Aktualisierung Expertenstandard Sturzprophylaxe
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Aktualisierung Expertenstandard Sturzprophylaxe
Hochschule Osnabrück University of Applied Sciences Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.) Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege 1. Aktualisierung 2012 Präambel, Expertenstandard und Kommentierungen Die vorläufige Version des Expertenstandards einschließlich Präambel, Kommentierung und Literaturstudie ist in der Zeit vom 04. September 2012 bis 16. Oktober 2012 auf der Homepage des DNQP einsehbar. In diesem Zeitraum können Rückmeldungen bzw. Stellungnahmen schriftlich an die Geschäftsstelle des DNQP gerichtet werden. Konsultationsfassung des Expertenstandards Sturzprophylaxe in der Pflege 1. Aktualisierung 2012 herausgegeben vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Doris Schiemann Wissenschaftliches Team: Dipl.-Pflegewirtin Petra Blumenberg, Prof. Dr. Andreas Büscher, Prof. Dr. Martin Moers, Prof. Dr. Doris Schiemann; Dipl.-Pflegewirt Heiko Stehling, MScN Geschäftsstelle: Dipl.-Geograph Jan Kolja Paulus Hochschule Osnabrück · Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Postfach 19 40 · 49009 Osnabrück Tel.: (05 41) 9 69-20 04 · Fax: (0541) 9 69-29 71 E-mail: dnqp@hs-osnabrueck.de · Internet: http://www.dnqp.de Osnabrück, August 2012 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Mitglieder des DNQP-Lenkungsausschusses Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik Universität Witten/Herdecke, Department für Pflegewissenschaft Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Witten Prof. Marlies Beckmann Fachhochschule Frankfurt a. M. Prof. Dr. Andreas Büscher Hochschule Osnabrück Prof. Dr. Astrid Elsbernd Hochschule Esslingen Hedwig François-Kettner Pflegedirektorin der Charité-Universitätsmedizin Berlin Stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit Gudrun Gille Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK), Berlin Prof. Dr. Ulrike Höhmann Ev. Hochschule Darmstadt Dr. Edith Kellnhauser Prof. emer. Kath. Fachhochschule Mainz Prof. Dr. Martin Moers Hochschule Osnabrück Prof. Dr. Martina Roes Hochschule Bremen Prof. Dr. Rainhild Schäfers Hochschule für Gesundheit Bochum Prof. Dr. Doris Schiemann Hochschule Osnabrück Christine Sowinski Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), Köln Franz Wagner Mitglied im Präsidium des Deutschen Pflegerats (DPR), Berlin Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) 2 Der Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege, 1. Aktualisierung 2012 Cornelia Heinze, Jürgen Härlein, Siegfried Huhn, Markus Mai, Horst Mühlberger, Katrin Nitsch, Ulrich Rissmann, Andrea van Schayck, Michael Simon, Jens Ullmann, Wolfgang Schuldzinski, Helga Walter, Josef Weiß 2.1 Expertenarbeitsgruppe „Sturzprophylaxe in der Pflege“ - 1. Aktualisierung 2012 Wissenschaftliche Leitung: Moderation: Wissenschaftliche Mitarbeit / Literaturanalyse: Vertreter/in von Verbraucherorganisationen und Selbsthilfe: Wissenschaftliches Team DNQP: Cornelia Heinze, Berlin Astrid Elsbernd, Esslingen Christine Sowinski, Köln Katrin Balzer, Lübeck Anne Junghans, Lübeck Dagmar Lühmann, Lübeck Anja Behnke, Lübeck Wolfgang Schuldzinski, Düsseldorf Helga Walter, Bonn Andreas Büscher, Osnabrück Petra Blumenberg, Osnabrück Cornelia Heinze, Prof. Dr., Dipl.-Pflegepädagogin, Krankenschwester, Professorin für Pflegewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Berlin. Promotion zum Thema „Sturzhäufigkeiten, -folgen und -risiken in deutschen Kliniken und Pflegeheimen. Zahlreiche weitere Veröffentlichungen und Projekte zum Thema. Mitglied der ehemaligen Expertenarbeitsgruppe Sturzprophylaxe. Jürgen Härlein Prof. Dr., Diplom-Pflegepädagoge, Krankenpfleger, Evangelische Hochschule Nürnberg, Fakultät für Gesundheit und Pflege. Promotion zum Thema „Sturzprävention bei älteren Menschen mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen“ Zahlreiche weitere Veröffentlichungen und Vorträge zum Thema. Siegfried Huhn Krankenpfleger. Zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge und Projekte zum Thema. Mitglied der ehemaligen Expertenarbeitsgruppe Sturzprophylaxe in der Pflege. 1 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Markus Mai Dr. rer. cur., Krankenpfleger, stellvertretender Pflegedirektor Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier und Leitung der Stabsstelle Pflegemanagement und Pflegewissenschaft in der Zentrale der BBT-Gruppe. Dissertation zum Thema „Das Sturzrisiko von Patienten im Krankenhaus“. Horst Mühlberger Altenpfleger, Ökumenische Sozialstation Heidenheimer Land. Zusatzqualifikation Fachkraft für Mobilität und Sturzprävention (Geriatrisches Zentrum Ulm), Kursleiter Bewegungs- und Gesundheitsförderung für Hochaltrige des Deutschen Turner-Bund (DTB Akademie). Katrin Nitsch Krankenschwester, Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bochum Bergmannsheil. Multiplikatorin für den Expertenstandard Sturzprophylaxe. Ulrich Rissmann Dipl.-Pflegewirt (FH), Krankenpfleger, AGAPLESION Bethesda Krankenhaus Stuttgart. Koordination und Mitarbeit in Projekten zur Sturzprävention und zur Reduzierung von Fixierungen. Zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zum Thema. Andrea van Schayck Dipl.-Pflegewirtin (FH), Krankenschwester, Arzthelferin. Mitarbeiterin in der Pflegequalitätsentwicklung der Regio Klinken GmbH, Uetersen, dabei verantwortlich für die Implementierung von Expertenstandards. Wolfgang Schuldzinski Rechtsanwalt, Leiter Referat Pflege und Gesundheit Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen. Mitglied der ehemaligen Expertenarbeitsgruppe Sturzprophylaxe. Michael Simon Dr., MSN., Krankenpfleger, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Southhampton. Bis April 2011 Leiter des Bereichs Forschung und Entwicklung der „National Database of Nursing Quality Indicators (NDNQI) in den USA. Verantwortlich für zwei Studien zur Einschätzung von Sturzsituationen durch Pflegende sowie der Bewertung von Sturzverletzungen. Vorträge und Veröffentlichungen zum Thema. Jens Ullmann Altenpfleger, Fachpflegekraft für Geriatrie und Gerontopsychiatrie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Altenburg. Erfahrungen bei der Implementierung und Umsetzung des Expertenstandards. 2 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Helga Walter Mitglied des Kuratoriums der Stiftungsgemeinschaft Elisabeth- und Stephanus Stiftung, Mitglied des Vorstandes der Seniorenvertretung Treptow/Köpenick, Mitglied des Landesseniorenbeirates, von 2003 bis 2011 Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen, Mitglied der Seniorenvertretung. Josef Weiß Dipl.-Pflegewirt (FH), Krankenpfleger, Heimleitung eines Seniorenzentrums. Erfahrungen mit der Implementierung des Expertenstandards. Veröffentlichungen und Vorträge zum Thema. 3 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) 2.2 Präambel zum Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege Jeder Mensch hat ein Risiko zu stürzen, sei es durch Unachtsamkeit oder bei einer sportlichen Betätigung. Über dieses alltägliche Risiko hinaus gibt es aber Stürze, deren Ursache im Verlust der Fähigkeit zur Vermeidung eines Sturzes liegt. Den betroffenen Patienten/Bewohnern1, überwiegend ältere Menschen oder Menschen mit reduziertem Allgemeinzustand, gelingt es nicht mehr, den Körper in Balance zu halten oder ihn bei Verlust des Gleichgewichts wieder in Balance zu bringen bzw. Sturzfolgen durch intakte Schutzreaktionen zu minimieren. Physische Auswirkungen von Stürzen reichen von schmerzhaften Prellungen über Wunden, Verstauchungen und Frakturen bis hin zum Tod. Psychische Folgen können vom Verlust des Vertrauens in die eigene Mobilität über die Einschränkung des Bewegungsradius bis hin zur sozialen Isolation führen. Im vorliegenden Expertenstandard wird von einem erhöhten Sturzrisiko gesprochen, wenn es sich um eine über das alltägliche Risiko hinausgehende Sturzgefährdung handelt. Dabei wird ein Sturz in Anlehnung an die Kellog International Work Group on the Prevention of Falls by the Elderly (1987) und das Prevention of Falls Network Europe (Lamb et al., 2005) wie folgt definiert: „Ein Sturz ist jedes Ereignis, in dessen Folge eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer tieferen Ebene zu liegen kommt.“ Hiermit sind auch Stürze gemeint, in deren Folge die Betroffenen den Boden oder die tiefere Ebene nicht mit dem ganzen Körper berühren, sondern dort auch beispielsweise sitzen oder hocken. Viele Stürze ereignen sich nicht im Beisein von Pflegefachkräften oder anderen Personen. Häufig kann im Beisein von Gesundheitsfachkräften ein Sturz so weit abgefangen werden, dass es nicht zu einer Berührung des Körpers mit dem Boden kommt. Diese „Beinahestürze“ sind wichtige Hinweise auf zugrunde liegende Risikofaktoren, wie eine beeinträchtigte Balance oder eine orthostatische Hypotonie. Die Expertengruppe hat sich darauf geeinigt, dass Beinahestürze nicht als Stürze zu definieren sind, aber dass sie im pflegerischen Alltag im Rahmen der Sturzprophylaxe unbedingt berücksichtigt werden sollten. Der Expertenstandard hat zum Ziel, Pflegefachkräfte sowie Pflege- und Gesundheitseinrichtungen dabei zu unterstützen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Expertenmeinungen, Stürzen vorzubeugen und Sturzfolgen zu minimieren. Dieses Ziel ist allerdings nicht durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erreichen, sondern 1 Zur sprachlichen Vereinfachung und zur besseren Lesbarkeit wird im Text die männliche Geschlechtsform verwendet, wenn beide Geschlechter gemeint sind. 4 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) vielmehr durch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer größtmöglichen, sicheren Mobilität von Patienten/Bewohnern, verbunden mit einer höheren Lebensqualität. Die Expertenarbeitsgruppe spricht sich daher gegen jegliche Form freiheitsentziehender Maßnahmen zum Zwecke der Sturzprophylaxe aus. Der Expertenstandard Sturzprophylaxe richtet sich an alle Pflegefachkräfte2, die Patienten/Bewohner entweder in der eigenen häuslichen Umgebung oder in einer Einrichtung der stationären Gesundheitsversorgung oder der Altenhilfe betreuen. Wenn im Expertenstandard von Einrichtung die Rede ist, so ist damit auch die häusliche Pflege gemeint, wohlwissend, dass dort nicht alle Interventionen, vergleichbar mit einem Krankenhaus oder einem Altenoder Pflegeheim, durchgeführt werden können. Der Expertenstandard bezieht sich auf alle Personen, die sich kurz- oder langfristig in pflegerischer Betreuung befinden. Hierbei sind explizit alle Altersgruppen gemeint sowie spezifische Gruppen, zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Aufgrund der Studienlage lässt sich ableiten, dass sich die im Standard beschriebenen Sturzrisikofaktoren auch auf Kinder oder Personen mit Behinderungen beziehen lassen. Die limitierte Anzahl an Interventionsstudien lässt allerdings bezüglich letztgenannter Personengruppen keine spezifischen Schlussfolgerungen zu sturzprophylaktischen Maßnahmen zu. Der ersten Aktualisierung des Expertenstandards liegt eine ausführliche Recherche der nationalen und internationalen Literatur von September 2004 bis September 2011 zugrunde. Es liegen Aussagen zur Epidemiologie des Sturzgeschehens, seiner Ursachen und Risikofaktoren sowie zur Risikoeinschätzung und zur Wirksamkeit präventiver Interventionen vor. Darüber hinaus wurden Studien zu Anforderungen an eine angemessene Beratung zur Sturzprophylaxe, vor allem aus Sicht der Betroffenen, und Aspekte zu relevanten Kontextbedingungen für die Umsetzbarkeit sturzprophylaktischer Maßnahmen in Organisationen recherchiert. Trotz der hohen Anzahl der in die Literaturanalyse einbezogenen Studien (275 Beiträge) lassen sich nur bedingt eindeutige Schlussfolgerungen für die Art und Weise der pflegerischen Einschätzung des Sturzrisikos und der Planung und Durchführung sturzprophylaktischer Maßnahmen ziehen. Beispielsweise liegen zu den sturzpräventiven Interventionen teilweise widersprüchliche Ergebnisse vor, oder sie sind nicht bei jeder Adressatengruppe gleichermaßen effektiv. Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicherlich das multifaktorielle Geschehen, das zu einem Sturz führt und entsprechend komplexer Interventionen bedarf. 2 Im Standard werden unter dem Begriff „Pflegefachkraft“ die Mitglieder der verschiedenen Pflegeberufe (Altenpfleger/innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen) angesprochen. Angesprochen werden darüber hinaus auch diejenigen Fachkräfte im Pflegedienst, die über eine Hochschulqualifikation in einem pflegebezogenen Studiengang verfügen. 5 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Interventionen zur Sturzprophylaxe können maßgeblichen Einfluss auf die Lebensführung von Patienten/Bewohnern haben, z. B. durch eine Umgebungsanpassung, die Empfehlung für spezielle Schuhe oder Hilfsmittel, die Aufforderung, nur mit Hilfestellung auf die Toilette zu gehen, oder das Besuchen von Kursen zur Förderung von Kraft und Balance. Aus diesem Grund ist es notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Sturzprophylaxe, das Selbstbestimmungsrecht von Patienten/Bewohnern zu achten und zu unterstützen. Eine wichtige Grundlage dafür ist die umfassende Information und Beratung von Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen über das vorliegende Sturzrisiko und die möglichen Interventionen im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Mit Einverständnis der Patienten/Bewohner sollten die Angehörigen grundsätzlich in die Information, Beratung und die Maßnahmenplanung eingebunden werden. Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung des Expertenstandards Sturzprophylaxe in den Einrichtungen ist die gemeinsame Verantwortung der leitenden Managementebene und der Pflegefachkräfte. Notwendige strukturelle Voraussetzungen, z. B. das Angebot von Fortbildungen für Pflegefachkräfte und hauseigenen Interventionen oder die Umsetzung von Umgebungsanpassungen in stationären Einrichtungen, sind von der leitenden Managementebene (Betriebsleitung und Pflegemanagement) zu gewährleisten. Die Aufgabe der Pflegefachkraft besteht im Erwerb aktuellen Wissens, um Patienten/Bewohner mit einem erhöhten Sturzrisiko identifizieren und entsprechende Interventionen einleiten zu können sowie bei Bedarf zusätzliche notwendige Strukturen einzufordern und dies fachlich begründen zu können. Die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit ist maßgeblich für ein effektives Interventionsangebot. Der konsequente Einbezug sowie eine umfassende Information der beteiligten Berufsgruppen ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Literatur: Kelloggs International Work Group on the Prevention of Falls by the Elderly (1987). The prevention of falls in later life. Danish Medical Bulletin 34 (Suppl. 4): 1-24. Lamb SE, Jørstad-Stein EC, Hauer K, Becker C, Prevention of Falls Network Europe and Outcomes Consensus Group (2005). Development of a common outcome data set for fall injury prevention trials: the Prevention of Falls Network Europe consensus. Journal of the American Geriatrics Society 53(9): 1618-22. 6 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) 2.3 Expertenstandard Sturzprophylaxe, 1. Aktualisierung Stand: August 2012 Zielsetzung: Jeder Patient/Bewohner mit einem erhöhten Sturzrisiko erhält eine Sturzprophylaxe, die Stürze weitgehend verhindert und Sturzfolgen minimiert. Begründung: Stürze stellen insbesondere für ältere und kranke Menschen ein hohes Risiko dar. Sie gehen häufig mit schwerwiegenden Einschnitten in die bisherige Lebensführung einher, die von Wunden und Frakturen über Einschränkung des Bewegungsradius infolge verlorenen Vertrauens in die eigene Mobilität bis hin zur Aufgabe einer selbstständigen Lebensführung reichen. Durch rechtzeitige Einschätzung der individuellen Risikofaktoren, eine systematische Sturzerfassung, Information und Beratung von Patienten/Bewohnern und Angehörigen sowie gemeinsame Maßnahmenplanung und Durchführung kann eine sichere Mobilität gefördert werden. Struktur Prozess Ergebnis Die Pflegefachkraft Die Pflegefachkraft S1 - verfügt über aktuelles Wissen zur Identifikation des P1 - identifiziert unmittelbar zu Beginn des pflegerischen E1 Eine aktuelle, systematische Erfassung des SturzrisiSturzrisikos. Auftrages systematisch die personen- und umgebungs- kos liegt vor. bezogenen Sturzrisikofaktoren aller Patienten/Bewohner, bei denen ein Sturzrisiko nicht ausgeschlossen werden kann (siehe Tabelle „Sturzrisikofaktoren“ in der Kommentierung). - wiederholt die Erfassung der Sturzrisikofaktoren bei Veränderungen der Pflegesituation und nach jedem Sturz des Patienten/Bewohners. Die Pflegefachkraft P2 - informiert den Patienten/Bewohner und seine Ange- E2 Der Patient/Bewohner und ggf. seine Angehörigen S2 - verfügt über Beratungskompetenz bezüglich des hörigen über das festgestellte Sturzrisiko und bietet Bera- kennen das individuelle Sturzrisiko sowie geeignete MaßSturzrisikos und geeigneter Interventionen. tung und Schulung zu den Interventionen an. nahmen zur Sturzprophylaxe. Die Beratung ist dokumentiert. Die Pflegefachkraft P3 - entwickelt gemeinsam mit dem Patienten/Bewohner E3 Ein individueller Maßnahmenplan zur Sturzprophylaxe S3 - kennt geeignete Interventionen zur Vermeidung von und seinen Angehörigen sowie den beteiligten Berufs- liegt vor. gruppen einen individuellen Maßnahmenplan. Stürzen und zur Minimierung sturzbedingter Folgen. Die Einrichtung P4 - gewährleistet in Absprache mit den beteiligten Berufs- E4 Interventionen, Hilfsmittel und Umgebung sind dem S4a - ermöglicht zielgruppenspezifische Interventions- gruppen und dem Patienten/Bewohner gezielte Inter- individuellen Sturzrisiko des Patienten/Bewohners angepasst ventionen auf der Grundlage des Maßnahmenplans. und fördern eine sichere Mobilität. angebote. - gewährleistet geeignete räumliche und technische Vo- sorgt für eine individuelle Umgebungsanpassung soraussetzungen sowie Hilfsmittel für eine sichere Mobilität. wie für den Einsatz geeigneter Hilfsmittel zur SturzDie Pflegefachkraft prophylaxe. S4b - ist zur Koordination der Interventionen autorisiert. Die Einrichtung S5 - stellt sicher, dass alle an der Versorgung des Patienten/Bewohners Beteiligten über das vorliegende Sturzrisiko informiert werden. P5 - informiert die an der Versorgung beteiligten Berufs- E5 Den an der Versorgung beteiligten Berufs- und Persound Personengruppen über das Sturzrisiko des Patienten/ nengruppen sind das individuelle Sturzrisiko und die jeweils Bewohners und gibt Hinweise zum situativ angemessenen notwendigen Maßnahmen zur Sturzprophylaxe bekannt. Umgang mit diesem. Die Pflegefachkraft P6 - dokumentiert und analysiert jeden Sturz, gegebenen- E6a Jeder Sturz ist dokumentiert und analysiert. S6a - ist zur individuellen Sturzerfassung und -analyse be- falls mit anderen an der Versorgung beteiligten BerufsE6b In der Einrichtung liegen Zahlen zu Häufigkeit, Umfähigt. gruppen. ständen und Folgen von Stürzen vor. Die Einrichtung S6b - stellt Ressourcen zur Auswertung und Analyse von Stürzen zur Verfügung. © Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), 2012 7 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) 2.4 Kommentierung der Standardkriterien S1 Die Pflegefachkraft verfügt über aktuelles Wissen zur Identifikation des Sturzrisikos. Jede Pflegefachkraft weiß um den multifaktoriellen Charakter des Pflegephänomens „Sturz“ und versteht die Einschätzung des Sturzrisikos als hochkomplexe Aufgabe. Dies liegt darin begründet, dass bei einer Vielzahl möglicher ursächlicher Faktoren bereits ein einzelner Faktor oder das Zusammentreffen mehrerer Faktoren in wechselnden Kombinationen einen Sturz nach sich ziehen kann. Daher soll jede Pflegefachkraft über aktuelles Wissen zur Einschätzung des Sturzrisikos verfügen. Dazu gehören vor allem ein umfassendes Wissen zu den Sturzrisikofaktoren, die von der Expertengruppe in zwei Tabellen (siehe S. 10 und 11) zusammengefasst wurden und die Fähigkeit, diese vorhersagenden Faktoren bei einem Patienten/Bewohner zu identifizieren. In Tabelle 1 sind Sturzrisikofaktoren für einen vereinfachten Überblick unabhängig von den Settings (Krankenhaus, Alten- und Pflegeheim, ambulante Pflege) dargestellt. Weiter ist zu beachten, dass die aktualisierte Literaturstudie ergeben hat, dass Risikokonstellationen settingspezifisch variieren. Aus diesem Grund sind in der Literaturanalyse die spezifisch nachgewiesenen Risikofaktoren in der Tabelle getrennt für die Krankenhausversorgung sowie für den ambulanten als auch den Pflegeheimbereich dargestellt (Tabelle 2, S. 11). Diese Tabelle stellt die Risikofaktoren dar, die in den jeweiligen Settings wissenschaftlich untermauert wurden. Es muss allerdings beachtet werden, dass bislang noch nicht alle Risikofaktoren in allen Settings untersucht wurden. Bei den Sturzrisikofaktoren werden personenbezogene (z. B. motorische oder kognitive Einschränkungen), durch die Einnahme von Medikamenten verursachte (z. B. Psychopharmaka) und umgebungsbezogene Gefahrenquellen (z. B. glatte Fußböden, fehlende Haltegriffe, zu hohe oder zu niedrige Toiletten, nicht geeignetes Schuhwerk) unterschieden (siehe Tab. 1). Zu den personenbezogenen Faktoren gehören neben den funktionellen, den Geh- und Balanceproblemen, den kognitiven Problemen (z. B. Delir und Demenz), den psychischen Beeinträchtigungen (Depressionen und Sturzangst) und den Kontinenzproblemen weitere Erkrankungen und Gesundheitsstörungen, die je nach Setting unterschiedlich in der Literatur nachgewiesen wurden. Hierbei sind insbesondere Nieren- und Lebererkrankungen, COPD, HIV-Infektion, Hypotonie, Diabetes mellitus und Multimorbidität zu nennen. Sehbeeinträchtigungen als unabhängige Risikofaktoren konnten in der Literaturanalyse nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Maßnahmen zur Korrektur der Sehfunktion, in erster Linie Brillenanpassungen, mit einer Erhöhung des Sturzrisikos einhergehen können. Ein höheres Alter, Geschlecht und eine Sturzvorgeschichte weisen auf eine erhöhte Sturzwahrscheinlichkeit hin, wobei diese Faktoren natürlich nicht beeinflussbar sind. Vor allem aus den Informationen über Auslöser und Umstände früherer Stürze lassen sich aber wertvolle Hinweise über mögliche zugrunde liegende Risiken ziehen. 8 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Die Medikamente wurden nicht mehr wie in der ersten Standardfassung den Umgebungsfaktoren zugeordnet, da sie ihre sturzfördernde Wirkung erst nach Einnahme und Verstoffwechselung im Körper zeigen können. Zu den sturzfördernden Medikamenten gehören alle zentralnervös wirksamen Medikamente, insbesondere Antidepressiva, Sedativa/Hypnotika, Anxiolytika/Benzodiazepineund Neuroleptika sowie Antihypertensiva. Auch eine höhere Anzahl der eingenommenen Medikamente spielt eine Rolle. Bei den umgebungsbezogenen Faktoren ist zu beachten, dass außer für freiheitsentziehende Maßnahmen im Setting Pflegeheim in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur keine gesicherten Belege für eine Erhöhung des Sturzrisikos vorliegen. Aufgrund ihrer hohen Praxisrelevanz wurden jedoch die Faktoren „Gefahren in der Umgebung“ und „Schuhe“ mit in die Tabelle aufgenommen. P1 Die Pflegefachkraft identifiziert unmittelbar zu Beginn des pflegerischen Auftrags systematisch die personen-, medikamenten- und umgebungsbezogenen Risikofaktoren aller Patienten/Bewohner, bei denen ein Sturzrisiko nicht ausgeschlossen werden kann. Eine systematische Einschätzung möglicher Sturzrisikofaktoren ist Voraussetzung für ein erfolgreiches multiprofessionelles Sturzmanagement. Unmittelbar zu Beginn des pflegerischen Auftrags, am besten im Rahmen des pflegerischen Aufnahmegesprächs, sollte das Sturzrisiko eines Patienten/Bewohners abgeklärt werden, um so früh wie möglich notwendige Interventionen einleiten zu können. Die Formulierung „… bei denen ein Sturzrisiko nicht ausgeschlossen werden kann“, bezieht sich darauf, dass es besonders im Krankenhaus jüngere Patienten gibt, bei denen ein über das alltägliche Risiko zu stürzen hinausgehendes Sturzrisiko von vornherein ausgeschlossen werden kann. Ein hohes Lebensalter ist jedoch nicht generell als Sturzrisikofaktor anzusehen, sondern eher als Lebensabschnitt, in dem sich Sturzrisiken kumulieren können. Die Expertengruppe empfiehlt aufgrund unzureichender Erfüllung der üblichen Gütekriterien keine der bislang für die Pflege entwickelten Sturzrisikoskalen oder andere standardisierte Tests zur Einschätzung des Sturzrisikos. Nach ausführlicher Diskussion in der Expertengruppe wurde auch auf ein Screening nur der wichtigsten Risikofaktoren verzichtet, da dies zusätzlich die Gefahr birgt, andere wichtige, aber vielleicht nicht so häufig vorkommende Faktoren zu übersehen. Eine systematische Identifizierung der Risikofaktoren, z. B. anhand der folgenden Tabellen, ist im Hinblick auf die Planung der Interventionen aus Sicht der Expertengruppe die derzeit geeignetere Herangehensweise. Tabelle 1 soll ausschließlich einer besseren Veranschaulichung der Risikofaktoren dienen und stellt diese in alphabetischer Reihenfolge ohne eine Hierarchisierung dar. Die darin enthaltenen Faktoren sollten nicht wie in einer Checkliste lediglich abgehakt werden, sondern dienen als Hintergrundwissen für professionelle Fachkräfte, welches sie flexibel im Umgang in der konkreten Pflegesituation mit den einzelnen Patienten/Bewohnern anwenden. Tabelle 2 kann zusätzlich zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit spezifischen Sturzrisiken in den einzelnen Settings dienen. 9 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Dabei handelt es sich um eine klinische Einschätzung durch die Pflegefachkraft, die nicht in Summenwerten oder anderen Punktzahlen ausgedrückt wird. Vielmehr wird festgehalten, ob ein gegenüber dem Alltäglichen erhöhtes Risiko zu stürzen durch das Vorliegen eines oder mehrerer Risikofaktoren besteht. Diese Vorgehensweise trägt dem Umstand Rechnung, dass die individuelle Konstellation von Sturzrisikofaktoren von Person zu Person variiert. Berücksichtigt werden müssen auch immer die Herausforderungen durch die Umgebung (z. B. steile Treppen) oder bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben (z. B. Aufstehen aus dem Bett oder dem Stuhl). Auch sollte in Erwägung gezogen werden, ob ein bestehender Risikofaktor beispielsweise durch Hilfsmittel kompensiert wird. Bei einem Verdacht auf krankheitsbedingte Risikofaktoren wie Depression oder Demenz, ohne dass hierzu eine medizinische Diagnose besteht, sollten Haus- oder Fachärzte zur Abklärung hinzugezogen werden. Die Pflegefachkraft wiederholt die Erfassung der Sturzrisikofaktoren bei Veränderung der Pflegesituation und nach jedem Sturz des Patienten/Bewohners. Wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für die Häufigkeit der Sturzeinschätzung existieren nicht; generell kann der Grundsatz gelten, je akuter das Setting, desto häufiger ist eine erneute Einschätzung notwendig. Durch akute Veränderung des Gesundheitszustandes kann sich das Sturzrisiko verändern. Besondere Aufmerksamkeit ist auch bei einer Veränderung der Medikation oder der Umgebung (Ortswechsel, Zimmerwechsel) geboten. Eine Erhöhung des Pflegebedarfs kann ebenfalls ein Hinweis auf eine erhöhte Sturzgefahr sein. Bei jeder Überarbeitung der Pflegeplanung muss eine Veränderung der Sturzrisikofaktoren in Betracht gezogen werden, wobei auch überdacht werden sollte, ob neue Risikofaktoren für Stürze hinzugekommen sind. Jeder Sturz eines Patienten/Bewohners erfordert ebenfalls eine kritische Evaluation der bisher erfolgten Interventionen und der identifizierten Sturzrisikofaktoren (siehe Standardebene 6) bzw. eine Ersteinschätzung der Sturzrisikofaktoren des Patienten/Bewohners. • • Personenbezogene Risikofaktoren Medikamentenbezogene Sturzrisikofaktoren Umgebungsbezogene Sturzrisikofaktoren Tabelle 1: • • • • • • • • • • • • • • • Beeinträchtigung funktioneller Fähigkeiten* - z. B. Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens Beeinträchtigung sensomotorischer Funktionen und/oder der Balance* - z. B. Einschränkungen der Gehfähigkeit - z. B. Balance-Störungen (u.a. auch Schwindel) Depression* Erhöhte Belastung durch Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen* Geschlecht* Höheres Alter* Kognitive Beeinträchtigungen (akut und/oder chronisch)* Kontinenzprobleme* Sehbeeinträchtigungen Sturzangst* Stürze in der Vorgeschichte* Antihypertensiva* Psychotrope Medikamente* Polypharmazie* Freiheitsentziehende Maßnahmen* Gefahren in der Umgebung Schuhe Sturzrisikofaktoren, alphabetisch geordnet (*in der Literaturstudie belegte Risikofaktoren) (Expertenarbeitsgruppe Sturzprophylaxe 2012) 10 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Setting Akut (Krankenhaus) Subakut (z.B. Rehabilitationseinrichtungen) Nicht nachgewiesen - Stürze in der Vergangenheit - Stürze in der Vergangenheit - Stürze in der Vergangenheit - - Bewegen im Rollstuhl Gehen mit Gehwagen Hemiparese oder Neglect Neurologische Aufnahmediagnose - Frauen, die nur mit Hilfe oder Hilfsmittel gehen können - Gang- und Balance-Störungen Morbus Parkinson Rheumatische Erkrankung Schlaganfall Schwindel oder Vertigo Keine Daten verfügbar - funktionelle Defizite Unfähigkeit zum Tandemstand Nicht nachgewiesen - Hoher Unterstützungsbedarf bei den Lebensaktivitäten - - kognitive Beeinträchtigungen - - kognitive Beeinträchtigungen Pflegeheim ambulant Risikofaktoren Sturzvorgeschichte Sensomotorische Funktionen und Balance Funktionelle Parameter Kognitive Funktionen Psychische Faktoren Andere Gesundheitsstörungen Ataxie Morbus Parkinson Eingeschränkte Gehfähigkeit Delir Demenz Zerebrovaskuläre Erkrank. Schlafstörungen Keine Daten verfügbar Nicht nachgewiesen Keine Daten verfügbar - Depression Sturzangst - - häufige Toilettengänge mehr als neun Nebenerkrankungen Urininkontinenz - Anämie Chronische Niereninsuffizienz Orthostatische Hypotonie Urininkontinenz - Diabetes mellitus Körperliche Beeinträchtigungen Schmerzen Urininkontinenz Gesichtsfeldeinschränkung bei Glaukom psychotrope bzw. ZNSwirksame Medikamente - ACE-Hemmer Psychopharmaka - Antidepressiva oder Sedativa Antiepileptika Antihypertensiva Anzahl der Medikamente - COPD HIV-Infektion Lebererkrankungen niedriger systolischer Blutdruck im Liegen nicht aus der eigenen Häuslichkeit kommend: Multimorbidität Nierenerkrankungen Notfallaufnahme Osteoporose - Keine Daten verfügbar - Keine Daten verfügbar Keine Daten verfügbar - Freiheitsentziehende Maßnahmen - - - Alter ≥ 75 Jahre Medikamente Umgebungsfaktoren Soziodemografische Merkmale beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis Alter männliches Geschlecht Alter 41-50 Jahre männliches Geschlecht Keine Daten verfügbar - Tabelle 2: Wissenschaftlich gesicherte Sturzrisikofaktoren differenziert nach Setting (Expertenarbeitsgruppe Sturzprophylaxe 2012) 11 weibliches Geschlecht fortschreitendes Alter Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) E1 Eine aktuelle, systematische Erfassung des Sturzrisikos liegt vor. Eine konsequent durchgeführte strukturierte Erfassung der Sturzrisikofaktoren und deren Dokumentation bildet die Grundlage für die Beratung und die Maßnahmenplanung und stellt darüber hinaus sicher, dass alle Mitarbeiter über die vorliegenden Sturzrisikofaktoren informiert sind. S2 Die Pflegefachkraft verfügt über Beratungskompetenz bezüglich des Sturzrisikos und geeigneter Interventionen. Informationen und Beratung zum vorliegenden Sturzrisiko sowie über die möglichen Interventionen und ggf. Schulung zu den Interventionen haben für sturzgefährdete Personen einen hohen Stellenwert. Das Ziel ist dabei, die Selbstpflegefähigkeit zu erhalten oder zu erhöhen und eine selbstbestimmte Alltagskompetenz zu ermöglichen. Die Mobilität soll weitestgehend erhalten bleiben und gefördert werden, wobei auch hier individuelle Bedürfnisse der Patienten/Bewohner zu berücksichtigen und zu akzeptieren sind. Eine professionelle pflegerische Beratung unterstützt die Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit für gesundheitsbewusstes Handeln beim Patienten/Bewohner. Beratungskompetenz setzt bei Pflegefachkräften detailliertes Wissen zur Sturzprophylaxe und zur Gestaltung von Beratungsgesprächen und Schulungsmaßnahmen voraus. Grundsätzlich sollen Methoden der partizipatorischen Entscheidungsfindung angewendet werden, um die aktive Position des Patienten/Bewohners und seiner Angehörigen zu stärken. P2 Die Pflegefachkraft informiert den Patienten/Bewohner und ggf. seine Angehörigen über das festgestellte Sturzrisiko und bietet Beratung und Schulung zu den Interventionen an. Gemeinsam mit den Patienten/Bewohnern und den beteiligten Berufsgruppen werden von der Pflegefachkraft Informations-, Beratungs- und Schulungsangebote geplant und durchgeführt. Dies muss bereits mit Erkennen des Sturzrisikos begonnen und dann mit Kenntnis der spezifischen Situation und den Möglichkeiten der Beteiligten fortgesetzt bzw. intensiviert werden. Um dem Patienten/Bewohner eine Wahlmöglichkeit in Bezug auf mögliche Interventionen zu gewährleisten, werden Maßnahmen möglichst erst nach erfolgter Beratung und Absprache festgelegt. Bei Einbindung von Angehörigen in die Aktivitäten muss zuvor das Einverständnis des Patienten/Bewohners eingeholt werden. Erfahrungswerte aus der Praxis zeigen, dass Patienten/Bewohner mit erhöhtem Sturzrisiko häufig das Gespräch über dieses Risiko meiden, weil das Sturzrisiko mit der Angst vor Verlust der Selbstständigkeit verbunden wird. Dem muss im Alltagskontakt und in der Beratung unbedingt begegnet werden. Deshalb soll gleichzeitig mit der Information über ein erhöhtes Sturzrisiko auch die Aussicht auf eine mögliche Minimierung dieses Risikos dargelegt wer- 12 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) den, wenngleich die Interventionen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend feststehen. Die Beratung erfolgt in einer klaren, dem Sachverhalt angemessenen und dem Patienten/Bewohner verständlichen Sprache. Die Pflegefachkraft sollte sich zu Beginn der Beratung vergewissern, dass der Patient/Bewohner kognitiv in der Lage ist, dem Beratungsgespräch zu folgen. Zu einer Beratung gehören die sachliche und wahrheitsgemäße Darstellung von Vor- und Nachteilen präventiver Maßnahmen und deren Ziel sowie das Darlegen von möglichen Alternativen als auch die Aufklärung über mögliche Folgen ohne Durchführung einer Intervention. Der Patienten-/Bewohnerwillen muss auch dann respektiert werden, wenn die Entscheidung nicht der Vorstellung und Fachexpertise der Pflegefachkraft entspricht. Die Beratung soll Patienten/Bewohner und ihre Angehörigen in der Entscheidungsfindung unterstützen und ihnen helfen, die Option zu wählen, die geeignet erscheint, das Sturzrisiko zu senken, ohne dass lebenswichtige und lebenswerte Bereiche der persönlichen Freiheit und der Lebensgestaltung eingeschränkt werden. In der Literaturstudie (Kap. 3.4.3.1) werden weitere Beispiele zu den Anforderungen für die Information, Schulung und Beratung gegeben. Beratung innerhalb pflegerischer Settings ist niemals gänzlich abgeschlossen, sondern ist als Prozess zu verstehen, der im Verlauf der pflegerischen Versorgung als Angebot erhalten bleiben soll. In Absprache mit den Patienten/Bewohnern werden bei Bedarf die behandelnden Ärzte in die Sturzberatung eingebunden. E2 Der Patient/Bewohner und ggf. seine Angehörigen kennen die individuellen Sturzrisikofaktoren sowie geeignete Maßnahmen zur Sturzprophylaxe. Die Beratung ist dokumentiert. Der Patient/Bewohner und seine Angehörigen kennen die Auswirkungen der erhobenen Risikofaktoren und unterschiedliche Möglichkeiten sturzprophylaktischer Maßnahmen sowie deren Vor- und Nachteile. Alle mit dem Patienten/Bewohner getroffenen Absprachen werden nachvollziehbar dokumentiert und den weiterversorgenden Kollegen bekannt gegeben. Maßnahmen, die der Patient/Bewohner und seine Angehörigen ausdrücklich nicht wünschen, sind ebenfalls dokumentiert und werden an alle beteiligten Akteure weitergegeben. S3 Die Pflegefachkraft kennt geeignete Interventionen zur Vermeidung von Stürzen und zur Minimierung sturzbedingter Folgen. Die Pflegefachkraft muss in der Lage sein, dem individuellen Sturzrisiko des Patienten/Bewohners entsprechende Interventionen auszuwählen. Hierbei greift sie auf die aktuelle wissenschaftliche Literatur, ihre pflegerische Expertise sowie die Präferenzen des Patienten/ Bewohners zurück. Sie muss den Nutzen und eventuellen Schaden der Interventionen einschätzen und diese gegeneinander abwägen können. Einige der im Expertenstandard erwähnten Interventionen lassen sich als sogenannte „common sense“ (gesunder Men- 13 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) schenverstand) - Maßnahmen charakterisieren, die ohne großen Aufwand, oftmals allein unter Besinnung auf das pflegerische Selbstverständnis, durchgeführt werden können. Dazu gehört beispielsweise die Maßnahme, das Pflegebett auf eine Höhe einzustellen, die den selbstständigen Transfer aus dem Bett erleichtert, das Eliminieren von Stolperfallen, oder die Sorge für eine angemessene Beleuchtung. „Common sense“-Maßnahmen sind – wie die Benennung aussagt – so selbstverständlich, dass sie Gefahr laufen, nicht explizit als pflegerische Aufgabe erfasst, dokumentiert und beschrieben zu werden. In der Literaturstudie (Kap. 3.4.3) werden verschiedene Maßnahmen zur Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen einer kritischen Analyse unterzogen. In vielen Bereichen ist die vorliegende Datenbasis wenig belastbar, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass nachfolgende Studien zu anderen Ergebnissen kommen. Vor allem für den Nachweis einer Reduzierung sturzbedingter Frakturen fehlen ausreichend große, gut konzipierte Studien. Im Expertenstandard werden darüber hinaus Maßnahmen diskutiert, die nicht in den pflegerischen Kompetenzbereich gehören, wie die Anpassung der Medikation, oder solche, die auch von anderen Berufsgruppen durchgeführt werden, wie beispielsweise ein körperliches Training zur Sturzprophylaxe. Trotz eingeschränkter Beweiskraft vorliegender Studien werden im Folgenden zunächst Einzelinterventionen und danach multimodale Interventionen zur Vermeidung von Stürzen beschrieben. Einzelinterventionen Bei der nachfolgend beschriebenen Beurteilung der Einzelinterventionen soll darauf hingewiesen werden, dass die meisten Studien wirklich explizit nur die jeweilige Intervention beobachtet und beurteilt haben. Im pflegerischen Alltag werden jedoch meist, den Bedürfnissen der Patienten/Bewohner angepasst, verschiedene Interventionen gleichzeitig durchgeführt (ohne gleich den Kriterien definierter Programme, siehe unten, zu entsprechen). Deshalb muss dem bereits oben beschriebenen „Common Sense“ hier eine hohe Wichtigkeit zugemessen werden. Die ebenfalls als Einzelintervention zu betrachtenden Angebote zur Information, Schulung und Beratung wurden bereits in der Kommentierung zu Standardebene 2 beschrieben (S.12–13) und werden daher hier nicht nochmals aufgegriffen. Körperliches Training Körperliches multidimensionales Training, das mehrmals in der Woche über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird, zeigt bei zu Hause lebenden Älteren mit geringeren gesundheitlichen Problemen überwiegend positive Effekte. Multidimensional bedeutet, dass das Training aus verschiedenen Komponenten, z. B. Kraft-, Balance-, Ausdauer- oder Koordinationsübungen, besteht. Für gebrechliche bzw. stark pflegebedürftige Patienten/Bewohner sowohl im ambulanten, im Bereich der stationären Langzeitversorgung als auch im Krankenhaus kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass sich durch die Durchführung von körperlichem Training das Sturzrisiko erhöht. 14 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Anpassung der Wohnumgebung Zur Wohnraumanpassung als Einzelintervention liegen ausschließlich Studien aus dem ambulanten Bereich vor. Diese Studien geben Hinweise, dass Anpassungen der WohnraumUmgebung durch geschultes Fachpersonal bei zu Hause lebenden Älteren mit bekanntem Sturzrisiko dazu beitragen, Stürze zu verhindern. Anpassung der Medikation Trotz der Bedeutung verschiedener Medikamente als Faktoren, die das Sturzrisiko erhöhen, konnte bislang nur in wenigen Studien eine Sturzrisikoreduktion durch Medikamentenanpassung gezeigt werden. Auch wenn die Verordnung von Medikamenten nicht zum pflegerischen Verantwortungsbereich gehört, sollte die Pflegefachkraft die Wirkungen und Nebenwirkungen sturzrisikoerhöhender Medikamente beobachten, dokumentieren und sich im Bedarfsfall mit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin in Verbindung setzen. Visuskorrektur In der ersten Zeit nach Maßnahmen zur Visuskorrektur, zum Beispiel bei der Umstellung von Mehrstärken-Gleitsichtbrillen auf Brillen für die Fernsicht, kann es bei älteren, gebrechlichen Menschen zu einem erhöhten Sturz- und Verletzungsrisiko kommen. Bei sturzgefährdeten Patienten/Bewohnern sollte daher bei einer Brillenanpassung grundsätzlich, zumindest für die Zeit der Gewöhnung, erhöhte Aufmerksamkeit gelten. Niedrigbetten, Identifikationsarmbänder, Bettalarmsysteme Zur Nutzung dieser Hilfsmittel existiert jeweils nur eine Studie, die alle im Krankenhaus durchgeführt wurden. Für keine der drei Maßnahmen konnte eine Vermeidung von Stürzen gezeigt werden. Aufgrund der niedrigen Studienqualität und der geringen Anzahl an Studien lassen sich allerdings keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit die Anwendung dieser Hilfsmittel in bestimmten Situationen sinnvoll sein kann. Hüft- sowie weitere Protektoren Hüftprotektoren dienen nicht der Sturzvermeidung, sondern sollen hüftgelenksnahe Frakturen verhindern. Aspekte, wie zum Beispiel die Stärkung eines subjektiven Sicherheitsgefühls durch einen Hüftprotektor bei der Mobilisation, wurden in den zugrunde liegenden Studien der Literaturrecherche nicht berücksichtigt. Für zu Hause lebende Ältere konnte keine Reduktion des Frakturrisikos nachgewiesen werden. In der stationären Langzeitversorgung sind die Studienergebnisse uneinheitlich. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass Hüftprotektoren bei einem Sturz selbstverständlich immer den gleichen mechanischen Effekt haben, unabhängig davon, ob der Sturz in einem Pflegeheim, einem Krankenhaus oder zu Hause stattfindet. Die Unterschiede in der beobachteten Wirkung liegen möglicherweise in der Schwierigkeit begründet, diejenigen Personen zu identifizieren, die von einem Hüftprotektor profitieren. Ein protektiver Effekt bei Pflegeheimbewohnern mit hohem Frakturrisiko kann nicht ausgeschlossen werden. Es kann daher nach Einschätzung des individuellen Sturz- und Frakturrisikos eine Beratung zur Nutzung eines Hüftprotektor angezeigt sein. Die 15 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Pflegefachkraft sollte die Wirkweise verschiedener Protektortypen sowie deren Vor- und Nachteile kennen. Im Einzelfall, z. B. bei Personen mit sehr häufigen Stürzen bei gleichzeitigem starkem Bewegungsdrang, kann auch die Nutzung von Sturzhelmen oder anderer Protektoren, zum Beispiel für den Rücken, erwogen werden. Multimodale Interventionsprogramme Multimodale Programme beinhalten mehrere Einzelinterventionen in verschiedenen Kombinationen (Kap. 3.4.3.3). Hierbei werden multiple und multifaktorielle Interventionen unterschieden. Während bei den multiplen Programmen bei Feststellung eines Sturzrisikos feste Kombinationen von Einzelinterventionen angeboten werden, geht bei den multifaktoriellen Programmen eine Einschätzung des individuellen Sturzrisikos voraus. In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen multiplen und multifaktoriellen Interventionen oft schwierig. Möglich ist auch eine Kombination aus einer individuellen Sturzrisikoeinschätzung und dem Angebot eines feststehenden Programms. Notwendig ist in jedem Falle, die Maßnahmen mit dem Patienten/Bewohner gemeinsam auszuwählen und sie an seine Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasst durchzuführen. Multiple Interventionen Im Pflegeheimbereich konnte mit Kombinationen aus Information und Beratung der Bewohner, Hilfsmittel- und Umgebungsanpassung, körperlichem Training sowie dem Angebot von Hüftprotektoren eine Sturzreduktion gezeigt werden. Im häuslichen Bereich verweisen Studien mit multiplen Programmkomponenten – bei überwiegend geringer Beweiskraft der Arbeiten – in Richtung eines sturzpräventiven Effekts. Programmkomponenten waren hierbei in unterschiedlicher Kombination körperliches Training, Verhaltenstraining, Anpassung von Wohnraum und Schuhwerk bei Fußproblemen, Verbesserung der Sehfähigkeit sowie Information, Beratung und Schulung. Multifaktorielle Interventionen Im akuten sowie im subakuten Krankenhaussetting konnten durch multifaktorielle Interventionen sturzrisikosenkende Effekte beobachtet werden. Im häuslichen Bereich konnte bei Personen mit hohem Sturzrisiko und einer hohen Interventionsintensität in manchen Studien die Sturzrate gesenkt werden, jedoch sind die Ergebnisse uneinheitlich. Für den Pflegeheimbereich sind die Ergebnisse bezüglich einer Sturzreduktion sehr unterschiedlich. In Untersuchungen, bei denen mehrere Berufsgruppen in hoher Intensität mit ausreichenden (Personal-)Ressourcen sturzpräventive Maßnahmen umsetzten, scheint es Hinweise auf eine, wenn auch geringe, Sturzreduktion zu geben. Zu beachten ist, dass multifaktorielle Interventionen ohne eine sorgfältige Einführung sogar zu einer Erhöhung der Sturzhäufigkeit führen können. 16 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) P3 Die Pflegefachkraft entwickelt gemeinsam mit dem Patienten/Bewohner und seinen Angehörigen sowie den beteiligten Berufsgruppen einen individuellen Maßnahmenplan. Auf Basis der im Expertenstandard diskutierten Maßnahmen gilt es, unter Berücksichtigung der strukturellen Voraussetzungen des Pflegekontextes, unter Einbeziehung anderer in die Versorgung des Patienten/Bewohners involvierten Gruppen (z. B. Hausärzte, Physiotherapeuten, aber auch Angehörige) und vor allem unter Wahrung der individuellen Interessen des Patienten/Bewohners bzw. seiner Angehörigen einen Maßnahmenplan zu entwickeln. Dieser sollte neben der Planung geeigneter Interventionen auch die Einbeziehung von vorhandenen Ressourcen des Patienten/Bewohners und eine zeitliche Planung beschreiben. Die Präferenz des Patienten/Bewohners muss dabei handlungsleitend sein. Der Patient/Bewohner muss jederzeit das Recht behalten, sich gegen die angebotene Maßnahme entscheiden zu dürfen. Eine angemessene Information gefährdeter Personen bzw. ihrer Angehörigen über die Wirksamkeit verschiedener Interventionen hat jedoch zu erfolgen (siehe Standardebene 2). Für nicht einwilligungsfähige, demenziell beeinträchtige Patienten/Bewohner kann angenommen werden, dass Betreuer oder ggf. Bevollmächtigte, gegebenenfalls gemeinsam mit Pflegekräften bzw. Angehörigen, beurteilen können, ob eine Maßnahme von dem Patienten/Bewohner akzeptiert bzw. angenommen wird. Freiheitsentziehende Maßnahmen, das heißt die Benutzung mechanischer Hilfsmittel wie Gurte und Bettgitter, das Absperren von Türen, die Wegnahme von Fortbewegungsmitteln (Rollstuhl etc.) oder der Einsatz sedierender Medikamente, sind keinesfalls zum Zweck der Sturzprävention einzusetzen. Oberste Prämisse in der Pflege sturzgefährdeter Patienten/Bewohner müssen der Erhalt und die Förderung der sicheren Mobilität haben. Dennoch kann es sein, dass Patienten/Bewohner beispielsweise nach einem Bettgitter fragen und dieses selbst wünschen. Das Risiko, das mit dem Anbringen eines Bettgitters verbunden sein kann, muss gegen das Sicherheitsbedürfnis des Patienten/Bewohners abgewogen werden. Eine Möglichkeit besteht in der Verwendung eines Teilbettgitters am Kopfende des Bettes, das der Gefahr des Darübersteigens vorbeugt und das beim Transfer aus dem Bett Stabilität gewährleisten kann. E3 Ein individueller Maßnahmenplan zur Sturzprophylaxe liegt vor. Das Ziel dieser Expertenstandardebene ist erreicht, wenn ein mit dem Patienten/Bewohner abgestimmter Maßnahmenplan vorliegt. In dem Maßnahmenplan können sowohl spezifische Interventionen, wie z. B. das Angebot einer Umgebungsanpassung oder das Angebot, an einer Bewegungsgruppe teilzunehmen, verzeichnet sein, aber auch die sogenannten „common sense“- Maßnahmen aufgeführt werden, wie z. B. das Feststellen von Bremsen an Nachttischen und Rollstühlen, die adäquate Betthöhe, das Einschalten von Nachtlicht oder die Erreichbarkeit der Klingel. Diesen Maßnahmenplan gilt es in Absprache mit allen Beteiligten, das heißt auch den Vertretern anderer Berufsgruppen und den Angehörigen, umzusetzen 17 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) bzw. seine Umsetzung zu koordinieren, zu überprüfen sowie angemessen zu dokumentieren. S4a Die Einrichtung ermöglicht zielgruppenspezifische Interventionsangebote. Die Möglichkeit, zielgruppenspezifische Interventionsangebote durchzuführen, hängt nicht von der Pflegefachkraft allein ab, sondern erfordert die grundsätzliche Bereitschaft der Einrichtung, dieses zu realisieren. Dies bedeutet, dass entsprechende Maßnahmen oder Maßnahmenpakete nachhaltig ein- und durchgeführt werden. Die Einrichtung, und damit das Management, muss die Interventionsangebote nicht in jedem Falle selbst vorhalten, sondern kann diesbezüglich mit anderen Einrichtungen zusammenarbeiten. Es empfiehlt sich die Berücksichtigung spezifischer Merkmale der Patienten- bzw. Bewohnergruppen einer Einrichtung, um entsprechende Präventionsmaßnahmen auswählen zu können. Die verschiedenen Pflegesettings mit z. B. unterschiedlich langer Verweildauer der Patienten/Bewohner erfordern angepasste Präventionsmaßnahmen. Um Sturz- und Verletzungsprävention erfolgreich durchzuführen, sind die Besonderheiten der unterschiedlichen Pflegesettings beziehungsweise der dort betreuten Menschen zu beachten. Stationäre Altenhilfe Im Bereich der Stationären Altenhilfe steht nicht nur der Aspekt der bloßen Sturzvermeidung im Vordergrund. Die Mobilität der Bewohner und die damit verbundene Lebensqualität ist ein vorrangiges Ziel. Niedrige Sturzzahlen sind ohne den Bezug zum Umfang der Mobilität wertlos. Die in der Standardebene 3 beschriebenen Programme und Maßnahmen sind sicherlich auch dann als erfolgreich zu bezeichnen und durchzuführen, wenn die Zahl der Stürze nicht verringert wird, aber der Umfang der Mobilität der Bewohner steigt. Möchte eine Einrichtung ein multiples Interventionsprogramm für seine Bewohner anbieten, können beispielsweise Übungsprogramme durch geschulte Trainer angeboten werden. Dies können externe Kräfte, aber auch weitergebildete Pflegefachkräfte oder Therapeuten der Einrichtung sein, die über die entsprechenden Kompetenzen verfügen. Für die Umsetzung weiterer Maßnahmen wie die Schulung der Mitarbeiter oder die Umgebungsanpassung sollten zusätzliche Ressourcen finanzieller und/oder personeller Art bereitgestellt werden. Krankenhäuser In den Krankenhäusern mit meist kurzen Verweildauern kann die Dauer des Sturzrisikos bei verschiedenen zugrunde liegenden Einflussfaktoren unterschiedlich sein. So mag bei einem 18 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) einmaligen Narkose- oder Schlafmittelgebrauch die kurzfristige Begleitung beim Toilettengang ausreichend sein. Risiken, wie die akute Verwirrtheit (Delir) oder Schlafstörungen, sollten frühzeitig erkannt und behandelt werden. Bei Patienten mit bekannten und länger andauernden Sturzrisikofaktoren sollten im Rahmen der Entlassungsplanung die weiterbetreuenden Gruppen (Angehörige, Hausarzt, ambulanter Pflegedienst, Pflegeheim) informiert werden. Hilfreich ist insbesondere die Einbeziehung von Beratungsstellen zur Wohnraumanpassung. Häuslicher Bereich Im Bereich der Häuslichen Pflege finden sich Merkmale sowohl des akutstationären wie auch des Langzeitpflegebereichs wieder. Einerseits werden immer mehr ältere Patienten langfristig zu Hause versorgt, andererseits werden auch viele Krankenhauspatienten, zum Beispiel nach Operationen, früh nach Hause entlassen und durch ambulante Pflegedienste weiter versorgt. Bei diesen findet sich häufig ein rascher Wechsel des Sturzrisikos. Die Beratung zur Modifikation wohnraumbedingter Sturzgefahren nimmt im häuslichen Bereich eine größere Rolle ein, wobei auch die konkrete Umsetzbarkeit der Veränderungen besprochen werden sollte. Entscheidungen über Umgebungsveränderungen im häuslichen Bereich bleiben allerdings alleinige Sache der Patienten und ihrer Angehörigen. Hier könnte von der Pflegefachkraft zum Beispiel Unterstützung bei der Kontaktaufnahme zu einer Wohnberatungsstelle oder zu einem Pflegestützpunkt geleistet sowie mit dem Hausarzt über mögliche Maßnahmen gesprochen werden. Darüber hinaus kommt der Koordination der verschiedenen Akteure, beispielsweise Pflegedienst, Patienten und Angehörigen, Hausärzten, Therapeuten, Podologen sowie Beratungsstellen, eine große Bedeutung zu. Die Einrichtung gewährleistet geeignete räumliche und technische Voraussetzungen sowie Hilfsmittel für eine sichere Mobilität. Ungünstige Umgebungsbedingungen zählen zu den Faktoren, die zu Unsicherheit und damit zu Sturzereignissen älterer Menschen beitragen können. Insbesondere eine ungewohnte Umgebung und das Neu-Auftreten von Funktionseinbußen können die Umgebungsbedingungen zu einem Risikofaktor machen. Die Einrichtung muss gewährleisten, dass ihre Umgebung für den Patienten/Bewohner keine Gefahr darstellt. Nützliche Hinweise sind auch in den DIN-Normen 18024 und 18025 zu finden, in denen Empfehlungen zum barrierefreien Bauen und für barrierefreies Wohnen gegeben werden. Besteht für einzelne Patienten/Bewohner durch ihre Umgebung eine Sturzgefahr, muss diese von der Einrichtung beseitigt werden. Dazu gehören technische Voraussetzungen (wie zum Beispiel Erreichbarkeit der Lichtschalter und Qualität des Lichts, Bremsen an Nachttischen, Betten, WC-Stühlen, Badewannenlift), räumliche Voraussetzungen (wie z. B. 19 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Handläufe, Größe des Zimmers, Beschaffenheit des Fußbodens) sowie Qualität und Verfügbarkeit von Hilfsmitteln (wie z. B. Gehwagen, Gehstock, Rollstuhl). Die Einrichtung sollte zudem regelmäßige Sicherheitskontrollen ihrer Umgebung und der zur Verfügung gestellten Hilfsmittel durchführen. Die Finanzierung der oben genannten Hilfsmittel für eine sichere Mobilität ist vor allem im stationären Altenhilfebereich sozialrechtlich oft strittig. Trotzdem ist die Praxis ständig damit befasst. Unabhängig von diesen juristischen Fragestellungen gehört aber die Möglichkeit einer guten Beratung (vgl. Standard-Ebene 2) der Patienten/Bewohner zu den Voraussetzungen für eine sichere Mobilität. Die Mittel hierzu, zum Beispiel Hüftprotektoren unterschiedlicher Hersteller, sollte eine Einrichtung zur Ansicht zur Verfügung haben. Da die Umgebungsbedingungen bei verminderten körperlichen Fähigkeiten eine bedeutsame Rolle für die Mobilität darstellen, bildet das Schaffen einer sicheren Umgebung einen wichtigen Teil der pflegerischen Verantwortung. Umgebungsanpassung besteht aus mehreren Komponenten: Identifizierung sturzrelevanter Gefahrenquellen der individuellen Umgebung sowie Information und Beratung der betroffenen Patienten/Bewohner und daraus resultierenden Anpassungsmaßnahmen. Für die ambulante Pflege kann hier nicht von „gewährleisten“ gesprochen werden, sondern lediglich von „empfehlen“. Die Pflegefachkraft in der ambulanten Pflege muss den Patienten über mögliche Sturzrisiken in seiner Umgebung informieren und möglicherweise mit seinem Einverständnis Änderungen herbeiführen. Die Pflegekräfte informieren die Patienten/Angehörigen über die Wirksamkeit einer Umgebungsanpassung durch professionell geschulte Fachkräfte, z. B. durch Wohnberatungsstellen. S4b Die Pflegefachkraft ist zur Koordination der Interventionen autorisiert. Um Sturzpräventionsmaßnahmen, die Bestandteil des pflegerischen Leistungsprofils sind, durchführen beziehungsweise initiieren zu können, ist in den verschiedenen Einrichtungen eine Festlegung notwendig, dass die Pflegefachkraft für die Koordination der entsprechenden Interventionen zuständig ist. Für die ambulante Pflege ergibt sich eine Autorisierung aus dem Auftrag des Patienten. P4 Die Pflegefachkraft gewährleistet in Absprache mit den beteiligten Berufsgruppen und dem Patienten/Bewohner gezielte Interventionen auf der Grundlage des Maßnahmenplans. Die Pflegefachkraft ist neben der Planung auch für die Koordination der geplanten Interventionen zur Sturzprävention verantwortlich. In der Praxis bedeutet dies enge Absprachen mit allen beteiligten Berufsgruppen, um eine schnelle Umsetzung der unterschiedlichen Interven- 20 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) tionen zu gewährleisten. Bezüglich der Kostenübernahme von Hilfsmitteln sollte frühzeitig Kontakt mit den Kostenträgern aufgenommen werden. Die Pflegefachkraft sorgt für eine individuelle Umgebungsanpassung sowie für den Einsatz geeigneter Hilfsmittel zur Sturzprophylaxe. Die Pflegefachkraft ist in der Lage, individuelle Gefahrenquellen in der Umgebung zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten, die dem Patienten/Bewohner eine sichere Mobilität ermöglichen. Eine Umgebungsanpassung muss individuell die unterschiedlichen Einschränkungen der Patienten/Bewohner berücksichtigen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass gerade scheinbar selbstverständliche Maßnahmen nicht vernachlässigt werden, wie z. B. die Erreichbarkeit der Klingel, die Betthöhe, die Erleichterung des Aufstehens z. B. durch einen Stuhl, der neben dem Bett steht, die Anpassung der Lichtverhältnisse und die Beseitigung von Stolperfallen wie Kabeln oder schlecht erkennbaren Schwellen. Zur Koordinationsverantwortung der Pflegefachkraft gehört auch, die entsprechenden Stellen über erkannte Defizite in der Umgebung zu informieren und auf Abhilfe zu dringen. Die Pflegefachkraft bezieht den Patienten/Bewohner sowie dessen Angehörige in den Prozess der Umgebungsgestaltung aktiv ein. Dabei sollten die Betroffenen über Stolperfallen und andere sturzrelevante Umgebungsfaktoren informiert und unter Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse auf Veränderungen hingewirkt werden, damit nicht wider den Willen der Betroffenen umgestaltet wird. E4 Interventionen, Hilfsmittel und Umgebung sind dem individuellen Sturzrisiko des Patienten/Bewohners angepasst und fördern eine sichere Mobilität. Das Ziel dieser Expertenstandardebene ist erreicht, wenn die geplanten Maßnahmen angeboten bzw. umgesetzt worden sind. Dies ist entsprechend in der Dokumentation festzuhalten. Übergeordnetes Ziel sollte die verbesserte und zugleich sichere Mobilität des Patienten/Bewohners sein. S5 Die Einrichtung stellt sicher, dass alle an der Versorgung des Patienten/Bewohners Beteiligten über das vorliegende Sturzrisiko informiert werden. Ein Sturzrisiko für den Patienten/Bewohner besteht nahezu permanent. Daher sind auch außerhalb des eigentlichen Pflege- und Wohnbereichs, etwa bei Aktivitäten im Rahmen des Beschäftigungsangebots (z. B. Musikgruppe) oder bei Veranstaltungen, aber auch bei der Mit- oder Weiterversorgung in Arztpraxen oder im Krankenhaus in den Bereichen Diagnostik und Therapie, Informationen zum bestehenden Sturzrisiko und zur Risikominimierung (Prophylaxe) weiterzugeben. Bei der Information zum bestehenden Sturzrisiko müssen die 21 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) zugrunde liegenden Sturzrisikofaktoren genannt werden. Es ist Aufgabe des Managements, eine Verfahrensanweisung für die Organisation zu erstellen, mit der festgehalten wird, wer welche Berufsgruppe in welcher Form informiert, und dabei auf die Wichtigkeit der Beteiligung aller Berufsgruppen hinzuweisen, da sich die Vermeidung von Stürzen als eine interdisziplinäre Aufgabe darstellt. P5 Die Pflegefachkraft informiert die an der Versorgung beteiligten Berufs- und Personengruppen über das Sturzrisiko des Patienten/Bewohners und gibt Hinweise zum situativ angemessenen Umgang mit diesem. In der praktischen Umsetzung dieser Expertenstandardebene geht es darum, ein Kommunikationssystem zu entwickeln, um den Informationsfluss sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation zu etablieren. Bereits gegebene Informationsstrukturen (KrankenhausInformationssysteme) dienen dabei als Grundlage. Hier sind alle Beteiligten inklusive des Managements gefordert. Der Pflegefachkraft kommt hier die Rolle der Vermittlung zu. Für den Krankenhausbereich bedeutet das eine Informationsweitergabe an die Bereiche der Diagnostik und Therapie und des Patiententransportdienstes, sowie an weitere beteiligte Akteure (z. B. Physiotherapeuten, Service- und Reinigungskräfte, Ehrenamtliche), die direkten Kontakt mit dem betreffenden Patienten/Bewohner haben. Es könnte zum Beispiel auf Anforderungsscheinen oder im Krankenhausinformationssystem (KIS) der Hinweis erscheinen, dass der Patient zur Toilette begleitet werden muss, da er sturzgefährdet ist. Insbesondere beim Wechsel des Settings, wenn der Patient/Bewohner nach Hause entlassen und vom ambulanten Pflegedienst weiter versorgt wird, oder wenn eine Verlegung in eine andere Versorgungseinrichtung (anderes Krankenhaus, Pflegeeinrichtung, Reha etc.) vorgenommen wird, muss das Sturzrisiko mit den geeigneten prophylaktischen sowie ggf. den zu unterlassenden Maßnahmen im Pflegebericht dokumentiert werden (vgl. Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege). E5 Den an der Versorgung beteiligten Berufs- und Personengruppen sind das individuelle Sturzrisiko und die jeweils notwendigen Maßnahmen zur Sturzprophylaxe bekannt. In der Regel muss, insbesondere bei kurzfristigen Ortswechseln innerhalb einer Einrichtung, nicht der gesamte Maßnahmenplan vermittelt werden, sondern nur eine sinnvolle Auswahl an Interventionen, die für die entsprechende Situation relevant erscheint. Je nach Bedarf kann diese Informationsweitergabe mündlich, schriftlich oder auch persönlich mit einer kurzen Einweisung erfolgen. Im Falle einer Verlegung/Entlassung ist im Pflegebrief auf das Sturzrisiko und die eingeleiteten prophylaktischen Maßnahmen hinzuweisen. Eine Weiterga- 22 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) be dieser patientenbezogenen Informationen, wie im Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege gefordert, ist gewährleistet. S6a Die Pflegefachkraft ist zur individuellen Sturzerfassung und -analyse befähigt. Alle Stürze – auch wenn sie ohne physische Verletzung einhergehen – stellen ernsthafte, die Integrität der Betroffenen bedrohende Ereignisse dar. Um in solchen Situationen adäquat reagieren zu können, ist eine Untersuchung der individuellen Umstände des Sturzes durch die verantwortliche Pflegefachkraft notwendig. Diese Einzelfallanalyse ist von der Einrichtung durch die Verwendung geeigneter Erfassungsmethoden – z. B. in Form eines strukturierten Sturzprotokolls – zu unterstützen. Um das jeweilige Sturzereignis beurteilen zu können, müssen Pflegefachkräfte die bedeutenden Sturzrisikofaktoren (siehe Standardebene 1) und entsprechende Interventionen (siehe Ebenen 3 und 4) kennen, eine entsprechende Aus- und Fortbildung ist hierfür unerlässlich. Die Pflegefachkräfte müssen zudem wissen, wie sie bei Bedarf weitere Ressourcen der Einrichtung nutzen können, z. B. durch das Hinzuziehen anderer beteiligter Berufsgruppen, um angemessen auf die Situation reagieren zu können (siehe Ebenen 4 und 5). S6b Die Einrichtung stellt Ressourcen zur Auswertung und Analyse von Stürzen zur Verfügung Die Auswertung des Sturzgeschehens auf Ebene der gesamten Einrichtung, also die Erfassung von Häufigkeit, Umständen und Folgen aller Stürze in der Einrichtung, ist erforderlich, um langfristig Auswirkungen von Maßnahmen zur Sturzprophylaxe bewerten zu können. Die auf diese Weise erhobenen Daten werden anschließend für das interne Qualitätsmanagement (z. B. zur statistischen Prozesskontrolle) genutzt. Das Management sorgt dafür, dass pro Pflegeeinheit (z. B. Wohnbereich oder Station) sowie einrichtungsübergreifend eine systematische Sturzerfassung stattfindet und die Daten den Pflegeeinheiten analytisch aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. P6 Die Pflegefachkraft dokumentiert und analysiert jeden Sturz - gegebenenfalls mit anderen an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen. Nach jedem Sturzereignis sind aus professioneller Sicht zwei wesentliche Fragen zu beantworten: „Warum ist der Bewohner/Patient gestürzt?“ und: „Was kann getan werden, um einen weiteren Sturz respektive eine Sturzverletzung zu vermeiden?“. Um Stürze möglichst einfach zu erfassen, muss sowohl definiert sein, was als Sturz gilt, als auch, wie der Ablauf der Sturzerfassung in der betreffenden Einrichtung organisiert ist. Stürze werden entweder mit speziellen Erfassungsbögen wie Sturzereignisprotokollen oder auf 23 Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) so genannten „Zwischenfallmeldebögen“, die Fragen zu einem Sturzereignis enthalten, erfasst. Mit dem Sturzereignisprotokoll werden demografische Angaben zur betroffenen Person und Angaben zur Einrichtung, Datum, Zeit, Ort und Umstände des Sturzes sowie das gesundheitliche Befinden und die Aktivität des Patienten/Bewohners vor einem Sturz festgehalten. Infolge eines Sturzereignisses wird die Pflegefachkraft, evtl. gemeinsam mit anderen beteiligten Berufsgruppen, auch bereits zuvor ergriffene Interventionen hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit überprüfen und ggf. anpassen. E6a Jeder Sturz ist dokumentiert und analysiert. Die Dokumentation umfasst die schriftliche Darstellung des Sturzereignisses bzw. den Verweis auf ein Sturzprotokoll im Pflegebericht und die ergriffenen Interventionen beispielsweise in der Pflegeplanung. Dazu gehört in der Regel auch eine Meldung an den behandelnden oder diensthabenden Arzt. Auf Grundlage einer von der Einrichtung geregelten Sturzerfassung (z. B. durch eine Verfahrensregelung) werden die einschlägigen Dokumente (Sturzereignisprotokoll, Zwischenfallmeldebogen) in den Akten des Patienten/Bewohners abgelegt. Die Erfassung der Sturzhäufigkeiten für das Qualitätsmanagement erfolgt in der Regel in einer separaten Sammlung. E6b In der Einrichtung liegen Zahlen zu Häufigkeit, Umständen und Folgen von Stürzen vor. Mit einer systematischen und zuverlässig durchgeführten Sturzerfassung und der entsprechenden Aufarbeitung der Daten erhält eine Einrichtung ein realistisches Bild vom Ausmaß der Sturzproblematik, das für das interne Qualitätsmanagement verwendet werden kann. Voraussetzung dafür ist eine einheitliche Erfassung von Stürzen, eine exakte Operationalisierung von Zähler (z. B. Bewohnertage), Nenner (z. B. Stürze mit Verletzungen) und der Sturzkennzahl (Anzahl der Stürze pro 1.000 Bewohnertagen) sowie die genaue Beschreibung der Patienten bzw. Bewohnerstruktur, um eine entsprechende Vergleichbarkeit sicherzustellen. Ein Beispiel eines etablierten Sturzindikators zur Erfassung und Berichterstattung von Stürzen liefert das National Quality Forum in den USA3. Es ist zudem empfehlenswert, einen regelmäßigen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zur Planung und Evaluation des einrichtungsspezifischen bzw. der Bewohner-/Patientenstruktur angemessenen Konzepts zur Sturzprophylaxe durchzuführen. 3 http://www.qualityforum.org/QPS/0141 24