kristin cavalleri

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kristin cavalleri
Das DESY-Forschungsmagazin – Ausgabe 01/16
ZOOM
Röntgenlaser
der Superlative
Durchbruch in
der Kristallographie
Nanostrukturen
bauen sich selbst
Warum van Goghs
Sonnenblumen welken
femto 01/16
Der Planeten-Simulator
Eine neue Hochdruckpresse an DESYs Röntgenquelle PETRA III kann
das Innere von Planeten simulieren und neue Materialien synthetisieren.
Die sogenannte Riesenstempelzelle („Large Volume Press“, LVP), die in
Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth installiert wurde, kann auf
jeder ihrer drei Achsen einen Druck von 500 Tonnen ausüben, das entspricht
dem 300 000-fachen atmosphärischen Druck oder den Druckverhältnissen
900 Kilometer tief unter dem Erdboden. Der Koloss ist 4,5 Meter hoch
und wiegt 35 Tonnen. Je nach gewünschtem Druck können noch Proben
mit einer Größe von bis zu einem Kubikzentimeter komprimiert werden,
das ist ungefähr so groß wie ein normaler Würfel für Brettspiele und für
Hochdruckexperimente enorm. Damit ist die Presse weltweit die größte an
einem Synchrotron.
Bild: DESY, Dirk Nölle
femtoskop
femto 01/16
Inhalt
ZOOM
Röntgenlaser
der Superlative
Seite 12–31
4
Er ist Hochgeschwindigkeitskamera, Supermikroskop und Planetensimulator zugleich: Mit seinen intensiven und ultrakurzen Röntgenlaserblitzen eröffnet der European XFEL von 2017 an Forschern aus
Wissenschaft und Industrie völlig neue Einblicke in die Nanowelt:
atomare Details von Viren, die molekulare Zusammensetzung
neuartiger Werkstoffe, Filme von chemischen Reaktionen und die
Eigenschaften von Materie unter Extrembedingungen. DESY ist
Hauptgesellschafter dieser Entdeckermaschine.
femto 01/16
06
20
32
CAMPUS
ZOOM
SPEKTRUM
06
14
30
Perfektion ist nicht das Maß
aller Dinge
Licht für die Zukunft
- Fußbälle ohne Widerstand
Durchbruch in der
Kristallographie
10
17
Nanostrukturen bauen sich selbst
„Licht am Ende des Tunnels“
- Explodierende Nanopartikel
Massimo Altarelli über den
- Forscher röntgen Proteinkristalle
weltgrößten Röntgenlaser
34
18
Lizenz zum Messen
Experimente am European XFEL
- Molekularer Breakdance
Neue Forschungsmöglichkeiten
- Optischer Trichter für
für viele Naturwissenschaften
Ein neuer Elektronik-Standard
erobert den Markt
direkt in der Zelle
- Neues Nanomaterial
Neue Technik für die Herstellung
metallischer Nanosysteme
Forschung kurz gefasst
Der European XFEL
Nanopartikel
- Ein Gen, zwei Proteine,
20
Maßarbeit vom Fließband
ein Komplex
Herausforderungen beim
36
Unbekannte Sauerstoffquelle
im Erdmantel
Hinweise aus der Entdeckung
Beschleunigerbau
25
neuer Eisenoxide
38
Teilchenbeschleuniger
auf Mikrochip
„Triumph für DESY“
Drei Fragen an Helmut Dosch
26
Europäische Partner
Elf Länder beteiligen sich am
Bau des European XFEL
Moore-Stiftung fördert
innovative Technologie
28
39
Warum van Goghs
Sonnenblumen welken
Per Rad durch den Röntgenlaser
Zwei Schüler erkunden den
European XFEL
Röntgenuntersuchung zeigt,
wie Chromgelb nachdunkelt
RUBRIKEN
02 femtoskop
Der Planeten-Simulator
33 femtomenal
16 288 Meter Tunnel
09 femtopolis
Entchen marsch!
40 femtocartoon
Sind Laserschwerter die
besseren Argumente?
5
femto 01/16
CAMPUS
Perfektion ist
nicht das Maß
aller Dinge
Leicht „unordentliche“ Kristalle (rechts) aus
komplexen Biomolekülen wie dem hier
abgebildeten Photosystem II erzeugen im
Röntgenlicht ein kontinuierliches Streubild,
aus dem sich mehr Informationen gewinnen
lassen als aus den sogenannten Bragg-Peaks
eines stärker geordneten Kristalls (links).
6
Bild: DESY, Eberhard Reimann
Eine Dosis Unordnung sorgt für einen
Durchbruch in der Kristallographie
femto 01/16
I
n der Wissenschaft ist es wie im echten Leben: Perfekt zu sein, ist nicht immer die beste
Wahl. Gerade in kleinen Macken offenbart
sich manchmal das wirklich Interessante.
Menschlich gesehen ist das keine neue Wahrheit.
Kleine Eigenheiten im Charakter, individuelle
Abweichungen von der Norm eines perfekten
Körpers gelten zumeist nicht als störend, sondern machen einen Menschen liebenswert und
interessant. Für eine exakte Wissenschaft wie
die Kristallographie hingegen, die auf physikalischen Messmethoden und mathematischen
Analysen fußt, bedeutet das einen echten
Henry Chapman leitet die Abteilung Kohärente Röntgenbildgebung am Center for Free-Electron Laser
Science bei DESY.
Paradigmenwechsel.
Bestrahlt man einen Kristall mit Röntgenlicht,
entsteht auf dem Detektor ein charakteristisches
Muster aus hellen Punkten, den sogenannten
Proteinkomplexen genau abzubilden“, erläutert
Bragg-Peaks. Aus solchen Streubildern können die
Chapman, der auch Professor an der Universität
Experten den räumlichen Aufbau eines Kristalls
Hamburg und Mitglied des Hamburg Centre for
rekonstruieren, bis hinunter zur atomgenauen
Ultrafast Imaging CUI ist. Die neue Methode kann
Struktur der Moleküle, aus denen so ein Kristall
mit weniger geordneten Kristallen arbeiten und
besteht. Dabei galt bisher: Je perfekter die Mo-
kommt ohne die sonst benötigten Zusatzinfor-
leküle im Kristall angeordnet sind, desto besser
mationen und chemisches Vorwissen aus. „Diese
das Abbild des Moleküls. Doch für die besonders
Entdeckung besitzt das Potenzial, eine echte
komplexen Biomoleküle, die sich extrem schwer
Revolution in der Kristallographie komplexer
kristallisieren lassen, ist Perfektion nicht das
Materie zu werden“, betont der Vorsitzende des
Maß aller Dinge. Gerade die kleinen Fehler etwas
DESY-Direktoriums, Helmut Dosch. Die Forscher
„unordentlicher“ Kristalle, in denen einzelne Moleküle leicht verschoben sind, können entschei-
bekommen Zugang zu den Bauplänen von tausenden medizinisch und biologisch bedeutenden
dende Informationen für die Strukturaufklärung
Biomolekülen. Die räumliche Struktur liefert
beisteuern – verborgen in dem schwachen, kon-
wichtige Informationen über die Funktionsweise
tinuierlichen Streubild, das bislang im Wesent-
eines Biomoleküls und kann damit beispielsweise
lichen als störender Hintergrund galt und nicht
als Basis zur Entwicklung eines Medikaments
weiter beachtet wurde.
dienen.
„Diese Entdeckung
besitzt das Potenzial,
eine echte Revolution
in der Kristallographie
komplexer Materie zu
werden“
Helmut Dosch, DESY
„Extrem-Sudoku in drei Dimensionen“
Selbst mit einem perfekten Kristall lässt sich eine
völlig unbekannte Proteinstruktur nicht allein aus
den Bragg-Peaks bestimmen. „Diese Aufgabe ist
wie Extrem-Sudoku in drei Dimensionen mit Millionen Kästchen aber nur der Hälfte der nötigen
Tipps“, erläutert Chapman. In der Kristallographie
wird dieses komplizierte Puzzle als Phasenproblem bezeichnet. Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass die Phasen der gestreuten Lichtwellen
bekannt sein müssen, um die Struktur des Moleküls zu berechnen. Die Phase einer Lichtwelle gibt
Diese Entdeckung gelang einem Team unter
an, wie sehr ihr Wellenberg dem einer anderen
Leitung von DESY-Forscher Henry Chapman vom
Welle vorauseilt oder hinterherläuft. Die Phasen
Hamburger Center for Free-Electron Laser Science
der einzelnen Wellen lassen sich jedoch nicht
CFEL. Die Forscher entwickelten eine neue
messen. Um das Rätsel zu knacken, sind daher
Methode, um die räumlichen Strukturen von
weitere Hinweise nötig. Diese lassen sich unter
Proteinen und anderen Biomolekülen zu be-
Umständen aus der bereits bekannten Struktur
stimmen, die über bisherige Verfahren in vielen
eines chemisch eng verwandten Moleküls gewin-
Fällen nicht zugänglich waren. „Unsere Entde-
nen oder aus dem Vergleich mit Streubildern von
ckung erlaubt uns, atomare Details von großen
Kristallen chemisch leicht veränderter Moleküle.
7
femto 01/16
CAMPUS
Die Analyse der Bragg-Peaks alleine (links) liefert deutlich weniger Details des untersuchten Moleküls als die zusätzliche
Analyse des kontinuierlichen Streubilds (rechts). Die Lupen zeigen Originaldaten aus der Untersuchung.
Die besten Kristalle sind nicht perfekte Kristalle
Dieses Konzept führt zu einem ParadigmenAuch diese Hürde erschwert insbesondere bei
wechsel in der Kristallographie: Die am besten
großen Molekülkomplexen wie etwa Membran-
geordneten Kristalle sind bei dem neuen Verfah-
proteinen die Strukturbestimmung.
ren nicht mehr die besten für die Analyse. Am
Chapman entdeckte, dass das Phasenproblem
und das Problem der nicht perfekten Kristalle
besten eignen sich leicht ungeordnete Kristalle,
betont Chapman. „Erstmals haben wir Zugang
miteinander verbunden sind. Der Schlüssel liegt
zu Streubildern einzelner Moleküle – das gab
in dem schwachen, kontinuierlichen Streubild,
es zuvor in der Kristallographie noch nie. Dabei
das bei „unordentlichen“ Kristallen entsteht, dem
wissen wir seit langem, wie sich das Streubild
vermeintlich störenden Hintergrund. Daraus las-
einzelner Moleküle analysieren lässt, wenn
sen sich zwar Einblicke in die Vibrationen und an-
man es denn messen kann.“ Die Technik der
dere Dynamiken der Moleküle gewinnen, für die
sogenannten kohärenten Röntgenbeugung mit
Strukturanalyse wird es jedoch normalerweise
Hilfe von Freie-Elektronen-Lasern hat hierzu
nicht berücksichtigt. Doch wenn die Unordnung
sehr leistungsfähige Algorithmen geliefert. „Man
im Kristall einzig daher rührt, dass die einzelnen
muss nicht einmal die Chemie kennen“, erläutert
Moleküle leicht von ihrer Idealposition im Kristall
Chapman. „Aber man kann sie direkt aus den
verschoben sind, enthält dieser „Hintergrund“ das
dreidimensionalen Bildern erkennen, die man
komplette kontinuierliche Streubild der Einzel-
bekommt.“
moleküle im Kristall.
„Würde man ein einzelnes Molekül mit
Röntgenstrahlen beleuchten, würde es ein
kontinuierliches Streubild ohne irgendeinen
Bragg-Peak erzeugen“, erläutert Erstautor Kartik
Ayyer aus Chapmans CFEL-Gruppe. „Das Muster
wäre allerdings extrem schwach und sehr schwer
zu messen. Aber der ‚Hintergrund‘ in unserer
Analyse ist wie eine Aufsummierung zahlreicher
Einzelaufnahmen individueller Moleküle. Wir
benutzen den Kristall quasi nur, um eine Vielzahl
gleich ausgerichteter Moleküle gemeinsam in den
Strahl zu befördern.“ Das kontinuierliche Streu-
„Erstmals haben wir
Zugang zu Streubildern
einzelner Moleküle –
das gab es zuvor in
der Kristallographie
noch nie“
Henry Chapman, DESY
bild liefert ausreichend Informationen, um das
Phasenproblem direkt zu lösen, ohne dass irgend-
Um ihre neue Technik experimentell zu testen,
etwas über das untersuchte Molekül bekannt sein
tat sich Chapmans Gruppe mit dem Team von
muss. In Analogie zum Sudoku-Puzzle ergeben
Petra Fromme und weiteren Forschern von der
die Messungen nun genug Hinweise, um stets die
Arizona State University, der Universität von
richtige Antwort zu finden.
Wisconsin, der griechischen Stiftung für
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femto 01/16
femtopolis
Entchen
marsch!
Aus der Badewanne
an die Forschungsfront
D
as kleine gelbe Quietsche-
aller Welt. Ein trauriges Beispiel für
moleküls aus den entsprechenden
die globalen Stoffkreisläufe.
Streubildern zu ermitteln.
Vergnüglicher ist der Enten-Einsatz bei den Kristallographen, die
mit Hilfe von intensivem Röntgen-
Zum ersten Mal tauchte die
„Fourier-Ente“ in einem Buch über
optische Transformationen der
licht die räumliche Struktur komple-
britischen Kristallographen Charles
xer Biomoleküle entschlüsseln. Das
Alfred Taylor und Henry Solomon
funktioniert nur mit komplizierten
Lipson aus dem Jahr 1964 auf. Heute
Berechnungen, sogenannten Fourier-
hat sie sich im Unterrichtsmaterial
Transformationen, und hier kommt
weit verbreitet und begegnet so gut
die Ente ins Spiel: Sie ersetzt in den
wie jedem Studenten, der eine Einführung in das Fach bekommt.
Entchen liegt gut in der
Rechenmodellen die Biomoleküle,
Hand, schwimmt immer
fungiert also als Testobjekt, dessen
Jahrzehntelang galt dabei die
oben und ist unser liebster
Form bekannt, nicht zu kompliziert,
Devise: Je ordentlicher die Enten auf
Badegast in der heimischen Wanne.
aber auch nicht zu simpel ist. Sitzen
ihren Gitterpunkten sitzen, desto
Doch auch die Forscher haben
viele Enten in einem Gitter, sym-
besser. Doch die Natur ist nicht im-
die Gummitiere für sich entdeckt:
bolisiert das den Kristall, den die
mer präzise. Überraschenderweise
Eher unbeabsichtigt geriet eine
Forscher mühsam aus den Biomole-
lässt sich über die Enten – oder
Containerladung Plastikspielzeug,
külen gezüchtet haben, um ihn mit
genauer: über die Moleküle, die sie
die ein Frachter aus Hongkong im
Röntgenlicht zu bestrahlen und aus
repräsentieren – viel mehr lernen,
Januar 1992 im Ostpazifik verlor, zu
dem entstehenden Streubild auf die
wenn sie nicht allzu perfekt in Reih
einem Großexperiment über die
Struktur rückzuschließen. Nur wenn
und Glied stehen. Ein Paradigmen-
Verbreitung von Plastikmüll im Meer.
die Rechenmodelle es schaffen, aus
wechsel für die Kristallographen –
Knapp 29 000 Badewannenentchen
dem Streubild die Ente zu rekons-
und mehr Freiheit für die Entchen,
und Co. trieben mit den Strömungen
truieren, taugen sie auch dazu, die
die jetzt um ihren Gitterpunkt auch
über die Ozeane und landeten in
unbekannte Struktur eines Bio-
mal herumschwimmen dürfen.
9
femto 01/16
Forschung und Technology – Hellas FORTH sowie
dem US-Beschleunigerzentrum SLAC zusammen.
Die Wissenschaftler nutzten den weltstärksten
Röntgenlaser LCLS am SLAC, um „unordentliche“
Kristalle eines Membranproteinkomplexes
namens Photosystem II zu untersuchen, der Teil
der Photosynthese-Maschinerie in grünen Pflanzen ist.
Die Analyse des kontinuierlichen Streubilds
verbesserte in dem Versuch die Detailgenauigkeit
gegenüber der reinen Auswertung der BraggPeaks unmittelbar um etwa ein Viertel von
4,5 auf 3,5 Ångström. Ein Ångström ist ein Zehntel
Nanometer (milliardstel Meter) und entspricht in
etwa dem Durchmesser eines Wasserstoffatoms.
Das resultierende Bild zeigt dadurch Details des
CAMPUS
Nanostrukturen
bauen sich
selbst
Neue Technik für die Herstellung
metallischer Nanosysteme
Moleküls, die sonst nur durch die rechnerische
Anpassung an ein chemisches Modell sichtbar
werden. „Das ist ein ziemlich großer Schritt bei
der Untersuchung von Biomolekülen“, betont
Ko-Autor Anton Barty von DESY. „Und wir können
die räumliche Auflösung weiter verbessern, wenn
wir mehr Bilder aufnehmen.“ Das Team hatte
D
ESY-Forscher haben ein neues Verfahren
entwickelt, mit dem sich metallische
Nanostrukturen selbst bauen und ordnen.
Dieser sogenannte Bottom-up-Ansatz
bietet eine schnelle und einfache Alternative zu
für diese ersten Versuche nur ein paar Stunden
bisherigen Verfahren und ist damit auch für die
Messzeit zur Verfügung, während eine normale
Wirtschaft interessant, die immer häufiger Nano-
Messkampagne oft einige Tage dauert.
Die Wissenschaftler hoffen nun, noch detail-
strukturen nutzt. „Vor allem erlaubt die Methode,
ausgesprochen gleichförmige Nanostrukturen in
reichere Bilder vom Photosystem II und vielen an-
sehr regelmäßigen Anordnungen mit verhältnis-
deren Makromolekülen mit ihrer neuen Technik
mäßig geringem Aufwand herzustellen“, erläutert
gewinnen zu können. „Diese Form der kontinu-
die Hauptautorin des Fachartikels, Denise Erb.
ierlichen Röntgenbeugung hat man tatsächlich
Mit einem von DESY-Wissenschaftler Kai Schlage
schon seit langem bei vielen schlecht streuenden
entwickelten Spezialaufbau konnten die Forscher
Kristallen beobachtet“, erläutert Chapman. „Man
an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III den Nano-
hatte allerdings noch nicht verstanden, dass sich
strukturen beim Wachsen zusehen.
daraus Strukturinformationen gewinnen lassen,
Nanostrukturen sind winzige Objekte, die
daher wurde sie bei der Analyse gewöhnlich
kleiner als ein tausendstel Millimeter sind. Ein
unterdrückt. Wir werden jetzt viel damit zu tun
Nanometer (nm) ist ein millionstel Millimeter.
haben zu prüfen, ob wir aus alten, ursprünglich
Im Vergleich dazu ist die Dicke eines mensch-
verworfenen Daten weitere Molekülstrukturen
lichen Haars mit fast 40 000 Nanometern riesig.
gewinnen können.“
Für viele wissenschaftliche Fragestellungen und
technische Anwendungen ist es wichtig, dass die
Nature, 2016; DOI: 10.1038/nature16949
Nanostrukturen sich in einem geordneten Muster
wiederholen. Größen und Abstände der einzelnen
Musterelemente liegen dabei zwischen einigen
wenigen und mehreren hundert Nanometern.
Nanostrukturen begegnen uns immer häufiger im
Alltag. „Durch Nanostrukturen können bessere
oder neue Funktionalitäten erzielt werden. Zum
Beispiel bei Katalysatoren, Datenspeichern oder
Sensoren“, sagt Erb. „Produkte, mit denen wir in
unserem täglichen Leben umgehen, haben aber
in der Regel Abmessungen von Zentimetern oder
mehr. Also möchte man nanostrukturierte Materialien in dieser Größenordnung herstellen. Und
10
CAMPUS
das möglichst schnell und billig.“ Allerdings ist es
oft eine große Herausforderung, Nanostrukturen
sowohl auf großer Fläche als auch mit regelmäßiger Anordnung herzustellen. Hierbei kann das
neue Verfahren seine Stärke ausspielen.
Die traditionelle Herangehensweise an dieses
Problem, das sogenannte Top-Down-Verfahren,
lässt sich mit Bildhauerei vergleichen: Es wird
zunächst eine Fläche mit dem gewünschten Material beschichtet. Aus dieser Schicht wird dann
das Muster durch Entfernen bestimmter Bereiche herausgearbeitet. Dies geschieht Stück für
Stück, so dass die Produktionsdauer direkt von
der Größe der gewünschten Fläche abhängt. Der
Vorteil ist, dass sich nahezu jedes gewünschte
Muster auf diese Weise herstellen lässt.
„Durch Nanostrukturen
können bessere oder neue
Funktionalitäten erzielt
werden. Zum Beispiel bei
Katalysatoren, Datenspeichern oder Sensoren“
Denise Erb, DESY
Struktur die Bildung der zweiten Struktur beeinflusst. Durch eine solche Kombination entstehen
besonders gleichmäßige Muster. Erb und ihre
Kollegen kombinieren auf diese Weise Kristalle,
Aufbau einer Nanostruktur
nach dem Bottom-upVerfahren: Auf den etwa
10 Nanometer (nm) tiefen
Furchen eines Aluminiumoxid-Kristalls (grau) wächst
eine 40nm dicke Copolymer-Schicht (braun). Darauf
lagern sich rund 10nm hohe
Quantenpunkte aus Metall
ab (grün). Die gezeigte
Fläche ist 3000nm mal
1800nm groß.
Polymere und Metalle.
„Für Wissenschaftler dürfte besonders spannend sein, dass man mit Röntgenstreuung live
dabei zusehen kann, wie sich die Nanostrukturen
Die Methode der DESY Forscher dagegen fußt
bilden und wie sich dabei ihre physikalischen
auf dem sogenannten Bottom-up-Ansatz. Die-
Eigenschaften entwickeln“, sagt der Leiter der
ser nutzt aus, dass bestimmte Materialien von
DESY-Forschungsgruppe, Ralf Röhlsberger. An
sich aus dazu neigen, Nanostrukturen zu bilden.
der Forschungslichtquelle PETRA III waren die
„Bei Bottom-up-Methoden, auch selbstorgani-
DESY-Forscher live dabei: In einer speziellen An-
sierende Methoden genannt, zwingen wir das
lage haben sie die Metall-Nanostrukturen unter
Material nicht in ein bestimmtes Muster wie bei
verschiedenen Bedingungen direkt im Röntgen-
Top-down-Verfahren“, erläutert Erb. „Stattdessen
strahl wachsen lassen.
schaffen wir Bedingungen, die es dem Material
Mit Hilfe des Röntgenlichts können die For-
erlauben, sich selbst zu ordnen und Nanostruk-
scher zum Beispiel erkennen, wie sich die Form
turen auszubilden. Die Form der Nanostrukturen
und die magnetischen Eigenschaften der Nano-
können wir dabei nicht so beliebig festlegen, wie
strukturen entwickeln. Sie können also nicht nur
bei Top-down-Methoden – sie sind durch die
das Endergebnis ihrer Arbeit begutachten, son-
Materialeigenschaften vorgegeben. Nichtsdesto-
dern auch die Zwischenstadien genauer studie-
trotz sind die entstehenden Nanostrukturen für
ren. Wie beim Fußball sind die Forscher nicht nur
uns sehr interessant und nützlich.“ Der große
am Endergebnis des Spiels interessiert, sondern
Vorteil liegt darin, dass die Bildung der Nano-
auch am Verlauf. Die Forscher möchten etwa
strukturen auf der gesamten Fläche gleichzeitig
wissen, welche Parameter eine wichtige Rolle
geschieht, so dass die Dauer der Herstellung
gespielt haben. „Eine Methode zu etablieren, die
nicht mehr von der Größe der Fläche abhängt.
Um die gewünschten Nanostrukturen per
Bottom-up-Verfahren zu erhalten, können auch
Nanostrukturen einfacher und schneller entstehen lässt, ist genauso Ziel unserer Forschung, wie
besser zu verstehen, wieso sich diese winzigen
mehrere verschiedene selbstorganisierende
Strukturen magnetisch, chemisch oder optisch so
Materialien miteinander kombiniert werden.
verhalten, wie sie es tun“, fasst Erb zusammen.
Der Aufbau der Nanostrukturen geschieht dann
schrittweise, so dass die Ordnung der ersten
Science Advances, 2015; DOI: 10.1126/sciadv.1500751
11
Bild: Denise Erb, DESY
femto 01/16
femto 01/16
ZOOM
Röntgenlaser
der Superlative
Er ist Hochgeschwindigkeitskamera, Supermikroskop und Planetensimulator zugleich: Mit seinen intensiven und ultrakurzen Röntgenlaserblitzen eröffnet der European XFEL von 2017 an Forschern aus
Wissenschaft und Industrie völlig neue Einblicke in die Nanowelt –
atomare Details von Viren, die molekulare Zusammensetzung
neuartiger Werkstoffe, Filme von chemischen Reaktionen und die
Eigenschaften von Materie unter Extrembedingungen.
Elf Staaten sind an dem europäischen Gemeinschaftsprojekt
beteiligt. DESY ist Hauptgesellschafter und für den Bau und
Betrieb des Beschleunigers mit seiner innovativen, supraleitenden
Technologie verantwortlich. Der European XFEL verläuft größtenteils
in Tunneln unter der Erde. Die 3,4 Kilometer lange Anlage reicht von
DESY in Hamburg bis in die schleswig-holsteinische Nachbarstadt
Schenefeld.
12
13
Bilder: European XFEL / DESY
ZOOM
femto 01/16
ZOOM
Licht für
die Zukunft
Der European XFEL in Hamburg wird die stärksten
Röntgenlaserblitze der Welt produzieren
D
reieinhalb Kilometer erstreckt sich der
European XFEL von Hamburg-Bahrenfeld
bis ins schleswig-holsteinische Schenefeld. Der leistungsstärkste Röntgenlaser
der Welt ist zugleich eine der größten Wissenschaftsmaschinen Europas. Seine Basis ist ein
knapp zwei Kilometer langer Teilchenbeschleuniger. Er bringt Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit. Spezielle Magnetstrukturen, sogenannte
Undulatoren, zwingen die schnellen Elektronen
1
2
auf eine Slalombahn – mit der Folge, dass die
Teilchen kurze, extrem starke Röntgenblitze aussenden, die noch dazu Lasereigenschaften haben.
Die Röntgenblitze machen Aufnahmen ultraschneller Vorgänge möglich, weil jeder einzelne
Blitz weniger als 100 billiardstel Sekunden kurz
und ausreichend lichtstark für Momentaufnahmen ist. So lassen sich molekulare Reaktionen
quasi filmen und damit Prozesse verstehen, die
für chemische Produktionsverfahren in der Industrie oder medizinische Wirkmechanismen grundlegend sind. Außerdem können die kurzwelligen
Laserblitze sichtbar machen, wie Nanowerkstoffe
oder komplexe Biomoleküle auf atomarer Ebene
zusammengesetzt sind – auf dieser Wissensbasis
lassen sich neue maßgeschneiderte Materialien
und Medikamente entwickeln. Auch extreme
14
In der Elektronenquelle [1] schlägt ein
starker Laser jeweils mehrere Milliarden
Elektronen aus einer CäsiumtelluridElektrode, die anschließend zu feinen
Paketen gebündelt werden. Den richtigen
Schub geben diesen Paketen die
Beschleunigermodule [2]. In diese werden
starke Radiowellen eingespeist, auf denen
die Elektronen dann „reiten“ wie Surfer
ZOOM
Zustände von Materie lassen sich mit dem
offenbart einen komplexen Aufbau. Die Elektro-
Röntgenlaser erzeugen und analysieren: hohe
nen flitzen durch ein dünnes, luftleer gepumptes
Drücke und Temperaturen, wie sie im Inneren
Rohr. Die meisten Komponenten dienen der
von Planeten vorkommen, und unter denen sich
Wärmeisolierung und der Kühlung – diverse
Materie ganz anders verhält als unter irdischen
„Normalbedingungen“.
„Der European XFEL wird Wissenschaftlern
aus Forschung und Industrie ganz neue Mög-
Leitungen, durch die Flüssighelium gespült wird,
was das Innere der Röhre auf minus 271 Grad
Celsius bringt.
Der Aufwand ist nötig, damit die Kernkompo-
lichkeiten eröffnen“, betont Massimo Altarelli,
nenten funktionieren können – die Resonatoren.
Vorsitzender der Geschäftsführung des European
Diese silbrig glänzenden Bauteile sorgen für die
XFEL. „Vieles wird Grundlagenforschung sein, die
eigentliche Beschleunigung. Mit Hilfe starker
ihre größte Wirkung meist nicht kurzfristig und
Radiowellen bringen sie die winzigen Elektronen-
auch nicht immer auf dem beabsichtigten Gebiet
pakete nahezu auf Lichtgeschwindigkeit. Jedes
entfaltet. Aber ohne solche Grundlagenforschung
Modul enthält acht Resonatoren bestehend aus
wäre unser heutiges Leben nicht vorstellbar.“
dem supraleitenden Metall Niob. Supraleitend
heißt, dass das Metall jeden elektrischen Wider-
Rennmaschine für Elektronen
stand verliert und Strom verlustfrei leitet – aller-
Elf Staaten sind an dem europäischen Gemein-
dings erst bei klirrender Kälte. Der Vorteil: So kön-
schaftsprojekt beteiligt. DESY ist Hauptgesell-
nen pro Sekunde deutlich mehr Elektronenpakete
schafter und verantwortet den Bau und Betrieb
auf Touren gebracht und entsprechend mehr
des Beschleunigers mit seiner innovativen,
Röntgenblitze erzeugt werden als durch die kon-
supraleitenden Technologie, die bereits bei DESYs
ventionelle, normalleitende Beschleunigertechnik.
Röngentlaser-Pionier FLASH erprobt wurde. Die
Insgesamt 101 supraleitende Module werden die
Beschleunigermodule sind gelbe, wuchtige Röh-
Teilchen in dem zwei Kilometer langen Beschleu-
ren, zwölf Meter lang und einen knappen Meter
nigertunnel auf Trab bringen. Gelegentlich sind
dick. Ein Blick ins Innere eines solchen Moduls
sie durch „warme“, also ungekühlte Abschnitte
4
3
6
5
auf einer Wasserwelle. Damit die rasenden
Teilchen nicht durch Luft abgebremst
werden, fliegen sie in Vakuumröhren [3].
Haben die Elektronen ihre Maximalenergie
erreicht, durchlaufen sie spezielle Magnetstrukturen, die Undulatoren [4]. Diese zwingen die Elektronen auf einen Slalomkurs und
bringen sie dazu, Röntgenblitze auszusenden. Am Ende der Undulatorstrecke sind
extrem intensive, ultrakurze Röntgenlaserblitze entstanden, die Forscher nutzen, um
an Messplätzen [5] die unterschiedlichsten
Proben zu durchleuchten. Das Prinzip: Die
Atome der Probe lenken das Röntgenlicht ab,
Detektoren fangen die abgelenkte Strahlung
auf. Am Computer [6] lässt sich daraus
beispielsweise die räumliche Struktur der
Probe atomgenau berechnen.
15
ZOOM
Weltweit werden FreieElektronen-Röntgenlaser
gebaut. Etwa die Hälfte
der Anlagen ist bereits
in Betrieb.
European XFEL
Schenefeld & Hamburg (DE)
FLASH | FLASH II
DESY, Hamburg (DE)
PAL-XFEL
PAL, Pohang (KR)
LCLS | LCLS II
SLAC, Menlo Park (US)
SACLA
SCSS
SwissFEL
PSI, Villigen (CH)
FERMI
Kurzwellige
Röntgenstrahlung
Elettra Sincrotrone Trieste,
Trieste (IT)
Langwellige
Röntgenstrahlung
unterbrochen. In ihnen sind unter anderem
trennen, lenken Biegemagnete den Elektronen-
Magnete zum Bündeln der Elektronenpakete
strahl sachte nach rechts ab, in einen anderen
montiert. Am Ende des Beschleunigers verzweigt
Tunnel. Die Röntgenblitze dagegen laufen strikt
sich der Tunnel in zwei Röhren. Beide enthalten
geradeaus, bis sie in einem flachen Winkel auf
eine weitere Kernkomponente der Maschine – die
einen Spezialspiegel treffen. Dieser ist mit Na-
Undulatoren. Über und unter dem Elektronen-
nometerpräzision geschliffen und fungiert als
strahlrohr sind Permanentmagnete montiert, alle
Verteilstation: Entweder lässt er die Röntgenblitze
vier Zentimeter wechseln sich Nord- und Südpol
in ein Rohr geradeaus passieren, oder er lenkt
ab. Die Elektronen werden dadurch auf Slalom-
sie um ein Zehntelgrad ab in ein anderes Rohr.
kurs gebracht.
600 Meter laufen beide Röhren nebeneinander
her, wobei sie sich allmählich immer weiter von-
Auf Slalomkurs
einander entfernen. Am Ende des Tunnels, nach
In den Kurven strahlen die fast lichtschnellen
3,4 Kilometern, treten sie in einem Abstand von
Elektronen starkes Röntgenlicht ab. Das Beson-
1,40 Metern durch eine dicke Betonwand. Direkt
dere an dem Freie-Elektronen-Laser: Er besitzt
dahinter liegt die große Experimentierhalle mit
nicht nur einen Undulator, sondern 35, hinter-
Messhütten, deren Wände Blei zur Abschirmung
einandergeschaltet auf einer Strecke von mehr
der Röntgenstrahlung enthalten. In diesen Hütten
als 200 Metern. „Wenn das Röntgenlicht eines
sollen 2017 die ersten Experimente stattfinden:
Undulators mit dem Licht des nächsten im Takt
Die Röntgenblitze werden auf die verschiedens-
schwingt, findet eine Verstärkung statt“, erläutert
ten Proben treffen und deren innerste Strukturen
Tobias Haas, Technischer Koordinator beim Euro-
und Prozesse enträtseln.
pean XFEL. „Nur dadurch erreiche ich den Verstär-
„Wir haben viele Jahre gearbeitet, um diese
kungseffekt, den ich für einen Laser brauche.“ Um
Anlage zu bauen“, sagt Haas. „Jetzt fühlen wir
den Lasereffekt optimal einstellen zu können, ist
uns, als hätten wir bei einem Marathonlauf
zwischen jedem der fünf Meter langen Undula-
endlich die Zielfahne im Blick.“ Zunächst wird
toren ein Zwischenstück eingesetzt, ein soge-
der europäische Röntgenlaser sechs Messplätze
nannter Phasenschieber.
Nach der Undulatorstrecke teilt sich die
beinhalten. Doch zwei weitere Tunnel sind bereits
gegraben und können bei Bedarf mit zusätzlichen
dünne, luftleer gepumpte Röhre in zwei Röhren
Undulatoren bestückt werden. Im Endausbau
auf: Die eine ist für die Elektronenpakete gedacht,
könnten die Forscher in der Experimentierhalle
die andere für die in den Undulatoren entstande-
bis zu fünfzehn Messstationen nutzen.
nen Röntgenlaserblitze. Um beide voneinander zu
16
RIKEN, Harima (JP)
SXFEL
SINAP, Shanghai (CN)
Bild: European XFEL
femto 01/16
„Licht am Ende
des Tunnels“
Massimo Altarelli, Vorsitzender der Geschäftsführung der European XFEL
GmbH, freut sich auf die
ersten Experimente am
weltgrößten Röntgenlaser
femto: Sechs Jahre Bauzeit liegen
femto: Wie profitiert die Gesellschaft
und Geldgebern zu erhalten und
hinter Ihnen, wann geht es los mit
davon?
sich auf eine gemeinsame Rechts-
Altarelli: Der European XFEL wird
wurde das internationale Abkom-
Altarelli: Ich hoffe, dass wir im Feb-
den Wissenschaftlern aus Forschung
men schließlich unterzeichnet.
ruar oder März 2017 die ersten Rönt-
und Industrie ganz neue Möglich-
Damit konnte der Bau beginnen.
genlaserblitze sehen werden. In der
keiten eröffnen. Vieles wird Grund-
Experimentierhalle entstehen der-
lagenforschung sein, die ihre größte
femto: Hat der Bau wie geplant
zeit die Messplätze, und zwischen
Wirkung meist nicht kurzfristig und
funktioniert?
Frühjahr und Sommer 2017 werden
auch nicht immer auf dem beabsich-
die beiden ersten Experimentiersta-
tigten Gebiet entfaltet. Aber ohne
Altarelli: Manchmal hätte ich mir
tionen an den Start gehen. Bis Mitte
solche Grundlagenforschung wäre
natürlich gewünscht, es hätte sich
2018 sollten dann alle drei Undula-
unser heutiges Leben nicht vorstell-
schneller machen lassen. Aber
torstrecken und sechs Messplätze in
bar. Mittel- und langfristig sehe ich
immerhin haben wir es mit einer
Betrieb sein.
zum Beispiel große Chancen für die
neuen Technologie an der Grenze
medizinische Forschung, beispiels-
des Machbaren zu tun, die wir in
femto: Welche neuen Einblicke er-
weise in der Entwicklung von Arz-
eine Serienproduktion überführen
möglicht die Anlage den Forschern?
neimitteln und Therapien, auf dem
mussten. Das war eine große Her-
Gebiet der erneuerbaren Energien
ausforderung. Alles in allem haben
Altarelli: Gegenüber den existie-
und bei Materialien für neue Tech-
sich die Verzögerungen in Grenzen
renden Röntgenquellen hat der
nologien. Nicht unterschätzen sollte
gehalten, und wir können sehr zu-
European XFEL einige wesentliche
man aber auch, dass bei uns junge
frieden sein!
Vorteile. Unter anderem sind seine
Wissenschaftler an einer weltweit
Pulse deutlich kürzer, nur etwa zehn
führenden Forschungseinrichtung
femto: Die Gemütslage bei Ihnen
und Ihren 280 Mitarbeitern?
der Forschung am European XFEL?
form zu einigen. Im September 2009
Femtosekunden lang. Damit wird
Erfahrung sammeln werden, die sie
es möglich sein, Filme von moleku-
später in Wissenschaft und Indus-
laren Prozessen und chemischen
trie zur Entwicklung neuer Verfah-
Altarelli: Sehr gut. Nach einer langen
Reaktionen aufzunehmen – man
ren und Produkte einsetzen können.
und anspruchsvollen Bau- und
kann die 'Action' buchstäblich
Planungsphase sehen wir nun
sehen, wie in einem Actionfilm.
femto: Schon 2003 hatte die Bun-
buchstäblich das Licht am Ende des
Außerdem besitzen die Blitze Laser-
desregierung grünes Licht für den
Tunnels – und zwar nicht nur in un-
eigenschaften. Das wird uns erlau-
europäischen Röntgenlaser gegeben.
serem Team, sondern bei Forschern
ben, künftig auch Proben bis ins ato-
Warum hat es so lange gedauert, bis
in ganz Europa. Zum jährlichen
mare Detail zu analysieren, die sich
der Bau beginnen konnte?
nicht kristallisieren lassen. Sollte es
Nutzertreffen kommen schon jetzt
jeweils hunderte Experten nach
gelingen, den Aufbau solcher einzel-
Altarelli: Der European XFEL wäre für
Hamburg. Das zeigt das große Inter-
nen Proteinmoleküle zu enträtseln,
ein einzelnes Land zu groß und zu
esse und die Aufbruchsstimmung,
die für die Pharmakologie inter-
teuer gewesen, deshalb war er von
die gerade unter den Wissenschaft-
essant sind, wäre das fantastisch!
Anfang an als ein internationales
lern herrscht.
Allen Methoden gemeinsam ist, dass
Projekt angelegt. Die Wissenschaft-
sie einen Blick auf bisher verborgene
ler aus anderen Ländern zu begeis-
Details und Abläufe im Nanokosmos
tern, war einfach. Schwieriger war
ermöglichen.
es, die Zustimmung von Politikern
17
Bild: European XFEL, Rey Hori
femto 01/16
Experimente am
European XFEL
Atomgenaue Bilder von Viren und Biomolekülen, Superzeitlupe für chemische
Reaktionen oder die Untersuchung von Materie bei Extrembedingungen wie
sie etwa tief im Inneren gigantischer Gasplaneten herrschen – mit seinen
außergewöhnlich hellen, energiereichen und intensiven Röntgenblitzen soll
der European XFEL neue Erkenntnisse in vielen Forschungsdisziplinen ermöglichen. Die zahlreichen Anwendungen erstrecken sich über Biologie, Medizin,
Chemie, Physik, Materialwissenschaften, Elektronik, Nanotechnik und eine
Reihe weiterer Fachgebiete. Sechs Experimentierstationen bieten dabei eine
Vielzahl von Untersuchungsmöglichkeiten. Unter anderem im Rahmen sogenannter Nutzer-Konsortien tragen zahlreiche Institutionen zu verschiedenen
Aspekten des Experimentierbetriebs am European XFEL bei. Auch DESY ist –
zum Teil führend – an solchen Konsortien beteiligt.
Geplanter Aufbau
der Messstation FXE
Dynamik in der Nanowelt
nicht nur klassische Festkörper wie Metalle lassen sich an der Expe-
Nanosysteme kommen immer häufiger auch in unserem Alltag vor.
rimentierstation untersuchen, auch weiche Materialien wie Polymere
Ein Beispiel sind metallische Nanopartikel in Katalysatoren, etwa im
und Gele und sogar biologische Proben können auf ihre Nanostruk-
Auto. Die Untersuchung der Eigenschaften und des dynamischen
tur und ihre Dynamik hin analysiert werden. Für ein breites Spektrum
Verhaltens solcher Systeme dient nicht nur einem besseren grundle-
unterschiedlicher Probenarten stehen verschiedene Analysemetho-
genden Verständnis, sondern auch der Optimierung von alltäglichen
den zur Verfügung, welche die Lasereigenschaften der XFEL-Strah-
Produkten mit Nanopartikeln. Die Messstation MID (Materials Ima-
lung, ihre kurze Pulslänge und hohe Intensität gleichermaßen
ging and Dynamics) widmet sich solchen Untersuchungen. Doch
nutzen.
4D-Supermikroskop in Raum und Zeit
Die Proben werden quer durch den Röntgenstrahl gejagt. Trifft ein
Biomoleküle, Nanokristalle, Viruspartikel, Zellorganellen und Atom-
intensiver Blitz beispielsweise einen Kristall aus Biomolekülen,
cluster – das sind die zentralen Forschungsobjekte an der Messsta-
entsteht ein charakteristisches Röntgenstreubild, aus dem sich die
tion SPB/SFX (Single Particles, Clusters and Biomolecules and Serial
Struktur des Biomoleküls rechnerisch rekonstruieren lässt. Der
Femtosecond Crystallography). Dabei geht es in der Regel darum,
räumliche Aufbau eines Biomoleküls verrät Forschern etwas über
zwei- und dreidimensionale Strukturen der Untersuchungsobjekte
seine Funktionsweise und kann Ansatzpunkte für die Entwicklung
aufzuklären, und zwar mit atomgenauer Auflösung von besser als ei-
von Medikamenten liefern. Aber nicht nur die Struktur- und Zellbiolo-
nem Nanometer (millionstel Millimeter). Das 3D-Mikroskop ist dabei
gie werden von den Untersuchungsmethoden dieser Messstation
eigentlich ein 4D-Supermikroskop, berücksichtigt man auch die
profitieren, auch Materialwissenschaften, Nanotechnik und viele
hohe mögliche Zeitauflösung.
andere Disziplinen.
Der Exoplaneten-Simulator
Die „Normalbedingungen“ auf der Erdoberfläche sind im Universum
teme (Exoplaneten) herrschen. Zur Erzeugung solcher Extrembedin-
die absolute Ausnahme: Ein Großteil der Materie existiert bei viel
gungen dienen verschiedene Mittel wie beispielsweise optische
höheren Drücken, Temperaturen und stärkeren elektromagnetischen
Hochleistungslaser, Diamantstempelzellen und starke gepulste Mag-
Feldern. In der Experimentierstation HED (High Energy Density
nete. Die Untersuchung von Materie unter Extrembedingungen führt
Science) lassen sich Extrembedingungen simulieren, wie sie bei-
zu einem vollständigeren Bild ihrer Materialeigenschaften, auch ab-
spielsweise im Inneren gigantischer Gasplaneten anderer Sonnsys-
seits des schmalen Bereichs, den wir Normalbedingungen nennen.
18
femto 01/16
ZOOM
Ultraschnelle Quantenfilmkamera
So lässt sich mithilfe der ultrakurzen Belichtungszeiten etwa das
Dynamische Prozesse im Nanokosmos laufen meist auf unvorstell-
komplizierte Wechselspiel der Moleküle während einer chemischen
bar kurzen Zeitskalen von billiardstel Sekunden (Femtosekunden) ab.
Reaktion beobachten, und der Röntgenlaser liefert bisher nicht ver-
Die Messstation FXE (Femtosecond X-ray Experiments) macht sich
fügbare Informationen über die detaillierten Schritte. Dafür wird der
die extrem kurzen Röntgenblitze des European XFEL zunutze, mit
zu untersuchende Prozess mit einem Laserblitz gestartet und nach
denen sich solche schnellen Prozesse in festen Stoffen, Flüssigkei-
einer genau definierten Zeit mit einem Röntgenlaserblitz abgebildet.
ten und Gasen scharf abbilden lassen. Beispiele sind sich ausbrei-
Das Experiment wird sehr oft wiederholt und dabei jeweils zu einem
tende Schockwellen, explodierende Nanopartikel sowie fast alle
etwas späteren Zeitpunkt abgelichtet. So entsteht eine Serie von
chemischen Reaktionen.
Standbildern, die sich zu einem Film des beobachteten Prozesses
montieren lassen.
Zoom in die Quantenwelt
dig in viele geladene Teile. SQS bietet den Forschern verschiedene
Im Reich der Atome und Moleküle gibt es noch viele ungeklärte Fra-
Techniken, diese Bruchstücke detailliert zu analysieren.
gen. Dem Verhalten kleiner Quantensysteme, die aus einem bis eini-
Die Ermittlung exakter atomarer Daten ist dabei nicht nur we-
gen zehntausend Atomen bestehen, spürt die Experimentierstation
sentlich für die Entwicklung neuer theoretischer Modelle, sondern
SQS (Small Quantum Systems) nach. Insbesondere die Wechselwir-
auch für viele andere experimentelle Methoden. Denn um ihre Er-
kung von diesen kleinsten Struktureinheiten mit den ultra-intensiven
gebnisse begründen und quantifizieren zu können, brauchen Wis-
Blitzen des Röntgenlasers hat die Mehrphotonenkamera dabei im
senschaftler verlässliche Daten, die jedoch selbst für eher einfache
Visier. Bei Mehrphotonenprozessen entstehen häufig viele Elektro-
Systeme oft fehlen. Dabei ist es notwendig, die Mitspieler – die
nen und hochgeladene Ionen, Moleküle zerbrechen dabei vollstän-
Atome – zu kennen, um das gesamte Schauspiel zu verstehen.
Struktur und Dynamik komplexer Materialien
Röntgenstrahlung. Sie ist unter anderem optimal geeignet für die
Die elektronische und atomare Struktur und Dynamik von funktiona-
Untersuchung nanostrukturierter Materialien und ultraschneller
len und komplexen Materialien untersuchen Forscher an der Experi-
Magnetisierungsprozesse. Anwendungspotenziale liegen in den
mentierstation SCS (Spectroscopy and Coherent Scattering) mit so-
Forschungsfeldern Materialwissenschaften, Oberflächenchemie
genannter weicher Röntgenstrahlung. Weiche Röntgenstrahlung
und Katalyse, Nanotechnik und Dynamik kondensierter Materie.
besitzt weniger Energie und eine größere Wellenlänge als harte
Elektronentunnel
Elektronenverteiler
Photonentunnel
Elektronenablenkung
Undulator
Elektronenabsorber
MID Materials Imaging
and Dynamics
HED High Energy
Density Science
Optional für zwei weitere
Undulatoren und vier
Instrumente
SPB/ SFX Single Particles,
Clusters, and Biomolecules
and Serial Femtosecond
Crystallography
SQS Small Quantum Systems
SCS Spectroscopy and
Linearbeschleuniger
für Elektronen
(10.5, 14, 17.5 GeV)
Coherent Scattering
SASE 2
0.05 nm - 0.4 nm
SASE 1
0.05 nm - 0.4 nm
SASE 3
0.4 nm - 4.7 nm
19
Grafik: European XFEL
FXE Femtosecond
X-ray Experiments
femto 01/16
ZOOM
Maßarbeit vom
Fließband
Die Fertigung der supraleitenden Beschleunigermodule
war eine große Herausforderung beim Bau des
European XFEL
R
öntgenlaser auf Beschleunigerbasis gibt
es mittlerweile mehrere auf der Welt:
Der Pionier FLASH ging im Jahr 2000 bei
DESY in Betrieb. Seit einigen Jahren lie-
fern etwa LCLS in Kalifornien und SACLA in Japan
hochintensive Röntgenblitze. Beide Anlagen haben – unter anderem durch zahlreiche Veröffentlichungen in den renommierten Fachzeitschriften
„Nature“ und „Science“ – eindrucksvoll bewiesen,
welchen Wert die neuen Lichtquellen für die
Forschung haben. Ende 2016 soll der SwissFEL am
Reinhard Brinkmann ist
Direktor des Beschleunigerbereichs bei DESY.
Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz dazukommen. Gegenüber diesen Projekten besitzt der
European XFEL einen Vorteil: Er basiert auf supraleitender Technologie und kann deshalb deutlich
mehr Röntgenblitze pro Sekunde abfeuern als
kaum noch auf“, erklärt Brinkmann. „Deshalb
normalleitende Anlagen – ein wesentliches Plus
kann man ihn über einen viel längeren Zeitraum
für viele Experimente.
einschalten als einen Kupfer-Resonator.“ Dank
Konventionelle Beschleuniger bringen die
dieser Technik wird der European XFEL sehr viel
Elektronen in wassergekühlten Resonatoren
mehr Röntgenblitze produzieren können als die
aus Kupfer auf Trab. „Wegen seines elektrischen
anderen Anlagen – 27 000 pro Sekunde, also mehr
Widerstands erhitzt sich das Kupfer“, erläutert
als 200-mal so viel.
Reinhard Brinkmann, Direktor des Beschleuniger-
Die Vorteile: Manche Versuche, die an ande-
bereichs bei DESY. „Deshalb darf man die Radio-
ren Röntgenlasern Stunden dauern, werden sich
wellen immer nur für einen winzigen Sekunden-
in Hamburg in Minutenschnelle erledigen lassen.
bruchteil in den Resonator leiten, sonst würde
Dadurch sind mehr Experimente möglich. Und für
das Material schmelzen.“ Das bedeutet: Man
Projekte, bei denen die Forscher chemische Re-
muss einen kurzen Augenblick warten, damit sich
aktionen möglichst detailliert verfolgen möchten,
das erhitzte Kupfer wieder abkühlen kann – erst
erlaubt die schnellere Abfolge der Röntgenpulse
dann kann der nächste Radiowellen-Puls kom-
eine höhere zeitliche Auflösung.
men. Das begrenzt die Rate, mit der die Anlage
Allerdings hat die supraleitende Beschleu-
Röntgenblitze abfeuern kann. Bei den bisherigen
nigertechnologie auch einen Nachteil: Sie ist
Freie-Elektronen-Lasern sind es maximal 120 pro
teurer und wesentlich aufwendiger. So müssen
Sekunde.
die Kernkomponenten mit flüssigem Helium auf
rund minus 271 Grad Celsius gekühlt werden.
Blitzlichtgewitter dank Supraleitung
Um diese Beschränkung zu umgehen, entschied
„Hierfür konnten wir große Teile der HeliumVerflüssigungsanlage des ehemaligen Großbe-
man sich bei DESY für einen anderen Weg – die
schleunigers HERA verwenden“, sagt DESY-
supraleitende Technologie. Ein Supraleiter hat
Wissenschaftler Hans Weise, Koordinator des
keinen elektrischen Widerstand. Die Folge: „Der
European-XFEL-Beschleunigerkonsortiums. „Wir
Resonator heizt sich durch die Radiowellen
mussten also nicht alles komplett neu bauen.“
20
femto 01/16
ZOOM
Die größte Herausforderung jedoch waren
verfahren auf Herz und Nieren durchcheckten.
Entwicklung und industrielle Fertigung der
„Wir haben alle 16 000 Niobbleche gescannt“, er-
supraleitenden Resonatoren. Statt aus Kupfer
zählt Brinkmann. „Aussortieren mussten wir nur
bestehen sie aus dem Metall Niob. Gemeinsam
ein paar Prozent.“
mit zahlreichen in- und ausländischen Partnern
fertigte DESY die ersten Prototypen – ein Durchbruch. Doch in den rund drei Kilometer langen
Freie-Elektronen-Laser European XFEL sollten
mehr als 800 dieser supraleitenden Resonatoren
eingebaut werden – eine Stückzahl, die nur mit
einer Serienfertigung zu schaffen war.
Reinheitsgebot für Resonatoren
Also entwickelten die Experten eine komplexe,
„Wir haben alle 16 000
Niobbleche gescannt,
aussortieren mussten wir
nur ein paar Prozent“
Reinhard Brinkmann, DESY
industrietaugliche Verfahrenskette, sie umfasst
zahlreiche Mitspieler aus dem In- und Ausland.
Jene Bleche, die den Test bestanden, wurden
Allein die Herstellung des Rohmaterials ist auf-
zugeschnitten und gestanzt, um sie anschließend
wendig. Das Niob muss hochrein sein, weshalb es
in speziellen Öfen bis zu achtmal umgeschmol-
zu einem Resonator zusammenzuschweißen
– einer meterlangen, silbrig glänzenden Röhre
zen werden muss. Bei jedem Schmelzschritt sinkt
von der Form eines Baumkuchens. „Der Herstel-
die Menge an Verunreinigungen. Am Ende stehen
lungsprozess erfordert eine extrem hohe Rein-
Niobblöcke von höchster Reinheit, die anschlie-
heit“, erläutert Brinkmann. „Schon ein Staubkorn
ßend zu Blechen gewalzt werden. Dennoch
kann genügen, und ein Resonator funktioniert
können geringe Verunreinigungen im Material
nicht wie gewünscht.“ Um die Anforderungen zu
verbleiben – weshalb die Forscher bei DESY jedes
erfüllen, spielten sich manche der Prozessschritte
einzelne Blech mit einem speziellen Wirbelstrom-
in Reinräumen ab. Deren Luft ist extrem gefiltert,
Partikelzähler überwachen die Luftqualität. Um
die Komponenten nicht zu verschmutzen, trug
das Personal eine regelrechte Chirurgenkluft – inklusive Mundschutz, Haarnetz und Handschuhen.
Das Verschweißen der Niobbleche geschah
per Elektronenstrahl. Nach dem Verschweißen
folgten komplexe Reinigungsprozeduren: Die
Resonatoren erhielten ein elektrochemisches
Das Niob (oben) wird
mehrfach aufgeschmolzen
(oben links) und die
gewalzten Bleche genau
vermessen (links).
Supraleitende Resonatoren im Reinraum
21
femto 01/16
ZOOM
Säurebad, wurden unter Hochdruck mit besonders gereinigtem Wasser gespült und schließlich
stundenlang bei 120 Grad gebacken. „Teilweise
sind das Prozesse, deren Wirkmechanismus wir
noch gar nicht in allen Details kennen“, erläutert
Brinkmann. „Man könnte fast sagen, da steckt ein
kleines bisschen Alchemie drin.“
Viele der Techniken wurden bei DESY er-
Montage eines Beschleunigermoduls (rechts),
Anschluss der Hochfrequenz-Koppler an Resonatoren im Reinraum (unten)
probt, anschließend in die Industrie exportiert
und dann gemeinsam weiterentwickelt. „Es hat
eine Weile gedauert, bis wir eine zuverlässige
Serienfertigung hinbekommen haben, vieles
war ein mühsamer Prozess des Lernens und
Einübens“, sagt Brinkmann. „Doch am Ende hat
der gesamte industrielle Fertigungsprozess sehr
gut funktioniert – vom Blech bis zu den fertigen
Resonatoren.“ Geliefert hatten sie eine italienische und eine deutsche Firma. Anfang 2016 lief
das letzte Exemplar vom Band. Der Ausschuss:
gering. Kaum mehr als ein Dutzend der mehr als
800 Niob-Röhren musste chemisch nachbehandelt werden, und das durchschnittlich erzielte
Beschleunigungsfeld liegt deutlich über der
ursprünglichen Spezifikation.
bauten zahlreiche Institute und Firmen mit. Das
DESY-XFEL-Projektteam musste sicherstellen,
„Der industrielle
Fertigungsprozess hat
sehr gut funktioniert –
vom Blech bis zu den
fertigen Resonatoren“
Reinhard Brinkmann, DESY
dass alle Partner ihre Komponenten möglichst
pünktlich zur Verfügung stellten. „Kam irgendein
Bauteil zu spät, war die ganze Kette dahinter betroffen, und es drohte ein regelrechter Stau.“ Die
enge Zusammenarbeit zwischen DESY als Führer
des Beschleunigerkonsortiums und der European
XFEL GmbH, bei der die Gesamtleitung des Projekts liegt, bildete eine wichtige Grundlage für das
Gelingen des Unternehmens.
Pakete aus Milliarden Elektronen
Nach der Fertigung kamen sämtliche Resonatoren
Eine Kernkomponente der Anlage ist der Injektor:
nach Saclay bei Paris. Hier wurden je acht von
Das 50 Meter lange Gerät erzeugt jene Elektronen-
ihnen in ein gelb lackiertes Modul montiert – eine
pakete, die der Beschleuniger des European XFEL
Art riesige Thermoskanne mit integrierter Helium-
dann auf einer Strecke von 1,8 Kilometern auf
Kühltechnik. Nach und nach wanderten die ins-
Touren bringt. Das Funktionsprinzip des Injek-
gesamt 101 fertigmontierten Röhren zurück nach
tors: 27 000 Mal pro Sekunde feuert ein Laser
Hamburg, um in einer großen Halle auf Herz und
starke Lichtblitze auf ein pillenförmiges Metall-
Nieren geprüft zu werden. Erst dann konnten sie
stückchen. Jeder Blitz löst einen Pulk von rund
die Experten in den Tunnel des European XFEL
zehn Milliarden Elektronen heraus. Zwei supralei-
einsetzen.
tende Module beschleunigen diesen Pulk vor und
Der Bau des Beschleunigers bildete nicht nur
eine technische, sondern auch eine organisato-
formen ihn zu maßgeschneiderten Paketen.
Anfangs sind diese Elektronenpäckchen rund drei
rische Herausforderung – immerhin waren acht
Millimeter lang und einen Millimeter dick. Im
Länder daran beteiligt. „Einige Partner steuern vor
Laufe des Beschleunigungsprozesses werden sie
allem Geld bei, andere liefern im Wesentlichen
dann mittels raffinierter Technik weiter zusam-
Komponenten“, sagt Riko Wichmann, Leiter des
mengequetscht – auf rund ein Tausendstel ihres
XFEL-Projektbüros bei DESY. „Insbesondere die
Volumens. Der Grund: „Nur wenn die Elektronen
Koordination der Sachbeiträge war nicht ein-
auf kleinstem Raum konzentriert sind, lassen
fach, da ist deutlich mehr Aufwand angefallen
sich extrem starke Röntgenblitze erzeugen“,
als gedacht.“ An den Beschleunigermodulen
erläutert Hans Weise.
22
femto 01/16
Hans Weise ist Leitender
Wissenschaftler bei DESY
und Koordinator des European-XFEL-Beschleunigerkonsortiums.
Höchst ausgefeilt ist auch eine andere Technik, die beim europäischen Röntgenlaser zum
Einsatz kommt – die präzise Synchronisation
der ultrakurzen Elektronenpakete und Röntgenblitze. Sie ist unter anderem nötig, um
chemische Reaktionen filmen zu können. Dazu
löst ein gewöhnlicher, optischer Laserblitz
die Reaktion aus. Einen kurzen, definierten
Augenblick später hält der Röntgenblitz aus
dem European XFEL das Geschehen im Bild
fest. Allerdings funktioniert die Methode nur,
wenn optischer Laser und XFEL präzise aufei-
Test eines
Beschleunigermoduls
nander abgestimmt sind. Genau das gewährleistet eine spezielle Synchronisationstechnik.
Sie basiert auf einer „Laseruhr“, die in einer
„Nur wenn die Elektronen auf kleinstem
Raum konzentriert
sind, lassen sich extrem
starke Röntgenblitze
erzeugen“
Hans Weise, DESY
Erprobt wurde die Methode bereits bei FLASH.
Dieser rund 300 Meter lange Freie-ElektronenRöntgenlaser bei DESY basiert auf denselben
supraleitenden Beschleunigermodulen wie der
große European XFEL, erzeugt jedoch Lichtblitze
im weichen Röntgen- und UV-Bereich. „Wenn
man so will, ist FLASH ein 1:10-Modell für den
European XFEL“, sagt Reinhard Brinkmann. „Im
Laufe der Jahre hat uns FLASH zahllose wertvolle Erkenntnisse geliefert, wie man die große
Anlage planen und bauen muss.“ Bereits seit
Glasfaser im Beschleunigertunnel „tickt“. Unter
einem Jahrzehnt dient FLASH als Nutzeranlage
anderem misst das System den genauen Abstand
für Wissenschaftler aus aller Welt. Das Interesse
zwischen den Elektronenpaketen sowie den Rönt-
der Forscher an FLASH ist so groß, dass DESY
genblitzen – eine wichtige Information für die
die Experimentierkapazität der Anlage derzeit
Experimentatoren.
verdoppelt.
23
femto 01/16
supraleitende Technologie künftig nutzen –
konkret das US-Zentrum SLAC in Kalifornien.
Seit 2009 betreibt es erfolgreich die „Linac Coherent Light Source“ (LCLS), einen Röntgenlaser
basierend auf einem normalleitenden Beschleuniger. Derzeit planen die US-Forscher eine zweite
Maschine, eingebaut in denselben Tunnel: LCLS-II
wird auf einer Länge von 700 Metern mit 280
supraleitenden Resonatoren bestückt sein. Sie
„Wir sind nur deshalb so
schnell vorangekommen,
weil wir das Wissen und
die Erfahrung von DESY
nutzen konnten“
John Galayda, SLAC
gleichen im Wesentlichen denen des European
XFEL.
Das ehrgeizige Ziel: Ab 2019 soll der neue
und die Erfahrung von DESY nutzen konnten.“
Das galt vor allem für das Design der hochkom-
US-Laser eine Million Blitze pro Sekunde abfeu-
plexen Beschleunigermodule, aber auch für die
ern – allerdings bei längeren Wellenlängen und
supraleitenden Niob-Resonatoren. „Wir kaufen
damit geringerer Bildschärfe als das Vorbild in
sie bei denselben beiden Firmen ein, die auch den
Hamburg. „Bei unseren Planungen haben wir
European XFEL beliefert haben“, erklärt Galayda.
viel Unterstützung von DESY bekommen“, sagt
„Es ist ein enormer Vorteil für uns, dass es bereits
Projektleiter John Galayda. „Wir sind nur deshalb
Hersteller gibt, die große Erfahrung beim Bau
so schnell vorangekommen, weil wir das Wissen
dieser Resonatoren haben.“
Mit Hilfe des Elektro-Spezialfahrzeugs „Mullewupp“ (unten links)
wurden die Beschleunigermodule
im Tunnel transportiert und montiert
24
Bild: European XFEL
Auch andere Forschungseinrichtungen wollen die
ZOOM
femto 01/16
„Ein Triumph
für DESY“
DESY ist der Hauptgesellschafter des European
XFEL. Welche Erwartungen
das Forschungszentrum
mit dem europäischen
Röntgenlaser verbindet,
erläutert der Vorsitzende
des DESY-Direktoriums,
Helmut Dosch.
femto: Was bedeutet der European
besten Köpfe an die Elbe und liefert
XFEL für DESY?
zum anderen ein hochattraktives
Umfeld für Hightech-Firmen, welche
Dosch: Der European XFEL ist eines
hier neue Ideen und Technologien
der revolutionärsten Großfor-
entwickeln können, die weit über
schungsprojekte weltweit: Es verbin-
die Forschung hinaus wirken. Damit
det eine völlig neuartige, von DESY
liefert DESY mit seinen Koopera-
entwickelte Beschleunigertechnolo-
tionspartnern einen nachhaltigen
gie mit dem enormen Entdeckungs-
Beitrag zu einer neuen Innovations-
potenzial, das die einzigartigen
kultur in der Metropolregion.
Experimentiermöglichkeiten Wissenschaftlern aus aller Welt bieten
femto: Was zeichnet den European
werden. DESY hat dieses Großgerät
XFEL neben der Wissenschaft aus?
konzipiert und die theoretischen
und technischen Grundlagen für
Dosch: Der europäische Röntgenlaser
dessen Realisierung geschaffen.
ist bereits heute ein Leuchtturm für
Und nicht zuletzt hat DESY mit
ein hochprofessionelles Projektma-
FLASH die Pionieranlage für
nagement. Nach jetzigem Kenntnis-
derartige Röntgenlaser gebaut. Ich
stand wird der European XFEL alle
bin deshalb überzeugt, dass der
Design-Parameter erfüllen, inklusive
European XFEL zu einem großen
der Projektkosten. Dies zeigt einmal
Triumph für DESY werden wird.
mehr die Kompetenz von DESY in
der Konzeption und im Bau hoch-
femto: Welche Perspektiven ergeben
komplexer Beschleunigeranlagen.
sich für die Wissenschaftsregion
Die im European XFEL eingesetzten
Hamburg?
Technologien haben bereits heute
die Grenzen des technisch Mach-
Dosch: Mit dem europäischen Rönt-
baren verschoben, dies gilt insbe-
genlaser entsteht in der Metropolre-
sondere für den zwei Kilometer
gion Hamburg – zusammen mit den
langen supraleitenden Beschleuni-
bereits existierenden herausragen-
ger, eine DESY-Technologie. Damit
den Röntgenlichtquellen PETRA III
der European XFEL auch zu einem
und FLASH bei DESY – eine weltweit
Leuchtturm der Wissenschaft wird,
einzigartige Forschungsinfrastruk-
müssen in den kommenden Jahren
tur. Im Umfeld dieser Anlagen
die bahnbrechenden wissenschaft-
sind in den letzten Jahren bereits
lichen Entdeckungen passieren. Ich
richtungsweisende interdisziplinäre
habe da keinerlei Zweifel, unsere
Forschungskooperationen entstan-
Top-Wissenschaftler stehen schon
den, wie beispielsweise das Center
in den Startlöchern.
for Free-Electron Laser Science CFEL
und das im Bau befindliche Strukturbiologiezentrum CSSB. Diese
Entwicklung lockt zum einen die
25
femto 01/16
Europäische
Partner
Elf Länder beteiligen sich am
Bau des European XFEL
NIIEFA
UU
GU
KTH
MSL
DTU
Physto
DESY
NCBJ
WUT
IFJ-PAN
CNRS
CEA
PSI
INFN
CIEMAT
CELLS
UPM
Institutionen und ausgewählte Sachbeiträge
DESY Deutsches Elektronen-Synchrotron,
Hamburg (Deutschland)
DTU Dänische Technische Universität,
Kopenhagen (Dänemark)
-
Hightech-Komponenten für wissenschaftliche Instrumente
CNRS Centre National de la Recherche
Scientifique, Orsay (Frankreich)
-
Produktion von Radiofrequenz-Kopplern
für den supraleitenden Linearbeschleuniger
CEA Commissariat à l’Energie Atomique et
aux Energies Alternatives, Saclay (Frankreich)
-
26
Montage von Baugruppen aus je acht
supraleitenden Resonatoren
Zusammenbau der 103 Beschleunigermodule (einschließlich zweier Prototypen)
-
Design, Fertigungsbetreuung und Test
der supraleitenden Resonatoren
Design, Fertigungsbetreuung und Test
der Beschleunigermodule
Kältetechnik
Hochfrequenzversorgung
Bau und Betrieb des Injektors
Bau und Betrieb des Hauptbeschleunigers
Bau und Betrieb der Strahlführungen
Sicherheitsüberwachung
Allgemeine Anlagen- und IT-Infrastruktur
Koordinierung der Gesamtanlage
Auftragsvergabe und -überwachung
-
NCBJ Polnisches Zentrum für Kernforschung,
Świerk (Polen)
-
-
-
Produktion, Test und Auslieferung von
supraleitenden Resonatoren
Produktion, Test und Auslieferung von
HOM-Kopplern und -Absorbern für den
Beschleuniger
Programmierbare Logic Controller für
wissenschaftliche Experimente
WUT Technische Universität Wrocław,
Wrocław (Polen)
-
INFN Istituto Nazionale di Fisica Nucleare,
Mailand (Italien)
42 Kryostate
3.9-GHz Beschleunigermodul für
den Injektor
-
Produktion, Test und Installation von
vertikalen Testständen für den
Resonator-Test
Produktion, Test und Installation der
Transferlinie XATL1
Vertikale Kryostate
ZOOM
JINR
BINP
INR
IHEP
IFJ-PAN Henryk-Niewodniczański-Institut
für Kernphysik der Polnischen Akademie für
Wissenschaften, Krakau (Polen)
INR Institut für Kernforschung an der
Russischen Akademie der Wissenschaften,
Moskau (Russland)
-
-
Tests aller supraleitenden Resonatoren,
Magnete und Beschleunigermodule
Design, Produktion und Lieferung von
Transversal-Ablenkstrukturen sowie
Elektronenstrahldiagnostik
JINR Institut für Kernforschung,
Dubna (Russland)
CELLS Konsortium für Bau, Ausrüstung
-
und Nutzung von Synchrotronlichtquellen,
Barcelona (Spanien)
Design, Produktion, Test und Auslieferung
von drei MCP-basierten Detektoren
-
IHEP Institut für Hochenergiephysik,
Sieben mechanische Aufhängungen
für Undulatoren
Protvino (Russland)
-
Design, Produktion und Installation von
Kühlanlagen für den Linearbeschleuniger
Design, Produktion und Installation der
Strahlfänger
NIIEFA D.V.-Efremov-Institut für ElektrophysiDesign, Produktion und Auslieferung
normalleitender Magnete
BINP Budker-Institut für Kernphysik,
CIEMAT Centro de Investigaciones Energéticas, Medioambientales y Tecnológicas,
Madrid (Spanien)
-
-
-
Design, Produktion und Test von
Magneten, Vakuumkomponenten und
Stromversorgung
Design, Produktion und Aufbau von
Testständen für supraleitende
Beschleunigermodule
Kryogenik
Stromversorgung
Design, Produktion, Test und Auslieferung
von Undulatorintersektionen
Design und Produktion von supraleitenden Strahlführungsmagneten
UPM Universidad Politécnica de Madrid,
Madrid (Spanien)
-
Nowosibirsk (Russland)
-
-
Magnetic-BottleElektronenspektrometer
MSL Manne-Siegbahn-Labor der Universität
Stockholm, Stockholm (Schweden)
-
Vermessung von Magneten
Entwurf, Bau und Auslieferung von
Temperatursensoren für die Undulatoren
Physto Fachbereich Physik der Universität
Stockholm, Stockholm (Schweden)
kalische Anlagen, St. Petersburg (Russland)
-
GU Universität Göteborg, Göteborg
(Schweden)
Design, Produktion, Test und Auslieferung
der Stromversorgung für supraleitende
Magnete
KTH Königliches Institut für Technologie,
Stockholm (Schweden)
-
Untersuchung von Röntgenlinsen und
Kühlsystemen
-
Konfigurierung, Validierung und
Auslieferung des Zeitsteuerungs- und
Synchronisierungssystems
UU Universität Uppsala, Uppsala (Schweden)
-
-
Design, Produktion und Auslieferung
eines laserkontrollierten Proben-Injektors
inklusive Laserheizung
Abordnung von Physikern für die Ausrüstung der Strukturbiologie-Messstation
PSI Paul Scherrer Institut, Villigen (Schweiz)
-
Design, Produktion und Installation von
Strahlpositionsmonitoren und
Intra-Bunchtrain-Feedbacksystemen
Vollständige Liste unter:
http://www.xfel.eu/project/
in_kind_contributions/
27
femto 01/16
ZOOM
Per Rad durch
den Röntgenlaser
Zwei Schüler erkunden den European XFEL
denn am Ende des Tunnels ist noch
Baustelle und da sind Sicherheitsschuhe Pflicht. Helme brauchen wir
auch, falls man sich an der vielen
Technik im Tunnel den Kopf stößt
oder einem etwas auf den Kopf fällt.
Und noch was: Als wir beim Eingangsgebäude des Röntgenlasers auf
dem DESY-Gelände angekommen
F
sind, bekommt jeder von uns noch
reitag, der 19. Februar, ist ein
einen Selbstretter. Das ist eine Art
grauer Tag. Immerhin regnet
Schnorchel an einer Tüte. Durch die
es nicht, als wir uns auf den
bekommt man eine halbe Stunde
Weg von Hamburg-Sülldorf
Atemluft, falls ein Feuer im Tunnel
nach Bahrenfeld machen. Auf dem
ausbricht. Eine Schutzbrille gegen
Fahrrad immer geradeaus entlang
den Rauch ist auch dabei. Frank
der Osdorfer Landstraße. Unser
macht es vor. Ein bisschen wie die
Ziel ist ein langer Tunnel, ein For-
Stewardess, die im Flugzeug zeigt,
schungsgerät, das künftig 27 000
wie man die Sauerstoffmasken
Röntgenblitze pro Sekunde erzeu-
benutzt.
gen soll. Vorstellen können wir uns
Und endlich geht die Tour los.
das noch nicht so richtig. Wir sind
In der Eingangshalle ist ein großer
gespannt, ein bisschen aufgeregt,
Schacht, durch den wir fast 40 Meter
aber auch platt von der Schulwoche,
tief nach unten blicken, natürlich
die mit Mathe in der fünften und
gut gesichert durch ein Geländer. An
seinen 360-Grad-Reifen kann es aus
sechsten Stunde endete…
der Decke hängt ein großer Hallen-
dem Stand in jede Richtung fahren –
kran, der schwere Lasten in die
wichtig, wenn es in dem engen Tun-
hoch und kommen zur Trabrenn-
Tiefe kranen kann. Und das ist sehr
nel manövrieren muss. Außerdem
bahn. Hier, am Albert-Einstein-Ring,
wichtig, denn alle Bauteile für den
kann es tonnenschwere Lasten nicht
sind die Bürogebäude der European
Teilchenbeschleuniger, der dort un-
nur transportieren, sondern auch
XFEL GmbH, und hier sind wir mit
ten aufgebaut wird, müssen durch
anheben, denn der Beschleuniger
Frank Poppe von der PR-Gruppe
diesen Schacht in die Tiefe direkt auf
hängt unter der Tunneldecke. Dafür
verabredet, der mit uns durch den
ein Spezialfahrzeug geladen werden.
braucht Mullewupp ganz schön viel
Tunnel fahren und uns den Rönt-
Also auch die tonnenschweren
Kraft und hat riesige Batterien – ein
genlaser erklären wird, der darin
gelben Röhren, in denen die eigent-
Benzinmotor wäre im Tunnel zu
aufgebaut wird. Doch der Tunnel
lichen Beschleunigerteile stecken.
gefährlich.
ist nicht in Sicht. Zuerst kriegen
Das Fahrzeug sehen wir später im
wir noch unsere Ausrüstung und
Tunnel. Es heißt Mullewupp (platt-
Mit unseren Zugangskarten kom-
eine Sicherheitsunterweisung: Eine
deutsch für Maulwurf), sieht aus
men wir durch die Sicherheitssperre
Zugangskarte für jeden, außerdem
wie eine gelbe Bergwerkslokomo-
und schieben unsere Fahrräder
Gummistiefel mit Eisenkappen,
tive und kann ganz schön viel: Mit
in den Fahrstuhl, der uns sieben
Wir fahren die Notkestraße
28
So, jetzt aber ab in den Tunnel.
ZOOM
jetzt ganz schön eng, es ist warm,
und wir müssen vorsichtig fahren.
Undulatoren gibt es keine mehr. Nur
das Strahlrohr, durch das die Röntgenlaserstrahlung fliegt, ist rechts
neben uns und ganz viele Prüfgeräte, die kontrollieren, ob das Licht
auch allen Qualitätsanforderungen
bündeln, erklärt uns Frank. Zwei
entspricht. Dann kommt das Ende.
knallblaue „Dipol“-Magnete sind
Wieder eine Tür, und wir schieben
besonders groß. Sie kommen aus
unsere Räder aus dem Tunnel in die
St. Petersburg, kosten 57 000 Euro
unterirdische Experimentierhalle.
pro Stück und gehören zu dem
Die ist so groß wie ein Fußballfeld.
russischen Beitrag für den European
Mehrere Messhütten werden gerade
XFEL. Die Partnerländer geben nicht
aufgebaut. Hier sollen Atome beob-
nur Geld, um den Röntgenlaser zu
achtet und chemische Reaktionen
bauen, sondern liefern auch wich-
gefilmt werden. In einer Hütte mit
tige Bauteile wie die Magnete.
dicken Betonwänden sollen Expe-
Unsere Fahrt endet vor einer Sperr-
rimente unter extrem hohen Druck
holztür. Die ersten zwei Kilometer
und großer Hitze stattfinden, also
Beschleunigerstrecke liegen hinter
unter Bedingungen wie sie im Inne-
uns. Wir sind jetzt direkt unter dem
ren von Planeten herrschen.
Osdorfer Born, in einem kahlen
Dann schieben wir unsere Fahr-
Betriebsgebäude. Ab hier verzweigt
räder in den Fahrstuhl und fahren
sich der Tunnel, und ab hier werden
nach oben, wo gerade Labore und
Stockwerke nach unten befördert.
die Elektronen dafür benutzt, das
Büroräume entstehen. Wir radeln
Der Tunnel ist wie ein U-Bahn-Tun-
Röntgenlaserlicht zu erzeugen, um
zum Ausgang, geben Helme, Gum-
nel gebaut, eine runde Betonröhre
das es den Forschern geht.
mistiefel und Lebensretter wieder
mit Boden, schnurgerade, das Ende
Wir radeln in den rechten der
ab und stehen in Schenefeld, direkt
können wir nicht sehen. In der
beiden Tunnel. Hier stehen schon
neben einer großen Tennisanlage.
rechten Tunnelhälfte hängen schon
einige der gelben Gestelle, in denen
Mittlerweile ist es dunkel geworden.
gelbe Beschleunigermodule an der
später das besondere Licht entsteht.
Wir verabschieden uns von Frank
Decke. Hier könnten die Elektronen
Der Name ist schwer zu merken.
und radeln nach Hause. Spannend
schon losfliegen, aber weit würden
Demulatoren? Odolatoren? Emulato-
war es, aber auch ganz schön an-
sie nicht kommen, denn der Bau ist
ren? Undulatoren sind es, in denen
strengend. Wir haben viel gesehen
noch in vollem Gange. Minus 271
die Elektronen von wechselnden
und gelernt. Und wir würden gerne
Grad kalt ist es in den Modulen,
Magneten auf Slalomkurs gebracht
nochmal in den Tunnel – aber dies-
damit der Strom ohne Widerstand
werden und dadurch Röntgenblitze
mal mit dem Skateboard.
fließen kann, außerdem fliegen die
aussenden. Es sind starke Mag-
Elektronen im Vakuum, damit sie
nete, die man nicht abstellen kann.
nirgends anstoßen und möglichst
Eine Uhr kann zum Beispiel daran
schnell beschleunigt werden. Sie
hängen bleiben, wenn man zu dicht
fliegen fast mit Lichtgeschwindig-
dran kommt.
keit, also mit 300 000 Kilometern
Die orange-gelben Undulatoren
pro Sekunde. Kann man sich kaum
werden in Deutschland und Spanien
vorstellen.
gefertigt. Und dann kommt einer,
In der linken Tunnelhälfte ist
Vincent van Beusekom und Louis Wild
gehen in die 6. Klasse des Marion Dönhoff
Gymnasiums in Hamburg-Blankenese. Wenn
sie nicht gerade mit Fahrrad oder Longboard
unterwegs sind, spielen sie gerne Minecraft.
Aus dem Material von ihren GoPro-Kameras
wollen sie noch einen Film über den Röntgenlaser machen.
der ist neongelbgrün und fällt ganz
ein Weg für den Mullewupp und für
schön auf. Er ist aus China. Funktio-
unsere Fahrräder. Wir müssen auf-
nieren tut er gut, aber irgendwie hat
passen, dass wir wirklich geradeaus
das mit der Farbabstimmung nicht
fahren und nirgends gegenstoßen.
hingehauen. Ganz schön schräg!
Es ist ungewohnt, durch den Tunnel
Jetzt kommt noch eine Verzweigung.
zu fahren, spannend! Rechts neben
Die beiden Tunnel fächern sich in
uns die gelben Module und viele
insgesamt fünf Tunnel auf, die zu
auffällig große Magnete. Sie hel-
verschiedenen Experimentiersta-
fen dabei, den Elektronenstrahl zu
tionen führen. Unser Tunnel ist
29
W
SPEKTRUM
inzige, metallische
Buckminster-Fullerenen zusam-
Fußballmoleküle verlie-
mensetzt, und normalerweise bei
ren ihren elektrischen
etwa minus 250 Grad supraleitend
Widerstand bei ver-
wird. Durch den Beschuss mit dem
gleichsweise hohen Temperaturen,
Infrarotlaser setzte die Supraleitung
wenn man sie mit einem intensiven
kurzzeitig jedoch schon bei minus
Infrarotlaser beschießt. Das haben
170 Grad ein.
Physiker um Daniele Nicoletti vom
Intensive Laserblitze können dem Alkali-Fullerid K3C60, das
fußballähnliche Moleküle aus 60 Kohlenstoffatomen enthält,
schon bei minus 170 Grad Celsius den elektrischen Widerstand nehmen.
Fußbälle ohne
Widerstand
Hinweise auf lichtinduzierte Supraleitung
in Buckminster-Fullerenen
des Instituts gelungen, eine be-
und Dynamik der Materie auf dem
stimmte Keramik mit infraroten
DESY-Campus in Hamburg beobach-
Laserpulsen für Bruchteile einer
tet. Die Experimente sollen helfen,
Sekunde sogar bei Raumtempera-
das Phänomen der Supraleitung
tur supraleitend zu machen. Weil
genauer zu verstehen.
Fullerene einen relativ einfachen
Supraleiter dienen derzeit vor
die Wissenschaftler, das Phänomen
selbst die besten dieser Materialien
der lichtinduzierten, kurzzeitigen
erst bei minus 70 Grad Celsius ihren
Supraleitung bei vergleichsweise ho-
elektrischen Widerstand verlie-
hen Temperaturen durch die neuen
ren, werden sie hauptsächlich in
Experimente besser verstehen zu
Magneten für Kernspintomogra-
können. Solche Einsichten könnten
phen oder Fusionsanlagen sowie in
helfen, ein Material zu entwickeln,
Teilchenbeschleunigern eingesetzt.
das Strom auch ohne optische Anre-
Die Max-Planck-Physiker aus der
gung bei Raumtemperatur verlust-
Gruppe von Institutsdirektor Andrea
frei leitet.
Cavalleri untersuchten nun das
Fullerid K3C60, ein Metall, das sich
Nature, 2016; DOI: 10.1038/nature16522
aus fußballförmigen, sogenannten
Explodierende
Nanopartikel
Forscher filmen Nanokosmos mit bisher
unerreichter Detailschärfe und Schnelligkeit
liches Haar. „Mit dem intensiven
LCLS am US-Beschleunigerzentrum
SLAC in Kalifornien. Die winzigen
Partikel hatten Durchmesser von
etwa 40 Nanometern, das ist rund
tausend Mal dünner als ein menschLicht eines Infrarotlasers wurden die
Nanopartikel stark erhitzt und in der
Vakuumkammer zum Explodieren
it einem Superröntgenmikroskop hat
gebracht,“ erklärt DESY-Forscher
ein deutsch-amerikanisches Forscher-
Jochen Küpper aus dem Team.
team die Explosion einzelner Nano-
Gezielt verzögerte Röntgenblitze
partikel in Ultrazeitlupe gefilmt. Dabei
hielten verschiedene Stadien der Ex-
konnten die Physiker um Tais Gorkhover von der
plosion fest, das Experiment wurde
Technischen Universität Berlin und Christoph
dazu jeweils mit einem neuen
Bostedt vom Argonne National Laboratory
Nanopartikel und etwas größerer
erstmals eine Detailschärfe von besser als acht
Verzögerung des Röntgenblitzes
Nanometern in Kombination mit einer zeitlichen
wiederholt. Aus diesen zeitlich leicht
Auflösung von 100 Femtosekunden erreichen.
versetzten Schnappschüssen ent-
Ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter, eine
stand ein Film der Explosion.
Femtosekunde ist eine billiardstel Sekunde.
Für die Experimente untersuchte das Forscherteam explodierende Nanopartikel aus gefro30
chemischen Aufbau haben, hoffen
allem für Spezialanwendungen. Da
renem Xenon mit dem Röntgenlaser
M
Bereits 2013 war es Forschern
Max-Planck-Institut für Struktur
Bild: Tais Gorkhover/SLAC
Illustration: J.M. Harms/MPSD
femto 01/16
Nature Photonics, 2016; DOI: 10.1038/
NPHOTON.2015.264
Drei Stufen der Explosion eines XenonNanopartikels, die vom Röntgenlaser in
Form eines Streubilds (rechts) aufgezeichnet wurden. Aus dem Streubild lässt sich
der Zustand der Probe (links) rechnerisch
rekonstruieren.
Schematische
Darstellung, wie
der Strahl eines
Röntgenlasers
einen Proteinkristall
im Peroxisom einer
Hefezelle trifft.
Bild: Thomas Seine, EMBL/CFEL
femto 01/16
Forscher röntgen
Proteinkristalle
direkt in der Zelle
SPEKTRUM
Neues
Nanomaterial
Nanokomposit eignet sich für
Medizintechnik und Produkte
H
amburger Forscher haben ein neues Nanomaterial
entwickelt, das mehrere wünschenswerte Eigenschaften in sich vereint und damit neue Anwendungen in der Medizintechnik und Produktherstel-
lung eröffnen kann. Der Aufbau des neuen Materials ähnelt
auf kleinster Ebene natürlichem Hartgewebe wie Perlmutt
oder Zahnschmelz. Seine Bausteine sind einheitlich große
Eisenoxid-Nanopartikel, die mit einer Hülle aus organischer
Ölsäure umgeben sind.
In bisherigen Arbeiten war die Verbindung zwischen
den Ölsäuremolekülen sehr schwach und basierte auf soge-
Neuer Ansatz könnte Strukturbestimmung von
Biomolekülen erleichtern
nannten Van-der Waals-Bindungen. Den Wissenschaftlern
W
küle viel stärker zu verbinden und damit das mechanische
ist es nun durch Trocknung, Heißpressen und einer kontrollierten Wärmebehandlung gelungen, die Ölsäuremole-
issenschaftler vom Europäischen Molekularbio-
Verhalten dieses Nanokomposits entscheidend zu verbes-
logie-Laboratorium EMBL haben gemeinsam mit
sern. Die neue Materialklasse kann sich beispielsweise für
Forschern von DESY und vom US-Beschleuniger-
Zahnfüllungen oder auch die Herstellung von Uhrenge-
zentrum SLAC natürlich produzierte Proteinkris-
häusen eignen. Hierfür muss das Material hart und zugleich
talle direkt in biologischen Zellen geröntgt. Die Untersuchung
mit dem SLAC-Röntgenlaser LCLS in Kalifornien belegt, dass
bruchfest sein.
Die Wissenschaftler der Technischen Universität
sich diese natürlichen Kristalle nutzen lassen, um die räumli-
Hamburg (TUHH), der Universität Hamburg, des Helmholtz-
che Struktur von Proteinen zu bestimmen.
Zentrums Geesthacht und von DESY stellen das neuartige
Mit Hilfe der Kristallographie lässt sich die atomare Struk-
Nanokompositmaterial im Fachblatt „Nature Materials“ vor.
tur von Proteinen untersuchen, aus den Biomolekülen muss
Da auch andere Nanoteilchen sehr häufig in Kombination
jedoch zuvor ein Kristall gezüchtet werden. „Proteinkristalle
mit organischer Ölsäure verarbeitet werden, hat die verwen-
für Kristallographie-Experimente im Labor zu züchten, ist nicht
dete Methode das Potenzial, auch bei einer Vielzahl anderer
immer einfach“, betont EMBL-Forscher Daniel Passon. „Man
Nanokompositmaterialien die mechanischen Eigenschaften
stelle sich vor, wir könnten Zellen dies für uns tun lassen: eine
zu verbessern.
kleine Kristallfabrik in einer Zelle!“
Zwar gehört die Kristallzucht zum täglich Brot von Struk-
Nature Materials, 2016; DOI: 10.1038/NMAT4553
turbiologen; dass manche Organismen natürlicherweise Proteinkristalle in ihren Zellen bilden, ist jedoch weniger bekannt.
Tatsächlich konnten die Forscher auf diesem Weg die Struktur
ten Peroxisom in bestimmten Hefezellen zu Kristallen gepackt
wird. Dabei gab es sogar bessere Ergebnisse, wenn der Kristall
in der Zelle blieb und nicht vor dem Röntgen herausgeholt
wurde. Die Forscher hoffen nun, dass sie die Kristallproduktion
des Peroxisoms für ihre Zwecke ausnutzen können, indem sie
Das neue Material unter
dem Rasterelektronenmikroskop. Seine Bausteine sind einheitlich
große Eisenoxid-Nanopartikel.
Bild: TUHH
des Alkoholoxidase-Moleküls bestimmen, das vom sogenann-
die Zell-Organelle auch Kristalle aus anderen Proteinen produzieren lassen.
International Union of Crystallography Journal, 2016; DOI: 10.1107/
S2052252515022927
31
SPEKTRUM
Optischer Trichter
für Nanopartikel
Neue Methode verspricht präzisere Platzierung von
biologischen Proben im Strahl von Röntgenlasern
Künstlerische Darstellung
der molekularen Bewegung des lichtempfindlichen Teils im Sehpurpur
Molekularer
Breakdance
Der Sehsinn beruht auf exakt choreographierten,
ultraschnellen Molekülbewegungen
D
F
orscher haben einen optischen Trichter konstruiert, der
einen Strom von Proteinen, Viruspartikeln oder anderen
Nano-Teilchen präzise zur Analyse in den feinen Strahl
eines Röntgenlasers leiten kann. Der Trichter besteht
aus einem speziell modifizierten Lichtstrahl mit einer schraubenförmigen Wellenfront. Dadurch entsteht im Zentrum des
Strahls eine dunkle Region, in der die Lichtintensität auf null
fällt. Eine optische Linse gibt dem Lichtstrahl die gewünschte
Trichterform.
Im Gegensatz zu gewöhnlichen derartigen optischen Fallen
nutzt der Trichter thermische Effekte, um die Partikel zu kontrollieren: Kommt ein Partikel der optischen Trichterwand zu
ie Aufnahme von Licht durch Pigmente in der
nahe, wird es an dieser Seite aufgeheizt. Luftmoleküle, die auf
Netzhaut, die man Rhodopsin oder auch Sehpurpur
der warmen Seite mit dem Partikel kollidieren, werden dann
nennt, ist die Grundlage unseres Sehsinns. Unter-
mit einem größeren Impuls abgestoßen als auf der kalten
suchungen von Wissenschaftlern um R.J. Dwayne
Seite. Diese Impulsdifferenz sorgt für eine sogenannte photo-
Miller vom Hamburger Max-Planck-Institut für Struktur und
phoretische Kraft, die das Objekt von der heißen zur kalten
Dynamik der Materie und der Universität Toronto haben
Seite schiebt und damit von der hellen zur dunklen Region.
jetzt gezeigt, dass der erste photochemische Schritt dieses
Prozesses noch viel schneller abläuft als bekannt.
Rhodopsin leitet seine Lichtempfindlichkeit aus einer
Das Team um Andrei Rode von der Australischen Nationaluniversität in Canberra, zu dem auch DESY-Forscher vom
Hamburger Center for Free-Electron Laser Science CFEL und
Kette von einzeln und doppelt gebundenen Kohlenstoffato-
dem Center for Ultrafast Imaging CUI gehören, testete seinen
men ab. Die Absorption eines Photons führt zu einer extrem
Trichter erfolgreich mit winzigen Graphitkügelchen von 12 bis
kurzzeitigen Schwächung einer bestimmten Doppelbindung,
20 Mikrometern Durchmesser. Vorteil der Methode ist, dass
wodurch eine Rotation um diese Bindung ausgelöst wird.
die photophoretischen Kräfte viel stärker sein können als die
Wie schnell diese sogenannte Isomerisierung tatsächlich
direkten Lichtkräfte in gewöhnlichen optischen Fallen. Ein
erfolgt, konnte lange Zeit nicht genau beobachtet werden.
erwünschter Seiteneffekt dabei ist, dass die Partikel die meiste
Erst mit Femtosekunden-Lasern ließ sich zeigen, dass der
Zeit in der dunklen Region des Trichters verbringen, wodurch
Prozess innerhalb von maximal 200 Femtosekunden abläuft.
ein unter Umständen schädliches Aufheizen vermieden wird.
Eine Femtosekunde ist eine billiardstel Sekunde.
Mit neuen Messungen an Rinder-Rhodopsin mithilfe
Physical Review Applied, 2015; DOI: 10.1103/PhysRevApplied.4.064001
einer hochempfindlichen Methode aus der Ultrakurzzeitspektroskopie konnte das Team um Max-Planck-Direktor
Miller und Oliver P. Ernst von der Universität Toronto nun
zeigen, dass die Isomerisierung auf einer Zeitskala von
30 Femto-Sekunden erfolgt. „Es stellt sich heraus, dass der
erste Schritt des Sehens beinahe zehnmal schneller ist als
bisher angenommen“, sagt Miller. „Und die molekularen Bewegungen sind durch Rhodopsin perfekt choreographiert.“
Die Analyse der zeitaufgelösten experimentellen Daten
enthüllt diesen molekularen Breakdance, der sich aus
örtlich begrenzten Streck-, Wipp- und Drehbewegungen
zusammensetzt.
Nature Chemistry, 2015; DOI: 10.1038/nchem.2398
32
Partikel im optischen
Trichter werden an den
Seiten aufgeheizt und
so in den dunklen
Zentralbereich geleitet.
Bild: N. Eckerskorn et al., Phys. Rev. Applied
Bild: J.M. Harms, MPSD
femto 01/16
Bild: Rob Meijers, EMBL
femto 01/16
femtomenal
Der gesamte Proteinkomplex wird von einem
einzigen Gen produziert
PETRA III
FLASH
LINAC II
European
XFEL
Ein Gen,
zwei Proteine,
ein Komplex
E
PIA
DESY
HERA
in Gen enthält normalerweise den Bauplan für genau
ein Protein. Gelegentlich kann es auch die Blaupause
für zwei Proteinvarianten liefern. Dass ein Gen jedoch
zwei Proteine produziert, die dann zusammen einen
Komplex bilden, sei einmalig, betont Rob Meijers, Gruppenleiter in der Hamburger Niederlassung des Europäischen Molekularbiologie-Laboratoriums EMBL auf dem DESY-Campus
16 288 Meter
Tunnel
in Hamburg. Meijers und sein Team hatten die Enzyme von
zeigt, wie zwei Proteine von dem gleichen Gen einen Komplex
G
bilden, und wie das kürzere Protein das längere reguliert“, sagt
den müssen. Elektronen etwa, die für den Speicherring
Meijers. „Nach unserem Wissen wurde dies noch nie zuvor
PETRA III bestimmt sind, durchlaufen eine Kaskade von drei
beobachtet.”
Beschleunigern und müssen von einem zum nächsten mit
Viren untersucht, die Zellwände von Clostridium-Bakterien
zerstören. Sie fanden eine kürzere und eine längere Variante
des Enzyms, die beide vom gleichen Gen produziert werden.
Der Grund: Das Gen hat verschiedene Startpunkte, kann also
Proteine unterschiedlicher Länge aufbauen. „Diese Studie
enau 16 Kilometer und 288 Meter Beschleunigertunnel durchziehen den DESY-Campus und das
angrenzende Gebiet. Viele davon sind in einem
unterirdischen Geflecht verbunden, durch das die
schnellen Teilchen mit höchster Präzision gesteuert wer-
Das Zusammenwirken beider Proteinvarianten spielt eine
einer Genauigkeit von 50 Pikosekunden übergeben werden
wichtige Rolle dabei, wie die Enzyme der Viren, die sogenann-
– eine Pikosekunde ist ein millionstel einer millionstel Se-
ten Endolysine, die Zellwand der Clostridium-Bakterien zerstö-
kunde. Insgesamt legen die nahezu lichtschnellen Teilchen
ren. Zu der Gattung der Clostridien gehören auch gefährliche
knapp 3,5 Kilometer zurück, bis sie den PETRA-III-Ring zum
Krankheitserreger. Daher bergen Viren, die Bakterien angreifen,
ersten Mal umrundet haben. Wozu ein ICE-Zug mit Tempo
die sogenannten Bakteriophagen, das Potenzial, Infektionen
230 rund 54 Sekunden bräuchte, schaffen die Elektronen
wirksam zu bekämpfen. Das rückt die Bakteriophagen und vor
über vier Millionen Mal schneller in knapp 12 Mikrosekun-
allem ihre Enzyme in den Fokus der Forscher.
den (millionstel Sekunden).
Journal of Biological Chemistry, 2015; DOI: 10.1074/jbc.M115.671172
33
femto 01/16
Bild: DESY, Heiner Müller-Elsner
CAMPUS
Lizenz zum
Messen
Die schnelle DESY-Steuerungstechnik
hat großes Potential für industrielle
Anwendungen.
Ein neuer Elektronik-Standard erobert den Markt
T
eilchenbeschleuniger sind
Drei der existierenden Standards
Industrie voran. Neuland nicht nur
hochkomplexe Maschinen,
wären grundsätzlich auch für den
für die Forscher, sondern auch für
gespickt mit Hightech und
Betrieb eines Teilchenbeschleu-
DESY.
manchmal mehrere Kilome-
nigers geeignet gewesen, sagt
ter lang. Um solche Rennmaschinen
zu steuern, ist eine hochpräzise und
schnelle Technik erforderlich, die
DESY-Beschleunigerexperte Holger
Schlarb. Es gab nur ein Problem:
„Keiner der Standards war am Ende
Um so weit zu kommen, nahmen sich die Forscher zunächst den
Standard vor, der ihren Anforderungen am nächsten kam: MicroTCA
viele Datensätze parallel verarbeiten
geeignet, um mit DESY in die
(Micro Telecommunications Compu-
kann. Die Systeme müssen mindes-
Zukunft zu gehen.“ Die Zukunft
ting Architecture). „Dieser Industrie-
tens zehn Jahre lang, 24 Stunden am
ist für DESY unter anderem der
standard ist sehr weit verbreitet“,
Tag störungsfrei laufen, und wenn
3,4 Kilometer lange europäische
erläutert Schlarb. „Er kommt aus
ein Netzgerät ausfällt, muss trotz-
Röntgenlaser European XFEL, der
dem Telekommunikationsbereich
dem alles weitergehen. Um Systeme
derzeit im Hamburger Westen ge-
und kann alles, was wir brauchen –
für solche Anforderungen zu wapp-
baut wird. Daher haben Schlarb und
bis auf eine Sache: feinste, analoge
nen, haben sich in den vergangenen
sein Team einen neuen Industrie-
Daten erfassen.“ Das ist unerlässlich
Jahrzehnten bestimmte Elektronik-
standard mitentwickelt und gemein-
für die Forschung mit Teilchen-
standards etabliert: einheitliche
sam mit dem DESY-Technologie-
beschleunigern. Daher taten sich die
Beschreibungen, anhand derer sich
transfer zur Marktreife gebracht. Seit
DESY-Physiker mit anderen Institu-
solche Systeme konstruieren lassen
drei Jahren treiben Physiker und
ten und Industriepartnern zusam-
– mit selbstgebauten, aber auch
zukaufbaren Komponenten.
34
Technologietransfer die Kommer-
men und erweiterten den Standard
zialisierung und den Einsatz in der
um die fehlende Funktion – die
femto 01/16
CAMPUS
Möglichkeit, analoge Messaufgaben
Wissenschaft als auch Industrie
durchzuführen.
erheblich von der Innovationskraft
Der neue Industriestandard
der Forschung profitieren können“,
MicroTCA.4 wurde etabliert, und
ergänzt die Leiterin des DESY-Tech-
auf seiner Basis entwickelten die
nologietransfers Katja Kroschewski.
DESY-Wissenschaftler ein System
Die Investition in den neuen
von Steuerungsplatinen, das ana-
Standard zahlt sich schon jetzt aus:
loge und digitale Signale verarbeiten
Ein Patent und 18 Lizenzverträge
kann. Mehr als 100 Kenngrößen
basieren auf dieser Entwicklungsar-
können so in Echtzeit mehrere
beit. „So generieren wir Einnahmen
hundert Millionen Mal pro Sekunde
und Rückflüsse und haben die Mög-
ausgelesen werden. Durch ein inte-
lichkeit, Dinge weiterzuentwickeln“,
griertes Managementsystem kann
sagt Michael Fenner, Entwicklungs-
alles aus der Ferne bedient und ge-
ingenieur bei DESY. Und auch wenn
wartet werden. Noch dazu lässt sich
es den Forschern selbst viel zu
das System von kleinsten Einheiten
langsam geht, attestiert Branchen-
bis zu hochkomplexen Großanlagen
kenner Heiko Körte der Technik
nutzen – es ist skalierbar, wie die
Elektronikprofis sagen.
eine vielversprechende Zukunft.
„MicroTCA.4 setzen wir als Basisstandard schon jetzt sehr erfolgreich
„Wir wollen
MicroTCA.4 in
der Wissenschaftscommunity
und in industriellen Märkten
etablieren“
Holger Schlarb, DESY
Diese Funktionen machen den
neuen Standard nicht nur für die
Wissenschaft interessant. Auch in
der Industrie gibt es zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: Von der Telekommunikation, der Online-Inspektion,
Luftfahrt, Medizintechnik bis hin
zur Präzisionsmesstechnik. Daher
stellten die Helmholtz-Gemeinschaft, DESY und Partner aus der
Industrie 2012 vier Millionen Euro
in einer ganzen Reihe von Projekten
ein“, sagt der Direktor Sales & Marketing vom Systemhersteller N.A.T.
aus Bonn. Beispielsweise in der
Verkehrsleittechnik und in diversen
Funkanwendungen im Fest- und
Mobilnetz. Auch in der Medizintechnik und im Katastrophenmanagement könnte die Technik
zukünftig immer wichtiger werden.
legt.“ Den Marktanteil von MicroTCA
„MicroTCA.4
setzen wir als
Basisstandard
schon jetzt sehr
erfolgreich in
einer Reihe von
Projekten ein“
Heiko Körte, N.A.T.
an neuen Anwendungen im direkten Vergleich mit den Standards
VME, Compact PCI und VPX schätzt
er mittlerweile auf 30 bis 35 Prozent.
Eine Marktanalyse aus dem Jahr
2014 bezifferte das jährliche Wachstum auf 9 Prozent. MicroTCA.4 ist
ein Teil davon.
N.A.T. war nicht nur ein maßgeblicher Industriepartner bei der Entwicklung von MicroTCA, das Bonner
Unternehmen hat bereits zu 85 Prozent auf diesen Standard umgestellt,
12 Prozent davon sind Produkte auf
der Basis von MicroTCA.4 – Tendenz
bereit, um die Kommerzialisierung
und den Einsatz in Industrieunter-
DESY-Wissenschaftler Holger Schlarb
war maßgeblich an der Entwicklung von
MicroTCA.4 beteiligt.
„Wenn beispielsweise nach Erdbe-
steigend. Körte ist optimistisch, was
ben mobile Basisstationen für den
die Etablierung des neuen Standards
wohntes Terrain für die Forscher:
Mobilfunk errichtet werden müssen,
auf dem Markt angeht. Die Firmen
Seither gehen sie auf Messen, halten
oder in infrastrukturschwachen
bräuchten naturgemäß etwas Zeit
Workshops, treten als Consultants
Regionen der Welt Mobilfunkstati-
um sich mit dem neuen Standard
auf. „Wir wollen MicroTCA.4 in der
onen aufgebaut werden sollen, ist
und seinen Anwendungsmöglich-
Wissenschaftscommunity und in
dieser Standard der Richtige“, sagt
keiten vertraut zu machen. „Das ist
industriellen Märkten etablieren“,
Körte. „Der Standard MicroTCA hat
ein Übergangsprozess“, sagt er. „Das
sagt Schlarb. „Der neue Standard
in den vergangenen acht Jahren eine
wird noch ein paar Jahre dauern,
zeigt eindrucksvoll, wie sowohl
beachtliche Erfolgsgeschichte hinge-
aber nicht mehr zehn.“
nehmen voranzutreiben. Unge-
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Unbekannte
Sauerstoffquelle
im Erdmantel
Hinweise aus der Entdeckung neuer Eisenoxide
Bild: Elena Bykova, Universität Bayreuth
Struktur des neu entdeckten
Eisenoxid Fe25O32
B
ei Versuchen mit speziellen Hoch-
vieler geologischer Prozesse darstellt und die
druckzellen haben Forscher zwei neue
wichtigste Eisenquelle unserer Zivilisation ist“,
Eisenoxide entdeckt. Der Fund von Elena
erläutert Bykova. In den vergangenen fünf Jahren
Bykova von der Universität Bayreuth und
haben Forscher neue Eisenoxidverbindungen ent-
ihrem Team weist auf die Existenz einer großen,
deckt, die sich bei hohem Druck und hohen Tem-
bislang unbekannten Sauerstoffquelle im unteren
peraturen bilden. Um das Verhalten von Hämatit
Erdmantel hin und wirft damit spannende Fragen
und dem ebenfalls häufigen Magnetit (Fe3O4)
auf. Was passiert mit dem Sauerstoff? Reagiert
unter Extrembedingungen weiter zu untersu-
er mit dem Gestein? Steigt er womöglich auf?
chen, nutzte das Team um Bykova eine besondere
Wie beeinflusst er geochemische Prozesse im
Druckzelle an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III.
Erdsystem?
Eisenoxid kommt in der Natur in unter-
„In dieser sogenannten Diamantstempelzelle
können kleine Proben zwischen zwei Diamanten
schiedlichen Verbindungen vor. „Das häufigste
einem Druck von einigen hunderttausend Atmo-
Eisenoxid ist Hämatit, Fe2O3, das ein Endprodukt
sphären ausgesetzt werden, wobei ein sorgfältig
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Subduktionszone
Erdkruste
auch Magnetit, und es bildete sich das ebenfalls
Oberer Erdmantel
zuvor unbekannte Eisenoxid Fe25O32. Das Beson-
Übergangszone
dere daran: Die Bildung beider bisher unbekann-
Unterer Erdmantel
ten Eisenoxide setzt Sauerstoff frei.
Obwohl Eisenoxid normalerweise nicht im
großen Maß im unteren Erdmantel auftritt, kann
es über sogenannte Subduktionszonen dorthin
Fe 5 O 7 + O 2
befördert werden, wenn eine tektonische Platte
Fe 25 O 32 + O 2
unter eine andere gleitet. Hämatit und Magnetit
sind Hauptbestandteile bestimmter urzeitlicher
Äußerer Erdkern
Eisenablagerungen, Bändererz und Eisenstein,
die auf allen Kontinenten vorkommen. Diese
Formationen können mehrere hundert Meter
Eisenoxid kann über
Subduktionszonen tief
in den Erdmantel hinab
getragen werden, wo es
unter hohem Druck und
hoher Temperatur neue
Formen bildet und dabei
große Mengen Suaerstoff
freisetzt. Was mit dem
Sauerstoff geschieht, ist
noch ungeklärt.
dick werden und Ausdehnungen von hunderten
Kilometern aufweisen. Als zwei Milliarden Jahre
alte Ablagerungen bilden sie weltweit einen Teil
Innerer Kern
des Ozeanbodens. Über die Subduktion wird das
Bändererz quasi im Erdinneren recycelt, wobei es
in große Tiefen getragen werden kann, möglicherweise sogar bis zur Grenzregion von Erdmantel
und Erdkern.
justierter Laser die Probe durch die transparenten
Unter Bedingungen, die dem unteren Erd-
Diamantstempel hindurch auf mehrere tausend
mantel entsprechen, zerfallen Hämatit und Mag-
Grad Celsius erhitzen kann“, beschreibt DESY-
netit jedoch und setzen dabei große Mengen einer
Experte Hanns-Peter Liermann. Dabei lassen sich
sauerstoffreichen Flüssigkeit frei (Sauerstoff ist
mit dem außergewöhnlich hellen und feinen
unter solchen Bedingungen üblicherweise flüssig),
Röntgenstrahl von PETRA III Strukturänderungen
wie das Team nun beobachtet hat. „Wir schätzen,
in dem untersuchten Material verfolgen. Ähnliche
dass diese Quelle bis heute Sauerstoff in einem
Messungen fanden auch an der Europäischen
Umfang freigesetzt hat, der der acht- bis zehnfa-
Synchrotronquelle ESRF in Grenoble und an der
chen Masse des Sauerstoffs in der Atmosphäre
US-Röntgenquelle APS in Chicago statt.
entspricht“, sagt Bykova. „Das ist überraschend,
und es ist nicht klar, was mit dem Sauerstoff dort
„In einer Diamantstempelzelle können kleine
Proben zwischen zwei
Diamanten einem Druck
von einigen hunderttausend Atmosphären
ausgesetzt werden“
Hanns-Peter Liermann, DESY
unten passiert.“
Die sauerstoffreiche Flüssigkeit könnte lokal
das umgebende Gestein oxidieren oder zur Übergangszone oder sogar bis in den oberen Mantel
aufsteigen. „Das bleibt zu untersuchen“, sagt
Ko-Autor Maxim Bykov von der Universität Bayreuth. „Zurzeit können wir nur sagen, dass es dort
eine riesige Sauerstoffquelle im Mantel gibt, die
geochemische Prozesse wesentlich beeinflussen
kann, indem sie Oxidationszustände ändert und
Spurenelemente mobilisiert. Das wird ein großes
neues Modellierungsfeld eröffnen.“
Die Entdeckung der neuen Eisenoxide trage
daher nicht nur zum Wissen über die grundlegen-
Bei einem Druck von mehr als 67 Gigapascal (das
den Eigenschaften dieser Substanzen bei, betont
entspricht dem 670 000-fachen Atmosphären-
Bykov. „Unsere Arbeit zeigt, dass uns wesentliche
druck) und einer Temperatur von rund 2400 Grad
Teile der Erdprozesse nach wie vor unbekannt
Celsius zerfiel das Hämatit und bildete ein neues
sind. Abtauchende Platten können offensichtlich
Eisenoxid, Fe5O7, das zuvor noch nie beobachtet
unerwartete Effekte bewirken. Die Auswirkungen
worden war. Druck und Hitze entsprachen dabei
auf die globalen Dynamiken der Erde, einschließ-
in etwa den Bedingungen in 1500 Kilometern
lich Klimavariationen, müssen noch untersucht
Tiefe unter der Erdoberfläche. Bei einem noch
werden.“
höheren Druck von rund 70 Gigapascal, entsprechend einer Tiefe von 1670 Kilometern, zerfiel
Nature Communications, 2016; DOI: 10.1038/NCOMMS10661
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Teilchenbeschleuniger
auf Mikrochip
Innovative Entwicklung soll Zugang
zu Beschleunigertechnologie erleichtern
E
im DESY-Forschungsbereich Forschung mit Photonen. Derzeit erste
Wahl für das Material der MiniaturBeschleunigermodule ist dabei
Silizium. „Das hat den Vorteil, dass
man auf die weit fortgeschrittene
Fertigungstechnik für SiliziumMikrochips zurückgreifen kann“,
erläutert Hartl.
DESY bringt in das Projekt unter
anderem sein weltweit führendes
Laser-Know-how ein, das sich
bereits in der Kooperation mit der
Universität Erlangen-Nürnberg
in Teilchenbeschleuniger,
zwar vorerst unverzichtbar. Eine
bewährt hat. Hommelhoffs Gruppe
der auf einen Mikrochip
Miniaturisierung könnte den Einsatz
hatte für langsame Elektronen
passt – kaum vorstellbar,
von Teilchenbeschleunigern jedoch
gezeigt, dass ein mikrostrukturiertes
in Bereichen ermöglichen, in denen
Beschleunigermodul einen höheren
aber die Entwicklung einer
solchen Miniatur-Rennmaschine
es bislang keinen Zugang zu derarti-
Beschleunigungsgradienten errei-
ist schon im Gange, gefördert mit
gen Techniken gab.
chen kann als die Radiowellentech-
13,5 Millionen US-Dollar (12,6 Millio-
„Der Prototyp kann den Weg
nik. Unabhängig davon hatte die
nen Euro) von der Gordon-und-Betty-
für eine neue Generation von Labor-
Gruppe um Byer dies für schnelle,
Moore-Stiftung. Auch DESY und die
tisch-Beschleunigern bereiten
sogenannte relativistische Elektronen demonstriert.
Universität Hamburg gehören zu
und damit für unvorhergesehene
den Partnern des internationalen
Entdeckungen in der Biologie und
Der Weg von einem experimentellen Aufbau im Labor zu einem
Projekts, das von Robert Byer von
der Materialwissenschaft sowie
der Universität Stanford (USA) und
für mögliche Anwendungen in der
funktionierenden Prototyp ist aller-
Peter Hommelhoff von der Universi-
Sicherheitstechnik, medizinischen
dings noch weit. So müssen einzelne
tät Erlangen-Nürnberg geleitet wird.
Therapie und Röntgenbildgebung“,
Komponenten des Systems neu
Innerhalb von fünf Jahren soll dabei
erläutert Byer.
entwickelt werden. DESY arbeitet
ein funktionierender Prototyp eines
„Accelerator-on-a-Chip“ (Beschleuniger auf einem Chip) entstehen.
„Das ‚Schrumpfen‘ von Beschleunigern ist ähnlich relevant
Das Projekt fußt auf Entwick-
unter anderem an einer hochprä-
lungen der Nano-Photonik, der
zisen Elektronenquelle, mit der die
Herstellung und Nutzung von
Elementarteilchen in die Beschleu-
Nanostrukturen zur Erzeugung und
nigermodule eingespeist werden,
Manipulation von Licht. Zur Be-
einem leistungsfähigen Laser zur
wie die Evolution von Computern,
schleunigung der elektrisch gelade-
Beschleunigung sowie einer Elek-
die einst ganze Räume füllten und
nen Elementarteilchen wird dabei
tronen-Slalomstrecke zur Erzeugung
heute um das Handgelenk getragen
ein sichtbarer oder infraroter Laser
von Röntgenlicht. Außerdem ist das
werden können“, betont Hommel-
verwendet statt der heute üblichen
Zusammenspiel der Miniatur-Kom-
hoff. Für viele Zwecke bleiben die
Hochfrequenz-Radiowellen. Die Wel-
ponenten noch keine Routine, insbe-
lenlänge dieser Strahlung ist rund
sondere nicht die Kopplung mehre-
zehn- bis hunderttausendmal kürzer
rer Beschleunigungsmodule.
Bild: SLAC National Accelerator Laboratory
leistungsstarken, großen Anlagen
als die Radiowellen. „Der Vorteil:
Das im Aufbau befindliche
Alles wird bis zu fünfzigmal klei-
Beschleuniger-Entwicklungslabor
ner“, erläutert DESY-Wissenschaftler
SINBAD („Short Innovative Bunches
Franz Kärtner, der auch Professor
and Accelerators at DESY“) wird eine
an der Universität Hamburg und am
ideale Testumgebung für die Mini-
Massachusetts Institute of Techno-
atur-Beschleunigermodule bieten.
logy (MIT) in den USA sowie Mitglied
hochwertiger Elektronenstrahl in
ter for Ultrafast Imaging (CUI) ist.
die Module einspeisen, die Strahl-
„Die typische transversale Größe
einer Beschleunigerzelle kann etwa
Drei Miniatur-Beschleunigermodule aus
Silizium auf einer durchsichtigen Basis.
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„Bei SINBAD lässt sich ein qualitativ
im Hamburger Exzellenzcluster Cen-
qualität testen und eine effiziente
Laser-Kopplung erarbeiten. DESY
von zehn Zentimetern auf einen Mi-
bietet hier einzigartige Möglichkei-
krometer reduziert werden“, ergänzt
ten“, erläutert DESY-Beschleuniger-
Ingmar Hartl, Leiter der Lasergruppe
experte Ralph Aßmann.
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Foto: Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)
Warum van Goghs
Sonnenblumen
welken
Röntgenuntersuchung zeigt, wie Chromgelb nachdunkelt
V
an Goghs berühmte Son-
in London, im Seji Togo Memorial
nenblumen verändern mit
Sompo Japan Nipponkoa Museum of
der Zeit ihre Farbe. Ursa-
Art in Tokio und im Van-Gogh-Mu-
che ist die Mischung der
seum Amsterdam. Zwei weniger als
Pigmente, die der niederländische
einen Millimeter kleine Farbpartikel
Meister für seine Gemälde verwen-
aus dem Gemälde in Amsterdam
det hat. Das belegt eine aufwendige
wurden mit DESYs Röntgenlicht-
Röntgenuntersuchung der Sonnen-
quelle PETRA III durchleuchtet. „Die
blumen-Variante aus dem Van-
Analyse zeigt, dass orangegelbe
Gogh-Museum Amsterdam. Forscher
Schattierungen vor allem die licht-
um Letizia Monico vom Institut
beständige Variante von Chromgelb
für Molekularwissenschaften und
enthalten, während sich in hellgel-
-technologie (CNR-ISTM) in Perugia,
Sonnenblumen, 1889,
Vincent van Gogh (1853-1890).
ben Bereichen vor allem eine licht-
von der Universität Perugia und der
empfindliche Chromgelb-Variante
Universität Antwerpen haben dazu
findet“, berichtet Gerald Falken-
Oberfläche der Farbpartikel einen
unter anderem winzige Farbpartikel
berg, Leiter der Messstation, an der
relativen Anteil von 35 Prozent CrIII
des Gemäldes mit DESYs Röntgen-
die Röntgenbeugungsmessungen
messen. „Zumindest an den beiden
lichtquelle PETRA III durchleuchtet.
stattfanden.
untersuchten Stellen, von denen
Ihre Studie identifiziert Bereiche des
Gemäldes, die besonders sorgfältig
auf Veränderungen beobachtet werden sollten.
Vincent van Gogh (1853-1890) ist
berühmt für seine leuchtend gelben
Farben. Der Niederländer verwendete sogenanntes Chromgelb, eine
Verbindung aus Blei, Chrom und
Sauerstoff. „Das Pigment existiert in
unterschiedlichen Schattierungen,
und nicht alle davon sind dauerhaft
lichtbeständig“, erläutert Monico.
„Helleres Chromgelb mit einer Bei-
die Farbproben stammen, ist in den
„Die Studie hat
weiterreichende
Konsequenzen
dafür, wie die
Farben anderer
Kunstwerke einzuschätzen sind“
Koen Janssens, Universität Antwerpen
mischung von Schwefel ist anfällig
Sonnenblumen eine Farbveränderung durch eine Chromgelb-Reduzierung eingetreten“, sagt Monico.
Die Sonnenblumen haben ursprünglich also möglicherweise anders
ausgesehen als heute.
Mit einem mobilen Scanner
haben die Wissenschaftler Bereiche
auf dem Amsterdamer Gemälde
identifiziert, die künftig besonders
genau auf Farbveränderungen hin
beobachtet werden sollten. „Da
Chromgelb-Pigmente bei den Malern
des späten 19. Jahrhunderts weit
für eine chemische Veränderung
An der Europäischen Synchro-
verbreitet waren, hat diese Studie
unter Lichteinfluss, durch die das
tronstrahlungsquelle ESRF in
weiterreichende Konsequenzen
Grenoble untersuchte das Forscher-
dafür, wie die Farben anderer Kunst-
team den chemischen Zustand der
werke einzuschätzen sind“, betont
Pigment nachdunkelt.“
Die Forscher untersuchten die
Sonnenblumen aus dem Jahr 1889
Farbproben. Wenn lichtempfind-
Koen Janssens von der Universität
darauf, ob van Gogh darin verschie-
liches Chromgelb nachdunkelt, wird
Antwerpen, der an der Untersu-
dene Chromgelb-Varianten verwen-
das Chrom von seinem höchsten
chung maßgeblich beteiligt war.
det hat. Der Niederländer hat das
Oxidationszustand CrVI in den
Bild drei Mal gemalt. Je eine Vari-
Zustand CrIII reduziert. Tatsächlich
ante hängt in der National Gallery
konnten die Wissenschaftler an der
Angewandte Chemie, 2015; DOI: 10.1002/
ange.201505840
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von Johannes Kretzschmar
femtocartoon
n
n
40
S
femto 01/16
Impressum
femto wird herausgegeben vom
Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY,
einem Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft
Redaktionsanschrift
Notkestraße 85, D-22607 Hamburg
Tel.: +49 40 8998-3613, Fax: +49 40 8998-4307
E-Mail: femto@desy.de
Internet: www.desy.de/femto
ISSN 2199-5184
Redaktion
Till Mundzeck (v.i.S.d.P.), Ute Wilhelmsen
An dieser Ausgabe hat mitgewirkt
Frank Grotelüschen, Kristin Hüttmann
Gestaltung und Produktion
Diana von Ilsemann
Titelbild
DESY, Dirk Nölle
Bildbearbeitung und Herstellung
Heigener Europrint GmbH
Redaktionsschluss
März 2016
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Abonn stenlos!
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Titelbild
In dem neuen Röntgenlaser European XFEL werden Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um
anschließend intensive ultrakurze Röntgenblitze zu erzeugen.
Die Beschleunigerelemente stecken in zwölf Meter langen
und einen knappen Meter dicken gelben Röhren. In einer
Testhalle bei DESY werden die komplexen Bauteile auf Herz
und Nieren geprüft, bevor sie in den Beschleunigertunnel des
Röntgenlasers eingebaut werden.
Das Forschungszentrum DESY
DESY zählt zu den weltweit führenden Beschleunigerzentren. Mit den
DESY-Großgeräten erkunden Forscher den Mikrokosmos in seiner ganzen
Vielfalt – vom Wechselspiel kleinster Elementarteilchen über das Verhalten
neuartiger Nanowerkstoffe bis hin zu jenen lebenswichtigen Prozessen, die
zwischen Biomolekülen ablaufen. Die Beschleuniger und die Nachweisinstrumente,
die DESY an seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen entwickelt und baut,
sind einzigartige Werkzeuge für die Forschung: Sie erzeugen das stärkste
Röntgenlicht der Welt, bringen Teilchen auf Rekordenergien und öffnen völlig
neue Fenster ins Universum.
DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft,
der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.