Schriftliche Stellungnahme - Rechtsanwalt Peter Kehl

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Schriftliche Stellungnahme - Rechtsanwalt Peter Kehl
Landtag Mecklenburg-Vorpommern
6. Wahlperiode
- Innenausschuss -
Ausschussdrucksache 6/285
Schwerin, den 29. Oktober 2014
Schriftliche Stellungnahme
- Rechtsanwalt Peter Kehl
zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses
zum Gesetzentwurf der Landesregierung
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Landes- und Kommunalwahlgesetzes
- Drucksache 6/3242 -
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29/10/2014 16:00
#435 P.001/010
Matthias J. Maurer
Rechtsanwalt
R.ECHTSANWÄLTE
Steffen Wünsch
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Maurer pp. • Bernburger Str. 7 · 06108 Halle {Saale}
Thomas Goldberg
llllm~llllllllim~m~lllll!l~nmm~lmll~llll
Rechtsanwalt
Peter Kehl
Landtag Mecklenburg-Vorpommern
Innenausschuss
Schloss Lennestr. 1
Rechtsanwalt
19053 Schwerin
vorab per Fax: (0385) 525 15 25
Unser Zeichen:
X-1040/14-PK
(bitte stets angeben)
Ihr Zeichen:
Drs: 6/3242
Datum:
29.10.2014
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Landes~ und Kommunalwahlgesetzes
Drucksache 6/3242
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Vorsitzender,
ich bedanke mich für die Gelegenheit der Stellungnahme zum vorbezeichneten Gesetzesvorhaben . Leider kann ich den Termin der Anhörung nicht persönlich wahrnehmen und überreiche
daher meine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzesentwurf.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Kehl
Rechtsanwalt
Kanzlei : Bernburger Str. 7 · 06108 Halle (Saale)- Telefon: {0345) 292 67 0- Telefax: (0345) 292 67 29
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#435 P.002/010
., Schriftsatz vom 29.10.2014
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R.EC.HTSANWÄLTE
Gliederung
I. Allgemeine Anmerkungen zum Gesetzesentwurf
1. Grundsätzliches
2. Anmerkungen zu den wesentlichen Änderungen im Einzelnen
II. Fragenkatalog
1. Vereinbarkeit der Ausschlusstatbestände für Menschen mit Behinderungen mit der UNBehindertenrechtskonvention
2. Änderungsempfehlungen mit Blick auf den internationalen Menschenrechtsschutz
111. Empfehlung zur Regelung der Wahlsichtwerbung
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.. Schriftsatz vom 29.10.2014 1
RE C H T S A NWÄL T E
I. Allgemeine Anmerkungen zum Gesetzesentwurf
1. Grundsätzliches
Der Gesetzesentwurf hat in seiner Gänze einen überwiegend positiven Eindruck hinterlassen. Die
vorgeschlagenen Änderungen und Anpassungen führen meines Erachtens das bisher bestehende
Recht folgerichtig weiter und passen es in wünschenswerter Weise den durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur Größenabweichung von Wahlkreisen an. Positiv aufgefallen sind darüber hinaus auch die Reduzierung von Bürokratie und Verwaltungsaufwand sowie die Stärkung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den Bürger. Weiterhin wird der vorgelegte Entwurf einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit zwischen den Parteien und Wählergruppen leisten. Die Auffassung, dass durch das Gesetz die öffentlichen Haushalte nicht stärker belastet, sondern im Gegenteil sogar leicht entlastet werden, wird durch den Verfasser geteilt.
Mit Blick auf den Grundsatz der Normenklarheit und zur besseren Verständlichkeit für den
Rechtsunterworfenen wird entgegen § 114 des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit empfohlen, im
Gesetz auf die Verwendung männlicher und weiblicher Formen personalisierter Nomen zu verzichten und sich stattdessen der inklusiven Variante des generischen Maskulinums zu bedienen .
Unter Punkt 111. wird schließlich ein Vorschlag zur gesetzlichen Regelung des Umgangs mit Wahlsichtwerbung der Parteien und Wählergruppen im Wahlkampf unterbreitet.
2. Anmerkungen zu den wesentlichen Änderungen im Einzelnen
Hinsichtlich der rein redaktionellen Änderungsvorschläge wird auf Anmerkungen verzichtet.
§ 10 (neu) betrifft die Abstimmung über Wahlvorschläge im Wahlausschuss. Zukünftig gelten die-
se auch bei Stimmengleichheit für zugelassen, weil sich keine Mehrheit gegen sie gefunden hat.
Es wird das Prinzip "Im Zweifel für den Kandidaten" eingeführt. Die Änderung stärkt die Rechtssicherheit und wird der Bedeutung öffentlicher Wahlen im demokratischen Gemeinwesen gerecht;
die Änderung wird ausdrücklich empfohlen .
§ 15 (neu) entschärft für Parteien und Wählervereinigungen das Verfahren zur Kandidatenauf-
stellung, indem zukünftig wieder die einfache statt der qualifizierten Meh rheit ausreicht. Ein
Kandidat ist demnach aufgestellt, wenn er die meisten Stimmen (und nicht mehr die Mehrheit
der abgegebenen Stimmen) auf sich vereinigt. Die Änderung dient der Praktikabilität und der
besseren Handhabbarkeit in der Praxis und wird ausdrücklich empfohlen.
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§ 19 (neu) soll eine rechtssichere Regelung für den Fall schaffen, dass ein Kandidat kurz vor dem
Wahltag verstirbt. Dieser Todesfall soll dann im Wahllokal öffentlich bekanntgemacht werden,
Stimmzettel sollen nur dann geändert werden, wenn das drucktechnisch noch möglich ist. Mit
dieser Regelung verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Wahl trotzdem rechtzeitig stattfinden
zu lassen und durch Neudruck der Stimmzettel oder eine Nachwahl verursachte Kosten zu vermeiden. Dieses Ansinnen ist an sich zu befürworten. Jedoch muss bei der Ausgestaltung in der
Praxis darauf geachtet werden, dass die Bekanntmachung offensichtlich und für jeden Wähler
verständlich ausfällt. Es steht in diesem Falle gleichwohl ein Anstieg ungültiger Stimmabgaben zu
befürchten. Von einer eindeutigen Empfehlung, diese Änderung ins Gesetz aufzunehmen, wird
daher abgesehen.
Mit dem neuen § 22 soll die Reihenfolge der Bürgermeister- und Landratskandidaten auf den
Stimmzetteln an das letzte Kommunalwahlergebnis der jeweiligen vorschlagenden Partei oder
Wählervereinigung gekoppelt werden. Damit wird ein Beitrag zur Fairness und Chancengerechtigkeit geleistet. Die Änderung wird empfohlen.
Nach § 24 (neu) wird zukünftig auf die gesonderte schriftliche Benachrichtigung verzichtet, wenn
ein Bürger Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis stellt. Dadurch werden Bürokratie abgebaut und Verwaltungskosten gesenkt. Die Änderung ist deshalb empfehlenswert.
§ 28 (neu) dehnt das Verbot von Wahlwerbung und Wählerbefragung auch auf Räumlichkeiten
aus, in denen die Briefwahl an Ort und Stelle vollzogen werden kann. Diese Anpassung ist folgerichtig und wird daher empfohlen.
§ 46 (neu) gibt nachrückenden Landtagskandidaten die Möglichkeit, ihr Mandat bereits vor Ab-
lauf der Wochenfrist durch ausdrückliche Erklärung anzunehmen. Diese neue Möglichkeit stellt
die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sicher und dient im Allgemeinen der Rechtssicherheit. Sie
sollte eingeführt werden.
Mit § 60 {neu) wird für die Feststellung der Einwohnerzahlen, die wiederum Grundlage für die
Berechnung der Größe kommunaler Vertretungen ist, ein gesetzlicher Stichtag eingeführt. Auf die
jeweilige gesonderte Festsetzung eines Stichtages kann deshalb zukünftig verzichtet werden, was
zu Einsparungen beim Verwaltungsaufwand führt. Die Änderung sollte angenommen werden.
§ 61 (neu) statuiert zum einen, dass Wahlbereiche in den Kommunen zusammenhänge Gebiete
bilden sollen. Das dient der Übersichtlichkeit in der Wahlbereichseinteilung, indem Exklaven oder
)nseln" vermieden werden. Die Änderung wird empfohlen. Hinsichtlich des Aufweichens des
Grundsatzes, wonach Wahlbereichsgrenzen der Landkreise selbige der Gemeinden nicht durchSeite 4 von 10
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RECHTSANWAUE
schneiden dürfen, rät der Verfasser zu Zurückhaltung. Von der neu geschaffenen Ausnahme,
nach der das dann möglich sein soll, wenn anders die Obergrenzen abweichender Einwohnerzahlen nicht eingehalten werden können, sollte nach Möglichkeit nur restriktiv Gebrauch gemacht
werden.
II. Fragenkatalog
1. Vereinbarkeit der Ausschlusstatbestände für Menschen mit Behinderungen mit der UNBehindertenrechtskonvention
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
ist am 13.12.2006 ratifiziert worden und für die Bundesrepublik Deutschland am 26.03.2009 in
Kraft getreten. Die BRK ruft ins Bewusstsein, dass behinderte Menschen keine schieren Objekte
der Fürsorge, sondern aktive und selbstbestimmte Subjekte sind - auch und gerade mit Blick auf
die Teilhabe am politischen Geschehen. Das bedeutet, dass sie bei öffentlichen Wahlen gleichberechtigt sein sollen. Vor diesem Hintergrund wird Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen Partnern bisher eher als negatives Beispiel benannt, vor allem was den vollständigen Ausschluss einiger Menschen vom Wahlrecht anbetrifft.
Reibungspunkte mit dieser Gleichberechtigung bei öffentlichen Wahlen entstehenden vor allem
bei zwei selbständig zu betrachtenden Problemfeldern:
Das erste betrifft die barrierefreie Ausübung des Wahlrechts an sich. Nach den empirischen Feststellungen in den Materialien zum Gesetzesentwurf ist einerseits die Barrierefreiheit der Wahllokale gegeben, andererseits die Möglichkeit der Stimmabgabe vor einem mobilen Wahlvorstand
positiv hervorzuheben.
Das zweite Problemfeld ist der Ausschluss des Wahlrechts für einige Menschen mit Behinderungen. Im Gesetzesentwurf sieht§ 5 Nr. 2 vor, dass vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, wem für die
Besorgung aller Angelegenheiten eine Betreuung bestellt ist.
Dieser Ausschluss verstößt jedenfalls dann gegen die BRK, wenn er auch gegen das Grundgesetz
verstößt, welches im Lichte der BRK als internationalem Vertrag auszulegen ist.
ln Frage kommt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gern. Art 3 GG. Ein solcher liegt bei
einer Ungleichbehandlung vor, die nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
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Ungleichbehandlung
Der Gesetzgeber differenziert bei der Einräumung des Wahlrechts danach, ob ein Bürger Mecklenburg-Vorpommerns nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts eine Betreuung in allen
Angelegenheiten bestellt bekommen hat und dann nach § 5 Nr. 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen
ist oder eine solche Betreuung nicht gegeben ist und das Wahlrecht demnach vorliegt. Das Kriterium der Differenzierung ist daher - mittelbar - die geistige Zurechnungsfähigkeit des Bürgers.
Anhand dieses Kriteriums behandelt der Gesetzgeber zwei ansonsten gleiche Sachverhalte ungleich, weshalb eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 GG vorliegt.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Die eben festgestellte Ungleichbehandlung führt aber nur dann zur Verfassungswidrigkeit, wenn
sie nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.
Eine Rechtfertigung kommt nach der s.g. 11 Willkürformel" dann in Betracht, wenn die Ungleichbehandlung nicht evident unsachlich, also von unsachgemäßen Gründen geleitet und damit willkürlich ist.
Der Gesetzgeber möchte mit dem Wahlrechtsausschluss für geistig unzurechnungsfähige Menschen bewirken, dass bei der Ermittlung der Zusammensetzung der Volksvertretung Willenserklärungen unberücksichtigt bleiben, deren Urheber Inhalt und Ausmaß ihrer Entscheidung nicht
überblicken können.
Demnach stellt der Gesetzgeber also nicht auf eine sachfremde und willkürliche Erwägung ab,
sondern lässt sich vom - ebenfalls verfassungsrechtlich legitimierten - Zweck der Funktionsfähigkeit des Parlaments leiten.
Nach der "Willkürformel" ist die Ungleichbehandlung mithin gerechtfertigt.
Im vorliegenden Fall ist hingegen der strengere Prüfungsmaßstab der s.g. 11 neuen Formel" anzuwenden, da gleichzeitig der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl betroffen ist und sich die
Differenzierung an das verbotene Kriterium der "Behinderung" nach Art. 3 111 2 annähert.
Demnach ist die Rechtfertigungsprüfung nach dem strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmen:
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Legitimer Zweck.
Die Funktionsfähigkeit des Parlaments (s.o.) stellt für sich genommen einen Wert von Verfassungsrang und mithin einen legitimen Zweck dar.
Geeignetheit.
Der Wahlrechtsausschluss für geistig Unzurechnungsfähige fördert diesen Zweck in der bereits
oben dargetanen Weise, indem er dafür Sorge trägt, dass Stimmen von Personen, die nicht im
vollen Umfang entscheidungsfähig sind, unberücksichtigt bleiben.
Erforderlichkeit.
Gibt es ein milderes Mittel als den Wahlrechtsausschluss, um das gesetzgeberische Ziel in gleicher Weise zu erreichen? Zu denken wäre hier zunächst an "unterstützte Entscheidungsfindung",
so wie sie die BRK in Art 29 vorschlägt: 11 Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sicherzustellen,
dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am
politischen und öffentlichen Leben teilhaben können [ ... ]; unter anderem garantieren sie die freie
Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler [ ... ] und erlauben zu diesem
Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer
Wahl unterstützen lassen;[ ...]."
Im Falle einer Betreuung in allen Angelegenheiten kommt die unterstützte Entscheidungstindung
einer Wahl durch einen anderen gleich. Denn auch eine unterstützte Stimmabgabe setzt beim
Unterstützten zunächst voraus, dass dieser die Entscheidung für sich selbst herbeiführt. Fehlt es
an dieser grundlegenden Voraussetzung, trägt auch eine Unterstützungshandlung eines anderen
nichts zum Ziel des Gesetzgebers bei. Im Gegenteil öffnet eine solche Regelung dem Missbrauch
des- gut gemeinten -Wahlrechts für geistig Behinderte Tür und Tor.
Angemessenheit.
Schließlich darf die gesetzliche Regelung des § 5 Nr. 2 zum verfolgten Ziel nicht einem krassen
Missverhältnis stehen und muss angemessen, bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne sein.
Zwar ist das Grundgesetz unter dem Blickwinkel der BRK und insbesondere deren Art 12 II auszulegen, in dem es heißt: "Mensch mit Behinderungen genießen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfreiheit." Jedoch steht zu bedenken, dass eine Betreuung in allen Angelegenheiten, bzw. "zur Besorgung aller Angelegenheiten" gem. § 1896 8GB
nur in engen Ausnahmefällen und nur als ultima ratio, als letztes Mittel, in Betracht kommt.
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#435 P.OOS / 010
I> Schriftsatz vom 29 .10.2014 ~
R. E C H I SAN W Ä LlE
§ 1896 II BGB sieht vor, dass eine Betreuung nicht für Angelegenheiten angeordnet werden darf,
die der Betroffene noch selbst besorgen kann oder die von Dritten, insbesondere Vorsorgebevollmächtigten, besorgt werden können . Axel Bauer schreibt im Heidelberger Kommentar zum
Betreuungs- und Unterbringungsrecht, dass eine Betreuung in allen Angelegenheiten nur in Betracht kommt, "wenn der Betroffene keine seiner Angelegenheiten selbst besorgen kann, er also
krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den seiner bisherigen Lebensgestaltung entsprechenden Alltag wenigstens teilweise zu beherrschen und zu gestalten." Es handelt sich mithin
also um eine geringe Zahl an Fällen. Dazu kommt, dass die Möglichkeit besteht, durch eine oben
bereits angesprochene Vorsorgevollmacht der Komplettbetreuung und mithin dem Wahlrechtsausschluss zu entgehen .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung BVerfGE 36, 139 aus dem Jahre 1973
festgestellt, dass es mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl vereinbar ist, dass vom Wahlrecht ausgeschlossen bleibt, wer entmündigt ist oder wer wegen geistigen Gebrechens unter
Pflegschaft steht. Später {BVerfGE 67, 146 aus dem Jahre 1984) stellten die Karlsruher Richter
klar, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen, denen die Einsichtsfähigkeit in das Wesen
einer Wahl fehlt, Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ist.
Nach alledem ist festzustellen, dass ein Verstoß gegen die Angemessenheit von § 5 Nr. 2 nicht
gegeben ist.
Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt deswegen nicht vor.
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist auch nach der "neuen Formel" gegeben.
Der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt.
Die Regelung des § 5 Nr. 2 ist verfassungsrechtlich und mithin auch vor dem Hintergrund der BRK
nicht zu beanstanden.
2. Änderungsempfehlungen mit Blick auf den internationalen Menschenrechtsschutz
Der Verfasser sieht keine Veranlassung zu Änderungen am Gesetzesentwurf, die sich aus Erwägungen des internationalen Menschenrechtsschutzes ergeben könnten.
Insbesondere ist eine Ausdehnung des Wahlrechts für Ausländer über die bereits jetzt bestehende Regelung hinaus nicht angezeigt.
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Schrihsatz vom 29.10.2014 •
RECHTSANWÄLTE
111. Empfehlung zur Regelung der Wahlsichtwerbung
Plakate und Wahlsichtwerbung im öffentlichen Straßenraum in Zeiten des Wahlkampfes sind
immer wieder Anlass zu Streitigkeiten und rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Parteien,
bzw. Wählervereinigungen und den Sicherheitsbehörden.
ln der Vergangenheit war nicht selten zu beobachten, dass die Kommunen übermäßiges Plakatieren im Wahlkampf ordnungsrechtlich einschränken wollten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich
immer mehr Einwohner durch die vielen Plakate gestört fühlten. Möglicherweise aber auch deshalb, weil die Wahlplakate den Platz für kommerzielle Werbung und die damit verbundenen Einnahmen reduzieren.
Dabei wird häufig übersehen, dass den politischen Parteien eine wichtige Funktion im freiheitlich
demokratischen Staat zukommt. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt ist die Funktionszuweisung des Grundgesetzes. Das Grundgesetz bestimmt in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, dass die politischen
Parteien die Aufgabe haben, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.
Es ist die Aufgabe der Parteien, politische Ziele zu formulieren und diese den Bürgern zu vermitteln. Sie helfen dabei, dass die Probleme der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers erkannt,
benannt und angemessenen Lösungen zugeführt werden.
Ferner ist es Aufgabe der Parteien, die Rückkopplung zwischen Staatsorganen und Volk sicherzustellen. Die politischen Parteien können diesen Auftrag des Grundgesetzes nur dann wirksam
wahrnehmen, wenn sie nicht nur innerparteilich arbeiten, sondern auch nach außen tätig und
sichtbar werden. Nur durch den offenen Wettbewerb mit anderen Parteien und Verbänden wird
der für die Demokratie entscheidende pluralistische Diskurs gewährleistet.
Diese Grundsätze gelten auch für Wählervereinigungen und Einzelbewerber.
Gleichwohl bestehen auch berechtigte Interessen, an einem geordneten Ablauf des Wahlkampfes, um die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich der Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Bedauerlicherweise wird dies von den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt. Zur Sicherstellung des verfassungsmäßigen Auftrages der politischen Parteien und der Gleichbehandlung
von Wählervereinigungen und Einzelbewerbern ist eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll.
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#435 P. 010/010
.. Schriftsatz vom 29.10.2014 •
R.ECHlSANWÄLTE
Zum Ausgl_eich der vorbezeichneten Rechtsgüter und unter Einbeziehung einschlägiger Rechtsprechung schlage ich deshalb vor, einen neuen Paragrafen 21a in das Gesetz aufzunehmen, der
den Titel "Wahlsichtwerbung" trägt und wie folgt lauten könnte:
§ 21a Wahlsichtwerbung
"(1) Parteien, Wählergruppen und Bewerber, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes an
Wahlen teilnehmen, haben Anspruch auf Durchführung von Wahlsichtwerbung nach eigenem
Ermessen im öffentlichen Raum während einer Wahlkampfzeit von 6 Wochen vor dem Wahltag.
(2) Sondernutzungserlaubnisse nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts sind innerhalb der Wahlkampfzeit zu diesem Zweck gebührenfrei zu erteilen. Nebenbestimmungen sind
nur ausnahmsweise und nur zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit, zur Wahrung des
Ortsbildes, zur Vermeidung von Beschädigungen und Verschmutzungen des Straßenraums, sowie zur Gewährleistung der Chancengleichheit zulässig.
(3) Sonstige Iandes- und bundesrechtliche Vorschriften bleiben unberührt.
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