Corinna hat eine Diplomarbeit über

Transcription

Corinna hat eine Diplomarbeit über
Die Bedeutung
von Behindertenbegleithunden
für Menschen mit körperlicher Behinderung
anhand des Lebenslagekonzepts
Diplomarbeit
im Fachbereich Sozialwesen
an der Hochschule Ravensburg-Weingarten
vorgelegt von Corinna Strobel
Erstprüferin:
Prof. Dipl.-Psych. Irmgard Teske
Zweitprüferin:
Prof. Dr. rer. medic. Birgit Vosseler
Weingarten, 27. Februar 2009
„Der Hund baut Brücken, beseitigt Barrieren, bereitet Freude.“
(Zitat eines Team-Mitgliedes des gemeinnützigen Vereins Vita-Assistenzhunde e.V. 2008)
DANKSAGUNG
An dieser Stelle möchte ich all den Personen danken, die mich während meiner
Diplomarbeit mit vielen Anregungen, Ideen und Rückmeldungen hilfreich unterstützt haben.
Mein ganz besonderer Dank richtet sich an die zweite Vorsitzende des Vereins
Hunde für Handicaps e. V. in Berlin, Sabine Häcker, die mir eine große Unterstützung war. Ebenfalls richtet sich der besondere Dank an Elisabeth Färbinger vom
Verein Partner-Hunde Österreich. Auch bedanken möchte ich mich für die Unterstützung bei der Stiftung Hunde helfen Leben und dem Hundeerzieher und Verhaltensberater Erik Kersting, der in Deutschland u. a. Epilepsiehunde ausbildet. Ein
weiteres Dankeschön für ihre Unterstützung richtet sich an Simone Oberenzer aus
Osnabrück, die Diabeteswarnhunde ausbildet. Auch herzlich bedanken möchte ich
mich bei Daniela und Rolf Küster www.balouchen.de.
Ein herzliches Dankeschön möchte ich sowohl einem Team-Mitglied des Vereins
Partner-Hunde Österreich als auch einem Team-Mitglied des Vereins VitaAssistenzhunde e. V. aussprechen.
Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei den Professorinnen Frau Teske und Frau
Vosseler für ihre hilfreichen Anregungen und die fachliche Betreuung dieser Arbeit.
Ein sehr großes Dankeschön für die kontinuierliche Unterstützung während meiner
Diplomarbeit geht an meine Familie und an meinen Lebensgefährten.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ...............................................................................................................1
1
Klärung von Begriffen ..................................................................................2
1.1 Behinderung............................................................................................2
1.2 Körperbehinderung..................................................................................2
2
Leben mit Behinderung................................................................................4
2.1 Zahlen und Fakten ..................................................................................4
2.2 Integration, Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen
mit Behinderung .....................................................................................4
2.3 Zwischen Autonomie und Bevormundung - Leben in Einrichtungen
und in einer Familie ................................................................................5
2.3.1 Leben in Einrichtungen................................................................5
2.3.2 Leben in der Familie ....................................................................7
2.3.3 Eigene Erfahrungen.....................................................................7
3
Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung................................9
3.1 Das Arbeitgebermodell..........................................................................10
3.1.1 Kompetenzen ............................................................................11
3.1.2 Risiken das Arbeitgebermodells ................................................12
3.2 Indirekte Assistenz ................................................................................18
3.3 Hilfe durch unbezahlte Helfer ................................................................18
3.4 Verrichtungen durch einen herkömmlichen ambulanten
Pflegedienst..........................................................................................19
3.5 Hilfe von professionellen Helfern mit einer an Selbstbestimmung
orientierten Fachlichkeit........................................................................19
4
Konfliktsituationen und Ursachen.............................................................20
4.1 Gemeinsames Auftreten des Menschen mit Behinderung mit
seinem Assistenten ..............................................................................20
4.2 Gestaltung der Anfangsphase...............................................................21
4.3 Zeitliche Intensität .................................................................................21
4.4 Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und
Assistent...............................................................................................22
4.5 Bevormundung und Machtkämpfe des Assistenten ..............................22
5
Hunde helfen Menschen.............................................................................24
5.1 Blindenführhunde ..................................................................................24
5.2 Signalhunde ..........................................................................................24
5.3 Epilepsie- oder Anfallswarnhunde .........................................................25
5.4 Diabetikerwarnhunde ............................................................................26
5.5 Therapiehunde ......................................................................................27
Inhaltsverzeichnis
6
Zum Behindertenbegleithund ....................................................................28
6.1 Menschliche Voraussetzungen .............................................................30
6.2 Zutrittsmöglichkeiten mit dem Behindertenbegleithund .........................31
6.3 Das Auftreten der Teams in der Öffentlichkeit.......................................32
6.4 Ein Behindertenbegleithund steht einem Besitzer auch während
der Arbeit zur Verfügung ......................................................................33
6.5 Der Behindertenbegleithund wird in Deutschland im Gegensatz
zum Blindenführhund von keinem öffentlichen Kostenträger
finanziert...............................................................................................34
6.6 Reduzierung der Pflege- bzw. Assistenzkosten und die Kosten
psychologischer Behandlung durch die Dienstleistungen und die
Existenz eines Behindertenbegleithundes............................................35
6.7 Der geschichtliche Verlauf des Behindertenbegleithundes und
Ausbildungszentren in Deutschland und Österreich .............................36
7
Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund .........................................38
7.1 Beginn der Ausbildung zum Behindertenbegleithund............................39
7.2 In der Patenfamilie ................................................................................40
7.3 Das Intensiv- bzw. Spezialtraining.........................................................40
7.4 Zusammenführung von Mensch und Behindertenbegleithund zum
sog. Team ............................................................................................41
7.5 Übergabefeier des Vereins Partner-Hunde Österreich..........................42
8
Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische
Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts .............................43
8.1 Forschungsfrage ...................................................................................43
8.2 Überlegungen zum methodischen Vorgehen ........................................43
8.2.1 Zum Forschungsinstrument.......................................................43
8.2.2 Auswahl der Interviewpartnerin und Setting ..............................44
8.3 Das Lebenslagekonzept........................................................................45
8.3.1 Dimensionen .............................................................................46
8.3.2 Strukturen..................................................................................48
8.3.3 Zusammenfassung ....................................................................49
8.4 Auswertung des Interviews ...................................................................50
8.4.1 Zur Dimension der Umwelt ........................................................51
8.4.2 Zur Dimension der Lebensgeschichte .......................................53
8.4.3 Zur Dimension der Innenwelt.....................................................55
8.4.4 Zur Dimension der Perspektiven ...............................................59
8.4.5 Zur Superstruktur.......................................................................62
8.4.6 Zu den Routinen ........................................................................63
8.4.7 Zur Infrastruktur .........................................................................65
Inhaltsverzeichnis
8.4.8 Zu den Chancen ........................................................................66
9
Fazit..............................................................................................................67
Literaturverzeichnis ............................................................................................70
Anhang
I.
II.
III.
IV.
Interviewleitfaden .....................................................................................I
Telefoninterview .................................................................................... IV
Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde .. XVIII
Bildergalerie ........................................................................................ XIX
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: WHO-Definition von Behinderung .............................................................. 3
Abb. 2: BBH bringt Telefon................................................................................... 29
Abb. 3: BBH hilft im Haushalt ............................................................................... 29
Abb. 4: BBH öffnet Türen ..................................................................................... 29
Abb. 5: BBH öffnet Schubladen............................................................................ 29
Abb. 6: Dimensionen der Lebenslage nach WENDT.............................................. 45
Abb. 7: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT ..................... 48
Abb. 8: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT ..................... 50
Abb. 9: Teilnahmebescheinigung Praxisseminar BBH ......................................XVIII
Abb. 10: BBH entsorgt Abfall...............................................................................XIX
Abb. 11: BBH betätigt Ampel...............................................................................XIX
Abb. 12: BBH betätigt Schalter............................................................................XIX
Abb. 13: BBH zieht Wäschekorb .........................................................................XIX
Abb. 14: BBH schließt Geschirrspüler .................................................................XIX
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Pflegesachleistungen ............................................................................... 13
Tab. 2: Pflegegeld ................................................................................................ 14
Tab. 3: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 1......................... 15
Tab. 4: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 2......................... 16
Tab. 5: Kontaktadressen Ausbildungszentren ...................................................... 37
Tab. 6: Zur Dimension der Umwelt....................................................................... 51
Tab. 7: Zur Dimension der Lebensgeschichte ...................................................... 53
Tab. 8: Zur Dimension der Innenwelt ................................................................... 55
Tab. 9: Zur Dimension der Perspektiven .............................................................. 59
Tab. 10: Zur Superstruktur ................................................................................... 62
Tab. 11: Zu den Routinen..................................................................................... 63
Tab. 12: Zur Infrastruktur...................................................................................... 65
Tab. 13: Zu den Chancen..................................................................................... 66
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
a. a. O.
AWO
BBH
bzw.
d.h.
ebd.
et al.
EUR
e.V.
FSJ
GmbH
Hrsg.
i. d. R.
mbH
u. a.
vgl.
SGB
sog.
WHO
z.B.
Zivi
am angegebenen Ort
Arbeiterwohlfahrt
Behindertenbegleithund
beziehungsweise
das heißt
Ebenda
et alii
Euro
eingetragener Verein
freiwilliges Soziales Jahr
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Herausgeber
in der Regel
mit beschränkter Haftung
unter anderem
vergleiche
Sozialgesetzbuch
sogenannte
World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
zum Beispiel
Zivildienstleistender
Einleitung
Einleitung
Das Leben von Menschen mit körperlicher Behinderung in ihrer eigenen Wohnung
aber auch in der Familie soll näher beleuchtet werden, um aufzuzeigen, in welchen Alltagssituationen Menschen mit Behinderung von anderen abhängig sind.
Durch die Abhängigkeit sind Menschen mit Behinderung häufig in ihrer Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit stark eingeschränkt.
Auch sehen sich Menschen mit Behinderung in vielen Situationen innerhalb der
Gesellschaft mit Benachteiligung konfrontiert.
Ziel der Diplomarbeit ist es zu überprüfen, ob Menschen mit körperlicher Behinderung durch einen Behindertenbegleithund nicht oder nicht ausschließlich auf
menschliche Hilfe angewiesen sind.
Deshalb setze ich mich im ersten Teil meiner Arbeit mit Begrifflichkeiten von Behinderung und mit der Situation von Menschen mit Behinderung im Alltag auseinander. In diesem Zusammenhang gehe ich auf das Leben mit Behinderung innerhalb der Familie und in Institutionen ein und setze mich dann mit der eigenständigen Lebensführung im Rahmen Persönlicher Assistenz auseinander, um dann
herauszufinden, wie eine Person, die seit einem Jahr einen Behindertenbegleithund besitzt, ihren Alltag mit diesem Hund erlebt und mit welchen Vor- und
Nachteilen sie konfrontiert wird. Anhand des Lebenslagekonzepts soll dann überprüft werden, welche Bedeutung der Behindertenbegleithund für Menschen mit
körperlicher Behinderung im Alltag hat.
In dieser Arbeit werden ausschließlich Menschen mit körperlicher Behinderung
fokussiert.
Ich wünsche mir, dass die Diplomarbeit von vielen Menschen gelesen wird und
dass sie in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung insbesondere im Bereich der
Sozialen Arbeit Impulse gibt.
Ich möchte an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich selbst eine körperliche Behinderung habe und Rollstuhlfahrerin bin.
In der Diplomarbeit wird in Bezug auf Personen nicht zwischen weiblichen und
männlichen Formulierungen unterschieden, da es sich sowohl um weibliche als
auch um männliche Personen handelt.
1
1 Klärung von Begriffen
1
Klärung von Begriffen
Da der Schwerpunkt der Diplomarbeit das Leben von Menschen mit körperlicher
Behinderung beinhaltet, empfiehlt es sich zu Beginn der Arbeit Begrifflichkeiten,
die im Verlauf von Bedeutung sein werden, zu definieren. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, werden in der Diplomarbeit Menschen mit Körperbehinderung fokussiert und folglich wird sich ausschließlich mit der Thematik der körperlichen
Behinderung auseinander gesetzt.
1.1
Behinderung
„Ganz
allgemein
werden
mit
‘Behinderung’
Einschränkungen
des
Wahrnehmungs-, Denk-, Sprach-, Lern-, und Verhaltenvermögens bezeichnet (…)
(SCHWARZER 2004: 27).“
Behinderung
Der Begriff Behinderung wird im SGB IX in Paragraph 2 Satz 1 folgendermaßen
definiert: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (BECK-TEXTE, dtv 2007:
1145).“
Behinderung
„Eine Person gilt als behindert, wenn sie aufgrund einer Schädigung ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen schwer, umfänglich und langfristig in
ihrem unmittelbaren Lebensvollzug und in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben eingeschränkt ist (HOBMAIER 2004: 291).“
1.2
Körperbehinderung
„Als körperbehindert wird eine Person bezeichnet, die infolge einer Schädigung
des Stütz- und Bewegungssystems, einer anderen organischen Schädigung oder
einer chronischen Krankheit so in ihren Verhaltensmöglichkeiten beeinträchtigt ist,
dass die Selbstverwirklichung in sozialer Interaktion erschwert ist.“ So lautet die
Definition von Körperbehinderung nach (LEYENDECKER 2005b: 21) zit. n. Ortland
(2006: 14).
Die soeben genannte Definition entspricht der ‘International Classification of Functioning, Disability and health’ (WHO 2001).
2
1 Klärung von Begriffen
Abb. 1: WHO-Definition von Behinderung (Disablement) (aus RAUSCHELBACH
1984)
Die WHO betrachtet Behinderung aus drei grundlegenden Blickwinkeln:
Ein Gesichtspunkt beinhaltet die Körperfunktionen sowie die Strukturen und deren
Schädigung (Ortland 2006: 14).
Des Weiteren werden die Aktivitäten bzw. Beeinträchtigungen der Aktivitäten fokussiert. Ein dritter und sehr wichtiger Aspekt stellt die Partizipation bzw. die Beeinträchtigung der Partizipation aufgrund der Behinderung dar (ebd.).1
Vergleicht man die Begrifflichkeiten miteinander, wird deutlich, dass die Hauptproblematik, mit der Menschen mit Behinderung konfrontiert sind, in der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft liegt.
1
Dieser Aspekt ist in der Diplomarbeit von großer Bedeutung und wird an verschiedenen Stellen
thematisiert werden.
3
2 Leben mit Behinderung
2
Leben mit Behinderung
2.1
Zahlen und Fakten
„In Deutschland leben rund 8,6 Mio. Menschen, die eine Behinderung haben. Von
diesem haben 6,765 Mio. Menschen eine Behinderung von mindestens 50% und
gelten damit als schwerbehindert (3,237 Mio. Frauen und 3,528 Mio. Männer). Das
sind etwas über 8% der Wohnbevölkerung (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 2008:
148).“ In den meisten Fällen wurde die Behinderung im Laufe des Lebens durch
Krankheit oder Unfälle erworben. Eine weitere Ursache eine Behinderung zu erleiden, ist durch das Altern der Bevölkerung bedingt (ebd.). „Lediglich 5% der
schwerbehinderten Menschen sind dies von Geburt an (ebd.).“
2.2
Integration, Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen
mit Behinderung
Von Jahr zu Jahr wächst das Engagement von Städten, Gemeinden und freien
Trägern, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu erziehen (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 15/5015. 2005: 120).
Es herrscht die Überzeugung, dass Kinder in diesem Alter unbefangener aufeinander zugehen und somit Kinder mit Behinderung von Anfang an gut integriert
werden können. Nicht behinderte Kinder lernen ebenfalls von klein auf mit behinderten Kindern umzugehen und können so bezüglich ihres Sozialverhaltens profitieren (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 14/5990. 2001:130).
Mindestens genauso wichtig wie eine gelungene Integration ist eine angemessene
und individuelle Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Nach dem
Schulgesetz der Länder ist eine Förderung wünschenswert, die es ermöglicht, die
Bildungsziele der allgemeinen Schulen zu erreichen (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE
15/5015. 2005: 120).
Ziel dabei ist es, möglichst viele Kinder und Jugendliche integrativ, also in Regelschulen zu fördern (ebd.).
Kann diese Förderung aufgrund der Art oder Schwere der Behinderung auch mit
zusätzlicher Unterstützung nicht gewährleistet werden, werden behinderte Kinder
und Jugendliche in Sonderschulen explizit und individuell gefördert, um zu den
Zielen zu gelangen, die für sie erreichbar sind (ebd.).
4
2 Leben mit Behinderung
Fazit
Die Frage, ob eine individuelle Förderung in Sondereinrichtungen oder eine integrative Förderung für einen Menschen mit Behinderung infrage kommt, lässt sich
nicht pauschal beantworten, sondern sollte immer individuell betrachtet werden.
2.3
Zwischen Autonomie und Bevormundung - Leben in Einrichtungen
und in einer Familie
2.3.1
Leben in Einrichtungen
In Institutionen sehen sich Menschen mit Behinderung oft mit fest vorgegebenen
Strukturen konfrontiert (GOFFMAN 1973, zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben
Behinderter e.V. 2001: 38). Durch Gesetze und fest vereinbarte Regelungen, die
den Tagesablauf betreffen, werden Heimbewohner sehr häufig fremdbestimmt.
Solche Strukturen sind aus organisatorischen Gründen oftmals unumgänglich. Sie
ermöglichen den Menschen nur sehr bedingt eine individuelle Gestaltung des Alltags.
Zur Veranschaulichung der fest vorgegebenen Strukturen und Regelungen, die
Fremdbestimmung garantieren, folgt ein Tagesablauf einer Institution (ebd.).
Tagesablauf
„Am Tage mit Werkstatteinsatz wird um 6:00 Uhr geweckt, danach ankleiden
und Zimmer richten
Gemeinsames Frühstück 6:45 Uhr
Abfahrt zu den Werkstätten 7:00 Uhr und 7:40 Uhr
Rückkehr gegen 15:40 Uhr – Kaffeetrinken
Freizeitangebote bis zum Abendessen
Nach dem Abendessen Freizeit zur eigenen Verfügung oder gemeinsame
Aktivitäten
22:00 Uhr Nachtruhe, die für alle Bewohner verbindlich ist (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 40).“
Telefonate
Private Anrufe sind am Telefon der Wohngruppe zu führen. Während der Essenszeiten ist das Telefonieren nicht gestattet. Das Telefon kann nicht auf das Zimmer
mitgenommen werden (ebd.). So ist es nicht möglich, in Ruhe zu telefonieren.
5
2 Leben mit Behinderung
Besuche
Besuche können stattfinden, müssen aber grundsätzlich angemeldet werden.
Übernachtungen der Besucher sind drei Tage zuvor bei der Gruppenleitung anzumelden.2
Freizeitaktivitäten
„Bei Freizeitaktivitäten und besonderen Anlässen kann der Tagesablauf entsprechend angepasst werden. Dies soll mit den Hausbewohnern, den Mitarbeitern und
der Hausleitung abgesprochen werden. Regelungen an den arbeitsfreien Tagen,
sowie an den Wochenenden werden zwischen Hausbewohnern, Mitarbeitern und
der Hausleitung einvernehmlich getroffen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 40).“
Dabei wird auch die abendliche Rückkehr in die Institution genau festgelegt und in
vielen Fällen sehr eingeschränkt (ebd.).
Hinzu kommt, dass es sich bei Internaten in vielen Fällen um isolierte Standorte
handelt, die den Kontakt zur Außenwelt nur bedingt ermöglichen (ebd.).
Nicht nur, wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird die individuelle Gestaltung des
Alltags nur sehr bedingt ermöglicht, auch kommt die Entfaltung der Individualität
viel zu kurz. Da in vielen Internaten keine Einzel-, sondern ausschließlich Zweierund Dreierzimmer vorgesehen sind, verfügen Heimbewohner über keine Privatsphäre. Ebenso sind auf diese Weise elementare Bereiche der Intimsphäre ungeschützt (ebd.).
Aufgrund der oben genannten Gegebenheiten entspricht der Lebens-, Erfahrungsund Aneignungsraum der Menschen mit Behinderung in vielen Bereichen nicht
mehr der Realität (ebd.). Das ist vor allem dann gegeben, wenn die Kleidung der
Bewohner in der zentralen Wäschereinigung gewaschen oder das tägliche Essen
aus einer Großraumküche geliefert wird (a. a. O.: 38).
Menschen mit Behinderung haben so nicht die Möglichkeit, das Kochen zu erlernen. Auch wenn sie aufgrund der Behinderung niemals in der Lage sein werden,
eine Mahlzeit zuzubereiten, ist es wichtig, dass Menschen mit Behinderung darin
befähigt werden, einer anderen Person sehr genau sagen zu können, wie sie das
Essen zubereiten soll und worauf geachtet werden muss. Das stärkt die Autonomie und das Selbstvertrauen.
Dies ist vor allem dann wichtig, wenn eine Internatszeit nur vorübergehend vorgesehen ist. Es gibt Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Entwicklung und
der Art oder Schwere der Behinderung im Laufe der Zeit die Möglichkeit haben,
eigenständig in einer Wohnung zu leben. Dann ist es nicht auszuschließen, dass
Menschen mit Behinderung mit einer Assistenzperson konfrontiert werden, die
2
Eigene Erfahrungen
6
2 Leben mit Behinderung
nicht kochen kann. Das kann auch dann der Fall sein, wenn es darum geht, Wäsche zu waschen (ebd., vgl. Kapitel 3).
2.3.2
Leben in der Familie
Auch sehen sich Menschen mit Behinderung, die in der Familie leben, fremdbestimmten Faktoren ausgesetzt (GOFFMAN 1973, zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes
Leben Behinderter e.V. 2001: 41). „Betroffene, die unter solchen Umständen leben, werden häufig den Sachzwängen der Familienabläufe bzw. den dort vorherrschenden Problemlösungsstrategien unterworfen (ebd.).“ Im Rahmen der Studie
„Leben mit Assistenz“ wird deutlich, dass, wenn Menschen mit Behinderung auf
die Familie angewiesen sind, Verrichtungen in vielen Fällen ausschließlich im gegenseitigen Einvernehmen erledigt werden (Studie: Leben mit Persönlicher Assistenz, DROLSHAGEN / ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes
Leben Behinderter e.V. 2001: 41). Das bedeutet, dass die Betroffenen sich stark
nach deren Helfern richten müssen und ihnen somit kaum Entscheidungsfreiheit
bleibt. Auch wenn das helfende Familienmitglied durch die Ausübung der Tätigkeit
das Pflegegeld erhält, ist es kein Arbeitsverhältnis, in denen der Mensch mit Behinderung die Entscheidungen trifft, da die Familie meist rund um die Uhr, ohne
dass es einen Personalwechsel gibt, zur Verfügung steht. Auch wenn sich Menschen mit Behinderung von ihren Freunden helfen lassen, fällt es schwer, eigene
Entscheidungen und Beschlüsse selbstbestimmt zu äußern. Die Betroffenen sind
froh, dass ihnen überhaupt geholfen wird und nehmen es in Kauf, sich nach den
Freunden zu richten (ebd.).
2.3.3
Eigene Erfahrungen
„An dieser Stelle ist es mir wichtig, persönliche Erfahrungen meiner eigenen Kindergarten- und Schullaufbahn einzubringen.“3
„Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie positiv es für mich war, einen Kindergarten
für nicht behinderte Menschen zu besuchen, denn dort war ich in die Gemeinschaft der Kinder unseres Dorfes integriert. Das war für mein Selbstvertrauen und
meine Persönlichkeitsentwicklung als kleines Mädchen sehr wichtig. In der ersten
und zweiten Klasse war ich ebenfalls noch in der Dorfschule integriert. Doch als
dann die Leistungsanforderungen stiegen, war es im Alter von 11 Jahren förderlicher, den Lernstoff in einer Einrichtung für Menschen mit körperlichen Behinderungen in Kleingruppen langsamer vermittelt zu bekommen. Ausschließlich auf
diese Weise war es mir möglich, den Realschulabschluss zu erlangen. So hatte
3
Eigene Erfahrungen
7
2 Leben mit Behinderung
ich nie das Gefühl, langsamer bzw. schlechter als die anderen zu sein, und so war
ich in der Lage, angstfrei und ohne Druck zu lernen. Als behinderter Mensch kann
man dieselben Ziele wie ein Nichtbehinderter erreichen. Man benötigt allerdings in
gewissen Phasen der Entwicklung mehr Zeit und die o. g. förderlichen Rahmenbedingungen.
Da diese Einrichtung an ein Internat angeschlossen war, war auch eine explizite
Förderung, um körperlich mobiler und somit selbstständiger zu werden, gewährleistet. Nachdem ich meinen Realschulabschluss absolviert habe, lebte ich drei
Jahre in einer so genannten Außenwohngruppe der Stiftung Pfennigparade München und absolvierte an der integrativen Schule dieser Stiftung die Fachhochschulreife. In dieser Zeit wurden mir vor allem Kompetenzen vermittelt, die man
als Mensch mit Behinderung benötigt, um seinen Alltag mit Helfern an der Seite
organisieren zu können.
Aufgrund der expliziten Förderung während meiner Schulzeit, aber auch durch die
Studienbegleitung, die mir nach dem SGB IX während meines Studiums zur Verfügung stand, war es mir möglich, mein Studium zusammen mit nicht behinderten
Menschen zu absolvieren und eigenständig zu leben. Aufgrund meiner eingeschränkten Feinmotorik war es mir nicht möglich, in den Vorlesungen zügig mitzuschreiben. Dafür stand mir eine Assistenzperson als Schreibhilfe zur Verfügung
(ebd.).
Neben den soeben genannten positiven Aspekten bezüglich Sondereinrichtungen
gibt es auch negative Aspekte, die im folgenden Unterkapitel erläutert werden.
8
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
3
Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
Die zentrale Voraussetzung für Selbstbestimmung im Leben von Menschen mit
Behinderung setzt laut (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001:
31) voraus, die notwendigen Hilfen weitgehend unabhängig von Institutionen zu
organisieren. Dabei spielt die eigene Entscheidungskraft der betreffenden hilfebedürftigen Person die zentrale Rolle.
So haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, fremd bestimmter Hilfe, die
sie entmündigt, zu entkommen (ebd.).
Schwere der Behinderung - Heimunterbringung
Laut (ARMBRUSTER, WALTER 2005, zit. n. REICHLE: 124) ist es jedoch unbedingt
notwendig, die Auseinandersetzung um Selbstbestimmung, Recht und Teilhabe,
Persönliches Budget und Independent Living differenziert und aus verschiedenen
Blickwinkeln zu betrachten. Dabei ist es von Bedeutung, beispielsweise den Blickwinkel von Menschen mit Behinderung, den Blickwinkel des Fachpersonals, sowie
den Blickwinkel der einzelnen Kostenträger zu berücksichtigen.
Es gibt Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht die
Möglichkeit haben, außerhalb einer Institution eigenständig leben zu können. Des
Weiteren ist von großer Bedeutung zu unterscheiden, ob ein Mensch körperbehindert, seelisch behindert, geistig behindert oder schwer mehrfach behindert ist. Dabei geht es Reichle nicht um ein Mehr oder Weniger an Selbstbestimmung in Abhängigkeit von der Behinderung, sondern es geht ihm vielmehr um die Art und
Weise der Selbstbestimmung. Für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung ihre
Interessen nur eingeschränkt und mit fremder Hilfe äußern können, bedeuten
Selbstbestimmung und Teilhabe eine große Herausforderung aller Beteiligten
(ebd.). Grundlegende Voraussetzung dabei ist, dass Heimbewohner nicht behandelt werden, sondern mit ihnen verhandelt wird (ARMBRUSTER, W ALTER 2005, zit. n.
NIEHOFF: 138).
Verhandeln bedeutet im Alltag nach Reichle nicht, dass sich die Betreuer/Begleiter
jeglicher Einflussnahme enthalten müssen. Sehr wohl haben sie die Möglichkeit,
ihre Persönlichkeit in die Beziehung einzubringen, sowie Initiativen, Ideen und
Vorschläge zu äußern. Die zentrale Bedeutung dabei ist, dass diese Impulse, die
von Betreuern bzw. Begleitern gesetzt werden, nicht als unveränderbare, einzige
Möglichkeit und beste Weisheit verordnet werden dürfen. Hier muss es sich um
Angebote handeln, die auch Alternativen bieten (ebd.). „Diese Art der Begleitung“,
so definiert Niehoff, „ist eine ständige, von Empathie getragene Herausforderung
der Fachkräfte (…).“ Dabei ist ihre ganze pädagogische Phantasie und Improvisa-
9
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
tion gefordert, immer wieder ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz herzustellen (ebd.).
Im weiteren Verlauf erläutert Niehoff nochmals, wie wichtig es ist, dass sich der
Mensch mit Behinderung und der Betreuer bzw. Begleiter in ihrer Beziehung zueinander als Verhandlungspartner gegenüberstehen. Der Begriff Verhandlungspartner verdeutlicht, dass ein Mensch sein Gegenüber ernst nimmt.
Auf diese Weise begegnen sich also nicht ein behandelndes Subjekt und ein handelndes Objekt, sondern zwei Subjekte - ich und du (a. a. O.: 139). „Durch diese
ernst gemeinte Ich-Du Beziehung ist die Position behinderter Menschen im Leitbild
der Selbstbestimmung eine fundamental andere als im Leitbild der Förderung
(ebd.).“
Die Idee des Arbeitgebermodells und der Persönlichen Assistenz ist Teil der
Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, die in den Siebziger Jahren stattgefunden hat
(ARMBRUSTER, W ALTER 2005, zit. n. FLORIO: 145).
3.1
Das Arbeitgebermodell
In Deutschland leben ca. 1500 Menschen mit körperlicher Behinderung, die das
sog. Arbeitgebermodell praktizieren (a. a. O.: 144). Entscheiden sich Menschen
mit Behinderung für ein Leben mit dem Arbeitgebermodell, leben sie in den meisten Fällen eigenständig in einer Wohnung, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist.
Kennzeichnend für das Arbeitgebermodell ist, dass die betreffenden hilfebedürftigen Personen sich ihre Assistenten selbst aussuchen, sie anleiten und nach ihren
individuellen Bedürfnissen einsetzen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 32). Menschen, die einen Hilfe- und Pflegebedarf in dieser Form
benötigen, werden zur Erfüllung ihres individuellen Bedarfs zu Miniarbeitgebern.
Sie melden einen eigenen Betrieb an und erledigen alle Aufgaben eines Arbeitgebers (ebd.).
Zu den Aufgaben gehört u. a. die Beantragung einer Arbeitgebernummer, die Abführung möglicher Sozialversicherungsbeiträge bis hin zur Lohnauszahlung (ebd.).
Um diese effektivste Art der Selbstbestimmung leben zu können, sind Kompetenzen, die in den folgenden Unterkapiteln näher beschrieben werden, unbedingt notwendig (a. a. O.: 144).
10
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
3.1.1
Kompetenzen
Personalkompetenz
Der behinderte Arbeitgeber sucht seine Persönlichen Assistenten selbst aus
(ebd.).
Legt der Betreffende zum Beispiel Wert darauf, dass Pflegeleistungen ausschließlich geschlechtsspezifisch verrichtet werden, hat er so die Möglichkeit, diesem Bedürfnis gerecht zu werden (ebd.).
Anleitungskompetenz
Auf seine individuellen Bedürfnisse ausgerichtet, weist der Arbeitgeber mit Behinderung seine Assistenzpersonen selbst ein (ebd.).
Organisationskompetenz
Die individuelle Alltagsgestaltung den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend, ist durch diese Form der Hilfestellung gewährleistet. Der wesentliche
Teil der Selbstbestimmung liegt darin, dass der Mensch mit Behinderung seinen
Dienstplan selbst schreibt und somit die Entscheidung bei ihm liegt, zu welchen
Tageszeiten und in welchem Umfang er Hilfestellung in Anspruch nimmt (ebd.).
Sowohl die Organisationskompetenz als auch die Raumkompetenz gewährleisten
enorme Flexibilität und somit auch eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität
(ebd.). Auf diese Weise ist es dem Menschen mit Behinderung möglich, am Leben
in der Gesellschaft teilzuhaben. Vor allem bekommt er dadurch die Möglichkeit,
Verwirklichungschancen wahrnehmen zu können (a. a. O.: 155).
Raumkompetenz
Eine selbstbestimmte Lebensführung beinhaltet natürlich auch die Entscheidungsfreiheit der Menschen mit Behinderung über den Ort, an dem die Leistungen der
Assistenzperson ausgeführt werden sollen (a. a. O.: 145).
Folglich ergibt sich, dass der Arbeitgeber, der die Leistungen in Anspruch nimmt,
über die Wahl seines Wohnortes selbst entscheidet und seine Assistenzperson ihn
auch bei Urlaubs- oder Dienstreisen zur Verfügung steht (ebd.).
Finanzkompetenz
Der Hilfebedürftige nimmt, wie bereits mehrfach erwähnt, die Funktion des Arbeitgebers ein und hat so die Kontrolle über die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. In den meisten Fällen wird die Finanzierung der Arbeitsstellen durch
Unfallversicherungen, Kranken- und Pflegekassen, sowie von Sozialämtern und
11
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX (u. a. Persönliches Budget) sichergestellt (ebd.).
Außerdem werden seine persönlichen und sozialrechtlichen Ansprüche von ihm
eigenständig durchgesetzt (ebd.).
3.1.2
Risiken das Arbeitgebermodells
Nicht jeder Mensch mit Behinderung verfügt über die kognitiven Kompetenzen, um
sein Leben nach dem Arbeitgebermodell gestalten zu können (ebd.). Aufgrund der
immensen Verantwortung und der Risiken, die mit dem Arbeitgebermodell verbunden sind, fühlen sich auch einige Menschen nicht dazu in der Lage, eigenständig diese Verantwortung zu tragen. Die Risiken liegen vor allem in der Personal-, sowie in der Finanzkompetenz (a. a. O.: 146).
Damit die Hilfestellungen regelmäßig und zuverlässig verrichtet werden können,
ist ein großes Team an Assistenten von Vorteil. Auf diese Weise ist es einfacher,
im Krankheitsfall eines Assistenten seine Vertretung organisieren zu können. Außerdem ist es gesetzlich vorgegeben, dem Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl
an freien Tagen und Urlaubstagen zu gewährleisten. In vielen Fällen werden Assistenzjobs von Zivildienstleistenden und Menschen, die ein freiwilliges soziales
Jahr absolvieren, auch von Auszubildenden, Studenten oder Menschen, die im
sozialen Bereich arbeiten, nebenher ausgeführt, so dass es unabdingbar ist, die
Dienste auf mehrere Personen zu verteilen. Zuverlässige Arbeitnehmer für sich zu
gewinnen ist mit viel Arbeit verbunden und braucht seine Zeit (ebd.). Der Arbeitgeber setzt seine Ansprüche, damit er die Gelder bekommt, mit denen er seine
Assistenten bezahlt, selbst durch (vgl. Kapitel 3.1.1). Bis und ob die entsprechenden Gelder bewilligt werden, ist zu Beginn oft ungewiss und dauert ebenfalls zu
lange. So kann es durchaus vorkommen, dass die Arbeitnehmer in dieser Zeit unentgeltlich arbeiten. Diese ungewisse Situation bringt vor allem für den Arbeitgeber eine enorme Belastung mit sich, denn es ist unklar, ob er den finanziellen und
auch personellen Hilfebedarf abgedeckt bekommt, den er für eine qualitative eigenständige Lebensführung benötigt (a. a. O.: 147).
Einige Rechtsgrundlagen worauf sich Finanzierungsmöglichkeiten von Assistenz stützen
Wie wird Pflegebedürftigkeit definiert?
"Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist im Pflegeversicherungsgesetz SGB XI in
§14 geregelt. Pflegebedürftig sind Menschen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe
12
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
bedürfen. Dieser Hilfebedarf muss auf Dauer bestehen. Bei der Einstufung der
Pflegebedürftigkeit ist die Art der Erkrankung nicht von Bedeutung. Vielmehr geht
es darum, festzustellen, wie stark der Pflegebedürftige in seiner Fähigkeit, sich
selbst zu pflegen, eingeschränkt ist. Der Hilfebedarf bezieht sich auf alle im Gesetz definierten Pflegeverrichtungen (ZULAUF 2005: 4).“
§15 SGB XI - Stufen der Pflegebedürftigkeit
(1)
Für die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz sind pflegebedürftige Personen (§14) einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen (BeckTexte, dtv 2007: 1305).
1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und
zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich
rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach
in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen
(…) (ebd.).
SGB XI §36 Pflegesachleistungen
Pflegesachleistungen erhalten alle Pflegebedürftigen, die in häuslicher Umgebung
von einem Pflegedienst gepflegt werden.
Pflegestufe
bisheriger
Betrag
Betrag ab
Juli 2008
Betrag ab
2010
Betrag ab
2012
Stufe 1
384 EUR
420 EUR
440 EUR
450 EUR
Stufe 2
921 EUR
980 EUR
1.040 EUR
1.100 EUR
Stufe 3*
1.432 EUR
1.470 EUR
1.510 EUR
1.550 EUR
Tab. 1: Pflegesachleistungen
*Die Stufe 3 bei außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand in Höhe von monatlich
1.918 Euro bleibt unverändert.
13
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
SGB XI §36 Pflegegeld
Pflegegeld erhalten alle Pflegebedürftigen, die in häuslicher Umgebung zum Beispiel von einem Angehörigen oder Bekannten gepflegt werden.
Pflegestufe
bisheriger
Betrag
Betrag ab
Juli 2008
Betrag ab
2010
Betrag ab
2012
Stufe 1
205 EUR
215 EUR
225 EUR
235 EUR
Stufe 2
410 EUR
420 EUR
430 EUR
440 EUR
Stufe 3
665 EUR
675 EUR
685 EUR
700 EUR
Tab. 2: Pflegegeld
(http://www.tk-online.de/centaurus/generator/tk-online.de/dossiers/ pflegeversicherung/00-pflegereform/pflegereform__seq,templateId= renderPrintPage.html
27.01.2009)
SGB XI § 38 Kombination von Geld- und Sachleistung (Kombinationsleistung)
Des Weiteren existiert in der Pflegeversicherung die sog. Kombinationsleistung
(Beck-Texte, dtv 2007: 1320). Diese trifft dann zu, wenn der Pflegebedürftige sowohl von einem Pflegedienst, als auch von einem Angehörigen gepflegt wird.
Die pflegebedürftige Person nimmt in diesem Fall die Sachleistung nur teilweise in
Anspruch. Für die Zeit, in welcher der Mensch mit Pflegebedürftigkeit von Angehörigen gepflegt wird, wird ein anteiliges Pflegegeld ausbezahlt (ebd.).
14
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
Gebührenordnung für pflegerische Leistungen
des AWO Kreisverbands Esslingen e.V. Stand 12.12.2005
Gebühren für Pflegesachleistungen aufgrund der Anlage 1 zum Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI (in Baden-Württemberg gültig seit dem 01.06.2001)
Leistungsbezeichnung
Pflegekraft
Hauswirt.
Fachkraft
Große Toilette
21,33 EUR
18,29 EUR
Kleine Toilette
14,23 EUR
12,23 EUR
Transfer/An-/Auskleiden
7,70 EUR
6,59 EUR
Hilfe bei der Ausscheidung
9,46 EUR
Einfache Hilfe b. Ausscheidung
8,11 EUR
Spezielles Lagern
4,73 EUR
4,06 EUR
Mobilisation
4,73 EUR
4,06 EUR
Einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
4,73 EUR
4,06 EUR
Umfangreiche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
16,60 EUR
14,22 EUR
Verabreichung von Sondennahrung mittels Spritze, Schwerkraft oder Pumpe
14,57 EUR
Hilfestellung bei Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung*
*7,10 EUR
*6,11 EUR
Zubereitung einer einfachen Mahlzeit
10,45 EUR
10,19 EUR
2,26 EUR
2,26 EUR
Zubereitung einer (i. d. R. warmen) Mahlzeit in der
Häuslichkeit des Pflegebedürftigen
20,90 EUR
20,38 EUR
Einkauf/Besorgungen*
*6,27 EUR
*6,11 EUR
Waschen, Bügeln, Putzen*
*6,27 EUR
*6,11 EUR
Vollständiges Ab- und Beziehen des Bettes
4,17 EUR
4,07 EUR
Beheizen
6,27 EUR
4,07 EUR
Fahrtkosten pro Hausbesuch bei Pflegeleistungen
nach SGB XI
3,17 EUR
3,17 EUR
Fahrtkosten pro kombinierter Hausbesuch mit Behandlungspflege nach SGB V und Pflege
1,73 EUR
1,73 EUR
Essen auf Rädern / stationärer Mittagstisch
Tab. 3: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 1
15
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
Leistungsbezeichnung
Ergänzende
Hilfe
Helfer ohne
qualifizierte
Pflegeausbildung
ZIVI / FSJ
Große Toilette
14,62 EUR
7,54 EUR
Kleine Toilette
9,78 EUR
5,00 EUR
Transfer/An-/Auskleiden
5,28 EUR
2,70 EUR
Einfache Hilfe b. Ausscheidung
6,49 EUR
3,35 EUR
Spezielles Lagern
3,24 EUR
Hilfe bei der Ausscheidung
Mobilisation
Einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
3,24 EUR
1,64 EUR
11,38 EUR
5,89 EUR
*4,89 EUR
*2,52 EUR
Zubereitung einer einfachen Mahlzeit
8,14 EUR
4,17 EUR
Essen auf Rädern / stationärer Mittagstisch
2,26 EUR
2,26 EUR
16,28 EUR
8,36 EUR
Einkauf/Besorgungen*
4,89 EUR
2,52 EUR
Waschen, Bügeln, Putzen*
4,89 EUR
2,52 EUR
Vollständiges Ab- und Beziehen des Bettes
3,24 EUR
1,65 EUR
Beheizen
4,89 EUR
2,52 EUR
Fahrtkosten pro Hausbesuch bei Pflegeleistungen
nach SGB XI
3,17 EUR
3,17 EUR
Fahrtkosten pro kombinierter Hausbesuch mit Behandlungspflege nach SGB V und Pflege
1,73 EUR
1,73 EUR
Umfangreiche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
Verabreichung von Sondennahrung mittels Spritze, Schwerkraft oder Pumpe
Hilfestellung bei Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung*
Zubereitung einer (i. d. R. warmen) Mahlzeit in der
Häuslichkeit des Pflegebedürftigen
Tab. 4: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 2
Anmerkung: * pro angefangener 1/4 Stunde
Zuschläge für Einsätze in der Nacht von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr: 1,93 € pro Hausbesuch. Zuschläge für Einsätze an Sonn- und Feiertagen: 2,00 € pro Hausbesuch.
http://www.awo-kv-esslingen.de/angebote/gebuehrenordnung.htm 23.01.2009
16
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
Das Persönliche Budget für pflegebedürftige Menschen nach dem SGB XI
Ein weiteres regional bezogenes Angebot zur Sach- und Geldleistung ist das Persönliche Pflegebudget nach dem SGB XI (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 15/5015.
2005: 129).
Dies wird aus den Sachleistungsbeträgen der jeweiligen Pflegestufe (§ 36 Abs. 3
SGB XI) und der Sozialhilfe gebildet. Das Geld wird von den Krankenkassen direkt
an den Pflegebedürftigen überwiesen (ebd.).
Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung nach dem SGB IX
Das persönliche Budget für Menschen mit Behinderung §17 wird in Form eines
Geldbetrages von dem beteiligten Sozialleistungsträger beispielsweise im Rahmen der Eingliederungshilfe (SGB XII Absatz 3) anstelle von Sachleistungen zur
Verfügung gestellt. Die Höhe des Geldbetrages hängt von dem Umfang des Hilfebedarfs ab. Mit diesem Geld können Menschen mit Behinderung individuell notwendige Hilfen bzw. Dienstleistungen einkaufen.
So wird ihnen ermöglicht, sich zusätzlich zur Pflegestufe Dienstleistungen einzukaufen, beispielsweise eine Begleitung für die Freizeitgestaltung. So haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, ihr Leben individueller zu gestalten (ebd.).
Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung nach dem SGB XII
§ 54 Leistungen der Eingliederungshilfe
(1)
Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§
26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere: (BECK-TEXTE, dtv
2007: 1320)
1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen
der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen
einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht
bleiben unberührt,
2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule,
3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit,
4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56,
5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben.
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.
17
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
(2)
Erhalten behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen in einer
stationären Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe, können ihnen oder ihren Angehörigen zum gegenseitigen Besuch Beihilfen geleistet werden,
soweit es im Einzelfall erforderlich ist (ebd.).
Fazit
Besteht ein im Sinne des Gesetzes erforderlicher Hilfebedarf, der über den pflegerischen und hauswirtschaftlichen Bedarf hinausgeht, besteht die Möglichkeit, Bedarfe in anderen Bereichen zu decken, beispielsweise bezüglich der Alltagsbewältigung oder der Alltagsgestaltung. Das kann auf Grund verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten gewährleistet werden.
3.2
Indirekte Assistenz
Trauen sich Menschen mit Behinderung nicht zu, die Personal- und Finanzkompetenz wahrzunehmen und somit nach dem Arbeitgebermodell zu leben, gibt es die
Möglichkeit, diese Aufgabe vertraglich an eine Assistenzorganisation abzugeben
(MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 24). Das schließt aber
in keinem Fall eine selbstbestimmte Lebensführung aus, denn die Anleitungs- und
Organisationskompetenz wird dennoch von den Menschen mit Behinderung eigenständig wahrgenommen. Konkret bedeutet dies, dass die Assistenzorganisation dem, der Hilfe benötigt, Personal zur Verfügung stellt und die Abrechnung mit
der Krankenkasse übernimmt. Doch der Mensch mit Behinderung entscheidet eigenständig, wann er jemand benötigt, dadurch dass er seinen Dienstplan selbst
gestaltet und diesem dann z. B. wöchentlich der Assistenzorganisation zukommen
lässt. Die Anleitungskompetenz wird vor Ort ebenfalls eigenständig ausgeführt.
Die Tatsache, dass der Mensch mit Behinderung sowohl über die Anleitungskompetenz verfügt, als auch die Möglichkeit hat, seinen Dienstplan selbst zu gestalten,
garantiert ein hohes Maß an Flexibilität, wodurch eine Steigerung der Lebensqualität gewährleistet ist (ebd.).
3.3
Hilfe durch unbezahlte Helfer
Ebenfalls können Hilfebedürftige ehrenamtliche Helfer engagieren. Diese Organisationsform bietet in vielen Fällen allerdings keine verlässliche Struktur und kann
z. B. dann angewendet werden, wenn es sich um die Ausführung nicht regelmäßiger Tätigkeiten handelt (ebd.).
18
3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung
3.4
Verrichtungen durch einen herkömmlichen ambulanten Pflegedienst
Zusätzlich zu den soeben genannten beiden Assistenzmodellen gibt es die Möglichkeit, Leistungen, welche den Einkauf, Hauswirtschaft und die Pflege umfassen,
von einem ambulanten Pflegedienst in Anspruch zu nehmen (DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.
2001: 239). Bei dieser Form der Hilfeleistung sind die Patienten meistens sehr
starren und unflexiblen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Diese Dienste werden in
der Regel von Fachkräften, also Krankenschwestern oder Altenpflegern ausgeführt, die ihre Patienten in zeitlich festen Touren versorgen. In der Praxis bedeutet
das, dass eine betreffende Person zum Beispiel jeden Morgen um 9:00 Uhr aus
dem Bett geholt und Pflege verrechnet wird, an festen Zeiten am Tag auf die Toilette gesetzt und abends pünktlich um 20:00 Uhr wieder ins Bett gebracht wird.
Der streng vorgegebene Tagesablauf hat mit Selbstbestimmung nicht viel gemein
und eignet sich nur sehr bedingt für Menschen mit Behinderung. Für alte und bettlägerige Menschen, die durch feste Rahmenbedingungen Orientierung und Sicherheit erfahren, ist dieser Form der Hilfestellung geeignet. In der Bundesrepublik
Deutschland gibt es allerdings einige wenige ambulante Dienste, die ihr Dienstleistungsangebot an den Prinzipien des selbstbestimmten Lebens und dem Modell
der persönlichen Assistenz orientieren (a. a. O.: 240).
3.5
Hilfe von professionellen Helfern mit einer an Selbstbestimmung orientierten Fachlichkeit
Insbesondere pädagogisch geprägte Hilfen, aber auch therapeutische und sozialarbeiterische Hilfen lassen sich nicht im Rahmen Persönlicher Assistenz als Arbeitnehmer organisieren (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.
2001: 26). Diese Art der Hilfen findet oftmals in Form von Gesprächen statt und
dient hauptsächlich dazu, den Prozess des eigenständigen Lebens mit Behinderung und die dabei entstehenden Problematiken, sowie positive Gegebenheiten zu
begleiten und zu unterstützen (ebd.).
19
4 Konfliktsituationen und Ursachen
4
Konfliktsituationen und Ursachen
Die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Assistent basiert auf der Ebene einer
Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung. Trotzdem ist sie in vielen Fällen zusätzlich
von Elementen geprägt, die dieser Beziehung eine sehr starke Intensität verleiht.
Diese Beziehungen können dennoch starke Konfliktpotenziale enthalten (MOBILE
- Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 285). Auf die Konfliktfälle, die
sich in solch einer Beziehung ergeben können, wird in den folgenden Unterkapiteln eingegangen.
4.1
Gemeinsames Auftreten des Menschen mit Behinderung mit seinem
Assistenten
Wenn der Mensch mit Behinderung (Assistenznehmer) und sein Assistent in der
Öffentlichkeit gemeinsam auftreten, passiert es sehr häufig, dass mit dem Assistenten, statt mit dem Assistenznehmer, gesprochen wird (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 271). Diese unangenehme und zugleich
diskriminierende Erfahrung kann in manchen Situationen zu Nachteilen für den
Arbeitgeber führen. Das ist zum Beispiel dann gegeben, wenn der Assistent etwas
preisgibt, was der Arbeitgeber nicht möchte, dass es preisgegeben wird.
Häufig lässt sich aber auch der Mensch mit Behinderung, wenn er mit seinem Assistenten unterwegs ist, aus Bequemlichkeit Gespräche und Entscheidungen abnehmen. Er hat es leichter, wenn er die Möglichkeit hat, sich seiner vollen Verantwortung zu entziehen. Das trägt aber nicht zu einer autonomen Lebensführung
bei, sondern verstärkt eine Lebensführung in Abhängigkeit (ebd.).
Schwierigkeiten des gemeinsamen Auftretens sind besonders dann gegeben,
wenn der Assistenznehmer aufgrund seines hohen Hilfebedarfs überwiegend gemeinsam mit seinem Persönlichen Assistenten in Erscheinung tritt (a. a. O.: 274).
Es können Probleme entstehen, wie das gemeinsame Auftreten von der Umwelt
wahrgenommen wird. Auch ist das Auftreten zu zweit für das Selbstbild des Assistenznehmers von großer Bedeutung (ebd.). Es kann vorkommen, dass der Assistenznehmer das Gefühl hat, nicht mehr als gleichwertiges Individuum, sondern nur
noch als Einheit mit dem persönlichen Assistenten wahrgenommen zu werden (a.
a. O.: 275). Die Ursache dafür liegt möglicherweise darin, dass der Persönliche
Assistent die Rolle des Arbeitnehmers verlässt und zu dominant auftritt. Darauf
sollte der Assistenznehmer sofort reagieren, indem er seinen Persönlichen Assistenten auf die Problematik hinweist und ihn an seine Rolle erinnert. Je klarer die
Rollenverteilung definiert ist, und der Arbeitnehmer darüber aufgeklärt hat, wann
20
4 Konfliktsituationen und Ursachen
er seine Assistenz benötigt und wann sie in den Hintergrund treten soll, desto autonomer ist es dem Assistenznehmer möglich, aufzutreten.
Diese Basis kann nur durch eine gelungene Kommunikation beider Parteien, sowie der Auseinandersetzung mit der Thematik geschaffen werden. Ebenfalls ist es
wichtig, dass der Assistenznehmer sein Handeln ständig reflektiert und wenn notwendig, sich diesbezüglich bei einer Assistenzorganisation Rat einholt.
Besonders wichtig ist jedoch, dass jeder Assistenznehmer, so wie es ihm individuell möglich ist, versucht, Gelegenheiten wahrzunehmen, in denen er ohne Assistenzperson seiner Umwelt begegnen kann (Studie: Leben mit Persönlicher Assistenz DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes
Leben Behinderter e.V. 2001: 239). Warum das so wichtig ist, wird in einem späteren Kapitel der Diplomarbeit genauer erläutert.
4.2
Gestaltung der Anfangsphase
Wird eine Persönliche Assistenz neu eingearbeitet, wird diese Zeit von vielen
Menschen mit Behinderung als schwierig empfunden (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 285). Die Ursache liegt meistens darin, dass die
neue Assistenz eingearbeitet werden muss und noch nicht mit der Tätigkeit vertraut ist. Für die neue Persönliche Assistenz ist eine Arbeitssituation in dieser Art
vielleicht ungewohnt und sie fühlt sich möglicherweise mit dieser Tätigkeit überfordert. In dieser Phase kann es leicht zu Konflikten kommen, da beide Parteien in
der Beziehung stark gefordert werden. Schwierigkeiten gibt es vor allem dann,
wenn der Assistenznehmer auf den Neuanfang seines Mitarbeiters nur bedingt
Rücksicht nehmen kann, weil an ihn dennoch die Alltagsanforderungen, die er zu
bewältigen hat, gestellt werden (a. a. O.: 286).
4.3
Zeitliche Intensität
Verfügen Menschen über einen hohen Hilfebedarf, folgt daraus, dass der Assistenznehmer und dessen Persönlicher Assistent sehr viel Zeit miteinander verbringen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 286). Eine Schicht
kann bis zu 24 Stunden inklusive Nachtbereitschaft andauern. Dadurch kann sich
eine sehr intensive Beziehung zwischen beiden Parteien ergeben. Die Tatsache,
dass man viel Zeit miteinander verbringt, kann aber auch zu Konflikten führen.
Manche Assistenznehmer empfinden es als besonders schwierig, wenn die Assistenz in einer so langen Schicht ständig erwartet, beschäftigt zu werden. Einige
Assistenten empfinden es nicht als Arbeit, wenn es wenig oder sogar nichts zu tun
gibt. Dabei liegt die Aufgabe der Assistenz auch darin, einfach anwesend zu sein,
21
4 Konfliktsituationen und Ursachen
sei es im Nebenraum, um zur Verfügung stehen zu können, wenn Hilfe benötigt
wird (ebd.).
Aufgrund der oben genannten Tatsache, dass der Assistenznehmer und dessen
Persönliche Assistenz in vielen Fällen sehr viel Zeit miteinander verbringen, ist es
von besonderer Bedeutung, dass eine Umgangsform gefunden wird, mit der beide
Parteien zurechtkommen. Sollten beide Parteien auf zwischenmenschlicher Ebene
nicht gut miteinander umgehen können, kann das zu Schwierigkeiten und Konflikten führen (ebd.).
4.4
Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und Assistent
Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und Assistent werden
im Folgenden aufgezählt, aber es wird nicht näher darauf eingegangen.
Auslöser von Konflikten können u. a. in der Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit
des Assistenten liegen, sowie in der unselbstständigen Arbeitsweise und der unzureichenden Qualität der Arbeit. Mangelnde Motivation und das Ausnutzen von
Freiräumen können ebenfalls die Ursache für Konflikte sein (a. a. O.: 290 - 293).
Im folgenden Unterkapitel wird eine der Hauptursachen von Konflikten in der Beziehung von Menschen mit Behinderung und ihrem Assistenten erläutert (ebd.).
4.5
Bevormundung und Machtkämpfe des Assistenten
Die Tätigkeit der Persönlichen Assistenz ist geprägt von Hilfestellungen, die auszuführen sind (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 288). In
diesem Zusammenhang werden Assistenten auch als ‘Werkzeuge` oder als Hände beschrieben, die zur Ausführung der Tätigkeiten, die der Hilfebedürftige nicht
selbstständig ausführen kann, benutzt werden. In der Realität lassen sich Assistenten nicht ausschließlich auf diese Funktion reduzieren, da es sich bei ihnen um
Menschen und nicht um Maschinen handelt. Menschen bringen ihre ganz individuellen Vorzüge und Eigenheiten in das Verhältnis mit ein. Hinzu kommt, dass der
Status, den die Tätigkeit „Helfen“ in unserer Gesellschaft einnimmt, oftmals von
außen, aber auch von der Person, die die Hilfestellungen gibt, mit einem Mitbestimmungsrecht über das Leben des Menschen, dem Hilfestellungen entgegengebracht werden, verknüpft wird. Das bedeutet, dass Bevormundung seitens der
Persönlichen Assistenz dem Hilfebedürftigen gegenüber nicht auszuschließen ist.
Trotz der Existenz von vertraglichen Regelungen wie u. a. der Bezahlung der Persönlichen Assistenz, die versuchen soll, Hierarchien abzubauen, sehen einige Betroffene dennoch die Gefahr sehr deutlich, dass es Persönliche Assistenten gibt,
die versuchen, über das Leben der Menschen mit Behinderung zu bestimmen.
22
4 Konfliktsituationen und Ursachen
Aufgrund dieser Tatsache wird das Gefühl der Abhängigkeit gegenüber der Assistenz verursacht bzw. verstärkt, vor allem dann, wenn man täglich auf die Hilfe der
Assistenz angewiesen ist.
Selbstverständlich bedeutet diese Art der Arbeit auch für die Persönliche Assistenz eine große Herausforderung. Sich über längere Zeit stark zurücknehmen zu
müssen und der Handlanger zu sein, ist ebenfalls nicht immer einfach (ebd.).
23
5 Hunde helfen Menschen
5
Hunde helfen Menschen
Einen Hund zu haben bedeutet für die meisten Menschen viel Freude, denn sie
haben die Möglichkeit, ihr Leben mit einem ganz besonderen Lebensgefährten an
ihrer Seite gestalten zu können (HORNSBY 2000: 4). Mittlerweile erfüllen viele Hunde Aufgaben, die über die eines loyalen Familienhundes weit hinausgehen. Traditionelle Aufgaben eines Hundes, wie die des Hütehundes oder die des Rattenfängers werden immer weniger. Ein Aufgabenbereich, der sich immer mehr erweitert,
liegt in individuellen Hilfestellungen, die der sog. Assistenz- bzw. Servicehund ausführt, um das Leben seines Besitzers mit Behinderung zu erleichtern (ebd.).
In den folgenden Unterkapiteln werden u. a. verschiedene Arten der Assistenzbzw. Servicehunde mit ihren ganz speziellen Hilfestellungen kurz dargestellt
(ebd.).
5.1
Blindenführhunde
Die Aufgabe von Blindenführhunden besteht darin, ihren sehbehinderten oder
blinden Besitzer zu jeder Zeit, in jeder Umgebung und an jedem Ort sicher zu leiten und zu führen (RÖGER-LAKENBRINK 2000: 24). Hunde dieser Art haben es gelernt, ihre Besitzer sicher durch den Straßenverkehr zu führen, sowie den Straßenverlauf nach links oder nach rechts anzuzeigen (HOLLIK 2003: 98).
Außerdem sind Blindenführhunde in der Lage, den blinden Menschen um Hindernisse zu leiten, sowie ihn zu einer Bushaltestelle, einem freien Sitzplatz oder einer
Türe zu führen (ebd.).
5.2
Signalhunde
„Sie sind ausgebildet, um dem hörbehinderten oder gehörlosen Menschen jederzeit und überall wichtige Geräusche zu melden und mitzuteilen (RÖGERLAKENBRINK 2000: 24).“ Solche Hunde machen ihren Besitzer u. a. darauf aufmerksam, wenn dessen Namen gerufen wird, das Baby schreit oder der Wecker
klingelt. Eine sehr wichtige Aufgabe des Signalhundes besteht darin, seinen hörbehinderten oder gehörlosen Besitzer vor Gefahren, beispielsweise vor heruntergefallenen Gegenständen oder fahrenden Autos zu warnen (HOLLIK 2003: 99).
24
5 Hunde helfen Menschen
5.3
Epilepsie- oder Anfallswarnhunde
Der Epilepsiehund, auch Anfallswarnhund genannt, ist in der Lage zu erkennen,
dass ein epileptischer Anfall seines Besitzers bevorsteht (OTTERSTEDT 2001: 80).
Es gibt verschiedene Merkmale, die es einem speziell ausgebildeten Hund ermöglichen, epileptische Anfälle vor deren Ausbruch erkennen zu können (a. a. O.: 81).
Steht ein epileptischer Anfall bevor, führt das zu einer verstärkten Aktivität des
Gehirns. Das wiederum führt zur Ausschüttung von Botenstoffen, die den Körpergeruch des Betreffenden verändern. Ein Anfallswarnhund hat es gelernt, auf die
Veränderung des Geruchs seines Besitzers zu reagieren. Naht ein epileptischer
Anfall, verändert sich ebenfalls durch die gesteigerte Aktivität des Gehirns unbewusst das körpersprachliche Verhalten des Epileptikers. Der Hund reagiert auf die
körpersprachliche Signale, die der Besitzer oberhalb des Rumpfes zeigt. Hierbei
kann es sich unter anderem um erweiterte Pupillen oder um ein Zucken des Fingers handeln. Da der Hund so ausgebildet ist, dass er schon bei den kleinsten
Anzeichen reagiert, macht er seinen Besitzer oftmals 20 bis 40 Minuten vorher
darauf aufmerksam, dass ein epileptischer Anfall bevorsteht. Der Hundebesitzer
hat dann die Möglichkeit, adäquat zu reagieren, indem er seine Medikamente einnimmt, sich hinlegt oder sich in einen Sessel setzt. So ist der Epileptiker durch den
Anfall nicht der Gefahr ausgesetzt, zu stürzen (ERIK KERSTING Gemeinnützige Gesellschaft "Stiftung Hunde helfen Leben" mbH 03.12.2008). Durch den Anfallswarnhund können somit Verletzungen vorgebeugt oder gemindert werden. Ebenso
ist der ausgebildete Hund, wenn nötig, in der Lage, Hilfe zu holen, indem er eine
Notklingel betätigt oder Laut gibt, also bellt. Während des Anfalls ist es von Bedeutung, dass der Körperkontakt zwischen Mensch und Hund aufrechterhalten
wird. So kann die Dauer eines Anfalls verkürzt werden und der Epileptiker erlangt
schneller sein Bewusstsein zurück. Menschen gewährleisten den Kontakt, indem
sie während des Krampfes den Kopf des Betreffenden halten und mit ihm sprechen. Anfallswarnhunde stellen den Kontakt her, indem sie ihrem Besitzer die
Strümpfe ausziehen, um die Füße lecken zu können. Nach einem Anfall ist der
Mensch häufig desorientiert und es dauert eine Zeit, bis sich sein Zustand normalisiert hat. Der Anfallswarnhund hat es gelernt, in solchen Situationen seinen Besitzer sicher zu führen und ihn durch seine Nähe zu wärmen (ebd.).
Epilepsiehunde werden in Deutschland u. a. von dem Hundeerzieher und Verhaltensberater Erik Kersting ausgebildet (http://www.canis-familiaris.de/ index.php?Itemid=71&id=12&option=com_content&task=view 03.01.2009).
Ist man von Epilepsie betroffen, kann das schwere körperliche, seelische und soziale Auswirkungen mit sich bringen (OTTERSTEDT 2001: 82). Mit einem Anfallswarnhund an der Seite, erfahren Menschen mit Epilepsie Sicherheit, die wiederum
25
5 Hunde helfen Menschen
dazu führt, dass das Selbstvertrauen der Menschen gestärkt wird und sie es sich
trotz ihrer Krankheit zutrauen, soziale Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände
zu pflegen (ebd.).
5.4
Diabetikerwarnhunde
Speziell ausgebildete Hunde sind auch in der Lage, frühzeitig den gefährlichen
Zustand der Unterzuckerung bei einem Menschen mit einer Diabeteserkrankung
zu erkennen (OTTERSTEDT 2001, zit. n. ENEY UND ROBINSON 1998: 13, sowie W ILLI2000). Genauso wie im Unterkapitel der Anfallswarnhund beschrieben, verändert sich auch beim Diabetiker der körperliche Geruch, oder der Hund nimmt
vor einer Unterzuckerung gewisse körperlich veränderte Signale wahr, auf diese
er seinen Besitzer aufmerksam macht, damit er dementsprechend reagieren kann.
Es gibt Formen des Diabetes, bei denen die Diabetiker beispielsweise durch
Schwindel, Heißhunger oder Schweißausbrüche bemerken, wenn sie in die Unterzuckerung geraten. Sie haben dann die Möglichkeit, adäquat zu reagieren, indem
sie entweder Traubenzucker zu sich nehmen oder sich zur Ruhe begeben. Unterzuckerung wird in vielen Fällen während des Schlafes sehr spät erkannt und bedeutet somit eine erhebliche Gefahr für den Diabetiker, denn Bewusstseinsstörungen oder das Verfallen ins Koma können die Folge sein. Aus diesem Grund leiden
viele Diabetiker unter Schlafproblemen. Ein Hund, der es gelernt hat, den Zustand
der Unterzuckerung rechtzeitig zu melden, verleiht den Betroffenen mehr Sicherheit bei Tag und Nacht (ebd.). Erleidet der Diabetiker eine Bewusstseinsstörung,
ist der Hund außerdem in der Lage, Hilfe zu holen. Auch gibt es Formen der
Krankheit, bei denen die Diabetiker selbst nicht bemerken, dass sie in die Unterzuckerung geraten. In solchen Fällen muss der Diabetiker ständig darauf achten,
dass er in regelmäßigen, recht kurzen Abständen Traubenzucker oder gesüßte
AMS
Getränke zu sich nimmt. Ist man an einer solchen Form der Diabetes erkrankt, bei
der die Unterzuckerung nicht bemerkt wird, verleiht ein Diabetikerwarnhund mehr
Sicherheit, indem er seinen Halter auf die Unterzuckerung aufmerksam macht. An
solch einer Form des Diabetes ist Simone Oberenzer aus Osnabrück seit sechs
Jahren erkrankt. Nachdem sie aufgrund ihrer Diabeteserkrankung ihr Studium des
Lehramtes abbrechen musste, ging sie in die USA, um ihren eigenen Hund zum
Diabeteswarnhund auszubilden. Diese Aufgabe wurde ihr zur Lebensaufgabe.
Simone Oberenzer arbeitet in einem Ausbildungszentrum für Servicehunde und
bildet Diabeteswarnhunde aus (Telefonat mit SIMONE OBERENZER 2008
http://www.hunde-fuer-diabetiker-und-andere-servicehunde.de/index.html
03.01.2009).
26
5 Hunde helfen Menschen
5.5
Therapiehunde
Therapiehunde sind keine Assistenz- bzw. Servicehunde. Sie arbeiten gemeinsam
mit ihren ausgebildeten Besitzern als Team an verschiedenen Einsatzorten mit
unterschiedlicher Klientel (LAKENBRINK 2000: 24). In Pflege- und Altenheimen, Rehakliniken, Psychiatrien und Justizvollzugsanstalten wird mit Therapiehunden gearbeitet (HOLLIK 2003: 98). Außerdem werden diese Hunde in die Arbeit mit autistischen Menschen, sowie bei körperlich und geistig behinderten Menschen eingesetzt, vor allem, wenn es sich dabei um Kinder handelt. Durch den Einsatz von
Therapiehunden können sensorische und motorische Entwicklungen angeregt und
ausgewählte Therapieformen unterstützt werden (ebd.).
27
6 Zum Behindertenbegleithund
6
Zum Behindertenbegleithund
Anhand der in Kapitel 4 beschriebenen Problematik wird deutlich, dass es besonders wichtig ist, dass jeder Mensch mit Behinderung versucht, so wie es individuell
möglich ist, Gelegenheiten wahrzunehmen, in denen er ohne Assistenzperson
seiner Umwelt, also z. B. seinen Studien-, sowie Arbeitskollegen und Freunden
begegnen kann (DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 239).
Das stärkt das Selbstvertrauen des Menschen mit Behinderung und er ist somit in
der Lage, selbstbewusster und selbstsicherer auf andere Menschen zuzugehen.
Das Umfeld, das den Mensch mit Behinderung kennt und ihn als Person wertschätzt, nimmt oftmals die Behinderung nach einiger Zeit nicht mehr wahr. Ist es
dem Umfeld bewusst, dass es dem Mensch mit Behinderung äußerst wichtig ist,
sein Leben autonom mit Assistenz zu leben, haben Freunde nie das Gefühl, in die
Pflicht genommen zu werden und erledigen kleine Hilfestellungen, sowie Toilettengänge mit einer Selbstverständlichkeit, weil ihnen der Mensch wichtig ist und
sie mit ihm Zeit verbringen wollen (ebd.).
Der ausgebildete Behindertenbegleithund, auch Service Dog genannt, ist in der
Lage, einem Rollstuhlfahrer konkrete Hilfestellung zu leisten (KAWOHL, SCHERR,
2003: 17). Mit ihm an der Seite hat der Mensch mit Behinderung die Möglichkeit,
auch ohne Assistenzperson unterwegs zu sein. Dem Hund ist es u. a. möglich,
Gegenstände vom Boden aufzuheben, die dem Rollstuhlfahrer herunterfallen. Da
dieser in vielen Fällen aufgrund seiner Behinderung selbst nicht in der Lage ist, die
Gegenstände aufzuheben, erledigt das der Behindertenbegleithund, indem er auf
Kommando die Gegenstände seinem Besitzer bringt. Dabei kann es sich um Münzen, Büroklammern oder sogar um Papier handeln (ebd.). Des Weiteren steht
solch ein Hund seinem Besitzer mit Behinderung unterstützend im Haushalt zur
Seite. Er räumt beispielsweise die Waschmaschine aus oder hilft beim Aufräumen
der Wohnung, indem er unbrauchbare Gegenstände in den Mülleimer befördert.
Außerdem wird einem Behindertenbegleithund beigebracht, seinem Besitzer das
Telefon zu bringen, sowie Türen und Schubladen zu öffnen und zu schließen. Ein
Behindertenbegleithund ist außerdem in der Lage, Licht- und Liftschalter auf
Kommando zu betätigen (a. a. O.: 18). Ebenso kann ein solch ausgebildeter Hund
beim Entkleiden helfen. Mit Hilfe von speziellen Hängetaschen, die auf seinem
Rücken befestigt sind, kann der Hund kleine Einkäufe transportieren. Auch ist es
ihm möglich, den Rollstuhl seines Halters über kurze Strecken zu ziehen (OTTERSTEDT 2001: 145). Ist es für den Rollstuhlfahrer erforderlich, dass der Hund den
Kopf des Besitzers oder dessen Arm bei Bedarf in die richtige Position rücken
kann, wird auch dies dem Hund beigebracht, denn die individuelle Assistenz des
28
6 Zum Behindertenbegleithund
Behindertenbegleithundes ist auf die Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung
und auf die Fähigkeit des Hundes abgestimmt (ebd.). Befindet sich der Rollstuhlfahrer in einer Situation, in der er spontan auf menschliche Hilfe angewiesen ist,
kann der Behindertenbegleithund auf Befehl Laut geben, also bellen oder Notschalter betätigen, sodass Menschen in der Umgebung aufmerksam werden und
reagieren können (KAWOHL, SCHERR 2003: 17). Das Bellen des Hundes kann beispielsweise dann von Bedeutung sein, wenn der Mensch mit Behinderung in seiner Wohnung mit dem Rollstuhl umgekippt und nicht mehr in der Lage ist, eigenständig Hilfe zu organisieren. Durch das Bellen des Hundes können Nachbarn
darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Hilfe benötigt wird (ebd.).
Abb. 2: BBH bringt Telefon (Verein
Partner-Hunde Österreich) 4
www.balouchen.de
Abb. 3: BBH hilft im Haushalt (Hunde für
Handicaps e.V., Berlin) 4
www.balouchen.de
Abb. 4: BBH öffnet Türen 4
Abb. 5: BBH öffnet Schubladen 4
(Daniela und Rolf Küster, www.balouchen.de)
4
Legitimation zur Verwendung der Bilder innerhalb der Diplomarbeit. Die Bilder sind urheberrechtlich geschützt.
29
6 Zum Behindertenbegleithund
Ausbildungszentrum des Vereins Partner-Hunde Österreich
Im Ausbildungszentrum des Vereins Partner-Hunde Österreich, der seinen Sitz in
Weitwörth bei Oberndorf in der Nähe von Salzburg hat, wurden bisher 195 Partner-Hunde herangezogen und trainiert (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). In den folgenden Kapiteln
wird auf diesen Verein Bezug genommen.
Der Verein wurde 1990 gegründet und steht unter der Leitung der Biologin und
Trainerin Elisabeth Färbinger (ebd.). Dort werden die Hunde speziell für Rollstuhlfahrer, gehörlose Menschen, Menschen mit Epilepsie, und für Menschen mit Diabetes, sowie für Menschen mit geistiger Behinderung ausgebildet
(http://www.partner-hunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.s
Design&sysPartnerhunde.mCMS.sDesign.seitenID=972250001202220452
04.01.2009).
6.1
Menschliche Voraussetzungen
Dass nicht alle Interessenten einen Behindertenbegleithund erhalten, hat verschiedene Gründe (KAWOHL, SCHERR 2003: 121). Es muss gewährleistet sein,
dass der Mensch mit Behinderung in der Lage ist, seinen Hund mental zu führen.
Handelt es sich um eine stärkere Behinderung, ist es wichtig, dass der Mensch
geistig fit ist. Damit der Behindertenbegleithund eine gute Arbeit leisten kann, ist
es von Bedeutung, dass er von seinem Besitzer eine gute Führung erhält. Unbedingt notwendig ist außerdem, dass der Mensch mit Behinderung in der Lage ist,
mit seinem Behindertenbegleithund dreimal täglich spazieren zu gehen. Es spielt
keine Rolle, ob die Spaziergänge alleine oder gemeinsam mit einer Assistenzperson ausgeführt werden. Die Wichtigkeit besteht darin, dass der Besitzer anwesend
ist. Das stärkt die Bindung und Beziehung zwischen beiden und gewährleistet eine
gute Führung des Besitzers, sowie die Gehorsamkeit des Hundes. Selbstverständlich gibt es Situationen, in diesen der Mensch mit Behinderung nicht in der Lage
ist, mit dem Hund spazieren zu gehen. Herrschen draußen schlechte Wetterbedingungen wie Schnee und Glatteis, oder wird der Besitzer krank, handelt es sich
um Ausnahmen und die Spaziergänge können an eine Assistenzperson oder Bezugsperson der Familie abgegeben werden. Sollte der Rollstuhlfahrer aufgrund
seiner Behinderung nicht in der Lage sein, seinen Behindertenbegleithund selbstständig zu füttern, stellt das kein Hinderungsgrund dar, einen Behindertenbegleithund an die Person zu vergeben. Trotz des Behindertenbegleithundes sind die
Menschen häufig nach wie vor auf einen Pflegedienst bzw. auf Assistenzpersonen
angewiesen, die das Futter für den Hund in eine Schüssel geben können (ebd.).
Durch den Behindertenbegleithund kann der Bedarf von Assistenzpersonen oder
eines Pflegedienstes zwar eingeschränkt, aber in den meisten Fällen nicht einge30
6 Zum Behindertenbegleithund
stellt werden. Ein Behindertenbegleithund ist trotz einer fundierten Ausbildung
nicht in der Lage, einen Menschen mit Behinderung beispielsweise zu duschen.
Werden Behindertenbegleithunde an Kinder, Jugendliche oder an Menschen mit
geistiger Behinderung vergeben, ist klar, dass die Verantwortung dem Hund gegenüber in erster Linie bei den Eltern liegt (a. a. O.: 122). Auch wenn der Hund
das Kind liebt, kann es sein, dass Kommandos, die der Hund benötigt, konsequenter und deutlicher von einem Erwachsenen ausgeführt werden.
Entscheiden sich Menschen mit Behinderung für einen Behindertenbegleithund,
muss gewährleistet sein, dass dies die Art bzw. die Schwere der jeweiligen Behinderung zulässt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die zukünftigen Besitzer tierlieb sind. Reduziert der Mensch mit Behinderung den Behindertenbegleithund jedoch auf die Funktion eines Hilfsmittels und akzeptiert ihn nicht als Partner, so ist
für die Trainerin Heidi Scherr aus den USA klar, keinen Behindertenbegleithund zu
vergeben (ebd.).
6.2
Zutrittsmöglichkeiten mit dem Behindertenbegleithund
Der Mensch mit Behinderung und sein Behindertenbegleithund erhalten beim Verein Partner-Hunde Österreich vom Amt der Landesregierung Salzburg einen Ausweis, der die Zutrittsmöglichkeit in öffentlichen Gebäude innerhalb Österreichs
legitimiert (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am
13.05.2007, 18:25, ORF2). Zu öffentlichen Gebäuden gehören u. a. Amtsgebäude,
Kino, Theater und Kirchen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung durch
den Ausweis die Möglichkeit, ihren Behindertenbegleithund in alle Geschäfte, inklusive der Lebensmittelgeschäfte, mitzunehmen (http://www.partner-hunde.org/
index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde.mCMS.s
Design.seitnID=4499001202222106 17.12.08).
Gültigkeit des Ausweises innerhalb Deutschlands
Dieser Ausweis hat innerhalb Österreichs seine Gültigkeit. Für Teams des Vereins
Partner-Hunde Österreich, die aus Deutschland kommen, besteht die Möglichkeit,
diesen Ausweis im Veterinäramt des Bezirks, in dem der Rollstuhlfahrer lebt, vorzulegen. Das Veterinäramt kann dann ein Schreiben ausstellen, wodurch die Legitimation des Ausweises auf den jeweiligen Bezirk in Deutschland erwirkt wird. Diese Entscheidung der Genehmigung ist eine Ermessensentscheidung des jeweiligen Veterinäramtes.
Um solche Entscheidungen treffen zu können, ist es für das Veterinäramt von
zentraler Bedeutung, dass gewährleistet werden kann, dass es sich um eine qualitative und fundierte Ausbildung von Hund und Halter handelt (Bericht eines
Teammitglieds des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008).
31
6 Zum Behindertenbegleithund
Dass es sich beim Verein Partner-Hunde um eine fundierte, seriöse und qualitativ
hochwertige Ausbildung handelt, wird auch durch das Gütesiegel garantiert, das
der Verein vom internationalen Dachverband der Assistenzhunde verliehen bekommen hat (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am
13.05.2007, 18:25, ORF2).
Qualifizierungsauszeichnung
Der Verein Partner-Hunde erhielt im Jahr 2006 die Qualitätsauszeichnung durch
den internationalen Dachverband der Assistenzhunde (http://www.partnerhunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde.m
CMS 17.12.08).
Diese Auszeichnung (Akkreditierung) hat fünf Jahre Gültigkeit, geht ausschließlich
an Assistenzhunde-Schulen und wurde bisher an 22 Assistenzhunde-Schulen verliehen.
Folgende Elemente wurden durch ein amerikanisches Team beurteilt:
•
•
•
•
•
•
6.3
Administration (Arbeitsunterlagen, Anmeldebögen, Trainingsprotokolle,
Auswahlverfahren der Teams)
Trainingsmethoden
Praktische Umsetzung mit Kandidaten und Assistenzhunden
Rollstuhlgerechte bauliche Gegebenheiten (z.B. amtlich bewilligte Parkplätze für Rollstuhlfahrer)
Sicherheitsstandards (Feueralarm-System usw.)
Jährliche Überprüfung und Nachbetreuung der Partner-Hunde-Teams
(ebd.).
Das Auftreten der Teams in der Öffentlichkeit
Lebt der Mensch mit Behinderung, der seinen Hund vom Verein Partner-Hunde
Österreich bekommen hat, in Deutschland und sucht gemeinsam mit seinem Behindertenbegleithund ein Geschäft in seinem Bezirk auf, ist es wichtig, den Ausweis der Salzburger Landesregierung in Verbindung mit dem Schreiben des Veterinäramtes vorzulegen.5
Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn das Geschäft von einem Team zum
ersten Mal betreten wird. Zusätzlich erweist es sich als günstig, Mitarbeiter oder
Eigentümer eines Geschäfts über den Grund der Existenz eines Behindertenbegleithundes aufzuklären. Bei dieser Gelegenheit erweist es sich oft als günstig,
den Menschen zu zeigen, was der Hund für einen Menschen mit Behinderung leis-
5
Gespräch mit einem Teammitglied des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008.
32
6 Zum Behindertenbegleithund
tet. In solchen Situationen lässt der Besitzer den Hund meistens etwas aufheben.
Dadurch, dass der Hund den Gegenstand seinem Besitzer bringt, wird die Hilfestellung, die der Mensch mit Behinderung durch einen Behindertenbegleithund
erfährt, für den Zuschauer deutlich. Auf diese Weise wird der Bekanntheitsgrad
von Behindertenbegleithunden erweitert und zugleich für den Verein geworden,
der die Hunde ausbildet.
Trotz aller Bemühungen der Besitzer passiert es in Deutschland leider häufig,
dass dem Besitzer und seinem Behindertenbegleithund wenig Akzeptanz entgegengebracht wird. Das liegt u. a. am geringen Bekanntheitsgrad und am Mangel
gesetzlicher Regelungen. „Man darf sich durch solche Situationen auf keinen Fall
verunsichern lassen, denn andererseits gibt es auch Menschen, die für die Existenz eines Behindertenbegleithundes und das Team Verständnis und Akzeptanz
aufbringen.“6
Weil der Mensch mit Behinderung und sein Behindertenbegleithund durch den
Ausweis bestimmte Privilegien genießen, sind die Teams beim Verein PartnerHunde verpflichtet, ihre Teamfähigkeit durch eine jährliche Überprüfung im Ausbildungszentrum in Österreich unter Beweis zu stellen (http://www.partnerhunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde.
mCMS.sDesign.seitenID=4499001202222106 09.12.08).
6.4
Ein Behindertenbegleithund steht einem Besitzer auch während der
Arbeit zur Verfügung
Ein Behindertenbegleithund zeichnet sich auch dadurch aus, dass man ihn zu seiner Arbeitsstelle mitnehmen und er dort auch dem Menschen mit Behinderung zur
Verfügung stehen und Hilfestellungen erbringen kann.
Unter anderem ist in Hessen die Legitimation, Servicehunde und Führhunde mit
zur Arbeit zu nehmen seitens des Ministeriums in den Integrationsrichtlinien für
Menschen mit Behinderung verankert. Punkt neun dieser Richtlinien beinhaltet
Service- und Führhunde. Dort heißt es:
„Servicehunde mobilitätsbehinderter Menschen oder Führhunde blinder und
hochgradig sehbehinderter Menschen sind während deren Dienstzeit am
Arbeitsplatz unterzubringen (http://www.fh-frankfurt.de/de/.media/personalrat/
Downloads/Allgemeine%20Informationen/integrationsruchtlinienneu.pdf“
03.01.2009).
Leider erteilt nicht jedes Bundesland die Legitimation, dass Menschen mit Behinderung ihren Behindertenbegleithund zur Arbeit mitnehmen dürfen. Das heißt,
dass es Bundesländer gibt, in denen die Erlaubnis, den Behindertenbegleithund
6
Gespräch mit einem Teammitglied des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008.
33
6 Zum Behindertenbegleithund
zur Arbeit mitzunehmen, lediglich Ermessenssache des jeweiligen Arbeitgebers ist
und seine Zustimmung davon abhängt, ob man einen Behindertenbegleithund bekommt oder nicht (ebd.).
Um einen Behindertenbegleithund vergeben zu können, muss beim Verein Partner-Hunde Österreich die Erlaubnis des Arbeitgebers vorliegen.
Ungefähr nach einer Wartezeit von 6 bis 15 Monaten gibt es den ersten Kontakt
zum eigenen Hund und gegenseitiges Vertrauen stellt sich schnell ein (Beitrag
„Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25,
ORF2).
6.5
Der Behindertenbegleithund wird in Deutschland im Gegensatz zum
Blindenführhund von keinem öffentlichen Kostenträger finanziert
Bedauerlicherweise wird in Deutschland bis heute ein Behindertenbegleithund im
Gegensatz zum Blindenführhund noch von keinem öffentlichen Kostenträger weder teil- noch vollständig finanziert (KAWOHL, SCHERR, 2003: 123).
Das hat zur Folge, dass die meisten Menschen mit Behinderung, für die ein Behindertenbegleithund geeignet ist, und dieser durch seine Hilfestellungen zu mehr
Unabhängigkeit von menschlicher Hilfe und somit zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität führt, nicht in der Lage sind, aus eigenen Mitteln soviel
Geld aufzubringen, um die kostenintensive Ausbildung eines Behindertenbegleithundes vollständig bezahlen zu können. Behindertenbegleithunde werden bislang
von Spendengeldern oder Sponsoren finanziert (ebd.).
Ein Behindertenbegleithund vom Verein Partner-Hunde Österreich, auf den in dem
folgenden Kapitel Bezug genommen wird, kostet insgesamt 14.000 €. Der Teilbetrag von 12.000 € wird von einem oder mehreren Sponsoren aufgebracht. Ist die
Behinderung Folge eines Arbeitsunfalls, wird in Österreich der Hund in manchen
Fällen von der Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) ganz oder teilfinanziert. Manche Menschen mit Behinderung werden von der Landesregierung Österreich unterstützt. Ob jemand in Österreich von öffentlicher Hand unterstützt wird,
ist von der Ursache der Behinderung abhängig und muss individuell entschieden
werden. Der Betrag von 2000 € ist der Selbstbehalt des Besitzers (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25,
ORF2).7 Auch ist es Aufgabe des Besitzers, sich auf Sponsorensuche zu begeben. Oft handelt es sich bei diesen Sponsoren um Firmen oder Dienstleister, bei
denen der Mensch mit Behinderung Kunde ist. Das können unter anderem Sanitätshäuser oder der Hersteller des Rollstuhls sein. Für Firmen oder Dienstleister
ist der Beitrag zur Finanzierung des Behindertenbegleithundes ein guter Werbe-
7
Gespräch mit der Trainerin Elisabeth Färbinger des Vereins Partner-Hunde Österreich 24.3.2008
34
6 Zum Behindertenbegleithund
zweck und sie haben die Möglichkeit, die Spende von der Steuer abzusetzen.
Aber auch Wohltätigkeitsbetriebe, wie der Lions Club, stellen sich als Sponsoren
zur Verfügung.
Der Blindenführhund hingegen wird von den Krankenkassen bezahlt (KAWOHL,
SCHERR 2003: 123). Auch werden laufende Kosten wie z. B. die Futterkosten übernommen. Teilweise übernehmen die Krankenkassen sogar die Arztbesuche
des Blindenführhundes (ebd.).
Das Argument, dass ein Blindenführhund im Gegensatz zum Behindertenbegleithund von den Krankenkassen finanziert wird, lautet folgendermaßen: Der Behindertenbegleithund trägt nicht die Verantwortung für seinen Menschen (a. a. O.:
21). Der Blindenführhund hingegen ist darin geschult, selbstständig Gefahren auf
seinem Weg zu erkennen (ebd.).
6.6
Reduzierung der Pflege- bzw. Assistenzkosten und die Kosten psychologischer Behandlung durch die Dienstleistungen und die Existenz eines Behindertenbegleithundes
Durch die Hilfestellungen des Behindertenbegleithundes kann für viele Menschen
mit Behinderung der Bedarf einer Assistenz in der Pflege, sowie der Bedarf einer
Arbeitsassistenz reduziert werden. Das hat zur Folge, dass Pflege- und Assistenzkosten eingespart werden können.
Für Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Gesamtsituation häufig auch
psychisch sehr belastet sind, könnte durch einen Behindertenbegleithund der Bedarf einer psychologischen Behandlung gar nicht erst entstehen oder dieser reduziert bzw. verkürzt werden. Auch in diesem Bereich können wiederum Kosten, die
durch eine psychologische Behandlung entstehen, eingespart werden. Diese Gelder könnten dann effektiv zur Finanzierung eines Behindertenbegleithundes eingesetzt werden. Außerdem soll diese Diplomarbeit dazu beitragen, dass Behindertenbegleithunde in Zukunft von öffentlichen Kostenträgern finanziert werden.
35
6 Zum Behindertenbegleithund
6.7
Der geschichtliche Verlauf des Behindertenbegleithundes und Ausbildungszentren in Deutschland und Österreich
Die Erkenntnis, dass Tiere positive Wirkungen auf Menschen und insbesondere
auf Patienten ausüben, konnte bereits im 18. Jahrhundert gewonnen werden
(HORNSBY 2000: 56). „Erste Versuche erfolgten in York Retreat, einer psychiatrischen Klinik, deren Verdienste weltweit anerkannt sind.“ In einem Rehabilitationsprogramm, das von den Patienten durchlaufen werden musste, lag ein Bestandteil
in der Betreuung von Kaninchen und Geflügel.
Die Beziehungen zwischen Tieren und Menschen wurden allerdings erstmals vor
20 Jahren im Rahmen von Studien untersucht. Ein Teil der Studien bezog sich auf
die praktischen Hilfen der Mensch Hund Beziehung.
Heute gibt es in den USA und in Europa viele Organisationen, die Hunde als Helfer für Menschen mit Behinderung ausbilden. Die Canine Companions for Independence in Santa Rosa, Kalifornien, ist eine dieser Organisationen. Dort werden
seit mehr als 22 Jahren Behindertenbegleithunde ausgebildet (ebd.).
Auch in Deutschland und Österreich gibt es Vereine und Institutionen, die Behindertenbegleithunde ausbilden. Unter anderem sind das die Vereine Verein Partner-Hunde Österreich/ Assistance Dogs Europe, Hunde für Handicaps e.V. in Berlin, Vita-Assistenzhunde e.V. in Hümmerich bei Frankfurt. Die Stiftung Hunde helfen Leben in Jülich beschäftigt sich mit der Ausbildung von Servicehundetrainern,
den Anforderungen an Servicehunden und deren Finanzierung (http://www.canisfamiliaris.de/index.php?Itemid=71&id=12&option=com_content&task=view
03.01.2009).
36
6 Zum Behindertenbegleithund
Ausbildungszentren
Hunde für Handicaps - VBB e.V.
http://www.hundefuerhandicaps.de/meta/kontakt/index.php
05.01.2009
Gemeinnützige Gesellschaft
„Stiftung Hunde helfen Leben“
Anschrift
Wiltbergstraße 29G
13125 Berlin
Telefon: 030 / 294 92 000
Fax.: 030 / 294 92 002
E-Mail: info@servicedogs.de
Schloss Kellenberg
52428 Jülich
Telefon: 02461 / 9 95 40 19
http://www.hunde-helfen-leben.de/ 05.01.2009
Hundezentrum Canis Familiaris
http://www.canisfamiliaris.de/index.php?option=com_content&task
=view&id=5&Itemid=83
05.01.2009
Hunde für Diabetiker
http://www.diabetikerwarnhund.de/ 05.01.2009
Neu Fringshaus 1
D-52159 Roetgen
Tel.: 0 24 71 / 92 10 80
Fax.: 0 24 71 / 92 10 81
E-Mail: info@canis-familiaris.de
Bramkamp 52
49076 Osnabrück
Tel.: 0541/1208777
Vita e.V.
Verein für Assistenzhunde
Beratungsstelle Raunheim
Gottfried-Keller-Str. 7
65479 Raunheim
http://www.vita-assistenzhunde.de/kontakt.html
05.01.2009
Tel.: 06142 / 161 71 79
Fax: 06142 / 161 80 90
E-Mail info@vitaassistenzhunde.de
Verein Partner-Hunde Österreich/
Assistance Dogs Europe
(OTTERSTEDT 2001: 200).
Weitwörth 1
A-5151 Nußdorf bei Salzburg
Telefon: +43 (0)6272 7706
www.partner-hunde.org
Tab. 5: Kontaktadressen Ausbildungszentren
37
7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
7
Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
Sowohl der Blindenführhund als auch der Behindertenbegleithund benötigen eine
fundierte Ausbildung, um den Anforderungen des Alltags ihrer menschlichen Partner gewachsen zu sein (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 245). Die Qualitätsanforderungen der beiden Ausbildungen sind grundsätzlich gleich (ebd.).
Die Ausbildung zum Behindertenbegleithund wird auch anhand der Arbeit des
Vereins Partner-Hunde Österreich näher beleuchtet, da deren Arbeit und deren
Ausbildungsverlauf anhand eines Films sehr gut verdeutlicht werden.
Der Film wurde am 13. Mai 2007 auf ORF2 ausgestrahlt.
Hunderassen und deren Charaktereigenschaften
Neben den Hunderassen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, spielt die
Wesensart eines Behindertenbegleithundes die zentrale Rolle. Ein geeigneter Behindertenbegleithund zeichnet sich dadurch aus, dass er über eine seelische und
charakterliche Stabilität verfügt, menschen- und tierfreundlich sowie frei von Aggressionen ist (OTTERSTEDT 2001: 145).
Der Labrador-Retriever
Unter anderem werden sowohl Labrador- als auch Golden-Retriever sowie eine
Mischung aus beiden Rassen gerne zum Behindertenbegleithund ausgebildet
(Kynos Atlas Hunderassen der Welt, Kynos Verlag 1991, zit. n. KAWOHL, SCHERR,
2003: 23). Das Gewicht des Labrador-Retrievers liegt zwischen 25 und 34 Kilogramm und seine Schulterhöhe variiert von 54 bis 57 cm. Das Fell des Hundes ist
kurz und dicht und deshalb sehr pflegeleicht. Eine bedeutende Charaktereigenschaft eines Labrador-Retrievers zeichnet sich dadurch aus, dass dieser bestrebt
ist, dem Menschen zu gefallen.
Diese Hunderasse ist hart im Nehmen, intelligent und sie verfügt über ein ausgeglichenes Wesen. Die natürliche Veranlagung zum Apportieren ist bei einem Labrador-Retriever besonders gut ausgeprägt (ebd.). Apportieren bedeutet, dass der
Hund bestimmte Gegenstände gezielt zu seinem Halter bringt (HORNSBY 2000:
67).
Der Golden-Retriever
Das Gewicht des Golden-Retrievers variiert zwischen 27 und 34 Kilogramm (Kynos Atlas Hunderassen der Welt, Kynos Verlag 1991, zit. n. KAWOHL, SCHERR,
2003: 23). Seine Schulterhöhe variiert von 51 bis 61 cm. Der Golden-Retriever
ordnet sich sehr gerne unter. Das ist für einen Behindertenbegleithund eine günstige Voraussetzung, die aber nicht zwingend notwendig ist. Auch temperamentvol38
7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
le Hunde können sich als Behindertenbegleithunde eignen. Es kommt immer darauf an, mit welcher Art von Hund der zukünftige Besitzer, auch behinderungsbedingt, zurechtkommt. Genauso wie der Labrador-Retriever apportiert der GoldenRetriever mit sehr viel Freude und ist ein liebevoller, leicht zu haltender Familienhund (ebd.).
Auch andere Rassen, wie z.B. Kurzhaar- oder Border-Collies, Leonberger und
Deutsche Schäferhunde können für die Ausbildung zum Behindertenbegleithund
in Betracht kommen (HORNSBY 2000: 61).
7.1
Beginn der Ausbildung zum Behindertenbegleithund
Die ersten Wochen bzw. Monate verbringen die Welpen gemeinsam mit der Mutterhündin beim Züchter oder in den jeweiligen Vereinen, die Hunde ausbilden, sollten diese über eine eigene Zucht verfügen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung
„Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2).
Nach drei Wochen verlassen die Welpen zum ersten Mal ihre gewohnte Umgebung. Dann findet der erste Kontakt zum Menschen in einem gemütlich eingerichteten Zimmer statt. Das Ziel der frühen Förderung in angenehmer Atmosphäre
besteht darin, dass der Mensch ausschließlich positive Eindrücke bei den Welpen
hinterlässt (ebd.). Im Alter von vier Wochen beginnen die Welpen ihre Umwelt
selbstständig zu erkunden (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 245).
Die Anforderungen eines Behindertenbegleithundes steigen bis zum Alter von
zehn Wochen kontinuierlich (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „ÖsterreichBild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Die Hunde sollen alles kennen lernen, was es in der Gesellschaft gibt. So ist es dem Verein Partner-Hunde in Österreich wichtig, täglich mit den Hunden in ein Einkaufszentrum zu gehen, damit sie
sich frühzeitig an die Situation gewöhnen und ein starkes Nervenkostüm entwickeln können. Die oberste Priorität des Vereins Partner-Hunde besteht darin, dass
alle Situationen für die Hunde positiv verlaufen und sie merken, dass ihnen in Gegenwart des Menschen nichts passiert. So können die Hunde Vertrauen zu den
Menschen fassen. Ebenso werden die Hunde mit dem Straßenverkehr konfrontiert. Diese regelmäßigen Konfrontationen sind unbedingt notwendig, denn ein Behindertenbegleithund wird sich später mit seinem behinderten Besitzer in Einkaufszentren oder an Bahnhöfen aufhalten, mit ihm an befahrenen Straßen entlanggehen oder gemeinsam mit ihm Flugreisen unternehmen müssen (ebd.).
Ein weiterer wichtiger Bestandteil, um Vertrauen zum Menschen zu fassen, besteht darin, gemeinsam mit ihm positive Kontakte zu anderen Tieren aufzubauen.
Außerdem wird mit einem speziellen medizinischen Programm begonnen, denn es
muss sichergestellt werden, dass die Hunde keinerlei gesundheitliche Probleme
39
7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
aufweisen und sie frei von der sog. Hüftdysplasie sind, einer Problematik in den
Gelenken. Außerdem ist es wichtig, dass die Hunde geimpft werden (ebd.).
7.2
In der Patenfamilie
Im Alter von drei Monaten beginnt das Leben der Hunde in Patenfamilien. Dort
verbringen sie sieben Monate. (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „ÖsterreichBild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2).
Die Hunde werden in den Alltag der Familie eingebunden und sozialisiert (GREIFFENHAGEN,
BUCK-W ERNER, 2007: 249). Es erfolgen regelmäßige Treffen mit dem
Trainer und den anderen Gastfamilien in der Innenstadt oder auf dem Übungsplatz. Neben den Trainingseinheiten werden Ausbildungs- und Entwicklungserfolg
beobachtet. Für die Hunde ist es unbedingt notwendig, dass Übungen anfangs in
einem geschützten Raum, also im Ausbildungszentrum oder zuhause bei den Patenfamilien erfolgen und erst einige Zeit später in der Realität trainiert werden.
Damit sich die Übungen beim Hund festigen können, ist es wünschenswert, sie
mehrmals täglich zu trainieren. Die Dauer einer Übungseinheit von 2 Minuten darf
anfangs keinesfalls überschritten werden. Auf diese Weise lernen die Hunde in
Etappen, sie werden also nicht überfordert und die Frustration beim Lernen bleibt
aus. Entscheidend für die Hunde ist, dass sie Spaß am Lernen haben, dieses lediglich positiv erfolgt und in guter Erinnerung bleibt. Deshalb ist es sehr wichtig,
dass das Lernen der Hunde bzw. die Übungseinheiten spielerisch erfolgen (ebd.).
Die Patenfamilien üben unter anderem mit den Hunden die sog. Hörzeichen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007,
18:25, ORF2). Beim Verein Partner-Hunde Österreich setzen sich die Hörzeichen
aus einer Mischung der deutschen, italienischen, englischen und lateinischen
Sprache zusammen. Dieser Sprachenmix erhöht die Konzentration des Hundes
und verhindert, dass Außenstehende bei der Erziehung mitreden. Befolgt der
Hund die Hörzeichen, werden die Spaziergänge ausgeweitet und finden nicht
mehr ausschließlich auf der Hundewiese, sondern überwiegend in freier Natur
statt. Ziel ist es, dass der Hund in der Lage ist, ohne Leine zu laufen. Denn für einen Rollstuhlfahrer ist es nicht oder nur schwer möglich, den Hund an der Leine
zu führen (ebd.).
7.3
Das Intensiv- bzw. Spezialtraining
Die dritte Ausbildungsphase widmet sich dem Intensiv- bzw. Spezialtraining zum
Behindertenbegleithund, auch Service Dog genannt (GREIFFENHAGEN, BUCKWERNER, 2007: 250). Dieses Spezialtraining erfolgt unmittelbar, nachdem der Aufenthalt in den Patenfamilien beendet ist.
40
7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
Inhalt des Spezialtrainings ist, dass die Hunde ein mehrwöchiges Trainingsprogramm durchlaufen, bei dem sie die notwendigen Kommandos und Fertigkeiten
erlernen, die sie in ihrer zukünftigen Alltagsarbeit als Behindertenbegleithund benötigen.
Zu den Übungseinheiten gehört beispielsweise, dass der Hund lernt, gemeinsam
mit seinem Rollstuhlfahrer durch die Kasse eines Supermarktes zu gelangen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007,
18:25, ORF2).
Wird mit den Hunden trainiert, werden ihre individuellen Stärken und Schwächen
berücksichtigt und dementsprechend der Besitzer ausgewählt (GREIFFENHAGEN,
BUCK-W ERNER, 2007: 250). Auf einen Behindertenbegleithund wirkt sich positiv
aus, wenn er zu einem Besitzer darf, bei dem er überwiegend die Hilfestellungen
auszuführen hat, die er gerne ausführt. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass der Hund auch langfristig Spaß und Freude an seiner Arbeit empfinden
wird (ebd.).
Nicht jeder Hund verfügt über die Anlagen, ein geeigneter Behindertenbegleithund
zu werden (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am
13.05.2007, 18:25, ORF2).
Ein Viertel der Hunde scheidet nach dem Spezialtraining aus. Die Ursachen können gesundheitlicher Art sein, wie zum Beispiel der Anlage zu Hüftdysplasie.
Ebenso kann während des Spezialtrainings festgestellt werden, dass der Charakter des Hundes, der eine entscheidende Rolle spielt, doch nicht ganz passend ist,
um die Aufgabe eines Behindertenbegleithundes erfüllen zu können. Die Hunde,
die nicht als Behindertenbegleithunde eingesetzt werden können, gehen in vielen
Fällen in ihre Patenfamilien zurück und sie werden als Besuchshunde beispielsweise in Altenheimen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und anderen
Institutionen eingesetzt (ebd.).
7.4
Zusammenführung von Mensch und Behindertenbegleithund zum
sog. Team
In manchen Konzeptionen ist es vorgesehen, dass Bestandteile des Intensivtrainings beim zukünftigen Besitzer zuhause in der Umgebung stattfinden, in welcher
der Behindertenbegleithund nach dem Spezialtraining leben und arbeiten wird.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass das Spezialtraining kontinuierlich auf dem Trainingsgelände des Vereins oder der Institution stattfindet (GREIFFENHAGEN, BUCKWERNER, 2007: 250).
Das allerwichtigste ist der konsequente Umgang mit dem Hund. Die Kommandos
und Hörzeichen, sowie Stimmlagen und Gesten müssen eindeutig aufeinander
abgestimmt und für den Hund verständlich sein. Unbedingt notwendig ist außer41
7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund
dem, dass der zukünftige Hundehalter lernt, um ein erwünschtes Verhalten beim
Hund erreichen zu können, ausschließlich nach dem Prinzip der Belohnung ohne
Zwang zu arbeiten. Diese Arbeitsweise liefert langfristig die besten ausgebildeten
Hunde. Die beste Voraussetzung für die optimale Kooperation zwischen dem
Hund und seinem Besitzer besteht in der Harmonie zwischen den beiden. Bevor
die endgültige Übernahme des Behindertenbegleithundes seitens des Besitzers
erfolgen kann, ist es wichtig, dass beide aneinander gewöhnt und intensiv eingearbeitet werden. Das setzt u. a. tägliches Training voraus.
Am Ende der Einarbeitung muss sich der zukünftige Besitzer einer Prüfung unterziehen (ebd.).
Die theoretische und die praktische Prüfung
Die theoretische Prüfung beinhaltet unter anderem die Verhaltensentwicklung,
sowie das Lern- und Ausdrucksverhalten des Hundes (BHV-Seminarweiterbildung
Hunde für Handicaps e.V. Berlin Behindertenbegleithunde: 2008: 37).
Ebenso gefragt sind Kenntnisse der Gesundheitsprophylaxe. Die praktische Prüfung beinhaltet den Umgang des zukünftigen Besitzers mit seinem Behindertenbegleithund. Wesentlich im praktischen Umgang ist, dass der Hund und sein Besitzer als Team gut kooperieren und der Besitzer auch in Stresssituationen in der
Lage ist, angemessen zu reagieren. Besonders wichtig dabei ist, dass der Besitzer
seinen Hund jederzeit kontrollieren kann.
Das Team wird unter anderem bezüglich des Verhaltens in der Stadt, der Distanzkontrolle sowie bezüglich der Beförderung in Bus und Bahn geprüft. Auch das Apportieren und das Freizeitverhalten des Hundes stellen Inhalte der Prüfung dar (a.
a. O.: 38).
7.5
Übergabefeier des Vereins Partner-Hunde Österreich
Erst bei der sog. Übergabefeier erhalten die Teams des Vereins Partner-Hunde
Österreich das Brustgeschirr und einen vom Amt der Salzburger Landesregierung
ausgestellten Ausweis (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Mit diesem Ausweis ist es den Menschen
mit Behinderung innerhalb Österreichs möglich, ihren Behindertenbegleithund in
öffentliche Gebäude mitzunehmen. Außerdem bietet die Übergabefeier die Möglichkeit, dem Vereinsvorstand und Sponsoren zu danken (ebd.).
42
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8
Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische
Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.1
Forschungsfrage
Wie gestaltet sich der Alltag eines Menschen mit körperlicher Behinderung, wenn
Unterstützung durch einen Behindertenbegleithund vorhanden ist?
8.2
Überlegungen zum methodischen Vorgehen
Das Lebenslagekonzept liegt der Auswertung meiner Forschungsfrage zugrunde.
Es gibt mir die Möglichkeit, unterschiedliche Dimensionen und Strukturen, die das
alltägliche Handeln des Menschen bestimmen, zu erfassen und zu analysieren.
Mit meiner Arbeit soll aufgezeigt werden, wie sich die Lebenslage einer Rollstuhlfahrerin gestaltet, die seit einem Jahr mit einem Behindertenbegleithund zusammenlebt.
8.2.1
Zum Forschungsinstrument
Die empirische Sozialforschung umfasst verschiedene Methoden, mit denen Wirklichkeit so zuverlässig wie möglich dargestellt werden soll (STEINERT, THIELE 2000:
29). So ist zwischen quantitativen und qualitativen Methoden zu unterscheiden.
Im Vergleich zu quantitativen Methoden zeichnet sich der qualitative Ansatz
durch wesentlich größere Offenheit und Flexibilität aus.
So sind qualitative Interviews frei und explorativ (ebd.). Die Zielsetzung der qualitativen Interviews besteht darin, umfassende Gedanken der befragten Personen
auf ein bestimmtes Thema bezogen sowie deren Strukturen und deren Muster in
Zusammenhängen zu erfassen (STEINERT, THIELE 2000: 100). Das mündlich und
persönlich durchgeführte Interview eignet sich dafür am besten und wird auch am
häufigsten angewandt.
Der qualitativen Befragung liegt ein grober thematischer Leitfaden zugrunde, wobei auf standardisierte Vorgaben soweit wie möglich verzichtet wird, d. h., die Reihenfolge und Gestaltung der Fragen sind flexibel und die Antwortmöglichkeiten
der Gesprächspartner unbeschränkt.
Für die soziale Arbeit sind qualitative Forschungsmethoden von besonderer Bedeutung. „Damit kann dem Fallbezug, der Komplexität von Handlungsfeldern und
43
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Problemlagen, wie auch der Prozessbezogenheit von Ereignissen Rechnung getragen werden (ebd.).“
Ich habe mich für das halbstandardisierte Interview entschieden. Dies ist optimal geeignet, wenn Themenbereiche vorab klar abgesteckt werden können bzw.
einzelne Bewertungsdimensionen abgefragt werden sollen (ATTESLANDER 2008:
131).
Dabei werden Einzelpersonen anhand von Leitfragen befragt (ebd.).
Es können sowohl geschlossene als auch offene Fragen angewandt werden (ATTESLANDER 161 2003, zit. n. ATTESLANDER et al., 1993).Die offenen Fragen enthalten keine festen Antwortkategorien (ATTESLANDER 2003: 161). Das bedeutet, dass
die Person ihre Antwort völlig selbstständig formulieren kann. Die offenen Fragen
werden bei Experteninterviews und Gruppendiskussionen verfolgt. Der Interviewer
hat die Aufgabe, die Äußerungen der Auskunftsperson so genau wie möglich zu
notieren (ebd.).
Diese notierten Äußerungen werden später bei der Auswertung in bestimmte Kategorien eingeteilt und dann werden bestimmte Begriffe zu Indikatoren zugeordnet
(ATTESLANDER 2008: 40). Dadurch werden empirische Messungen möglich (ebd.).
Da meine Interviewpartnerin in Köln lebt, habe ich mich für ein Telefoninterview
entschieden. Markt- und Meinungsforschung wickeln heute einen Großteil ihre
Umfragen anhand von Telefoninterviews ab (ATTESLANDER 2008: 148). Die Schätzungen, wie viele Interviews mittlerweile in den modernen Gesellschaften per Telefon geführt werden, schwanken zwischen 50% und 90% (ATTESLANDER 2008, zit.
n. CANNEL 1985, ANDERS 1982: 77).
Die Vorteile von Telefoninterviews sind eine erhöhte Erreichbarkeit der Interviewpartner. Der Interviewer hat die Möglichkeit, die Daten sehr zeitnah zu verarbeiten
und durch das Telefoninterview kann bei Ausfällen der Person, die interviewt werden soll, schneller Ersatz gefunden werden. Nachteile der Telefoninterviews sind
u. a., dass sich die Situation aufgrund räumlicher Trennung erschwert kontrollieren
lässt. Auch ist es von Nachteil, so Atteslander, dass eine Begrenzung auf einfache
Fragestellungen erforderlich ist (ebd.).
8.2.2
Auswahl der Interviewpartnerin und Setting
Die Interviewpartnerin wurde gewählt, weil sie eine körperliche Behinderung hat
und Rollstuhlfahrerin ist. Außerdem lebt sie seit einem Jahr mit ihrem Behindertenbegleithund zusammen. Ein relevanter Faktor bei der Auswahl dieser Person
ist auch, dass sie Soziale Arbeit studiert.
Weil die Person, mit der das Interview geführt wurde, in Köln lebt, wurde das Interview telefonisch abgehalten, in dem es auf ein Diktiergerät gesprochen und im
44
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Anschluss wörtlich transkribiert wurde (vgl. Anhang II). Demzufolge fand es sowohl in Weingarten (Württemberg) als auch in Köln statt Das Interview erstreckte
sich über die Dauer von 27 Minuten. Es verlief störungsfrei.
8.3
Das Lebenslagekonzept
Das Lebenslagekonzept, das von verschiedenen Sozialwissenschaftlern mitgestaltet wurde, ist ein sozialwissenschaftliches Modell, welches entwickelt wurde, um
die Lebenssituation und das Verhalten von Menschen analysieren zu können
(W ALZ 2007: 4). Für Friedrich Engels waren dabei zwei Perspektiven relevant. Eine Perspektive geht davon aus, dass menschliches Verhalten Produkt der zu
Grunde liegenden sozio-ökologischen Verhältnisse, den sog. objektiven Dimensionen ist. Die zweite Perspektive fokussiert das individuelle Handeln der Menschen
innerhalb ihrer äußeren Verhältnisse. Diese Perspektive beinhaltet die sog. subjektiven Dimensionen. Unter die subjektiven Dimensionen fallen Einstellungen und
Lebensstimmungen der Menschen in ihrer Situation (ebd.).
„Das Ziel der Sozialarbeit ist die Verbesserung der Lebenslage von notleidenden
Menschen in einer Gesellschaft (W ENDT 1982,1).“
Das Lebenslagekonzept beinhaltet nach Wolf Rainer Wendt vier relevante Dimensionen.
Die Lebenslage
Die Lebenslage eines Menschen (Individuum) ist immer abhängig von den Faktoren Umwelt, Lebensgeschichte, Innenwelt, sowie von dem Faktor der Perspektiven. (W ALZ 2007: 4).
Individuum
Perspektiven
Lebensgeschichte
Umwelt
Innenwelt
Abb. 6: Dimensionen der Lebenslage nach WENDT
45
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.3.1
Dimensionen
Umwelt
An erster Stelle werden die objektiven Lebensbedingungen, also die äußeren
Rahmenbedingungen, die das Individuum umgeben, fokussiert. Ein Bestandteil
der objektiven Lebensbedingungen stellt die Umwelt, auch Außenwelt oder Sozialraum genannt, dar.
Wird die Umwelt genauer betrachtet, sind erwerbbare Merkmale wie Beruf, Einkommen, Bildung/Wissen, Wohnung, Werte/Normen, soziale Kontakte, Freizeitverhalten sowie die Gesundheit des Individuums von Bedeutung.
Ebenso sind unter dem Aspekt der Umwelt zugeschriebene Merkmale, wie das
Geschlecht eines Individuums sowie dessen Alter, dessen Nationalität, dessen
Religion oder der Familienstand relevant. Manche Merkmale, die unter zugeschriebene Merkmale fallen, lassen sich in erwerbbare Merkmale umändern. Das
ist beispielsweise bei Veränderungen der Religionszugehörigkeit, des Wohnortes
oder des Familienstandes gegeben.
Die sog. Mitwelt fokussiert ebenfalls einen Teil der Umwelt des Individuums, allerdings geht es hier um subjektive Dimensionen. Die Mitwelt steht dafür, wie ein Individuum von seinen Mitmenschen wahrgenommen wird und welche Mitmenschen
dem Individuum wichtig sind. Auch, weil das Individuum selbst entscheidet, welche
Menschen ihm wichtig sind, gehört dieser Teil der Umwelt zu den subjektiven Dimensionen. Im Folgenden werden weitere subjektive Dimensionen erläutert (ebd.).
Lebensgeschichte
Neben der Umwelt eines Individuums nimmt an zweiter Stelle dessen Lebensgeschichte einen elementaren Stellenwert ein. Die Lebensgeschichte ist im Wesentlichen von der Biografie eines Menschen sowie von positiven als auch von negativen Lebensereignissen geprägt, mit denen ein Mensch im Laufe seines Lebens
konfrontiert wird. Aufgrund positiver wie negativer Erfahrungen ist das Handeln
bzw. das Verhalten eines Menschen geprägt. Außerdem sind bei den Lebensereignissen der Beruf bzw. die Tätigkeit eines Menschen und seine Hobbys von Bedeutung. Des Weiteren fallen unter den Aspekt der Lebensgeschichte bzw. der
Lebensereignisse wichtige Werte, wie beispielsweise religiöse und spirituelle Bedürfnisse. Abhängig von den Erfahrungen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens macht, ist auch, auf welche Art und Weise der Mensch Krisen bewältigt. In
diesem Zusammenhang tritt auch die Frage auf, wie sich das Individuum selbst
wahrnimmt (ebd.).
46
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Innenwelt
Der dritte Bestandteil, die Innenwelt, beinhaltet, wie der Mensch sich selbst wahrnimmt. Die Innenwelt stellt das subjektive Erleben des Menschen dar. Sie ist abhängig von seinen Lebensbedingungen, den individuellen Bewältigungsstrategien,
seinen Verhaltensmustern, seinen Bedürfnissen und seiner Zufriedenheit. Ist die
Innenwelt eines Menschen abhängig von den Lebensbedingungen, liegt nahe,
dass in Bezug auf die Innenwelt auch die Lebensgeschichte des Individuums von
großer Bedeutung ist. Wichtige Elemente der Lebensgeschichte stellen Handlungsspielräume wie beispielsweise der Versorgungs- und Einkommensspielraum
sowie der Kontakt- und Kooperationsspielraum dar. Beim Kontakt- und Kooperationsspielraum spielen die Kommunikation und die Interaktion zwischen Menschen
die zentrale Rolle. Der Lern- und Erfahrungsspielraum beinhaltet die Entfaltung
und Umsetzung von Möglichkeiten, die einem Menschen im Laufe seines Lebens
gegeben sind. Der Muse- und Regenerationsspielraum beinhaltet den psychischen Ausgleich des Menschen. Eine wichtige Bedeutung kommt auch dem
Dispositions- und Partizipationsspielraum zu. Dieser beinhaltet Möglichkeiten an
Beteiligung und Mitbestimmung in verschiedenen Lebensbereichen innerhalb der
Gesellschaft (ebd.).
Perspektiven
Als viertes und letztes gehören die Perspektiven eines Menschen zu seiner Lebenslage. Welche Perspektiven hat ein Mensch in seiner Lebenslage? Sind diese
realistisch oder unrealistisch? Diese Fragen gehören zu den Aussichten, die ein
Mensch hat. Die Perspektiven sind ausschlaggebend dafür, wie Menschen ihre
Zukunft sehen (ebd.).
Auf der Meso- Ebene sind weitere vier Faktoren von Bedeutung.
47
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Superstruktur
Lebensgeschichte
Wirkstruktur
Chancenstruktur
Individuum
Perspektiven
Routinen
Umwelt
Innenwelt
Infrastruktur
Abb. 7: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT
8.3.2
Strukturen
Superstruktur
Mit der Superstruktur sind die objektiven, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
gemeint. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirtschaftliche und kulturelle
Gesetzmäßigkeiten sowie gesetzliche Grundlagen.
Die Rahmenbedingungen sind in verschiedene Stufen unterteilt. So gibt es Rahmenbedingungen der direkten Lebenswelt von Menschen. Das ist beispielsweise
die Gemeinde oder die Stadt, in der die Menschen leben.
Weitere Rahmenbedingungen sind die des Landes, der Europäischen Union und
der ganzen Welt.
Die Superstruktur beinhaltet also politische, ökonomische, rechtliche und sozialpolitische Aspekte (ebd.).
Routinen
Bei den Routinen handelt es sich um menschliche Verhaltensweisen. Sie sind
entweder sozialökonomisch bzw. soziokulturell bedingt oder die Verhaltensweisen
wurden im Laufe des Lebens erlernt und durch die Sozialisation geprägt.
Eine solche erlernte Handlungsweise ist beispielsweise das Verhalten als Mann
oder als Frau (Geschlechterrolle). Dieses Verhalten ist mit der Sozialisation erlernt.
48
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Die menschlichen Verhaltensweisen sind geprägt von der Familie und dem gesellschaftlichen Kontext, wie Freunde oder der Arbeitswelt, in welchem der Mensch
lebt. Diese Bestandteile, die menschliches Verhalten prägen, formen die Persönlichkeit eines Menschen (ebd.).
Infrastruktur
Unter die Infrastruktur fällt das Netzwerk der Einrichtungen und Förderungsangebote für das Individuum. Dazu gehören die Rahmenbedingungen der Einrichtungen oder der Verkehrswege, um dort hinzugelangen. Aber auch Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze und kulturelle Institutionen, wie Volkshochschulen, umfassen die Infrastruktur (ebd.).
Die Chancen
Durch empirische Untersuchungen kann innerhalb einer Region festgestellt werden, wie Menschen, die dort leben, in einzelnen Bereichen gefördert werden. Sind
Förderungs- und Beratungsangebote in Ravensburg beispielsweise bezüglich der
Arbeitsvermittlung qualitativ und für die Bürger gut zugänglich, können dort mehr
Menschen in Arbeit vermittelt werden. Eine qualitative Vermittlung eröffnet den
Bürgern gute Chancen, an Arbeit zu gelangen. So wird ihnen schneller ermöglicht,
unabhängig vom Staat leben zu können. Verfügt beispielsweise in Hannover das
Beratungsangebot der Arbeitsvermittlung über weniger Qualität, kann sich das auf
die Zahl auswirken, wie viele Menschen sich in Hannover in Arbeit befinden.
Die Wirk- und Chancenstruktur von Menschen ist also auch immer davon abhängig, wie die Infrastruktur mit ihren Möglichkeiten und Angeboten innerhalb einer
Region gestaltet ist. Die Wirkstruktur ist das, was in der Region, in der empirische
Untersuchungen durchgeführt wurden, zum Ergebnis führt (ebd.).
8.3.3
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich das Lebenslagekonzept folgendermaßen beschreiben. Es geht davon aus, dass jeder Mensch seine Grundanliegen und Bedürfnisse
befriedigen möchte. Diese Bedürfnisse können materieller oder immaterieller Art
sein.
Ist der Mensch bestrebt, materielle Bedürfnisse zu befriedigen, beeinflusst dies
das Konsumverhalten eines Menschen. Der Mensch fasst dann beispielsweise
den Entschluss, eine Wohnung zu kaufen, um langfristig nicht in Miete leben zu
müssen.
Sind immaterielle Bedürfnisse beim Individuum von Bedeutung, legt dieses sein
Augenmerk beispielsweise auf Selbstverwirklichung oder auf Gesundheit. Die Bedürfnisse der Menschen und die Art und Weise, wie diese Bedürfnisse befriedigt
49
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
werden können, beeinflussen und prägen ihre Lebenslage. Das Konzept will die
Lebensverhältnisse der Menschen in ihrer Gesamtheit erfassen. Es wird danach
gefragt, wie die Versorgungslage bzw. die Ausstattung in den verschiedenen Lebensbereichen aussieht. Das Lebenslagekonzept ist sowohl durch die Vielschichtigkeit der Lebenslage als auch durch die Abhängigkeiten der verschiedenen Bereiche, die Lebenslage ausmacht, charakterisiert (BURRI, 1997).
8.4
Auswertung des Interviews
Anhand der Ebenen des Lebenslagekonzepts nach Wendt soll aufgezeigt werden,
wie sich die Lebenslage einer Rollstuhlfahrerin gestaltet, die seit einem Jahr mit
einem Behindertenbegleithund zusammenlebt. Die Rollstuhlfahrerin P. ist im
Rahmen der Diplomarbeit interviewt worden, siehe Anhang.
Superstruktur
Lebensgeschichte
Wirkstruktur
Chancenstruktur
Individuum
Perspektiven
Routinen
Umwelt
Innenwelt
Infrastruktur
Abb. 8: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT
50
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.1
Zur Dimension der Umwelt
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
39-41
Zitatbeispiele
Paraphrasen
(…) fortschreitende
Behinderung. Zum
momentanen Zeitpunkt ist es so, dass
ich Rollstuhlfahrer bin,
(…)
Fortschreitende Behinderung, mit ungewissem Verlauf,
bei der die Muskulatur immer schwächer wird.
Netzwerk der Unterstützung durch persönliche Assistenz
und den BBH.
Behinderungsbild
Die Anzahl der
Stunden an menschlicher Hilfe war höher vor dem BBH.
Reduzierung der
Stunden an menschlicher Hilfe.
Täglicher Hilfebedarf
an menschlicher
Hilfe vor BBH.
275
(…) beim Anziehen
281-283
(…) häuslichen Hilfen,
beim Einkaufen, beim
Kochen, auch wenn
ich außerhalb unterwegs bin und ich auf
die Toilette gehen
kann.
(…) das waren 10
bis12 Stunden.
296
290
(…) sechs Stunden.
370-371
(…) ich bin viel draußen. Ich habe ja meine Umwelt ganz neu
erschlossen.(…)
(…) im Vergleich zu
früher werde ich mehr
angesprochen, die
Leute sehen in der
Regel erstmal Emily,
bevor sie den Rollstuhl sehen. (…) dadurch (…) Kommunikation einfach (…)
unverkrampfter, spontaner.
425-428
Erschließung neuer
Lebensräume durch
BBH.
Die Kommunikation
mit den Mitmenschen ist leichter.
Indikatoren
Hilfestellung durch
menschliche Hilfe.
Reduzierung des
täglichen menschlichen Hilfebedarfs
durch BBH.
Erweiterte Freizeitmöglichkeiten.
BBH als erster Ansprechpartner bei
Kontakten.
Tab. 6: Zur Dimension der Umwelt
51
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Die Lebenslage eines Menschen (Individuum) ist immer von bestimmten Faktoren
abhängig. An erster Stelle des Lebenslagekonzepts nach Wendt werden die objektiven Lebensbedingungen, also die äußeren Rahmenbedingungen, die das Individuum umgeben, fokussiert. Die Person P ist weiblich und 24 Jahre alt. Ihre
Behinderung ist eine Progressive Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp 2i. Es
handelt sich um eine fortschreitende Behinderung und zum momentanen Zeitpunkt ist P Rollstuhlfahrerin. P lebt eigenständig. Hilfestellungen im Alltag erhält
sie durch ihren Behindertenbegleithund Emily und durch menschliche Hilfestellungen in Form von Assistenzleistungen.
Durch den Behindertenbegleithund an ihrer Seite hat P eine Hilfe auf vier Beinen
im Alltag und ist so unabhängiger von menschlicher Hilfe. Der Behindertenbegleithund hebt alles auf, was P. herunterfällt. Dabei handelt es sich u. a. um Stifte oder
um die Schlüssel. Auch ist es dem Behindertenbegleithund möglich, kleine Taschen zu tragen und P aus der Jacke zu helfen.
Durch den Behindertenbegleithund gestaltet sich für P außerdem der Kontakt- und
Kooperationsspielraum neu. Den Menschen fällt es durch den Hund leichter auf P
zuzugehen und sie anzusprechen. Dadurch können Kontakte entstehen.
52
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.2
Zur Dimension der Lebensgeschichte
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
82
423-424
438-439
325-329
335
336-337
Zitatbeispiele
Paraphrasen
(…) seit Januar 2008.
Die Person, die
interviewt wurde,
hat ihren BBH seit
einem Jahr.
Zwischenmenschliche Interaktion und
Kommunikation.
Zeit des Zusammenlebens mit
BBH.
Der BBH nimmt
sehr viel Zeit in Anspruch. Es gilt,
Verantwortung zu
übernehmen und
Pflichten zu erfüllen.
Das bedeutet, dass
der Alltag gut organisiert und strukturiert sein muss.
BBH wird sowohl
als Dienstleister als
auch als Tier wahrgenommen.
(…) Ich werde aber
auch von meiner
Umwelt ganz anders
wahrgenommen. (…)
Die Leute sind einfach interessierter
und schauen nicht
betreten weg oder
sind unbeholfen.
(…) Negativ ist das
natürlich (…), auch
sehr viel Zeit drauf
geht. Ich geh` dreimal am Tag mit ihr
raus, das sind über
den Daumen gepeilt
3 bis 4 Stunden, die
durch Füttern, Pflegen usw. allein schon
für den Hund draufgehen.
(…) bei behinderten
Menschen ist der Tag
kürzer als bei gesunden Menschen. (…)
Weil man einfach für
sämtliche Tätigkeiten
länger braucht. (…)
(…) das ins Auto
Steigen. Bei mir dauert das halt 10 Minuten und bei meinen
Mitmenschen dauert
es 30 Sekunden.
Indikatoren
Positive Erfahrungen seitdem ein
BBH assistiert.
Tab. 7: Zur Dimension der Lebensgeschichte
53
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Neben der Umwelt eines Individuums nimmt an zweiter Stelle die Dimension Lebensgeschichte einen elementaren Stellenwert ein. Diese ist sowohl von positiven
als auch von negativen Lebensereignissen, mit denen ein Mensch im Laufe seines
Lebens konfrontiert wird, geprägt.
Die Menschen gehen offener auf P zu und sie wird durch den Behindertenbegleithund positiver wahrgenommen.
Negativ ist, dass der Behindertenbegleithund z. B. durch ausgiebige Spaziergänge
sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, da für Menschen mit Behinderung der Tag kürzer
ist, als für Menschen ohne Behinderung.
Menschen mit Behinderung benötigen für sämtliche Tätigkeiten mehr Zeit. Bei P
dauert das Einsteigen ins Auto 10 Minuten und bei Menschen ohne Behinderung
dauert es 30 Sekunden.
Das bedeutet, dass durch den Hund die zur Verfügung stehende Zeit verkürzt
wird.
54
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.3
Zur Dimension der Innenwelt
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
320-321
321-325
471-475
Zitatbeispiele
Paraphrasen
Indikatoren
Verbessert hat sich
eben zum einen,
dass ich die Hilfe
habe und dadurch
unabhängiger von
menschlicher Hilfe
werde. (…)
(…) der Begriff Hilfe
bekommt eine ganz
neue Dimension für
mich, weil Emily das
alles sehr, sehr freudig tut. Hilfe ist ja in
meiner Situation in
erster Linie das, was
abhängig macht und
vielleicht auch ein
Stück weit negativ
besetzt ist. Durch
Emily bekommt es
einen positiven Charakter. (…)
(...) unangenehm,
wenn man zum dritten Mal die Haarbürste runter schmeißt,
weil irgendwann das
Gegenüber auch genervt ist. Es spielen
ja auch Stimmungen
mit in dieser Abhängigkeit, die durch
Hilfe entsteht. Bei
Emily bin ich von
diesen Stimmungen
natürlich in gewisser
Weise befreit, d.h.,
ich kann einen
Wunsch äußern und
sie erfüllt ihn mir.
Unabhängiger von
menschlicher Hilfe
sein zu können
führt zu mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit.
Größere Unabhängigkeit von
menschlicher Hilfe
durch BBH.
Auf Hilfe angewiesen zu sein bekommt durch die
Liebe des Tieres
einen positiven
Charakter.
Durch den BBH ist
Abhängigkeit nicht
mehr nur Defizit
orientiert.
Unabhängiger von
menschlicher Hilfe
zu sein bringt weniger Konfliktpotenzial mit sich.
Weniger zwischenmenschliche
Konfliktsituationen
durch BBH.
55
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
463-465
384-389
420-423
423-425
(...) wenn mir am Tag
20 Dinge runterfallen,
dann steht Emily
nach dem 20. Mal
neben mir und guckt
mich an, wie wenn
sie sagen würde,
schmeiß noch mal
etwas runter, weil sie
Spaß und Freude
daran hat.
Natürlich hat sich
auch seelisch (…)
und in meiner Stimmungslage viel verändert, (…) mit Emily
beginnt jeder Tag
grundsätzlich erst
einmal gut. Sobald
ich mich morgens im
Bett rege, steht sie
auf und steht wedelnd neben mir. Das
zaubert einfach ein
Lächeln auf die Lippen, egal, ob eine
Prüfung ansteht oder
schlechtes Wetter ist.
Es ist natürlich auch
eine Gesellschaft, die
da ist. Sie tut einfach
gut.
(…) das Wichtigste
ist, dass ich weniger
alleine bin. Ich habe
einfach eine dauerhafte Gesellschaft
und den treuesten
Freund und Partner
an meiner Seite, den
man haben kann, das
ist mit Sicherheit
ganz wichtig. Dann
hab` ich eben aktive
Hilfe im Alltag.
Ich werde (…) auch
von meiner Umwelt
ganz anders wahrgenommen. (…), Emily
ist schon eine Art
Vermittler zwischen
Rollstuhlfahrer und
Fußgänger. (…)
Der Hund ist nicht
nachtragend und
macht Menschen
keine Vorwürfe.
Wertfreie Hilfestellung durch den
Hund.
Das Zusammenleben mit dem Hund
und dessen Wertschätzung bereitet
Freude.
Der BBH trägt zu
mehr Ausgeglichenheit bei.
Durch den BBH ist
man vor Einsamkeit
bewahrt und erhält
Hilfestellung im Alltag.
Psychische Stabilität und Ausgeglichenheit, sowie
Wohlbefinden
durch den BBH.
Die Behinderung
steht nicht mehr im
Vordergrund.
Selbstbewussteres
Auftreten durch
BBH.
56
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
425-428
452-454
404-410
(…) im Vergleich zu
früher werde ich
mehr angesprochen,
die Leute sehen in
der Regel erstmals
Emily, bevor sie den
Rollstuhl sehen.
(…) dadurch (…)
Kommunikation (…)
unverkrampfter,
spontaner.
(…) ich bin (…) positiver in meiner Lebenseinstellung geworden, ich bin spontaner (…) aktiver und
selbstbewusster geworden. (…)
(...) früher habe ich
mich vielleicht mit
einer Freundin irgendwo im Café getroffen und heute
treff` ich mich am
Waldcafé, d.h. an
dem Café hängt einfach ein zwei- bis
dreistündiger Spaziergang dran oder
ich treff` mich (…) mit
meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich
gehe freiwillig drei bis
vier Stunden in den
Wald und trainiere
mit meinem Hund
und auch mit den
anderen Hunden.
Früher waren das
(…) mehr die OttonormalverbraucherDinge, die man so tut
(…).
Die Kommunikation
mit den Mitmenschen ist leichter.
Weniger Barrieren
durch den BBH.
Der Hund strahlt
etwas Positives
aus, das sich auf
den Menschen überträgt.
Positivere Lebenseinstellung durch
BBH.
Die Freizeitgestaltung in freier Natur
trägt für den Halter
zum Ausgleich von
Körper, Geist und
Seele bei.
Freizeitgestaltung
mit dem BBH.
Tab. 8: Zur Dimension der Innenwelt
Der dritte Bestandteil, die Innenwelt, beinhaltet, wie der Mensch sich selbst wahrnimmt. Die Innenwelt, das subjektive Erleben des Menschen, ist abhängig von
seinen Lebensbedingungen, den individuellen Bewältigungsstrategien, seinen
Verhaltensmustern, seinen Bedürfnissen und seiner Zufriedenheit.
P sagt über sich selbst, dass sie positiver in ihrer Lebenseinstellung sowie spontaner, aktiver und selbstbewusster geworden ist.
57
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
Für einen Menschen mit Behinderung, der auf menschliche Hilfe angewiesen ist,
ist es unangenehm, wenn zum dritten Mal die Haarbürste hinunterfällt, weil irgendwann die Assistenzperson genervt ist. Befinden sich Menschen mit Behinderung in solch einem Abhängigkeitsverhältnis, werden sie in vielen Situationen mit
Spannungen konfrontiert.
Durch Emily bekommt die Tatsache, dass man auf Hilfe angewiesen ist, einen positiven Charakter. Bei Emily ist P von diesen Stimmungen befreit. P kann einen
Wunsch äußern und ihr Behindertenbegleithund erfüllt ihn ihr. Durch den Behindertenbegleithund ist P zwischenmenschlichen Spannungen weniger ausgesetzt.
„(…) wenn mir am Tag 20 Dinge runterfallen, dann steht Emily nach dem 20. Mal
neben mir und guckt mich an, wie wenn sie sagen würde, schmeiße noch mal etwas runter, weil sie Spaß und Freude daran hat.“
Aus diesem Grund hat sich die Stimmungslage von P verändert. Der Handlungsspielraum, der hier u. a. von Bedeutung ist, ist der Muse- und Regenerationsspielraum, der den psychischen Ausgleich des Menschen beinhaltet. Dass der Behindertenbegleithund Emily zur psychischen Stabilität sowie zum Ausgleich von P
beiträgt, wird u. a. im folgenden Zitat deutlich:
„(…) mit Emily beginnt jeder Tag grundsätzlich erst einmal gut. Sobald ich mich
morgens im Bett rege, steht sie auf und steht wedelnd neben mir. Das zaubert
einfach ein Lächeln auf die Lippen, egal ob eine Prüfung ansteht oder schlechtes
Wetter ist. Es ist natürlich auch eine Gesellschaft, die da ist. Sie tut einfach gut.
(…) das Wichtigste ist, dass ich weniger alleine bin. Ich habe einfach eine dauerhafte Gesellschaft und den treuesten Freund und Partner an meiner Seite, den
man haben kann, das ist mit Sicherheit ganz wichtig (…).“ Bezüglich der Freizeitgestaltung hat P, bevor sie ihren Behindertenbegleithund hatte, auch schon viel
unternommen, doch durch Emily hat sich die Art und Weise der Freizeitgestaltung
verändert. P hat durch Emily ihre Umwelt ganz neu erschlossen. Das bedeutet,
dass P Gegenden kennen gelernt hat, die sich ihr früher ohne Hund nicht erschlossen haben, weil sie sich nicht in Form von langen Spaziergängen in der Natur aufgehalten hat. Durch ihren Behindertenbegleithund Emily verbringt P viel Zeit
mit den Vereinsmitgliedern von Vita. Gemeinsam sind sie viel unterwegs und trainieren mit ihren Hunden. Dadurch, dass der Behindertenbegleithund für P zum
Hobby geworden ist, konnte ihre Aktivität gesteigert werden.
Ebenso können bestimmte Barrieren leichter überwunden werden. Das ist z. B. im
zwischenmenschlichen Bereich gegeben. Den Menschen fällt es durch den Hund
leichter auf P zuzugehen und sie anzusprechen.
58
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.4
Zur Dimension der Perspektiven
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
106
Zitatbeispiele
Ich studiere Soziale
Arbeit. (…)
132
Ja, ich fahr selber
Auto.
149-150
(…) während ich da
bin, ist Emily ja vor
Ort.
(…) mir aus der Jacke helfen, oder mir
Stifte, Schlüssel (…)
das, was mir gerade
runterfällt, aufzuheben. Sie trägt mir
auch leichte Taschen.
(…) bin ich für die
Zeit meiner Tätigkeit
alleine und werde
später wieder abgeholt von meiner Assistenz.
Meine Kommilitonen
reagieren unverkrampfter und ich
werde natürlich auch
öfter angesprochen.
(…)
157-158
183-185
345-347
436-437
257-259
(…) Wenn Emily
neben mir sitzt, ich
sie händel und ihr
sage, was sie zu tun
hat, dann sprechen
mich die Leute einfach an (…)
(…) wenn ich ihr sage: Such` das Telefon. (…) Dann holt
die Emi es mir. (…)
Paraphrasen
Indikatoren
Interviewpartnerin
befindet sich in einem Studium.
Interviewpartnerin
ist es möglich, Auto
zu fahren.
Verwirklichungschancen bezüglich
Bildung vorhanden.
Bewältigung von
größeren Distanzen, Erschließung
von Standorten.
Weniger Hilfestellung durch den
BBH im Alltag.
Durch BBH keine
menschliche Hilfestellung während
der Vorlesungszeiten und während
der Arbeit.
Durch den Hund
entsteht Kommunikation und zwischenmenschliche
Barrieren werden
beseitigt, sowie
neue Zugangsmöglichkeiten geschaffen.
Durch den Hund
entsteht Kommunikation und zwischenmenschliche
Barrieren werden
beseitigt.
Der Zugang zu
Mitmenschen wird
leichtert.
Schnelles Erreichen des Telefons
möglich.
Hilfestellung durch
BBH.
Offener Umgang
einer Gesellschaft
mit Menschen mit
Behinderung.
59
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
227-230
405-410
(…) spät abends (…)
die Emily mir aus den
Anziehsachen hilft.
Waschen kann ich
mich noch alleine
und sie übernimmt
dann auch die letzte
Aufgabe des Tages,
nämlich mir die Beine
ins Bett zu heben,
wofür ich sonst eigentlich noch eine
Assistenz benötigen
würde.
(…) heute treff` ich
mich am Waldcafé,
d.h. an dem Café
hängt einfach auch
ein zwei- bis dreistündiger Spaziergang dran, oder ich
treff` mich (…) mit
meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich
gehe freiwillig drei bis
vier Stunden in den
Wald und trainiere
mit meinem Hund
und auch mit den
anderen Hunden.
Früher waren das so
ein bisschen mehr
die Ottonormalverbraucher-Dinge,
die man so tut (…)
BBH ist Hilfe beim
Ausziehen und
beim Zubettgehen.
Entscheidungsfreiheit beim Zubettgehen durch BBH.
Gestaltung der
Freizeit in freier
Natur.
Andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung durch den
BBH.
Tab. 9: Zur Dimension der Perspektiven
Die Perspektive beinhaltet Möglichkeiten, die einem Menschen innerhalb seiner
Lebenslage gegeben sind. P studiert Soziale Arbeit und arbeitet seit einem Jahr
neben dem Studium freiberuflich. Sie führt Alphabetisierungskurse durch für Menschen, die unter Bewährung stehen. Somit sind berufliche Verwirklichungschancen vorhanden.
Auf Hilfe angewiesen zu sein bedeutet für Menschen mit Behinderung Abhängigkeit. Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die rollstuhlgerechten Gegebenheiten in der Stadt ist es P möglich, Standorte zu erreichen.
Aufgrund der beschriebenen Begegnungen hat sich durch ihren Behindertenbegleithund Emily vor allem der Kontakt- und Kooperationsspielraum für P neu gestaltet.
Beim Kontakt- und Kooperationsspielraum spielen die Kommunikation und die Interaktion zwischen Menschen die zentrale Rolle. Ist P in der Stadt unterwegs, wird
60
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
sie interessiert beobachtet, wie sie mit ihrem Hund spricht und arbeitet. Die Menschen gehen auf sie zu und sprechen sie auf Emily an. „Emily ist schon eine Art
Vermittler zwischen Rollstuhlfahrer und Fußgänger“, sagt P. Bevor die Menschen
den Rollstuhl wahrnehmen, wird der Hund wahrgenommen. Dadurch ist die Kommunikation einfacher, unverkrampfter und spontaner. Bevor P den Behindertenbegleithund an ihrer Seite hatte, schauten die Menschen oft betreten weg, wenn sie
die junge Frau in ihrem Elektrorollstuhl sahen, denn viele Menschen, so P, haben
ein Klischee von Rollstuhlfahrern im Kopf, das Dank des Behindertenbegleithundes nicht mehr in den Vordergrund tritt.
Auch innerhalb der Wohnung erbringt der Behindertenbegleithund wertvolle Hilfeleistung, indem er beispielsweise in der Küche die Schubladen öffnet. Diese Hilfestellung ist sehr wichtig, weil P im Stehen nicht in der Lage ist, sich zu bücken.
Auch bringt ihr der Hund auf Kommando das Telefon, welches sie oft nicht schnell
genug erreicht, wenn es klingelt. Am späten Abend hilft der Behindertenbegleithund P aus ihrer Kleidung und hebt ihr die Beine ins Bett. Durch den Behindertenbegleithund ist P auch nicht mehr beim Zubettgehen auf menschliche Hilfe angewiesen, sodass sie selbst entscheiden kann, wann sie zu Bett gehen möchte.
61
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.5
Zur Superstruktur
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
425-428
354-355
Zitatbeispiele
(...) im Vergleich zu
früher werde ich
mehr angesprochen,
die Leute sehen in
der Regel erstmals
Emily, bevor sie den
Rollstuhl sehen. Und
dadurch ist die
Kommunikation einfach auch unverkrampfter, spontaner.
(...) brauche ich natürlich zwischendurch
schon menschliche
Hilfe, um auf Toilette
gehen zu können.
Paraphrasen
Durch den BBH
können Barrieren
abgebaut werden.
Unterstützung
durch Persönliche
Assistenz u. a. in
der Pflege.
Unterstützung
durch Persönliche
Assistenz u. a.
während des Studiums.
Indikatoren
Keine Finanzierungsmöglichkeit
des BBH aus öffentlicher Hand.
Umgang einer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung.
Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung innerhalb der
Gesellschaft.
Unterstützungsleistungen innerhalb
der Gesellschaft.
Tab. 10: Zur Superstruktur
Mit der Superstruktur sind die objektiven, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
gemeint. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirtschaftliche und kulturelle
Gesetzmäßigkeiten sowie gesetzliche Grundlagen.
Eine kulturelle Gesetzmäßigkeit stellt u. a. der Umgang einer Gesellschaft mit
Menschen mit Behinderung dar.
Der Hund ist ein Bindeglied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, Menschen mit Behinderung haben es leichter. Sie werden häufiger angesprochen.
Eine wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit stellt unter anderem die Tatsache dar,
dass es derzeit in Deutschland bestimmte Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung gibt, wie z. B. die Hilfe in Form Persönlicher Assistenz.
Eine weitere wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit ist, dass Betriebe dazu aufgefordert
sind, eine bestimmte Anzahl an Menschen mit Behinderung einzustellen. Der Behindertenbegleithund ist im Gegensatz zum Blindenführhund nicht im Hilfsmittelka62
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
talog der Krankenkassen verankert. Das hat zur Folge, dass dieser in Deutschland
derzeit nicht von öffentlicher Hand finanziert wird.
8.4.6
Zu den Routinen
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
275
281-283
106
Zitatbeispiele
Paraphrasen
Indikatoren
(…) beim Anziehen.
(…) häuslichen Hilfen, beim Einkaufen,
beim Kochen, auch
wenn ich außerhalb
unterwegs bin und
ich auf die Toilette
gehen kann.
Ich studiere Soziale
Arbeit. (…)
In der Pflege und
im Haushalt wird
weiterhin menschliche Hilfe benötigt.
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten.
Interviewpartnerin
befindet sich in einem Studium
Interviewpartnerin
fährt in Begleitung
mit ihrem Auto zum
Studium und zur
Arbeit.
Begleitung zur
Hochschule durch
die Assistenz.
Täglich Hilfestellung durch den
BBH an der Hochschule.
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten.
Mehrere Spaziergänge am Tag.
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten.
Täglicher Bedarf an
menschlicher Hilfestellung.
Tägliche Hilfestellung durch Persönliche Assistenz.
132
Ja, ich fahr selber
Auto.
149
(…) die Mädels mich
hinbringen und wieder abholen (…).
157-158
(...) mir aus der Jacke helfen, oder mir
Stifte, Schlüssel oder
das, was mir gerade
runterfallt, aufzuheben. Sie trägt mir
auch leichte Taschen. (…)
Bevor ich in die Uni
fahre, gehe ich natürlich mit meinem Hund
raus.
(…) dann geh` ich in
der Regel nachmittags noch mal mit ihr.
(…)
Dann gehe ich um
sieben noch mal mit
Emily raus. (…)
(…) sechs Stunden.
117
209
217
290
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten.
Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten.
63
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
260
227-230
(…) Sie zieht mir Socken aus, die Schuhe, die Jacke, die
Hose. (…)
(…) spät abends ist
es dann so, dass die
Emily mir aus den
Anziehsachen hilft,
waschen kann ich
mich noch alleine
und sie übernimmt
dann auch die letzte
Aufgabe des Tages,
nämlich mir die Beine
ins Bett zu heben,
wofür ich sonst eigentlich noch eine
Assistenz benötigen
würde.
BBH Hilfe beim
Ausziehen und Zubettgehen
Entscheidungsfreiheit, wann zu Bett
gegangen wird
durch BBH gewährleistet.
Durch BBH nicht
mehr auf menschliche Hilfe beim Ausziehen und Zubettgehen angewiesen.
Tab. 11: Zu den Routinen
Unter Routinen sind regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten zu verstehen.
Sowohl während des Studiums als auch während der Arbeit ist P durch die Dienstleistungen ihres Behindertenbegleithundes Emily nicht mehr auf menschliche Hilfe
angewiesen. Emily hebt alles auf, was P. herunterfällt. Dabei handelt es sich u. a.
um Stifte oder um die Schlüssel. Auch ist es dem Behindertenbegleithund möglich,
kleine Taschen zu tragen und P aus der Jacke zu helfen.
Dadurch eröffnen sich für P die Handlungsspielräume neu. Diese sind bei der Innenwelt innerhalb der Lebenslage von Bedeutung. Der Lern- und Erfahrungsspielraum beinhaltet die Entfaltung und Umsetzung von Möglichkeiten. Das Studium
und die Arbeit können durch den Behindertenbegleithund ohne menschliche Hilfe
bewältigt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Dispositionsund Partizipationsspielraum. Er enthält die Möglichkeiten an Beteiligung und Mitbestimmung in verschiedenen Lebensbereichen innerhalb der Gesellschaft. Seit
ihrem Behindertenbegleithund wird P von ihrer Umwelt ganz anders wahrgenommen. Durch das eigenständige Auftreten von P und aufgrund der Anwesenheit des
Behindertenbegleithundes reagieren die Kommilitonen unverkrampfter und P wird
häufiger angesprochen.
Nach wie vor auf menschliche Hilfe angewiesen ist P vor allem morgens beim Duschen und beim Anziehen. Auch bei den häuslichen Hilfen, wie zum Beispiel beim
Einkaufen und beim Kochen, benötigt P menschliche Hilfestellung. Außerdem ist
menschliche Hilfe von Bedeutung, wenn sie längere Zeit unterwegs ist. Dann benötigt P jemand, der ihr auf die Toilette hilft. Dennoch wurde es durch ihren Behindertenbegleithund möglich, den Umfang an menschlicher Hilfeleistung zu reduzieren. Bevor Emily an ihrer Seite war, betrug der Hilfebedarf inklusive Studienbeglei64
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
tung 10 bis 12 Stunden täglich. Somit konnte der Bedarf an menschlicher Hilfe um
die Hälfte der Stunden gesenkt werden.
8.4.7
Zur Infrastruktur
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
106
173-174
132
Zitatbeispiele
Ich studiere Soziale
Arbeit. (…)
Ich biete Alphabetisierungskurse an für
Menschen, die unter
Bewährung stehen.
Ja, ich fahr selber
Auto.
434-435
(…) Stadt unterwegs
bin (…) hab einen ERollstuhl. (…)
427-428
(…) Kommunikation
einfach auch unverkrampfter, spontaner
Paraphrasen
Indikatoren
Interviewpartnerin
Verwirklichungsbefindet sich in eichancen innerhalb
nem Studium und
der Gesellschaft.
arbeitet einmal pro
Woche freiberuflich.
Interviewpartnerin
fährt mit ihrem Auto
zum Studium und
zur Arbeit. Dadurch
ist ein hoher Grad
an Mobilität gewährleistet.
Durch den Elektrorollstuhl ist es möglich, eigenständig in
die Stadt zu fahren.
Durch den BBH
können Barrieren
abgebaut werden
und dadurch neue
Zugangsmöglichkeiten eröffnet werden.
Selbstständige Bewältigung von Distanzen, Erschließung von Standorten.
Selbstständige Bewältigung von Distanzen, Erschließung von Standorten.
Zugang zu Mitmenschen.
Tab. 12: Zur Infrastruktur
P fährt mit ihrem Auto zur Hochschule bzw. zur Arbeit. Durch ihren Elektrorollstuhl
ist es ihr möglich, selbstständig in die Stadt zu gelangen. Dass P mit ihrem Elektrorollstuhl in der Stadt zurechtkommt, lässt darauf schließen, dass bauliche Gegebenheiten wie Bordsteine so gestaltet sind, dass sie mit einem Rollstuhl bewältigt
werden können. Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die Gegebenheiten in der Stadt ist es P möglich, Standorte selbstständig zu erreichen.
65
8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts
8.4.8
Zu den Chancen
Zitatstellen
(Interview
Zeile)
132
106
173-174
Zitatbeispiele
Ja, ich fahr selber
Auto.
Ich studiere Soziale
Arbeit. (…)
Ich biete Alphabetisierungskurse an für
Menschen, die unter
Bewährung stehen.
Paraphrasen
Interviewpartnerin
fährt mit ihrem Auto
zum Studium und
zur Arbeit.
Interviewpartnerin
befindet sich in einem Studium.
und arbeitet einmal
pro Woche freiberuflich.
Indikatoren
Erschließung von
Standorten innerhalb ihrer Region.
Verwirklichungschancen innerhalb
der Gesellschaft im
Bildungsbereich.
Tab. 13: Zu den Chancen
Durch empirische Untersuchungen kann innerhalb einer Region festgestellt werden, wie Menschen, die dort leben, in einzelnen Bereichen gefördert werden.
P studiert Soziale Arbeit und arbeitet seit einem Jahr neben dem Studium freiberuflich. Sie führt Alphabetisierungskurse durch für Menschen, die unter Bewährung
stehen.
Dadurch sind für P Teilhabe und Verwirklichungschancen im Bereich Bildung vorhanden.
Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die Gegebenheiten in der Stadt ist
es P möglich, Standorte innerhalb ihrer Region selbstständig zu erreichen.
66
9 Fazit
9
Fazit
Aufgrund des Interviews und dessen Auswertung, aber auch aufgrund der intensiven Beschäftigung mit diesem Thema und durch meine persönliche Situation
komme ich zu dem Schluss, dass die Lebensqualität von Menschen mit körperlicher Behinderung, die regelmäßig auf menschliche Hilfe angewiesen sind, zusätzlich durch einen Behindertenbegleithund an der Seite in erheblichem Maße gesteigert werden kann. In diesem Zusammenhang ist von zentraler Bedeutung,
dass der Bedarf an menschlicher Hilfe durch den Behindertenbegleithund oftmals
reduziert werden kann. Das bedeutet, dass es Bereiche im Alltag von Menschen
mit Behinderung gibt, in denen sie durch die Dienstleistungen, die der Behindertenbegleithund erbringt, nicht auf menschliche Hilfe angewiesen sind und sich
nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden. So wird ihnen die Möglichkeit
gegeben, selbst Entscheidungen zu treffen, ihren Alltag freier und autonomer zu
gestalten sowie eigenständig aufzutreten. Durch das eigenständige Auftreten können neue Zugangsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft geschaffen werden,
wodurch mehr Teilhabe und Verwirklichungschancen möglich sind. Neue Zugangsmöglichkeiten können sich ebenfalls im zwischenmenschlichen Bereich ergeben. Nicht behinderte Menschen nehmen Menschen mit körperlicher Behinderung durch den Behindertenbegleithund positiver wahr und das oft negativ besetzte Klischee von Rollstuhlfahrern innerhalb der Gesellschaft erhält ein neues Bild.
Durch den Behindertenbegleithund schauen die Menschen nicht mehr betreten
weg und sie sind weniger unbeholfen, wenn sie einen Menschen im Rollstuhl sehen. Bevor die Menschen den Rollstuhl wahrnehmen, erblicken sie den Hund und
zeigen Interesse an dem Tier und seiner Arbeit. Dadurch ergibt sich oftmals eine
spontane und unverkrampfte Kommunikation. Solche positiven Erfahrungen verhelfen Menschen mit körperlicher Behinderung zu mehr Selbstbewusstsein und
somit zu einer positiveren Lebenseinstellung.
Selbstverständlich gibt es Bereiche wie die Pflege oder die hauswirtschaftliche
Versorgung, in welchen menschliche Hilfeleistungen unabdingbar sind. Das ist u.
a. beim Duschen und beim Anziehen, sowie beim Kochen der Fall.
Ich bin sehr froh und dankbar, dass es im Bereich der eigenständigen Lebensführung für Menschen mit Behinderung mittlerweile einige Varianten der menschlichen Hilfestellung gibt, wie beispielsweise die der Persönlichen Assistenz.
67
9 Fazit
Bezüglich der Lebensführung und Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung ist es von großer Bedeutung, dass sie ihr Leben freier und autonomer leben
und gestalten können.
Kann der Bedarf an menschlicher Hilfe durch einen Behindertenbegleithund reduziert werden, könnten Gelder aus der Pflegekasse eingespart werden, die zur Finanzierung eines solchen Hundes verwendet werden könnten.
In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von Bedeutung, dass wie aus der tiergestützten Therapie u. a. dem therapeutischen Reiten bereits bekannt, sich das Zusammensein und die Beschäftigung mit einem Tier positiv auf das Wohlbefinden
von Menschen auswirkt.
Es gibt Phasen im Leben von Menschen mit Behinderung, in welchen sie sich aus
den unterschiedlichsten Gründen aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht nur
mit physischen sondern auch mit psychischen Belastungen konfrontiert sehen.
Diese können häufig ausschließlich in Form von Therapien bewältigt werden.
Haben Menschen mit Behinderung einen Behindertenbegleithund an ihrer Seite,
wirkt sich dieser durch seine Ausstrahlung, seine bedingungslose Wertschätzung,
durch die Zuneigung und die aktive Hilfestellung im Alltag, die er seinem Halter
entgegenbringt, positiv auf das Wohlbefinden und auf das Selbstbewusstsein aus.
Ich bin davon überzeugt, dass mit einem Behindertenbegleithund an der Seite
Therapien nicht mehr bzw. nicht mehr in der Intensität notwendig sind, wie es ohne Behindertenbegleithund der Fall wäre.
Das bedeutet, dass Gelder der Krankenkassen, die für Therapiesitzungen ausgegeben werden, eingespart werden können. Diese könnten dann zur Finanzierung
eines Behindertenbegleithundes verwendet werden.
Ich wünsche mir, dass sich für die Finanzierung eines Behindertenbegleithundes
zukünftig Kostenträger bereit erklären, so wie es beim Blindenführhund der Fall ist.
Außerdem hoffe ich, dass in naher Zukunft einheitliche gesetzliche Regelungen
bezüglich der Mitnahme des Behindertenbegleithundes in öffentliche Gebäude
geschaffen werden.
Entscheidet sich ein Mensch, mit einem Hund zu leben, übernimmt er eine verantwortungsvolle Aufgabe. Für ein Tier ist es wichtig, dass ihm Zeit, Liebe und
Geborgenheit entgegengebracht wird. Wichtig ist vor allem aber, dass seinen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. Lebt man mit einem Hund zusammen, ist
68
9 Fazit
dessen Bedürfnisbefriedigung mit Pflichten verbunden. Für die Gesundheit des
Hundes ist es notwendig, dass mit ihm mehrmals am Tag große und kleine Spaziergänge unternommen werden. Sehr wichtig ist auch, dass der Hund im Rahmen
der Spaziergänge die Möglichkeit hat, mit seinen Artgenossen zu spielen und sich
auszutoben. Ausschließlich auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass man
mit einem gesunden und ausgeglichenen Hund zusammenlebt.
Alles, was für einen normalen Hund wichtig ist, gilt natürlich auch für den Behindertenbegleithund. Von zentraler Bedeutung ist, dass der Hund bei seinem Halter
mit Behinderung als Tier akzeptiert ist und auf keinen Fall lediglich auf den
Dienstleister reduziert wird.
69
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72
Anhang
Anhang
I.
Interviewleitfaden...........................................................................................I
II.
Telefoninterview.......................................................................................... IV
III.
Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde .XVIII
IV.
Bildergalerie ..............................................................................................XIX
I Interviewleitfaden
I. Interviewleitfaden
Frage 1:
1. Name
2. Alter
3. Geschlecht
4. Berufliche Tätigkeit
Frage 2:
Was für eine Behinderung haben Sie?
Frage 3:
Welche Institution hat Ihnen einen Hund ausgebildet?
Frage 4:
Wie lange leben Sie schon mit Ihrem Behindertenbegleithund zusammen?
Frage 5:
Wie sind Sie auf die Institution, die Ihnen einen Behindertenbegleithund ausgebildet hat, aufmerksam geworden?
Alltagsbewältigung
Frage 6:
Wie sieht Ihr Tagesablauf unter der Woche vom Aufstehen bis zum Zubettgehen aus?
Frage 6a:
In welchen Alltagssituationen leistet Ihnen der Behindertenbegleithund Hilfestellung?
Frage 6 b:
In welchen Alltagssituationen sind Sie auf menschliche Hilfe angewiesen?
Frage 6 c:
Hat sich der Bedarf an menschlicher Hilfe durch den Behindertenbegleithund
verändert? Wenn ja, in welcher Form?
I
I Interviewleitfaden
Frage 6 d:
Was hat sich bezüglich der Alltagssituation durch den Behindertenbegleithund
verändert?
(verbessert / verschlechtert)
Ausbildung/Berufliche Tätigkeit
Frage 7:
Hat sich während des Studiums/der Arbeit durch den Behindertenbegleithund
etwas verändert?
(verbessert / verschlechtert)
Freizeit
Frage 8:
Wie gestalten Sie Ihre Freizeit?
Frage 8a:
Hat sich bezüglich der Freizeitgestaltung durch den Behindertenbegleithund
etwas verändert?
(verbessert / verschlechtert)
Frage 8b:
Werden Sie durch den Hund öfter wahrgenommen bzw. angesprochen?
Das Leben vor dem Behindertenbegleithund
Frage 9:
Wie sah Ihr Tagesablauf unter der Woche vom Aufstehen bis zum Zubettgehen
aus, bevor Sie den Hund hatten?
Frage 9a:
Wie würden Sie Ihr Leben beschreiben, bevor Ihr Behindertenbegleithund in Ihr
Leben getreten ist?
II
I Interviewleitfaden
Das Leben mit Behindertenbegleithund
Frage 10:
Wie sehen Sie Ihr Leben heute?
Frage 10a:
Was hat sich für Sie ganz persönlich durch Ihren Behindertenbegleithund verändert?
Frage 10b:
Haben Sie sich Ihrer Meinung nach durch Ihren Behindertenbegleithund verändert?
Wenn ja, in welcher Form?
Herausforderungen und Schwierigkeiten, die sich durch den Behindertenbegleithund ergeben
Frage 11:
Werden Sie durch den Behindertenbegleithund mit Problemen innerhalb der
Gesellschaft konfrontiert?
Beispielsweise beim Betreten von Lebensmittelgeschäften oder öffentlichen
Gebäuden.
(durch geringen Bekanntheitsgrad des Behindertenbegleithundes)
III
II Telefoninterview
II. Telefoninterview
1
Datum: 28.01.2009
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Ort: Weingarten Baden-Württemberg/Köln
Dauer: 27 Minuten
4
Das Interview wurde mit P durchgeführt. P ist weiblich, 24 Jahre alt und
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ledig.
P hat eine körperliche Behinderung. P lebt eigenständig in einer Woh-
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nung. P gestaltet das Leben mit Hilfe des Behindertenbegleithundes und
mit Hilfe persönlicher Assistenz. P studiert im 10. Semester Soziale Arbeit
9
10
an der katholischen Fachhochschule in Köln. Seit einem Jahr arbeitet P
neben dem Studium freiberuflich. P führt Alphabetisierungskurse für
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Menschen durch, die unter Bewährung stehen. In der Freizeit trifft sich P
mit Freunden und ist viel draußen mit dem Hund unterwegs.
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I:
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Erst einmal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich Zeit nehmen,
mit mir das Interview zu führen.
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P:
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Sehr gerne.
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I:
Sie wissen ja, dass ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dem Thema
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beschäftige: Die Bedeutung des Behindertenbegleithundes für den Menschen
mit körperlicher Behinderung. Und dazu werde ich jetzt ein paar Fragen stellen.
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P:
Okay, legen wir los.
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I:
30
31
Erst einmal: Was für eine Behinderung haben Sie denn?
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33
P:
Ich habe eine Progressive Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp 2i.
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I:
36
Okay. Und wie wirkt sich das aus, wie kann ich mir das vorstellen?
IV
II Telefoninterview
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P:
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40
Ja, zunächst progressiv heißt fortschreitend. Es ist also eine fortschreitende
Behinderung. (Pause) Zum momentanen Zeitpunkt ist es so, dass ich Rollstuhl-
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fahrer bin, innerhalb meiner Wohnung jedoch noch ein paar Schritte laufen
kann. Meine Muskulatur ist kräftemäßig sehr eingeschränkt.
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I:
45
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Okay.
Und wie weit geht so `ne Behinderung, kann man das sagen?
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48
P:
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50
Ganz schwierig zu verallgemeinern. (Pause) Es gibt mehre verschiedene Arten
von Muskelerkrankungen. Man kann leider nicht Prognosen stellen, in dem Sin-
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ne, dass man sagt,
(Pause) in 10 Jahren kann ich nicht mehr laufen oder brauch` ich ein Beat-
53
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mungsgerät. Es ist sehr schwierig, da Rückschlüsse zu ziehen.
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I:
Gab es Lebensabschnitte, bei denen die Behinderung nicht da war?
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P:
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Ja, die ersten zwei Lebensjahre. Ich bin, (Pause) also es handelt sich um einen
genetischen Defekt, also die Disposition ist da, die Frage ist eben, ob es auch
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ausgelöst wird oder ob es ausreicht. Und bei mir ist es im Alter von zwei Jahren
durch Fieberschübe ausgelöst worden.
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64
65
I:
Durch Fieberschübe?
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P:
68
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Genau.
70
71
I:
Okay. (Pause) Dann kommen wir jetzt `mal zum Thema Hund:
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73
Welche Institution hat Ihnen denn einen Hund ausgebildet?
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P:
Das war der gemeinnützige Verein Vita-Assistenthunde e.V..
76
V
II Telefoninterview
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I:
Okay.
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80
Wie lange leben Sie schon mit Ihrem Behindertenbegleithund zusammen?
81
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P:
(Pause) Das ist ziemlich genau ein Jahr jetzt. Ja, seit Januar 2008.
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I:
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Wie sind Sie auf die Institution, die Ihnen den Behindertenbegleithund ausgebildet hat, aufmerksam geworden?
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P:
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Vita habe ich auf der Reha Care in Düsseldorf, das ist eine internationale
Fachmesse für Menschen mit Behinderung, kennen gelernt. Dort haben die je-
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des Jahr einen Stand und dort bin ich auf Vita aufmerksam geworden.
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I:
Wie sieht denn Ihr Tagesablauf, wenn Sie den mal beschreiben, unter der Wo-
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che aus? Welche Hilfestellungen leistet da der Behindertenbegleithund und
welche Hilfestellungen werden durch menschliche Assistenz geleistet?
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P:
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(Pause) Ja, mein Tagesablauf hängt natürlich immer davon ab, was am Tage
ansteht. Ich bin Studentin.
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102
I:
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Was studieren Sie denn?
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Ich studiere Soziale Arbeit. Ich steh` in der Regel morgens so gegen halb acht
auf und gehe dann alleine ins Bad. Emily ist dann natürlich auch schon wach,
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begleitet mich auch ins Bad, legt sich dort hin. Dann beginne ich mich fertig zu
machen, mich zu waschen usw. Ungefähr nach `ner halben Stunde kommt
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dann eine Assistenz von mir, die mir dann beim Anziehen hilft, beim Frühstück
machen und mich dann in der Regel auch in die Uni begleitet. Und dann hängt
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113
das immer davon ab, wie viele Vorlesungen ich hab` oder ob ich Therapien
hab’. Ich sag mal so, im Groben bin ich so bis 12:00 oder 1:00 Uhr in der Uni.
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Danach kommt, oh, jetzt hab` ich den Morgenspaziergang vergessen, das Allerwichtigste.
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(lacht)
P:
VI
II Telefoninterview
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Bevor ich in die Uni fahre, gehe ich natürlich mit meinem Hund raus.
(lacht)
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I:
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(Lacht) Ja.
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P:
Das ist in der Regel morgens, dass ich so ne Stunde mit ihr gehe. Ich muss da-
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für zurzeit mit dem Auto aus der Stadt herausfahren, weil ich in unmittelbarer
Nähe keine Freilaufflächen habe oder keine Wiesen.
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I:
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Fahren Sie selber Auto?
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P:
Ja, ich fahr selber Auto.
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I:
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Okay.
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138
P:
Ja, ich fahre dann in ein Waldgebiet in der Nähe. Und dort geh` ich dann `ne
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140
Stunde mit ihr raus, und danach geht's noch mal nachhause. Dort füttere ich sie
dann und von da an geht `s los zur Uni.
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I:
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Zur Uni.
(Pause)
Sind Sie an der Uni auch mit Begleitung?
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147
P:
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(Pause) Jain. Früher schon. Mittlerweile mache ich das in der Regel nur so,
dass die Mädels mich hinbringen und wieder abholen, weil während ich da bin,
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151
ist Emily ja vor Ort.
152
153
I:
Und was hat früher der Mensch oder die Assistenz an der Uni gemacht, was
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jetzt die Emily übernimmt?
VII
II Telefoninterview
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P:
Zum Beispiel mir aus der Jacke helfen, oder mir Stifte, Schlüssel oder das, was
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mir gerade runterfällt, aufzuheben. Sie trägt mir auch leichte Taschen. Ja, solche Sachen.
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I:
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Haben Sie während des Studiums schon mal ein Praktikum durchlaufen oder
arbeiten Sie während des Studiums?
164
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P:
166
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Ich habe ein Praktikum durchlaufen, nach Abschluss des Grundstudiums. Ich
gehe auch seit circa einem Jahr nebenher freiberuflich arbeiten.
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I:
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In welchem Bereich arbeiten Sie?
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P:
Ich biete Alphabetisierungskurse an für Menschen, die unter Bewährung ste-
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hen.
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I:
Wie gestaltet sich das?
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P:
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In der Regel habe ich Emily dabei und eine Assistenz. Ich bin nur einmal die
Woche in diesem Gebäude, so dass Umbaumaßnahmen vorgenommen werden
182
183
184
müssen. Es müssen Stühle und Tische aufgestellt werden, das muss dann eben meine Assistenz für mich übernehmen. Wenn das erledigt ist, bin ich für die
Zeit meiner Tätigkeit alleine und werde später wieder abgeholt von meiner As-
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sistenz.
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188
I:
Alleine, das heißt?
189
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P:
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Ich, mein Hund und mein Klient.
193
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I:
Okay
195
VIII
II Telefoninterview
196
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I:
Okay.
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Hilft Ihnen die Emily auch morgens beim Anziehen und richten?
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P:
(Pause) Nein, beim Anziehen hilft sie mir nicht, jedoch abends beim Ausziehen.
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I:
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Ah, Okay.
Ja, schildern Sie mir bitte Ihren Tagesablauf weiter.
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P:
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(Lacht)
Ja, dann geh` ich in der Regel nachmittags noch mal mit ihr.
210
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Manchmal ist es davon abhängig, wo ich mich gerade aufhalte, ich versuche
immer meine Therapien oder die Uni auch mit Plätzen, wo ich mit Emily geh`,
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zu verknüpfen. Und dann gehe ich meistens an den Rhein mit ihr, dass sie ein
bisschen Abwechslung hat. So `ne dreiviertel Stunde bis Stunde und danach
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kommt es dann auf die Nachmittagsgestaltung an. Also ich hab` dreimal die
Woche Krankengymnastik oder ich treff` mich mit Freunden oder gehe in die
216
217
Stadt, ganz unterschiedlich.
Dann gehe ich um sieben noch mal mit Emily raus. Das ist eine etwas kürzere
218
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Runde, so ne halbe bis dreiviertel Stunde und danach geht`s dann direkt heim,
weil ich sie dann auch füttere. Die Fütterungszeit ist immer so zwischen sieben
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und acht. Man ist da auch `n bisschen festgelegt in den Zeiten.
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223
224
I:
Sie meinen zwischen 19 und 20 Uhr.
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226
P:
Genau.
227
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Ja, und spät abends ist es dann so, dass die Emily mir aus den Anziehsachen
hilft, waschen kann ich mich noch alleine und sie übernimmt dann auch die letz-
229
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te Aufgabe des Tages, nämlich mir die Beine ins Bett zu heben, wofür ich sonst
eigentlich noch eine Assistenz benötigen würde.
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I:
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234
Okay.
IX
II Telefoninterview
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P:
Ja. Sie müssen sich das so vorstellen: In der Wohnung lauf` ich noch mit einem
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Rollator und ich gehe dann wirklich bis zum Bett, setze mich hin und Emily
schafft es eben, mir beide Beine ins Bett zu heben. Im Bett selber bin ich dann
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wieder selbstständig.
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242
I:
Okay. (Pause) Sie haben bis jetzt geschildert, was Emily alles während des
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244
Studiums übernehmen kann: Jacke ausziehen, Sachen tragen, Stifte aufheben.
Welche Leistungen erbringt Emily denn noch so tagsüber?
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P:
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248
(Pause) Zum Beispiel ist es in der Wohnung ganz wichtig, dass sie mir alles
apportiert, was mir runterfällt. Des Weiteren kann sie mir Schubladen öffnen.
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Das ist vor allem in der Küche der Fall. Dadurch, dass ich stehe und mich nicht
bücken kann, komm ich an die Schubladen nicht dran. An den Schubladen
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hängen kleine Sandsäcke. Emily beißt da rein und zieht sie auf. Sie kann mir
dann eben die Sachen anreichen, an die ich nicht drankommen würde, ohne
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ihre Hilfe. Sie macht aber genauso gut auch Türen auf, was für Rollstuhlfahrer
ja relativ schwer ist. Sie holt mir den Aufzug, darauf hab ich sie trainiert. Weil es
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256
auch da natürlich immer sehr mühsam ist, an die Aufzugstüren ranzurollern und
mich vorzubeugen. Das macht sie für mich. Sie ist zum Beispiel auch auf mein
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258
Telefon konditioniert, das heißt, wenn ich ihr sage: Such` das Telefon. Wenn ich
das Telefon brauch’ und es irgendwo vergessen hab`, bin ich natürlich nicht
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260
schnell genug, um es dann rechtzeitig zu bekommen. Dann holt die Emi es mir.
Sie zieht mir Socken aus, die Schuhe, die Jacke, die Hose. Ja das sind im Gro-
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ben die Tätigkeiten, die sie so macht.
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Das ist ja schon super viel.
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P:
Ja das sind einige Dinge, allerdings.
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I:
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Ja, was wollt` ich jetzt sagen?
(Pause)
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Ja, in welchen Alltagssituationen sind Sie auf menschliche Hilfe angewiesen.
I:
X
II Telefoninterview
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P:
Vor allen Dingen beim Anziehen.
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I:
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Genau.
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281
P:
Aber eben auch, ich sag mal die ganzen häuslichen Hilfen, beim Einkaufen,
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beim Kochen. auch wenn ich außerhalb unterwegs bin und ich auf die Toilette
gehen kann.
284
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I:
286
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Wie hoch ist Ihr Hilfebedarf am Tag an menschlicher Hilfe, in Stunden ausgedrückt?
288
289
P:
290
291
Ich denke, das sind so sechs Stunden.
292
293
I:
Und wie viel Stunden waren das vor der Emily?
294
295
P:
296
297
Oh, das waren (Pause) das waren 10 bis12 Stunden.
298
299
I:
Okay. im Grunde kommt morgens und abends jemand.
300
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Sind die sechs Stunden am Tag, wie sie gerade gesagt haben, dafür gedacht,
wenn sie z.B. in die Stadt gehen? Ist da auch jemand dabei?
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P:
Nicht zwangsläufig. Das hängt auch immer von den Aktivitäten ab, das heißt,
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wenn ich für ein oder zwei Stunden in die Stadt fahre, kann ich das auch alleine. Wenn ich das für eine längere Zeit mache, dann brauche ich natürlich ir-
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gendwann jemand, der mir auf die Toilette hilft.
309
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I:
Und die zwei Stunden allein in der Stadt können Sie durch Emily bewältigen?
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P:
313
Ja, mit ihrer Hilfe. Genau.
XI
II Telefoninterview
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I:
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Was hat sich bezüglich ihrer Alltagsituation durch den Behindertenbegleithund
verändert, also sowohl verbessert, als auch verschlechtert?
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P:
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Verbessert hat sich eben zum einen, dass ich die Hilfe habe und dadurch unabhängiger von menschlicher Hilfe werde. Zweitens, der Begriff Hilfe bekommt
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323
eine ganz neue Dimension für mich, weil Emily das alles sehr, sehr freudig tut.
Hilfe ist ja in meiner Situation in erster Linie das, was abhängig macht und viel-
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leicht auch ein Stück weit negativ besetzt ist. Durch Emily bekommt es einen
positiven Charakter. Negativ ist das natürlich für sie, dass auch sehr viel Zeit
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drauf geht. Ich geh` dreimal am Tag mit ihr raus, das sind über den Daumen
gepeilt 3 bis 4 Stunden, die durch Füttern, Pflegen usw. allein schon für den
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329
Hund draufgehen. Und ja, bei behinderten Menschen ist der Tag kürzer als bei
gesunden Menschen.
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I:
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Warum?
334
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P:
Weil man einfach für sämtliche Tätigkeiten länger braucht. Sei es das Duschen,
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sei es das Anziehen, sei es das ins Auto Steigen. Bei mir dauert das halt 10
Minuten und bei meinen Mitmenschen dauert es 30 Sekunden.
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I:
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342
Okay. Die Frage, die jetzt kommt, haben wir eigentlich oben schon gehabt: Hat
sich während des Studiums bzw. der Arbeit durch den Behindertenbegleithund
etwas verändert?
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P:
345
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Meine Kommilitonen reagieren unverkrampfter und ich werde natürlich auch
öfter angesprochen. Während der Vorlesung benötige ich keine Assistenz
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348
mehr, sondern kann mit dem Hund alleine vor Ort sein.
349
350
I:
Super. Okay.
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XII
II Telefoninterview
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353
P:
Eben auch wieder mit der Einschränkung, dass es von der Zeit abhängt. Wenn
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355
ich jetzt von morgens bis abends in der Uni bin, brauche ich natürlich zwischendurch schon menschliche Hilfen, um auf Toilette gehen zu können.
356
357
I:
358
359
Okay. Also, ich fass` noch mal zusammen: Sie haben vorher gemeint, dass Sie
gerade bei pflegerischen Dinge, die der Hund nicht gewährleisten kann,
360
361
menschliche Hilfe benötigen.
362
363
P:
Genau.
364
365
I:
366
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Okay. Hat sich bezüglich der Freizeitgestaltung durch den Behindertenbegleithund etwas verändert?
368
369
P:
370
371
Ja, auf jeden Fall, ich bin viel draußen. Ich habe ja meine Umwelt ganz neu erschlossen. Ich habe Gegenden kennen gelernt, die sich früher wahrscheinlich
372
373
mir nicht erschlossen hätten, weil ich einfach nicht rausgegangen wär`. Ich bin
einfach auch aktiver geworden. Ich bin viel mit den Vereinsmitgliedern von Vita
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375
unterwegs, ich trainiere mit meinem Hund regelmäßig, es ist auch ein Hobby.
Der Hund ist zum Hobby geworden.
376
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I:
378
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380
Okay.
(Pause)
Sie sagen, Sie sind aktiver geworden. Wirkt sich das auch auf andere Lebens-
381
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bereiche aus?
383
384
P
Natürlich hat sich auch seelisch sag ich mal und in meiner Stimmungslage viel
385
386
verändert, ich sag immer mit Emily beginnt jeder Tag grundsätzlich erst einmal
gut. Sobald ich mich morgens im Bett rege, steht sie auf und steht wedelnd ne-
387
388
ben mir. Das zaubert einfach ein Lächeln auf die Lippen, egal ob eine Prüfung
ansteht oder schlechtes Wetter ist. Es ist natürlich auch eine Gesellschaft, die
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390
da ist. Sie tut einfach gut.
XIII
II Telefoninterview
391
392
I:
Schön. Und kommen wir noch mal auf die Freizeitgestaltung zurück. Würden
393
394
Sie sagen, unternehmen Sie mehr, seitdem Sie Emily haben, auch mit anderen
Menschen, oder war das früher auch schon gegeben?
395
396
P
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398
Ich denke, ich habe früher auch schon viel unternommen. Doch jetzt durch Emily unternehme ich andere Dinge.
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I:
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Beschreiben Sie mal grob, im Gegensatz zu heute, wie es früher für Sie war?
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404
P:
(Pause) Ja, früher habe ich mich vielleicht mit einer Freundin irgendwo im Café
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getroffen und heute treff` ich mich am Waldcafé, d.h. an dem Café hängt einfach auch ein zwei- bis dreistündiger Spaziergang dran, oder ich treff` mich e-
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ben mit meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich gehe freiwillig drei bis vier
Stunden in den Wald und trainiere mit meinem Hund und auch mit den anderen
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410
Hunden. Früher waren das so ein bisschen mehr die OttonormalverbraucherDinge, die man so tut, z.B. Kaffeetrinken gehen. Das hat sich durch Emily
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412
schon verändert, weil ich natürlich auch versuche, die „Pflicht“ mit Vorzügen zu
verbinden.
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414
I:
415
416
Ja.
Dann wäre auch die nächste Frage ganz passend: Was hat sich persönlich für
417
418
419
Sie durch den Behindertenbegleithund verändert?
420
421
(Pause) Ja, ich denke, das Wichtigste ist, dass ich weniger alleine bin. Ich habe
einfach eine dauerhafte Gesellschaft und den treuesten Freund und Partner an
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meiner Seite, den man haben kann, das ist mit Sicherheit ganz wichtig. Dann
hab` ich eben aktive Hilfe im Alltag. Ich werde aber auch von meiner Umwelt
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ganz anders wahrgenommen. Also, ich sag` immer, Emily ist schon eine Art
Vermittler zwischen Rollstuhlfahrer und Fußgänger. D.h., im Vergleich zu früher
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werde ich mehr angesprochen, die Leute sehen in der Regel erstmal Emily, bevor sie den Rollstuhl sehen. Und dadurch ist die Kommunikation einfach auch
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unverkrampfter, spontaner.
P:
XIV
II Telefoninterview
430
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I:
Ist Ihnen da eine prägnante Situationen im Gedächtnis?
432
433
P:
434
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Ja, z.B. wenn ich mit ihr in der Stadt unterwegs bin und ich hab einen E- Rollstuhl. Viele Menschen haben ja auch ein Klischee von Rollstuhlfahrern im Kopf.
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Wenn Emily neben mir sitzt, ich sie händel und ihr sage, was sie zu tun hat,
dann sprechen mich die Leute einfach an und fragen, wie alt ist sie denn, und
438
439
ob sie ausgebildet ist oder ob ich sie so erzogen hätte. Die Leute sind einfach
interessierter und schauen nicht betreten weg oder sind unbeholfen.
440
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I:
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Und aufgeschlossener auch?
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P
Ja, auf jeden Fall.
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I:
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Haben Sie sich, ihrer Meinung nach, durch den Behindertenbegleithund persönlich verändert?
450
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P:
452
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Ja, ich bin, glaube ich, positiver in meiner Lebenseinstellung geworden, ich bin
spontaner geworden. Ich bin auf jeden Fall aktiver und selbstbewusster gewor-
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455
den.
Ich bin vielleicht auch kritischer meinen Mitmenschen gegenüber geworden,
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458
gerade im Punkto Hilfe, weil Emily es einfach auf so eine wundervolle Art und
Weise tut, die den Menschen, glaube ich, vorenthalten ist.
459
460
I:
Können Sie das mit dem Kritischen noch mal konkretisieren, bitte.
461
462
P:
463
464
Ja, wenn mir am Tag 20 Dinge runterfallen, dann steht Emily nach dem 20. Mal
neben mir und guckt mich an, wie wenn sie sagen würde, schmeiß noch mal
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etwas runter, weil sie Spaß und Freude daran hat.
467
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I:
Wie war es für sie, als sie von menschlicher Hilfe umgeben waren?
469
XV
II Telefoninterview
470
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P:
Ja, das ist einem natürlich unangenehm, wenn man zum dritten Mal die Haar-
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473
bürste runter schmeißt, weil irgendwann das Gegenüber auch genervt ist. Es
spielen ja auch Stimmungen mit in dieser Abhängigkeit, die durch Hilfe entsteht.
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475
Bei Emily bin ich von diesen Stimmungen natürlich in gewisser Weise befreit,
d.h., ich kann einen Wunsch äußern und sie erfüllt ihn mir.
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I:
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479
Diese Stimmungen, die Sie eben angesprochen haben, sind Sie damit auch
konfrontiert worden, wenn es sich um bezahlte Assistenz handelte?
480
481
P:
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483
Ja. (Pause) Ich denke, das ist auch menschlich. (Pause) Ich denke, es ist
menschlich, wenn man mehrere Stunden am Tag zusammen ist. Man kann sei-
484
485
ne Stimmungen nicht draußen vor der Tür ablegen. (Pause) Sowohl der
Dienstleister, als auch derjenige, der Hilfe beansprucht. Es stoßen immer zwei
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Persönlichkeiten aufeinander und das erzeugt entweder Konflikte oder Vertrauen und Harmonie.
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489
I:
490
491
Und warum denken Sie, erzeugt es Konflikte?
492
493
P:
Aufgrund von Misskommunikation. Vielleicht sind es Erwartungen, die der As-
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sistenznehmer hat, die er aber nicht klar äußert und der Assistenzgeber dadurch verunsichert ist. Es gibt so viele Situationen, die da machbar sind. Und
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ich denke, letztendlich steht immer eine falsche Kommunikation im Vordergrund
und auch die Unsicherheit.
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I:
Und habe ich das richtig verstanden, dass die Konflikte auch aufgrund von zeit-
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licher Intensität da sind?
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P
Ja, würde ich schon behaupten.
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I:
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Okay. Werden Sie durch den Behindertenbegleithund mit Problemen innerhalb
der Gesellschaft konfrontiert, also zum Beispiel, wenn Sie mit Emi in Lebensmit-
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II Telefoninterview
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telgeschäfte oder öffentliche Gebäude gehen, weil der Behindertenbegleithund
ja nicht so verbreitet ist, was den Bekanntheitsgrad angeht?
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P:
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Sehr wenig. Mir ist es durchaus schon passiert, dass ich in Geschäften gebeten
worden bin, den Hund raus zu bringen, wobei ich dann jedes Mal auf mein
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Deckchen verweise, was Emily trägt, wo ja auch drauf steht, dass sie ein Behindertenbegleithund ist. In der Regel scheuen sich die Leute dann auch, die
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Diskussion weiterzuführen. In der Regel verbleibe ich dann im Laden oder ich
würde rausgehen und halt irgendwo anders meine Ware suchen.
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I:
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Okay. Das wären jetzt erstmals so die Fragen von meiner Seite. Dann möchte
ich mich bedanken bei Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben und
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mir diese bereichernden Informationen rüber gebracht haben, danke schön.
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P:
Gerne.
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III Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde
III. Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde
Abb. 9: Teilnahmebescheinigung Praxisseminar BBH
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IV Bildergalerie
IV. Bildergalerie8
Abb. 12: BBH betätigt Schalter
(Hunde für Handicaps e.V., Berlin)
Abb. 10: BBH entsorgt Abfall
(Hunde für Handicaps e.V., Berlin)
Abb. 13: BBH zieht Wäschekorb
(Hunde für Handicaps e.V., Berlin)
www.balouchen.de
Abb. 11: BBH betätigt Ampel
(Daniela und Rolf Küster,
www.balouchen.de)
www.balouchen.de
Abb. 14: BBH schließt Geschirrspüler
(Daniela und Rolf Küster,
www.balouchen.de)
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Erklärung
Ich versichere, dass die vorliegende Arbeit inhaltlich ohne fremde Hilfe angefertigt
wurde und ich mich keiner anderen, als der von mir angegebenen Literatur und
Hilfsmittel bedient habe. Im Rahmen einer Prüfung wurde das Thema von mir
noch nicht schriftlich bearbeitet.
27.02.2009
Datum
Unterschrift