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Der Bund, 13. 8. 2009
Hanna Jordi
Hosenblätz und Lesefieber
Schulgeschichte in Schaukästen: Im Haberhuus wird das neue Schuljahr mit je einer
Ausstellung zur Geschichte des Textilunterrichts und der SJW-Hefte begangen. Den
gesellschaftlichen Veränderungen haben beide stets Rechnung getragen.
Als Anfang der Dreissigerjahre die Schweizer Kioske Wildwestabenteuer für ein paar Rappen feilboten
und aus Deutschland die ersten Propagandaheftchen mit Titeln wie «Ewiges Deutschland» oder «Kraft
durch Freude» herüberschwappten, wurde das Schweizerische Jugendschriftwerk ( SJW ) gegründet. Sein
Ziel: der Schundliteratur kindergerecht verfasste Groschenromane entgegenzusetzen.
Ein literarisches Réduit
Seither hat das SJW nahezu 3000 Geschichten auf je 32 Seiten gebannt. « SJW hat Generationen von Kindern das Lesen nähergebracht», fasst Christoph Schwengeler, Initiator der Ausstellung , zusammen. Denn
bei einem Preis von 25 Rappen konnte Taschengeld flugs in Lesestoff umgesetzt werden. In Schaukästen
wird die 77 Jahre alte Geschichte des SJW-Hefts aufgezeigt, über hundert Exemplare zeugen von der Vielfalt der Themen. So habe sich SJW in den Kriegsjahren besonders der «geistigen Landesverteidigung» verschrieben, sagt Schwengeler, der mit der rhetorischen Versiertheit eines ehemaligen Hochschuldozenten
durch die Ausstellung führt. Die ausgestellten Heftchen über Schweizer Geschichte und Persönlichkeiten
sind Zeitzeugen – und literarische Réduits für den Schulsack.
Kampf gegen den Verschleiss
Auch in der zweiten Ausstellung im Obergeschoss des Haberhuus sind die Auswirkungen der Weltkriege
auf den Schweizer Alltag Thema. «Die Ressourcen waren knapp, also lernten die Mädchen, Kleider auszubessern und zu flicken. Schön musste es nicht sein, aber praktisch», sagt Martha Häberli, Kuratorin
der Ausstellung und ehemalige Kulturbeauftragte der Gemeinde Köniz. Sie lernten, welche Stricktechnik
sich besonders für warme Wintersocken eignete oder wie man eine Sockenferse auswechselte. Nach dem
Zweiten Weltkrieg, als die Materialien vielfältiger und Kleider maschinell gefertigt wurden, verschob sich
auch die Aufgabe des Handarbeitsunterrichts: «Kreatives Arbeiten erhielt einen höheren Stellenwert»,
sagt Häberli und führt die Zuhörer von den groben Strümpfen zu einer Reihe farbenfroher Gürtel, einer
raffinierter als der andere. «Heute stellt die Lehrperson eine Aufgabe, zum Beispiel ,Gürtel‘, und die Kinder
entscheiden selbst, wie sie dieses Ziel erreichen wollen», erklärt die ehemalige Werklehrerin. In der Tat:
«Kinder». Seit 1983 sind es nämlich auch Buben, die den Textilunterricht, wie Handarbeiten heute heisst,
besuchen.
Keine Scheu vor heiklen Themen
Auch das SJW hat sich den Entwicklungen der Gesellschaft angepasst. So gibt es für Lehrer, die die Texte
mit fremdsprachigen Kindern behandeln wollen, eine CD-ROM mit Übersetzungen. «Fabian, der Wolkenfänger» von Lukas Hartmann erscheint dann multilingual – in sieben Sprachen von Tamilisch bis Kroatisch. Für sehbehinderte Kinder sind alle SJW -Heftchen auf Anfrage gar in Blindenschrift oder Grossdruck erhältlich. Absatzzahlen wie gegen Ende der Sechzigerjahre, als fast eine Million Heftchen verkauft
wurden, sind trotz dieser Neuerungen heute nicht mehr denkbar. «Es ist sicher schwer, Videospiele und
andere Medien zu übertrumpfen», erklärt Schwengeler den Rückgang.
Dennoch läuft die Ausstellung unterdem Namen « SJW – eine Erfolgsgeschichte». Schwengeler begründet
den Titel damit, dass SJW sich stets anzupassen wusste: Die Verleger würden sich nicht scheuen, «heisse
Eisen» anzufassen. Themen wie Ausschaffung, Drogen oder Verhütung werden heute genauso behandelt
und ins DIN-A5-Format gebracht wie die klassischen Geschichten mit tierischen Protagonisten oder jugendlichen Abenteurern.
Von «Känguru Didu» bis zu «Ghetto Kidz»: Von der ersten bis zur letzten Schulbank ist also auch heuer
für jeden etwas dabei. Bleibt zu hoffen, dass das Sackgeld ausreicht – immerhin kosten die Hefte heute
nicht mehr 25, sondern 500 Rappen.
Fünf Jahrhunderte Schulgeschichte
Seit 2008 zeigt das Schulmuseum Bern in Köniz historische Exponate zum Berner Schulwesen. Er habe
schon lange Zeit den Wunsch gehegt, die Schule von einst erlebbar zu machen, sagt der Initiator und
Präsident der Stiftung «Schulmuseum Bern», Kurt Hofer. Der ehemalige Primarlehrer hatte bereits in den
Sechzigerjahren begonnen, alte Schulmittel zu sammeln. Heute lagern im Museumskeller 25000 Exponate.
Herzstück des kleinen Museums ist das historische Schulzimmer, in dem die Betreiber, meist pensionierte Lehrer, authentische Schulstunden anbieten. Letztes Jahr haben sich so 1200 Personen althergebracht
belehren lassen.
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