Der Sturz als Zeichen des Gebrechlichkeits-Syndroms

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Der Sturz als Zeichen des Gebrechlichkeits-Syndroms
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
Der Sturz als Zeichen des
Gebrechlichkeits-Syndroms
Martin Runge, Esslingen
Wir gehen mühelos, sicher und ohne Anstrengung, solange wir gesund
und jung genug sind. Unter normalen Umgebungsbedingungen und bei
alltagsüblichen Aufgaben erfordert das Gehen keine besondere Aufmerksamkeit. Wenn wir uns jedoch bei solchen „Standardbedingungen“
darauf konzentrieren müssen, nicht zu stolpern oder gar hinzufallen, ist
dies ein Zeichen, dass das lokomotorische System gestört ist. Diese
Situation tritt mit zunehmendem Alter immer häufiger auf und ist eine
diagnostische und therapeutische Herausforderung.
in Sturz in gewohnter Umgebung
und bei einer alltagsüblichen Tätigkeit weist auf eine Störung in
dem komplexen System hin, das die dynamische Stabilität unseres Körpers im
Einbeinstand kontrolliert (= posturales
System). Wenn wir das Thema auf einen
entscheidenden Augenblick des Gangzyklus fokussieren, reden wir von dem
Moment, in dem beim 2-beinigen
menschlichen Gang 80% des Körpergewichtes auf ein Bein verlagert werden
und in dem das neuromuskuläre System
Schwerkraft und Fliehkraft (Massenträgheit) des sich bewegenden Körpers
innerhalb von Millisekunden kontrollieren muss, um den Massenschwerpunkt
über die Unterstützungsfläche zu bringen. Dieser normalerweise mühelose,
vollständig automatisierte Vorgang führt
bei mehr als einem Drittel der über 60Jährigen mindestens einmal pro Jahr zur
einem Sturz.
Eine Zuspitzung der Anforderungen
stellt das Stolpern dar: wir bleiben mit
einem Fuß hängen, die Massenträgheit
trägt den Körperschwerpunkt über die
Unterstützungsfläche hinaus und es
kommt zu den 100-200 Millisekunden
der Wahrheit. Wer jetzt nicht schnell
und exakt genug genügend Muskelleistung auf einem Bein generieren kann,
kommt zu Fall. Eine einfache Aufgabe
kann diesen „Moment der lokomotori-
skeletale System dar, entscheidend für
Verschleiß und Energieverbrauch bei der
Lokomotion.
Altersassoziierte Stürze sind ein medizinisch relevantes Ereignis mit hoher Signalwirkung. 80% von ihnen geschehen
in gewohnter Umgebung bei alltagsüblichen Aktivitäten und sind ein Zeichen
dafür, dass die neuromuskuläre Kompetenz eine kritische Grenze unterschritten
hat. Sie sind Indikator eines erhöhten
schen Wahrheit“ simulieren: das Hüpfen Risikos für Immobilität und Pflegebeauf einem Bein, erschwerend mit leicht dürftigkeit und Symptom des Frailtynach vorn geneigtem Oberkörper. Wer bzw. Gebrechlichkeitssyndroms [16, 17,
fühlen will, auf welche Muskelgruppe es 19, 20]. Stürze kennzeichnen und verdabei vor allem anursachen eine Entwickkommt, fasse sich bei Altersassoziierte Stürze lung, die über Verletdiesem Manöver an den
zungen,
Frakturen,
sind ein medizinisch
Gesäßmuskel der StandSturzangst
und
verrinrelevantes Ereignis mit
oder besser Sprunggerte körperliche Aktihoher Signalwirkung
beinseite. Es ist vor alvität letztlich den Verlem die Glutaelmuskulust der funktionellen
latur, die uns befähigt, das dabei entste- Selbständigkeit beschleunigt. Sie sind
hende Drehmoment des Oberkörpers zu gekennzeichnet durch eine seitliche
kontrollieren. Der beschriebene Vorgang Sturzrichtung mit Aufprall im Trostellt die häufigste und höchste habi- chanterbereich und durch eine hohe Ratuelle Krafteinleitung in das muskulo- te schwerwiegender Frakturen und anderer Verletzungen (Tab. 1). Mehr als
90% der Frakturen von Femur, Humerus, Becken und Radius entstehen durch
einen Sturz [16, 17, 19, 20]. Eine Reduktion der Altersstürze bedeutet deshalb
eine Reduktion von Frakturen und der
damit verbundenen persönlichen und
gesellschaftlichen Belastungen.
Altersassoziierte Stürze müssen entsprechend ihrer unterschiedlichen Pathogenese differenziert werden (Tab. 2).
Die nicht-synkopalen = lokomotorischen
Stürze ohne wesentliche äußere Verur-
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Foto: DSH
E
Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit
Frailty-Syndrom gehört zu den Kernaufgaben des ambulanten Gesundheitssystems.
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Die pathogenetische Wurzel der Altersstürze ist als kombinierte Folge von
drei interagierenden Entwicklungslinien
@ Jährliche Sturzquote bei Personen 65 Jahre und älter ca. 30%
zu betrachten:
Sturzquote
>
80
Jahre
und
bei
Pflegeheimbewohnern
>
50%
@
@ physiologische Alterungsprozesse
5%
@ Frakturen insgesamt nach Sturz
@ Multimorbidität und ihre funktionel1%
@ prox. Femurfrakturen nach Sturz
len Folgen
Sturzangst, freiwillige
@ psycholog. Sturzfolgen
@ dekonditionierender Lebensstil.
Beschränkung körperKommt zum Sturzrisiko eine Osteopolicher Aktivität
rose hinzu, steigt das Frakturrisiko steil
> 90%
an. Sturzrisiko und Osteoporose haben
@ prox. Femurfrakturen, prox. Humerusfrakturen
sturzbedingt
im altersassoziierten Muskelabbau eine
gemeinsame Wurzel (Sarkopenie [21]).
Folgen
von
prox.
Femurfrakturen
plus-Mortalität
20%
@
plus-PflegeheimDie multifaktorielle pathogenetische
aufnahme 20%
Entwicklung, die über Muskelabbau, verminderte Mobilität, Stürze und Frakturen letztlich zu einem hohen Risiko von
Tab. 2: Differenzierung altersassoziierter Stürze [3, 4]
Hospitalisierung, Immobilität und Pflegebedürftigkeit führt, wird in der interSynkopale
Stürze
(nicht-lokomotorische
Stürze,
max.
10%):
@
nationalen Forschung „frailty syndroFolge eines Bewusstseinsverlustes oder einer anderen anfallsweisen Bewusstseinsstörung, z.B. eines systemischen Schwindels
me“ genannt (frail (engl.) = gebrechlich,
hinfällig (Tab. 3)). Die deutsche BeExtrinsische
Stürze
(=
Unfall
=
von
außen
ausgelöst,
max
10%):
@
zeichnung „Gebrechlichkeitssyndrom“
überwältigende Kraft von außen oder außergewöhnliche äußere Umstände
(z.B. glatter Boden) führen zu einer so starken Verlagerung des Körperschwerhat sich noch nicht genügend durchgepunktes, dass auch ein Mensch mit normaler Haltungskontrolle hinfällt.
setzt.
Altersstürze sind ein ideales Paradigma,
@ Intrinsische lokomotorische Stürze (80%):
ausgelöst von Faktoren, die im Stürzenden selbst liegen, bei üblichen Alltagsum im Gegensatz zu einliniger nosoloaktivitäten und in gewohnter Umgebung ohne akute Veränderung des
gischer Betrachtungsweise die kompleBewusstseins und ohne gravierende Krafteinwirkung oder Schwerpunktverlaxen Interaktionen des Alterungsprozesgerung von außen.
ses zu erkennen. Sie sind multifaktoriell
verursacht, d.h. für einen Sturz finden
sachung sind nicht Folge einer einzel- kulären Befunde in den altersbezogenen sich regelhaft mehrere Ursachen aus vernen Erkrankung, sondern Resultat eines Gesamtrahmen eingeordnet werden. Das schiedenen Organsystemen, die sich
altersassoziierten Abbaus von Muskeln neuromuskuläre System spiegelt in be- gegenseitig verstärken (Prinzip der Akund neuromuskulärer Kompetenz (Sar- sonders leicht zugänglicher Weise auf kumulation und Interaktion). Der Sturzkopenie, Frailty-Syndrom). Zur Erinne- Grund zahlloser Wechselwirkungen den patient hat ein jeweils individuelles Bünrung: Stolpern bei Alltagsaktivitäten ist Zustand anderer Organsysteme oder del von Faktoren, die in aktuell wechfür neuromuskulär fitte Menschen kein Funktionskreise wider. Kardiopulmo- selnder Kombination seine erhöhte
adäquater Sturzanlass. Dabei gibt es im- nale, vaskuläre, metabolische, renale und Sturzneigung verursachen. Je mehr diemer eine Wechselwirkung zwischen der natürlich neuronale Erser Risikofaktoren ein
aktuellen neuromuskulären Kapazität krankungen und nicht- Altersassoziierte Stürze einzelner Mensch aufmüssen entsprechend
und den extrinsischen Herausforderun- nosologische Verändezuweisen hat, desto grögen. Es ist im Einzelfall zu differenzie- rungen führen in einer
ihrer unterschiedlichen ßer ist seine Sturzgefahr
ren, ob die Sturzsituation ausreichend gemeinsamen pathoge(Tab. 4). Die SturzrisiPathogenese
ist, um bei einem neuromuskulär intak- netischen Endstrecke zu
kofaktoren ermöglichen
differenziert werden
ten Menschen zu einem Sturz zu führen. lokomotorisch sichtbaeine RisikostratifizieDabei gibt es fließende Übergänge und ren Defiziten und sind
rung und repräsentieren
multiple Interaktionen. Diagnostische dadurch an lokomotorischen Leistun- gleichzeitig Therapieziele. Ihre quantifiAufgabe ist die Antwort, ob dieser Sturz gen erkennbar und vor allem quantifi- zierende Messung durch geeignete Testein Hinweis auf ein neuromuskuläres zierbar. Wie kein anderer Messwert spie- verfahren ermöglicht eine rationale PlaDefizit ist, das über das physiologische gelt die frei gewählte Gehgeschwindig- nung und Verlaufskontrolle der SturzAltersmaß oder das hier erreichbare in- keit den Gesamtzustand eines älteren prävention. Dabei genügt es nicht, die
dividuelle Optimum hinausgeht.
Menschen wider, hat die geriatrische For- Patienten in klassischer Weise über eine
Um diese Situation diagnostisch rich- schung und Praxis in den letzten Jahren Einzelkrankheit zu charakterisieren. Dietig einzuordnen, sollten die neuromus- immer wieder bestätigt gefunden.
ser nosologische Zugang muss ergänzt
Tab. 1: Fakten zu Altersstürzen und Sturzfolgen [1-7]
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werden durch eine quantifizierende, standardisierte Funktionsdiagnostik (lokomotorisches Assessment).
Therapeutische Konsequenzen aus
dem Sturzrisikoassessment
Aus der multifaktoriellen Pathogenese
von Stürzen ergibt sich die Notwendigkeit von multifaktoriellen Interventionen, mit denen es mehrfach gelungen ist,
die Sturzhäufigkeit signifikant zu senken [3, 28]. Dabei sind die Ergebnisse
des lokomotorischen Assessments wegleitend für Planung, Durchführung und
Evaluierung der Therapie.
Altersassoziierte neuromuskuläre Defizite können mit einem geeigneten Bewegungsprogramm gezielt verbessert oder
in ihrer Entwicklung gebremst werden
[22]. Dabei ist Muskelaufbau durch
Krafttraining wirksam zum Erhalt von
Knochenfestigkeit, wohingegen das Training von Muskelleistung und Balance
entscheidend zur Sturzreduktion ist. Die
Differenzierung von Muskelkraft und
Muskelleistung (= Kraft mal Geschwindigkeit) ist wesentlich für Diagnostik,
Therapieplanung und -evaluation [2, 7,
29].
Da motorisches Lernen hochspezifisch
ist, müssen exakt die motorischen und
posturalen Situationen und Komponenten geübt werden, die pathogenetisch beim Alterssturz die entscheidende Rolle spielen (Tab. 4).
Der typische seitliche Sturzmechanismus mit Aufprall auf den großen Trochanter ermöglicht auch protektive Maßnahmen, um die eingeleiteten Kräfte zu
reduzieren. Der dänische Unfallchirurg
Lauritzen hat den ersten wissenschaftlich
überprüften Hüftprotektor entwickelt
(Safehip [13]).
Die medikamentösen Möglichkeiten
gegen Sturzgefahr bestehen zuerst im
Minimieren von sturzfördernden Medikamenten (Neuroleptika, Benzodiazepine, Antidepressiva und wohl auch Opiate). Deren aktuelle Indikation muss im
Fall eines Sturzes überprüft werden, ihre Dosierung und Verteilung über den
Tag möglichst optimiert werden. Die
Multimedikation als solche ist als Indikator für Multimorbidität erst einmal
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Tab. 3: Kriterien des Gebrechlichkeitssysndroms nach Fried et. al. [8]
@ Muskelschwäche (z.B. veringerte Handgriffstärke)
@ reduzierte habituelle Gehgeschwindigkeit
@ Erschöpfung (subjektiver Bericht)
@ reduzierte körperliche Aktivität
@ unfreiwillier Gewichtsverlust
Eigener Definitionsversuch: altersgekoppelter Abbauprozess mehrerer Organsysteme mit erhöhter Vulnerabilität durch Reduktion physiologischer Reserven mit
messbar erhöhter Wahrscheinlichkeit altersassoziierter gesundheitlicher Negativereignisse (erhöhte Morbidität und Mortalität, erhöhtes Risiko von Stürzen,
Immobilisation, Hospitalisation und anhaltender Pflegebedürftigkeit, precursor
of disability).
Tab. 4: Unabhängige Sturzrisikofaktoren
Patienten mit erhöhter Sturzgefahr sind an folgenden Risikofaktoren zu erkennen, die sich in prospektiven Untersuchungen als unabhängig sturzkorreliert
erwiesen haben [9-18]:
@ Verminderte Muskelleistung der unteren Extremitäten (Aufstehtest*)
@ gestörte Balance zur Seite (Tandemstand, Tandemgang*)
@ Visusminderung
@ Multimedikation (4 oder mehr Medikamente)
@ Einnahme bestimmter Medikamentengruppen
(Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Antikonvulsiva)
@ kognitive Störungen (Dementielle Entwicklungen)
@ verminderte Nierenleistung
(Kreatinin-Clearance unter 65 ml/ Min nach Cockroft-Gault)
* Standardisierte Durchführungsbestimmungen können beim Autor per Email angefordert
werden (mrunge@udfm.de, www.Dienste-fuer-Menschen.de). Wir bieten im Fortbildungszentrum der Aerpah-Klinik Schulungen und Hospitation zum Erlernen des Sturzrisikos und
Bewegungsprogrammen zur Sturzprävention an.
ein nicht-kausaler Indikator von erhöhtem Sturzrisiko (Tab. 4).
Frakturvermeidung ist ein vordringliches Ziel bei der Behandlung des Sturzsyndroms. Dazu ist ein multifaktorieller
Ansatz sinnvoll, der u.a. Knochenfestigkeit und Sturzneigung ins Visier nimmt.
Die Verbesserung der Knochenfestigkeit
mit einer leitliniengerechten Osteoporosemedikation bietet die Chance, über
eine Verbesserung der Knochenfestigkeit
Frakturen zu reduzieren.
Bisher verfügen wir über einen medikamentösen Ansatz, um das Sturzrisiko
zu mindern, nämlich Alfacalcidol als Vitamin D-Prohormon. Die deutschen
Osteologie-Leitlinien (www.dv-osteologie.de) betonen die Bedeutung der Sturzprävention und führen Alfacalcidol als
Mittel auf, das sowohl die Knochenfestigkeit verbessern als auch die Sturzrate
senken kann. Von den D-Hormonen
bzw. Alfacalcidol als Pro-Hormon ist
nachgewiesen, zusätzlich zur Verbesserung der Knochenfestigkeit die neuromuskulären Funktionen zu verbessern
und dadurch das Sturzrisiko zu senken,
und zwar bei Patienten mit normalem Vitamin-D-Spiegel [9, 23].
Dass Defizite im Vitamin-D-Stoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten
führen, ist gut bekannt, wird aber noch
zu selten praktisch berücksichtigt. Vitamin-D wird in zwei Hydroxylierungsschritten zum aktiven D-Hormon umgebaut, das allein physiologisch wirksam
ist. Der zweite, renale Hydroxylierungsschritt ist das physiologische „bottleneck“, mit der eine Hypervitaminose
durch zu viel Sonne regulativ vermieden
wird. Diese zweite renale Hydroxylierung wird im Alter oft defizitär, erkennGERIATRIE JOURNAL 6/08
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bar an einer verminderten KreatininClearance. So entsteht im Alter nicht
nur oft ein Mangel an nativem Vitamin
D (25-OH-D3), sondern bei normalen
25-OH-D3-Spiegeln ein Mangel an Vitamin-D-Hormon (Calcitriol), bedingt
durch 1-Alfa Hydroxylase-Mangel bei
verminderter Nierenfunktion. Dies führt
neben einem gestörten Knochenstoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten
mit erhöhter Sturzinzidenz. Neben der
verringerten Hydroxylierung in der Niere tragen Sonnenmangel besonders nördlich des 50. Breitengrades (durch atmosphärische Absorption verminderter
UVB-Anteil), altersassoziierte Veränderungen der Haut und eine verminderte
Zahl von Vitamin-D-Rezeptoren zu einem D-Hormon-Mangel, der durch Alfacalcidol ausgeglichen werden kann. Bei
Patienten mit einer Kreatinin-Clearance unter 65 ml/Min besteht ein 4-fach
erhöhtes Sturzrisiko und in dieser Situation ist mit Alfacalcidol ein Senkung der
Sturzinzidenz um 71% möglich [5, 6].
Die Indikationsstellung ergibt sich auf
der Basis einer neuromuskulären Funktionsmessung im Rahmen eines Sturzrisikoassessments und der einfach zu handhabenden Abschätzung der Nierenleistung mit der Cockroft-Gault-Formel.
Ausblick
In den nächsten Jahre muss in prospektiven Studien gezeigt werden, wie das
optimale therapeutische Ensemble von
Interventionen sich zusammensetzen sollte, um die Zahl der Altersstürze effektiv
zu reduzieren.
Die therapeutischen und präventiven
Chancen, die das frühzeitige Erkennen
des Frailty-Syndroms bieten, können auf
breiter Fläche genutzt werden. Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit FrailtySyndrom (Gebrechlichkeitssyndrom) gehört dabei zu den Kernaufgaben des
ambulanten Gesundheitssystems. Dass in
Deutschland geriatrische Rehabilitationen in der Regel erst dann eingeleitet
werden, nachdem es zu akuten, katastrophalen Einbrüchen der Gesundheit
gekommen ist, stellt ein folgenschweres
Versäumnis dar. Geriatrische Patienten
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mit Stürzen im Gebrechlichkeits-Prozess
sind ein Paradigma für die Aufgabe, präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen bei geriatrischen Patienten zu integrieren, um vorzeitige Pflegebedürftigkeit zu reduzieren. Dazu ist es
erforderlich, diese Patienten im ambulanten Bereich zu identifizieren und geriatrische Rehabilitationen rechtzeitig
vor dem Frakturereignis zu veranlassen.
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Dr. med. Martin Runge,
Ärztlicher Direktor der Aerpah-Klinik
Esslingen-Kennenburg,
Kennenburger Str. 63,
73732 Esslingen,
eMail: mrunge@udfm.de
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