der, ersichtlich gut gelaunt. hier die Geschichte spüren und gesehen 766,3 Millionen Euro setzte das Unhaben...“ – und jetzt hält Göring nicht ternehmen jüngsten Zählungen zufolge um, nur einen Schnaps mehr (2,8 Prozent) als 2013; der Gewinn übertraf mit 24,3 Millionen Euro das Vorjahresergebnis auch nur um vornehme 1,7 Prozent. Alles adagio und lentamente. Aber immerhin: Es ging in Mettlach schon weniger fix vonstatten, die Lage war schon mal unerquicklicher als heutigentags. Vor wenigen Jahren noch hatte die im Aktienindex S-Dax registrierte Firma (rund 7.650 Beschäftigte) knapp vor der mythischen Umsatzmarke von einer Milliarde Euro gestanden. Doch im Märzen 2007 musste von Boch, quasi als letzte Amtshandlung, die Mehrheit an der Fliesensparte (Umsatz: 149 Millionen Euro) abstoßen, die ihr Geschäft nur unter Verlusten und Schmerzen betrieben hatte. Es war eine Tat, die zur Gesundung beitrug, aber auch zur Schrumpfung des Gesamtumfangs. Das Ziel von damals soll nun sein Protegé erreichen. „Mittelfristig ist unser Ziel schon eine Milliarde“, sagt Göring schneidig. „Der Horizont dafür sind drei bis fünf Jahre.“ Um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, müsste V&B seine Durchschnittsgeschwindigkeit jedoch beträchtlich erhöhen, ja, vervielfachen. Aber kann dies gelingen? Man hat schon Pferde in schlechtem Zustand vor Apotheken gesehen, aber dass sich Görings hoffnungsvolle Erwartungen erfüllen, dafür spricht nur wenig. Die vergangenen Jahre waren durch großes Unheil und mysteriöse Funktionsstörungen gekennzeichnet: Im Zuge der Finanzkrise mussten über 1.200 Stellen gestrichen, mehrere Werke dichtgemacht, eines verkauft, zwei von vier Geschirrproduktionen geschlossen werden. Eine Kartellbuße der EU schlug 2010 mit 78,5 Millionen Euro zu Buche beziehungsweise ins Comptoir. Durch die jahrelange Behandlung auf der Intensivstation und die ständigen Eingriffe habe „das Unternehmen seine Wandlungsfähigkeit verloren“, heißt es außerhalb der Abtei. „Es ist sehr, sehr träge geworden.“ Mit dem Ehrentitel „eine der ältesten Porzellanmarken Europas“ allein sei kein Staat mehr zu machen. Die Saarländer befinden sich in Kalamität und Verlegenheit: Der eine Geschäftszweig ist groß, aber lebensgefährlich; der andere idyllisch, aber klein. Dieser Zustand spitzt sich zum Dilemma zu. Außer den Rohstoffen Feldspat, Quarz, Ton und Kaolin haben die Sparten kaum gemeinsame Interessen: die zarte Abtei- B I L A N Z Die Keramikplatten zieren noch die Böden in der Abtei. 2007 aber musste Wendelin von Boch (o.) den FliesenGeschäftszweig verkaufen. / J u n i / 2 0 1 5 Frank Göring (r.) versucht aus dem Schatten zu treten, den die lange Familientradition bei V&B wirft. Er ist erst der zweite familienfremde Chef. / 41 / U N T E R N E H M E N Wachtmeister und Qualitätsmanager Wendelin von Boch-Galhau bei der Magnolienkontrolle im Abteipark. / M Ä R K T E / 42 / lung „Tischkultur“ (Tassen, Teller, Becher) hier und die stämmige Abteilung „Bad und Wellness“ (Toiletten, Badewannen, Waschbecken) da. „In Vertrieb und Entwicklung gibt es nicht wirklich Synergien“, klagt Göring fintenreich und meint damit die wenigen Vorteile, die sich aus dem Zusammenwirken der Geschäftsbereiche ziehen ließen. Man muss kein Atomphysiker sein, um eine Auf- oder Abspaltung ins Auge zu fassen, und Göring leugnet nicht, dass er und sein Meister durchaus schon mit diesem Gedanken gespielt hätten. Aber sie können sich nicht zu einer Demontage durchringen: Denn „wenn man sich erst mal getrennt hat, ist es echt schwierig, dass es für den Endverbraucher wieder das Bild einer Marke ergibt“. Man sieht die Verbraucher förmlich schreiend durch die Straßen laufen, das Ärgste befürchtend: „Oh, wo ist das Bild der Marke?“ Drei Fünftel der Einnahmen entfallen auf die Sanitär-Sparte, die sonach ein starkes Gewerbe darstellt. Doch um die stillen Orte tobt internationaler Schlachtenlärm: Kanonen donnern, Musketen knallen. Namentlich die Japaner ver- zeichnen Geländegewinne mit ihrem Dusch-WC, das den Allerwertesten mit Warmwasser reinigt und trocken föhnt. „Das ist der Hammer!“, ruft Göring. Er hat sich bereits vor Jahren mit einer Abordnung des Toiletten-Großproduzenten Toto aus Kitakyūshū beraten, wie man zusammenarbeiten könnte. Seinerseits hat er die Mettlacher WC-Forscher zu verstärkten Anstrengungen aufgerufen und -gefordert und mit der Erfindung einer spritzlosen Spültechnik beauftragt sowohl wie einer Kloschüssel, die ohne wasserführende Krempe auskommt, unter der sich ja stets Unsagbares verbirgt. Bummelei & Schlendrian kann sich V&B nicht erlauben: Japaner, Finnen, Spanier, Belgier – viele sind größer als die Jungs von der Saar. Der Schweizer Sanitärhersteller Geberit vergriff sich 2014 an der finnischen Badfirma Sanitec mit ihrer nicht gerade erfolglosen Marke „Keramag“, und auch die deutsche Firma Grohe („Masters of Technology since 1873“), jüngsthin vom Tokioter Baustoffmammut Lixil aufgesaugt, bekräftigt ihren Ehrgeiz, beim Verkauf von Badewannen und Waschtischen so richtig loszulegen. „Die Konsolidierung ist atemberaubend“, knurrt Grohe-Choreograf David Haines. Als Göring bei einem Blick in die Statistiken auffiel, dass V&B nur 17 Prozent seiner Einnahmen außerhalb Europas verbucht, beschloss er, das Missverhältnis unverzüglich zu berichtigen und den Auslandsanteil in spätestens fünf Jahren auf 25 Prozent zu erhöhen. Seine Hoffnungen ruhen auf Russland, aber natürlich auch auf China. Seine Aufmerksamkeit will der Manager indes nicht nur auf Moskau oder St. Petersburg, auf Peking oder Schanghai richten, sondern auch auf „die unbekannten Millionenstädte“, welche auch immer das sein mögen. Für Wendelin von Boch-Galhau heißt es dann mal wieder: Koffer packen. Der alte Adel muss ran. Kürzlich erst reiste er auf die Philippinen, um dortzulande einen Laden zu eröffnen. Großaufträge wie die für Badezimmer-Einrichtungen von Hochhäusern und Hotels in Australien oder den Fürstentümern am Persischen Golf schlämmen zwar mehr Gelder an als der Verkauf von Tischporzellan. Doch im Gegenzug macht die kleine, repräsentable Die Wettbewerber Villeroy & Boch gliedert sich in zwei Geschäftsbereiche („Tischkultur“ und „Bad und Wellness“), weshalb man sich auf zwei Schlachtfeldern mit Konkurrenten messen muss: Mi 0 o. 1 2 M and ): 2 9 7 AR hl S( io. VIL L OY & B O De u t s c H( ER C Finnland): 50 GESCHIRR FIS K LI WANNEN UND WCs L XI * (J apan): 4 ,5 M rd. 2 1 TOTO (J a p a n ) : 3,9 M rd K . OH L E R ( U SA) : 1 , 9 M r d . 3 4 RO C A (S p a n ien ): 1 ,6 Mrd. SA N I T io. 5 C (Finnland): 6 9 0 M AN DA R D ( VILLE lgie ST Be A L 69 ,3 6 Mio. n): 66 Mi o. E 6 IDE Geschirrsparte mehr Eindruck und das Betriebswirtschaften geht friedlich von der Hand, weil V&B in diesem Markt eine bedeutendere Stellung einnimmt und Komfort und Vorzug genießt. Nur, kaufen die Volksmassen künftig noch 125-teilige Tafelservice? Kaum. Die Leute rennen lieber zu Ikea und klirren und klappern ein 18-teiliges Essgeschirr für 25 Euro nach Hause als sich ein achtteiliges von V&B anzuschaffen, das dreimal so viel kostet. „Da gibt es schon gewaltige Veränderungen, einen Wertewandel“, unkt von Boch. Einiges wäre bereits gewonnen, wenn man nicht mehr alle Moden verpasste. „Grillen liegt weltweit im Trend“, hat Göring erst kürzlich ausgekundschaftet. Er hält für die Bewegung neuerdings die Kollektion „Ultimate BBQ“ parat, samt „Fleischplatte mit Abtropfrillen“. Wie es der Zufall will, steht so ein Ding gerade auf seinem Schreibtisch, sodass er es zur Ansicht bringen kann. Ja gut, das Grillen ist vielleicht keine neue Erfindung. Aber er „wüsste nicht, dass wir wegen der Historie in Entscheidungen langsamer sind“. Von Boch zieht seinen Trumpf aus dem Ärmel und bemerkt, dass die Firma erst durch Abwägung und Achtsamkeit in die auskömmliche Lage gekommen sei, in der sie sich heute befinde. Er vergleicht die Firmenpolitik mit dem Bäumepflanzen: Man tue es nicht für sich, nicht für die Kinder, sondern für die Kindeskinder. „Aber ich gebe zu“, schaltet Göring ein, „dass wir das Barbecue-Thema auch schon vor drei Jahren hätten machen können.“ Nach den Widrigkeiten der Vergangenheit befindet sich von Boch in einem Zustand, den man nur erreicht, wenn einem das Schlimmste schon passiert ist. Er gilt als Führungsgestalt, Vorbild und Unikum der Keramik-Innung. Erfindungsgabe und Draufgängertum zeichneten ihn immer aus. Als Schüler flog er von sechs Internaten. Unter anderem, weil er einmal einem Lehrer in die Teetasse gepinkelt hatte. In München teilte er sich ein WG-Zimmer mit Andreas Baader, dem späteren RAF-Terroristen. Am Telefon meldet sich der Herr Baron meist schlicht mit „Boch!“, aber zu den Schrullen, die er sich leistet, gehören Großwildjagden in Tansania (Büffel) und im Saarland (Keiler). Von Boch hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert und ist verheiratet mit Brigitte, RO Y & BOCH: 4 7 alle Angaben in Euro *u.a. Grohe Fotos: Wedgwood, V&B, American Standard, Toto, Kohler, Roca, Keramag, Ideal Standard die eine Modelinie betreibt („Brigitte von Boch“: 18 Filialen). Überall in der Firma laufen Verwandte und Nachfahren der Villeroys herum: Vetter Luitwin Gisbert von Boch-Galhau, der knapp 18 Prozent der Firmenanteile hält, ist Ehrenmitglied des Aufsichtsrats, Alexander von Boch-Galhau dort einfaches Mitglied wie auch François Villeroy de Galhau; Nicolas Luc Villeroy wiederum steht der „Tischkultur“ vor. Die Stammaktien des mit rund 200 Millionen Euro bewerteten Unternehmens verteilen sich auf über 200 Mitglieder beider Familien. Kein leichtes Arbeiten für Frank Göring, der ja nicht zur Familie gehört und dessen Amtszeit bisher ein ständiges Ringen unter erschwerten Bedingungen war. Auch wenn er mit Görings Plänen einverstanden sei, sagt von Boch: „Ich habe mit keinem im Unternehmen so oft gestritten wie mit ihm.“ Es klingt wie eine Auszeichnung. „Und er war höchst überrascht, als ich ihn als meinen Nachfolger vorgeschlagen habe. Er sagte: Wir zanken doch hier dauernd rum. Aber das fand ich gerade spannend, ein interessantes Sparring.“ Der Alte mag es, Göring herauszufordern. Auch privat, man kennt sich gut. Bevor von Boch dem Neuen die Führung der Firma anvertraute, spielte sich eine Szene ab, die das Verhältnis der beiden auf treffende Weise illustriert. FC-Bayern-Anhänger von Boch lädt Göring zu wichtigen Fußballspielen gerne mal nach Hause ein, nach Britten, neun Kilometer von Mettlach entfernt. In seinem Waldanwesen hat sich der Baron ein kleines Kino eingerichtet. Brigitte von Boch reicht den Männern immer einen Imbiss, „alles mögliche Herrliche“, sagt Göring, „und dann wird gefuttert und Fußball geguckt. Ist immer ein Event“. Nach dem verlorenen WM-Halbfinale 2006 schlug von Boch seinem Gast eine Spritztour mit seinem sagenhaften, unbezahlbaren, historischen „Osca Maserati“ vor. Was für ein Geschoss: keine Windschutzscheibe, keine Sicherheitsgurte, zwei Sitze. Göring bekam eine Fahrerbrille, und von Boch röhrte durch die Landschaft wie Röhrl. Reifen quietschten, Fliehkräfte rissen, Göring erbleichte: Er habe seinen Chef „nicht wiedererkannt“. Ein Jahr später machte ihn von Boch zum Chef. Der Vertrag läuft bis Ende 2016. Göring sagt, er würde gern verlängern. Das hängt jetzt ein bisschen davon ab, ob Göring mit V&B selbst die Kurve kriegt. U B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 43 / 43 U N T E R 75 UNTER I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 44 / Welche Rolle spielt Deutschland in Texte den Zukunftsindustrien SOPHIE wie Biotechnik, Robotik oder der CROCOLL, Erforschung der Künstlichen Intelligenz? MICHAEL GATERMANN, Wer gehört zu den einflussreichsten Managern STEPHAN K N I E P S und und Unternehmern der neuen Neuen Wirtschaft? VOLKER BILANZ stellt die wichtigsten Akteure vor. TER HASEBORG 74 70 BEN LIPPS Magforce duktion, 100 26 Mitarbeiter, weitere 14 in der Produktion, Einzelpatente, rund 150 Millionen Euro Börn Lipps senwert: Kein Wunder, dass sich Ben en als nach 13 höchst erfolgreichen Jahren GÜNTER FALTIN ens Projek Vorstandschef des Dax-Unternehmens Projektwerkstatt Fresenius Medical Care für die 19977 Einigen Hundert Menschen dürfte Günter Faltin schon zur Unternehmensgründung vergegründete Magforce interessierte. holfen haben, sowohl als Berater wie auch Professor für Entrepreneurship oder „EntrepreSeit 2013 ist der 74-Jährige („Runeuriat“ oder noch besser: Unternehmertum. Diesen Studiengang führte der heute 70-Jährige hestand war für mich kein Ende der 70er-Jahre an der FU Berlin ein – kein guter Zeitpunkt: „Die Studenten schimpften, Thema“) dort Vorstandsich würde Kapitalistenschweine züchten – und zerstachen die Reifen meines ,Simcas‘.“ Weil seine vorsitzender. Die Berliner erste eigene Firma namens „Projektwerkstatt“ bzw. sein erstes verwirklichtes Projekt namens „Teeentwickeln Therapien kampagne“ (Import von Darjeeling-Tee aus dem Himalaja) so erfolgreich war, stieg sein Ansehen mit magnetischen schnell. Mittlerweile hat er den Rang eines Gründergurus erklommen. Vermittels seiner Bücher (u.a. Nanopartikeln ge„Kopf schlägt Kapital“) und seines neuen Unterfangens, dem „Komponentenportal“, rät er Unternehmern, gen Hirntumore Dinge wie Buchhaltung oder Arbeitsrecht Spezialisten zu überlassen und sich auf die Geschäftsidee zu konzenund Prostatatrie trieren. Faltins Projektwerkstatt (22 Mitarbeiter) setzt zehn Mio. Euro um und macht 300.000 Euro Gewinn. krebs. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 57 ANDREA PFEIFER AC Immune „Alzheimer ist eine schreckliche Krankheit, die nicht nur die Patienten selbst betrifft, sondern auch die Familien“, sagt Pfeifer. Deshalb beendete die Pharmazeutin und Toxikologin 2003 ihr Engagement im Forschungszentrum von Nestlé und gründete die Biotech-Firma AC Immune (heute 55 Mitarbeiter), um ein Anti-Alzheimer-Medikament zu entwickeln. Noch hat sie keines zur Marktreife gebracht, aber ihr Unternehmen testet derzeit mithilfe von Pharmapartnern (u.a. Roche) drei Kandidaten: einen Antikörper, zwei Impfstoffe. Für jede Etappe, die ein Medikament in der Testphase erreicht, wird AC Immune entlohnt. Zudem gaben Privatinvestoren bislang etwa 59 Millionen Euro. / 45 / Illustrationen: Siri Matthey Fotos: Picture Alliance, Getty Images, Teekamagne (2), AC Immune 54 43 U N T E R STEFAN GL ÄNZER Passion Capital Stefan Glänzer wurde schon im Jahr 2000 richtig reich, als er das Netz-Auktionshaus Ricardo.de verkaufte. Einige erfolgreiche Investitionen später startete der Betriebswirt in London Passion Capital, mit deren Vermögen er sich an hoffnungsvollen Neugründungen beteiligt. Die dunkle Seite des Erfolgsmenschen: Ende 2012 bekannte er sich schuldig, eine Frau sexuell belästigt zu haben. 75 52 GREGOR WALDSTEIN WoEtogas hin mitdem überschüssigen Strom, den SolarRALPH DOMMERMUTH und Windkraftanlagen erzeugen, United Internet wenn die Sonne scheint bzw. starke Böen wehen? Gregor Waldstein wandelt ihn Der Mann aus Monschau ist die vermenschlichte Solidität, einfach in Erdgas um. Das lässt sich leicht bekannt für die weisen Entschlüsse, die er fasst. An der lagern und kann dann verbraucht werbörsennotierten United Internet (Umsatz: 3,1 Mrd. den, wenn es dunkel ist und WindEuro) hält er noch erquickende 40 Prozent. stille herrscht. Seine 2007 in SalzIm vergangenen Jahr bemächtigte sich burg gegründete Firma Solarfuel UI des Netzanbieters Versatel. hat ihr Quartier inzwischen Fürwahr, auch das ein löbin Stuttgart aufgeschlagen licher Streich. und sich in „Etogas“ (20 Mitarbeiter) umbenannt und baut sogeALEXANDER BAUMANN nannte Power-toGas-Anlagen, wo Jobcluster Erdgas-betriebene Audis Das Nest Eichenzell bei Fulda: Hier stellte Baumann 2009 seine Firma Jobcluster her und hin. Die Suche tanken nach Mitarbeitern, befand er damals wie heute, sei eine Sache, mit der sich Geld verdienen lasse. Also entkönwickelte er eine Internetanwendung: Unternehmen registrieren sich bei Jobcluster, geben ihre Personalnen. wünsche ein, und die Anwendung fügt eine Stellenanzeige samt Firmenzeichen zusammen und speist sie in andere Jobbörsen sowohl wie soziale Netzwerke ein. 20 Mitarbeiter stehen bei ihm unter Vertrag, den Umsatz behandelt er als Privatsache. „In den vergangenen fünf Jahren sind wir um 1195 Prozent gewachsen“, sagt er, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Den Besitz des Betriebs teilt sich Baumann mit Bruder Otmar und Neffe Sven. In Kürze soll Alexanders Sohn David (21) dazustoßen. 51 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 46 53 / Fotos: Getty Images, Flickr, Etogas, Jobcluster, United Internet 47 HEIKO RAUCH Ufostart „Unternehmertum ist eine gute Sache für die Welt“, findet Heiko Rauch. Sein Vermögen gemacht hat der Mann als Mitgründer (2000) und Mitverkäufer (2007) der Vertriebs- und Marketing-Plattform Zanox. Seine Neugründung Ufostart bringt Anleger und Fachleute zusammen. Wer zum Beispiel einen Vertriebspartner in Frankreich dringend benötigt, darf darauf hoffen, dass ein Fachmann aus der Datenwolke zu ihm spricht. KONSTANTIN URBAN und A L E X A N D E R B R A N D (43) STEPHAN UHRENBACHER Windeln.de Density Ventures 50 47 Von der Gründung an die Börse in weniger als fünf Jahren – so erzählt Alexander Brand seine Erfolgsgeschichte. Den Unternehmenswert zum Börsendebüt um mehr als 100 Mio. auf 350 Mio. Euro reduziert – so lautete der Vorwurf Anfang Mai. Beides stimmt. Angefangen haben Brand und sein Kollege Urban 2010 in München mit dem Vertrieb von Windeln und Babybrei; heute verkaufen sie auch Spielzeug, Babykleidung und Kinderwagen. Ein Umsatz von zuletzt 100 Millionen Euro überzeugten u.a. Goldman Sachs und Deutsche Bank, die nun Großaktionäre sind. Noch schreibt die Firma Verluste, das Geld steckt man ins Auslandsgeschäft, u.a. Italien und Polen. „Wieder ein neues Unternehmen gegründet zu haben“, das war für Stephan Uhrenbacher das wichtigste Ereignis der vergangenen zwölf Monate. Qype, 9 Flats, Avocadostore hat er schon in die Welt gesetzt. Mit seiner neuen Wagniskapitalfirma Density Ventures will der Mehrfachgründer seine Geschäftspraktik nun auf kluge Weise automatisieren. 47 B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 H E I K O V O N T S C H I S C H W I T Z und M I C H A E L S A A L F E L D (62) Lichtblick 1998 als Ökostrom-Anbieter in Hamburg gegründet, ist Lichtblick heute Marktführer für jene Elektrizität, die vermittelst Wasserund Windkraft sowie Sonnenlicht erzeugt wird: 430 Mitarbeiter, 700 Mio. Euro Umsatz, 25 Mio. Euro Gewinn. INGMAR HOERR Von Tschischwitz ist nach kurzem Intermezzo im Curevac Aufsichtsrat seit 2012 wieder Chef. Mitgründer und Mehrheitseigner Saalfeld leitet den Was hat Ingmar Hoerr für Hohn einstecken müssen! Ein Impfstoff gegen Aufsichtsrat, lebt auf Hawaii, von wo HIV, Krebs, Ebola – aus Tübingen, Baden-Württemberg? Pah! Demütig kroch aus er „die deutsche Energiewende der Jungbiologe vor 15 Jahren von Geldgeber zu Geldgeber – und blitzte ab. Bis nach Südostasien zu exporihm SAP-Gründer und Biotech-Mäzen Dietmar Hopp eine Chance gab sowohl wie tieren“ gedenkt: Vietnam fast 170 Millionen heilkräftige Euro. Heuer hat Hoerr einen weiteren Weltverund die Philippinen besserer von seiner Arbeit überzeugen können: Bill Gates. Der Amerikaner stieg mit seiner hat er ins Visier Stiftung bei Curevac ein und hilft bei der Finanzierung von 24 Impfstoffen. Boehringer, Sanofi genomund Johnson & Johnson arbeiten bereits mit dem Tübinger und seinen 160 Mitarbeitern zusammen. men. 47 / 47 / Fotos: Getty Images, Facebook, Picture Alliance, Density Ventures, Lichtblick SE 43 43 U N T E R S A S K I A und D I R K B I S K U P (43) Cegat n diese ge„Jede Tumorerkrankung ist eine genetische Veränderung. Erst wenn man nau kennt, kann man die beste Chemotherapie dafür maßschneidern“, sagt Dirk Biskup. Unter der Regie seiner Frau Saskia sind 100 Mitarbeiter der 2009 gegründeten Cegat (Umsatz: ca. zehn Millionen Euro) damit beschäftigt, im Blut von Krebspatienten 600 Gene zu untersuchen. Das kostet je Patient 3.000 bis 5.000 Euro. Jetzt arbeitet Cegat an individualisierten Impfstoffen, die gezielt den jeweiligen Tumor angreifen können. 75 42 OLIVER SAMWER Rocket Internet Die Tür fliegt auf, herein platzt Samwer: Rocket Internet (nichtkonsolidierter Umsatz: 30 Mio. Euro) fabriziert Firmen in Serie. Der gebürtige Kölner gilt als agilster Mann der Szene. Ist dabei M A R I O und völlig unkreativ, T H O R S T E N E I M U T H (42) aber Milliardär. Stylebop 44 44 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 48 NICOLAS ZIMMER Liberio Zimmers Digitalverlag – 2013 in Berlin eröffnet, vier Mitarbeiter stark – legt Elektro-Bücher auf. Kundschaft: jedermann, der schreiben Wie er einem Kind erklären kann und ein E-Book herwürde, womit er sein Geld verdient? ausbringen möchte. Die „Wir liefern Mamas Prinzessinnenkleid Nutzung ist denkbar zu euch nach Hause, damit sie heute Nachmiteasy: Buch schreitag ganz viel Zeit hat, um mit dir auf den Spielplatz zu ben, hochladen, gehen.“ Mario Eimuth (l.) handelt mit Luxusmode, mehr als Titelseite 250 Marken bietet er auf seiner Heimseite feil. Über 300.000 Pawählen, kete verlassen jährlich seine Lager in Ottobrunn bei München, sie gehen fertig. in über 100 Länder. Der Umsatz, den 220 Mitarbeiter erwirtschaften, steigt seit der Gründung im Jahr 2004 jährlich um bis zu 70 Prozent, aktuell dürfte er um die 100 Millionen Euro liegen. Die Firma steht ihm und Bruder Thorsten zu Gebote: „Ich übernehme den kreativen Part, mein Bruder macht die Finanzen und die Logistik.“ / Fotos: Felix Brüggemann, Liberio, Stylebop (3), Immatics, Cegat 39 BENJAMIN OTTO Otto-Gruppe Vor gut einem Jahr hob Versandhaus-Junior Benjamin Otto gemeinsam mit Tarek Müller (26) den Internet-Modehandel Collins aus der Taufe, was für einige Furore sorgte. Nun verlässt er die Gründung schon wieder, denn er wird anderswo nötiger gebraucht: Forthin kümmert sich Otto um Visionsmanagement und Digitalstrategie seines Vaterhauses (Umsatz: zwölf Mrd. Euro), das den Stempel der Alterswürde nicht verhehlen kann und im vergangenen Jahr zum ersten Mal in die unangenehme Lage geriet, einen Verlust verbuchen zu müssen. 41 38 DIRK GRABER Mister Spex 2007 von Betriebswirt Dirk Graber gegründet, ist das Unternehmen (Umsatz: 65 Mio. Euro) heute größter Brillenhändler im Internet. Graber lehrt Fielmann das Fürchten. Jüngst stieg Goldman Sachs mit 20 Prozent ein. GS-Einstiege sind immer ein gutes Zeichen. HARPREET SINGH Immatics Seit 15 Jahre forscht der Biochemiker mit dem Turban an einem Impfstoff gegen den Nierenkrebs. Fachleute sagen, er und seine 90 Mitarbeiter seien auf einem guten Weg. Anteilseigner JENS BEGEMANN sind u.a. SAP-Mitgründer Dietmar Hopp Wooga und die früheren Hexal-Eigner Thomas und Andreas Strüngmann. Der Schweizer In einer ehemaligen Back- und heutigen SpielefabPharmakonzern Roche hat bereits eine rik arbeiten 250 Leute aus 40 Ländern. Sie fabrizieZusammenarbeit mit den Tübinren keine Zeitvertreibe wie „Halma“ oder „Canasta“, gern vereinbart: Kampf gesondern Spielereien, die über soziale Netzwerke aufgegen Magen-, Lungenrufen werden, meist von unterwegs mit dem Telefon. und ProstataDer Berliner gehört zu den herrschenden krebs. Kräften der Gilde. 50 Millionen Menschen vertiefen sich monatlich in „Agent Alice“ oder „Brain Buddies“. Fünf Hits hat Begemann, der die Grenzen seines Könnens noch nicht erfahren musste, bislang auf den Markt geworfen, Konkurrenten machen lange Gesichter. Als „Hit“ gilt in der Kaste ein Erzeugnis, das über zehn Mio. Euro umsetzt. Die Mehrheit an Wooga halten Investoren, der Rest gehört Gründern AMMAR ALKASSAR und MitarbeiSirrix tern. 2005 hatte der saarländische Juniorprofi (Informatik) das Rechnerprogramm „Bitbox“ entwickelt, vermittels dessen Nutzer, vor allem Beschäftigte von Behörden, sicher telefonieren und durchs Internet gleiten können. Im Wonnemonat Mai hat der IT-Sicherheitsspezialist seine Firma (Umsatz: 15 Mio. Euro) für geschätzte 100 Millionen Euro an Rohde & Schwarz (Messtechnik, Funküberwachung) verkauft. Den Erlös teilt er sich mit Kompagnon Christian Stüble (41). Die Herren bleiben sicherheitshalber Geschäftsführer. 38 B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 38 / 49 / Fotos: Hermes, Mister Spex (2), Sirrix AG, Wooga (3) 43 U N T E R 75 JENS IHLENFELD Syseleven „Wir sorgen dafür, dass Online-Shops funktionieren“, sagt Ihlenfeld. Heimseiten von Marktbeschickern brennen ja bisweilen durch, wenn im TV ein Gut beworben wird und sich gleich Tausende dafür interessieren. Syseleven erhöht die Speicherleistungen, bevor ein Unfall geschehen kann. Man kennt das von früher, als Telefonleitungen ständig zusammenbrachen. Lohn: eine stabile Konjunktur und weder Heimweh noch Krach mit der Freundin. 36 JUSTIN O’SHEA Mytheresa.com I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 50 Der Münchener Modehändler hat sich zu einem der besten Handelsplätze für Luxusmode entwickelt (Umsatz: 100 Mio. Euro). 2014 übernahm die US-Edelkaufhauskette Neiman Marcus den Salat für 150 Millionen Euro. Nicht ganz unschuldig am Erfolg ist der Australier JusC H R I S T I A N und tin O’Shea, ein Hipster aus echtem Korn und Schrot, der wahrhaftig Schlag bei den Hasen hat: Eine Zauberkraft K A I W A W Z R I N E K (38) versetzt ihn in die Lage, ihre Wünsche jederzeit vorGoodgame Studios ausahnen zu können – weshalb er bei Mytheresa „Wir wollen die weltweit erfolgreichste Spielefirma werden“, sagt Christian folgerichtig das Amt des Chefeinkäufers Wawzrinek, ein Zahnmediziner. Mit den Techniken der Zurückhaltung kennt bekleidet. O’Shea ist kein weltfremder sich der Mann nicht aus. 2009 hat er zusammen mit seinem Bruder Kai in HamTräumer. Wenn er einen Knoten burg die Goodgame Studios gegründet: Die mittlerweile 1.200 Mitarbeiter verschenken macht, dann sitzt er auch. SeiComputerspiele. Geld verdient man mit Verschenken nicht, aber mit den Zusatzfunktionen, ne Mutter unterrichtete etwa, wenn beim Ritterspiel „Goodgame Empire“ schärfere Schwerter zum Einsatz kommen taube Australier, sein sollen. Im vergangenen Jahr setzten die Wawzrinek-Brüder 202 Millionen Euro um. Bei Goodgame Vater aber war herrscht eine feste Ordnung, kluge Entscheidungen sind das Metier von Christian Wawzrinek. Die Zocker als Klempsprechen voller Hochachtung von ihm. 15 Prozent der Firmenanteile hat er an die Samwer-Brüder verkauft. ner tätig. 35 / Fotos: Syseleven, Picture Alliance, Mytheresa (2), Goodgame Studios MICHAEL ALTENDORF Adtelligence 34 Altendorfs Firma (75 Mitarbeiter) analysiert im Internet gesammelte Nutzerdaten, um damit Angebote auf Webseiten von z.B. Banken und Versicherungen nach den Vorlieben und Wünschen des jeweiligen Kunden maßzuschneidern. 35 35 ANDREAS REIFFEN Crealyticss Bedächtiger Wirtschaftsinformatiker aus Passau, der bedruckte T-Shirts trägt, was man ihm aber nachsehen sollte. Sein Betrieb, der 100 Leute beschäftigt, durchkämmt Google nach jenen Wörtern, mit denen die Menschen nach Waren suchen. Aus den gefundenen Begriffen bildet seine Anwendung, quasi rückwärts denkend, solche Werbeanzeigen, die wiederum von Suchmaschinen schnell gefunden werden. 150 Millionen FELIX HAAS Anzeigen in 23 Sprachen Idnow gehen pro Woche raus. Die sportliche Leistung stimmt. WILKE STROMAN Sparhandy 33 Was macht ein kerniger Jung-Ostfriese? Erst mal eine Banklehre. Denn dann hat man nach Schalterschluss noch Zeit, über die Weiden zu ziehen und Mobiltelefonverträge zu verhökern. Das war vor 15 Jahren. Heute vermarktet Stromans 150-köpfige Starorganisation von Köln aus 250.000 Verträge und 800.000 Telefone im Jahr. Umsatz: 320 Millionen Euro. Ein Wunder. Der Fachmärktebund Electronic Partner hält 30 Prozent, Stroman den Rest. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 Um ein Konto bei einer Internetbank eröffnen zu können, muss man bei der Post seine Personalien überprüfen lassen. Das ist lästig. Haas’ Anwendung, per Heimseite und Telefon aufgerufen, spart den Gang aufs Postamt: Einer seiner 20 Mitarbeiter schaltet sich per Video zu, fotografiert den Ausweis, überprüft die Angaben. Das Ganze dauert vier Minuten. Aber nur, wenn man bummelt. Die Konkurrenz ist bereits verwirrt. Auf der Idnow-Kundenliste stehen: die Commerzbank und die Volks- und RaiffeisenC H R I S T O P H B O R N S C H E I N (l.), F R Ä N Z I K Ü H N E (xx) banken. und B O O N T H A M T E M A I S M I T H I (43) Torben, Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG) 32 Für Konzerne war die fast entzündlich angeschwollene Begeisterung, die Netzwerke wie Facebook und Twitter in der Bevölkerung entfachen, anfangs ein Rätsel: Müssen wir da mit? 2008 trat TLGG als erste Social Media-Agentur des Landes auf den Plan. Die mittlerweile über 100 Mitarbeiter (Umsatz: 10 Mio. Euro) arbeiten unter anderem für Eon, Thyssen-Krupp, HUK Coburg und Lufthansa. Anfang des Jahres hat sich der US-Werbemulti Omnicom die Werbefirma pflichtgemäß und auf beiderseitige Betreiben für viele Millionen Dollar einverleibt. / 51 / Fotos: Sparhandy, Adtelligence, Crealytics, Haas Investments, Max Threlfall Photo 43 HOLGER TESKE Gini 2 U N T E R 75 32 31 „Wir wollen die Menschheit vom Papierkram befreien“, sagt Holger Teske. Das ist sehr ehrenwert. Sein Unternehmen Gini, gegründet 2010, entwickelt mit 20 Mitarbeitern Anwendungen für das Bankgeschäft, die Rechnungen ROBERT GENTZ, lesen, analysieren und zur ÜberweiD A V I D S C H N E I D E R (31) sung vorbereiten können, ohne und R U B I N R I T T E R (32) dass der Kunde die lästigen Zalando BIC- und SEPA-Codes einzugeben braucht. Eine Million Euro setzte Gini im vergangenen Jahr um. JAN BECKERS Hitfox Ein Serientäter wie sonst nur die denkwürdigen Samwer-Brüder: Jan Beckers gründet jedes Jahr sechs bis acht Internetfirmen im Gewerbezweig der Finanzdienstleistungen (s. Seite 64). 400 Menschen erwirtschafteten für Hitfox 2014 einen Umsatz von ca. 50 Millionen Euro. Beckers: „Durch unser Systemwissen können wir das Risiko der Neugründungen um 80 Prozent verringern.“ 32 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 52 engang 2014 war für Zalando kein schlechtes Jahr: Börsengang und ein erster Gewinn. Die Konkurrenz aufrichtig entsetzt, alle anderen baff. Noch befindet sich der Internetladen in der Aufwärmphase. Gentz (r.) will sich keine Zerrung holen, Ritter (l.) und Schneider auch nicht. Lange wurde das Trio von den einen unterschätzt, von den anderen nicht ernstgenommen. Heute spenden selbst Gegner Applaus. MANUEL STAIGER It Sure 2003 beendet der damals 20-jährige Manuel Staiger seine Ausbildung zum Fachinformatiker, als ihn sein Chef fragt, ob er sich nicht künftig um die Rechner kümmern wolle. „Server streicheln“, nennt Staiger das, auch heute noch. Staiger war und blieb ein fixer Junge. Heute führt er ein 30-Mitarbeiter-Unternehmen und setzt zehn Millionen Euro um. Er verkauft Rechner und Anwendungen, baut auf, richtet ein, wartet, berät. Früh hat er sich mit der US-Firma Dell verbündet, vertreibt überwiegend deren Gerätschaften. Fünf Kavaliere haben sich schon um seine Gunst beworben: Er hat alle Offerten abgelehnt. „Ich habe die Firma nicht gegründet, um reich zu werden, IT ist Leidenschaft und Hobby für mich.“ 32 F A B I A N und F E R R Y H E I L E M A N N (28) Heilemann Ventures / Dailydeal 2011 verkauften die Brüder ihr Gutscheinportal Dailydeal für 82 Mio. Euro an Google. Sehr gut. Dort aber, lautete ihr Gutachten, sei es nicht gut aufgehoben. 2013 kauften sie ihre alte Anlage günstig zurück. Heute, „nach 20-monatiger Restrukturierung und Optimierung“, schreibt der Betrieb einen Gewinn. Wie hoch? Geheimsache. 2011 gründeten die beiden Heilemann Ventures, um anderen Gründern „mit Rat und Tat zur Seite“ zu stehen. 18 Beteiligungen stehen ihnen zu Gebote. / Fotos: Gini, IT Sure, Zalando, Heilemann Ventures 32 S U S A N N H O F F M A N N und N O R A - V A N E S S A W O H L E R T (30) Edition F „Stell dir vor, du willst Klassensprecherin werden, und es gäbe eine Website, auf der du die besten Tipps bekommst, wie du das schaffst.“ So erklärt Susann Hoffmann, was Edition F leisten will. Zusammen mit Nora-Vanessa Wohlert hat sie 2014 in erlin diese Internetplattform für Frauen gegründet, die Wirtschaftsartikel lesen, Klamotten kaufen oder Karriere machen möchten. „Wir wollen die größte Community für ambitionierte Frauen werden“, sagt Hoffmann. B I L A N Z 30 / A N N A A L E X und J U L I A B Ö S C H (31) Outfittery 30 J u n i / FLORIAN MEISSNER Eyeem Wie wird man erfolgreicher Unternehmer? „Du darfst keine Angst davor haben, Menschen einzustellen, die smarter und talentierter sind als du selbst“, sagt Florian Meissner. Seine 2010 gegründete Fotogemeinde Eyeem hat heute weltweit 13 Millionen Mitglieder. Mobiltelefonisten laden sich die Gratis-Applikation herunter und teilen munter Fotos. Gerade arbeitet Eyeem mit seinen rund 50 Beschäftigten an einer Verkaufsplattform für NebenerwerbsfotograIm Februar stieg der skandinavische Beteiliger Northzone bei der Berliner Outfittery (200 Mitarbeiter, 2012 gefen. gründet) ein. 18 Millionen Euro wurden überwiesen, genug, um „weiter zu expandieren und noch mehr Männer in noch mehr Ländern einzukleiden“, sagen die Gründerinnen Anna Alex (l.) und Julia Bösch. Genau das ist ihr Geschäft: Outfittery schickt Männern alles vom Schuh bis zum Einstecktuch, von Ausstattern für die jeweiligen Käufer ausgesucht. Schätzer des Gewerbes schätzen, dass die Frauenfirma im vergangenen Jahr wohl gut und gerne an die 19 Millionen Euro eingenommen haben könnte. Nicht ganz 20, aber immerhin. 2 0 1 5 / 53 / Fotos: Edition F, Adam Kuylenstierna, KWE, Emrica Brescia, Danielle Reid, Facebook, Outfittery (2) 29 43 U N T E R MARK HOFFMANN Vertical Media 75 28 Gefragt nach dem freudigsten Ereignis der vergangenen zwölf Monate, antwortet Hoffmann: „Die Geburt meiner Tochter“, fügt aber den sachdienlichen Hinweis an, dass auch der Einstieg von Axel Springer (zu dem BILANZ gehört) bei seinem Digitalverlag (45 Beschäftigte, u.a. Gruenderszene.de) zu seinen Hochgefühlen nicht unmaßgeblich beigetragen habe. Hoffmann, dem noch zwölf Prozent der Firmenanteile zur Verfügung stehen, ist ein pfeilschneller Junge, immer auf Zack, Draht und manchmal auch dem Quivive. LEA-SOPHIE CRAMER Amorelie I D E E N Wenn Lea-Sophie Cramer provozieren will, sagt sie: „Ich hab’ ’nen Sexshop.“ Auf die Idee für ihren Erotikversand kam sie auf einer Bahnfahrt: Viele junge Frauen lasen den Sadomaso-Roman „Fifty Shades of Grey“, aber diese vielen jungen Bahnfahrerinnen würden nimmer die üblen Sexläden im Bahnhofsviertel betreten. Also leitete Cramer alles in die Wege und eröffnete einen Erotikladen für 25- bis 40-Jährige. Auf ihrer Heimseite: Vibratoren, Penisringe, Reizwäsche. Amorelie-Beraterinnen schwärmen aus, veranstalten „Toypartys“, wo die Waren vorgeführt, an-, aber selten ausprobiert werden. Der Umsatz der 2013 in Berlin organisierten Firma (75 Mitarbeiter) unterliegt der Geheimhaltung, aber er verdickte sich 2014 um sämige 812 Prozent und soll heuer auf die dreifache Höhe erigieren. Pro Sieben hat sich mit 75 Prozent eingehebelt, den Rest halten Cramer und Mitgründer Sebastian Pollok (29). Versautestes Produkt? Cramer überlegt…: „Analketten.“ 28 CHRISTIAN REBER 6 Wunderkinder / I N N O V A T I O N E N / 54 Diese Mobiltelefon-Anwendung ist begehrt: „Wunderlist“ – ein Programm, mit dem die Leute ihre Notizen verwalten und vergeben und mit anderen teilen können. Es gibt eine Gratis-Version und eine andere mit allen Schikanen, die 4,49 Euro im MoUnternehmeradel, nat kostet. Seinen Betrieb hat Reber neue Generation: Nach2010 mit fünf anderen Wunderdem die Kinder des verkindern gegründet. Gutes Vorstorbenen Bertelsmann-Pabild: Bill Gates. Dessen Firma triarchen Reinhard Mohn ohne Microsoft will die WunFortune blieben, zeigt jetzt Mohn-Enderkinder jetzt nach kel Carsten Coesfeld Ehrgeiz. In dem BerInformationen telsmann-Ableger BFS Health Finance verdes Manager antwortet er in der Geschäftsleitung den Bereich Magazins Klinikabrechnung: „Wir übersetzen Medizin in Euro.“ kau40 Beschäftigte arbeiten für die 2010 gegründete BFS. fen. 28 / Fotos: Vertical Media, Amorelie (4), Unique, Andreas Friese 27 Wir fördern das Gute in NRW. LEA LANGE Kollwitz Internet Anfang 2014 eröffnete Lea Lange mit ihrer Jungfirma Kollwitz Internet den Netzladen Juniqe, der Kunst (-drucke) verkauft. Ein Vierteljahr später verleibte sich Juniqe den Kontrahenten Stylemarks ein. Lea Lange ist ein schnelles Mädchen, das Technik mit Tempo vereint: Die Einnahmen im ersten Jahr übertrafen deutlich die Millionenmarke. Lange und ihre Mitgründer Marc Pohl (26) und Sebastian Hasebrink (27) wollen 25 Leute einstellen und die Belegschaft auf 55 vergrößern. Was gerade ansteht? „Klingt vielleicht komisch, aber ich beginne, das Weihnachtsgeschäft vorzubereiten – entscheidende Monate im E-Commerce. Da muss man im Frühsommer mit der Planung anfangen.“ 27 A N D R E A P F U N D M E I E R und R O B E R T F R E U D E N R E I C H (31) Secomba Mit ihrem Verschlüsselungsprogramm „Boxcryptor“ zur sicheren Datenspeicherung in der Wolke haben sich die Wirtschaftsjuristin und der Informatiker (Umsatz: eine Mio. Euro, 22 Mitarbeiter) die Hochachtung der Gemeinde erworben. Exzellente Arbeit, Deutscher Gründerpreis. Das Prinzip: Man verschlüsselt die Daten auf dem eigenen Gerät, bevor man sie hochlädt, und kann auf die Sicherheitsmaßnahmen der CARSTEN COESFELD Anbieter BFS Health Finance pfeifen. Fotos: Unique, Secomba, BFS Health Finance Dominik Schweer, erfolgreicher Existenzgründer dank der Fördermittel der NRW.BANK Was ist das Geheimnis jeden Erfolgs? Man braucht Mut, eine gute Idee und einen verlässlichen Partner für die Finanzierung. Die NRW.BANK bringt Sie weiter. Mit attraktiven Fördermitteln wie dem Gründungskredit oder dem Mikrodarlehen. Die Vermittlung eines für Sie maßgeschneiderten Förderangebotes erfolgt über Ihre Hausbank. www.nrwbank.de/mut 43 U N T E R 75 Homunkulus: T U - P R O T O T Y P eines Roboters von morgen. I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 56 / DIE WIRTSCHAFT BRAUCHT NACHWUCHS! Mithilfe der BMW-Aktionärin Susanne Klatten entwickelt sich München zur Gründerstadt. Die Vorteile gegenüber Berlin: Hier finden junge Unternehmen leichter Partner und Kunden. M ittwochmorgen im Universitätsviertel von Garching: Es ist halb zwölf, der Himmel ist grau, es regnet. Im ersten Stock des schwarn zen neuen zweistöckigen Gebäudes an der Lichten-bergstraße geht die Unter-nehmerin und BMW-Akti-onärin Susanne Klatten (53), geborenee Quandt und reichste Frau Deutschlandss es (BILANZ 9/14), gemessenen Schrittes durch Flure und Räume. Die Technische Universität München und die Unternehmertum GmbH, an deren Bildung Klatten maßgeblich beteiligt ist, weihen an diesem nassen Frühlingstag eine Großanlage zur Förderung von Firmengründungen ein: Hier, auf 6.100 Quadratmetern, sollen Forschungsergebnisse zu Geld gemacht werden. Denn daran hapert es in Deutschland ja angeblich so häufig: dass aus einer Idee auch ein Geschäft wird. „Unternehmerisch zu denken und zu handeln ist eine Haltung, eine innere Einstellung zu den Dingen des Alltags und des Lebens“, gibt TU-Präsident Wolfgang Herrmann (67) dem Anlass entsprechend bekannt. Er betrachtet den Techniktransfer von der Wissenschaft zur Wirtschaft heute als ähnlich bedeutsam wie das universitäre Kerngeschäft: Forschung und Lehre. „Wir befruchten die unternehmerische Kultur, wir verstetigen sie, und wir haben sie in das Programm dieser Universität hineingeschrieben.“ 17 Millionen Euro hat der Flachbau gekostet; sieben Millionen Euro steuerte der Freistaat Bayern bei, für die entscheidenden zehn Millionen Euro fühlte sich Klatten verantwortlich. Uni-Honoratioren schwärmen um die Unternehmerin und Mäzenin herum, dazu Landtagsabgeordnete, Wissenschaftler, Minister und Manager, deren Gespräche sie einhüllen wie eine Wolke aus Worten. Klatten steckt ihr Namensschild in ihre Handtasche, schließt den Reißverschluss, stellt die Tasche ab und wendet sich einem Forscher zu, der ihr jetzt seinen Roboter vorführen soll. „Hallo, ich bin Roboy“, sagt der Roboter, der aussieht wie ein Skelett mit dem Kopf eines Außerirdischen. „Wir versuchen, jedes Jahr einen besseren Roboter zu bauen“, sagt der Wissenschaftler Rafael Hostettler (30) TU-Freundin SUSANNE KLATTEN stellt auch Wagniskapital bereit. Text SOPHIE CROCOLL und fordert Klatten auf, die Maschine doch einmal zu berühren. Sie nickt, tastet hier, tastet da, gibt dem Roboter die Hand, hält inne und fragt, die Augen auf Hostettler gerichtet: „Und was ist Ihr langfristiges Ziel?“ Ihre Stimme ist überraschend tief. Nicht so tief, dass sie bis zu ihren Knöcheln hinunterreichte, aber ein guter Alt. Sie trägt Jackett, Rock, spitze Schuhe mit Absatz in Mausgrau, dazu in Gold gefasste Klipse an den Ohren. Klatten, eine schmale Person, sieht elegant aus, aber nicht aufgedonnert, dass man sich auf der Straße nach ihr umdrehen würde. Die Multimilliardärin tritt selten in öffentliche Erscheinung, und wenn sie es tut, hält sie sich im Hintergrund, ein Ausbund an Unaufdringlichkeit. Auch jetzt überlässt sie der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (50) das Feld, die sich neben „Roboy“ in Pose wirft, während Klatten sich schon wieder zurückzieht in jene HintergründigFotos: Roboy, epd-bild keit, ohne die sie nicht sie selbst sein könnte. Seit Jahren engagiert sich Susanne Klatten mit Kraft und Eifer für Gründer und junge Firmen, immer daran interessiert, wie bei Roboterforscher Hostettler, welches Geschäft mit einer Idee wohl zu machen sei. 2002 hatte sie als Sponsorin dazu beigetragen, die Unternehmertum GmbH an der TU aus der Taufe zu heben. Heute ist das Gründerzentrum die größte Einrichtung seiner Art in Europa: Mehr als 1.000 Studenten nehmen dort an Seminaren und Vorlesungen teil, rund 50 Firmenschösslinge treiben jedes Jahr aus, kräftige, aufblühende, emporsteigende Geschöpfe. Nun steht München in der Szene nicht gerade in dem Ruf, besonders hip zu sein oder es gar mit Berlin aufnehmen zu können, dem Hoffnungsort hiesiger Gründertypen. Die Vorurteile sind nicht ganz unberechtigt. Auf der anderen Seite, sagt man, seien Jungunternehmer in München oft erfolgreicher als ihre Kollegen in Berlin – vielleicht, weil die Gründer aufgrund der teureren und schwierigeren Bedingungen in München überlegter zu Werke gehen. Studien wollen dies herausgefunden haben. Tatsächlich sind die meisten aller Start-ups mit einem Jahresumsatz von mehr als 250.000 Euro in München ansässig; in Berlin dagegen erwirtschaftet jedes zehnte Jungunternehmen gar keinen Umsatz (in München ist es nur jedes zwanzigste). Dass München trotz schlechterer Ausgangslage dennoch eine gute wirtschaftliche Figur macht, könnte daran liegen, dass sechs Dax-Konzerne hier ihren Sitz haben (und in Berlin nicht einer): Allianz, BMW, Linde, Münchner Rück, Siemens, Infineon – alles mögliche Partner, aber auch Kunden für Start-ups. Der Grund könnte aber auch darin zu finden sein, und viele Fachleute würden dem zustimmen, dass die TU erstklassige und zuverlässige Arbeit verrichtet und stetig gut ausgebildete Leute in die Wirtschaftswelt entlässt. Seit 1990 sind allein mithilfe der TU, der Lieblings-Uni der Experten, etwa 700 Unternehmen in die Register eingetragen worden und mehr als 14.000 Arbeitsplätze aus dem Nichts entstanden. Großen Anteil an dem Erfolg hat B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 57 / 43 U N T E R 75 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 58 Susanne Klatten. Das neue Gründerzentrum ist ein schwarzer Klotz mit Betonwänden, die einen stabilen Eindruck vermitteln. An den Decken: Rohre und Neonleuchten im Stil des Dekonstruktivismus. Im Erdgeschoss ist eine Werkstatt eingerichtet, wo die Firmenchefs in spe mit 3-D-Druckern, Laser- und Wasserstrahlschneidern, Revolverlochstanzen, Glätthammern, Bandschleif- und anderen Maschinen und Geräten erste Produktmuster und Serien fertigen können. Im Stockwerk darüber befinden sich Büros, denn dies ist ein Wissenschaftsbetrieb, im zweiten Stock schließlich die Berater von TU und Unternehmertum GmbH. Alles schön unter einem Dach. „Unsere Vorbilder sind natürlich das Silicon Valley und Tel Aviv“, sagt Unternehmertum-Geschäftsführer Helmut Schönenberger (43) und nimmt Bezug auf die springlebendige Gründerszene in Israel (BILANZ 7/14). „Wenn man dort vom Flughafen in die Stadt fährt, erzählt der Taxifahrer einem ungefragt seine Start-up-Geschichte – das ist Start-up-Kultur. Wenn man das zum Maßstab nimmt, haben wir in Deutschland noch einen weiten Weg.“ Der Wettbewerb um Ideen und Talente werde immer schneller und härter, sagt Schönenberger. „Da müssen etablierte Unternehmen, Start-ups und auch wir als Gründerzentrum sehen: Wie kann man da mithalten?“ Diese Frage bewegt auch Susanne Klatten: „Wir wollen Menschen vorbereiten, sie begleiten, damit sie sich tatkräftig ihrer Geschäftsidee widmen können – und bei Gegenwind nicht umkippen.“ Gelingen soll dies auch dadurch, dass die Unternehmertum GmbH die Gründer langfristig an die Hand nimmt: auf dem Weg von der Idee zur Firma und dann auch noch durch die erste Wachstumsphase hindurch. Man hilft den jungen Leuten bei der Kunden- und Mitarbeiterfindung und unterstützt sie zudem bei der Kapitalausstattung, etwa bei der Suche nach Fördergeldern. Wagniskapital vergibt ein von Susanne Klatten mitfinanzierter Fonds. Alles ist sehr durchdacht, fachkundig und sachverständig. Alles hat Hand und Fuß. Jungunternehmer, sagt Klatten, seien für Deutschland überlebenswichtig: „Wir Deutsche werden weniger und Münchner Gründer entwickelten diesen Handschuh mit Messfühlern und Bildabtaster. älter. Uns fehlen Arbeitskräfte und Rohstoffe. Deshalb müssen wir mit unseren Produkten sehr innovativ und dynamischer sein als andere.“ Widrigenfalls laufe die deutsche Wirtschaft Gefahr, ihre gute Stellung in der Welt einzubüßen: „Wir sind darauf angewiesen, durch neue Ideen effizienter zu arbeiten. Dafür brauchen wir junge Leute, die den Mut haben, Unternehmen zu gründen. Die Wirtschaft braucht Nachwuchs!“ Mit ihren Beteiligungen an BMW (12,6 Prozent, Börsenwert: ca. 8,4 Mrd. Euro), dem Chemiekonzern Altana und dem Kohlefaserhersteller SGL Carbon stehen ihr die Traditionsbranchen näher als etwa Internethändler oder Spieleentwickler, wie man sie in Berlin so häufig findet. „München bietet im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich eine Fülle an substanziellen Ideen. Wenn Sie etwas herstellen, schaffen Sie damit nicht / Foto: ProGlove nur einen nachhaltigen Wert im Sinne einer Wertschöpfungskette, sondern auch Arbeitsplätze. Mir hat die Idee des Gründerzentrums sehr gut gefallen, weil das gut zu uns als Unternehmerfamilie passt, die einen starken industriellen Hintergrund in Deutschland hat.“ Eine der größten Schwierigkeiten sieht Klatten darin, dass es jungen Unternehmen häufig nicht an guten Ideen mangele, wohl aber an Kapital: „Für Wagniskapitalgeber ist es steuerlich weniger attraktiv, in Deutschland zu investieren als beispielsweise in den USA (s. Kommentar Seite 67). Und vor allem fehlt ein Mittel, seine Einlage ordentlich verzinst zurückzuerhalten. Die Chancen für einen erfolgreichen Börsengang in Deutschland sind seit dem Platzen der New-Economy-Blase gering.“ Es ist eine Erfahrung, die viele Gründer machen, auch Paul Günther (31), der gemeinsam mit seinen Kompagnons vor acht Monaten einen „intelligenten Handschuh“ entwickelt hat, den sogenannten „Pro Glove“, ausgestattet mit Messfühlern und einem Bildabtaster. Er eignet sich möglicherweise für den Einsatz in der Autoindustrie und der Warenhaltung. Bei einem Wettbewerb des US-Konzerns Intel waren Günther und Kollegen mit ihrer Idee auf dem dritten Platz gelandet. Wenig später hatte sich auch gleich „einer der größten Geldgeber“ des Siliziumtals bei ihnen gemeldet. Günther nimmt einen Handschuh vom Tisch, dreht ihn hin und her: „In den USA sagen die Investoren: Wir glauben an euch, wir geben euch jetzt einen größeren Betrag, ihr könnt euer Team vergrößern.“ Dennoch habe er erst mal nur ein „kleines Investment“ angenommen: „Wir wollen erst mal was schaffen und dann eine Finanzierungsrunde anfangen.“ Günther, ein Schlaks mit schulterlangen Haaren und Bändern von Musikfesten am Handgelenk, steht in einem Büro des Gründerzentrums. An der Tür hängt ein Plakat der Comicverfilmung „Hüter der Galaxis“, an den Wänden kleben bunte Notizzettel. „In Deutschland muss man stückchenweise zeigen, dass das Produkt valide ist. Dafür haben alle deutschen Autobauer schon bei uns angefragt. Man hat hier einen Markt, man hat Kunden. Das ist ja auch nicht schlecht.“ I RÄNGE & LISTEN Wässriges Essen Skurrile Häuser Wie viel Wasser Tiere saufen und Pflanzen aufnehmen müssen, um 100 Gramm des jeweiligen Lebensmittels herzustellen. Familien beklagen hohe Preise für austauschbare Eigenheime. Nicht immer praktisch, dafür aber äußerst individuell sind diese Einzelstücke. Der Hai aus Fiberglas steckt in Oxford in einem Haus. Er soll an den Atombombenwurf auf Nagasaki erinnern. B I L A N Z R I N D F L E I S C H / 1.420 Liter 1 L A M M F L E I S C H / 1.130 Liter 2 KIC H E R E R B S E N / 1.017 Liter 3 / L I N S E N / 953 Liter 4 S C H W E I N E F L E I S C H / 550 Liter 5 J u n i S P A R G E L / 272 Liter 6 K A R T O F F E L N / 40 Liter 7 E R D B E E R E N / 17 Liter 8 T O M A T E N / 13 Liter 9 S A L A T / 11 Liter 10 Besonders Fleisch verschlingt große Mengen an Wasser. Bis zum Tag seiner Schlachtung versäuft ein Rind allein gut 24.000 Liter. Der Großteil des Wassers wird jedoch bei der Fütterung verbraucht: Denn Landwirte sind, was das Futter ihrer Rindviecher angeht, längst von Gras auf Weizen, Mais und Soja umgestiegen, und zwar in Mengen, von denen drei Milliarden Menschen leben könnten. Auch beim Methanausstoß der Rinderzucht schlagen Umweltschützer Alarm. Tomaten, Möhren und Salat wären deutlich klimaschonender. Quelle: Los Angeles Times Ein Felsen im Fluss Drina in Serbien muss seit 1968 als Fundament herhalten. / 2 0 1 5 Die Zimmer in diesem sibirischen Häuschen stehen Kopf. Anziehen soll es Touristen. Halb runde Häuser baute eine US-Firma für Erdbebengeschädigte in Indonesien. Sein Haus in Abuja (Nigeria) hat ein Mann zur Erbauung seiner reisefreudigen Frau errichtet. / 59 Quelle: Business Insider, Reuters / 43 U N T E R 75 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 60 / BETREUTES GRÜ NDEN EnBW-Leuchte O L I V E R D E U S C H L E unter seiner intelligenten Laterne im baden-württembergischen Loch Wiesloch. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 Text STEPHAN KNIEPS Foto EVELYN DRAGAN Abenteuerlust, Wagemut und Pioniergeist sind keine exklusiven Eigenschaften von jungen Gründertypen – glauben die Strategen von Großkonzernen wie Telekom und EnBW. Darum ermuntern sie ihre Angestellten, innerhalb der ganz großen ganz kleine Firmen auf die Beine zu stellen. / 61 / 43 A U N T E R ls er im Mai 2013 in einem Café in seiner Heimatstadt Prag auf einen Freund wartete, kam Pavel Vrba (29) eine Idee für eine Firma: ein Navigationssystem, das einem bei der Parkplatzsuche hilft. Das wär’s! Denn auf seinen Freund wartete er nur deshalb so lange, weil der in der Prager Innenstadt mal wieder keine Lücke fand, um sein Auto loszuwerden. Zwei Jahre später hat Pavel ein entsprechendes Programm entwickelt und schildert den Arbeitsalltag eines klassischen Gründers: Mit seinem Geschäftspartner Petr Hais (38) arrangiert er Treffen mit möglichen Kunden und Geschäftspartnern, dirigiert eine 13-Personen-Gründermannschaft, verteilt Aufgaben an die Programmentwickler und die Vermarkter, arbeitet an Algorithmen zur Feinjustierung der Parkplatz-Anwendung. Häufig sei es noch chaotisch und unstrukturiert, sagt er, und dann sitzen sie auch an den Wochenenden am Schreibtisch. „Wir sind hoch motiviert und glauben an diese Idee“, sagt Pavel, „es ist unser liebstes Hobby.“ Denn Pavel und Petr sind keine gewöhnlichen Gründer. Sie sind zwei von 228.000 Angestellten der Telekom, Jahresumsatz: 63 Milliarden Euro. Beide haben noch ihre regulären Aufgaben im tschechischen Telekom-Tochterunternehmen: Pavel arbeitet als Projektmanager, Petr im Kundendienst. Ursprünglich wollte Pavel nach seinem Studium an der Prager Wirtschaftsuni um jeden Preis seine eigene Firma gründen. „Das war schon immer mein Traum“, sagt er. Jetzt tut er das: „T-Parking“ heißt sein Mini-Unternehmen im Großunternehmen. Es ist eine von sechs Gründungen innerhalb der Telekom, von denen gerade drei auf dem Markt getestet werden. „Es ist wie ein Startup“, sagt Pavel, „nur weniger riskant.“ Das ist die Idee. Seit kurzer Zeit beschreiten deutsche Großkonzerne neue Wege, um den fast bis zum Überdruss beschworenen Gründer- und Pioniergeist auch im eigenen Haus zum Leben zu erwecken, und legen Programme auf, mit deren Hilfe die eigenen Mitarbeiter zu Unternehmern im Unternehmen werden. T-Parking wird unterstützt vom Telekom-Förderkonzept „Uqbate“. „Es handelt sich dabei um einen Experimentier-Raum, im dem ohne 75 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 62 großes Risiko gelernt werden kann“, sagt Johannes Nünning (48), der Leiter des Programms. „Sogenannte Corporate-Start-ups können die individuelle Kreativität und die Fähigkeiten Einzelner wirksam werden lassen – wie bei echten Start-ups auch.“ Einer BILANZ-Nachforschung zufolge verfügen von den 30 Dax- und 50 M-Dax-Konzernen allerdings nur deren sechs über Spezialeinheiten, die interne Gründungen fördern und unterstützen, indem sie den Ideengebern Fachleute an die Seite stellen, die ihnen beispielsweise beim Aufbau ihrer Geschäftspläne helfen. Die Büchsenspanner der Gründer werden für die Zeit ihrer Hilfsdienste häufig von ihrer eigentlichen Tätigkeit freigestellt. „Die Start-up-Mentalität passt eigentlich nicht zu den Entscheidungsprozessen von Dax-Unternehmen“, sagt der McKinsey-Mann Karel Dörner (41). „Aber der Veränderungsdruck, der auf großen Unternehmen lastet, wird immer größer. Deshalb setzen sie zunehmend auf diese neuen Strategien.“ Dörner hat 1999 gemeinsam mit den Samwer-Brüdern das InternetAuktionshaus Alando gegründet, das heute zu Ebay gehört. Bei McKinsey ist Dörner für die Abteilung Wagniskapital zuständig. Ob Großunternehmen erfolgreich Keimlinge setzen können, hängt, nach Meinung von Dörner, auch davon ab, wie sie mit dem Scheitern umgehen: „In großen Konzernen dürfen Projekte eigentlich nicht scheitern. Deshalb scheut Gut gelaunte Parkplatzsucher: die T-Parking-Gründer Pavel (l.) und Petr (2.v.l.) mit Kollegen in Bonn. / Foto: Pavel Vrba man sich oft, risikoreichere Projekte überhaupt erst anzustoßen.“ Innerbetrieblich betreute Gründungen hält Dörner deshalb für eine grundsätzlich gute Idee – vorausgesetzt, dass die Ziele genau definiert sind, die mit ihnen erreicht werden sollen: „Start-ups sind kein Beiwerk. Entscheidend ist, die digitale Transformation eines Unternehmens im Großen hinzubekommen.“ Dies scheint auch die EnBW Energie Baden-Württemberg AG in Karlsruhe erkannt und begriffen zu haben, ein Stromunternehmen, das volkstümlichen Vorstellungen zufolge eher den konservativen Wirtschaftskräften des Landes zuzurechnen sei: Im Zuge der Energiewende musste EnBW (Umsatz: ca. 21 Milliarden Euro) weit über 1.000 Mitarbeiter entlassen, 2014 gab der Konzern einen Verlust von 450 Millionen Euro bekannt. Doch die EnBW-Leute lassen sich nicht entmutigen und denken in eine Richtung, die frühere Generationen gerne mit dem Attribut „quer“ versehen haben: So überzeugen die Karlsruher neuerdings mit ihren Forschungen zur „intelligenten Straßenlaterne“, einer Erfindung von Oliver Deuschle. Um seiner Bestimmung nachzugehen, hat der 41-jährige Elektrotechniker, zuletzt Leiter der Instandhaltungsabteilung für Hoch- und Höchstspannungsnetze, seinen Arbeitsplatz verlegt: fort vom EnBW-Hauptsitz mit seiner Glasfassade, dem Foyer, dem Empfangstresen und dem Wasserspiel, einer Kulisse, die auf szenisch aufgeladene Gründertypen à la Deuschle, wie der sagt, „hemmend wirken kann“. Er hat sich zehn Kilometer westlich am Karlsruher Rheinhafen angesiedelt, wo er im Frühjahr 2014 den „EnBW-Innovationscampus“ errichten half. In diesen Büros spielt EnBW ein bisschen Google: In der Ecke steht ein Kicker, von der Decke hängen Hängematten in Regenbogenfarben, Holzpaletten dienen als Stühle, Tafeln reichen vom Boden bis zur Decke, an einer giftgrün gestrichenen Wand klebt ein Hirschkopf aus Plastik, daneben prangen Motivationssprüche wie „think big“, „fail harder“ und, im badischen Dialekt, „subber Sach“. Es wirkt etwas bemüht hip. Aber offenbar hat das Ambiente eine belebende Wirkung auf Menschen wie Deuschle. Er hat dort im vergangenen Sommer gemeinsam mit drei EnBW-Kollegen seine Firma Smight gegründet: eine Verbindung von „smart“, „city“ und „light“. Die Idee: Straßenlaternen sollen von EnBW so aufgerüstet werden, dass sie nicht nur die Wege beleuchten, sondern auch Elektrofahrzeuge aufladen, die Schadstoffbelastung und den Lärmpegel messen, einen Internetzugang bereitstellen und obendrein als Notrufsäule dienen können. Das ist besser als Aladins Wunderlampe. Die Idee mache eine Stadt sicherer, „attraktiver“ und „zukunftsfähig“, heißt es auf der zugehörigen Internetseite. Einmal marktreif könnte Deuschles Wunderlampe den Karlsruhern eine zusätzliche Einnahmequelle erschließen: Denn die Kommune bezahlt den Energiekonzern für die Montage sowie für die Installation und Wartung des Betriebssystems. Schon vier Monate nach dem Umzug aufs Rheinhafen-Gelände konnte Deuschle Verträge mit neun Kommunen aus der Region unterschreiben. Seit April läuft das Pilotprojekt in Wiesloch bei Heidelberg. „Das sind Geschwindigkeiten, die wir bei der EnBW nicht immer hinbekommen“, sagt er. Nicht alle Vorhaben sind so erfolgreich wie Deuschles. „Bei uns wissen alle, dass Scheitern akzeptiert ist“, verspricht Uli Huener (58), der Leiter des EnBW-Campus, „Uns muss klar sein, dass von zehn Ideen nur eine oder zwei überleben.“ Huener hat in Kalifornien Mathematik studiert und hernach im Siliziumtal als Systemprogrammierer getüftelt. Über die Telekom kam er zu EnBW, wo er zunächst dessen Ableger Yello-Strom leitete. „Ich hab’ die Start-up-Mentalität nach wie vor drin“, behauptet er. Die Idee des Campus bezeichnet er als einen „Ansatz von innen“: Er versuche, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, wie Gründer zu arbeiten, losgelöst vom Konzern. „Wir versprechen uns sehr viel davon.“ Wenn EnBW-Leute eine Idee für eine Firma haben und diese einer ersten Prüfung standhält, bekommen sie drei bis vier Monate Zeit, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. „Projektfreistellung“ heißt das im Konzerndeutsch. Wenn man merke, dass „Fleisch am Knochen“ sei, sagt Deuschle, werden die Arbeitsstellen der Beteiligten im Unternehmen bis auf Weiteres freigegeben. Scheitert das Projekt dennoch, bestehe die Möglichkeit, auf den alten Schreibtischstuhl zurückzukehren, versichert Huener. Derzeit grübeln und klügeln rund 80 Mitarbeiter auf dem Campus. Auch jene, die keine Teilzeitgründer sind, sollen die Büros kennenlernen, etwa, indem sie eine Tagung oder einen Jour fixe dorthin verlegen. Der erhoffte Pioniergeist, sagt Huener, entwickle sich, „wenn wir den Leuten eine Chance geben, an ihrer Idee zu arbeiten, ohne die Bremsen und eingeschliffenen Prozesse, die so ein großes Unternehmen mit sich bringt. Dann stellt sich eine unglaubliche Dynamik und Motivation ein – faszinierend.“ Der Telekom-Gründervater Johannes Nünning pflichtet bei: „Organisationen können nicht kreativ sein, das können nur Menschen.“ Seine beiden Prager Parkplatzsucher zeigen, welche Vorteile dabei ein großer Konzern im Rücken bieten kann: Für ihren Algorithmus nutzen Petr Hais und Pavel Vrba unter anderem auch die – anonymisierten – Daten des Mobilfunknetzwerks der Telekom, um zu orten, in welchen Einwahlbereichen der Stadt gerade wie viele Menschen mit Telefon unterwegs sind. Daraus wollen sie Verkehrsströme errechnen. Ohne ihren Arbeitgeber wäre ihnen der Zugriff auf diese wertvolle Quelle verwehrt. Anders als bei EnBW hat das Telekom-Programm „Uqbate“ kein physisches Zentrum: Um ihr Parkplatz-Programm kümmern sich die beiden Gründer noch nebenher. Man setze auf Flexibilität, sagt Nünning, „da die Kollegen meist nicht von Anfang an ihre Karriere komplett an eine neue Geschäftsidee binden wollen.“ Einige Projekte liefen aber bereits „in einem 100-Prozent-Modus“, sagt er. Dahin wolle er auch kommen, sagt Vrba. Ihr Ziel sei es, ihr Programm als festen Bestandteil in den Navigationssystemen von Autoherstellern zu etablieren. Unter seinen Freunden seien auch ein paar klassische Unternehmensgründer, sagt Vrba, die sie manchmal belächeln und lästern würden: Ihr seid so langsam, ihr könnt nicht allein entscheiden. „Manche sehen nun mal nicht die Vorteile“, sagt er. In Gesprächen mit Kunden merke er oft das Gewicht, das sein Arbeitgeber habe: „Wenn wir bei einem Treffen mit potenziellen Partnern sagen, dass wir ein Start-up der Telekom sind, macht das schon Eindruck.“ I WELCHE DAX- UND M-DAX-UNTERNEHMEN LASSEN GRÜNDEN? FIRMA JAHR MITARBEITER Telekom 2011 60 (von 228.000) Von neun unterstützten Projekten sind drei eingeführt, z.B. Fabplace, eine Anwendung zur Gestaltung von Telefonschalen vermittels 3-D-Drucker. Thyssen-Krupp 2012 52 (von 157.000) Drei Gründungen: Carbon Components, Tech-Center Carbon Composites und Tech-Center Automation Technology. Eon 2013 100 (von 40.000*) Eon-Angestellte haben bislang rund 300 Projektideen vorgelegt, verwirklicht wurden neun, u.a. Enerji-Almanya, Easycharge und Smart-Klub. Osram 2013 30 (von 34.000) Die einzige Osram-Ausgründung Lightify befasst sich mit der Lichtsteuerung per Mobiltelefon (Markteintritt in Europa: Ende 2014); Partnerschaft mit Google. Axel Springer** 2014 30 (von 14.000) Zwei Gründungen: Zuio-TV (Bewegtbild-Plattform für Nachwuchs-Moderatoren) und Celepedia (Nutzer tragen Nachrichten über Prominente zusammen). Klöckner & Co. 2015 30 (von 9.700) Kloeckner-v soll Firmen das Geschäftsmodell „unter kontrollierten Bedingungen angreifen“ lassen, Kloeckner-i soll u.a. Stahl im Netz vertreiben und vermarkten. ERGEBNISSE * Im April 2015 hat Eon rund 15.000 Mitarbeiter in die Atom- und Kohle-Abspaltung Uniper ausgelagert. **BILANZ erscheint im Axel Springer Verlag. 43 U N T E R 75 I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 64 / JUNGUNTERNEHMER GEGEN GROSSBANKEN Alle kennen die Samwer-Brüder und ihre Firmengründungen von Home 24 bis Zalando. J A N B E C K E R S kopiert die Kopierer und legt jetzt Unternehmen in Serie auf. Seine Plattformen für Finanzdienstleistungen könnten die Bankenwelt verändern. Text CORINNA VISSER Foto JAN WINDSZUS Jan Beckers (32) hat zwei Leidenschaften: Die erste ist das Wirtschaften, die zweite ist das Feiern. Beide Passionen hat er zum Beruf gemacht. „Unternehmer sein fand ich schon immer spannend“, sagt er. Seine erste Firma, Studenta.de, ein Informationsportal für feierwütige Hochschüler und andere Partytiger, gründete er als 20-jähriger BWL-Student in Münster; den zwoten Betrieb meldete er zwei Jahre später zum Gewerbe an: Private Productions, einen Party-Veranstalter, der rund 100-mal im Jahr die Säue rauslässt unter Gejohle von jeweils 500 bis 5.000 Gästen. Mit 32 nun ein geläuterter, alter Mann, lässt es Beckers unausbleiblicherweise betu- und geruhsamer angehen und feiert statt Partys lieber die Gründungen von Unternehmen, und das alle paar Wochen: Sechs bis acht Gewerbebetriebe stößt seine Firma Hitfox im Jahr aus, so fach- und sachgerecht, wie es in Deutschland sonst nur den unvergesslichen Samwer-Brüdern mit ihrer Startrampe Rocket Internet gelingt. Ursprünglich hatte Beckers anderes im Sinn gehabt: Hitfox, 2011 mit der Assistenz des früheren McKinsey-Mannes Hanno Fichtner, des Jungunternehmers Tim Koschella und Ruben Haas konstituiert, sollte Computerspiele im Netz und auf Mobilgeräten vermarkten. „Das war nicht erfolgreich“, sagt er, „aber wir hatten gute Leute und produktive Strukturen, das haben wir schnell erkannt und eine andere Richtung eingeschlagen“ – und Hitfox in einen Herstel- lungsbetrieb umgebildet, der Internetfirmen konfektioniert. Einen Company Builder nennen sie das in der Szene. Inzwischen umfasst die Berliner Gruppierung ein gutes Dutzend Firmen mit zusammengerechnet 400 Mitarbeitern, man unterhält Büros in San Francisco und Seoul. In drei Gewerben baut Hitfox Unternehmen auf: der Online-Werbevermarktung, der schnellen Datenanalyse und, seit Herbst vergangenen Jahres, der Finanzdienstleistung. „Finleap“ heißt die Fabrikationsstätte, die sich um die Anfertigung von Finanzdienstleistern kümmert. Der Name „Hitfox“ schien dafür zu luftig und verspielt. Die Finleap-Büros befinden sich in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes, die Fenster des Großraumbüros geben den Blick auf die S-Bahn frei, wenn sie vorbeifährt vibriert das Gebäude. Vormieter war der Zimmervermittler Airbnb, der praktischerweise sein Mobiliar zurückgelassen hat. 15 bis 30 Leute werden im Monat neu eingestellt: Sobald eine Firma auf eigenen Füßen stehen kann, zieht sie aus und macht Platz für ein neues Team. „Die meisten Start-ups benötigen am Anfang die gleichen Komponenten, und wir haben alles vorrätig“, sagt Serientäter Beckers. Und weil sein Team und er unterdessen vielfältige Erfahrungen sowohl im Gründen als auch im Umgang mit Gründern gesammelt haben, steige naturgemäß die Gründerqualität: Denn „jedes Start-up ist ein Risiko“. Funktioniert das Geschäftsmodell, passt das Team, reicht das Geld, ist der Markt bereit, klappt der Vertrieb? „Durch unser Systemwissen können wir das Risiko um 80 Prozent verringern.“ Das Startkapital (bei Finleap zwischen 500.000 und fünf Millionen Euro je Gründung) bringen Hitfox und Investoren aus dem Netzwerk auf. Zu Finleap gehören sechs Unternehmen, darunter Savedo, ein Internet-Marktplatz für Festgeldanlagen, Billfront, ein Entwickler von Mobil-Anwendungen für Finanzdienstleister, und das Netz-Pfandhaus Valendo. Zwei weitere Anlagen sind in Gründung. Beckers und seine Kompagnons verfügen über zahlungskräftige Partner: die Wagniskapitalfirmen von Hasso Plattner (SAP), Stefan von Holtzbrinck und Erivan Haub (Tengelmann), dazu Kite Ventures aus Moskau. Diese und die Gründer selbst haben Hitfox jeweils mit einem Millionenbetrag ausgestattet. „Ursprünglich wollten wir vier Unternehmen pro Jahr gründen, jetzt sind wir bei sechs bis acht.“ Im kommenden Jahr, sagt Beckers voraus, werde es die ersten Ausstiege geben: also Firmenverkäufe, deren Erlös in weitere Gründungen gesteckt werden kann. Noch ist Rocket Internet der bedeutendste Produzent mit rund 70 Startups und einem großen Quantum Minderheitsbeteiligungen. Die 2007 von den drei Samwer-Brüdern gegründete Organisation beschäftigt über 30.000 Mitarbeiter in mehr als 110 Ländern. Anfang Mai präsentierte Rocket seine Geschäftszahlen für 2014: Bei einem Umsatz von 104 Millionen Euro wies der Verbund ein Minus von 20 Millionen Euro auf. Die Erwartungen, die die Aktionäre in Rocket gesetzt hatten, erfüllten sich bislang nicht. Von Hitfox sind derlei Enttäuschungen nicht zu erwarten. „Wir veröffentlichen keine Ergebnisse“, sagt Beckers, „und wir werden das auch in Zukunft nicht tun.“ Nur einmal sind die Gäule mit ihm durchgegangen, und er verriet, dass der B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 65 / JAN BECKERS „Gute Leute und produktive Strukturen“. 65 43 U N T E R Wie sich Gründer finanzieren eren BANKEN LASSEN LIEBER DIE FINGER VON INTERNETBETRIEBEN: KEINE SIC H E R H E I T E N . 75 FAMILIE, FREUNDE UND ENGEL Zum Start greifen die Gründer auf ihre Ersparnisse zurück oder auf jene der Familie oder von Freunden. Gerne nimmt man auch die Hilfe von Tipp- und Geldgebern in Anspruch, die in der auf sprachliche Mode-Accessoires voll abfahrenden Innung sowohl anspruchslos als auch fälschlicherweise als „Business Angels“ bezeichnet werden. Ihre Dienste (Geld, Ratschläge und Kontakte) lassen sie sich mit Firmenanteilen vergüten. I D E E N / I N N O V A T I O N E N / 66 / INKUBATOREN, AKZELERATOREN Wer nur einen Einfall, aber kein Geld hat, kann bei einem der immer zahlreicher werdenden Brutbetriebe der Gilde, den sogenannten „Inkubatoren“ (aha!), oder den Beschleunigern, den „Acceleratoren“ (hoho!), vorstellig werden. Diese und jene sind daran interessiert, ein Erzeugnis so schnell es geht zur Marktreife zu führen. Es finden sich Angebote unabhängiger Anbieter sowohl wie von Firmen wie Microsoft, SAP, Axel Springer oder Deutscher Telekom. Sie bieten mehrere Monate lang Begleitung und Betreuung, aber nur selten Trost und Pflege. Als Gegenleistung erwarten sie, wie die Firmenengel, einen hübschen Anteil am Betrieb. SCHWARMFINANZIERUNG Die Verfahrens- und Vorgehensweisen, die das Landvolk aufseufzend unter „Kleinvieh macht auch Mist“ zusammenfasst, gelten auch in der Digitalwirtschaft als praktikable Methoden zur Finanzierung: wenn man nur viele Leute (über Plattformen im Internet) findet, die ihr Scherflein beitragen. Der Vorteil des Massenheischens ist die schnelle Rückmeldung: Wenn man nicht genug Unterstützer für eine Idee findet, ist es wahrscheinlich eine schlechte. FÖRDERGELDER Gefällig ist Gründern auch das, was man früher die öffentliche Hand nannte: zumeist Hochschulen, die eine Reihe von Fördermöglichkeiten bieten. Der Hightech-Gründerfonds etwa, getragen von Mutter Staat und 18 Unternehmen, verfügt über einen schwankenden Kassenbestand von 576 Millionen Euro und verteilte seit Gründung 2005 Darlehen an rund 400 Unternehmen. Betreuung und Beziehungen werden mitgeliefert. RISIKOKAPITAL Wenn das Startkapital auf dem Konto ist, schließen sich weitere Finanzierungsrunden (A, B, C ...) an, getragen von Wagniskapitalgebern. Auch sie erhalten im Gegenzug Firmenanteile. Ziel ist es, dem Unternehmen in jeder Entwicklungsphase genügend Kapital für Zuwachs und Ausbreitung zur Verfügung zu stellen – bis es sich dann eines Tages verkaufen beziehungsweise an die Börse bringen lässt. I Gewinn 2013 angeblich bei 15 Millionen Euro gelegen habe. Zahlenmystiker haben die Angabe auf einen Umsatz von 50 Millionen Euro umgerechnet. Bestätigen will Beckers diese Zahl nicht. Aber was heißt das schon? Nichts verlautbaren zu müssen ist der Vorzug, den ein Unternehmen genießt, das nicht an der Börse notiert ist und zu 90 Prozent den Gründern, ihren Partnern und den Angestellten gehört. Beckers größte Erwartungen gelten nun dem Bankenmarkt. Tobias Kollmann (45), Professor für E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft beim Wirtschaftsministerium, glaubt, dass die „digitalen Geschäftsmodelle“ die Finanzwelt „vollkommen umkrempeln“: In Zukunft werden „Transaktionen, Kreditwesen und Finanzierung von unterschiedlichen Anbietern kommen, die sich darauf spezialisieren“. Anders ausgedrückt: „Früher teilten sich wenige Großbanken den Markt, in Zukunft werden wir Hunderte Fintech-Unternehmen haben und somit ein ganz anderes Wettbewerbsumfeld.“ Jan Beckers fühlt sich für die Herausforderung gut gerüstet: „Die Zeit ist reif.“ Ähnlich wie die Werbe- sei auch die Finanzwirtschaft von Daten getrieben. Hier könnten die Hitfox-Firmen einen Nutzen ziehen aus den Erfahrungen bei der Spielevermarktung. Billfront etwa verbindet beides und sorgt als Zwischenfinanzierer dafür, dass Entwickler, die ihre Spiele auf großen Plattformen oder über Netzwerke vermarkten, schneller an ihr Geld kommen; Savedo wiederum hilft Sparern dabei, ihr Festgeld innerhalb Europas zu besseren Konditionen als hierzulande anzulegen; Valendo schließlich bietet Pfandkredite online an, was den Leuten den unangenehmen Gang ins Pfandhaus erspart. Mit dem Gründen von Firmen allein gibt sich Beckers, den die Unternehmensberatung EY zum „Unternehmer des Jahres 2014“ in Deutschland kürte, nicht zufrieden: Noch in diesem Sommer will er einen Publikumsfonds auflegen, der nur in Internetfirmen investiert. „Die Leute, die Aktien-Fonds managen, haben oft keine Ahnung davon“, meint Beckers. Er dagegen schon. So folgt er dem Motto des US-Investors Warren Buffett: „Investiere nur in eine Aktie, deren Geschäft du auch verstehst.“ Diese Entsprechung gefällt ihm. I NUR KLEINGELD FÜ R GRÜ N DER SOMMERAKADEMIE Von EBERHARD PL ATTFAUT Das deutsche Steuerrecht bestraft Investitionen in Neugründungen. Warum? Der Befund ist eindeutig: Es gibt in Deutschland zu wenig Firmengründungen in der Technikindustrie. Vor allem, weil es Gründer schwer haben, an das nötige Startkapital zu kommen. Und von denjenigen, die es schaffen, scheitern viele, weil sie nach einem Jahr oder deren zwei keine Folgefinanzierung auf die Beine stellen können. Etwa zwei Milliarden Euro wurden in Deutschland in den vergangenen drei Jahren in Wagniskapital investiert, in den USA waren es im gleichen Zeitraum rund 64 Milliarden. Gewiss, die USA bilden einen deutlich größeren Markt, doch bezogen auf das Bruttosozialprodukt müsste das Wagniskapital-Volumen hierzulande auf zwölf Milliarden Euro klettern, um der US-Dynamik zu entsprechen. Selbst in Schweden, wo bekannte Start-ups (Spotify, MySQL, Skype) ihren Ursprung haben, wird fast dreimal so viel investiert wie in Deutschland. Es ist wenig tröstlich, dass Griechenland, Italien, Spanien und Portugal eine noch finanzschwächere Gründerszene aufweisen als wir. Die Gründe der fortdauernden Finanzierungsmisere sind auch hausgemacht. In kaum einem Land werden Gründer und deren Geldgeber durch das Steuerrecht so sehr benachteiligt wie in Deutschland: Während die Politik Investitionen in die Schifffahrtsoder Immobilienbranche großzügig fördert, werden Firmengründer und ihre häufig risikofreudigen Investoren systematisch bestraft aufgrund fehlender Möglichkeiten der Verrechnung von Gewinnen und Verlusten und, daraus resultierend, einer mangelnden Planbarkeit. Die Gewerbesteuer führt überdies zur Benachteiligung deutscher Gründerfonds und schafft gut bezahlte Arbeitsplätze in Zukunftsindustrien allenfalls im Ausland. Dabei ließe sich die Ausfuhr von Technik, Arbeitsplätzen und Unternehmen leicht umkehren: Geldgeber, die Jungunternehmen mit Kapital ausstatten, sollten ihre Investitionen sofort von der Steuer absetzen können beziehungsweise sie erst im Erfolgsfalle dem Fiskus unterwerfen. Dies könnte die verfügbaren Investitionssummen schlagartig verdoppeln und obendrein Planbarkeit des Engagements in Gründerfirmen verbessern. Wenn 200.000 Bundesbürger über drei Jahre im Durchschnitt 50.000 Euro investierten (es gibt allein 15.000 Einkommensmillionäre, die auch etwas mehr Spielraum hätten), dann wäre die Zehn-Milliarden-Euro-Marke schon erreicht. Gewiss, der Steuerausfall könnte bis zu vier Milliarden Euro betragen, aber Finanzminister Wolfgang Schäuble müsste sich deshalb keine Sorgen machen: Ein Großteil des Gelder fließt in Gehälter und via Einkommensteuer wieder zu ihm zurück. Und was nicht unmittelbar beim Fiskus landen würde, käme durch die Besteuerung erfolgreicher Start-up-Verkäufe und als Innovationsschub dem Land zugute. Die Investition von etwas über einer Milliarde Euro in eine Steuerstundung, die die Innovationskraft des Landes erhöht, sollte sich Deutschland doch leisten können. I EBERHARD PL ATTFAUT ist Unternehmensgründer und Gesellschafter der Wagniskapitalfirma Wellington Partners, München. Haben Sie das Zeug zum Chef? BILANZ gibt herausragenden Talenten die Chance, ihre Führungsfähigkeiten gemeinsam mit Profis aus der Wirtschaft zu verfeinern, und zwar auf der dritten Sommerakademie „Führung und Persönlichkeit“ vom 23. bis 27. September in Bremen und Berlin. Die Unternehmensberatung TSBG organisiert Gesprächskreise, in denen Manager von morgen mit Führungskräften von heute diskutieren können. Diskussionspartner sind unter anderem: ROLF BUCH, Vorstandsvorsitzender Deutsche Annington, LEONHARD FISCHER, Vorstandsvorsitzender der BHF Kleinwort Benson Group HILMAR KOPPER, ehemaliger Vorstandssprecher Deutsche Bank, BURKHARD SCHWENKER, Aufsichtsratsvorsitzender Roland Berger Strategy Consultants HANS-DIETRICH WINKHAUS, ehemaliger Vorstandsvorsitzender Henkel Die Jacobs-Stiftung stellt jedem Teilnehmer ein Stipendium zur Verfügung, das alle Kosten (bis auf An- und Abreise) deckt. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt durch eine Jury mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Studenten und Berufseinsteiger, die an der Sommerakademie teilnehmen wollen, werden um einen Lebenslauf sowie ein Schreiben gebeten, in dem sie über ihre Beweggründe berichten und aus dem ihr Wille zur Leistungserbringung und ihr Engagement erkennbar werden. Exklusiv für Leser der deutschen BILANZ sind zwei Teilnehmerplätze reserviert. Bewerben Sie sich bis zum 31. Juli unter www.sommerakademie-fp.de mit dem Stichwort „BILANZ“. P R I V A T P / 68 / Konstantin Totibadze (l.) mit Trainer Alex. Er ist Maler, sein Atelier liegt um die Ecke des Klubs, im Zentrum Moskaus. In New York werden seine Bilder zu dem Preis eines „VW Golfs“ verkauft. KLASSENKÄMPFER Text JAN VOLLMER B I L A P N Z R / I J V u n A i T / 2 0 1 5 Fotos GULLIVER THEIS Im Moskauer Boxklub O K T O B E R schlagen sich örtliche Mittelschichtler. Einfach haben es die Hobbyboxer nicht, denn sie müssen sich auch entscheiden, ob sie für oder gegen das System Putin kämpfen wollen – und ob sie überhaupt kämpfen wollen. / 69 / W P R I V A T / 70 / ladimir Kuwschinow tänzelt durch den Ring, die Ellenbogen dicht am Körper, die roten Boxhandschuhe decken sein Gesicht auf Höhe der Wangenknochen. Sein T-Shirt ist nass, unter seinem Kopfschutz gucken Haarsträhnen hervor und ein Vollbart. Schweiß spritzt. Sein Gegner, Sascha, ist anderthalb Köpfe größer als er und 25 Kilo schwerer. Wenn er angreift, wird aus dem Tänzeln der beiden ein Jagen, wie zwei junge Hunde, einer hinter dem anderen her, und mitten hinein in Saschas Angriff landet Wladimir einen Schwinger, und Sascha reißt die Deckung hoch, und damit wechseln die Rollen, und Wladimir prügelt auf Saschas Deckung ein: und links und rechts und links und rechts und rechts und rechts und links und drängt ihn in die Ecke. Es ist ein Freitag um die Mittagszeit, Wladimir ist IT-Manager, Sascha Investmentberater, sie arbeiten in der Nähe des Gyms , im Zentrum Moskaus, sie können in der Pause eine Stunde oder länger boxen gehen, etwas essen und dann wieder in ihre Firmen zurück, denn sie werden nicht nach Zeit bezahlt, sondern nach Leistung. Nachmittags sind Wladimir und Sascha noch fast allein beim Boxen, aber gegen acht am Abend füllen sich die drei Hallen, wenn die Banker, Berater und Ingenieure der Moskauer Mittelschicht das Licht in ihren Büros ausschalten und sich ihre Sporttaschen über die Schultern werfen. Sie fahren zwei, drei Stationen mit der Moskowskoje metro und steigen an der Kropotkinskaya aus, gehen an der Christi-Erlöser-Kathedrale vorbei, die jetzt besser als „Pussy Riot“-Kirche bekannt ist, marschieren über die Brücke dahinter und übers Gelände der ehemaligen Schokoladenfabrik. In den Backsteinhallen schreiben junge IT-Gründer jetzt Rechnerprogramme, Herrenausstatter verkaufen schmal geschnittene Anzüge, und nicht wenige der Mitglieder des Boxklubs „Oktober“ arbeiten hier auch irgendwo, in Moskaus Brooklyn. Auf ihrem Weg ins Gym laufen sie in einen Hinterhof der Bersenewskij-Gasse, halten sich rechts, passieren ein Café und einen Haufen ausrangierter Sofas, treten durch eine offene Stahltür unter Well- blech, steigen eine schmale Treppe hinauf – nackter Beton, Farbkleckse, Neonröhren – bis in den dritten Stock, gehen durch eine weitere Stahltür in den Klub. Von draußen ist nichts zu hören, aber drinnen mischen sich das Klacken der Springseile auf dem Parkett, das Knallen der Boxhandschuhe in den Schlagpolstern der Trainer und die ungezählten kleinen, quietschenden Schritte der tänzelnden Boxer zum Rhythmus der jungen Aufsteiger Moskaus. Lauter, pumpender Rap, Tupac Shakur, Neues von Tyler, The Creator, man hört, auf welche Klientel der Klub zuge- schnitten ist: die schmale städtische und westeuropäisch gesinnte Mittelschicht. Zwischen 1.300 und 2.000 Euro kostet die Mitgliedschaft im Jahr. Plakate denkwürdiger Kämpfe, ausgetragen irgendwann und -wo auf der Welt, hängen an den Backsteinwänden: De La Hoya vs. Mayweather, Tyson vs. Botha, Lewis vs. Grant. Im Foyer stehen ein paar Sessel im Mies-van-der-Rohe-Stil, überall liegen Boxhandschuhe herum, und an der Decke hängen Fabrikleuchten, Neonröhren und die großen, nackten Stahlblechrohre der Entlüftungsanlage. So echt und wahr und doch nachgeahmt ist alles, dass der Boxklub wie ein Filmset wirkt. Boxen ist ein narzisstischer Sport. So viele Spiegel wie in einem Boxstudio hängen sonst nur in Ballettschulen. Es geht nie um den Gegner, sondern um das Ich und um den Kampf mit sich selbst. Männer üben konzentriert vor den Spiegeln. Bei jeder linken Geraden ein Schritt mit dem linken Bein nach vorn. Jetzt bloß nicht das Gewicht verlagern, nur die Fußspitze aufsetzen und zurück, nie eindeutig, nie abschließend, immer schnell, immer tänzelnd. So eigensüchtig und voller Eigenliebe das Boxen ist, so sehr erdet es die Boxer selbst. Die jungen Mittelschichtler, im Beruf erfolgsverwöhnt, kassieren Schläge ins Gesicht und auf die Rippen und teilen aus und haben keine Zeit, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht besser sind als ihr Sparringspartner, und dann wechseln die Gegner, und sie müssen einstecken und warten darauf, dass die Runde endlich vorbeigeht. Die jungen Trainer rufen, und die Boxer legen sich auf den Boden: Liegestütze, bis bei 17 von 20 ihre Arme nachgeben, und Rumpfbeugen, bei denen sie in das Neonlicht starren und sich im Klacken der Springseile der anderen verlieren. Im „Oktober“ trainiert man ehrgeiziger als in anderen Klubs, nicht, weil man besser ist, sondern, weil Ehrgeiz der gemeinsame Antrieb dieser russischen Mittelschicht ist. Es gibt viele Sparrings – als gelte es, die Mitglieder auf einen Kampf vorzubereiten, und ohne Mund- schutz braucht man nicht einmal zum Techniktraining aufzutauchen, denn auch da wird wieder gekämpft. Im „Oktober“ kämpft die Generation, die vor zehn Jahren von den Universitäten kam – eine Generation, die sich ihren Erfolg erarbeiten konnte und nicht auf Glück und Gerissenheit angewiesen war wie die Leute, die in den 90er-Jahren groß wurden. Seit sie mit der Uni fertig sind, wuchs die russische Wirtschaft, und mit ihr wuchs die Selbstgewissheit dieser Generation, ihr Stolz auf den eigenen Aufstieg und darauf, dass Moskau zu einer Stadt in Europa wurde und man sich einen Skiurlaub in Österreich leisten konnte oder ein paar verliebte Tage in Paris. 2014 aber endete der Aufstieg jäh: Der Ölpreis verfiel und mit ihm der Rubel, und junge Paare stornierten ihre Urlaube, denn Paris war jetzt zu teuer. Die Furcht ist groß in der neuesten russischen Klasse, der jungen Mittelschicht, dass die gute Zeit nur von kurzer Dauer und schon bald wieder vorbei und zu Ende ist. Wladimir boxt in der hintersten Halle des „Oktober“, ein Tropfen Blut läuft ihm langsam aus der Nase. Er bemerkt es erst nach dem Sparring. Gut gelaunt, den Kopf in den Nacken geworfen, gibt er Sa- In der Mittagspause geht IT-Manager Wladimir Kuwschinow (29) in den Moskauer Boxklub „Oktober“, zieht seine Handschuhe zu und misst sich bis zur Erschöpfung mit Gegner Sascha. Im „Oktober“ trainieren die Mittelschichtler, ehrgeizige junge Städter, die daran glauben, dass man sich alles erkämpfen kann. scha die Hand und läuft an den Spiegeln vorbei in Richtung Umkleide. In den Duschkabinen aus mattem Glas und breiten, schwarzen Natursteinfliesen spült warmes Wasser das Blut auf den Boden. Erst mit dem Duschen ist der eigentliche Kampf beendet und mit dem Abtrocknen der Übergang in die andere Welt vollzogen, und danach bleiben nur Erschöpfung und ein paar Cuts und blaue Flecken, die sich unter einem frischen Hemd voller Genugtuung tragen lassen wie Knutschflecken unterm Kragen. Nach dem Sparring geht Wladimir in die Strelka-Bar um die Ecke. Seine Fingerknöchel sind aufgeschürft. Wladimir leitet ein 16-köpfiges Team bei einer Suchmaschine für Flugreisen. Er hat sein Rennrad draußen angeschlossen. Ein Fahrrad ist für einen Manager in Moskau ungefähr so ungewöhnlich wie ein „Ford Mustang“ für einen Kreativen in Berlin. Wladimir ist 29, und seit er 16 ist, arbeitet er mehr oder weniger Vollzeit, das Studium nebenher strengte nicht besonders an. Bevor er zu der Flugsuchmaschine kam, arbeitete er für HewlettPackard und hatte eine Firmenkreditkarte und ein Gehalt, mit dem er sich schon mit Mitte 20 einen „Porsche Cayenne“ hätte chartern können. „Ich bin ein Mann der Vernunft“, sagt er, deswegen Fahrrad, und wenn man Vernunft an der Zahl der Fahrräder im Straßenverkehr messen würde, stünde es schlecht um Moskau. Wladimir ist ein Vertreter dieser europäisch geprägten Mittelschicht, die B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 71 / P R I V A T / 72 / sich jetzt etwas einfallen lassen muss, denn die Jahre des Wachstums und der Annäherung an Europa sind vorbei. Seine Eltern gehörten in der Sowjetunion dem Mittelbau der Gesellschaft an: Akademiker, Moskauer, deren Biografie wie die Biografien aller Russen 1991 einen Knick bekam. Für Wladimirs Mutter war das eine unerwartet günstige Wendung, denn sie hatte in englischer Literatur promoviert und durfte schon vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die USA reisen und konnte Anfang der 90er als Übersetzerin bei der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG anfangen, als man den Chefs privatisierter Staatskonzerne erklärte, was das überhaupt ist: ein Unternehmen. „Meine Mutter verdiente Dollar“, sagt Wladimir, und die Dollars konnte man gegen eine Menge Rubel tauschen und damit einen Sony-Farbfernseher kaufen. Keiner seiner Freunde hatte einen Farbfernseher. „Zwischendurch gab es eine Zeit, in der meine Mutter kreativ werden musste“, und irgendwann kam zu dem Farbfernseher noch einer der ersten Heimcomputer dazu. Wladimir konnte Tennis spielen und wurde sogar richtig gut und spielte auf den Turnieren der Stadt und denen des neuen Russlands und wäre vielleicht sogar ein Berufsspieler geworden, wenn seine Eltern das Geld gehabt hätten, ihn zu internationalen Turnieren zu fliegen. Wie viele ehemalige Leistungssportler nahm er den Ehrgeiz, ohne den Wettkampfsport nicht funktioniert, und den Willen, an sich zu arbeiten, mit auf die Universität und, weil es dort kaum etwas zu lernen gab, auch mit in seinen Beruf. Die 2000er waren eine gute Zeit für ehrgeizige junge Männer wie Wladimir. So gut, dass sie sich stark genug fühlten, auf die Straße zu gehen, als Putin nach seiner Kunstpause als Premierminister wieder Präsident werden wollte. Mit Zehntausenden Menschen stand Wladimir auf dem Bolotnaja-Platz und forderte ein neues Russland und gerechte Wahlen: „Ich bin vielleicht selbst kein Aktivist, aber auch nur einen oder zwei Handschläge von den Aktivisten entfernt.“ Putin ließ die Protestler protestieren, zur Freude westlicher Medien, doch er vergaß sie nicht und zog langsam, aber unnachgiebig die Schlinge zu, die er seinen Gegnern um den Hals gelegt hatte. Ein paar politische Verhaftungen und Morde später war klar, dass es keinen Russischen Frühling geben würde: „Gut haben sie das gemacht“, sagt Wladimir, „jetzt sind wir die 5. Kolonne.“ Das ist der Name, mit dem der Kreml die Reformer als „Feinde Russlands“ ächtet, mit dem das Fernsehen die alleinerziehenden Mütter und Fabrikarbeiter zwischen Magadan und Woro- Pawel (oben) gehört zu den erfahreneren Boxern im „Oktober“: Der 32-jährige Berater ist fast 1,90 groß und hält seine Gegner auf Distanz, immer eine Hand als Deckung vor dem Gesicht. Konstantin Totibadze (rechte Seite) hängt nach dem Training in den Seilen, ist aber noch lange nicht k.o. nesch gegen die Kritiker hetzt, sodass der Druck von beiden Seiten kommt, von oben aus dem Kreml und durch das Fernsehen von unten. „Damals bin ich auf die Straße gegangen, jetzt nicht mehr“, sagt Wladimir. Schließlich sei er ein Mann der Vernunft, und aus seinem Mund klingt das kein bisschen albern, denn mit 29 ist man in Russland schon etwas älter als mit 29 in Deutschland, und deswegen ist Wladimirs Kind auch schon eineinhalb Jahre alt, und die junge Familie hat Besseres zu tun, als sich von 86 Prozent Russland als 5. Kolonne beschimpfen zu lassen. 86 Prozent, so heißt es, stünden hinter Putin. Die IT-Branche ist neben der Öl-, Gas- und Waffenindustrie der einzige Wirtschaftszweig in Russland, der international konkurrieren kann. Für Programme braucht man nur Rechner und Internet und ist sonst kaum auf staatlichen Unterbau angewiesen. Die Heizungen werden in Moskau im Herbst alle zentral angestellt und im Frühling alle zentral abgestellt, und in der Zwischenzeit lässt man das Fenster auf, wenn einem zu warm wird. Aber schon seit zwei Jahren bestellen die Moskauer ihre Taxis per Telefonanwendung und verfolgen deren Anfahrt auf „Google-Maps“. „Auch in der IT wollen sie jetzt durchgreifen und regulieren, auch dort wird es enger für uns“, sagt Wladimir. „Aber alle Guten arbeiten bei uns und nur die Mittelmäßigen für die.“ Im spektakulärsten Fall dieses „Wir gegen die“ verkaufte Pawel Durow, P der Gründer von V-Kontakte (dem russischen Facebook-Pendant) seine Firmenanteile und verließ Russland, nachdem er von der Polizei vorgeladen worden war: Durow hatte sich geweigert, Nutzerdaten an den Inlandsgeheimdienst FSB weiterzugeben und kritische Gruppen auf V-Kontakte zu schließen. Aber wie lange kann eine Branche durchhalten, wenn die Bürokratie eines Staates gegen sie arbeitet? Was wäre aus Facebook geworden, hätte Mark Zuckerberg es 2010 an einen Freund von Barack Obama verkaufen müssen? „Es gibt zwei Möglichkeiten für die russische Wirtschaft“, sagt Wladimir: „Entweder Putin bleibt, und es geht nicht weiter, oder er geht, und sie stürzt erst mal ab.“ Die Hoffnung auf Reformen hat er aufgegeben. In spätestens zwei Jahren will die Familie auswandern, vielleicht nach Frankreich. In Russland hält sie wenig. Es scheint auch niemanden zu stören, dass die tüchtigsten Leute des Landes lieber woanders hingehen. „Irgendwo habe ich gelesen, dass man nur eine Million Menschen brauchen würde, um Russland als reinen Öl-Staat zu betreiben“, erzählt Wladimir. awel boxt erfahrener als Wladimir. Selbst bei schnellen Links-rechts-Kombinationen bleibt fast immer eine Hand als Deckung vor dem Gesicht, er tobt nicht durch den Ring, nutzt seine Reichweite – er ist fast 1,90 groß. Der 32-Jährige arbeitet bei einer Wirtschaftsberatung in Moskau, er prüft für sie Unternehmen vor Übernahmen oder Krediten. Sein Blick auf Russland ist ein anderer, seine Erinnerungen an die 90er sind andere. Er ist in Podolsk aufgewachsen, einer Stadt 40 Kilometer südlich von Moskau. „Manchmal“, sagt Pawel, „lagen morgens Tote auf meinem Schulweg.“ Männer, die sich totgesoffen hatten und liegengeblieben waren, ein paar Stunden, einen Tag lang, bis sie jemand wegräumte. In Pawels Erinnerung wurde das Leben in Russland dank Putin besser und nicht trotz Putin. Pawel war gerade mit der Schule fertig, studierte in Moskau und danach mit einem Stipendium in Genf und sah aus der Ferne zu, wie dieser graue KGB-Mann das seltsam unförmige 3-D-Puzzle, das Russland damals war, von innen mit Beton auffüllte, damit es nicht zerfiel und in die Brüche ging. Als kleines Kind hatte Pawel immer das Gefühl gehabt, in einem zivilisierten Land zu leben – bis es plötzlich nichts mehr zu essen gab. Er ging mit seinen Eltern auf den zentralen Platz in Podolsk, wo große deutsche Lastwagen standen, auf deren Ladefläche Männer Pakete mit Mehl hinunterwarfen. Doch es war nicht die Not, die Pawel erinnert, eher der raue Umgang der Menschen untereinander. Einer seiner Schulkameraden habe von seinen Eltern eine Spielekonsole geschenkt bekommen. Die anderen Kinder riefen, er müsse sie ihnen geben, aber er weigerte sich. Der Streit wurde immer hitziger, und dann warfen die anderen Kinder den Jungen in den Fluss – und ließen ihn nicht mehr aus dem Wasser. Er ertrank. Pawel wechselte vom Turnen zu Karate, denn Karate war in der UdSSR verboten gewesen, und überall im Land machten nach 1991 Karateschulen auf. Bei Karate war mehr los als beim Turnen, und irgendwie schien es ihm angebrachter in dieser Zeit. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 73 / P R I V A T / 74 / Am Sonntag kämpft Pawel in einem Verein, der „Flügel des Sowjets“ heißt. Die Halle ist klein, überdacht von einer runden, fensterlosen Kuppel. Der Ring ist mit grellem Scheinwerferlicht ausgeleuchtet, im Dunkel auf den Rängen sitzen Verwandte, Freundinnen und Kumpel der Boxer. Im Scheinwerferlicht leuchten die bedrückten, schwermütigen, ernsthaften Gesichter der Boxer, die Trainer brüllen, und die Zuschauer lachen, und „Flügel des Sowjets“ könnte ein modernes Stück Regie-Theater sein. Eines, das die Menschen liebevoll zynisch betrachtet, weil es im Scheinwerferlicht und in größter Dramatik Sieger und Verlierer produziert, und sobald der nächste Gong ertönt, ist der vorangegangene Kampf sowieso wieder vergessen. Das Publikum im „Flügel der Sowjets“ ist anders als dasjenige im „Oktober“. Breite Männer mit plattgeschlagenen Nasen und engen, in die Hose gesteckten schwarzen Hemden laufen zwischen den Rängen und dem Ring auf und ab. Der Ringrichter trägt weißes Hemd und schwarze Fliege, die Boxer tragen Laufschuhe und ärmellose Unterhemden. Es ist ein anderes Russland, eines, das Fernsehen guckt und in dem Stärke zählt und die Frauen blond sind und Stiefel tragen. Einer der Kämpfer schleicht in seine Ecke mit einem Gesicht, das der Schmerz verzerrt, er geht in die Knie, er hat sich beim Schlag die Schulter ausgerenkt und renkt sie sich in der Ringecke selbst wieder ein, und das Dunkel klatscht Beifall, als er aufsteht und weiterboxt. Pawel ist Nummer 28, und er macht sich in einem Gang unter den Rängen warm. Er passt fast besser in diese Welt als in die Welt des „Oktobers“. Manche haben die 90er so ähnlich erlebt wie er, andere würden ihm widersprechen, sagt Pawel. Für ihn aber war der Kollaps ein so einschneidendes Erlebnis, dass es alles erklärt, was jetzt ist: das Zusammenschrumpfen des Reichs der Sowjets zu einem Entwicklungsland und die Nato, die sich plötzlich bis nach Polen und Tschechien vordrängelte. Einen „imperialen Komplex“ hätten sie jetzt, sagt er, so wie die Engländer und Österreicher. Dazu kommt die gemeinschaftliche Erfahrung der Armut. Er könne sich noch gut daran erinnern, wie er die Mehlpakete von dem Lastwagen aufgefangen hat, was schert es ihn heute, dass es keinen italienischen Büffelmozzarella mehr gibt. „Wir haben nie reich gelebt, gewöhnt euch verdammt noch mal nicht daran“, zitiert Pawel ein russisches Sprichwort. Krankenhäuser, Schulen, Beamtenapparat, Bestechung – natürlich könnte man ein Land besser führen. „Ich habe zwei Arme, zwei Beine, der Rest liegt in meiner Hand“, sagt er, und diesen Spruch hört man oft in Russland. Das Schulterzucken gehört zu Russland wie der Schnee, und da hat Empörung auch noch nie geholfen. Pawel gewinnt Kampf Nr. 28 nach Punkten. K atjas Haare reichen knapp bis über ihre Hüfte. Vor dem Boxen flicht sie daraus einen Zopf, den nimmt sie doppelt und verstaut ihn unter ihrem Kopfschutz. Katja kommt nur zu Einzelstunden mit ihrem Trainer oder zum Sparring mit den Männern, mit Pawel und Wladimir. Einzelstunden für die Technik, Sparring für das Adrenalin. Natürlich ist Katja für die Jungs keine ernste Gegnerin, technisch gut, aber nicht stark genug. Eine harte Rechte an ihren Kopf lässt sie zwei, drei Schritte nach rechts taumeln, sie schaut überrascht, fängt sich wieder und macht weiter. Ihre Schläge sind nur gefährlich, wenn sie genau auf die kurze Rippe treffen oder ins Gesicht. Katja hat ihre eigene Firma, sie gewinnt und verliert mit dem russischen System. Zurzeit gewinnt sie. Katja hat Jura und Wirtschaftswissenschaft studiert, sie sieht aus wie 29 Jahre alt, ist aber 37 und Brokerin beim Zoll: Für die Einfuhr von Waren auf den russischen Markt müssen ausländische Unternehmen in der Regel 18 Prozent Umsatzsteuer zahlen. Das günstigste „Iphone 6“ kostet deswegen in einem russischen Mediamarkt umgerechnet 825 Euro, in einem deutschen Mediamarkt aber nur 679 Euro. Das macht die Einfuhr nach Russland in vielen Fällen zu einer freudlosen Angelegenheit. Es sei denn, man beauftragt eine Zoll-Brokerin wie Katja, die die Waren nach Russland schafft: Manche Zoll-Broker kaufen die Waren selbst im Ausland und verkaufen sie dem Importeur dann wieder, andere importieren als Großhändler und unterlaufen auf diese Weise die 20-Prozent-Hürde. Das Geschäft hat allerlei Facetten, von jungen Mädels, die ein paar Handtaschen bei Chanel in Paris kaufen und in Moskau verticken, bis zu Zigtausenden deutscher Autos auf russischen Straßen. Warum genau Katja aber billiger importieren kann und wie viel billiger sie importieren kann, bleibt unklar, sie möchte nicht ins Detail gehen. Letztendlich bewegt sich ihre Firma in einer Grauzone, deswegen „grauer Import“. Aber das Geschäft läuft gut, nach dem Sparring föhnt sie sich ihre Mähne – den Rest der Woche ist sie surfen und daher nur per Skype auf Bali zu erreichen. Ein gut laufendes Geschäft in einer Grauzone des russischen Gesetzes zu betreiben ist ungefähr so riskant, wie ein völlig legales, gut laufendes Geschäft zu betreiben. Ein speziell russisches Phänomen namens „Reiderstvo“ geht um. Das Wort stammt vom englischen „raid“, das sich mit „Razzia“ oder „Raub“ übersetzen lässt: Behörden durchsuchen Unternehmen, kopieren Unterlagen oder beschlagnahmen sie. Gelegentlich landet der Eigentümer in Untersuchungshaft. Ein Grund findet sich immer. Wenn Behörden sich einig sind, ist das russische Gesetz biegsam und zäh wie eine frische Weidenrute. Während der Eigentümer außer Gefecht gesetzt ist, wechselt das Unternehmen den Besitzer: Urkunden werden umgeschrieben, plötzlich genehmigt und beglaubigt der sonst so träge Apparat, was das Zeug hält. Bevor es zu einer Anhörung in der Sache kommt, hat der neue Besitzer das Unternehmen schon zerlegt und verkauft. Unternehmerin Katja (37) kommt nur zu Einzelstunden mit ihrem Trainer oder zum Sparring mit den Männern, mit Pawel und Wladimir, in den Klub (oben). Pawel tritt auch bei Kämpfen im Verein „Flügel des Sowjets“ an (linke Seite). Im Dunkel auf den Rängen sitzen Freundinnen, Verwandte und Kumpel der Boxer. „Reiderstvo“ funktioniert auf der gesamten Länge der russischen Machtachse: Putins Freunde zerlegen Ölkonzerne wie Chodorkowskis Yukos, Provinzpolizisten übernehmen Tante-Emma-Läden. Einem Freund von Katja wurde auf diese Weise seine Entsorgungsfirma abgenommen. Katja schreibt aus Bali, dass sie sich keine Sorgen mache: Ihr Geschäft ist zu klein für Sorgen. Wahrscheinlich wäre die Firma ohne sie und ihre Verbindungen sowieso wertlos. Aber grauer Import wird nicht immer klappen, sagt sie. Der Druck der Behörden wächst, es ist mehr Gelegenheit als Geschäftsmodell. Wenn man sie fragt, was sie von Putin und der Konfrontation halte und was das für die russische Wirtschaft bedeute, hält sie sich bedeckt. Manche Entscheidungen seien sicherlich falsch, andere richtig. Katja ist eine Seiltänzerin. „Sanktionen stören mein Geschäft, meinen Import nicht direkt.“ Aber manche Kunden haben über die Sanktionen dichtgemacht. Sie möchte keine Prognose wagen über die Wirtschaft und Politik. Sie scheint aber auch keine allzu großen Stücke auf die russische Wirtschaft zu halten. In zwei, drei Jahren möchte sie den Grauimport an den Haken hängen und in Europa eine neue Firma gründen. Vielleicht muss sie dann aber auch gar nicht mehr arbeiten und zieht einfach so nach Bali. Dabei ist Katja wie gemacht für das System Putin, eine Boxerin, die auf dem Seil tanzt. P B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 75 / GENIESSEN BERU HIGT! Wer fleißig, emsig und tüchtig ist und manchmal auch für zwei arbeitet, der muss Kopf und Körper in Form und Schuss halten. Der Mediziner T H O M A S W E N D E L hat drei Experten gefragt, was ihrer Meinung nach dabei hilft: einen Bergsteiger, einen Koch und einen Bankier, der in seinem ersten Leben Herzchirurg war. Ihre Antworten sind überraschend. Kardamom und Ingwer machen fit für den Überlebenskampf in den Management-Etagen. P R I V A T / 76 / Foto: Shutterstock Die innere Drehzahl senken Kein Alkohol und keine Pharma-Experimente Kardamom, der Kaugummi des Altertums NERVENSACHE: BERGSTEIGER THOMAS BUBENDORFER GOLDMAN-SACHS-STRATEGE ALEXANDER DIBELIUS GEWÜRZKARDINAL ALFONS SCHUHBECK ÜBER… Langstreckenflüge sind für jeden Manager eine Herausforderung. Sowohl das Fliegen nach Westen „mit der Uhr und dem Arbeitstag“ als auch Flüge nach Osten „gegen die Uhr und gegen den Arbeitstag“ führen den Organismus zum Teil an seine Grenzen. Wird der Mensch aus seinem gewohnten Schlaf-Wach-Rhythmus herausgerissen, benötigt der Körper bekanntlich mehrere Tage, um sich zu erholen. Im Gegensatz zu Urlaubsreisenden hält sich ein international tätiger Manager jedoch häufig nur wenige Stunden in einer anderen Zeitzone auf. Und es stellt sich daher die Frage, wie Reisen durch verschiedene Zeitzonen für den Körper optimal ablaufen können. …DIE OPTIMALE MANAGER-DIÄT: BEIM LANGSTRECKENFLUG NACH WESTEN EMPFEHLE ICH: Wir verwenden nur frischeste Zutaten, bestes Obst und Gemüse und kochen vor Ort auf dem Vereinsgelände täglich frisch. Wertvolle Speiseöle wie Omega-3-Öle und hochwertige Olivenöle, ausgewählte Gewürze und Vollkornprodukte beherrschen den Speiseplan. Bei Auswärtsspielen nehmen wir quasi die ganze Küche mit, inklusive aller Gewürze und Öle, und kochen alles selbst, wobei wir Fleisch und Fisch immer vor Ort frisch in den Markthallen einkaufen. WENDEL: Herr Bubendorfer, Sie wollen Managern beibringen, wie sie ihre Leistungsfähigkeit steigern und gleichzeitig ihre „innere Drehzahl“ senken können. Dabei spielt für Sie das vegetative Nervensystem eine zentrale Rolle. Warum? BUBENDORFER: Ich stelle bei Managern immer dieselben Probleme fest: Wie Spitzensportler erbringen sie eine sehr einseitige Leistung. Bei ihnen wird halt nicht der Körper, sondern vor allem der Kopf beansprucht. Den ständigen mentalen Hochleistungen stehen aber – großer Unterschied zum Spitzensport – keine entsprechenden Ruhephasen gegenüber, sodass durch die einseitige Dauerbelastung Defizite entstehen, nicht nur körperliche, also bei Kraft, Fitness, Gewicht, Gesundheit, sondern vor allem solche der Erholungsfähigkeit, also im vegetativen Nervensystem. Die Defizite hier könnte man heute sehr präzise messen, aber das wird in keinem mir bekannten Gesundheitssystem eines Unternehmens getan. Gemessen wird immer nur die Leistungs- und nicht die Erholungsfähigkeit. Der Mensch ist aber ein äußerst kompliziertes Gesamtkunstwerk. Es ist gerade für Menschen, die Hochleistungen erbringen – egal ob Manager oder Sportler –, entscheidend, dass sie möglichst im Gleichgewicht sind. W Ihnen geht es um die sogenannte Eumetrie. B Genau, diesen Begriff haben schon die alten Griechen für das „Schönmaß“, also das Gleichgewicht, verwendet. Wer nachhaltig leistungsfähig sein will, muss diese Eumetrie finden. W Als Mediziner kann ich das nur bestätigen: Das Vegetativum sollte im Gleichgewicht sein. Man kann es sich bildlich wie die Pedale eines Autos vorstellen: Nur wenn Gaspedal, also der Sympathikus, und Bremse, der Parasympathikus, auf einer Ebene sind, finden wir die Eumetrie. Viele beschreiben das auch mit „der Mensch befindet sich im Lot“ oder eben „im inneren Gleichgewicht“. B Es ist ganz einfach: Wer sich nicht erholen kann, der erhöht ständig seine innere Drehzahl, der braucht immer mehr Energie für dieselbe Leistung. Früher oder später wird dieser Mensch krank. Er „brennt“ aus. Ich Am besten nach einem Arbeitstag einen späten Nachmittags-/frühen Abendflug wählen, im Flugzeug essen, im Flugzeug nicht schlafen, sondern nur arbeiten oder dösen, nach der Ankunft kein Dinner mehr zu sich nehmen und gleich ins Hotel zu Bett gehen. Dies entspricht etwa einem europäischen Tag, an dem man erst sehr spät ins Bett kommt. Am nächsten Tag bereits um vier Uhr Ortszeit aufstehen (entspricht etwa zehn Uhr mitteleuropäischer Zeit), für eine Stunde Sport treiben. Nach dem Frühstück, bis etwa neun Uhr, ist Zeit für Telefonate und Korrespondenz mit Europa. Dann normaler Arbeitstag, den man nicht länger als zwei Nahrungsmittel müssen zuallererst einmal „Lebens-Mittel“ sein. Das heißt, Leben und Vitalität müssen im Produkt noch enthalten sein. Vitamine, Mineralien und Spurenelemente, allesamt lebensnotwendig für unseren Körper, stecken nur in qualitativ hochwertigen Produkten. Manager, die täglich großen Belastungen ausgesetzt sind, mitunter auch viel reisen und durch verschiedene Zeitzonen fliegen, benötigen eine extra Portion Vitalstoffe. Obst und Gemüse, gegart und nicht verkocht, gehören hier täglich auf den Speiseplan – und Finger weg von allem, was in Fett ausgebacken wird! …DEN SPEISEPLAN BEIM FC BAYERN MÜNCHEN: B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 …DIE RENAISSANCE DER „ARME-LEUTE-KÜCHE“: Ich habe für diese Art der Ernährung den Ausdruck „Flexitarier“ erfunden, denn es gab Zeiten, in denen man kein oder nur sehr wenig Fleisch essen konnte, dafür mehr Obst und Gemüse. Fleisch war kostbar, stand nur ein- bis zweimal pro Woche auf dem Speiseplan. Suppen, eine richtige Rindssuppe oder eine Hühnersuppe zum Beispiel, beide sehr wertvoll vom Nährwert her, kamen hingegen mehrmals pro Woche auf den Tisch. Es ist schade, dass „richtige“ Suppen / 77 / P R I V A T / 78 will den Menschen zeigen, wie sie vor allem im vegetativen Nervensystem ein Gleichgewicht herstellen können. W Erklären Sie es uns. B Gerade Hochleister müssen ständig daran arbeiten. In einem einzigen Seminar kann man nicht lernen, welche Werkzeuge es braucht, um innere Ungleichgewichte auszugleichen. Ich begleite die Menschen immer langfristig, wir messen immer wieder in die verschiedenen Systeme hinein, denn nur mit klaren Daten und Fakten sind Nutzen und Entwicklung für den Manager nachvollziehbar. W Sie gehen mit Führungskräften gern in die Berge. B Ja, dort müssen sie nicht mehr den Chef, den CEO, spielen, da sind sie nur noch Mensch. Größe und Gewalt der Natur erzeugen immer eine sehr wohltuende Demut. Das lang dauernde, vor allem das langsame Gehen beruhigt den Parasympathikus, der an der unwillkürlichen Steuerung der meisten inneren Organe und des Blutkreislaufs beteiligt und für die Erholung zuständig ist. Der Blick wird frei, die Dinge relativieren sich. Bildlich gesprochen tut sich eine Art „Vogelperspektive“ auf. W Welche Rolle spielt die Ernährung? B Ernährung ist selbstverständlich wichtig, erscheint mir aber zweitrangig. Ich verbringe viel Zeit damit, den Menschen die Bedeutung des Trinkens von stillem Wasser zu erklären, vor allem am Vormittag. Zu Trends wie vegan oder vegetarisch habe ich mich nie hingezogen gefühlt. Der Genuss ist mir sehr wichtig: Genießen beruhigt. Dazu gehört auch ein Glas Wein oder zwei. Heute weiß jeder, dass er sich am Abend den Bauch nicht mit Schweinsbraten vollstopfen soll. THOMAS BUBENDORFER, 1962 in Salzburg geboren, gehört zu den bekanntesten Radikalbergsteigern, berühmt für seine halsbrecherischen Solo-Touren an den höchsten Wänden der Welt. Bubendorfer hat sieben Bücher geschrieben und das Trainingsprogramm „Intelligent Peak Performer“ entwickelt. oder drei Uhr morgens MEZ ausdehnen sollte. Rückflug am besten am späten Nachmittag oder frühen Abend nach einem Arbeitstag. Vor dem Abflug nur eine leichte Speise zu sich nehmen und sich sofort im Flugzeug hinlegen und schlafen. Nach Möglichkeit viel trinken. Die Landung erfolgt dann in der Früh in Europa, und ein europäischer Arbeitstag kann nach kurzer Morgentoilette beginnen. LANGSTRECKENFLUG NACH OSTEN: Leichtes Essen am Nachmittag im Flugzeug, dann im Flugzeug schlafen, und mit der Ankunft kann ein asiatischer Arbeitstag beginnen. TIPP: Bei Flügen durch die Nacht keine Mahlzeiten im Flugzeug zu sich nehmen und viel Wasser trinken, am besten bis zu drei Liter. Ohropax und Schlafbrille nutzen, Kompressionsstrümpfe zur Vorbeugung von Thrombosen tragen. Keinen Alkohol im Flugzeug, keine Melatonin- oder andere PharmaExperimente. Der Goldman-Sachs-Manager, Mediziner und Vielflieger ALEXANDER DIBELIUS rät bei Langstreckenflügen zum Verzicht. / Fotos: Porsche AG, Picture Alliance, Alfons Schuhbeck fast aus unserem Leben verschwunden sind, da die Herstellung einer Suppe ohne die Verwendung einer künstlichen Suppenbasis vergleichsweise teuer und langwierig ist. …LEGALES DOPING FÜRS DENKEN UND DIE KONZENTRATION: Kardamom, der Kaugummi des Altertums! Eine Kardamom-Kapsel kann man wie einen Kaugummi kauen, die Inhaltsstoffe wirken ähnlich wie Koffein: halten wach und steigern die Konzentration. Gleichzeitig erfrischt Kardamom den Atem – kein unangenehmer Nebeneffekt. …DEN ENERGIERIEGEL AUS DER NATUR: Die Dattel ist eine Kohlenhydratgranate mit einem Fettgehalt von nur 0,5 Prozent und fast zehn Prozent Ballaststoffen. Zudem enthält sie viele Vitamine und Mineralien. Eine Dattelpalme trägt Früchte, die man ernten kann, erst nach etwa zehn Jahren. Ich mag solche Informationen über Lebensmittel, es macht sie für mich „wertig“, und man schätzt Produkte viel mehr, wenn man etwas über sie weiß. …SEINE GEHEIMWAFFE: Ingwer! Sein Wirkstoff Gingerol wirkt entzündungshemmend, schmerzstillend, antikarzinogen. Die meisten Wirkstoffe liegen direkt unter der Schale, also Ingwer immer mit Schale verarbeiten. ALFONS SCHUHBECK, 1949 in Oberbayern geboren, ist seit mehr als 30 Jahren Sternekoch und gilt als Gewürzspezialist. Er kocht täglich mit seinen Mannen auf dem Vereinsgelände für den FC Bayern München und begleitet den Verein auch zu Auswärtsspielen in der Champions League. RÄNGE & LISTEN 1 Lässige Städte The Quarrymen Quarrymen: THAT’LL BE THE DAY (1958) 247.700 Euro Die heutige Jugend (Alter: 15 bis 29) will nicht in irgendeiner Stadt leben. Wo die jungen Hüpfer es am besten finden, zeigt eine weltweite Umfrage. N E W Y O R K – 1.024 Punkte 1 2 2 Sex Pistols: Pistols GOD SAVE THE QUEEN Darrell Banks Banks: OPEN THE DOOR TO YOUR HEART (1966) 12.385 Euro (1977) 12.385 Euro L O N D O N – 1.001 Punkte 2 B E R L I N – 924 Punkte S A N F R A N C I S C O – 916 Punkte 3 PARIS TORONTO CHICAGO LOS ANGELES – – – – 887 875 874 871 4 Punkte Punkte Punkte Punkte 5 6 7 8 M E X I C O S T A D T – 860 Punkte A M S T E R D A M – 859 Punkte 9 Die teuersten Schallplatten der Welt Paul McCartney kann sich glücklich schätzen: Er ist Besitzer der allerersten Platte der Quarrymen, Vorläufer der Beatles. Auch von den anderen Vinyl-Scheiben gibt es nur wenige Exemplare. 4 10 5 6 J u n i / 2 0 1 5 The Beatles: THE BEATLES (WHITE ALBUM / 1968) 9.908 Euro Sex Pistols: A N A R C H Y I N T H E U . K . (1976) 8.670 Euro Dark: D A R K R O U N D T H E E D G E S (1972) 7.431 Euro 8 The Beatles: L O V E M E D O (1962) 6.193 Euro 8 Billy Nicholls: W O U L D Y O U B E L I E V E (1968) 6.193 Euro / 8 Quelle: Youthfulcities.com Fotos: Getty Images (2) / The Beatles: P L E A S E P L E A S E M E (1963) 7.431 Euro 6 Bewertet wurden Faktoren wie Bildung, Beruf, Sicherheit, Party und Kultur, 1.630 Punkte waren höchstens möglich. New York punktete vor allem im Bereich Musik, London bei der Gesundheit, während Berlin sich bei den jungen Leuten mit gutem Zugang zum Internet beliebt machte. B I L A N Z Queen: B O H E M I A N R A P S O D Y (1978) 6.193 Euro 79 / Quelle: Rare Record Price Guide P R I V A T / 80 / M E I N E JAC H T, MEINE VILLA, MEIN DÜSENJET Was geht ab an Bord privater Geschäftsflugzeuge? Unser Mann ist Chefpilot seit Jahrzehnten, er hat die krassesten Geschichten erlebt. Klar, dass er anonym bleiben muss. Aber er hat uns alles ins Mikrofon diktiert. Text THOMAS DELEKAT Fotos MARC JACQUEMIN F arnborough, sagt Ihnen das etwas? Gar nichts? Kennt in Russland jeder Oligarch. Ist ein Privat-Flughafen bei London. Bombardier ist dort, mit allen Business Aviation Services. Ich komme öfter mal vorbei bei denen, da gibt es immer gute Jokes aus der Branche. Großartig zum Beispiel das Thema Russen. Momentan ist Ukraine-Krise. Aber davor! Sagenhafte Szenen. Stellen Sie sich vor: Farnborough, Bürokomplex, oberstes Stockwerk. Ein Kerl mit Koffer kommt ’rein und sagt, er wolle einen neuen Jet. Gern, sagen die Leute von Bombardier. „Ich will den Besten“, tönt der Russe, „mit allem drin, was man für Money kriegen kann.“ – „Ja gut, das sind als Anzahlung erst mal fünf bis zehn Millionen Dollar“, sagt der Mann von Bombardier. „Und ich sag’ Ihnen auch gleich, wie’s weitergeht, und zwar so: Zuerst bauen wir Ihren Jet bis zur grünen Schutzlackierung. Der kann dann zwar fliegen, ist aber innen leer. Dann zahlen Sie die zweite Rate, wir gehen den Ausbau an, ganz nach Ihren Wünschen. Das wär’s, und ich würde sagen, in zwei Jahren holen Sie ihn ab und zahlen den Rest.“ Der Russe guckt säuerlich: „Sie verstehen mich nicht. Ich will ihn sofort.“ Er wuchtet den Koffer auf den Tisch. „60 Millionen Dollar“, sagt der Russe: „Hier ist die erste Tranche. Wir machen es so: Ich habe das Geld. Sie haben den Jet.“ – „Schon klar“, sagt der Mann von Bombardier, „aber very sorry. No way.“ Der Russe lässt enttäuscht den Kofferdeckel zufallen, die Schlösser schnappen: „Kennen Sie nicht wen, der sofort einen hat?“ – „Das gibt’s“, sagt der Mann von Bombardier, „aber das hat eher mit dem Gegenteil unseres Geschäftsmo- dells zu tun.“ – „Na also“, sagt der Russe, „dann geben Sie mir die Telefonnummer von dem.“ In diesen Augenblicken überkommt die Mitarbeiter eine Halluzination. Es ist eine imaginäre Schärpe, die sie über der Russenbrust sehen. Sie hat die Aufschrift: „Geldwäsche“. „Die meisten von denen kommen aus der alten Sowjet-Nomenklatur“, sagen die Leute von Bombardier, „die machen ihr Millionenvermögen in zwei, drei Jahren.“ Aber der Reichtum verflüchtigt sich oft genauso schnell wieder. Der Jet ist fertig, die Schlussrate fällig, der Kunde blank. Aber das ist keine russische Spezialität. Vor sechs Jahren, es ist Weltwirtschaftskrise, lande ich in Kansas, Home of Cessna. Neben der Piste: Dutzende Flugzeuge, alle neu, alle herrenlos, alle bestellt, alle angezahlt und nicht abgeholt. „White Tails“ heißen die in der Branche. Die Maschinen sind weiß, unbeschriftet, ohne Zulassung. Es gibt nur drei interkontinental-fähige Business Jets, die sinnvoll sind, mit denen Sie an jeden Punkt der Erde kommen: Von Bombardier in Kanada ist das die „Global 6000“ oder auch „Global Express“, von Dassault in Frankreich die „Falcon 7X“ und in den USA die „Gulfstream“, aktuell die „G650“. Natürlich können Sie auch zu Boeing gehen oder zu Airbus. Die verkaufen Ihnen gern eine umgebaute Linienmaschine. Das kann für Regierungen okay sein oder extrem reiche Leute mit großem Anhang. Im Orient sieht man sogar private „Boeings 787 Dreamliner“ mit bis zu 300 Plätzen. Aber fürs Business? Auf gar keinen Fall. Wenn Sie neu sind als CEO, dann können Sie ein Zeichen setzen. Sie wollen der sein, der bescheiden ist, der Linie fliegt. Aber dann merken Sie: Für fünf Termine brauchen Sie eine Woche. Kein Mensch will in den USA über so einen Schwachsinn diskutieren. Man hat das Timing in der Hand mit dem Company Jet, es gibt keine Verspätungen, keine Flugausfälle. Aber vor allem: Es ist sicher. Und ich meine jetzt nicht die Flugsicherheit. Sie sind vertraut mit allen an Bord. Niemand, der Sie bedrohen könnte, niemand, der Sie beäugt, ob Sie es auch wirklich sind, wer das neben Ihnen ist, und niemand, der Ihnen eine Anekdote andichten und sie ’rumerzählen könnte. Erst recht macht niemand Sie an. Es ist ruhig, es ist entspannt. Rein rechnerisch ist das nicht gerade als Geschäft darstellbar. Die Flugstunde mit einem „Global Express“-Charter ist momentan nicht unter 8.500 Dollar zu haben, bei Langstrecken ab 7.500 Dollar. Trotzdem ist es ein unschätzbarer Gewinn. Wissen Sie, was der Witz an einer neuen „737“ ist? Dass Sie die billiger bekommen. Eine „Gulfstream 650“ kostet zwischen 65 bis 68 Millionen Dollar. Für eine kleine Boeing legen Sie deutlich weniger hin. Aber dann kommt das Erwachen bei den Kosten: Wartung, Versicherung, Startgebühren (die vom Gewicht abhängen). Dazu die Crew, das Kerosin, und das sind noch nicht alle Posten. Die Inspektion beim Business Jet ist mit einem Mechaniker machbar, bei den Airlinern schrauben mindestens zwei. Und dann der Sprit: Da zahlen Sie das Doppelte. Ein Beispiel: Wenn Sie als Tankreserve 80 Flugminuten berechnen, dann sind das bei Bombardier und Konsorten ungefähr 2,6 Tonnen Kerosin. Bei Boeing und Airbus aber sechs Tonnen Den meisten Leuten ist ziemlich egal, was der Jet kostet. Die wollen wissen, ob das Flugzeug die Strecke Paris–Südamerika am Stück schafft. Ob sie notfalls in gottverlassenen Gegenden runter- und B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 81 / P R I V A T / 82 / sicher wieder wegkommen können. Das sind die Themen. Aber doch nicht die eine oder andere Million. Da fällt mir ein, es gibt doch so etwas wie Extra-Luxus: Toller Gimmick, momentan schwer angesagt, ist die schnelle Internetverbindung über Satellit. Kostet aber 20.000 Dollar – im Monat! Klar, es gibt auch die schrägen Vögel in der Luft. Dieser russische Typ, der mitten im Flugzeug eine Striptease-Stange hatte. Oder ein anderer mit seinen Orgien. Der hatte den Zutritt zum Bett mit einer Ampelanlage geregelt. Kommt vor, aber so was ist eher die Ausnahme. Business Jets sind stärker und schneller als Linienmaschinen, sie fliegen auch höher. Aber das Beste an ihnen ist die Sauerstoff-Konzentration. Gehen Sie doch mal an Bord einer Linienmaschine, fliegen Sie 1. Klasse mit allem Luxus drum und dran. Wenn Sie dann aussteigen, wieso fühlen Sie sich so müde, so erschöpft? Es ist der Luftdruck in der Kabine, die schwache Sauerstoff-Konzentration. Die Qualität ist relativ armselig. Der Körper schaltet herunter, der Stoffwechsel lahmt. Sie werden müde, Sie wollen schlafen. Schuld ist das Volumen der großen Kabinenröhren, da ist ordentlicher Luftdruck technisch nicht drin. Im Business Jet spüren Sie den Unterschied sofort. Es ist fast wie mildes Doping. In den USA haben sie überall diese kleinen Flughäfen. Von da aus ist es nirgendwohin mehr weit. Aber es gibt einen Haken: Das Startgewicht, die magische Grenze, sind 55 Tonnen. Bei einer „Global Express“ ist das kein Problem. Mit einer Boeing brauchen Sie das gar nicht erst zu versuchen. Ich kann mich an einen Typen erinnern, dem gehörte eine weltweite Casino-Kette. Trotzdem – es musste eine „747“ sein. Und warum? Wegen der Spielwiese, der Schlafzimmer-Bettlandschaft im Bug, direkt unterm Cockpit. Mit vielen Fenstern ringsum. Die meisten Geschäftsflugzeuge haben hinten eine abgetrennte Kabine mit Doppelbett plus Waschgelegenheit. Aber keine Dusche. Klar kann man die haben, kein Problem. Aber der Wassertank kostet Gewicht, und nehmen Sie dann noch ein paar Leute mit, kostet Sie das Reichweite, 1.500 Kilometer. Wozu überhaupt duschen? Ich kenne keinen, der direkt von einem Zehn-Stunden-Flug ins Meeting ginge. Die gehen erst ins Hotel, das ist die Regel. Da herrscht Ruhe, da be- Nur drei Jets sind richtig gut ...wenn Sie jeden Ort auf der Erde erreichen wollen. B O M B A R D I E R Der kanadische Hersteller hat für viele Piloten mit seinen Spitzenfabrikaten „Global Express“ oder auch „Global 6000“ das ausgewogenste Sortiment im Angebot. F A L C O N So heißt eine Baureihe von Geschäftsflugzeugen des französischen Herstellers Dassault. Sie gilt in Amerika als etwas Besonderes, schick halt. Bestes Pferd im Hangar: die „Falcon 7x“. Konkurrenzfähige Leistungen. G U L F S T R E A M US-Klassiker unter den Company Jets. Bestes Modell für Interkontinentalflüge: die „G650“. Zum Standard gehören Schlafkabine und Waschtisch – Dusche eher selten. reitet man sich vor, da gibt’s die Dusche oder ein heißes Bad. Ob was schiefgehen kann, Katastrophen in der Luft? Doch, doch. Ich hab das mal ausprobiert, unfreiwillig natürlich. Mit einer „Falcon 900“, brandneu, ich hatte sie bei Dassault in Bordeaux für einen Kunden abgeholt. Ich hebe also ab, zwei Minuten später fällt rechts das Triebwerk aus, das Cockpit glüht rot von Alarmlämpchen. Die Turbine hatte sich zerlegt. Komplett verwüstet, innerhalb von zwei, drei Sekunden. Der Hersteller war Garrett, eine Tochterfirma von Honeywell. Ob man da einen Herzinfarkt kriegt? Ach was. Man fängt die Maschine ab, tausend Mal gemacht im Simulator, das sitzt wie ein Reflex. Als ich wieder unten war, montierten die ein neues Triebwerk. Ein paar Tage später starte ich wieder, und als ich zehn Minuten vor der Landung bin, hängt ein anderes Triebwerk geschrottet am Flügel. Was da los gewesen war? Ein Konstruktionsfehler, ein Karbonteil. Die Maschine zerstörte sich selbst in nur einem Augenblick. Klar ist es bei der Sicherheit ein Unterschied, ob Sie privat fliegen oder mit einer Airline. Bei den Privaten sind die Vorschriften für die Piloten lascher. Und wer gerade mal klamm ist, der nimmt’s mit der Wartung nicht so genau. Kommt vor. In den Hangars schaut man doch gern, was sich beim Flugzeug nebenan so tut. Da gibt’s welche, die gebrauchte Ersatzteile einbauen, oder welche, die nicht vom Hersteller stammen. Ganz krass ist das in den USA. Die Vorschriften sind zwar vorbildlich, lückenlos, aber alle wissen: Nachschauen tut so gut wie keiner. Aber wenn man Sie erwischt, dann gehen Sie in den Knast, das kann leicht lebenslänglich sein. Es ist ein anderes Prinzip von Kontrolle und Sanktion, und ich denke, es funktioniert. Jedenfalls im Großen und Ganzen. Inspektionsberichte kann man fälschen, als Pilot im fremden Flugzeug ist man da nie ganz sicher. Aber vor allem in Deutschland ist es drin, dass Sie landen, die Passagiere steigen aus, und da taucht neben Ihrem Jet ein Auto auf. Die nehmen sich dann die Maschine vor, aber gründlich. Ich kann sagen: Es ist dann besser, wenn die nichts finden. Wenn Sie europäische CEOs kennenlernen, dann sagen die immer: „Business Jet? Ein Spielzeug. Und als Spielzeug zu B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 83 / P R I V A T / 84 / teuer.“ Aber die Wahrheit ist: It’s not a toy. It’s a tool. Natürlich können Sie chartern, und bei wem Sie auch zusteigen: Es wird immer eine Firma sein, die Gewinne schreiben will. Das ist an der technischen Biografie der Jets zu merken: Da sehen Sie die offiziellen Sicherheitsauflagen, ohne die Sie am Boden bleiben. Und vielleicht auch die Empfehlungen der Hersteller, die Sie unbedingt umsetzen sollten, aber juristisch gesehen genauso gut lassen können. Ich kenne keinen Firmenjet, der nicht sämtliche nur denkbaren Services bekommt, ohne Rücksicht auf die Kosten. Bei Charterfirmen ist das nicht so sicher. Vermutlich das Beste weltweit, was Sie da buchen können, ist Netjets. Aber das ist schon wieder ein Sonderfall. Warum? Weil Sie vorher Teilhaber werden und Anteile kaufen müssen. Natürlich reden die CEOs über ihre Flieger, in Davos beispielsweise: „Wieso fliegst du immer noch deine ,Global Express‘? Das Teil hab ich abgelegt, meine ,Gulfstream 650‘ ist klar besser.“ So was in der Art, ich bin ja nicht dabei. Aber es geht auf keinen Fall nach dem Motto: mein Haus, mein Boot, meine Geliebte, mein Jet. Es ist eher wie mit dem Vorstandsbüro: Wechselt der Chef, bekommt auch der Jet eine neue Inneneinrichtung. Es geht um Geschmack, nicht um Status. Deswegen amüsiert sich auch alles, wenn Bernie Ecclestone im Anflug ist. Obamas Präsidenten-Maschine hat als Call sign „Air Force One“. Ecclestones Jet meldet sich mit „Formula One“. Da liegt doch schallendes Gelächter in der Luft. Ich hab’ mal Rod Stewart geflogen, es ging nach Spanien, ein kleinerer Flughafen. Wir landeten, sein Fahrer wollte ihn am Rollsteg abholen. Ging aber nicht. Warum? Prinzipiell verboten in Spanien. Ist wirklich kein Spaß, in Europa einen Superstar abzusetzen. Die Privat-Terminals sehen oft aus wie schäbige Hintertüren. Da fehlt der Glanz, der Luxus, den die Amerikaner haben. Mit Abstand am bittersten geht’s bei den Franzosen zu, das ist einfach unzumutbar. Einmal sollte ich jemanden nach London fliegen. Aber niemand konnte sagen, wen. Am Flughafen stellte sich heraus, es ist ein Mitglied des saudi-arabischen Königshauses. Fünf Passagiere, ein Prinz plus vier Leibwächter. Ich weiß nicht, was da vorgefallen war, aber sie hatten in einer Linienmaschine eingecheckt, und die Piloten holten die Polizei. Die fünf kamen zu mir an Bord, und wir machten die Cockpit-Tür zu. Während des Flugs rüttelte der Prinz an der Tür, irgendwann bekam er sie auf. Er war blau, er brüllte mich mit seinem verkorksten Englisch an, ich verstand rein gar nichts. Bis ich endlich begriff. Der wollte wissen, ob ich an Gott glaube. „Oh, yesyesyes! Of course, I believe in god!“ Es war mein längster Flug ever. In London erwartete uns die Polizei auf dem Flugfeld. „Der Prinz geht in Ordnung“, sagten die, „der hat einen Diplomatenpass.“ Aber die Bodyguards könnte ich gleich wieder mitnehmen, die hätten kein Visum, und wenn dem Prinzen das nicht in den Kram passte, könnte der gleich mit verschwinden. Der Pilot verantwortet immer die legale Einreise seiner Passagiere. Es gibt deshalb manchmal Kunden, die ich vorher von den Behörden prüfen lasse. Wenn es sich um obskure Flughäfen handelt zum Beispiel, in labilen Staaten. Michelle Pfeiffer ist da schon angenehmer. Oder Bruce Willis, den ich von der EU nach New York fliegen sollte. Beim Einsteigen sehe ich, wie er mit dem Grenzbeamten herumkumpelt. Wie sie über Waffen reden, und Bruce Willis hält auf einmal die Dienstknarre des Grenzers in der Hand, lässt die Mechanik schnappen, guckt nach dem Maga- zin, hält sie hierhin, dahin, sonstwohin. Ringsum geschockte Gesichter. Ich habe viele Stars geflogen, Britney Spears oder auch Jon Bon Jovi mit seinen Leuten. Die meisten Promis sind nett, man redet ein paar Worte. Ist schon ein bisschen her, aber bei einem Flug von der Berlinale zurück in die Staaten kam Glenn Close nach vorn und fragte mire Löcher in den Bauch. Sie ist klug, unprätentiös und persönlich. Sie wollte wissen, was ein Jet kostet, alles darüber. Aber hauptsächlich hatte sie ein Problem mit ihrem Fön. Wie gesagt, ist schon etwas her. Heute sind Steckdosen mit 230 Volt kein Thema mehr. Einmal war ein Interkontinentalflug angesagt, mit Zwischenstopp irgendwo in Mexiko, zum Tanken. Eine Piste, eine Baracke mit drei Stühlen drin. Ein Arbeiter kommt angeschlurft. „No problem“, sagt er, „aber wir haben nur einen Lkw.“ Er verschwindet, wir stehen bei 40 Grad auf der glühenden Piste. Dann, vier Stunden später, war’s dann so weit. Der CEO an Bord, ein alter Mann, war völlig am Ende. Wir waren froh, dass wir überhaupt was in die Tanks bekamen. Oder dieser Rückflug aus dem Fernen Osten, Tankstopp in Saudi-Arabien. Es ist zwei Uhr früh, 35 Grad Lufttemperatur, die Kerosinpumpen laufen, da erscheint ein Saudi in weißem Gewand am Flugzeug. Man will höflich sein, also wende ich meinen gesamten arabischen Wortschatz an, was „Guten Tag“ ist. Das sagt er auch, und während er weiterredet, unterbreche ich ihn: „Sorry, I don’t speak Arabian.“ Er schaut weg. Er ist völlig überrascht. Dann sieht er mich an und sagt schlicht: „Why?“ Ihm war schon klar, dass die Welt groß ist und sich dreht. Aber irgendwo in Saudi-Arabien, da war er sich genauso sicher, guckt die Erdachse aus dem Sand. Man kann Glück haben mit seinen Passagieren. Oder nicht. Ich hab mal Saudis geflogen, die sagten „Good bye“, und ich hatte einen 500-Euro-Schein in der Hand. Ich denke, das Beste ist immer, seinen Job zu machen und professionelle Distanz zu wahren, ohne private Themen. Meistens halten wir deshalb auch die Cockpit-Tür geschlossen. Denn es gibt sie, die Typen mit extremem Arschlochfaktor. Dazu gehört ein berühmter Schlagersänger. Aber die meisten, die in einem privaten Jet unterwegs sind, begegnen mir mit größter Höflichkeit. P 1 P R I V A T DORFSTUBE DÜSSELDORF Lanker Straße 2, 40545 Düsseldorf. (0211) 17152540, www.dorfstube.de, geöffnet: 12.00–24.00, montags herrscht Ruhe 2 BRUNNENKRESSE Praktisch ganzjährig auf den Wochenmärkten sowie im Obst- und Gemüsefachhandel. P B A A D E R S B E S T E Allen neuen Quartieren und In-Vierteln zum Trotz: Oberkassel bleibt Düsseldorfs schönste Ecke. Und die „Dorfstube“ liegt, wie sich das für Dorfstuben gehört, mittendrin. Sie ist eine ökologische oder besser gesagt: lukullisch-kulinarische Nische, weil hier die ländliche Küche (namentlich die schwäbische) ambitioniert und kenntnisreich verfeinert wird und dennoch erschwinglich bleibt mit Preisen bis zu 26 Euro. Garant dafür ist Christian Bareiss, der mit seinem Namen für jede Maultasche, jedes Mistkratzerle quasi persönlich bürgt. Leichten Punkteabzug gibt’s für den ethnisch kolonialen Übergriff der Schwarzwaldfolklore. Gemütlich ginge auch anders. In Frankreich hoch angesehen, ist die Brunnenkresse in deutschen Restaurants etwa so verbreitet wie Dreiecks-Badehosen am Kampener Strand. Dabei ist das frisch und leicht pfeffrig schmeckende Kraut die ideale Beilage zu Kurzgebratenem (wie Rindfleisch oder Lachs). Oder auch extravagante Zutat für einen Salat, speziell für einen solchen aus rohen Spargeln. Ich bevorzuge die Brunnenkresse aus Kulturen, weil die hygienischer ist. Bitte trotzdem unter fließendem Wasser gründlich waschen, trocken schleudern und frisch verwenden. Keinesfalls einfrieren oder kochen. FRED BAADER war mit seiner Agentur Baader Lang Behnken einer der Großen in der deutschen Werbewirtschaft. 2013 veröffentlichte der Hamburger Genussmensch sein erstes Kochbuch. 3 4 POMODORI PELATI VON MUTTI z.B. im Frischeparadies Berlin, Hamburg, Essen, Frankfurt, Köln, Stuttgart, München. www.frischeparadies.de WIRTSHAUS SCHWALBE Schwanthalerstraße 149, 80339 München. (089) 55055789, geöffnet: 12.00–15.00/ 18.00–23.00 Sa+So 15.00–23.00, montags herrscht Ruhe Alles wurde runtergedimmt. Stadtteil, Location, Aufwand, Preise: Karl Ederer, der von 1983 bis 2003 das „Glockenbach“ führte, kocht jetzt Heimat-Food. Na gut, das behaupten viele. Was Ederer allerdings auf den Wirtshaustisch bringt, das kommt nicht nur frisch aus der Region, es ist auch zutiefst alltagstauglich zubereitet. Garantiert ohne Schäume und Pinzette. Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Fotos: Dorfstube Düsseldorf, Facebook_K.Ederer, Getty Images, Heiner Bayer 5 EINGELEGTE BRATHERINGE Mein Rezept, mit Einkaufsliste und Anleitung, finden Sie auf www.bilanz-magazin.de. B I L A N Z / J u n i Große Teile der Gourmet-Korona lehnen Dosenware ab, was ich, zumindest in Bezug auf Tomaten, für einen Fehler halte. Die Qualität sonnenbeschienener Tomaten, geerntet und eingedost auf dem Höhepunkt ihrer Reife, ist mit Frischware nur schwer zu erreichen. Noch mal extragut sind die „Pomodori pelati“ von Mutti: geschälte Tomaten, süß und süffig, unverzichtbar für Lasagne, Cassolette, Caponata usw. Dabei ist Mutti übrigens keine gefühlige Reklame-Erfindung, sondern schlicht der Firmenname: Mutti S.P.A. in Parma. / In den 60er-Jahren stand in unserer Speisekammer meistens eine Steingut- oder Specksteinschüssel mit selbst eingelegten Bratheringen. Die wurden abends mit Schwarzbrot und Butter gegessen. Irgendwann wichen sie dem Zeitgeist, sprich: der Dosenware. Schmeckte zugegebenermaßen auch nicht schlecht, kam aber nicht an die hausgemachten Exemplare heran. Seit einigen Jahren lege ich nun wieder selbst ein. Lässig nach dem Rezept meiner Mutter. 2 0 1 5 / 85 / W E T T S T R E D I E T R P R I V A T P H O L L E I N S K U N S T W E L T S Y S T E M E / 86 / S I N G A P U R Ausschnitt der Silhouette der Stadt, von der Marina Bucht aus aufgenommen. H O N G K O N G Der zweite, 412 Meter hohe Turm des Internationalen Finanzzentrums. SINGAPUR kämpfen um die in Hier hilft der Staat, die S tandortwettbewerb ist eine starke Triebfeder – besonders für die kulturelle Entwicklung. In einem der aufregendsten Wettstreits stehen sich derzeit die beiden mächtigen Handelsstädte Ostasiens gegenüber: Singapur und Hongkong. Bei ihrer Rivalität um den attraktiveren Wirtschaftsstandort geht es nicht nur um Dinge wie Infrastruktur, Exportlogistik, Finanzdienstleistungen oder Spitzentechnik, sondern auch um die Wachstumsindustrien Kunst und Kultur. Neben den imposanten Stadtsilhouetten mit ihren spektakulären Architekturleistungen (wobei Singapur in den vergangenen Jahren die deutlich beeindruckenderen Gebäude hervorgebracht hat) sind es eben nicht mehr nur das Rennen der Formel 1 hier oder der Zoologisch-Botanische Garten dort, die das Kulturangebot vor Ort definieren. Vielmehr ist es die Sehnsucht nach einer qualitätsvollen Kunstszene und einer Vorreiterrolle als Schnittstelle der Kultur im blühenden ostasiatischen Raum, die sowohl die Republik Singapur als auch die Sonderwaltungsregion Hongkong antreibt. In beiden Fällen zielen die Bemühungen darauf ab, nicht nur die Anziehungskraft der Stadt für hoch qualifizierte Fachkräfte zu verstärken und den Fremdenverkehr zu fördern, sondern auch darauf, eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung und Deutung zeitgenössischer asiatischer Kunst zu spielen sowie ihrer Aufnahme durch das Publikum. Dabei schlagen die beiden Metropolen indes ganz unterschiedliche Wege ein. In S I N G A P U R ist es die Obrigkeit, die das Zepter in der Hand hält, dieses auch energisch schwingt und wenig Widerrede duldet. Im Oktober dieses Jahres wird die „Löwenstadt“ mit der National Gallery Singapore das beeindruckendste und größte Institut für moderne und zeitgenössische Kunst Südostasiens eröffnen. Gemeinsam mit dem Singapore Art Museum widmet sich die Nationalgalerie ausdrücklich der Kunst Asiens, die in Illustration: Alexandra Compain-Tissier für BILANZ Fotos: Getty Images (2) und HONGKONG kulturelle Vorherrschaft Ostasien. dort Privatwirtschaft. M A X H O L L E I N ist der einflussreichste Museumsdirektor des Landes und womöglich der beste Manager Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn Kunsthalle und das Liebieghaus zu internationaler Geltung geführt. enormer Entfaltung begriffen ist und vor allem in Indonesien, aber auch in Malaysia, Vietnam, Thailand und auf den Philippinen hochinteressante Werke hervorbringt. Seit geraumer Zeit schon fließen in Singapur Millioneninvestitionen in die Kultur: Mit dem Singapore Tyler Print Institute ist eine herausragende Werkstatt für Kunstdrucke entstanden, mit der Singapore Art Fair eine tonangebende Kunstmesse aufgebaut und mit den sogenannten Gillman Baracks ein eigenes Galerienviertel ins Leben gerufen worden unter Einschluss einer Denkfabrik und eines Zentrums für zeitgenössische Entwicklung, des NTU Centre for Contemporary Art. Gezielt fördert der Staat die örtliche Kulturszene, bildet Fachleute aus und treibt die Professionalisierung voran. Gleichzeitig gewinnt man Spitzenpersonal aus dem Ausland, wie die Kuratorin Ute Meta Bauer für das NTU CCA oder Lorenzo Rudolf, den früheren Leiter der Art Basel, der die Kunstmesse in Singapur gegründet hat. Auch deutsche Galeristen spielen eine Rolle, namentlich Matthias Arndt, der von Singapur aus seine Aktivität vorantreibt, und Michael Janssen. Mit dem Singapore Economic Development Board haben viele dieser Entwicklungen einen aktiven Förderer und die institutionelle Kunstszene eine ganz klar staatlich vorangetriebene Struktur. Singapur bestätigt auch im Kulturleben seinen Ruf, die Dinge rasch, effizient und ohne lange Diskussion zu erledigen. Dieses Vorgehen führt zu einer geordneten, eindrucksvollen und zielgerichteten Infrastruktur. Doch es fehlt an Reibung, an Underground, an einer vielfältigen Szene vor Ort. Ein ganz anderes Bild bietet sich dem Betrachter in H O N G K O N G . Hier verfolgen die Behörden ebenfalls große Pläne, doch an der Umsetzung gebricht es, in besonderer Weise beim Prestigeprojekt: dem West Kowloon Cultural District. B I L A N Z / J u n i / 2 0 1 5 / 87 / S I N G A P U R Das Art Museum und ein Ausstellungsraum des Galerienviertels Gillman Barracks. P R I V A T / 88 / Mit seinen großen Theater-, Performance- und Kunsträumen erfüllt das Viertel alle Voraussetzungen, um sich als neues Kulturzentrum Asiens zu etablieren. Doch der Fortgang des Projekts gestaltete sich jahrelang nur schleppend. Erst jetzt – nach langen Diskussionen in Politik und Medien – scheinen sich die Baukräne nun wirklich in Bewegung zu setzen. Ohne Zweifel kann das von den Schweizer Star-Architekten Herzog & de Meuron entworfene Museum M Plus („M+“) nach seiner Fertigstellung neue Maßstäbe setzen mit Lars Nittve an der Spitze, dem früheren Leiter der Londoner Tate Modern, und dank der jüngsten Akquisition der UliSigg-Sammlung, der besten Kollektion für zeitgenössische chinesische Kunst. Schneller geht es in Hongkong nur dann voran, wenn sich die Privatwirtschaft engagiert, vor allem Immobilienentwickler. Sie verwandeln das brachliegende großflächige Gelände der früheren Polizeistation (ein Wunder, dass es so etwas in dieser dicht besiedelten Stadt überhaupt noch gibt!) zurzeit in ein Gastronomie- und Einzelhandelszentrum. Um den Ort zu etablieren, aber auch um Nutzungsauflagen zu erfüllen, wird ihm kulturelles Leben zugeführt: Innerhalb von nur 18 Monaten entsteht hier der Mittelpunkt für große zeitgenössische Ausstellungen in Hongkong – unter der Leitung des deutschen Kurators Tobias Berger. An kulturellen Initiativen herrscht in Hongkong kein Mangel, und es stehen durchweg einflussreiche Geldgeber dahinter, etwa die K11 Art Foundation, die von dem 35-jährigen Milliardenerben Adrian Cheng zur Etablierung von moderner asiatischer Kunst vorangetrieben wird, oder die Osage Art Foundation. Bisweilen finden sich auch gemischte Strukturen, die wirtschaftliche Interessen mit gemeinnützigen verquicken. Was in Hongkong in irgendeinem, ohne die Hilfe Einheimischer nahezu unauffindbaren Stockwerk eines vielleicht vollkommen anonymen oder heruntergekommenen Indus- H O N G K O N G Milliardenerbe Adrian Cheng (35) fördert zeitgenössische asiatische Kunst. triehochhauses auf kleinem Raum stattfindet, das würde bei uns den Rang einer großzügigen Kunsthalle mit eigenem Gebäude am Stadthauptplatz einnehmen. So müssen Institutionen wie das Para/Site Art Space, sicherlich die renommierteste und aktivste Institution für lokale zeitgenössische Kunst, immer um Raum kämpfen; sie befinden sich in Baulichkeiten, die an Kellergalerien oder umgewidmete Studenten-WGs erinnern. Es sind wichtige Anlaufstellen zum Verständnis und Einblick in eine der faszinierendsten und in Zukunft tonangebenden Kunstszenen, auch wenn sie sich ihr Überleben und Vorankommen in einem rauen und von Preis-Eskalationen getriebenen Immobilienmarkt hart erarbeiten müssen. Umso mehr obliegt es gewichtigen Hongkonger Investoren und Magnaten, weitere Initiativen voranzutreiben. Diese sind sich der Verantwortung aber wohl insbesondere auch des Potenzials der asiatischen Kunst als Identifikationsfaktor und Marktware sehr bewusst. Umso wichtiger ist es für sie, dass sie in diesem hochlebendigen Markt und innerhalb der vitalen Hongkonger Kunstszene eine treibende und leitende Rolle spielen können als einheimische Unternehmer, Sammler, Mäzene und Händler. Einstweilen sorgt das Geschäftsklima aber vor allem dafür, dass der internationale Kunstmarkt floriert und mit der Art Basel Hongkong schon eine weit ausstrahlende Plattform entstanden ist. Die sehr aktive örtliche Kunstszene hat dann auch mit Dependancen der großen „westlichen“ Galerien wie White Cube, Gagosian, Emmanuel Perrotin sowie Lehmann Maupin in den vergangenen Jahren regen Zuwachs und große Konkurrenz bekommen – sie wiederum versuchen, den zu großem Wohlstand gekommenen oberen Zehntausend vordringlich westliche Kunst von Jeff Koons bis Rudolf Stingel zu verkaufen. Es ist das Geschäft rund um, mit und über Kunst, das hier das Rad zum Schwingen bringt und noch weitere Kräfte mobilisieren wird. P Fotos: Singapore Art Museum, Gillman Barracks, Art Basel Hongkong, Getty Images, K11 Art Foundation B R E G I S T E R 6 Wunderkinder A B C D E F G AC Immune AIGNER, ILSE Airbus ALKASSAR, AMMAR Amorelie Antoni ARNDT, MATTHIAS ARNOLD, ROSIE Atomstrom KG Axel Springer 45 57 81 49 54 8 87 19 30 54, 63 BAREISS, CHRISTIAN 85 BAUER, UTE META 87 BAUMANN, ALEXANDER 46 BECKER, BORIS 8 BECKERS, JAN 52, 64 BEGEMANN, JENS 49 Beiersdorf 32 Berenberg Bank 32 BERGER, TOBIAS 88 Bertelsmann 54 BETTER, MANUELA 36 BFS Health Finance 55 BLUHM, CHRISTIAN 34 BMW 32 BOCH, JEAN-FRANÇOIS 40 Boeing 81 Bombardier 81 BRAND, ALEXANDER 47 Brunnenkresse 85 BUBENDORFER, THOMAS 77 BUCH, ROLF 67 BUFFETT, WARREN 66 Cegat CHENG, ADRIAN COESFELD, CARSTEN Collins Continental CORDES, ECKHARD CRAMER, LEA-SOPHIE Crealytics CROMME, GERHARD Curevac 31 42 HAAS, RUBEN HABBEN JANSEN, ROLF HAINES, DAVID Hapag-Lloyd HAUB, ERIVAN HEILEMANN, FABIAN & FERRY HEIZMANN, JOCHEM Henkel HERRMANN, WOLFGANG Herzog & de Meuron Hitfox 52, HOERR, INGMAR HOFFMANN, MARK HOPP, DIETMAR HOSTETTLER, RAFAEL Hypo Real Estate 65 7 42 6 65 52 24 10 57 88 65 47 54 49 57 34 I Idnow It Sure 51 52 J JANSSEN, MICHAEL JIANYI, XU Jobcluster Juniqe 87 22 46 55 K KAUDER, VOLKER KEMPER, ANDRÉ Kite Ventures KKR KLATTEN, SUSANNE Kleiner Perkins Klöckner Knorr-Bremse KOHLBERG, JEROME KOLLMANN, TOBIAS Kollwitz Internet KOPPER, HILMAR KÖRBER, HANS-JOACHIM KOSCHELLA, TIM KRAVIS, HENRY KRÖGER, TONIO KÜHNE, KLAUS-MICHAEL KUWSCHINOW, WLADIMIR 13 12 65 15 56 16 63 28 16 66 55 67 12 65 16 12 6 70 LAGARDE, CHRISTINE LANGE, LEA LEHNER, ULRICH Le Petit Prince Liberio Lichtblick LIPPS, BEN Lixil 90 55 13 90 48 47 45 42 H 48 88 54 49 8, 32 31 54 51 12 47 Definiens 30 DELLER, KLAUS 29 Density Ventures 47 Dt. Telekom 13, 61, 63 DIBELIUS, ALEXANDER 77 DOMMERMUTH, RALPH 46 Dorfstube Düsseldorf 85 DUROW, PAWEL 72 EDERER, KARL Edition F EnBW Eon Equator Etogas Eumetrie Eyeem GRILLO, ULRICH Grohe GUILLAUME-GRABISCH, BÉATRICE GÜNTHER, PAUL GUOSONG, JING 54 85 53 8, 61 63 19 46 77 53 FALTIN, GÜNTER FAW FC Bayern München FICHTNER, HANNO Fidar Finleap FISCHER, LEONHARD FLOSBACH, KLAUS-PETER FMSA FMS Wertmanagement Fresenius Medical Care 45 21 77 65 12 65 67 37 34 34 45 GATES, BILL GAUCK, JOACHIM Geberit GEIPEL-FABER, UTE Gini GLÄNZER, STEFAN Goodgame Studio GÖRING, FRANK GRABER, DIRK 54 12 42 8 52 46 50 38 49 L R 90 58 23 S T U V M Magforce 45 Merck 32 MERKEL, ANGELA 13, 22 Mister Spex 49 MOHN, REINHARD 54 MÜLLER, KLAUS-PETER 12 MÜLLER, TAREK 49 N Nestlé NITTVE, LARS 45, 90 88 O OBAMA, BARACK OBERMANN, RENÉ Osram Otto OTTO, BENJAMIN Outfittery 73 13 63 49 49 53 P 46 24 67 65 36 12 45 69 Passion Capital PIJIE, ZHANG PLATTFAUT, EBERHARD PLATTNER, HASSO PLEISTER, CHRISTOPHER PÖLLATH, REINHARD Projektwerkstatt PUTIN, WLADIMIR RATSCH, CHRISTINE RAUCH, HEIKO REBER, CHRISTIAN RIEDLINGER, PETER ROBERTS, GEORGE R. ROBOY Roche Rocket Internet RORSTEDT, KASPER RUDOLF, LORENZO 19 47 54 31 14 56 45, 49 48, 65 10 87 SAIC 25 SAMWER-BRÜDER 48, 50, 65 Sanitec 42 SATTELBERGER, THOMAS 13 SCHÄUBLE, WOLFGANG 34, 67 SCHOELLER, PHILIPP 8 SCHÖNENBERGER, HELMUT 58 SCHUHBECK, ALFONS 77 SCHULZ-STRELOW, MONIKA 12 Schwarz-Gruppe 32 SCHWENKER, BURKHARD 67 SCHWESIG, MANUELA 13 Secomba 55 Sequoia Capital 16 SERRANO BIOSCA, ANNA 31 Sirrix 49 Sparhandy 51 STAIGER, MANUEL 52 STRÜNGMANN, T&A 49 Stylebop 48 Syseleven 50 TESKE, HOLGER THIELE, HEINZ HERMANN THIELE, HENRIK THIELE-SCHÜRHOFF, JULIA THORBORG, HEINER Thyssen-Krupp Torben, Lucie unddie gelbe Gefahr TOTIBADZE, KONSTANTIN Toto TWS Partners 52 29 29 29 13 63 Ufostart UHRENBACHER, STEPHAN United Internet Unternehmertum GmbH URBAN, KONSTANTIN 47 47 46 57 47 Venables Bell & Partners Vertical Media Viceroy Creative Villeroy & Boch VILLEROY DE GALHAU, FRANÇOIS VILLEROY, NICOLAS LUC VILLEROY, NICOLAS Volkswagen 12, 21, VON BOCH-GALHAU, ALEXANDER VON BOCH-GALHAU, BRIGITTE VON BOCH-GALHAU, LUITWIN GISBERT VON BOCH-GALHAU, WENDELIN VON HOLTZBRINCK, STEFAN 19 54 19 38 51 68 42 30 43 43 40 32 43 43 43 38 65 W WENDEL, THOMAS Willy Bogner Windeln.de WINKELMEIER, STEPHAN WINKHAUS, H.-D. WINTERKORN, MARTIN Wirtshaus Schwalbe Wooga 76 7 47 37 67 22 85 49 Y Yang & Yin 29 Z Zalando ZETSCHE, DIETER ZUCKERBERG, MARK 52 7 73 B I M P R E S S U M BILANZ Deutschland Wirtschaftsmagazin GmbH, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg Tel.: (040) 347 234 47 Fax: (040) 347 234 50 E-Mail: redaktion@bilanz-magazin.de Herausgeber: Dr. Arno Balzer Chefredakteur: Klaus Boldt (v.i.S.d.P.) Chef vom Dienst: Joachim Tröster Artdirektion: Katja Kollmann Chefreporter: Volker ter Haseborg Redaktion: Sophie Crocoll, Stephan Knieps, Stefanie Michel, Dr. Annette Pawlu, Mark C. Schneider Bildredaktion: Ulrich Mahn Autoren: Fred Baader, Max Hollein, Bernd Ziesemer Freie Mitarbeiter: Michael Gatermann, Nikolas Kamke, Ronny Galczynski, Jasmin Doehl, Jürgen Schönstein, Thomas Wendel, Siri Matthey, Corinna Visser, Jan Vollmer. Beratung Fotografie und Illustration: Heidi Russbuelt Büroleitung: Annette Klangwald Redaktionsassistenz: Nadine Mentzel Geschäftsführer: Johannes Boege, Dr. Stephanie Caspar Gesamtanzeigenleiter: Stefan Mölling; Leiter Premiumvermarktung: Stephan Madel; Anzeigen BILANZ: Klara Müller (klara.mueller@axelspringer.de); Objektleitung: Florian Reinartz (florian.reinartz@axelspringer.de) Herstellung: Olaf Hopf Druck: Weiss-Druck GmbH & Co. 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N I R E N – 2015 – Ab Juli führt sie von Frankfurt aus die Geschäfte der Deutschland-Tochter des Lebensmittelriesen Nestlé (Gesamtumsatz: 75,4 Mrd.; hierzulande: 3,5 Mrd. Euro). – 2010 – Für BPW, ein Gemeinschaftsunternehmen von Coca-Cola und Nestlé, das Kaffee und Eistee vertreibt, zieht sie nach Zürich. – 2006 – Nach 18 Jahren verlässt GuillaumeI Grabisch die Kosmetik: Sie wird Deutschland-Chefin von Coca-Cola W in Berlin und kauft für den Konzern das Mineralwasser „Apollinaris“, E führt „Coke zero“ ein und druckt erstmals Nährwertangaben G auf Cola-Flaschen und -Dosen. N – 2000 – Als neue Deutschland-Chefin der Kosmetikfirma L’Oréal Paris befasst sie sich mit Selbstbräunungsgel, Haarfärbemittel und Gesichtscremes. Später wird sie Vorsitzende der L’Oréal-Konsumgütersparte („Garnier“, „Maybelline“) in Genf. P R I V A T Z N A Im April 2012 wurde BGG in den Aufsichtsrat des Waschmittelherstellers Henkel gewählt. – 1995 – In Düsseldorf unterschreibt sie beim Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson als Marketingdirektorin, führt die Kosmetikmarken. L – 1988 – Die deutschen Wurzeln wirken: Guillaume zieht es zu Beiersdorf („Nivea“) nach Hamburg, wo sie sich um internationale Produktreihen kümmert und den schönen Titel „Hair-Care-Manager“ trägt. I B – 1985 – Schon mit 21 verlässt sie die Pariser Elite-Wirtschaftsuni Essec (zwischendrin studierte sie in Illinois) und startet im Produktmanagement des Zahnpasta- und Seifenfertigers Colgate-Palmolive in Paris. / 90 / – 1964 – Im Pariser Feinvorort Neuilly-sur-Seine kommt Béatrice Guillaume (noch ohne Doppelnamen) zur Welt; ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Franzose. Ihr Heimatland sehe sie nur selten, sagt die Französin, die seit 1995 mit dem früheren Lycos-Manager Johannes Grabisch verheiratet ist. Heimweh bekämpft sie mit einer Portion Foie gras (Gänseleber), dazu gibt’s ein Glas edelsüßen Sauternes. „ SIE IST DER STRUKTURIERTESTE MENSCH, DEN ICH JE KENNENGELERNT HABE, UNGLAUBLICH GUT VORBEREITET. “ Ein ehemaliger Mitarbeiter über Guillaume-Grabisch IWF-Chefin Christine Lagarde ist ihr Vorbild: „Ihr Durchhaltevermögen, ihre Ausstrahlung und ihre gewinnende Art, mit Menschen umzugehen, haben mich beeindruckt.“ Illustration: Alexandra Compain-Tissier Fotos: Getty Images, Henkel AG, Picture Alliance, Éditions Gallimard „Man kann es in jedem Alter lesen und neue Facetten entdecken; so viel Weisheit über Menschenbeziehungen.“ BGG über ihr Lieblingsbuch „Le Petit Prince“. POLITICS. POLICY. POWER. ALL YOU NEED TO KNOW ABOUT EUROPE. Washington’s most influential news organization launches in Europe. Based in Brussels with reporting assets in key capitals and cities, POLITICO covers the politics, policy and personalities of the European Union. 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