Corinna hat eine Diplomarbeit über
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Corinna hat eine Diplomarbeit über
Die Bedeutung von Behindertenbegleithunden für Menschen mit körperlicher Behinderung anhand des Lebenslagekonzepts Diplomarbeit im Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten vorgelegt von Corinna Strobel Erstprüferin: Prof. Dipl.-Psych. Irmgard Teske Zweitprüferin: Prof. Dr. rer. medic. Birgit Vosseler Weingarten, 27. Februar 2009 „Der Hund baut Brücken, beseitigt Barrieren, bereitet Freude.“ (Zitat eines Team-Mitgliedes des gemeinnützigen Vereins Vita-Assistenzhunde e.V. 2008) DANKSAGUNG An dieser Stelle möchte ich all den Personen danken, die mich während meiner Diplomarbeit mit vielen Anregungen, Ideen und Rückmeldungen hilfreich unterstützt haben. Mein ganz besonderer Dank richtet sich an die zweite Vorsitzende des Vereins Hunde für Handicaps e. V. in Berlin, Sabine Häcker, die mir eine große Unterstützung war. Ebenfalls richtet sich der besondere Dank an Elisabeth Färbinger vom Verein Partner-Hunde Österreich. Auch bedanken möchte ich mich für die Unterstützung bei der Stiftung Hunde helfen Leben und dem Hundeerzieher und Verhaltensberater Erik Kersting, der in Deutschland u. a. Epilepsiehunde ausbildet. Ein weiteres Dankeschön für ihre Unterstützung richtet sich an Simone Oberenzer aus Osnabrück, die Diabeteswarnhunde ausbildet. Auch herzlich bedanken möchte ich mich bei Daniela und Rolf Küster www.balouchen.de. Ein herzliches Dankeschön möchte ich sowohl einem Team-Mitglied des Vereins Partner-Hunde Österreich als auch einem Team-Mitglied des Vereins VitaAssistenzhunde e. V. aussprechen. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei den Professorinnen Frau Teske und Frau Vosseler für ihre hilfreichen Anregungen und die fachliche Betreuung dieser Arbeit. Ein sehr großes Dankeschön für die kontinuierliche Unterstützung während meiner Diplomarbeit geht an meine Familie und an meinen Lebensgefährten. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Einleitung ...............................................................................................................1 1 Klärung von Begriffen ..................................................................................2 1.1 Behinderung............................................................................................2 1.2 Körperbehinderung..................................................................................2 2 Leben mit Behinderung................................................................................4 2.1 Zahlen und Fakten ..................................................................................4 2.2 Integration, Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung .....................................................................................4 2.3 Zwischen Autonomie und Bevormundung - Leben in Einrichtungen und in einer Familie ................................................................................5 2.3.1 Leben in Einrichtungen................................................................5 2.3.2 Leben in der Familie ....................................................................7 2.3.3 Eigene Erfahrungen.....................................................................7 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung................................9 3.1 Das Arbeitgebermodell..........................................................................10 3.1.1 Kompetenzen ............................................................................11 3.1.2 Risiken das Arbeitgebermodells ................................................12 3.2 Indirekte Assistenz ................................................................................18 3.3 Hilfe durch unbezahlte Helfer ................................................................18 3.4 Verrichtungen durch einen herkömmlichen ambulanten Pflegedienst..........................................................................................19 3.5 Hilfe von professionellen Helfern mit einer an Selbstbestimmung orientierten Fachlichkeit........................................................................19 4 Konfliktsituationen und Ursachen.............................................................20 4.1 Gemeinsames Auftreten des Menschen mit Behinderung mit seinem Assistenten ..............................................................................20 4.2 Gestaltung der Anfangsphase...............................................................21 4.3 Zeitliche Intensität .................................................................................21 4.4 Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und Assistent...............................................................................................22 4.5 Bevormundung und Machtkämpfe des Assistenten ..............................22 5 Hunde helfen Menschen.............................................................................24 5.1 Blindenführhunde ..................................................................................24 5.2 Signalhunde ..........................................................................................24 5.3 Epilepsie- oder Anfallswarnhunde .........................................................25 5.4 Diabetikerwarnhunde ............................................................................26 5.5 Therapiehunde ......................................................................................27 Inhaltsverzeichnis 6 Zum Behindertenbegleithund ....................................................................28 6.1 Menschliche Voraussetzungen .............................................................30 6.2 Zutrittsmöglichkeiten mit dem Behindertenbegleithund .........................31 6.3 Das Auftreten der Teams in der Öffentlichkeit.......................................32 6.4 Ein Behindertenbegleithund steht einem Besitzer auch während der Arbeit zur Verfügung ......................................................................33 6.5 Der Behindertenbegleithund wird in Deutschland im Gegensatz zum Blindenführhund von keinem öffentlichen Kostenträger finanziert...............................................................................................34 6.6 Reduzierung der Pflege- bzw. Assistenzkosten und die Kosten psychologischer Behandlung durch die Dienstleistungen und die Existenz eines Behindertenbegleithundes............................................35 6.7 Der geschichtliche Verlauf des Behindertenbegleithundes und Ausbildungszentren in Deutschland und Österreich .............................36 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund .........................................38 7.1 Beginn der Ausbildung zum Behindertenbegleithund............................39 7.2 In der Patenfamilie ................................................................................40 7.3 Das Intensiv- bzw. Spezialtraining.........................................................40 7.4 Zusammenführung von Mensch und Behindertenbegleithund zum sog. Team ............................................................................................41 7.5 Übergabefeier des Vereins Partner-Hunde Österreich..........................42 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts .............................43 8.1 Forschungsfrage ...................................................................................43 8.2 Überlegungen zum methodischen Vorgehen ........................................43 8.2.1 Zum Forschungsinstrument.......................................................43 8.2.2 Auswahl der Interviewpartnerin und Setting ..............................44 8.3 Das Lebenslagekonzept........................................................................45 8.3.1 Dimensionen .............................................................................46 8.3.2 Strukturen..................................................................................48 8.3.3 Zusammenfassung ....................................................................49 8.4 Auswertung des Interviews ...................................................................50 8.4.1 Zur Dimension der Umwelt ........................................................51 8.4.2 Zur Dimension der Lebensgeschichte .......................................53 8.4.3 Zur Dimension der Innenwelt.....................................................55 8.4.4 Zur Dimension der Perspektiven ...............................................59 8.4.5 Zur Superstruktur.......................................................................62 8.4.6 Zu den Routinen ........................................................................63 8.4.7 Zur Infrastruktur .........................................................................65 Inhaltsverzeichnis 8.4.8 Zu den Chancen ........................................................................66 9 Fazit..............................................................................................................67 Literaturverzeichnis ............................................................................................70 Anhang I. II. III. IV. Interviewleitfaden .....................................................................................I Telefoninterview .................................................................................... IV Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde .. XVIII Bildergalerie ........................................................................................ XIX Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abb. 1: WHO-Definition von Behinderung .............................................................. 3 Abb. 2: BBH bringt Telefon................................................................................... 29 Abb. 3: BBH hilft im Haushalt ............................................................................... 29 Abb. 4: BBH öffnet Türen ..................................................................................... 29 Abb. 5: BBH öffnet Schubladen............................................................................ 29 Abb. 6: Dimensionen der Lebenslage nach WENDT.............................................. 45 Abb. 7: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT ..................... 48 Abb. 8: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT ..................... 50 Abb. 9: Teilnahmebescheinigung Praxisseminar BBH ......................................XVIII Abb. 10: BBH entsorgt Abfall...............................................................................XIX Abb. 11: BBH betätigt Ampel...............................................................................XIX Abb. 12: BBH betätigt Schalter............................................................................XIX Abb. 13: BBH zieht Wäschekorb .........................................................................XIX Abb. 14: BBH schließt Geschirrspüler .................................................................XIX Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 1: Pflegesachleistungen ............................................................................... 13 Tab. 2: Pflegegeld ................................................................................................ 14 Tab. 3: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 1......................... 15 Tab. 4: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 2......................... 16 Tab. 5: Kontaktadressen Ausbildungszentren ...................................................... 37 Tab. 6: Zur Dimension der Umwelt....................................................................... 51 Tab. 7: Zur Dimension der Lebensgeschichte ...................................................... 53 Tab. 8: Zur Dimension der Innenwelt ................................................................... 55 Tab. 9: Zur Dimension der Perspektiven .............................................................. 59 Tab. 10: Zur Superstruktur ................................................................................... 62 Tab. 11: Zu den Routinen..................................................................................... 63 Tab. 12: Zur Infrastruktur...................................................................................... 65 Tab. 13: Zu den Chancen..................................................................................... 66 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a. a. O. AWO BBH bzw. d.h. ebd. et al. EUR e.V. FSJ GmbH Hrsg. i. d. R. mbH u. a. vgl. SGB sog. WHO z.B. Zivi am angegebenen Ort Arbeiterwohlfahrt Behindertenbegleithund beziehungsweise das heißt Ebenda et alii Euro eingetragener Verein freiwilliges Soziales Jahr Gesellschaft mit beschränkter Haftung Herausgeber in der Regel mit beschränkter Haftung unter anderem vergleiche Sozialgesetzbuch sogenannte World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation) zum Beispiel Zivildienstleistender Einleitung Einleitung Das Leben von Menschen mit körperlicher Behinderung in ihrer eigenen Wohnung aber auch in der Familie soll näher beleuchtet werden, um aufzuzeigen, in welchen Alltagssituationen Menschen mit Behinderung von anderen abhängig sind. Durch die Abhängigkeit sind Menschen mit Behinderung häufig in ihrer Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit stark eingeschränkt. Auch sehen sich Menschen mit Behinderung in vielen Situationen innerhalb der Gesellschaft mit Benachteiligung konfrontiert. Ziel der Diplomarbeit ist es zu überprüfen, ob Menschen mit körperlicher Behinderung durch einen Behindertenbegleithund nicht oder nicht ausschließlich auf menschliche Hilfe angewiesen sind. Deshalb setze ich mich im ersten Teil meiner Arbeit mit Begrifflichkeiten von Behinderung und mit der Situation von Menschen mit Behinderung im Alltag auseinander. In diesem Zusammenhang gehe ich auf das Leben mit Behinderung innerhalb der Familie und in Institutionen ein und setze mich dann mit der eigenständigen Lebensführung im Rahmen Persönlicher Assistenz auseinander, um dann herauszufinden, wie eine Person, die seit einem Jahr einen Behindertenbegleithund besitzt, ihren Alltag mit diesem Hund erlebt und mit welchen Vor- und Nachteilen sie konfrontiert wird. Anhand des Lebenslagekonzepts soll dann überprüft werden, welche Bedeutung der Behindertenbegleithund für Menschen mit körperlicher Behinderung im Alltag hat. In dieser Arbeit werden ausschließlich Menschen mit körperlicher Behinderung fokussiert. Ich wünsche mir, dass die Diplomarbeit von vielen Menschen gelesen wird und dass sie in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung insbesondere im Bereich der Sozialen Arbeit Impulse gibt. Ich möchte an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich selbst eine körperliche Behinderung habe und Rollstuhlfahrerin bin. In der Diplomarbeit wird in Bezug auf Personen nicht zwischen weiblichen und männlichen Formulierungen unterschieden, da es sich sowohl um weibliche als auch um männliche Personen handelt. 1 1 Klärung von Begriffen 1 Klärung von Begriffen Da der Schwerpunkt der Diplomarbeit das Leben von Menschen mit körperlicher Behinderung beinhaltet, empfiehlt es sich zu Beginn der Arbeit Begrifflichkeiten, die im Verlauf von Bedeutung sein werden, zu definieren. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, werden in der Diplomarbeit Menschen mit Körperbehinderung fokussiert und folglich wird sich ausschließlich mit der Thematik der körperlichen Behinderung auseinander gesetzt. 1.1 Behinderung „Ganz allgemein werden mit ‘Behinderung’ Einschränkungen des Wahrnehmungs-, Denk-, Sprach-, Lern-, und Verhaltenvermögens bezeichnet (…) (SCHWARZER 2004: 27).“ Behinderung Der Begriff Behinderung wird im SGB IX in Paragraph 2 Satz 1 folgendermaßen definiert: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (BECK-TEXTE, dtv 2007: 1145).“ Behinderung „Eine Person gilt als behindert, wenn sie aufgrund einer Schädigung ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen schwer, umfänglich und langfristig in ihrem unmittelbaren Lebensvollzug und in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt ist (HOBMAIER 2004: 291).“ 1.2 Körperbehinderung „Als körperbehindert wird eine Person bezeichnet, die infolge einer Schädigung des Stütz- und Bewegungssystems, einer anderen organischen Schädigung oder einer chronischen Krankheit so in ihren Verhaltensmöglichkeiten beeinträchtigt ist, dass die Selbstverwirklichung in sozialer Interaktion erschwert ist.“ So lautet die Definition von Körperbehinderung nach (LEYENDECKER 2005b: 21) zit. n. Ortland (2006: 14). Die soeben genannte Definition entspricht der ‘International Classification of Functioning, Disability and health’ (WHO 2001). 2 1 Klärung von Begriffen Abb. 1: WHO-Definition von Behinderung (Disablement) (aus RAUSCHELBACH 1984) Die WHO betrachtet Behinderung aus drei grundlegenden Blickwinkeln: Ein Gesichtspunkt beinhaltet die Körperfunktionen sowie die Strukturen und deren Schädigung (Ortland 2006: 14). Des Weiteren werden die Aktivitäten bzw. Beeinträchtigungen der Aktivitäten fokussiert. Ein dritter und sehr wichtiger Aspekt stellt die Partizipation bzw. die Beeinträchtigung der Partizipation aufgrund der Behinderung dar (ebd.).1 Vergleicht man die Begrifflichkeiten miteinander, wird deutlich, dass die Hauptproblematik, mit der Menschen mit Behinderung konfrontiert sind, in der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft liegt. 1 Dieser Aspekt ist in der Diplomarbeit von großer Bedeutung und wird an verschiedenen Stellen thematisiert werden. 3 2 Leben mit Behinderung 2 Leben mit Behinderung 2.1 Zahlen und Fakten „In Deutschland leben rund 8,6 Mio. Menschen, die eine Behinderung haben. Von diesem haben 6,765 Mio. Menschen eine Behinderung von mindestens 50% und gelten damit als schwerbehindert (3,237 Mio. Frauen und 3,528 Mio. Männer). Das sind etwas über 8% der Wohnbevölkerung (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 2008: 148).“ In den meisten Fällen wurde die Behinderung im Laufe des Lebens durch Krankheit oder Unfälle erworben. Eine weitere Ursache eine Behinderung zu erleiden, ist durch das Altern der Bevölkerung bedingt (ebd.). „Lediglich 5% der schwerbehinderten Menschen sind dies von Geburt an (ebd.).“ 2.2 Integration, Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Von Jahr zu Jahr wächst das Engagement von Städten, Gemeinden und freien Trägern, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu erziehen (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 15/5015. 2005: 120). Es herrscht die Überzeugung, dass Kinder in diesem Alter unbefangener aufeinander zugehen und somit Kinder mit Behinderung von Anfang an gut integriert werden können. Nicht behinderte Kinder lernen ebenfalls von klein auf mit behinderten Kindern umzugehen und können so bezüglich ihres Sozialverhaltens profitieren (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 14/5990. 2001:130). Mindestens genauso wichtig wie eine gelungene Integration ist eine angemessene und individuelle Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Nach dem Schulgesetz der Länder ist eine Förderung wünschenswert, die es ermöglicht, die Bildungsziele der allgemeinen Schulen zu erreichen (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 15/5015. 2005: 120). Ziel dabei ist es, möglichst viele Kinder und Jugendliche integrativ, also in Regelschulen zu fördern (ebd.). Kann diese Förderung aufgrund der Art oder Schwere der Behinderung auch mit zusätzlicher Unterstützung nicht gewährleistet werden, werden behinderte Kinder und Jugendliche in Sonderschulen explizit und individuell gefördert, um zu den Zielen zu gelangen, die für sie erreichbar sind (ebd.). 4 2 Leben mit Behinderung Fazit Die Frage, ob eine individuelle Förderung in Sondereinrichtungen oder eine integrative Förderung für einen Menschen mit Behinderung infrage kommt, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern sollte immer individuell betrachtet werden. 2.3 Zwischen Autonomie und Bevormundung - Leben in Einrichtungen und in einer Familie 2.3.1 Leben in Einrichtungen In Institutionen sehen sich Menschen mit Behinderung oft mit fest vorgegebenen Strukturen konfrontiert (GOFFMAN 1973, zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 38). Durch Gesetze und fest vereinbarte Regelungen, die den Tagesablauf betreffen, werden Heimbewohner sehr häufig fremdbestimmt. Solche Strukturen sind aus organisatorischen Gründen oftmals unumgänglich. Sie ermöglichen den Menschen nur sehr bedingt eine individuelle Gestaltung des Alltags. Zur Veranschaulichung der fest vorgegebenen Strukturen und Regelungen, die Fremdbestimmung garantieren, folgt ein Tagesablauf einer Institution (ebd.). Tagesablauf „Am Tage mit Werkstatteinsatz wird um 6:00 Uhr geweckt, danach ankleiden und Zimmer richten Gemeinsames Frühstück 6:45 Uhr Abfahrt zu den Werkstätten 7:00 Uhr und 7:40 Uhr Rückkehr gegen 15:40 Uhr – Kaffeetrinken Freizeitangebote bis zum Abendessen Nach dem Abendessen Freizeit zur eigenen Verfügung oder gemeinsame Aktivitäten 22:00 Uhr Nachtruhe, die für alle Bewohner verbindlich ist (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 40).“ Telefonate Private Anrufe sind am Telefon der Wohngruppe zu führen. Während der Essenszeiten ist das Telefonieren nicht gestattet. Das Telefon kann nicht auf das Zimmer mitgenommen werden (ebd.). So ist es nicht möglich, in Ruhe zu telefonieren. 5 2 Leben mit Behinderung Besuche Besuche können stattfinden, müssen aber grundsätzlich angemeldet werden. Übernachtungen der Besucher sind drei Tage zuvor bei der Gruppenleitung anzumelden.2 Freizeitaktivitäten „Bei Freizeitaktivitäten und besonderen Anlässen kann der Tagesablauf entsprechend angepasst werden. Dies soll mit den Hausbewohnern, den Mitarbeitern und der Hausleitung abgesprochen werden. Regelungen an den arbeitsfreien Tagen, sowie an den Wochenenden werden zwischen Hausbewohnern, Mitarbeitern und der Hausleitung einvernehmlich getroffen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 40).“ Dabei wird auch die abendliche Rückkehr in die Institution genau festgelegt und in vielen Fällen sehr eingeschränkt (ebd.). Hinzu kommt, dass es sich bei Internaten in vielen Fällen um isolierte Standorte handelt, die den Kontakt zur Außenwelt nur bedingt ermöglichen (ebd.). Nicht nur, wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird die individuelle Gestaltung des Alltags nur sehr bedingt ermöglicht, auch kommt die Entfaltung der Individualität viel zu kurz. Da in vielen Internaten keine Einzel-, sondern ausschließlich Zweierund Dreierzimmer vorgesehen sind, verfügen Heimbewohner über keine Privatsphäre. Ebenso sind auf diese Weise elementare Bereiche der Intimsphäre ungeschützt (ebd.). Aufgrund der oben genannten Gegebenheiten entspricht der Lebens-, Erfahrungsund Aneignungsraum der Menschen mit Behinderung in vielen Bereichen nicht mehr der Realität (ebd.). Das ist vor allem dann gegeben, wenn die Kleidung der Bewohner in der zentralen Wäschereinigung gewaschen oder das tägliche Essen aus einer Großraumküche geliefert wird (a. a. O.: 38). Menschen mit Behinderung haben so nicht die Möglichkeit, das Kochen zu erlernen. Auch wenn sie aufgrund der Behinderung niemals in der Lage sein werden, eine Mahlzeit zuzubereiten, ist es wichtig, dass Menschen mit Behinderung darin befähigt werden, einer anderen Person sehr genau sagen zu können, wie sie das Essen zubereiten soll und worauf geachtet werden muss. Das stärkt die Autonomie und das Selbstvertrauen. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn eine Internatszeit nur vorübergehend vorgesehen ist. Es gibt Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Entwicklung und der Art oder Schwere der Behinderung im Laufe der Zeit die Möglichkeit haben, eigenständig in einer Wohnung zu leben. Dann ist es nicht auszuschließen, dass Menschen mit Behinderung mit einer Assistenzperson konfrontiert werden, die 2 Eigene Erfahrungen 6 2 Leben mit Behinderung nicht kochen kann. Das kann auch dann der Fall sein, wenn es darum geht, Wäsche zu waschen (ebd., vgl. Kapitel 3). 2.3.2 Leben in der Familie Auch sehen sich Menschen mit Behinderung, die in der Familie leben, fremdbestimmten Faktoren ausgesetzt (GOFFMAN 1973, zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 41). „Betroffene, die unter solchen Umständen leben, werden häufig den Sachzwängen der Familienabläufe bzw. den dort vorherrschenden Problemlösungsstrategien unterworfen (ebd.).“ Im Rahmen der Studie „Leben mit Assistenz“ wird deutlich, dass, wenn Menschen mit Behinderung auf die Familie angewiesen sind, Verrichtungen in vielen Fällen ausschließlich im gegenseitigen Einvernehmen erledigt werden (Studie: Leben mit Persönlicher Assistenz, DROLSHAGEN / ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 41). Das bedeutet, dass die Betroffenen sich stark nach deren Helfern richten müssen und ihnen somit kaum Entscheidungsfreiheit bleibt. Auch wenn das helfende Familienmitglied durch die Ausübung der Tätigkeit das Pflegegeld erhält, ist es kein Arbeitsverhältnis, in denen der Mensch mit Behinderung die Entscheidungen trifft, da die Familie meist rund um die Uhr, ohne dass es einen Personalwechsel gibt, zur Verfügung steht. Auch wenn sich Menschen mit Behinderung von ihren Freunden helfen lassen, fällt es schwer, eigene Entscheidungen und Beschlüsse selbstbestimmt zu äußern. Die Betroffenen sind froh, dass ihnen überhaupt geholfen wird und nehmen es in Kauf, sich nach den Freunden zu richten (ebd.). 2.3.3 Eigene Erfahrungen „An dieser Stelle ist es mir wichtig, persönliche Erfahrungen meiner eigenen Kindergarten- und Schullaufbahn einzubringen.“3 „Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie positiv es für mich war, einen Kindergarten für nicht behinderte Menschen zu besuchen, denn dort war ich in die Gemeinschaft der Kinder unseres Dorfes integriert. Das war für mein Selbstvertrauen und meine Persönlichkeitsentwicklung als kleines Mädchen sehr wichtig. In der ersten und zweiten Klasse war ich ebenfalls noch in der Dorfschule integriert. Doch als dann die Leistungsanforderungen stiegen, war es im Alter von 11 Jahren förderlicher, den Lernstoff in einer Einrichtung für Menschen mit körperlichen Behinderungen in Kleingruppen langsamer vermittelt zu bekommen. Ausschließlich auf diese Weise war es mir möglich, den Realschulabschluss zu erlangen. So hatte 3 Eigene Erfahrungen 7 2 Leben mit Behinderung ich nie das Gefühl, langsamer bzw. schlechter als die anderen zu sein, und so war ich in der Lage, angstfrei und ohne Druck zu lernen. Als behinderter Mensch kann man dieselben Ziele wie ein Nichtbehinderter erreichen. Man benötigt allerdings in gewissen Phasen der Entwicklung mehr Zeit und die o. g. förderlichen Rahmenbedingungen. Da diese Einrichtung an ein Internat angeschlossen war, war auch eine explizite Förderung, um körperlich mobiler und somit selbstständiger zu werden, gewährleistet. Nachdem ich meinen Realschulabschluss absolviert habe, lebte ich drei Jahre in einer so genannten Außenwohngruppe der Stiftung Pfennigparade München und absolvierte an der integrativen Schule dieser Stiftung die Fachhochschulreife. In dieser Zeit wurden mir vor allem Kompetenzen vermittelt, die man als Mensch mit Behinderung benötigt, um seinen Alltag mit Helfern an der Seite organisieren zu können. Aufgrund der expliziten Förderung während meiner Schulzeit, aber auch durch die Studienbegleitung, die mir nach dem SGB IX während meines Studiums zur Verfügung stand, war es mir möglich, mein Studium zusammen mit nicht behinderten Menschen zu absolvieren und eigenständig zu leben. Aufgrund meiner eingeschränkten Feinmotorik war es mir nicht möglich, in den Vorlesungen zügig mitzuschreiben. Dafür stand mir eine Assistenzperson als Schreibhilfe zur Verfügung (ebd.). Neben den soeben genannten positiven Aspekten bezüglich Sondereinrichtungen gibt es auch negative Aspekte, die im folgenden Unterkapitel erläutert werden. 8 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung Die zentrale Voraussetzung für Selbstbestimmung im Leben von Menschen mit Behinderung setzt laut (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 31) voraus, die notwendigen Hilfen weitgehend unabhängig von Institutionen zu organisieren. Dabei spielt die eigene Entscheidungskraft der betreffenden hilfebedürftigen Person die zentrale Rolle. So haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, fremd bestimmter Hilfe, die sie entmündigt, zu entkommen (ebd.). Schwere der Behinderung - Heimunterbringung Laut (ARMBRUSTER, WALTER 2005, zit. n. REICHLE: 124) ist es jedoch unbedingt notwendig, die Auseinandersetzung um Selbstbestimmung, Recht und Teilhabe, Persönliches Budget und Independent Living differenziert und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Dabei ist es von Bedeutung, beispielsweise den Blickwinkel von Menschen mit Behinderung, den Blickwinkel des Fachpersonals, sowie den Blickwinkel der einzelnen Kostenträger zu berücksichtigen. Es gibt Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht die Möglichkeit haben, außerhalb einer Institution eigenständig leben zu können. Des Weiteren ist von großer Bedeutung zu unterscheiden, ob ein Mensch körperbehindert, seelisch behindert, geistig behindert oder schwer mehrfach behindert ist. Dabei geht es Reichle nicht um ein Mehr oder Weniger an Selbstbestimmung in Abhängigkeit von der Behinderung, sondern es geht ihm vielmehr um die Art und Weise der Selbstbestimmung. Für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung ihre Interessen nur eingeschränkt und mit fremder Hilfe äußern können, bedeuten Selbstbestimmung und Teilhabe eine große Herausforderung aller Beteiligten (ebd.). Grundlegende Voraussetzung dabei ist, dass Heimbewohner nicht behandelt werden, sondern mit ihnen verhandelt wird (ARMBRUSTER, W ALTER 2005, zit. n. NIEHOFF: 138). Verhandeln bedeutet im Alltag nach Reichle nicht, dass sich die Betreuer/Begleiter jeglicher Einflussnahme enthalten müssen. Sehr wohl haben sie die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit in die Beziehung einzubringen, sowie Initiativen, Ideen und Vorschläge zu äußern. Die zentrale Bedeutung dabei ist, dass diese Impulse, die von Betreuern bzw. Begleitern gesetzt werden, nicht als unveränderbare, einzige Möglichkeit und beste Weisheit verordnet werden dürfen. Hier muss es sich um Angebote handeln, die auch Alternativen bieten (ebd.). „Diese Art der Begleitung“, so definiert Niehoff, „ist eine ständige, von Empathie getragene Herausforderung der Fachkräfte (…).“ Dabei ist ihre ganze pädagogische Phantasie und Improvisa- 9 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung tion gefordert, immer wieder ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz herzustellen (ebd.). Im weiteren Verlauf erläutert Niehoff nochmals, wie wichtig es ist, dass sich der Mensch mit Behinderung und der Betreuer bzw. Begleiter in ihrer Beziehung zueinander als Verhandlungspartner gegenüberstehen. Der Begriff Verhandlungspartner verdeutlicht, dass ein Mensch sein Gegenüber ernst nimmt. Auf diese Weise begegnen sich also nicht ein behandelndes Subjekt und ein handelndes Objekt, sondern zwei Subjekte - ich und du (a. a. O.: 139). „Durch diese ernst gemeinte Ich-Du Beziehung ist die Position behinderter Menschen im Leitbild der Selbstbestimmung eine fundamental andere als im Leitbild der Förderung (ebd.).“ Die Idee des Arbeitgebermodells und der Persönlichen Assistenz ist Teil der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, die in den Siebziger Jahren stattgefunden hat (ARMBRUSTER, W ALTER 2005, zit. n. FLORIO: 145). 3.1 Das Arbeitgebermodell In Deutschland leben ca. 1500 Menschen mit körperlicher Behinderung, die das sog. Arbeitgebermodell praktizieren (a. a. O.: 144). Entscheiden sich Menschen mit Behinderung für ein Leben mit dem Arbeitgebermodell, leben sie in den meisten Fällen eigenständig in einer Wohnung, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Kennzeichnend für das Arbeitgebermodell ist, dass die betreffenden hilfebedürftigen Personen sich ihre Assistenten selbst aussuchen, sie anleiten und nach ihren individuellen Bedürfnissen einsetzen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 32). Menschen, die einen Hilfe- und Pflegebedarf in dieser Form benötigen, werden zur Erfüllung ihres individuellen Bedarfs zu Miniarbeitgebern. Sie melden einen eigenen Betrieb an und erledigen alle Aufgaben eines Arbeitgebers (ebd.). Zu den Aufgaben gehört u. a. die Beantragung einer Arbeitgebernummer, die Abführung möglicher Sozialversicherungsbeiträge bis hin zur Lohnauszahlung (ebd.). Um diese effektivste Art der Selbstbestimmung leben zu können, sind Kompetenzen, die in den folgenden Unterkapiteln näher beschrieben werden, unbedingt notwendig (a. a. O.: 144). 10 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung 3.1.1 Kompetenzen Personalkompetenz Der behinderte Arbeitgeber sucht seine Persönlichen Assistenten selbst aus (ebd.). Legt der Betreffende zum Beispiel Wert darauf, dass Pflegeleistungen ausschließlich geschlechtsspezifisch verrichtet werden, hat er so die Möglichkeit, diesem Bedürfnis gerecht zu werden (ebd.). Anleitungskompetenz Auf seine individuellen Bedürfnisse ausgerichtet, weist der Arbeitgeber mit Behinderung seine Assistenzpersonen selbst ein (ebd.). Organisationskompetenz Die individuelle Alltagsgestaltung den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend, ist durch diese Form der Hilfestellung gewährleistet. Der wesentliche Teil der Selbstbestimmung liegt darin, dass der Mensch mit Behinderung seinen Dienstplan selbst schreibt und somit die Entscheidung bei ihm liegt, zu welchen Tageszeiten und in welchem Umfang er Hilfestellung in Anspruch nimmt (ebd.). Sowohl die Organisationskompetenz als auch die Raumkompetenz gewährleisten enorme Flexibilität und somit auch eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität (ebd.). Auf diese Weise ist es dem Menschen mit Behinderung möglich, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Vor allem bekommt er dadurch die Möglichkeit, Verwirklichungschancen wahrnehmen zu können (a. a. O.: 155). Raumkompetenz Eine selbstbestimmte Lebensführung beinhaltet natürlich auch die Entscheidungsfreiheit der Menschen mit Behinderung über den Ort, an dem die Leistungen der Assistenzperson ausgeführt werden sollen (a. a. O.: 145). Folglich ergibt sich, dass der Arbeitgeber, der die Leistungen in Anspruch nimmt, über die Wahl seines Wohnortes selbst entscheidet und seine Assistenzperson ihn auch bei Urlaubs- oder Dienstreisen zur Verfügung steht (ebd.). Finanzkompetenz Der Hilfebedürftige nimmt, wie bereits mehrfach erwähnt, die Funktion des Arbeitgebers ein und hat so die Kontrolle über die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. In den meisten Fällen wird die Finanzierung der Arbeitsstellen durch Unfallversicherungen, Kranken- und Pflegekassen, sowie von Sozialämtern und 11 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX (u. a. Persönliches Budget) sichergestellt (ebd.). Außerdem werden seine persönlichen und sozialrechtlichen Ansprüche von ihm eigenständig durchgesetzt (ebd.). 3.1.2 Risiken das Arbeitgebermodells Nicht jeder Mensch mit Behinderung verfügt über die kognitiven Kompetenzen, um sein Leben nach dem Arbeitgebermodell gestalten zu können (ebd.). Aufgrund der immensen Verantwortung und der Risiken, die mit dem Arbeitgebermodell verbunden sind, fühlen sich auch einige Menschen nicht dazu in der Lage, eigenständig diese Verantwortung zu tragen. Die Risiken liegen vor allem in der Personal-, sowie in der Finanzkompetenz (a. a. O.: 146). Damit die Hilfestellungen regelmäßig und zuverlässig verrichtet werden können, ist ein großes Team an Assistenten von Vorteil. Auf diese Weise ist es einfacher, im Krankheitsfall eines Assistenten seine Vertretung organisieren zu können. Außerdem ist es gesetzlich vorgegeben, dem Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl an freien Tagen und Urlaubstagen zu gewährleisten. In vielen Fällen werden Assistenzjobs von Zivildienstleistenden und Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, auch von Auszubildenden, Studenten oder Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, nebenher ausgeführt, so dass es unabdingbar ist, die Dienste auf mehrere Personen zu verteilen. Zuverlässige Arbeitnehmer für sich zu gewinnen ist mit viel Arbeit verbunden und braucht seine Zeit (ebd.). Der Arbeitgeber setzt seine Ansprüche, damit er die Gelder bekommt, mit denen er seine Assistenten bezahlt, selbst durch (vgl. Kapitel 3.1.1). Bis und ob die entsprechenden Gelder bewilligt werden, ist zu Beginn oft ungewiss und dauert ebenfalls zu lange. So kann es durchaus vorkommen, dass die Arbeitnehmer in dieser Zeit unentgeltlich arbeiten. Diese ungewisse Situation bringt vor allem für den Arbeitgeber eine enorme Belastung mit sich, denn es ist unklar, ob er den finanziellen und auch personellen Hilfebedarf abgedeckt bekommt, den er für eine qualitative eigenständige Lebensführung benötigt (a. a. O.: 147). Einige Rechtsgrundlagen worauf sich Finanzierungsmöglichkeiten von Assistenz stützen Wie wird Pflegebedürftigkeit definiert? "Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist im Pflegeversicherungsgesetz SGB XI in §14 geregelt. Pflegebedürftig sind Menschen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe 12 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung bedürfen. Dieser Hilfebedarf muss auf Dauer bestehen. Bei der Einstufung der Pflegebedürftigkeit ist die Art der Erkrankung nicht von Bedeutung. Vielmehr geht es darum, festzustellen, wie stark der Pflegebedürftige in seiner Fähigkeit, sich selbst zu pflegen, eingeschränkt ist. Der Hilfebedarf bezieht sich auf alle im Gesetz definierten Pflegeverrichtungen (ZULAUF 2005: 4).“ §15 SGB XI - Stufen der Pflegebedürftigkeit (1) Für die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz sind pflegebedürftige Personen (§14) einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen (BeckTexte, dtv 2007: 1305). 1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. 2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. 3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (…) (ebd.). SGB XI §36 Pflegesachleistungen Pflegesachleistungen erhalten alle Pflegebedürftigen, die in häuslicher Umgebung von einem Pflegedienst gepflegt werden. Pflegestufe bisheriger Betrag Betrag ab Juli 2008 Betrag ab 2010 Betrag ab 2012 Stufe 1 384 EUR 420 EUR 440 EUR 450 EUR Stufe 2 921 EUR 980 EUR 1.040 EUR 1.100 EUR Stufe 3* 1.432 EUR 1.470 EUR 1.510 EUR 1.550 EUR Tab. 1: Pflegesachleistungen *Die Stufe 3 bei außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand in Höhe von monatlich 1.918 Euro bleibt unverändert. 13 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung SGB XI §36 Pflegegeld Pflegegeld erhalten alle Pflegebedürftigen, die in häuslicher Umgebung zum Beispiel von einem Angehörigen oder Bekannten gepflegt werden. Pflegestufe bisheriger Betrag Betrag ab Juli 2008 Betrag ab 2010 Betrag ab 2012 Stufe 1 205 EUR 215 EUR 225 EUR 235 EUR Stufe 2 410 EUR 420 EUR 430 EUR 440 EUR Stufe 3 665 EUR 675 EUR 685 EUR 700 EUR Tab. 2: Pflegegeld (http://www.tk-online.de/centaurus/generator/tk-online.de/dossiers/ pflegeversicherung/00-pflegereform/pflegereform__seq,templateId= renderPrintPage.html 27.01.2009) SGB XI § 38 Kombination von Geld- und Sachleistung (Kombinationsleistung) Des Weiteren existiert in der Pflegeversicherung die sog. Kombinationsleistung (Beck-Texte, dtv 2007: 1320). Diese trifft dann zu, wenn der Pflegebedürftige sowohl von einem Pflegedienst, als auch von einem Angehörigen gepflegt wird. Die pflegebedürftige Person nimmt in diesem Fall die Sachleistung nur teilweise in Anspruch. Für die Zeit, in welcher der Mensch mit Pflegebedürftigkeit von Angehörigen gepflegt wird, wird ein anteiliges Pflegegeld ausbezahlt (ebd.). 14 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung Gebührenordnung für pflegerische Leistungen des AWO Kreisverbands Esslingen e.V. Stand 12.12.2005 Gebühren für Pflegesachleistungen aufgrund der Anlage 1 zum Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI (in Baden-Württemberg gültig seit dem 01.06.2001) Leistungsbezeichnung Pflegekraft Hauswirt. Fachkraft Große Toilette 21,33 EUR 18,29 EUR Kleine Toilette 14,23 EUR 12,23 EUR Transfer/An-/Auskleiden 7,70 EUR 6,59 EUR Hilfe bei der Ausscheidung 9,46 EUR Einfache Hilfe b. Ausscheidung 8,11 EUR Spezielles Lagern 4,73 EUR 4,06 EUR Mobilisation 4,73 EUR 4,06 EUR Einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme 4,73 EUR 4,06 EUR Umfangreiche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme 16,60 EUR 14,22 EUR Verabreichung von Sondennahrung mittels Spritze, Schwerkraft oder Pumpe 14,57 EUR Hilfestellung bei Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung* *7,10 EUR *6,11 EUR Zubereitung einer einfachen Mahlzeit 10,45 EUR 10,19 EUR 2,26 EUR 2,26 EUR Zubereitung einer (i. d. R. warmen) Mahlzeit in der Häuslichkeit des Pflegebedürftigen 20,90 EUR 20,38 EUR Einkauf/Besorgungen* *6,27 EUR *6,11 EUR Waschen, Bügeln, Putzen* *6,27 EUR *6,11 EUR Vollständiges Ab- und Beziehen des Bettes 4,17 EUR 4,07 EUR Beheizen 6,27 EUR 4,07 EUR Fahrtkosten pro Hausbesuch bei Pflegeleistungen nach SGB XI 3,17 EUR 3,17 EUR Fahrtkosten pro kombinierter Hausbesuch mit Behandlungspflege nach SGB V und Pflege 1,73 EUR 1,73 EUR Essen auf Rädern / stationärer Mittagstisch Tab. 3: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 1 15 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung Leistungsbezeichnung Ergänzende Hilfe Helfer ohne qualifizierte Pflegeausbildung ZIVI / FSJ Große Toilette 14,62 EUR 7,54 EUR Kleine Toilette 9,78 EUR 5,00 EUR Transfer/An-/Auskleiden 5,28 EUR 2,70 EUR Einfache Hilfe b. Ausscheidung 6,49 EUR 3,35 EUR Spezielles Lagern 3,24 EUR Hilfe bei der Ausscheidung Mobilisation Einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme 3,24 EUR 1,64 EUR 11,38 EUR 5,89 EUR *4,89 EUR *2,52 EUR Zubereitung einer einfachen Mahlzeit 8,14 EUR 4,17 EUR Essen auf Rädern / stationärer Mittagstisch 2,26 EUR 2,26 EUR 16,28 EUR 8,36 EUR Einkauf/Besorgungen* 4,89 EUR 2,52 EUR Waschen, Bügeln, Putzen* 4,89 EUR 2,52 EUR Vollständiges Ab- und Beziehen des Bettes 3,24 EUR 1,65 EUR Beheizen 4,89 EUR 2,52 EUR Fahrtkosten pro Hausbesuch bei Pflegeleistungen nach SGB XI 3,17 EUR 3,17 EUR Fahrtkosten pro kombinierter Hausbesuch mit Behandlungspflege nach SGB V und Pflege 1,73 EUR 1,73 EUR Umfangreiche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme Verabreichung von Sondennahrung mittels Spritze, Schwerkraft oder Pumpe Hilfestellung bei Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung* Zubereitung einer (i. d. R. warmen) Mahlzeit in der Häuslichkeit des Pflegebedürftigen Tab. 4: Gebührenordnung für pflegerische Leistungen Tabelle 2 Anmerkung: * pro angefangener 1/4 Stunde Zuschläge für Einsätze in der Nacht von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr: 1,93 € pro Hausbesuch. Zuschläge für Einsätze an Sonn- und Feiertagen: 2,00 € pro Hausbesuch. http://www.awo-kv-esslingen.de/angebote/gebuehrenordnung.htm 23.01.2009 16 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung Das Persönliche Budget für pflegebedürftige Menschen nach dem SGB XI Ein weiteres regional bezogenes Angebot zur Sach- und Geldleistung ist das Persönliche Pflegebudget nach dem SGB XI (DT. BUNDESTAG: DRUCKSACHE 15/5015. 2005: 129). Dies wird aus den Sachleistungsbeträgen der jeweiligen Pflegestufe (§ 36 Abs. 3 SGB XI) und der Sozialhilfe gebildet. Das Geld wird von den Krankenkassen direkt an den Pflegebedürftigen überwiesen (ebd.). Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung nach dem SGB IX Das persönliche Budget für Menschen mit Behinderung §17 wird in Form eines Geldbetrages von dem beteiligten Sozialleistungsträger beispielsweise im Rahmen der Eingliederungshilfe (SGB XII Absatz 3) anstelle von Sachleistungen zur Verfügung gestellt. Die Höhe des Geldbetrages hängt von dem Umfang des Hilfebedarfs ab. Mit diesem Geld können Menschen mit Behinderung individuell notwendige Hilfen bzw. Dienstleistungen einkaufen. So wird ihnen ermöglicht, sich zusätzlich zur Pflegestufe Dienstleistungen einzukaufen, beispielsweise eine Begleitung für die Freizeitgestaltung. So haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, ihr Leben individueller zu gestalten (ebd.). Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung nach dem SGB XII § 54 Leistungen der Eingliederungshilfe (1) Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere: (BECK-TEXTE, dtv 2007: 1320) 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit. 17 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung (2) Erhalten behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen in einer stationären Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe, können ihnen oder ihren Angehörigen zum gegenseitigen Besuch Beihilfen geleistet werden, soweit es im Einzelfall erforderlich ist (ebd.). Fazit Besteht ein im Sinne des Gesetzes erforderlicher Hilfebedarf, der über den pflegerischen und hauswirtschaftlichen Bedarf hinausgeht, besteht die Möglichkeit, Bedarfe in anderen Bereichen zu decken, beispielsweise bezüglich der Alltagsbewältigung oder der Alltagsgestaltung. Das kann auf Grund verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten gewährleistet werden. 3.2 Indirekte Assistenz Trauen sich Menschen mit Behinderung nicht zu, die Personal- und Finanzkompetenz wahrzunehmen und somit nach dem Arbeitgebermodell zu leben, gibt es die Möglichkeit, diese Aufgabe vertraglich an eine Assistenzorganisation abzugeben (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 24). Das schließt aber in keinem Fall eine selbstbestimmte Lebensführung aus, denn die Anleitungs- und Organisationskompetenz wird dennoch von den Menschen mit Behinderung eigenständig wahrgenommen. Konkret bedeutet dies, dass die Assistenzorganisation dem, der Hilfe benötigt, Personal zur Verfügung stellt und die Abrechnung mit der Krankenkasse übernimmt. Doch der Mensch mit Behinderung entscheidet eigenständig, wann er jemand benötigt, dadurch dass er seinen Dienstplan selbst gestaltet und diesem dann z. B. wöchentlich der Assistenzorganisation zukommen lässt. Die Anleitungskompetenz wird vor Ort ebenfalls eigenständig ausgeführt. Die Tatsache, dass der Mensch mit Behinderung sowohl über die Anleitungskompetenz verfügt, als auch die Möglichkeit hat, seinen Dienstplan selbst zu gestalten, garantiert ein hohes Maß an Flexibilität, wodurch eine Steigerung der Lebensqualität gewährleistet ist (ebd.). 3.3 Hilfe durch unbezahlte Helfer Ebenfalls können Hilfebedürftige ehrenamtliche Helfer engagieren. Diese Organisationsform bietet in vielen Fällen allerdings keine verlässliche Struktur und kann z. B. dann angewendet werden, wenn es sich um die Ausführung nicht regelmäßiger Tätigkeiten handelt (ebd.). 18 3 Selbstbestimmt leben mit persönlicher Hilfestellung 3.4 Verrichtungen durch einen herkömmlichen ambulanten Pflegedienst Zusätzlich zu den soeben genannten beiden Assistenzmodellen gibt es die Möglichkeit, Leistungen, welche den Einkauf, Hauswirtschaft und die Pflege umfassen, von einem ambulanten Pflegedienst in Anspruch zu nehmen (DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 239). Bei dieser Form der Hilfeleistung sind die Patienten meistens sehr starren und unflexiblen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Diese Dienste werden in der Regel von Fachkräften, also Krankenschwestern oder Altenpflegern ausgeführt, die ihre Patienten in zeitlich festen Touren versorgen. In der Praxis bedeutet das, dass eine betreffende Person zum Beispiel jeden Morgen um 9:00 Uhr aus dem Bett geholt und Pflege verrechnet wird, an festen Zeiten am Tag auf die Toilette gesetzt und abends pünktlich um 20:00 Uhr wieder ins Bett gebracht wird. Der streng vorgegebene Tagesablauf hat mit Selbstbestimmung nicht viel gemein und eignet sich nur sehr bedingt für Menschen mit Behinderung. Für alte und bettlägerige Menschen, die durch feste Rahmenbedingungen Orientierung und Sicherheit erfahren, ist dieser Form der Hilfestellung geeignet. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es allerdings einige wenige ambulante Dienste, die ihr Dienstleistungsangebot an den Prinzipien des selbstbestimmten Lebens und dem Modell der persönlichen Assistenz orientieren (a. a. O.: 240). 3.5 Hilfe von professionellen Helfern mit einer an Selbstbestimmung orientierten Fachlichkeit Insbesondere pädagogisch geprägte Hilfen, aber auch therapeutische und sozialarbeiterische Hilfen lassen sich nicht im Rahmen Persönlicher Assistenz als Arbeitnehmer organisieren (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 26). Diese Art der Hilfen findet oftmals in Form von Gesprächen statt und dient hauptsächlich dazu, den Prozess des eigenständigen Lebens mit Behinderung und die dabei entstehenden Problematiken, sowie positive Gegebenheiten zu begleiten und zu unterstützen (ebd.). 19 4 Konfliktsituationen und Ursachen 4 Konfliktsituationen und Ursachen Die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Assistent basiert auf der Ebene einer Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung. Trotzdem ist sie in vielen Fällen zusätzlich von Elementen geprägt, die dieser Beziehung eine sehr starke Intensität verleiht. Diese Beziehungen können dennoch starke Konfliktpotenziale enthalten (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 285). Auf die Konfliktfälle, die sich in solch einer Beziehung ergeben können, wird in den folgenden Unterkapiteln eingegangen. 4.1 Gemeinsames Auftreten des Menschen mit Behinderung mit seinem Assistenten Wenn der Mensch mit Behinderung (Assistenznehmer) und sein Assistent in der Öffentlichkeit gemeinsam auftreten, passiert es sehr häufig, dass mit dem Assistenten, statt mit dem Assistenznehmer, gesprochen wird (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 271). Diese unangenehme und zugleich diskriminierende Erfahrung kann in manchen Situationen zu Nachteilen für den Arbeitgeber führen. Das ist zum Beispiel dann gegeben, wenn der Assistent etwas preisgibt, was der Arbeitgeber nicht möchte, dass es preisgegeben wird. Häufig lässt sich aber auch der Mensch mit Behinderung, wenn er mit seinem Assistenten unterwegs ist, aus Bequemlichkeit Gespräche und Entscheidungen abnehmen. Er hat es leichter, wenn er die Möglichkeit hat, sich seiner vollen Verantwortung zu entziehen. Das trägt aber nicht zu einer autonomen Lebensführung bei, sondern verstärkt eine Lebensführung in Abhängigkeit (ebd.). Schwierigkeiten des gemeinsamen Auftretens sind besonders dann gegeben, wenn der Assistenznehmer aufgrund seines hohen Hilfebedarfs überwiegend gemeinsam mit seinem Persönlichen Assistenten in Erscheinung tritt (a. a. O.: 274). Es können Probleme entstehen, wie das gemeinsame Auftreten von der Umwelt wahrgenommen wird. Auch ist das Auftreten zu zweit für das Selbstbild des Assistenznehmers von großer Bedeutung (ebd.). Es kann vorkommen, dass der Assistenznehmer das Gefühl hat, nicht mehr als gleichwertiges Individuum, sondern nur noch als Einheit mit dem persönlichen Assistenten wahrgenommen zu werden (a. a. O.: 275). Die Ursache dafür liegt möglicherweise darin, dass der Persönliche Assistent die Rolle des Arbeitnehmers verlässt und zu dominant auftritt. Darauf sollte der Assistenznehmer sofort reagieren, indem er seinen Persönlichen Assistenten auf die Problematik hinweist und ihn an seine Rolle erinnert. Je klarer die Rollenverteilung definiert ist, und der Arbeitnehmer darüber aufgeklärt hat, wann 20 4 Konfliktsituationen und Ursachen er seine Assistenz benötigt und wann sie in den Hintergrund treten soll, desto autonomer ist es dem Assistenznehmer möglich, aufzutreten. Diese Basis kann nur durch eine gelungene Kommunikation beider Parteien, sowie der Auseinandersetzung mit der Thematik geschaffen werden. Ebenfalls ist es wichtig, dass der Assistenznehmer sein Handeln ständig reflektiert und wenn notwendig, sich diesbezüglich bei einer Assistenzorganisation Rat einholt. Besonders wichtig ist jedoch, dass jeder Assistenznehmer, so wie es ihm individuell möglich ist, versucht, Gelegenheiten wahrzunehmen, in denen er ohne Assistenzperson seiner Umwelt begegnen kann (Studie: Leben mit Persönlicher Assistenz DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 239). Warum das so wichtig ist, wird in einem späteren Kapitel der Diplomarbeit genauer erläutert. 4.2 Gestaltung der Anfangsphase Wird eine Persönliche Assistenz neu eingearbeitet, wird diese Zeit von vielen Menschen mit Behinderung als schwierig empfunden (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 285). Die Ursache liegt meistens darin, dass die neue Assistenz eingearbeitet werden muss und noch nicht mit der Tätigkeit vertraut ist. Für die neue Persönliche Assistenz ist eine Arbeitssituation in dieser Art vielleicht ungewohnt und sie fühlt sich möglicherweise mit dieser Tätigkeit überfordert. In dieser Phase kann es leicht zu Konflikten kommen, da beide Parteien in der Beziehung stark gefordert werden. Schwierigkeiten gibt es vor allem dann, wenn der Assistenznehmer auf den Neuanfang seines Mitarbeiters nur bedingt Rücksicht nehmen kann, weil an ihn dennoch die Alltagsanforderungen, die er zu bewältigen hat, gestellt werden (a. a. O.: 286). 4.3 Zeitliche Intensität Verfügen Menschen über einen hohen Hilfebedarf, folgt daraus, dass der Assistenznehmer und dessen Persönlicher Assistent sehr viel Zeit miteinander verbringen (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 286). Eine Schicht kann bis zu 24 Stunden inklusive Nachtbereitschaft andauern. Dadurch kann sich eine sehr intensive Beziehung zwischen beiden Parteien ergeben. Die Tatsache, dass man viel Zeit miteinander verbringt, kann aber auch zu Konflikten führen. Manche Assistenznehmer empfinden es als besonders schwierig, wenn die Assistenz in einer so langen Schicht ständig erwartet, beschäftigt zu werden. Einige Assistenten empfinden es nicht als Arbeit, wenn es wenig oder sogar nichts zu tun gibt. Dabei liegt die Aufgabe der Assistenz auch darin, einfach anwesend zu sein, 21 4 Konfliktsituationen und Ursachen sei es im Nebenraum, um zur Verfügung stehen zu können, wenn Hilfe benötigt wird (ebd.). Aufgrund der oben genannten Tatsache, dass der Assistenznehmer und dessen Persönliche Assistenz in vielen Fällen sehr viel Zeit miteinander verbringen, ist es von besonderer Bedeutung, dass eine Umgangsform gefunden wird, mit der beide Parteien zurechtkommen. Sollten beide Parteien auf zwischenmenschlicher Ebene nicht gut miteinander umgehen können, kann das zu Schwierigkeiten und Konflikten führen (ebd.). 4.4 Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und Assistent Weitere Auslöser für Konflikte zwischen Assistenznehmer und Assistent werden im Folgenden aufgezählt, aber es wird nicht näher darauf eingegangen. Auslöser von Konflikten können u. a. in der Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit des Assistenten liegen, sowie in der unselbstständigen Arbeitsweise und der unzureichenden Qualität der Arbeit. Mangelnde Motivation und das Ausnutzen von Freiräumen können ebenfalls die Ursache für Konflikte sein (a. a. O.: 290 - 293). Im folgenden Unterkapitel wird eine der Hauptursachen von Konflikten in der Beziehung von Menschen mit Behinderung und ihrem Assistenten erläutert (ebd.). 4.5 Bevormundung und Machtkämpfe des Assistenten Die Tätigkeit der Persönlichen Assistenz ist geprägt von Hilfestellungen, die auszuführen sind (MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 288). In diesem Zusammenhang werden Assistenten auch als ‘Werkzeuge` oder als Hände beschrieben, die zur Ausführung der Tätigkeiten, die der Hilfebedürftige nicht selbstständig ausführen kann, benutzt werden. In der Realität lassen sich Assistenten nicht ausschließlich auf diese Funktion reduzieren, da es sich bei ihnen um Menschen und nicht um Maschinen handelt. Menschen bringen ihre ganz individuellen Vorzüge und Eigenheiten in das Verhältnis mit ein. Hinzu kommt, dass der Status, den die Tätigkeit „Helfen“ in unserer Gesellschaft einnimmt, oftmals von außen, aber auch von der Person, die die Hilfestellungen gibt, mit einem Mitbestimmungsrecht über das Leben des Menschen, dem Hilfestellungen entgegengebracht werden, verknüpft wird. Das bedeutet, dass Bevormundung seitens der Persönlichen Assistenz dem Hilfebedürftigen gegenüber nicht auszuschließen ist. Trotz der Existenz von vertraglichen Regelungen wie u. a. der Bezahlung der Persönlichen Assistenz, die versuchen soll, Hierarchien abzubauen, sehen einige Betroffene dennoch die Gefahr sehr deutlich, dass es Persönliche Assistenten gibt, die versuchen, über das Leben der Menschen mit Behinderung zu bestimmen. 22 4 Konfliktsituationen und Ursachen Aufgrund dieser Tatsache wird das Gefühl der Abhängigkeit gegenüber der Assistenz verursacht bzw. verstärkt, vor allem dann, wenn man täglich auf die Hilfe der Assistenz angewiesen ist. Selbstverständlich bedeutet diese Art der Arbeit auch für die Persönliche Assistenz eine große Herausforderung. Sich über längere Zeit stark zurücknehmen zu müssen und der Handlanger zu sein, ist ebenfalls nicht immer einfach (ebd.). 23 5 Hunde helfen Menschen 5 Hunde helfen Menschen Einen Hund zu haben bedeutet für die meisten Menschen viel Freude, denn sie haben die Möglichkeit, ihr Leben mit einem ganz besonderen Lebensgefährten an ihrer Seite gestalten zu können (HORNSBY 2000: 4). Mittlerweile erfüllen viele Hunde Aufgaben, die über die eines loyalen Familienhundes weit hinausgehen. Traditionelle Aufgaben eines Hundes, wie die des Hütehundes oder die des Rattenfängers werden immer weniger. Ein Aufgabenbereich, der sich immer mehr erweitert, liegt in individuellen Hilfestellungen, die der sog. Assistenz- bzw. Servicehund ausführt, um das Leben seines Besitzers mit Behinderung zu erleichtern (ebd.). In den folgenden Unterkapiteln werden u. a. verschiedene Arten der Assistenzbzw. Servicehunde mit ihren ganz speziellen Hilfestellungen kurz dargestellt (ebd.). 5.1 Blindenführhunde Die Aufgabe von Blindenführhunden besteht darin, ihren sehbehinderten oder blinden Besitzer zu jeder Zeit, in jeder Umgebung und an jedem Ort sicher zu leiten und zu führen (RÖGER-LAKENBRINK 2000: 24). Hunde dieser Art haben es gelernt, ihre Besitzer sicher durch den Straßenverkehr zu führen, sowie den Straßenverlauf nach links oder nach rechts anzuzeigen (HOLLIK 2003: 98). Außerdem sind Blindenführhunde in der Lage, den blinden Menschen um Hindernisse zu leiten, sowie ihn zu einer Bushaltestelle, einem freien Sitzplatz oder einer Türe zu führen (ebd.). 5.2 Signalhunde „Sie sind ausgebildet, um dem hörbehinderten oder gehörlosen Menschen jederzeit und überall wichtige Geräusche zu melden und mitzuteilen (RÖGERLAKENBRINK 2000: 24).“ Solche Hunde machen ihren Besitzer u. a. darauf aufmerksam, wenn dessen Namen gerufen wird, das Baby schreit oder der Wecker klingelt. Eine sehr wichtige Aufgabe des Signalhundes besteht darin, seinen hörbehinderten oder gehörlosen Besitzer vor Gefahren, beispielsweise vor heruntergefallenen Gegenständen oder fahrenden Autos zu warnen (HOLLIK 2003: 99). 24 5 Hunde helfen Menschen 5.3 Epilepsie- oder Anfallswarnhunde Der Epilepsiehund, auch Anfallswarnhund genannt, ist in der Lage zu erkennen, dass ein epileptischer Anfall seines Besitzers bevorsteht (OTTERSTEDT 2001: 80). Es gibt verschiedene Merkmale, die es einem speziell ausgebildeten Hund ermöglichen, epileptische Anfälle vor deren Ausbruch erkennen zu können (a. a. O.: 81). Steht ein epileptischer Anfall bevor, führt das zu einer verstärkten Aktivität des Gehirns. Das wiederum führt zur Ausschüttung von Botenstoffen, die den Körpergeruch des Betreffenden verändern. Ein Anfallswarnhund hat es gelernt, auf die Veränderung des Geruchs seines Besitzers zu reagieren. Naht ein epileptischer Anfall, verändert sich ebenfalls durch die gesteigerte Aktivität des Gehirns unbewusst das körpersprachliche Verhalten des Epileptikers. Der Hund reagiert auf die körpersprachliche Signale, die der Besitzer oberhalb des Rumpfes zeigt. Hierbei kann es sich unter anderem um erweiterte Pupillen oder um ein Zucken des Fingers handeln. Da der Hund so ausgebildet ist, dass er schon bei den kleinsten Anzeichen reagiert, macht er seinen Besitzer oftmals 20 bis 40 Minuten vorher darauf aufmerksam, dass ein epileptischer Anfall bevorsteht. Der Hundebesitzer hat dann die Möglichkeit, adäquat zu reagieren, indem er seine Medikamente einnimmt, sich hinlegt oder sich in einen Sessel setzt. So ist der Epileptiker durch den Anfall nicht der Gefahr ausgesetzt, zu stürzen (ERIK KERSTING Gemeinnützige Gesellschaft "Stiftung Hunde helfen Leben" mbH 03.12.2008). Durch den Anfallswarnhund können somit Verletzungen vorgebeugt oder gemindert werden. Ebenso ist der ausgebildete Hund, wenn nötig, in der Lage, Hilfe zu holen, indem er eine Notklingel betätigt oder Laut gibt, also bellt. Während des Anfalls ist es von Bedeutung, dass der Körperkontakt zwischen Mensch und Hund aufrechterhalten wird. So kann die Dauer eines Anfalls verkürzt werden und der Epileptiker erlangt schneller sein Bewusstsein zurück. Menschen gewährleisten den Kontakt, indem sie während des Krampfes den Kopf des Betreffenden halten und mit ihm sprechen. Anfallswarnhunde stellen den Kontakt her, indem sie ihrem Besitzer die Strümpfe ausziehen, um die Füße lecken zu können. Nach einem Anfall ist der Mensch häufig desorientiert und es dauert eine Zeit, bis sich sein Zustand normalisiert hat. Der Anfallswarnhund hat es gelernt, in solchen Situationen seinen Besitzer sicher zu führen und ihn durch seine Nähe zu wärmen (ebd.). Epilepsiehunde werden in Deutschland u. a. von dem Hundeerzieher und Verhaltensberater Erik Kersting ausgebildet (http://www.canis-familiaris.de/ index.php?Itemid=71&id=12&option=com_content&task=view 03.01.2009). Ist man von Epilepsie betroffen, kann das schwere körperliche, seelische und soziale Auswirkungen mit sich bringen (OTTERSTEDT 2001: 82). Mit einem Anfallswarnhund an der Seite, erfahren Menschen mit Epilepsie Sicherheit, die wiederum 25 5 Hunde helfen Menschen dazu führt, dass das Selbstvertrauen der Menschen gestärkt wird und sie es sich trotz ihrer Krankheit zutrauen, soziale Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände zu pflegen (ebd.). 5.4 Diabetikerwarnhunde Speziell ausgebildete Hunde sind auch in der Lage, frühzeitig den gefährlichen Zustand der Unterzuckerung bei einem Menschen mit einer Diabeteserkrankung zu erkennen (OTTERSTEDT 2001, zit. n. ENEY UND ROBINSON 1998: 13, sowie W ILLI2000). Genauso wie im Unterkapitel der Anfallswarnhund beschrieben, verändert sich auch beim Diabetiker der körperliche Geruch, oder der Hund nimmt vor einer Unterzuckerung gewisse körperlich veränderte Signale wahr, auf diese er seinen Besitzer aufmerksam macht, damit er dementsprechend reagieren kann. Es gibt Formen des Diabetes, bei denen die Diabetiker beispielsweise durch Schwindel, Heißhunger oder Schweißausbrüche bemerken, wenn sie in die Unterzuckerung geraten. Sie haben dann die Möglichkeit, adäquat zu reagieren, indem sie entweder Traubenzucker zu sich nehmen oder sich zur Ruhe begeben. Unterzuckerung wird in vielen Fällen während des Schlafes sehr spät erkannt und bedeutet somit eine erhebliche Gefahr für den Diabetiker, denn Bewusstseinsstörungen oder das Verfallen ins Koma können die Folge sein. Aus diesem Grund leiden viele Diabetiker unter Schlafproblemen. Ein Hund, der es gelernt hat, den Zustand der Unterzuckerung rechtzeitig zu melden, verleiht den Betroffenen mehr Sicherheit bei Tag und Nacht (ebd.). Erleidet der Diabetiker eine Bewusstseinsstörung, ist der Hund außerdem in der Lage, Hilfe zu holen. Auch gibt es Formen der Krankheit, bei denen die Diabetiker selbst nicht bemerken, dass sie in die Unterzuckerung geraten. In solchen Fällen muss der Diabetiker ständig darauf achten, dass er in regelmäßigen, recht kurzen Abständen Traubenzucker oder gesüßte AMS Getränke zu sich nimmt. Ist man an einer solchen Form der Diabetes erkrankt, bei der die Unterzuckerung nicht bemerkt wird, verleiht ein Diabetikerwarnhund mehr Sicherheit, indem er seinen Halter auf die Unterzuckerung aufmerksam macht. An solch einer Form des Diabetes ist Simone Oberenzer aus Osnabrück seit sechs Jahren erkrankt. Nachdem sie aufgrund ihrer Diabeteserkrankung ihr Studium des Lehramtes abbrechen musste, ging sie in die USA, um ihren eigenen Hund zum Diabeteswarnhund auszubilden. Diese Aufgabe wurde ihr zur Lebensaufgabe. Simone Oberenzer arbeitet in einem Ausbildungszentrum für Servicehunde und bildet Diabeteswarnhunde aus (Telefonat mit SIMONE OBERENZER 2008 http://www.hunde-fuer-diabetiker-und-andere-servicehunde.de/index.html 03.01.2009). 26 5 Hunde helfen Menschen 5.5 Therapiehunde Therapiehunde sind keine Assistenz- bzw. Servicehunde. Sie arbeiten gemeinsam mit ihren ausgebildeten Besitzern als Team an verschiedenen Einsatzorten mit unterschiedlicher Klientel (LAKENBRINK 2000: 24). In Pflege- und Altenheimen, Rehakliniken, Psychiatrien und Justizvollzugsanstalten wird mit Therapiehunden gearbeitet (HOLLIK 2003: 98). Außerdem werden diese Hunde in die Arbeit mit autistischen Menschen, sowie bei körperlich und geistig behinderten Menschen eingesetzt, vor allem, wenn es sich dabei um Kinder handelt. Durch den Einsatz von Therapiehunden können sensorische und motorische Entwicklungen angeregt und ausgewählte Therapieformen unterstützt werden (ebd.). 27 6 Zum Behindertenbegleithund 6 Zum Behindertenbegleithund Anhand der in Kapitel 4 beschriebenen Problematik wird deutlich, dass es besonders wichtig ist, dass jeder Mensch mit Behinderung versucht, so wie es individuell möglich ist, Gelegenheiten wahrzunehmen, in denen er ohne Assistenzperson seiner Umwelt, also z. B. seinen Studien-, sowie Arbeitskollegen und Freunden begegnen kann (DROLSHAGEN/ ROTHENBERG o. J., o. S., zit. n. MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. 2001: 239). Das stärkt das Selbstvertrauen des Menschen mit Behinderung und er ist somit in der Lage, selbstbewusster und selbstsicherer auf andere Menschen zuzugehen. Das Umfeld, das den Mensch mit Behinderung kennt und ihn als Person wertschätzt, nimmt oftmals die Behinderung nach einiger Zeit nicht mehr wahr. Ist es dem Umfeld bewusst, dass es dem Mensch mit Behinderung äußerst wichtig ist, sein Leben autonom mit Assistenz zu leben, haben Freunde nie das Gefühl, in die Pflicht genommen zu werden und erledigen kleine Hilfestellungen, sowie Toilettengänge mit einer Selbstverständlichkeit, weil ihnen der Mensch wichtig ist und sie mit ihm Zeit verbringen wollen (ebd.). Der ausgebildete Behindertenbegleithund, auch Service Dog genannt, ist in der Lage, einem Rollstuhlfahrer konkrete Hilfestellung zu leisten (KAWOHL, SCHERR, 2003: 17). Mit ihm an der Seite hat der Mensch mit Behinderung die Möglichkeit, auch ohne Assistenzperson unterwegs zu sein. Dem Hund ist es u. a. möglich, Gegenstände vom Boden aufzuheben, die dem Rollstuhlfahrer herunterfallen. Da dieser in vielen Fällen aufgrund seiner Behinderung selbst nicht in der Lage ist, die Gegenstände aufzuheben, erledigt das der Behindertenbegleithund, indem er auf Kommando die Gegenstände seinem Besitzer bringt. Dabei kann es sich um Münzen, Büroklammern oder sogar um Papier handeln (ebd.). Des Weiteren steht solch ein Hund seinem Besitzer mit Behinderung unterstützend im Haushalt zur Seite. Er räumt beispielsweise die Waschmaschine aus oder hilft beim Aufräumen der Wohnung, indem er unbrauchbare Gegenstände in den Mülleimer befördert. Außerdem wird einem Behindertenbegleithund beigebracht, seinem Besitzer das Telefon zu bringen, sowie Türen und Schubladen zu öffnen und zu schließen. Ein Behindertenbegleithund ist außerdem in der Lage, Licht- und Liftschalter auf Kommando zu betätigen (a. a. O.: 18). Ebenso kann ein solch ausgebildeter Hund beim Entkleiden helfen. Mit Hilfe von speziellen Hängetaschen, die auf seinem Rücken befestigt sind, kann der Hund kleine Einkäufe transportieren. Auch ist es ihm möglich, den Rollstuhl seines Halters über kurze Strecken zu ziehen (OTTERSTEDT 2001: 145). Ist es für den Rollstuhlfahrer erforderlich, dass der Hund den Kopf des Besitzers oder dessen Arm bei Bedarf in die richtige Position rücken kann, wird auch dies dem Hund beigebracht, denn die individuelle Assistenz des 28 6 Zum Behindertenbegleithund Behindertenbegleithundes ist auf die Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung und auf die Fähigkeit des Hundes abgestimmt (ebd.). Befindet sich der Rollstuhlfahrer in einer Situation, in der er spontan auf menschliche Hilfe angewiesen ist, kann der Behindertenbegleithund auf Befehl Laut geben, also bellen oder Notschalter betätigen, sodass Menschen in der Umgebung aufmerksam werden und reagieren können (KAWOHL, SCHERR 2003: 17). Das Bellen des Hundes kann beispielsweise dann von Bedeutung sein, wenn der Mensch mit Behinderung in seiner Wohnung mit dem Rollstuhl umgekippt und nicht mehr in der Lage ist, eigenständig Hilfe zu organisieren. Durch das Bellen des Hundes können Nachbarn darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Hilfe benötigt wird (ebd.). Abb. 2: BBH bringt Telefon (Verein Partner-Hunde Österreich) 4 www.balouchen.de Abb. 3: BBH hilft im Haushalt (Hunde für Handicaps e.V., Berlin) 4 www.balouchen.de Abb. 4: BBH öffnet Türen 4 Abb. 5: BBH öffnet Schubladen 4 (Daniela und Rolf Küster, www.balouchen.de) 4 Legitimation zur Verwendung der Bilder innerhalb der Diplomarbeit. Die Bilder sind urheberrechtlich geschützt. 29 6 Zum Behindertenbegleithund Ausbildungszentrum des Vereins Partner-Hunde Österreich Im Ausbildungszentrum des Vereins Partner-Hunde Österreich, der seinen Sitz in Weitwörth bei Oberndorf in der Nähe von Salzburg hat, wurden bisher 195 Partner-Hunde herangezogen und trainiert (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). In den folgenden Kapiteln wird auf diesen Verein Bezug genommen. Der Verein wurde 1990 gegründet und steht unter der Leitung der Biologin und Trainerin Elisabeth Färbinger (ebd.). Dort werden die Hunde speziell für Rollstuhlfahrer, gehörlose Menschen, Menschen mit Epilepsie, und für Menschen mit Diabetes, sowie für Menschen mit geistiger Behinderung ausgebildet (http://www.partner-hunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.s Design&sysPartnerhunde.mCMS.sDesign.seitenID=972250001202220452 04.01.2009). 6.1 Menschliche Voraussetzungen Dass nicht alle Interessenten einen Behindertenbegleithund erhalten, hat verschiedene Gründe (KAWOHL, SCHERR 2003: 121). Es muss gewährleistet sein, dass der Mensch mit Behinderung in der Lage ist, seinen Hund mental zu führen. Handelt es sich um eine stärkere Behinderung, ist es wichtig, dass der Mensch geistig fit ist. Damit der Behindertenbegleithund eine gute Arbeit leisten kann, ist es von Bedeutung, dass er von seinem Besitzer eine gute Führung erhält. Unbedingt notwendig ist außerdem, dass der Mensch mit Behinderung in der Lage ist, mit seinem Behindertenbegleithund dreimal täglich spazieren zu gehen. Es spielt keine Rolle, ob die Spaziergänge alleine oder gemeinsam mit einer Assistenzperson ausgeführt werden. Die Wichtigkeit besteht darin, dass der Besitzer anwesend ist. Das stärkt die Bindung und Beziehung zwischen beiden und gewährleistet eine gute Führung des Besitzers, sowie die Gehorsamkeit des Hundes. Selbstverständlich gibt es Situationen, in diesen der Mensch mit Behinderung nicht in der Lage ist, mit dem Hund spazieren zu gehen. Herrschen draußen schlechte Wetterbedingungen wie Schnee und Glatteis, oder wird der Besitzer krank, handelt es sich um Ausnahmen und die Spaziergänge können an eine Assistenzperson oder Bezugsperson der Familie abgegeben werden. Sollte der Rollstuhlfahrer aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage sein, seinen Behindertenbegleithund selbstständig zu füttern, stellt das kein Hinderungsgrund dar, einen Behindertenbegleithund an die Person zu vergeben. Trotz des Behindertenbegleithundes sind die Menschen häufig nach wie vor auf einen Pflegedienst bzw. auf Assistenzpersonen angewiesen, die das Futter für den Hund in eine Schüssel geben können (ebd.). Durch den Behindertenbegleithund kann der Bedarf von Assistenzpersonen oder eines Pflegedienstes zwar eingeschränkt, aber in den meisten Fällen nicht einge30 6 Zum Behindertenbegleithund stellt werden. Ein Behindertenbegleithund ist trotz einer fundierten Ausbildung nicht in der Lage, einen Menschen mit Behinderung beispielsweise zu duschen. Werden Behindertenbegleithunde an Kinder, Jugendliche oder an Menschen mit geistiger Behinderung vergeben, ist klar, dass die Verantwortung dem Hund gegenüber in erster Linie bei den Eltern liegt (a. a. O.: 122). Auch wenn der Hund das Kind liebt, kann es sein, dass Kommandos, die der Hund benötigt, konsequenter und deutlicher von einem Erwachsenen ausgeführt werden. Entscheiden sich Menschen mit Behinderung für einen Behindertenbegleithund, muss gewährleistet sein, dass dies die Art bzw. die Schwere der jeweiligen Behinderung zulässt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die zukünftigen Besitzer tierlieb sind. Reduziert der Mensch mit Behinderung den Behindertenbegleithund jedoch auf die Funktion eines Hilfsmittels und akzeptiert ihn nicht als Partner, so ist für die Trainerin Heidi Scherr aus den USA klar, keinen Behindertenbegleithund zu vergeben (ebd.). 6.2 Zutrittsmöglichkeiten mit dem Behindertenbegleithund Der Mensch mit Behinderung und sein Behindertenbegleithund erhalten beim Verein Partner-Hunde Österreich vom Amt der Landesregierung Salzburg einen Ausweis, der die Zutrittsmöglichkeit in öffentlichen Gebäude innerhalb Österreichs legitimiert (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Zu öffentlichen Gebäuden gehören u. a. Amtsgebäude, Kino, Theater und Kirchen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung durch den Ausweis die Möglichkeit, ihren Behindertenbegleithund in alle Geschäfte, inklusive der Lebensmittelgeschäfte, mitzunehmen (http://www.partner-hunde.org/ index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde.mCMS.s Design.seitnID=4499001202222106 17.12.08). Gültigkeit des Ausweises innerhalb Deutschlands Dieser Ausweis hat innerhalb Österreichs seine Gültigkeit. Für Teams des Vereins Partner-Hunde Österreich, die aus Deutschland kommen, besteht die Möglichkeit, diesen Ausweis im Veterinäramt des Bezirks, in dem der Rollstuhlfahrer lebt, vorzulegen. Das Veterinäramt kann dann ein Schreiben ausstellen, wodurch die Legitimation des Ausweises auf den jeweiligen Bezirk in Deutschland erwirkt wird. Diese Entscheidung der Genehmigung ist eine Ermessensentscheidung des jeweiligen Veterinäramtes. Um solche Entscheidungen treffen zu können, ist es für das Veterinäramt von zentraler Bedeutung, dass gewährleistet werden kann, dass es sich um eine qualitative und fundierte Ausbildung von Hund und Halter handelt (Bericht eines Teammitglieds des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008). 31 6 Zum Behindertenbegleithund Dass es sich beim Verein Partner-Hunde um eine fundierte, seriöse und qualitativ hochwertige Ausbildung handelt, wird auch durch das Gütesiegel garantiert, das der Verein vom internationalen Dachverband der Assistenzhunde verliehen bekommen hat (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Qualifizierungsauszeichnung Der Verein Partner-Hunde erhielt im Jahr 2006 die Qualitätsauszeichnung durch den internationalen Dachverband der Assistenzhunde (http://www.partnerhunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde.m CMS 17.12.08). Diese Auszeichnung (Akkreditierung) hat fünf Jahre Gültigkeit, geht ausschließlich an Assistenzhunde-Schulen und wurde bisher an 22 Assistenzhunde-Schulen verliehen. Folgende Elemente wurden durch ein amerikanisches Team beurteilt: • • • • • • 6.3 Administration (Arbeitsunterlagen, Anmeldebögen, Trainingsprotokolle, Auswahlverfahren der Teams) Trainingsmethoden Praktische Umsetzung mit Kandidaten und Assistenzhunden Rollstuhlgerechte bauliche Gegebenheiten (z.B. amtlich bewilligte Parkplätze für Rollstuhlfahrer) Sicherheitsstandards (Feueralarm-System usw.) Jährliche Überprüfung und Nachbetreuung der Partner-Hunde-Teams (ebd.). Das Auftreten der Teams in der Öffentlichkeit Lebt der Mensch mit Behinderung, der seinen Hund vom Verein Partner-Hunde Österreich bekommen hat, in Deutschland und sucht gemeinsam mit seinem Behindertenbegleithund ein Geschäft in seinem Bezirk auf, ist es wichtig, den Ausweis der Salzburger Landesregierung in Verbindung mit dem Schreiben des Veterinäramtes vorzulegen.5 Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn das Geschäft von einem Team zum ersten Mal betreten wird. Zusätzlich erweist es sich als günstig, Mitarbeiter oder Eigentümer eines Geschäfts über den Grund der Existenz eines Behindertenbegleithundes aufzuklären. Bei dieser Gelegenheit erweist es sich oft als günstig, den Menschen zu zeigen, was der Hund für einen Menschen mit Behinderung leis- 5 Gespräch mit einem Teammitglied des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008. 32 6 Zum Behindertenbegleithund tet. In solchen Situationen lässt der Besitzer den Hund meistens etwas aufheben. Dadurch, dass der Hund den Gegenstand seinem Besitzer bringt, wird die Hilfestellung, die der Mensch mit Behinderung durch einen Behindertenbegleithund erfährt, für den Zuschauer deutlich. Auf diese Weise wird der Bekanntheitsgrad von Behindertenbegleithunden erweitert und zugleich für den Verein geworden, der die Hunde ausbildet. Trotz aller Bemühungen der Besitzer passiert es in Deutschland leider häufig, dass dem Besitzer und seinem Behindertenbegleithund wenig Akzeptanz entgegengebracht wird. Das liegt u. a. am geringen Bekanntheitsgrad und am Mangel gesetzlicher Regelungen. „Man darf sich durch solche Situationen auf keinen Fall verunsichern lassen, denn andererseits gibt es auch Menschen, die für die Existenz eines Behindertenbegleithundes und das Team Verständnis und Akzeptanz aufbringen.“6 Weil der Mensch mit Behinderung und sein Behindertenbegleithund durch den Ausweis bestimmte Privilegien genießen, sind die Teams beim Verein PartnerHunde verpflichtet, ihre Teamfähigkeit durch eine jährliche Überprüfung im Ausbildungszentrum in Österreich unter Beweis zu stellen (http://www.partnerhunde.org/index.php?view=sysPartnerhunde.mCMS.sDesign&sysPartnerhunde. mCMS.sDesign.seitenID=4499001202222106 09.12.08). 6.4 Ein Behindertenbegleithund steht einem Besitzer auch während der Arbeit zur Verfügung Ein Behindertenbegleithund zeichnet sich auch dadurch aus, dass man ihn zu seiner Arbeitsstelle mitnehmen und er dort auch dem Menschen mit Behinderung zur Verfügung stehen und Hilfestellungen erbringen kann. Unter anderem ist in Hessen die Legitimation, Servicehunde und Führhunde mit zur Arbeit zu nehmen seitens des Ministeriums in den Integrationsrichtlinien für Menschen mit Behinderung verankert. Punkt neun dieser Richtlinien beinhaltet Service- und Führhunde. Dort heißt es: „Servicehunde mobilitätsbehinderter Menschen oder Führhunde blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen sind während deren Dienstzeit am Arbeitsplatz unterzubringen (http://www.fh-frankfurt.de/de/.media/personalrat/ Downloads/Allgemeine%20Informationen/integrationsruchtlinienneu.pdf“ 03.01.2009). Leider erteilt nicht jedes Bundesland die Legitimation, dass Menschen mit Behinderung ihren Behindertenbegleithund zur Arbeit mitnehmen dürfen. Das heißt, dass es Bundesländer gibt, in denen die Erlaubnis, den Behindertenbegleithund 6 Gespräch mit einem Teammitglied des Vereins Partner-Hunde Österreich Schmidtmann D. 2008. 33 6 Zum Behindertenbegleithund zur Arbeit mitzunehmen, lediglich Ermessenssache des jeweiligen Arbeitgebers ist und seine Zustimmung davon abhängt, ob man einen Behindertenbegleithund bekommt oder nicht (ebd.). Um einen Behindertenbegleithund vergeben zu können, muss beim Verein Partner-Hunde Österreich die Erlaubnis des Arbeitgebers vorliegen. Ungefähr nach einer Wartezeit von 6 bis 15 Monaten gibt es den ersten Kontakt zum eigenen Hund und gegenseitiges Vertrauen stellt sich schnell ein (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). 6.5 Der Behindertenbegleithund wird in Deutschland im Gegensatz zum Blindenführhund von keinem öffentlichen Kostenträger finanziert Bedauerlicherweise wird in Deutschland bis heute ein Behindertenbegleithund im Gegensatz zum Blindenführhund noch von keinem öffentlichen Kostenträger weder teil- noch vollständig finanziert (KAWOHL, SCHERR, 2003: 123). Das hat zur Folge, dass die meisten Menschen mit Behinderung, für die ein Behindertenbegleithund geeignet ist, und dieser durch seine Hilfestellungen zu mehr Unabhängigkeit von menschlicher Hilfe und somit zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität führt, nicht in der Lage sind, aus eigenen Mitteln soviel Geld aufzubringen, um die kostenintensive Ausbildung eines Behindertenbegleithundes vollständig bezahlen zu können. Behindertenbegleithunde werden bislang von Spendengeldern oder Sponsoren finanziert (ebd.). Ein Behindertenbegleithund vom Verein Partner-Hunde Österreich, auf den in dem folgenden Kapitel Bezug genommen wird, kostet insgesamt 14.000 €. Der Teilbetrag von 12.000 € wird von einem oder mehreren Sponsoren aufgebracht. Ist die Behinderung Folge eines Arbeitsunfalls, wird in Österreich der Hund in manchen Fällen von der Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) ganz oder teilfinanziert. Manche Menschen mit Behinderung werden von der Landesregierung Österreich unterstützt. Ob jemand in Österreich von öffentlicher Hand unterstützt wird, ist von der Ursache der Behinderung abhängig und muss individuell entschieden werden. Der Betrag von 2000 € ist der Selbstbehalt des Besitzers (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2).7 Auch ist es Aufgabe des Besitzers, sich auf Sponsorensuche zu begeben. Oft handelt es sich bei diesen Sponsoren um Firmen oder Dienstleister, bei denen der Mensch mit Behinderung Kunde ist. Das können unter anderem Sanitätshäuser oder der Hersteller des Rollstuhls sein. Für Firmen oder Dienstleister ist der Beitrag zur Finanzierung des Behindertenbegleithundes ein guter Werbe- 7 Gespräch mit der Trainerin Elisabeth Färbinger des Vereins Partner-Hunde Österreich 24.3.2008 34 6 Zum Behindertenbegleithund zweck und sie haben die Möglichkeit, die Spende von der Steuer abzusetzen. Aber auch Wohltätigkeitsbetriebe, wie der Lions Club, stellen sich als Sponsoren zur Verfügung. Der Blindenführhund hingegen wird von den Krankenkassen bezahlt (KAWOHL, SCHERR 2003: 123). Auch werden laufende Kosten wie z. B. die Futterkosten übernommen. Teilweise übernehmen die Krankenkassen sogar die Arztbesuche des Blindenführhundes (ebd.). Das Argument, dass ein Blindenführhund im Gegensatz zum Behindertenbegleithund von den Krankenkassen finanziert wird, lautet folgendermaßen: Der Behindertenbegleithund trägt nicht die Verantwortung für seinen Menschen (a. a. O.: 21). Der Blindenführhund hingegen ist darin geschult, selbstständig Gefahren auf seinem Weg zu erkennen (ebd.). 6.6 Reduzierung der Pflege- bzw. Assistenzkosten und die Kosten psychologischer Behandlung durch die Dienstleistungen und die Existenz eines Behindertenbegleithundes Durch die Hilfestellungen des Behindertenbegleithundes kann für viele Menschen mit Behinderung der Bedarf einer Assistenz in der Pflege, sowie der Bedarf einer Arbeitsassistenz reduziert werden. Das hat zur Folge, dass Pflege- und Assistenzkosten eingespart werden können. Für Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Gesamtsituation häufig auch psychisch sehr belastet sind, könnte durch einen Behindertenbegleithund der Bedarf einer psychologischen Behandlung gar nicht erst entstehen oder dieser reduziert bzw. verkürzt werden. Auch in diesem Bereich können wiederum Kosten, die durch eine psychologische Behandlung entstehen, eingespart werden. Diese Gelder könnten dann effektiv zur Finanzierung eines Behindertenbegleithundes eingesetzt werden. Außerdem soll diese Diplomarbeit dazu beitragen, dass Behindertenbegleithunde in Zukunft von öffentlichen Kostenträgern finanziert werden. 35 6 Zum Behindertenbegleithund 6.7 Der geschichtliche Verlauf des Behindertenbegleithundes und Ausbildungszentren in Deutschland und Österreich Die Erkenntnis, dass Tiere positive Wirkungen auf Menschen und insbesondere auf Patienten ausüben, konnte bereits im 18. Jahrhundert gewonnen werden (HORNSBY 2000: 56). „Erste Versuche erfolgten in York Retreat, einer psychiatrischen Klinik, deren Verdienste weltweit anerkannt sind.“ In einem Rehabilitationsprogramm, das von den Patienten durchlaufen werden musste, lag ein Bestandteil in der Betreuung von Kaninchen und Geflügel. Die Beziehungen zwischen Tieren und Menschen wurden allerdings erstmals vor 20 Jahren im Rahmen von Studien untersucht. Ein Teil der Studien bezog sich auf die praktischen Hilfen der Mensch Hund Beziehung. Heute gibt es in den USA und in Europa viele Organisationen, die Hunde als Helfer für Menschen mit Behinderung ausbilden. Die Canine Companions for Independence in Santa Rosa, Kalifornien, ist eine dieser Organisationen. Dort werden seit mehr als 22 Jahren Behindertenbegleithunde ausgebildet (ebd.). Auch in Deutschland und Österreich gibt es Vereine und Institutionen, die Behindertenbegleithunde ausbilden. Unter anderem sind das die Vereine Verein Partner-Hunde Österreich/ Assistance Dogs Europe, Hunde für Handicaps e.V. in Berlin, Vita-Assistenzhunde e.V. in Hümmerich bei Frankfurt. Die Stiftung Hunde helfen Leben in Jülich beschäftigt sich mit der Ausbildung von Servicehundetrainern, den Anforderungen an Servicehunden und deren Finanzierung (http://www.canisfamiliaris.de/index.php?Itemid=71&id=12&option=com_content&task=view 03.01.2009). 36 6 Zum Behindertenbegleithund Ausbildungszentren Hunde für Handicaps - VBB e.V. http://www.hundefuerhandicaps.de/meta/kontakt/index.php 05.01.2009 Gemeinnützige Gesellschaft „Stiftung Hunde helfen Leben“ Anschrift Wiltbergstraße 29G 13125 Berlin Telefon: 030 / 294 92 000 Fax.: 030 / 294 92 002 E-Mail: info@servicedogs.de Schloss Kellenberg 52428 Jülich Telefon: 02461 / 9 95 40 19 http://www.hunde-helfen-leben.de/ 05.01.2009 Hundezentrum Canis Familiaris http://www.canisfamiliaris.de/index.php?option=com_content&task =view&id=5&Itemid=83 05.01.2009 Hunde für Diabetiker http://www.diabetikerwarnhund.de/ 05.01.2009 Neu Fringshaus 1 D-52159 Roetgen Tel.: 0 24 71 / 92 10 80 Fax.: 0 24 71 / 92 10 81 E-Mail: info@canis-familiaris.de Bramkamp 52 49076 Osnabrück Tel.: 0541/1208777 Vita e.V. Verein für Assistenzhunde Beratungsstelle Raunheim Gottfried-Keller-Str. 7 65479 Raunheim http://www.vita-assistenzhunde.de/kontakt.html 05.01.2009 Tel.: 06142 / 161 71 79 Fax: 06142 / 161 80 90 E-Mail info@vitaassistenzhunde.de Verein Partner-Hunde Österreich/ Assistance Dogs Europe (OTTERSTEDT 2001: 200). Weitwörth 1 A-5151 Nußdorf bei Salzburg Telefon: +43 (0)6272 7706 www.partner-hunde.org Tab. 5: Kontaktadressen Ausbildungszentren 37 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund Sowohl der Blindenführhund als auch der Behindertenbegleithund benötigen eine fundierte Ausbildung, um den Anforderungen des Alltags ihrer menschlichen Partner gewachsen zu sein (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 245). Die Qualitätsanforderungen der beiden Ausbildungen sind grundsätzlich gleich (ebd.). Die Ausbildung zum Behindertenbegleithund wird auch anhand der Arbeit des Vereins Partner-Hunde Österreich näher beleuchtet, da deren Arbeit und deren Ausbildungsverlauf anhand eines Films sehr gut verdeutlicht werden. Der Film wurde am 13. Mai 2007 auf ORF2 ausgestrahlt. Hunderassen und deren Charaktereigenschaften Neben den Hunderassen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, spielt die Wesensart eines Behindertenbegleithundes die zentrale Rolle. Ein geeigneter Behindertenbegleithund zeichnet sich dadurch aus, dass er über eine seelische und charakterliche Stabilität verfügt, menschen- und tierfreundlich sowie frei von Aggressionen ist (OTTERSTEDT 2001: 145). Der Labrador-Retriever Unter anderem werden sowohl Labrador- als auch Golden-Retriever sowie eine Mischung aus beiden Rassen gerne zum Behindertenbegleithund ausgebildet (Kynos Atlas Hunderassen der Welt, Kynos Verlag 1991, zit. n. KAWOHL, SCHERR, 2003: 23). Das Gewicht des Labrador-Retrievers liegt zwischen 25 und 34 Kilogramm und seine Schulterhöhe variiert von 54 bis 57 cm. Das Fell des Hundes ist kurz und dicht und deshalb sehr pflegeleicht. Eine bedeutende Charaktereigenschaft eines Labrador-Retrievers zeichnet sich dadurch aus, dass dieser bestrebt ist, dem Menschen zu gefallen. Diese Hunderasse ist hart im Nehmen, intelligent und sie verfügt über ein ausgeglichenes Wesen. Die natürliche Veranlagung zum Apportieren ist bei einem Labrador-Retriever besonders gut ausgeprägt (ebd.). Apportieren bedeutet, dass der Hund bestimmte Gegenstände gezielt zu seinem Halter bringt (HORNSBY 2000: 67). Der Golden-Retriever Das Gewicht des Golden-Retrievers variiert zwischen 27 und 34 Kilogramm (Kynos Atlas Hunderassen der Welt, Kynos Verlag 1991, zit. n. KAWOHL, SCHERR, 2003: 23). Seine Schulterhöhe variiert von 51 bis 61 cm. Der Golden-Retriever ordnet sich sehr gerne unter. Das ist für einen Behindertenbegleithund eine günstige Voraussetzung, die aber nicht zwingend notwendig ist. Auch temperamentvol38 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund le Hunde können sich als Behindertenbegleithunde eignen. Es kommt immer darauf an, mit welcher Art von Hund der zukünftige Besitzer, auch behinderungsbedingt, zurechtkommt. Genauso wie der Labrador-Retriever apportiert der GoldenRetriever mit sehr viel Freude und ist ein liebevoller, leicht zu haltender Familienhund (ebd.). Auch andere Rassen, wie z.B. Kurzhaar- oder Border-Collies, Leonberger und Deutsche Schäferhunde können für die Ausbildung zum Behindertenbegleithund in Betracht kommen (HORNSBY 2000: 61). 7.1 Beginn der Ausbildung zum Behindertenbegleithund Die ersten Wochen bzw. Monate verbringen die Welpen gemeinsam mit der Mutterhündin beim Züchter oder in den jeweiligen Vereinen, die Hunde ausbilden, sollten diese über eine eigene Zucht verfügen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Nach drei Wochen verlassen die Welpen zum ersten Mal ihre gewohnte Umgebung. Dann findet der erste Kontakt zum Menschen in einem gemütlich eingerichteten Zimmer statt. Das Ziel der frühen Förderung in angenehmer Atmosphäre besteht darin, dass der Mensch ausschließlich positive Eindrücke bei den Welpen hinterlässt (ebd.). Im Alter von vier Wochen beginnen die Welpen ihre Umwelt selbstständig zu erkunden (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 245). Die Anforderungen eines Behindertenbegleithundes steigen bis zum Alter von zehn Wochen kontinuierlich (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „ÖsterreichBild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Die Hunde sollen alles kennen lernen, was es in der Gesellschaft gibt. So ist es dem Verein Partner-Hunde in Österreich wichtig, täglich mit den Hunden in ein Einkaufszentrum zu gehen, damit sie sich frühzeitig an die Situation gewöhnen und ein starkes Nervenkostüm entwickeln können. Die oberste Priorität des Vereins Partner-Hunde besteht darin, dass alle Situationen für die Hunde positiv verlaufen und sie merken, dass ihnen in Gegenwart des Menschen nichts passiert. So können die Hunde Vertrauen zu den Menschen fassen. Ebenso werden die Hunde mit dem Straßenverkehr konfrontiert. Diese regelmäßigen Konfrontationen sind unbedingt notwendig, denn ein Behindertenbegleithund wird sich später mit seinem behinderten Besitzer in Einkaufszentren oder an Bahnhöfen aufhalten, mit ihm an befahrenen Straßen entlanggehen oder gemeinsam mit ihm Flugreisen unternehmen müssen (ebd.). Ein weiterer wichtiger Bestandteil, um Vertrauen zum Menschen zu fassen, besteht darin, gemeinsam mit ihm positive Kontakte zu anderen Tieren aufzubauen. Außerdem wird mit einem speziellen medizinischen Programm begonnen, denn es muss sichergestellt werden, dass die Hunde keinerlei gesundheitliche Probleme 39 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund aufweisen und sie frei von der sog. Hüftdysplasie sind, einer Problematik in den Gelenken. Außerdem ist es wichtig, dass die Hunde geimpft werden (ebd.). 7.2 In der Patenfamilie Im Alter von drei Monaten beginnt das Leben der Hunde in Patenfamilien. Dort verbringen sie sieben Monate. (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „ÖsterreichBild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Die Hunde werden in den Alltag der Familie eingebunden und sozialisiert (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 249). Es erfolgen regelmäßige Treffen mit dem Trainer und den anderen Gastfamilien in der Innenstadt oder auf dem Übungsplatz. Neben den Trainingseinheiten werden Ausbildungs- und Entwicklungserfolg beobachtet. Für die Hunde ist es unbedingt notwendig, dass Übungen anfangs in einem geschützten Raum, also im Ausbildungszentrum oder zuhause bei den Patenfamilien erfolgen und erst einige Zeit später in der Realität trainiert werden. Damit sich die Übungen beim Hund festigen können, ist es wünschenswert, sie mehrmals täglich zu trainieren. Die Dauer einer Übungseinheit von 2 Minuten darf anfangs keinesfalls überschritten werden. Auf diese Weise lernen die Hunde in Etappen, sie werden also nicht überfordert und die Frustration beim Lernen bleibt aus. Entscheidend für die Hunde ist, dass sie Spaß am Lernen haben, dieses lediglich positiv erfolgt und in guter Erinnerung bleibt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass das Lernen der Hunde bzw. die Übungseinheiten spielerisch erfolgen (ebd.). Die Patenfamilien üben unter anderem mit den Hunden die sog. Hörzeichen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Beim Verein Partner-Hunde Österreich setzen sich die Hörzeichen aus einer Mischung der deutschen, italienischen, englischen und lateinischen Sprache zusammen. Dieser Sprachenmix erhöht die Konzentration des Hundes und verhindert, dass Außenstehende bei der Erziehung mitreden. Befolgt der Hund die Hörzeichen, werden die Spaziergänge ausgeweitet und finden nicht mehr ausschließlich auf der Hundewiese, sondern überwiegend in freier Natur statt. Ziel ist es, dass der Hund in der Lage ist, ohne Leine zu laufen. Denn für einen Rollstuhlfahrer ist es nicht oder nur schwer möglich, den Hund an der Leine zu führen (ebd.). 7.3 Das Intensiv- bzw. Spezialtraining Die dritte Ausbildungsphase widmet sich dem Intensiv- bzw. Spezialtraining zum Behindertenbegleithund, auch Service Dog genannt (GREIFFENHAGEN, BUCKWERNER, 2007: 250). Dieses Spezialtraining erfolgt unmittelbar, nachdem der Aufenthalt in den Patenfamilien beendet ist. 40 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund Inhalt des Spezialtrainings ist, dass die Hunde ein mehrwöchiges Trainingsprogramm durchlaufen, bei dem sie die notwendigen Kommandos und Fertigkeiten erlernen, die sie in ihrer zukünftigen Alltagsarbeit als Behindertenbegleithund benötigen. Zu den Übungseinheiten gehört beispielsweise, dass der Hund lernt, gemeinsam mit seinem Rollstuhlfahrer durch die Kasse eines Supermarktes zu gelangen (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Wird mit den Hunden trainiert, werden ihre individuellen Stärken und Schwächen berücksichtigt und dementsprechend der Besitzer ausgewählt (GREIFFENHAGEN, BUCK-W ERNER, 2007: 250). Auf einen Behindertenbegleithund wirkt sich positiv aus, wenn er zu einem Besitzer darf, bei dem er überwiegend die Hilfestellungen auszuführen hat, die er gerne ausführt. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass der Hund auch langfristig Spaß und Freude an seiner Arbeit empfinden wird (ebd.). Nicht jeder Hund verfügt über die Anlagen, ein geeigneter Behindertenbegleithund zu werden (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Ein Viertel der Hunde scheidet nach dem Spezialtraining aus. Die Ursachen können gesundheitlicher Art sein, wie zum Beispiel der Anlage zu Hüftdysplasie. Ebenso kann während des Spezialtrainings festgestellt werden, dass der Charakter des Hundes, der eine entscheidende Rolle spielt, doch nicht ganz passend ist, um die Aufgabe eines Behindertenbegleithundes erfüllen zu können. Die Hunde, die nicht als Behindertenbegleithunde eingesetzt werden können, gehen in vielen Fällen in ihre Patenfamilien zurück und sie werden als Besuchshunde beispielsweise in Altenheimen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und anderen Institutionen eingesetzt (ebd.). 7.4 Zusammenführung von Mensch und Behindertenbegleithund zum sog. Team In manchen Konzeptionen ist es vorgesehen, dass Bestandteile des Intensivtrainings beim zukünftigen Besitzer zuhause in der Umgebung stattfinden, in welcher der Behindertenbegleithund nach dem Spezialtraining leben und arbeiten wird. Eine weitere Möglichkeit ist, dass das Spezialtraining kontinuierlich auf dem Trainingsgelände des Vereins oder der Institution stattfindet (GREIFFENHAGEN, BUCKWERNER, 2007: 250). Das allerwichtigste ist der konsequente Umgang mit dem Hund. Die Kommandos und Hörzeichen, sowie Stimmlagen und Gesten müssen eindeutig aufeinander abgestimmt und für den Hund verständlich sein. Unbedingt notwendig ist außer41 7 Zur Ausbildung zum Behindertenbegleithund dem, dass der zukünftige Hundehalter lernt, um ein erwünschtes Verhalten beim Hund erreichen zu können, ausschließlich nach dem Prinzip der Belohnung ohne Zwang zu arbeiten. Diese Arbeitsweise liefert langfristig die besten ausgebildeten Hunde. Die beste Voraussetzung für die optimale Kooperation zwischen dem Hund und seinem Besitzer besteht in der Harmonie zwischen den beiden. Bevor die endgültige Übernahme des Behindertenbegleithundes seitens des Besitzers erfolgen kann, ist es wichtig, dass beide aneinander gewöhnt und intensiv eingearbeitet werden. Das setzt u. a. tägliches Training voraus. Am Ende der Einarbeitung muss sich der zukünftige Besitzer einer Prüfung unterziehen (ebd.). Die theoretische und die praktische Prüfung Die theoretische Prüfung beinhaltet unter anderem die Verhaltensentwicklung, sowie das Lern- und Ausdrucksverhalten des Hundes (BHV-Seminarweiterbildung Hunde für Handicaps e.V. Berlin Behindertenbegleithunde: 2008: 37). Ebenso gefragt sind Kenntnisse der Gesundheitsprophylaxe. Die praktische Prüfung beinhaltet den Umgang des zukünftigen Besitzers mit seinem Behindertenbegleithund. Wesentlich im praktischen Umgang ist, dass der Hund und sein Besitzer als Team gut kooperieren und der Besitzer auch in Stresssituationen in der Lage ist, angemessen zu reagieren. Besonders wichtig dabei ist, dass der Besitzer seinen Hund jederzeit kontrollieren kann. Das Team wird unter anderem bezüglich des Verhaltens in der Stadt, der Distanzkontrolle sowie bezüglich der Beförderung in Bus und Bahn geprüft. Auch das Apportieren und das Freizeitverhalten des Hundes stellen Inhalte der Prüfung dar (a. a. O.: 38). 7.5 Übergabefeier des Vereins Partner-Hunde Österreich Erst bei der sog. Übergabefeier erhalten die Teams des Vereins Partner-Hunde Österreich das Brustgeschirr und einen vom Amt der Salzburger Landesregierung ausgestellten Ausweis (Beitrag „Partner Hund“ der Sendung „Österreich-Bild“, gesendet am 13.05.2007, 18:25, ORF2). Mit diesem Ausweis ist es den Menschen mit Behinderung innerhalb Österreichs möglich, ihren Behindertenbegleithund in öffentliche Gebäude mitzunehmen. Außerdem bietet die Übergabefeier die Möglichkeit, dem Vereinsvorstand und Sponsoren zu danken (ebd.). 42 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.1 Forschungsfrage Wie gestaltet sich der Alltag eines Menschen mit körperlicher Behinderung, wenn Unterstützung durch einen Behindertenbegleithund vorhanden ist? 8.2 Überlegungen zum methodischen Vorgehen Das Lebenslagekonzept liegt der Auswertung meiner Forschungsfrage zugrunde. Es gibt mir die Möglichkeit, unterschiedliche Dimensionen und Strukturen, die das alltägliche Handeln des Menschen bestimmen, zu erfassen und zu analysieren. Mit meiner Arbeit soll aufgezeigt werden, wie sich die Lebenslage einer Rollstuhlfahrerin gestaltet, die seit einem Jahr mit einem Behindertenbegleithund zusammenlebt. 8.2.1 Zum Forschungsinstrument Die empirische Sozialforschung umfasst verschiedene Methoden, mit denen Wirklichkeit so zuverlässig wie möglich dargestellt werden soll (STEINERT, THIELE 2000: 29). So ist zwischen quantitativen und qualitativen Methoden zu unterscheiden. Im Vergleich zu quantitativen Methoden zeichnet sich der qualitative Ansatz durch wesentlich größere Offenheit und Flexibilität aus. So sind qualitative Interviews frei und explorativ (ebd.). Die Zielsetzung der qualitativen Interviews besteht darin, umfassende Gedanken der befragten Personen auf ein bestimmtes Thema bezogen sowie deren Strukturen und deren Muster in Zusammenhängen zu erfassen (STEINERT, THIELE 2000: 100). Das mündlich und persönlich durchgeführte Interview eignet sich dafür am besten und wird auch am häufigsten angewandt. Der qualitativen Befragung liegt ein grober thematischer Leitfaden zugrunde, wobei auf standardisierte Vorgaben soweit wie möglich verzichtet wird, d. h., die Reihenfolge und Gestaltung der Fragen sind flexibel und die Antwortmöglichkeiten der Gesprächspartner unbeschränkt. Für die soziale Arbeit sind qualitative Forschungsmethoden von besonderer Bedeutung. „Damit kann dem Fallbezug, der Komplexität von Handlungsfeldern und 43 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Problemlagen, wie auch der Prozessbezogenheit von Ereignissen Rechnung getragen werden (ebd.).“ Ich habe mich für das halbstandardisierte Interview entschieden. Dies ist optimal geeignet, wenn Themenbereiche vorab klar abgesteckt werden können bzw. einzelne Bewertungsdimensionen abgefragt werden sollen (ATTESLANDER 2008: 131). Dabei werden Einzelpersonen anhand von Leitfragen befragt (ebd.). Es können sowohl geschlossene als auch offene Fragen angewandt werden (ATTESLANDER 161 2003, zit. n. ATTESLANDER et al., 1993).Die offenen Fragen enthalten keine festen Antwortkategorien (ATTESLANDER 2003: 161). Das bedeutet, dass die Person ihre Antwort völlig selbstständig formulieren kann. Die offenen Fragen werden bei Experteninterviews und Gruppendiskussionen verfolgt. Der Interviewer hat die Aufgabe, die Äußerungen der Auskunftsperson so genau wie möglich zu notieren (ebd.). Diese notierten Äußerungen werden später bei der Auswertung in bestimmte Kategorien eingeteilt und dann werden bestimmte Begriffe zu Indikatoren zugeordnet (ATTESLANDER 2008: 40). Dadurch werden empirische Messungen möglich (ebd.). Da meine Interviewpartnerin in Köln lebt, habe ich mich für ein Telefoninterview entschieden. Markt- und Meinungsforschung wickeln heute einen Großteil ihre Umfragen anhand von Telefoninterviews ab (ATTESLANDER 2008: 148). Die Schätzungen, wie viele Interviews mittlerweile in den modernen Gesellschaften per Telefon geführt werden, schwanken zwischen 50% und 90% (ATTESLANDER 2008, zit. n. CANNEL 1985, ANDERS 1982: 77). Die Vorteile von Telefoninterviews sind eine erhöhte Erreichbarkeit der Interviewpartner. Der Interviewer hat die Möglichkeit, die Daten sehr zeitnah zu verarbeiten und durch das Telefoninterview kann bei Ausfällen der Person, die interviewt werden soll, schneller Ersatz gefunden werden. Nachteile der Telefoninterviews sind u. a., dass sich die Situation aufgrund räumlicher Trennung erschwert kontrollieren lässt. Auch ist es von Nachteil, so Atteslander, dass eine Begrenzung auf einfache Fragestellungen erforderlich ist (ebd.). 8.2.2 Auswahl der Interviewpartnerin und Setting Die Interviewpartnerin wurde gewählt, weil sie eine körperliche Behinderung hat und Rollstuhlfahrerin ist. Außerdem lebt sie seit einem Jahr mit ihrem Behindertenbegleithund zusammen. Ein relevanter Faktor bei der Auswahl dieser Person ist auch, dass sie Soziale Arbeit studiert. Weil die Person, mit der das Interview geführt wurde, in Köln lebt, wurde das Interview telefonisch abgehalten, in dem es auf ein Diktiergerät gesprochen und im 44 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Anschluss wörtlich transkribiert wurde (vgl. Anhang II). Demzufolge fand es sowohl in Weingarten (Württemberg) als auch in Köln statt Das Interview erstreckte sich über die Dauer von 27 Minuten. Es verlief störungsfrei. 8.3 Das Lebenslagekonzept Das Lebenslagekonzept, das von verschiedenen Sozialwissenschaftlern mitgestaltet wurde, ist ein sozialwissenschaftliches Modell, welches entwickelt wurde, um die Lebenssituation und das Verhalten von Menschen analysieren zu können (W ALZ 2007: 4). Für Friedrich Engels waren dabei zwei Perspektiven relevant. Eine Perspektive geht davon aus, dass menschliches Verhalten Produkt der zu Grunde liegenden sozio-ökologischen Verhältnisse, den sog. objektiven Dimensionen ist. Die zweite Perspektive fokussiert das individuelle Handeln der Menschen innerhalb ihrer äußeren Verhältnisse. Diese Perspektive beinhaltet die sog. subjektiven Dimensionen. Unter die subjektiven Dimensionen fallen Einstellungen und Lebensstimmungen der Menschen in ihrer Situation (ebd.). „Das Ziel der Sozialarbeit ist die Verbesserung der Lebenslage von notleidenden Menschen in einer Gesellschaft (W ENDT 1982,1).“ Das Lebenslagekonzept beinhaltet nach Wolf Rainer Wendt vier relevante Dimensionen. Die Lebenslage Die Lebenslage eines Menschen (Individuum) ist immer abhängig von den Faktoren Umwelt, Lebensgeschichte, Innenwelt, sowie von dem Faktor der Perspektiven. (W ALZ 2007: 4). Individuum Perspektiven Lebensgeschichte Umwelt Innenwelt Abb. 6: Dimensionen der Lebenslage nach WENDT 45 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.3.1 Dimensionen Umwelt An erster Stelle werden die objektiven Lebensbedingungen, also die äußeren Rahmenbedingungen, die das Individuum umgeben, fokussiert. Ein Bestandteil der objektiven Lebensbedingungen stellt die Umwelt, auch Außenwelt oder Sozialraum genannt, dar. Wird die Umwelt genauer betrachtet, sind erwerbbare Merkmale wie Beruf, Einkommen, Bildung/Wissen, Wohnung, Werte/Normen, soziale Kontakte, Freizeitverhalten sowie die Gesundheit des Individuums von Bedeutung. Ebenso sind unter dem Aspekt der Umwelt zugeschriebene Merkmale, wie das Geschlecht eines Individuums sowie dessen Alter, dessen Nationalität, dessen Religion oder der Familienstand relevant. Manche Merkmale, die unter zugeschriebene Merkmale fallen, lassen sich in erwerbbare Merkmale umändern. Das ist beispielsweise bei Veränderungen der Religionszugehörigkeit, des Wohnortes oder des Familienstandes gegeben. Die sog. Mitwelt fokussiert ebenfalls einen Teil der Umwelt des Individuums, allerdings geht es hier um subjektive Dimensionen. Die Mitwelt steht dafür, wie ein Individuum von seinen Mitmenschen wahrgenommen wird und welche Mitmenschen dem Individuum wichtig sind. Auch, weil das Individuum selbst entscheidet, welche Menschen ihm wichtig sind, gehört dieser Teil der Umwelt zu den subjektiven Dimensionen. Im Folgenden werden weitere subjektive Dimensionen erläutert (ebd.). Lebensgeschichte Neben der Umwelt eines Individuums nimmt an zweiter Stelle dessen Lebensgeschichte einen elementaren Stellenwert ein. Die Lebensgeschichte ist im Wesentlichen von der Biografie eines Menschen sowie von positiven als auch von negativen Lebensereignissen geprägt, mit denen ein Mensch im Laufe seines Lebens konfrontiert wird. Aufgrund positiver wie negativer Erfahrungen ist das Handeln bzw. das Verhalten eines Menschen geprägt. Außerdem sind bei den Lebensereignissen der Beruf bzw. die Tätigkeit eines Menschen und seine Hobbys von Bedeutung. Des Weiteren fallen unter den Aspekt der Lebensgeschichte bzw. der Lebensereignisse wichtige Werte, wie beispielsweise religiöse und spirituelle Bedürfnisse. Abhängig von den Erfahrungen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens macht, ist auch, auf welche Art und Weise der Mensch Krisen bewältigt. In diesem Zusammenhang tritt auch die Frage auf, wie sich das Individuum selbst wahrnimmt (ebd.). 46 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Innenwelt Der dritte Bestandteil, die Innenwelt, beinhaltet, wie der Mensch sich selbst wahrnimmt. Die Innenwelt stellt das subjektive Erleben des Menschen dar. Sie ist abhängig von seinen Lebensbedingungen, den individuellen Bewältigungsstrategien, seinen Verhaltensmustern, seinen Bedürfnissen und seiner Zufriedenheit. Ist die Innenwelt eines Menschen abhängig von den Lebensbedingungen, liegt nahe, dass in Bezug auf die Innenwelt auch die Lebensgeschichte des Individuums von großer Bedeutung ist. Wichtige Elemente der Lebensgeschichte stellen Handlungsspielräume wie beispielsweise der Versorgungs- und Einkommensspielraum sowie der Kontakt- und Kooperationsspielraum dar. Beim Kontakt- und Kooperationsspielraum spielen die Kommunikation und die Interaktion zwischen Menschen die zentrale Rolle. Der Lern- und Erfahrungsspielraum beinhaltet die Entfaltung und Umsetzung von Möglichkeiten, die einem Menschen im Laufe seines Lebens gegeben sind. Der Muse- und Regenerationsspielraum beinhaltet den psychischen Ausgleich des Menschen. Eine wichtige Bedeutung kommt auch dem Dispositions- und Partizipationsspielraum zu. Dieser beinhaltet Möglichkeiten an Beteiligung und Mitbestimmung in verschiedenen Lebensbereichen innerhalb der Gesellschaft (ebd.). Perspektiven Als viertes und letztes gehören die Perspektiven eines Menschen zu seiner Lebenslage. Welche Perspektiven hat ein Mensch in seiner Lebenslage? Sind diese realistisch oder unrealistisch? Diese Fragen gehören zu den Aussichten, die ein Mensch hat. Die Perspektiven sind ausschlaggebend dafür, wie Menschen ihre Zukunft sehen (ebd.). Auf der Meso- Ebene sind weitere vier Faktoren von Bedeutung. 47 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Superstruktur Lebensgeschichte Wirkstruktur Chancenstruktur Individuum Perspektiven Routinen Umwelt Innenwelt Infrastruktur Abb. 7: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT 8.3.2 Strukturen Superstruktur Mit der Superstruktur sind die objektiven, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gemeint. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirtschaftliche und kulturelle Gesetzmäßigkeiten sowie gesetzliche Grundlagen. Die Rahmenbedingungen sind in verschiedene Stufen unterteilt. So gibt es Rahmenbedingungen der direkten Lebenswelt von Menschen. Das ist beispielsweise die Gemeinde oder die Stadt, in der die Menschen leben. Weitere Rahmenbedingungen sind die des Landes, der Europäischen Union und der ganzen Welt. Die Superstruktur beinhaltet also politische, ökonomische, rechtliche und sozialpolitische Aspekte (ebd.). Routinen Bei den Routinen handelt es sich um menschliche Verhaltensweisen. Sie sind entweder sozialökonomisch bzw. soziokulturell bedingt oder die Verhaltensweisen wurden im Laufe des Lebens erlernt und durch die Sozialisation geprägt. Eine solche erlernte Handlungsweise ist beispielsweise das Verhalten als Mann oder als Frau (Geschlechterrolle). Dieses Verhalten ist mit der Sozialisation erlernt. 48 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Die menschlichen Verhaltensweisen sind geprägt von der Familie und dem gesellschaftlichen Kontext, wie Freunde oder der Arbeitswelt, in welchem der Mensch lebt. Diese Bestandteile, die menschliches Verhalten prägen, formen die Persönlichkeit eines Menschen (ebd.). Infrastruktur Unter die Infrastruktur fällt das Netzwerk der Einrichtungen und Förderungsangebote für das Individuum. Dazu gehören die Rahmenbedingungen der Einrichtungen oder der Verkehrswege, um dort hinzugelangen. Aber auch Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze und kulturelle Institutionen, wie Volkshochschulen, umfassen die Infrastruktur (ebd.). Die Chancen Durch empirische Untersuchungen kann innerhalb einer Region festgestellt werden, wie Menschen, die dort leben, in einzelnen Bereichen gefördert werden. Sind Förderungs- und Beratungsangebote in Ravensburg beispielsweise bezüglich der Arbeitsvermittlung qualitativ und für die Bürger gut zugänglich, können dort mehr Menschen in Arbeit vermittelt werden. Eine qualitative Vermittlung eröffnet den Bürgern gute Chancen, an Arbeit zu gelangen. So wird ihnen schneller ermöglicht, unabhängig vom Staat leben zu können. Verfügt beispielsweise in Hannover das Beratungsangebot der Arbeitsvermittlung über weniger Qualität, kann sich das auf die Zahl auswirken, wie viele Menschen sich in Hannover in Arbeit befinden. Die Wirk- und Chancenstruktur von Menschen ist also auch immer davon abhängig, wie die Infrastruktur mit ihren Möglichkeiten und Angeboten innerhalb einer Region gestaltet ist. Die Wirkstruktur ist das, was in der Region, in der empirische Untersuchungen durchgeführt wurden, zum Ergebnis führt (ebd.). 8.3.3 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich das Lebenslagekonzept folgendermaßen beschreiben. Es geht davon aus, dass jeder Mensch seine Grundanliegen und Bedürfnisse befriedigen möchte. Diese Bedürfnisse können materieller oder immaterieller Art sein. Ist der Mensch bestrebt, materielle Bedürfnisse zu befriedigen, beeinflusst dies das Konsumverhalten eines Menschen. Der Mensch fasst dann beispielsweise den Entschluss, eine Wohnung zu kaufen, um langfristig nicht in Miete leben zu müssen. Sind immaterielle Bedürfnisse beim Individuum von Bedeutung, legt dieses sein Augenmerk beispielsweise auf Selbstverwirklichung oder auf Gesundheit. Die Bedürfnisse der Menschen und die Art und Weise, wie diese Bedürfnisse befriedigt 49 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts werden können, beeinflussen und prägen ihre Lebenslage. Das Konzept will die Lebensverhältnisse der Menschen in ihrer Gesamtheit erfassen. Es wird danach gefragt, wie die Versorgungslage bzw. die Ausstattung in den verschiedenen Lebensbereichen aussieht. Das Lebenslagekonzept ist sowohl durch die Vielschichtigkeit der Lebenslage als auch durch die Abhängigkeiten der verschiedenen Bereiche, die Lebenslage ausmacht, charakterisiert (BURRI, 1997). 8.4 Auswertung des Interviews Anhand der Ebenen des Lebenslagekonzepts nach Wendt soll aufgezeigt werden, wie sich die Lebenslage einer Rollstuhlfahrerin gestaltet, die seit einem Jahr mit einem Behindertenbegleithund zusammenlebt. Die Rollstuhlfahrerin P. ist im Rahmen der Diplomarbeit interviewt worden, siehe Anhang. Superstruktur Lebensgeschichte Wirkstruktur Chancenstruktur Individuum Perspektiven Routinen Umwelt Innenwelt Infrastruktur Abb. 8: Dimensionen und Strukturen der Lebenslage nach WENDT 50 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.1 Zur Dimension der Umwelt Zitatstellen (Interview Zeile) 39-41 Zitatbeispiele Paraphrasen (…) fortschreitende Behinderung. Zum momentanen Zeitpunkt ist es so, dass ich Rollstuhlfahrer bin, (…) Fortschreitende Behinderung, mit ungewissem Verlauf, bei der die Muskulatur immer schwächer wird. Netzwerk der Unterstützung durch persönliche Assistenz und den BBH. Behinderungsbild Die Anzahl der Stunden an menschlicher Hilfe war höher vor dem BBH. Reduzierung der Stunden an menschlicher Hilfe. Täglicher Hilfebedarf an menschlicher Hilfe vor BBH. 275 (…) beim Anziehen 281-283 (…) häuslichen Hilfen, beim Einkaufen, beim Kochen, auch wenn ich außerhalb unterwegs bin und ich auf die Toilette gehen kann. (…) das waren 10 bis12 Stunden. 296 290 (…) sechs Stunden. 370-371 (…) ich bin viel draußen. Ich habe ja meine Umwelt ganz neu erschlossen.(…) (…) im Vergleich zu früher werde ich mehr angesprochen, die Leute sehen in der Regel erstmal Emily, bevor sie den Rollstuhl sehen. (…) dadurch (…) Kommunikation einfach (…) unverkrampfter, spontaner. 425-428 Erschließung neuer Lebensräume durch BBH. Die Kommunikation mit den Mitmenschen ist leichter. Indikatoren Hilfestellung durch menschliche Hilfe. Reduzierung des täglichen menschlichen Hilfebedarfs durch BBH. Erweiterte Freizeitmöglichkeiten. BBH als erster Ansprechpartner bei Kontakten. Tab. 6: Zur Dimension der Umwelt 51 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Die Lebenslage eines Menschen (Individuum) ist immer von bestimmten Faktoren abhängig. An erster Stelle des Lebenslagekonzepts nach Wendt werden die objektiven Lebensbedingungen, also die äußeren Rahmenbedingungen, die das Individuum umgeben, fokussiert. Die Person P ist weiblich und 24 Jahre alt. Ihre Behinderung ist eine Progressive Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp 2i. Es handelt sich um eine fortschreitende Behinderung und zum momentanen Zeitpunkt ist P Rollstuhlfahrerin. P lebt eigenständig. Hilfestellungen im Alltag erhält sie durch ihren Behindertenbegleithund Emily und durch menschliche Hilfestellungen in Form von Assistenzleistungen. Durch den Behindertenbegleithund an ihrer Seite hat P eine Hilfe auf vier Beinen im Alltag und ist so unabhängiger von menschlicher Hilfe. Der Behindertenbegleithund hebt alles auf, was P. herunterfällt. Dabei handelt es sich u. a. um Stifte oder um die Schlüssel. Auch ist es dem Behindertenbegleithund möglich, kleine Taschen zu tragen und P aus der Jacke zu helfen. Durch den Behindertenbegleithund gestaltet sich für P außerdem der Kontakt- und Kooperationsspielraum neu. Den Menschen fällt es durch den Hund leichter auf P zuzugehen und sie anzusprechen. Dadurch können Kontakte entstehen. 52 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.2 Zur Dimension der Lebensgeschichte Zitatstellen (Interview Zeile) 82 423-424 438-439 325-329 335 336-337 Zitatbeispiele Paraphrasen (…) seit Januar 2008. Die Person, die interviewt wurde, hat ihren BBH seit einem Jahr. Zwischenmenschliche Interaktion und Kommunikation. Zeit des Zusammenlebens mit BBH. Der BBH nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen und Pflichten zu erfüllen. Das bedeutet, dass der Alltag gut organisiert und strukturiert sein muss. BBH wird sowohl als Dienstleister als auch als Tier wahrgenommen. (…) Ich werde aber auch von meiner Umwelt ganz anders wahrgenommen. (…) Die Leute sind einfach interessierter und schauen nicht betreten weg oder sind unbeholfen. (…) Negativ ist das natürlich (…), auch sehr viel Zeit drauf geht. Ich geh` dreimal am Tag mit ihr raus, das sind über den Daumen gepeilt 3 bis 4 Stunden, die durch Füttern, Pflegen usw. allein schon für den Hund draufgehen. (…) bei behinderten Menschen ist der Tag kürzer als bei gesunden Menschen. (…) Weil man einfach für sämtliche Tätigkeiten länger braucht. (…) (…) das ins Auto Steigen. Bei mir dauert das halt 10 Minuten und bei meinen Mitmenschen dauert es 30 Sekunden. Indikatoren Positive Erfahrungen seitdem ein BBH assistiert. Tab. 7: Zur Dimension der Lebensgeschichte 53 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Neben der Umwelt eines Individuums nimmt an zweiter Stelle die Dimension Lebensgeschichte einen elementaren Stellenwert ein. Diese ist sowohl von positiven als auch von negativen Lebensereignissen, mit denen ein Mensch im Laufe seines Lebens konfrontiert wird, geprägt. Die Menschen gehen offener auf P zu und sie wird durch den Behindertenbegleithund positiver wahrgenommen. Negativ ist, dass der Behindertenbegleithund z. B. durch ausgiebige Spaziergänge sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, da für Menschen mit Behinderung der Tag kürzer ist, als für Menschen ohne Behinderung. Menschen mit Behinderung benötigen für sämtliche Tätigkeiten mehr Zeit. Bei P dauert das Einsteigen ins Auto 10 Minuten und bei Menschen ohne Behinderung dauert es 30 Sekunden. Das bedeutet, dass durch den Hund die zur Verfügung stehende Zeit verkürzt wird. 54 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.3 Zur Dimension der Innenwelt Zitatstellen (Interview Zeile) 320-321 321-325 471-475 Zitatbeispiele Paraphrasen Indikatoren Verbessert hat sich eben zum einen, dass ich die Hilfe habe und dadurch unabhängiger von menschlicher Hilfe werde. (…) (…) der Begriff Hilfe bekommt eine ganz neue Dimension für mich, weil Emily das alles sehr, sehr freudig tut. Hilfe ist ja in meiner Situation in erster Linie das, was abhängig macht und vielleicht auch ein Stück weit negativ besetzt ist. Durch Emily bekommt es einen positiven Charakter. (…) (...) unangenehm, wenn man zum dritten Mal die Haarbürste runter schmeißt, weil irgendwann das Gegenüber auch genervt ist. Es spielen ja auch Stimmungen mit in dieser Abhängigkeit, die durch Hilfe entsteht. Bei Emily bin ich von diesen Stimmungen natürlich in gewisser Weise befreit, d.h., ich kann einen Wunsch äußern und sie erfüllt ihn mir. Unabhängiger von menschlicher Hilfe sein zu können führt zu mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit. Größere Unabhängigkeit von menschlicher Hilfe durch BBH. Auf Hilfe angewiesen zu sein bekommt durch die Liebe des Tieres einen positiven Charakter. Durch den BBH ist Abhängigkeit nicht mehr nur Defizit orientiert. Unabhängiger von menschlicher Hilfe zu sein bringt weniger Konfliktpotenzial mit sich. Weniger zwischenmenschliche Konfliktsituationen durch BBH. 55 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 463-465 384-389 420-423 423-425 (...) wenn mir am Tag 20 Dinge runterfallen, dann steht Emily nach dem 20. Mal neben mir und guckt mich an, wie wenn sie sagen würde, schmeiß noch mal etwas runter, weil sie Spaß und Freude daran hat. Natürlich hat sich auch seelisch (…) und in meiner Stimmungslage viel verändert, (…) mit Emily beginnt jeder Tag grundsätzlich erst einmal gut. Sobald ich mich morgens im Bett rege, steht sie auf und steht wedelnd neben mir. Das zaubert einfach ein Lächeln auf die Lippen, egal, ob eine Prüfung ansteht oder schlechtes Wetter ist. Es ist natürlich auch eine Gesellschaft, die da ist. Sie tut einfach gut. (…) das Wichtigste ist, dass ich weniger alleine bin. Ich habe einfach eine dauerhafte Gesellschaft und den treuesten Freund und Partner an meiner Seite, den man haben kann, das ist mit Sicherheit ganz wichtig. Dann hab` ich eben aktive Hilfe im Alltag. Ich werde (…) auch von meiner Umwelt ganz anders wahrgenommen. (…), Emily ist schon eine Art Vermittler zwischen Rollstuhlfahrer und Fußgänger. (…) Der Hund ist nicht nachtragend und macht Menschen keine Vorwürfe. Wertfreie Hilfestellung durch den Hund. Das Zusammenleben mit dem Hund und dessen Wertschätzung bereitet Freude. Der BBH trägt zu mehr Ausgeglichenheit bei. Durch den BBH ist man vor Einsamkeit bewahrt und erhält Hilfestellung im Alltag. Psychische Stabilität und Ausgeglichenheit, sowie Wohlbefinden durch den BBH. Die Behinderung steht nicht mehr im Vordergrund. Selbstbewussteres Auftreten durch BBH. 56 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 425-428 452-454 404-410 (…) im Vergleich zu früher werde ich mehr angesprochen, die Leute sehen in der Regel erstmals Emily, bevor sie den Rollstuhl sehen. (…) dadurch (…) Kommunikation (…) unverkrampfter, spontaner. (…) ich bin (…) positiver in meiner Lebenseinstellung geworden, ich bin spontaner (…) aktiver und selbstbewusster geworden. (…) (...) früher habe ich mich vielleicht mit einer Freundin irgendwo im Café getroffen und heute treff` ich mich am Waldcafé, d.h. an dem Café hängt einfach ein zwei- bis dreistündiger Spaziergang dran oder ich treff` mich (…) mit meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich gehe freiwillig drei bis vier Stunden in den Wald und trainiere mit meinem Hund und auch mit den anderen Hunden. Früher waren das (…) mehr die OttonormalverbraucherDinge, die man so tut (…). Die Kommunikation mit den Mitmenschen ist leichter. Weniger Barrieren durch den BBH. Der Hund strahlt etwas Positives aus, das sich auf den Menschen überträgt. Positivere Lebenseinstellung durch BBH. Die Freizeitgestaltung in freier Natur trägt für den Halter zum Ausgleich von Körper, Geist und Seele bei. Freizeitgestaltung mit dem BBH. Tab. 8: Zur Dimension der Innenwelt Der dritte Bestandteil, die Innenwelt, beinhaltet, wie der Mensch sich selbst wahrnimmt. Die Innenwelt, das subjektive Erleben des Menschen, ist abhängig von seinen Lebensbedingungen, den individuellen Bewältigungsstrategien, seinen Verhaltensmustern, seinen Bedürfnissen und seiner Zufriedenheit. P sagt über sich selbst, dass sie positiver in ihrer Lebenseinstellung sowie spontaner, aktiver und selbstbewusster geworden ist. 57 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts Für einen Menschen mit Behinderung, der auf menschliche Hilfe angewiesen ist, ist es unangenehm, wenn zum dritten Mal die Haarbürste hinunterfällt, weil irgendwann die Assistenzperson genervt ist. Befinden sich Menschen mit Behinderung in solch einem Abhängigkeitsverhältnis, werden sie in vielen Situationen mit Spannungen konfrontiert. Durch Emily bekommt die Tatsache, dass man auf Hilfe angewiesen ist, einen positiven Charakter. Bei Emily ist P von diesen Stimmungen befreit. P kann einen Wunsch äußern und ihr Behindertenbegleithund erfüllt ihn ihr. Durch den Behindertenbegleithund ist P zwischenmenschlichen Spannungen weniger ausgesetzt. „(…) wenn mir am Tag 20 Dinge runterfallen, dann steht Emily nach dem 20. Mal neben mir und guckt mich an, wie wenn sie sagen würde, schmeiße noch mal etwas runter, weil sie Spaß und Freude daran hat.“ Aus diesem Grund hat sich die Stimmungslage von P verändert. Der Handlungsspielraum, der hier u. a. von Bedeutung ist, ist der Muse- und Regenerationsspielraum, der den psychischen Ausgleich des Menschen beinhaltet. Dass der Behindertenbegleithund Emily zur psychischen Stabilität sowie zum Ausgleich von P beiträgt, wird u. a. im folgenden Zitat deutlich: „(…) mit Emily beginnt jeder Tag grundsätzlich erst einmal gut. Sobald ich mich morgens im Bett rege, steht sie auf und steht wedelnd neben mir. Das zaubert einfach ein Lächeln auf die Lippen, egal ob eine Prüfung ansteht oder schlechtes Wetter ist. Es ist natürlich auch eine Gesellschaft, die da ist. Sie tut einfach gut. (…) das Wichtigste ist, dass ich weniger alleine bin. Ich habe einfach eine dauerhafte Gesellschaft und den treuesten Freund und Partner an meiner Seite, den man haben kann, das ist mit Sicherheit ganz wichtig (…).“ Bezüglich der Freizeitgestaltung hat P, bevor sie ihren Behindertenbegleithund hatte, auch schon viel unternommen, doch durch Emily hat sich die Art und Weise der Freizeitgestaltung verändert. P hat durch Emily ihre Umwelt ganz neu erschlossen. Das bedeutet, dass P Gegenden kennen gelernt hat, die sich ihr früher ohne Hund nicht erschlossen haben, weil sie sich nicht in Form von langen Spaziergängen in der Natur aufgehalten hat. Durch ihren Behindertenbegleithund Emily verbringt P viel Zeit mit den Vereinsmitgliedern von Vita. Gemeinsam sind sie viel unterwegs und trainieren mit ihren Hunden. Dadurch, dass der Behindertenbegleithund für P zum Hobby geworden ist, konnte ihre Aktivität gesteigert werden. Ebenso können bestimmte Barrieren leichter überwunden werden. Das ist z. B. im zwischenmenschlichen Bereich gegeben. Den Menschen fällt es durch den Hund leichter auf P zuzugehen und sie anzusprechen. 58 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.4 Zur Dimension der Perspektiven Zitatstellen (Interview Zeile) 106 Zitatbeispiele Ich studiere Soziale Arbeit. (…) 132 Ja, ich fahr selber Auto. 149-150 (…) während ich da bin, ist Emily ja vor Ort. (…) mir aus der Jacke helfen, oder mir Stifte, Schlüssel (…) das, was mir gerade runterfällt, aufzuheben. Sie trägt mir auch leichte Taschen. (…) bin ich für die Zeit meiner Tätigkeit alleine und werde später wieder abgeholt von meiner Assistenz. Meine Kommilitonen reagieren unverkrampfter und ich werde natürlich auch öfter angesprochen. (…) 157-158 183-185 345-347 436-437 257-259 (…) Wenn Emily neben mir sitzt, ich sie händel und ihr sage, was sie zu tun hat, dann sprechen mich die Leute einfach an (…) (…) wenn ich ihr sage: Such` das Telefon. (…) Dann holt die Emi es mir. (…) Paraphrasen Indikatoren Interviewpartnerin befindet sich in einem Studium. Interviewpartnerin ist es möglich, Auto zu fahren. Verwirklichungschancen bezüglich Bildung vorhanden. Bewältigung von größeren Distanzen, Erschließung von Standorten. Weniger Hilfestellung durch den BBH im Alltag. Durch BBH keine menschliche Hilfestellung während der Vorlesungszeiten und während der Arbeit. Durch den Hund entsteht Kommunikation und zwischenmenschliche Barrieren werden beseitigt, sowie neue Zugangsmöglichkeiten geschaffen. Durch den Hund entsteht Kommunikation und zwischenmenschliche Barrieren werden beseitigt. Der Zugang zu Mitmenschen wird leichtert. Schnelles Erreichen des Telefons möglich. Hilfestellung durch BBH. Offener Umgang einer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung. 59 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 227-230 405-410 (…) spät abends (…) die Emily mir aus den Anziehsachen hilft. Waschen kann ich mich noch alleine und sie übernimmt dann auch die letzte Aufgabe des Tages, nämlich mir die Beine ins Bett zu heben, wofür ich sonst eigentlich noch eine Assistenz benötigen würde. (…) heute treff` ich mich am Waldcafé, d.h. an dem Café hängt einfach auch ein zwei- bis dreistündiger Spaziergang dran, oder ich treff` mich (…) mit meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich gehe freiwillig drei bis vier Stunden in den Wald und trainiere mit meinem Hund und auch mit den anderen Hunden. Früher waren das so ein bisschen mehr die Ottonormalverbraucher-Dinge, die man so tut (…) BBH ist Hilfe beim Ausziehen und beim Zubettgehen. Entscheidungsfreiheit beim Zubettgehen durch BBH. Gestaltung der Freizeit in freier Natur. Andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung durch den BBH. Tab. 9: Zur Dimension der Perspektiven Die Perspektive beinhaltet Möglichkeiten, die einem Menschen innerhalb seiner Lebenslage gegeben sind. P studiert Soziale Arbeit und arbeitet seit einem Jahr neben dem Studium freiberuflich. Sie führt Alphabetisierungskurse durch für Menschen, die unter Bewährung stehen. Somit sind berufliche Verwirklichungschancen vorhanden. Auf Hilfe angewiesen zu sein bedeutet für Menschen mit Behinderung Abhängigkeit. Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die rollstuhlgerechten Gegebenheiten in der Stadt ist es P möglich, Standorte zu erreichen. Aufgrund der beschriebenen Begegnungen hat sich durch ihren Behindertenbegleithund Emily vor allem der Kontakt- und Kooperationsspielraum für P neu gestaltet. Beim Kontakt- und Kooperationsspielraum spielen die Kommunikation und die Interaktion zwischen Menschen die zentrale Rolle. Ist P in der Stadt unterwegs, wird 60 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts sie interessiert beobachtet, wie sie mit ihrem Hund spricht und arbeitet. Die Menschen gehen auf sie zu und sprechen sie auf Emily an. „Emily ist schon eine Art Vermittler zwischen Rollstuhlfahrer und Fußgänger“, sagt P. Bevor die Menschen den Rollstuhl wahrnehmen, wird der Hund wahrgenommen. Dadurch ist die Kommunikation einfacher, unverkrampfter und spontaner. Bevor P den Behindertenbegleithund an ihrer Seite hatte, schauten die Menschen oft betreten weg, wenn sie die junge Frau in ihrem Elektrorollstuhl sahen, denn viele Menschen, so P, haben ein Klischee von Rollstuhlfahrern im Kopf, das Dank des Behindertenbegleithundes nicht mehr in den Vordergrund tritt. Auch innerhalb der Wohnung erbringt der Behindertenbegleithund wertvolle Hilfeleistung, indem er beispielsweise in der Küche die Schubladen öffnet. Diese Hilfestellung ist sehr wichtig, weil P im Stehen nicht in der Lage ist, sich zu bücken. Auch bringt ihr der Hund auf Kommando das Telefon, welches sie oft nicht schnell genug erreicht, wenn es klingelt. Am späten Abend hilft der Behindertenbegleithund P aus ihrer Kleidung und hebt ihr die Beine ins Bett. Durch den Behindertenbegleithund ist P auch nicht mehr beim Zubettgehen auf menschliche Hilfe angewiesen, sodass sie selbst entscheiden kann, wann sie zu Bett gehen möchte. 61 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.5 Zur Superstruktur Zitatstellen (Interview Zeile) 425-428 354-355 Zitatbeispiele (...) im Vergleich zu früher werde ich mehr angesprochen, die Leute sehen in der Regel erstmals Emily, bevor sie den Rollstuhl sehen. Und dadurch ist die Kommunikation einfach auch unverkrampfter, spontaner. (...) brauche ich natürlich zwischendurch schon menschliche Hilfe, um auf Toilette gehen zu können. Paraphrasen Durch den BBH können Barrieren abgebaut werden. Unterstützung durch Persönliche Assistenz u. a. in der Pflege. Unterstützung durch Persönliche Assistenz u. a. während des Studiums. Indikatoren Keine Finanzierungsmöglichkeit des BBH aus öffentlicher Hand. Umgang einer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung. Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung innerhalb der Gesellschaft. Unterstützungsleistungen innerhalb der Gesellschaft. Tab. 10: Zur Superstruktur Mit der Superstruktur sind die objektiven, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gemeint. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirtschaftliche und kulturelle Gesetzmäßigkeiten sowie gesetzliche Grundlagen. Eine kulturelle Gesetzmäßigkeit stellt u. a. der Umgang einer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung dar. Der Hund ist ein Bindeglied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, Menschen mit Behinderung haben es leichter. Sie werden häufiger angesprochen. Eine wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit stellt unter anderem die Tatsache dar, dass es derzeit in Deutschland bestimmte Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung gibt, wie z. B. die Hilfe in Form Persönlicher Assistenz. Eine weitere wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit ist, dass Betriebe dazu aufgefordert sind, eine bestimmte Anzahl an Menschen mit Behinderung einzustellen. Der Behindertenbegleithund ist im Gegensatz zum Blindenführhund nicht im Hilfsmittelka62 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts talog der Krankenkassen verankert. Das hat zur Folge, dass dieser in Deutschland derzeit nicht von öffentlicher Hand finanziert wird. 8.4.6 Zu den Routinen Zitatstellen (Interview Zeile) 275 281-283 106 Zitatbeispiele Paraphrasen Indikatoren (…) beim Anziehen. (…) häuslichen Hilfen, beim Einkaufen, beim Kochen, auch wenn ich außerhalb unterwegs bin und ich auf die Toilette gehen kann. Ich studiere Soziale Arbeit. (…) In der Pflege und im Haushalt wird weiterhin menschliche Hilfe benötigt. Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten. Interviewpartnerin befindet sich in einem Studium Interviewpartnerin fährt in Begleitung mit ihrem Auto zum Studium und zur Arbeit. Begleitung zur Hochschule durch die Assistenz. Täglich Hilfestellung durch den BBH an der Hochschule. Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten. Mehrere Spaziergänge am Tag. Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten. Täglicher Bedarf an menschlicher Hilfestellung. Tägliche Hilfestellung durch Persönliche Assistenz. 132 Ja, ich fahr selber Auto. 149 (…) die Mädels mich hinbringen und wieder abholen (…). 157-158 (...) mir aus der Jacke helfen, oder mir Stifte, Schlüssel oder das, was mir gerade runterfallt, aufzuheben. Sie trägt mir auch leichte Taschen. (…) Bevor ich in die Uni fahre, gehe ich natürlich mit meinem Hund raus. (…) dann geh` ich in der Regel nachmittags noch mal mit ihr. (…) Dann gehe ich um sieben noch mal mit Emily raus. (…) (…) sechs Stunden. 117 209 217 290 Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten. Regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten. 63 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 260 227-230 (…) Sie zieht mir Socken aus, die Schuhe, die Jacke, die Hose. (…) (…) spät abends ist es dann so, dass die Emily mir aus den Anziehsachen hilft, waschen kann ich mich noch alleine und sie übernimmt dann auch die letzte Aufgabe des Tages, nämlich mir die Beine ins Bett zu heben, wofür ich sonst eigentlich noch eine Assistenz benötigen würde. BBH Hilfe beim Ausziehen und Zubettgehen Entscheidungsfreiheit, wann zu Bett gegangen wird durch BBH gewährleistet. Durch BBH nicht mehr auf menschliche Hilfe beim Ausziehen und Zubettgehen angewiesen. Tab. 11: Zu den Routinen Unter Routinen sind regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten zu verstehen. Sowohl während des Studiums als auch während der Arbeit ist P durch die Dienstleistungen ihres Behindertenbegleithundes Emily nicht mehr auf menschliche Hilfe angewiesen. Emily hebt alles auf, was P. herunterfällt. Dabei handelt es sich u. a. um Stifte oder um die Schlüssel. Auch ist es dem Behindertenbegleithund möglich, kleine Taschen zu tragen und P aus der Jacke zu helfen. Dadurch eröffnen sich für P die Handlungsspielräume neu. Diese sind bei der Innenwelt innerhalb der Lebenslage von Bedeutung. Der Lern- und Erfahrungsspielraum beinhaltet die Entfaltung und Umsetzung von Möglichkeiten. Das Studium und die Arbeit können durch den Behindertenbegleithund ohne menschliche Hilfe bewältigt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Dispositionsund Partizipationsspielraum. Er enthält die Möglichkeiten an Beteiligung und Mitbestimmung in verschiedenen Lebensbereichen innerhalb der Gesellschaft. Seit ihrem Behindertenbegleithund wird P von ihrer Umwelt ganz anders wahrgenommen. Durch das eigenständige Auftreten von P und aufgrund der Anwesenheit des Behindertenbegleithundes reagieren die Kommilitonen unverkrampfter und P wird häufiger angesprochen. Nach wie vor auf menschliche Hilfe angewiesen ist P vor allem morgens beim Duschen und beim Anziehen. Auch bei den häuslichen Hilfen, wie zum Beispiel beim Einkaufen und beim Kochen, benötigt P menschliche Hilfestellung. Außerdem ist menschliche Hilfe von Bedeutung, wenn sie längere Zeit unterwegs ist. Dann benötigt P jemand, der ihr auf die Toilette hilft. Dennoch wurde es durch ihren Behindertenbegleithund möglich, den Umfang an menschlicher Hilfeleistung zu reduzieren. Bevor Emily an ihrer Seite war, betrug der Hilfebedarf inklusive Studienbeglei64 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts tung 10 bis 12 Stunden täglich. Somit konnte der Bedarf an menschlicher Hilfe um die Hälfte der Stunden gesenkt werden. 8.4.7 Zur Infrastruktur Zitatstellen (Interview Zeile) 106 173-174 132 Zitatbeispiele Ich studiere Soziale Arbeit. (…) Ich biete Alphabetisierungskurse an für Menschen, die unter Bewährung stehen. Ja, ich fahr selber Auto. 434-435 (…) Stadt unterwegs bin (…) hab einen ERollstuhl. (…) 427-428 (…) Kommunikation einfach auch unverkrampfter, spontaner Paraphrasen Indikatoren Interviewpartnerin Verwirklichungsbefindet sich in eichancen innerhalb nem Studium und der Gesellschaft. arbeitet einmal pro Woche freiberuflich. Interviewpartnerin fährt mit ihrem Auto zum Studium und zur Arbeit. Dadurch ist ein hoher Grad an Mobilität gewährleistet. Durch den Elektrorollstuhl ist es möglich, eigenständig in die Stadt zu fahren. Durch den BBH können Barrieren abgebaut werden und dadurch neue Zugangsmöglichkeiten eröffnet werden. Selbstständige Bewältigung von Distanzen, Erschließung von Standorten. Selbstständige Bewältigung von Distanzen, Erschließung von Standorten. Zugang zu Mitmenschen. Tab. 12: Zur Infrastruktur P fährt mit ihrem Auto zur Hochschule bzw. zur Arbeit. Durch ihren Elektrorollstuhl ist es ihr möglich, selbstständig in die Stadt zu gelangen. Dass P mit ihrem Elektrorollstuhl in der Stadt zurechtkommt, lässt darauf schließen, dass bauliche Gegebenheiten wie Bordsteine so gestaltet sind, dass sie mit einem Rollstuhl bewältigt werden können. Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die Gegebenheiten in der Stadt ist es P möglich, Standorte selbstständig zu erreichen. 65 8 Leben mit einem Behindertenbegleithund – eine empirische Analyse auf der Grundlage des Lebenslagekonzepts 8.4.8 Zu den Chancen Zitatstellen (Interview Zeile) 132 106 173-174 Zitatbeispiele Ja, ich fahr selber Auto. Ich studiere Soziale Arbeit. (…) Ich biete Alphabetisierungskurse an für Menschen, die unter Bewährung stehen. Paraphrasen Interviewpartnerin fährt mit ihrem Auto zum Studium und zur Arbeit. Interviewpartnerin befindet sich in einem Studium. und arbeitet einmal pro Woche freiberuflich. Indikatoren Erschließung von Standorten innerhalb ihrer Region. Verwirklichungschancen innerhalb der Gesellschaft im Bildungsbereich. Tab. 13: Zu den Chancen Durch empirische Untersuchungen kann innerhalb einer Region festgestellt werden, wie Menschen, die dort leben, in einzelnen Bereichen gefördert werden. P studiert Soziale Arbeit und arbeitet seit einem Jahr neben dem Studium freiberuflich. Sie führt Alphabetisierungskurse durch für Menschen, die unter Bewährung stehen. Dadurch sind für P Teilhabe und Verwirklichungschancen im Bereich Bildung vorhanden. Durch das Auto, den Elektrorollstuhl und durch die Gegebenheiten in der Stadt ist es P möglich, Standorte innerhalb ihrer Region selbstständig zu erreichen. 66 9 Fazit 9 Fazit Aufgrund des Interviews und dessen Auswertung, aber auch aufgrund der intensiven Beschäftigung mit diesem Thema und durch meine persönliche Situation komme ich zu dem Schluss, dass die Lebensqualität von Menschen mit körperlicher Behinderung, die regelmäßig auf menschliche Hilfe angewiesen sind, zusätzlich durch einen Behindertenbegleithund an der Seite in erheblichem Maße gesteigert werden kann. In diesem Zusammenhang ist von zentraler Bedeutung, dass der Bedarf an menschlicher Hilfe durch den Behindertenbegleithund oftmals reduziert werden kann. Das bedeutet, dass es Bereiche im Alltag von Menschen mit Behinderung gibt, in denen sie durch die Dienstleistungen, die der Behindertenbegleithund erbringt, nicht auf menschliche Hilfe angewiesen sind und sich nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden. So wird ihnen die Möglichkeit gegeben, selbst Entscheidungen zu treffen, ihren Alltag freier und autonomer zu gestalten sowie eigenständig aufzutreten. Durch das eigenständige Auftreten können neue Zugangsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft geschaffen werden, wodurch mehr Teilhabe und Verwirklichungschancen möglich sind. Neue Zugangsmöglichkeiten können sich ebenfalls im zwischenmenschlichen Bereich ergeben. Nicht behinderte Menschen nehmen Menschen mit körperlicher Behinderung durch den Behindertenbegleithund positiver wahr und das oft negativ besetzte Klischee von Rollstuhlfahrern innerhalb der Gesellschaft erhält ein neues Bild. Durch den Behindertenbegleithund schauen die Menschen nicht mehr betreten weg und sie sind weniger unbeholfen, wenn sie einen Menschen im Rollstuhl sehen. Bevor die Menschen den Rollstuhl wahrnehmen, erblicken sie den Hund und zeigen Interesse an dem Tier und seiner Arbeit. Dadurch ergibt sich oftmals eine spontane und unverkrampfte Kommunikation. Solche positiven Erfahrungen verhelfen Menschen mit körperlicher Behinderung zu mehr Selbstbewusstsein und somit zu einer positiveren Lebenseinstellung. Selbstverständlich gibt es Bereiche wie die Pflege oder die hauswirtschaftliche Versorgung, in welchen menschliche Hilfeleistungen unabdingbar sind. Das ist u. a. beim Duschen und beim Anziehen, sowie beim Kochen der Fall. Ich bin sehr froh und dankbar, dass es im Bereich der eigenständigen Lebensführung für Menschen mit Behinderung mittlerweile einige Varianten der menschlichen Hilfestellung gibt, wie beispielsweise die der Persönlichen Assistenz. 67 9 Fazit Bezüglich der Lebensführung und Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung ist es von großer Bedeutung, dass sie ihr Leben freier und autonomer leben und gestalten können. Kann der Bedarf an menschlicher Hilfe durch einen Behindertenbegleithund reduziert werden, könnten Gelder aus der Pflegekasse eingespart werden, die zur Finanzierung eines solchen Hundes verwendet werden könnten. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von Bedeutung, dass wie aus der tiergestützten Therapie u. a. dem therapeutischen Reiten bereits bekannt, sich das Zusammensein und die Beschäftigung mit einem Tier positiv auf das Wohlbefinden von Menschen auswirkt. Es gibt Phasen im Leben von Menschen mit Behinderung, in welchen sie sich aus den unterschiedlichsten Gründen aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht nur mit physischen sondern auch mit psychischen Belastungen konfrontiert sehen. Diese können häufig ausschließlich in Form von Therapien bewältigt werden. Haben Menschen mit Behinderung einen Behindertenbegleithund an ihrer Seite, wirkt sich dieser durch seine Ausstrahlung, seine bedingungslose Wertschätzung, durch die Zuneigung und die aktive Hilfestellung im Alltag, die er seinem Halter entgegenbringt, positiv auf das Wohlbefinden und auf das Selbstbewusstsein aus. Ich bin davon überzeugt, dass mit einem Behindertenbegleithund an der Seite Therapien nicht mehr bzw. nicht mehr in der Intensität notwendig sind, wie es ohne Behindertenbegleithund der Fall wäre. Das bedeutet, dass Gelder der Krankenkassen, die für Therapiesitzungen ausgegeben werden, eingespart werden können. Diese könnten dann zur Finanzierung eines Behindertenbegleithundes verwendet werden. Ich wünsche mir, dass sich für die Finanzierung eines Behindertenbegleithundes zukünftig Kostenträger bereit erklären, so wie es beim Blindenführhund der Fall ist. Außerdem hoffe ich, dass in naher Zukunft einheitliche gesetzliche Regelungen bezüglich der Mitnahme des Behindertenbegleithundes in öffentliche Gebäude geschaffen werden. Entscheidet sich ein Mensch, mit einem Hund zu leben, übernimmt er eine verantwortungsvolle Aufgabe. Für ein Tier ist es wichtig, dass ihm Zeit, Liebe und Geborgenheit entgegengebracht wird. Wichtig ist vor allem aber, dass seinen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. Lebt man mit einem Hund zusammen, ist 68 9 Fazit dessen Bedürfnisbefriedigung mit Pflichten verbunden. Für die Gesundheit des Hundes ist es notwendig, dass mit ihm mehrmals am Tag große und kleine Spaziergänge unternommen werden. Sehr wichtig ist auch, dass der Hund im Rahmen der Spaziergänge die Möglichkeit hat, mit seinen Artgenossen zu spielen und sich auszutoben. Ausschließlich auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass man mit einem gesunden und ausgeglichenen Hund zusammenlebt. Alles, was für einen normalen Hund wichtig ist, gilt natürlich auch für den Behindertenbegleithund. Von zentraler Bedeutung ist, dass der Hund bei seinem Halter mit Behinderung als Tier akzeptiert ist und auf keinen Fall lediglich auf den Dienstleister reduziert wird. 69 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Armbruster, A., Walter, A. (Hrsg.) (2005): Selbstbestimmung, Assistenz und Teilhabe, Beiträge zur ethischen, politischen und pädagogischen Orientierung in der Behindertenhilfe Verlag der evangelischen Gesellschaft GmbH Stuttgart Atteslander, P. (Hrsg.): 2003 Methoden der empirischen Sozialforschung, Verlag: Walter de Gruyter Berlin, New York Atteslander, P. (Hrsg.): 2008 Methoden der empirischen Sozialforschung, 12 durchgelesene Auflage Erich Schmidt Verlag, Berlin Burri, S.; Leu, R. E.; Priester, T. (1997): Lebensqualität und Armut in der Schweiz, Bern Deutscher Bundestag (Hrsg.) 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Stand 12.12.2005 http://www.awo-kv-esslingen.de/angebote/gebuehrenordnung.htm 23.01.2009 70 Literaturverzeichnis Greiffenhagen, S. Buck-Werner, N. (Hrsg.) (2007): Tiere als Therapie - Neue Wege in Erziehung und Heilung, Kynos Verlag Mürlenbach/Eifel Hobmaier, H. (Hrsg.) (2004): Pädagogik/Psychologie für die berufliche Oberstufe Band 2, Bildungsverlag EINS GmbH, Troisdorf Hornsby, A. (Hrsg.) (2000): Hunde helfen Menschen, aus dem Englischen übertragen von Fleig, D. und Fleig, H., Kynos Verlag Hunde für Handicaps e. 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(Hrsg.) (2005): Pflegetagebuch Alzheimer-Demenz. Pflegeaufwand leicht dokumentiert, Herausgeber VDM-Verlag für Didaktik in der Medizin. Michelstadt 72 Anhang Anhang I. Interviewleitfaden...........................................................................................I II. Telefoninterview.......................................................................................... IV III. Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde .XVIII IV. Bildergalerie ..............................................................................................XIX I Interviewleitfaden I. Interviewleitfaden Frage 1: 1. Name 2. Alter 3. Geschlecht 4. Berufliche Tätigkeit Frage 2: Was für eine Behinderung haben Sie? Frage 3: Welche Institution hat Ihnen einen Hund ausgebildet? Frage 4: Wie lange leben Sie schon mit Ihrem Behindertenbegleithund zusammen? Frage 5: Wie sind Sie auf die Institution, die Ihnen einen Behindertenbegleithund ausgebildet hat, aufmerksam geworden? Alltagsbewältigung Frage 6: Wie sieht Ihr Tagesablauf unter der Woche vom Aufstehen bis zum Zubettgehen aus? Frage 6a: In welchen Alltagssituationen leistet Ihnen der Behindertenbegleithund Hilfestellung? Frage 6 b: In welchen Alltagssituationen sind Sie auf menschliche Hilfe angewiesen? Frage 6 c: Hat sich der Bedarf an menschlicher Hilfe durch den Behindertenbegleithund verändert? Wenn ja, in welcher Form? I I Interviewleitfaden Frage 6 d: Was hat sich bezüglich der Alltagssituation durch den Behindertenbegleithund verändert? (verbessert / verschlechtert) Ausbildung/Berufliche Tätigkeit Frage 7: Hat sich während des Studiums/der Arbeit durch den Behindertenbegleithund etwas verändert? (verbessert / verschlechtert) Freizeit Frage 8: Wie gestalten Sie Ihre Freizeit? Frage 8a: Hat sich bezüglich der Freizeitgestaltung durch den Behindertenbegleithund etwas verändert? (verbessert / verschlechtert) Frage 8b: Werden Sie durch den Hund öfter wahrgenommen bzw. angesprochen? Das Leben vor dem Behindertenbegleithund Frage 9: Wie sah Ihr Tagesablauf unter der Woche vom Aufstehen bis zum Zubettgehen aus, bevor Sie den Hund hatten? Frage 9a: Wie würden Sie Ihr Leben beschreiben, bevor Ihr Behindertenbegleithund in Ihr Leben getreten ist? II I Interviewleitfaden Das Leben mit Behindertenbegleithund Frage 10: Wie sehen Sie Ihr Leben heute? Frage 10a: Was hat sich für Sie ganz persönlich durch Ihren Behindertenbegleithund verändert? Frage 10b: Haben Sie sich Ihrer Meinung nach durch Ihren Behindertenbegleithund verändert? Wenn ja, in welcher Form? Herausforderungen und Schwierigkeiten, die sich durch den Behindertenbegleithund ergeben Frage 11: Werden Sie durch den Behindertenbegleithund mit Problemen innerhalb der Gesellschaft konfrontiert? Beispielsweise beim Betreten von Lebensmittelgeschäften oder öffentlichen Gebäuden. (durch geringen Bekanntheitsgrad des Behindertenbegleithundes) III II Telefoninterview II. Telefoninterview 1 Datum: 28.01.2009 2 3 Ort: Weingarten Baden-Württemberg/Köln Dauer: 27 Minuten 4 Das Interview wurde mit P durchgeführt. P ist weiblich, 24 Jahre alt und 5 6 ledig. P hat eine körperliche Behinderung. P lebt eigenständig in einer Woh- 7 8 nung. P gestaltet das Leben mit Hilfe des Behindertenbegleithundes und mit Hilfe persönlicher Assistenz. P studiert im 10. Semester Soziale Arbeit 9 10 an der katholischen Fachhochschule in Köln. Seit einem Jahr arbeitet P neben dem Studium freiberuflich. P führt Alphabetisierungskurse für 11 12 Menschen durch, die unter Bewährung stehen. In der Freizeit trifft sich P mit Freunden und ist viel draußen mit dem Hund unterwegs. 13 14 I: 15 16 Erst einmal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich Zeit nehmen, mit mir das Interview zu führen. 17 18 P: 19 20 Sehr gerne. 21 22 I: Sie wissen ja, dass ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dem Thema 23 24 beschäftige: Die Bedeutung des Behindertenbegleithundes für den Menschen mit körperlicher Behinderung. Und dazu werde ich jetzt ein paar Fragen stellen. 25 26 27 P: Okay, legen wir los. 28 29 I: 30 31 Erst einmal: Was für eine Behinderung haben Sie denn? 32 33 P: Ich habe eine Progressive Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp 2i. 34 35 I: 36 Okay. Und wie wirkt sich das aus, wie kann ich mir das vorstellen? IV II Telefoninterview 37 38 P: 39 40 Ja, zunächst progressiv heißt fortschreitend. Es ist also eine fortschreitende Behinderung. (Pause) Zum momentanen Zeitpunkt ist es so, dass ich Rollstuhl- 41 42 fahrer bin, innerhalb meiner Wohnung jedoch noch ein paar Schritte laufen kann. Meine Muskulatur ist kräftemäßig sehr eingeschränkt. 43 44 I: 45 46 Okay. Und wie weit geht so `ne Behinderung, kann man das sagen? 47 48 P: 49 50 Ganz schwierig zu verallgemeinern. (Pause) Es gibt mehre verschiedene Arten von Muskelerkrankungen. Man kann leider nicht Prognosen stellen, in dem Sin- 51 52 ne, dass man sagt, (Pause) in 10 Jahren kann ich nicht mehr laufen oder brauch` ich ein Beat- 53 54 mungsgerät. Es ist sehr schwierig, da Rückschlüsse zu ziehen. 55 56 I: Gab es Lebensabschnitte, bei denen die Behinderung nicht da war? 57 58 P: 59 60 Ja, die ersten zwei Lebensjahre. Ich bin, (Pause) also es handelt sich um einen genetischen Defekt, also die Disposition ist da, die Frage ist eben, ob es auch 61 62 ausgelöst wird oder ob es ausreicht. Und bei mir ist es im Alter von zwei Jahren durch Fieberschübe ausgelöst worden. 63 64 65 I: Durch Fieberschübe? 66 67 P: 68 69 Genau. 70 71 I: Okay. (Pause) Dann kommen wir jetzt `mal zum Thema Hund: 72 73 Welche Institution hat Ihnen denn einen Hund ausgebildet? 74 75 P: Das war der gemeinnützige Verein Vita-Assistenthunde e.V.. 76 V II Telefoninterview 77 78 I: Okay. 79 80 Wie lange leben Sie schon mit Ihrem Behindertenbegleithund zusammen? 81 82 P: (Pause) Das ist ziemlich genau ein Jahr jetzt. Ja, seit Januar 2008. 83 84 I: 85 86 Wie sind Sie auf die Institution, die Ihnen den Behindertenbegleithund ausgebildet hat, aufmerksam geworden? 87 88 P: 89 90 Vita habe ich auf der Reha Care in Düsseldorf, das ist eine internationale Fachmesse für Menschen mit Behinderung, kennen gelernt. Dort haben die je- 91 92 des Jahr einen Stand und dort bin ich auf Vita aufmerksam geworden. 93 94 I: Wie sieht denn Ihr Tagesablauf, wenn Sie den mal beschreiben, unter der Wo- 95 96 che aus? Welche Hilfestellungen leistet da der Behindertenbegleithund und welche Hilfestellungen werden durch menschliche Assistenz geleistet? 97 98 P: 99 100 (Pause) Ja, mein Tagesablauf hängt natürlich immer davon ab, was am Tage ansteht. Ich bin Studentin. 101 102 I: 103 104 105 Was studieren Sie denn? 106 107 Ich studiere Soziale Arbeit. Ich steh` in der Regel morgens so gegen halb acht auf und gehe dann alleine ins Bad. Emily ist dann natürlich auch schon wach, 108 109 begleitet mich auch ins Bad, legt sich dort hin. Dann beginne ich mich fertig zu machen, mich zu waschen usw. Ungefähr nach `ner halben Stunde kommt 110 111 dann eine Assistenz von mir, die mir dann beim Anziehen hilft, beim Frühstück machen und mich dann in der Regel auch in die Uni begleitet. Und dann hängt 112 113 das immer davon ab, wie viele Vorlesungen ich hab` oder ob ich Therapien hab’. Ich sag mal so, im Groben bin ich so bis 12:00 oder 1:00 Uhr in der Uni. 114 115 Danach kommt, oh, jetzt hab` ich den Morgenspaziergang vergessen, das Allerwichtigste. 116 (lacht) P: VI II Telefoninterview 117 118 Bevor ich in die Uni fahre, gehe ich natürlich mit meinem Hund raus. (lacht) 119 120 I: 121 122 (Lacht) Ja. 123 124 P: Das ist in der Regel morgens, dass ich so ne Stunde mit ihr gehe. Ich muss da- 125 126 für zurzeit mit dem Auto aus der Stadt herausfahren, weil ich in unmittelbarer Nähe keine Freilaufflächen habe oder keine Wiesen. 127 128 I: 129 130 Fahren Sie selber Auto? 131 132 P: Ja, ich fahr selber Auto. 133 134 I: 135 136 Okay. 137 138 P: Ja, ich fahre dann in ein Waldgebiet in der Nähe. Und dort geh` ich dann `ne 139 140 Stunde mit ihr raus, und danach geht's noch mal nachhause. Dort füttere ich sie dann und von da an geht `s los zur Uni. 141 142 I: 143 144 145 Zur Uni. (Pause) Sind Sie an der Uni auch mit Begleitung? 146 147 P: 148 149 (Pause) Jain. Früher schon. Mittlerweile mache ich das in der Regel nur so, dass die Mädels mich hinbringen und wieder abholen, weil während ich da bin, 150 151 ist Emily ja vor Ort. 152 153 I: Und was hat früher der Mensch oder die Assistenz an der Uni gemacht, was 154 155 jetzt die Emily übernimmt? VII II Telefoninterview 156 157 P: Zum Beispiel mir aus der Jacke helfen, oder mir Stifte, Schlüssel oder das, was 158 159 mir gerade runterfällt, aufzuheben. Sie trägt mir auch leichte Taschen. Ja, solche Sachen. 160 161 I: 162 163 Haben Sie während des Studiums schon mal ein Praktikum durchlaufen oder arbeiten Sie während des Studiums? 164 165 P: 166 167 Ich habe ein Praktikum durchlaufen, nach Abschluss des Grundstudiums. Ich gehe auch seit circa einem Jahr nebenher freiberuflich arbeiten. 168 169 I: 170 171 In welchem Bereich arbeiten Sie? 172 173 P: Ich biete Alphabetisierungskurse an für Menschen, die unter Bewährung ste- 174 175 hen. 176 177 I: Wie gestaltet sich das? 178 179 P: 180 181 In der Regel habe ich Emily dabei und eine Assistenz. Ich bin nur einmal die Woche in diesem Gebäude, so dass Umbaumaßnahmen vorgenommen werden 182 183 184 müssen. Es müssen Stühle und Tische aufgestellt werden, das muss dann eben meine Assistenz für mich übernehmen. Wenn das erledigt ist, bin ich für die Zeit meiner Tätigkeit alleine und werde später wieder abgeholt von meiner As- 185 186 sistenz. 187 188 I: Alleine, das heißt? 189 190 P: 191 192 Ich, mein Hund und mein Klient. 193 194 I: Okay 195 VIII II Telefoninterview 196 197 I: Okay. 198 199 Hilft Ihnen die Emily auch morgens beim Anziehen und richten? 200 201 P: (Pause) Nein, beim Anziehen hilft sie mir nicht, jedoch abends beim Ausziehen. 202 203 I: 204 205 Ah, Okay. Ja, schildern Sie mir bitte Ihren Tagesablauf weiter. 206 207 P: 208 209 (Lacht) Ja, dann geh` ich in der Regel nachmittags noch mal mit ihr. 210 211 Manchmal ist es davon abhängig, wo ich mich gerade aufhalte, ich versuche immer meine Therapien oder die Uni auch mit Plätzen, wo ich mit Emily geh`, 212 213 zu verknüpfen. Und dann gehe ich meistens an den Rhein mit ihr, dass sie ein bisschen Abwechslung hat. So `ne dreiviertel Stunde bis Stunde und danach 214 215 kommt es dann auf die Nachmittagsgestaltung an. Also ich hab` dreimal die Woche Krankengymnastik oder ich treff` mich mit Freunden oder gehe in die 216 217 Stadt, ganz unterschiedlich. Dann gehe ich um sieben noch mal mit Emily raus. Das ist eine etwas kürzere 218 219 Runde, so ne halbe bis dreiviertel Stunde und danach geht`s dann direkt heim, weil ich sie dann auch füttere. Die Fütterungszeit ist immer so zwischen sieben 220 221 und acht. Man ist da auch `n bisschen festgelegt in den Zeiten. 222 223 224 I: Sie meinen zwischen 19 und 20 Uhr. 225 226 P: Genau. 227 228 Ja, und spät abends ist es dann so, dass die Emily mir aus den Anziehsachen hilft, waschen kann ich mich noch alleine und sie übernimmt dann auch die letz- 229 230 te Aufgabe des Tages, nämlich mir die Beine ins Bett zu heben, wofür ich sonst eigentlich noch eine Assistenz benötigen würde. 231 232 I: 233 234 Okay. IX II Telefoninterview 235 236 P: Ja. Sie müssen sich das so vorstellen: In der Wohnung lauf` ich noch mit einem 237 238 Rollator und ich gehe dann wirklich bis zum Bett, setze mich hin und Emily schafft es eben, mir beide Beine ins Bett zu heben. Im Bett selber bin ich dann 239 240 wieder selbstständig. 241 242 I: Okay. (Pause) Sie haben bis jetzt geschildert, was Emily alles während des 243 244 Studiums übernehmen kann: Jacke ausziehen, Sachen tragen, Stifte aufheben. Welche Leistungen erbringt Emily denn noch so tagsüber? 245 246 P: 247 248 (Pause) Zum Beispiel ist es in der Wohnung ganz wichtig, dass sie mir alles apportiert, was mir runterfällt. Des Weiteren kann sie mir Schubladen öffnen. 249 250 Das ist vor allem in der Küche der Fall. Dadurch, dass ich stehe und mich nicht bücken kann, komm ich an die Schubladen nicht dran. An den Schubladen 251 252 hängen kleine Sandsäcke. Emily beißt da rein und zieht sie auf. Sie kann mir dann eben die Sachen anreichen, an die ich nicht drankommen würde, ohne 253 254 ihre Hilfe. Sie macht aber genauso gut auch Türen auf, was für Rollstuhlfahrer ja relativ schwer ist. Sie holt mir den Aufzug, darauf hab ich sie trainiert. Weil es 255 256 auch da natürlich immer sehr mühsam ist, an die Aufzugstüren ranzurollern und mich vorzubeugen. Das macht sie für mich. Sie ist zum Beispiel auch auf mein 257 258 Telefon konditioniert, das heißt, wenn ich ihr sage: Such` das Telefon. Wenn ich das Telefon brauch’ und es irgendwo vergessen hab`, bin ich natürlich nicht 259 260 schnell genug, um es dann rechtzeitig zu bekommen. Dann holt die Emi es mir. Sie zieht mir Socken aus, die Schuhe, die Jacke, die Hose. Ja das sind im Gro- 261 262 263 ben die Tätigkeiten, die sie so macht. 264 265 Das ist ja schon super viel. 266 267 P: Ja das sind einige Dinge, allerdings. 268 269 I: 270 271 Ja, was wollt` ich jetzt sagen? (Pause) 272 273 Ja, in welchen Alltagssituationen sind Sie auf menschliche Hilfe angewiesen. I: X II Telefoninterview 274 275 P: Vor allen Dingen beim Anziehen. 276 277 I: 278 279 Genau. 280 281 P: Aber eben auch, ich sag mal die ganzen häuslichen Hilfen, beim Einkaufen, 282 283 beim Kochen. auch wenn ich außerhalb unterwegs bin und ich auf die Toilette gehen kann. 284 285 I: 286 287 Wie hoch ist Ihr Hilfebedarf am Tag an menschlicher Hilfe, in Stunden ausgedrückt? 288 289 P: 290 291 Ich denke, das sind so sechs Stunden. 292 293 I: Und wie viel Stunden waren das vor der Emily? 294 295 P: 296 297 Oh, das waren (Pause) das waren 10 bis12 Stunden. 298 299 I: Okay. im Grunde kommt morgens und abends jemand. 300 301 302 Sind die sechs Stunden am Tag, wie sie gerade gesagt haben, dafür gedacht, wenn sie z.B. in die Stadt gehen? Ist da auch jemand dabei? 303 304 P: Nicht zwangsläufig. Das hängt auch immer von den Aktivitäten ab, das heißt, 305 306 wenn ich für ein oder zwei Stunden in die Stadt fahre, kann ich das auch alleine. Wenn ich das für eine längere Zeit mache, dann brauche ich natürlich ir- 307 308 gendwann jemand, der mir auf die Toilette hilft. 309 310 I: Und die zwei Stunden allein in der Stadt können Sie durch Emily bewältigen? 311 312 P: 313 Ja, mit ihrer Hilfe. Genau. XI II Telefoninterview 314 315 I: 316 317 Was hat sich bezüglich ihrer Alltagsituation durch den Behindertenbegleithund verändert, also sowohl verbessert, als auch verschlechtert? 318 319 P: 320 321 Verbessert hat sich eben zum einen, dass ich die Hilfe habe und dadurch unabhängiger von menschlicher Hilfe werde. Zweitens, der Begriff Hilfe bekommt 322 323 eine ganz neue Dimension für mich, weil Emily das alles sehr, sehr freudig tut. Hilfe ist ja in meiner Situation in erster Linie das, was abhängig macht und viel- 324 325 leicht auch ein Stück weit negativ besetzt ist. Durch Emily bekommt es einen positiven Charakter. Negativ ist das natürlich für sie, dass auch sehr viel Zeit 326 327 drauf geht. Ich geh` dreimal am Tag mit ihr raus, das sind über den Daumen gepeilt 3 bis 4 Stunden, die durch Füttern, Pflegen usw. allein schon für den 328 329 Hund draufgehen. Und ja, bei behinderten Menschen ist der Tag kürzer als bei gesunden Menschen. 330 331 I: 332 333 Warum? 334 335 P: Weil man einfach für sämtliche Tätigkeiten länger braucht. Sei es das Duschen, 336 337 sei es das Anziehen, sei es das ins Auto Steigen. Bei mir dauert das halt 10 Minuten und bei meinen Mitmenschen dauert es 30 Sekunden. 338 339 I: 340 341 342 Okay. Die Frage, die jetzt kommt, haben wir eigentlich oben schon gehabt: Hat sich während des Studiums bzw. der Arbeit durch den Behindertenbegleithund etwas verändert? 343 344 P: 345 346 Meine Kommilitonen reagieren unverkrampfter und ich werde natürlich auch öfter angesprochen. Während der Vorlesung benötige ich keine Assistenz 347 348 mehr, sondern kann mit dem Hund alleine vor Ort sein. 349 350 I: Super. Okay. 351 XII II Telefoninterview 352 353 P: Eben auch wieder mit der Einschränkung, dass es von der Zeit abhängt. Wenn 354 355 ich jetzt von morgens bis abends in der Uni bin, brauche ich natürlich zwischendurch schon menschliche Hilfen, um auf Toilette gehen zu können. 356 357 I: 358 359 Okay. Also, ich fass` noch mal zusammen: Sie haben vorher gemeint, dass Sie gerade bei pflegerischen Dinge, die der Hund nicht gewährleisten kann, 360 361 menschliche Hilfe benötigen. 362 363 P: Genau. 364 365 I: 366 367 Okay. Hat sich bezüglich der Freizeitgestaltung durch den Behindertenbegleithund etwas verändert? 368 369 P: 370 371 Ja, auf jeden Fall, ich bin viel draußen. Ich habe ja meine Umwelt ganz neu erschlossen. Ich habe Gegenden kennen gelernt, die sich früher wahrscheinlich 372 373 mir nicht erschlossen hätten, weil ich einfach nicht rausgegangen wär`. Ich bin einfach auch aktiver geworden. Ich bin viel mit den Vereinsmitgliedern von Vita 374 375 unterwegs, ich trainiere mit meinem Hund regelmäßig, es ist auch ein Hobby. Der Hund ist zum Hobby geworden. 376 377 I: 378 379 380 Okay. (Pause) Sie sagen, Sie sind aktiver geworden. Wirkt sich das auch auf andere Lebens- 381 382 bereiche aus? 383 384 P Natürlich hat sich auch seelisch sag ich mal und in meiner Stimmungslage viel 385 386 verändert, ich sag immer mit Emily beginnt jeder Tag grundsätzlich erst einmal gut. Sobald ich mich morgens im Bett rege, steht sie auf und steht wedelnd ne- 387 388 ben mir. Das zaubert einfach ein Lächeln auf die Lippen, egal ob eine Prüfung ansteht oder schlechtes Wetter ist. Es ist natürlich auch eine Gesellschaft, die 389 390 da ist. Sie tut einfach gut. XIII II Telefoninterview 391 392 I: Schön. Und kommen wir noch mal auf die Freizeitgestaltung zurück. Würden 393 394 Sie sagen, unternehmen Sie mehr, seitdem Sie Emily haben, auch mit anderen Menschen, oder war das früher auch schon gegeben? 395 396 P 397 398 Ich denke, ich habe früher auch schon viel unternommen. Doch jetzt durch Emily unternehme ich andere Dinge. 399 400 I: 401 402 Beschreiben Sie mal grob, im Gegensatz zu heute, wie es früher für Sie war? 403 404 P: (Pause) Ja, früher habe ich mich vielleicht mit einer Freundin irgendwo im Café 405 406 getroffen und heute treff` ich mich am Waldcafé, d.h. an dem Café hängt einfach auch ein zwei- bis dreistündiger Spaziergang dran, oder ich treff` mich e- 407 408 ben mit meinen Vereinsmitgliedern von Vita. Ich gehe freiwillig drei bis vier Stunden in den Wald und trainiere mit meinem Hund und auch mit den anderen 409 410 Hunden. Früher waren das so ein bisschen mehr die OttonormalverbraucherDinge, die man so tut, z.B. Kaffeetrinken gehen. Das hat sich durch Emily 411 412 schon verändert, weil ich natürlich auch versuche, die „Pflicht“ mit Vorzügen zu verbinden. 413 414 I: 415 416 Ja. Dann wäre auch die nächste Frage ganz passend: Was hat sich persönlich für 417 418 419 Sie durch den Behindertenbegleithund verändert? 420 421 (Pause) Ja, ich denke, das Wichtigste ist, dass ich weniger alleine bin. Ich habe einfach eine dauerhafte Gesellschaft und den treuesten Freund und Partner an 422 423 meiner Seite, den man haben kann, das ist mit Sicherheit ganz wichtig. Dann hab` ich eben aktive Hilfe im Alltag. Ich werde aber auch von meiner Umwelt 424 425 ganz anders wahrgenommen. Also, ich sag` immer, Emily ist schon eine Art Vermittler zwischen Rollstuhlfahrer und Fußgänger. D.h., im Vergleich zu früher 426 427 werde ich mehr angesprochen, die Leute sehen in der Regel erstmal Emily, bevor sie den Rollstuhl sehen. Und dadurch ist die Kommunikation einfach auch 428 429 unverkrampfter, spontaner. P: XIV II Telefoninterview 430 431 I: Ist Ihnen da eine prägnante Situationen im Gedächtnis? 432 433 P: 434 435 Ja, z.B. wenn ich mit ihr in der Stadt unterwegs bin und ich hab einen E- Rollstuhl. Viele Menschen haben ja auch ein Klischee von Rollstuhlfahrern im Kopf. 436 437 Wenn Emily neben mir sitzt, ich sie händel und ihr sage, was sie zu tun hat, dann sprechen mich die Leute einfach an und fragen, wie alt ist sie denn, und 438 439 ob sie ausgebildet ist oder ob ich sie so erzogen hätte. Die Leute sind einfach interessierter und schauen nicht betreten weg oder sind unbeholfen. 440 441 I: 442 443 Und aufgeschlossener auch? 444 445 P Ja, auf jeden Fall. 446 447 I: 448 449 Haben Sie sich, ihrer Meinung nach, durch den Behindertenbegleithund persönlich verändert? 450 451 P: 452 453 Ja, ich bin, glaube ich, positiver in meiner Lebenseinstellung geworden, ich bin spontaner geworden. Ich bin auf jeden Fall aktiver und selbstbewusster gewor- 454 455 den. Ich bin vielleicht auch kritischer meinen Mitmenschen gegenüber geworden, 456 457 458 gerade im Punkto Hilfe, weil Emily es einfach auf so eine wundervolle Art und Weise tut, die den Menschen, glaube ich, vorenthalten ist. 459 460 I: Können Sie das mit dem Kritischen noch mal konkretisieren, bitte. 461 462 P: 463 464 Ja, wenn mir am Tag 20 Dinge runterfallen, dann steht Emily nach dem 20. Mal neben mir und guckt mich an, wie wenn sie sagen würde, schmeiß noch mal 465 466 etwas runter, weil sie Spaß und Freude daran hat. 467 468 I: Wie war es für sie, als sie von menschlicher Hilfe umgeben waren? 469 XV II Telefoninterview 470 471 P: Ja, das ist einem natürlich unangenehm, wenn man zum dritten Mal die Haar- 472 473 bürste runter schmeißt, weil irgendwann das Gegenüber auch genervt ist. Es spielen ja auch Stimmungen mit in dieser Abhängigkeit, die durch Hilfe entsteht. 474 475 Bei Emily bin ich von diesen Stimmungen natürlich in gewisser Weise befreit, d.h., ich kann einen Wunsch äußern und sie erfüllt ihn mir. 476 477 I: 478 479 Diese Stimmungen, die Sie eben angesprochen haben, sind Sie damit auch konfrontiert worden, wenn es sich um bezahlte Assistenz handelte? 480 481 P: 482 483 Ja. (Pause) Ich denke, das ist auch menschlich. (Pause) Ich denke, es ist menschlich, wenn man mehrere Stunden am Tag zusammen ist. Man kann sei- 484 485 ne Stimmungen nicht draußen vor der Tür ablegen. (Pause) Sowohl der Dienstleister, als auch derjenige, der Hilfe beansprucht. Es stoßen immer zwei 486 487 Persönlichkeiten aufeinander und das erzeugt entweder Konflikte oder Vertrauen und Harmonie. 488 489 I: 490 491 Und warum denken Sie, erzeugt es Konflikte? 492 493 P: Aufgrund von Misskommunikation. Vielleicht sind es Erwartungen, die der As- 494 495 sistenznehmer hat, die er aber nicht klar äußert und der Assistenzgeber dadurch verunsichert ist. Es gibt so viele Situationen, die da machbar sind. Und 496 497 498 ich denke, letztendlich steht immer eine falsche Kommunikation im Vordergrund und auch die Unsicherheit. 499 500 I: Und habe ich das richtig verstanden, dass die Konflikte auch aufgrund von zeit- 501 502 licher Intensität da sind? 503 504 P Ja, würde ich schon behaupten. 505 506 I: 507 508 Okay. Werden Sie durch den Behindertenbegleithund mit Problemen innerhalb der Gesellschaft konfrontiert, also zum Beispiel, wenn Sie mit Emi in Lebensmit- XVI II Telefoninterview 509 510 telgeschäfte oder öffentliche Gebäude gehen, weil der Behindertenbegleithund ja nicht so verbreitet ist, was den Bekanntheitsgrad angeht? 511 512 P: 513 514 Sehr wenig. Mir ist es durchaus schon passiert, dass ich in Geschäften gebeten worden bin, den Hund raus zu bringen, wobei ich dann jedes Mal auf mein 515 516 Deckchen verweise, was Emily trägt, wo ja auch drauf steht, dass sie ein Behindertenbegleithund ist. In der Regel scheuen sich die Leute dann auch, die 517 518 Diskussion weiterzuführen. In der Regel verbleibe ich dann im Laden oder ich würde rausgehen und halt irgendwo anders meine Ware suchen. 519 520 I: 521 522 Okay. Das wären jetzt erstmals so die Fragen von meiner Seite. Dann möchte ich mich bedanken bei Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben und 523 524 mir diese bereichernden Informationen rüber gebracht haben, danke schön. 525 526 P: Gerne. XVII III Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde III. Teilnahmebescheinigung Praxisseminar Behindertenbegleithunde Abb. 9: Teilnahmebescheinigung Praxisseminar BBH XVIII IV Bildergalerie IV. Bildergalerie8 Abb. 12: BBH betätigt Schalter (Hunde für Handicaps e.V., Berlin) Abb. 10: BBH entsorgt Abfall (Hunde für Handicaps e.V., Berlin) Abb. 13: BBH zieht Wäschekorb (Hunde für Handicaps e.V., Berlin) www.balouchen.de Abb. 11: BBH betätigt Ampel (Daniela und Rolf Küster, www.balouchen.de) www.balouchen.de Abb. 14: BBH schließt Geschirrspüler (Daniela und Rolf Küster, www.balouchen.de) 8 Legitimation zur Verwendung der Bilder innerhalb der Diplomarbeit. Die Bilder sind urheberrechtlich geschützt. XIX Erklärung Ich versichere, dass die vorliegende Arbeit inhaltlich ohne fremde Hilfe angefertigt wurde und ich mich keiner anderen, als der von mir angegebenen Literatur und Hilfsmittel bedient habe. Im Rahmen einer Prüfung wurde das Thema von mir noch nicht schriftlich bearbeitet. 27.02.2009 Datum Unterschrift