kristin cavalleri
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kristin cavalleri
Das DESY-Forschungsmagazin – Ausgabe 01/16 ZOOM Röntgenlaser der Superlative Durchbruch in der Kristallographie Nanostrukturen bauen sich selbst Warum van Goghs Sonnenblumen welken femto 01/16 Der Planeten-Simulator Eine neue Hochdruckpresse an DESYs Röntgenquelle PETRA III kann das Innere von Planeten simulieren und neue Materialien synthetisieren. Die sogenannte Riesenstempelzelle („Large Volume Press“, LVP), die in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth installiert wurde, kann auf jeder ihrer drei Achsen einen Druck von 500 Tonnen ausüben, das entspricht dem 300 000-fachen atmosphärischen Druck oder den Druckverhältnissen 900 Kilometer tief unter dem Erdboden. Der Koloss ist 4,5 Meter hoch und wiegt 35 Tonnen. Je nach gewünschtem Druck können noch Proben mit einer Größe von bis zu einem Kubikzentimeter komprimiert werden, das ist ungefähr so groß wie ein normaler Würfel für Brettspiele und für Hochdruckexperimente enorm. Damit ist die Presse weltweit die größte an einem Synchrotron. Bild: DESY, Dirk Nölle femtoskop femto 01/16 Inhalt ZOOM Röntgenlaser der Superlative Seite 12–31 4 Er ist Hochgeschwindigkeitskamera, Supermikroskop und Planetensimulator zugleich: Mit seinen intensiven und ultrakurzen Röntgenlaserblitzen eröffnet der European XFEL von 2017 an Forschern aus Wissenschaft und Industrie völlig neue Einblicke in die Nanowelt: atomare Details von Viren, die molekulare Zusammensetzung neuartiger Werkstoffe, Filme von chemischen Reaktionen und die Eigenschaften von Materie unter Extrembedingungen. DESY ist Hauptgesellschafter dieser Entdeckermaschine. femto 01/16 06 20 32 CAMPUS ZOOM SPEKTRUM 06 14 30 Perfektion ist nicht das Maß aller Dinge Licht für die Zukunft - Fußbälle ohne Widerstand Durchbruch in der Kristallographie 10 17 Nanostrukturen bauen sich selbst „Licht am Ende des Tunnels“ - Explodierende Nanopartikel Massimo Altarelli über den - Forscher röntgen Proteinkristalle weltgrößten Röntgenlaser 34 18 Lizenz zum Messen Experimente am European XFEL - Molekularer Breakdance Neue Forschungsmöglichkeiten - Optischer Trichter für für viele Naturwissenschaften Ein neuer Elektronik-Standard erobert den Markt direkt in der Zelle - Neues Nanomaterial Neue Technik für die Herstellung metallischer Nanosysteme Forschung kurz gefasst Der European XFEL Nanopartikel - Ein Gen, zwei Proteine, 20 Maßarbeit vom Fließband ein Komplex Herausforderungen beim 36 Unbekannte Sauerstoffquelle im Erdmantel Hinweise aus der Entdeckung Beschleunigerbau 25 neuer Eisenoxide 38 Teilchenbeschleuniger auf Mikrochip „Triumph für DESY“ Drei Fragen an Helmut Dosch 26 Europäische Partner Elf Länder beteiligen sich am Bau des European XFEL Moore-Stiftung fördert innovative Technologie 28 39 Warum van Goghs Sonnenblumen welken Per Rad durch den Röntgenlaser Zwei Schüler erkunden den European XFEL Röntgenuntersuchung zeigt, wie Chromgelb nachdunkelt RUBRIKEN 02 femtoskop Der Planeten-Simulator 33 femtomenal 16 288 Meter Tunnel 09 femtopolis Entchen marsch! 40 femtocartoon Sind Laserschwerter die besseren Argumente? 5 femto 01/16 CAMPUS Perfektion ist nicht das Maß aller Dinge Leicht „unordentliche“ Kristalle (rechts) aus komplexen Biomolekülen wie dem hier abgebildeten Photosystem II erzeugen im Röntgenlicht ein kontinuierliches Streubild, aus dem sich mehr Informationen gewinnen lassen als aus den sogenannten Bragg-Peaks eines stärker geordneten Kristalls (links). 6 Bild: DESY, Eberhard Reimann Eine Dosis Unordnung sorgt für einen Durchbruch in der Kristallographie femto 01/16 I n der Wissenschaft ist es wie im echten Leben: Perfekt zu sein, ist nicht immer die beste Wahl. Gerade in kleinen Macken offenbart sich manchmal das wirklich Interessante. Menschlich gesehen ist das keine neue Wahrheit. Kleine Eigenheiten im Charakter, individuelle Abweichungen von der Norm eines perfekten Körpers gelten zumeist nicht als störend, sondern machen einen Menschen liebenswert und interessant. Für eine exakte Wissenschaft wie die Kristallographie hingegen, die auf physikalischen Messmethoden und mathematischen Analysen fußt, bedeutet das einen echten Henry Chapman leitet die Abteilung Kohärente Röntgenbildgebung am Center for Free-Electron Laser Science bei DESY. Paradigmenwechsel. Bestrahlt man einen Kristall mit Röntgenlicht, entsteht auf dem Detektor ein charakteristisches Muster aus hellen Punkten, den sogenannten Proteinkomplexen genau abzubilden“, erläutert Bragg-Peaks. Aus solchen Streubildern können die Chapman, der auch Professor an der Universität Experten den räumlichen Aufbau eines Kristalls Hamburg und Mitglied des Hamburg Centre for rekonstruieren, bis hinunter zur atomgenauen Ultrafast Imaging CUI ist. Die neue Methode kann Struktur der Moleküle, aus denen so ein Kristall mit weniger geordneten Kristallen arbeiten und besteht. Dabei galt bisher: Je perfekter die Mo- kommt ohne die sonst benötigten Zusatzinfor- leküle im Kristall angeordnet sind, desto besser mationen und chemisches Vorwissen aus. „Diese das Abbild des Moleküls. Doch für die besonders Entdeckung besitzt das Potenzial, eine echte komplexen Biomoleküle, die sich extrem schwer Revolution in der Kristallographie komplexer kristallisieren lassen, ist Perfektion nicht das Materie zu werden“, betont der Vorsitzende des Maß aller Dinge. Gerade die kleinen Fehler etwas DESY-Direktoriums, Helmut Dosch. Die Forscher „unordentlicher“ Kristalle, in denen einzelne Moleküle leicht verschoben sind, können entschei- bekommen Zugang zu den Bauplänen von tausenden medizinisch und biologisch bedeutenden dende Informationen für die Strukturaufklärung Biomolekülen. Die räumliche Struktur liefert beisteuern – verborgen in dem schwachen, kon- wichtige Informationen über die Funktionsweise tinuierlichen Streubild, das bislang im Wesent- eines Biomoleküls und kann damit beispielsweise lichen als störender Hintergrund galt und nicht als Basis zur Entwicklung eines Medikaments weiter beachtet wurde. dienen. „Diese Entdeckung besitzt das Potenzial, eine echte Revolution in der Kristallographie komplexer Materie zu werden“ Helmut Dosch, DESY „Extrem-Sudoku in drei Dimensionen“ Selbst mit einem perfekten Kristall lässt sich eine völlig unbekannte Proteinstruktur nicht allein aus den Bragg-Peaks bestimmen. „Diese Aufgabe ist wie Extrem-Sudoku in drei Dimensionen mit Millionen Kästchen aber nur der Hälfte der nötigen Tipps“, erläutert Chapman. In der Kristallographie wird dieses komplizierte Puzzle als Phasenproblem bezeichnet. Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass die Phasen der gestreuten Lichtwellen bekannt sein müssen, um die Struktur des Moleküls zu berechnen. Die Phase einer Lichtwelle gibt Diese Entdeckung gelang einem Team unter an, wie sehr ihr Wellenberg dem einer anderen Leitung von DESY-Forscher Henry Chapman vom Welle vorauseilt oder hinterherläuft. Die Phasen Hamburger Center for Free-Electron Laser Science der einzelnen Wellen lassen sich jedoch nicht CFEL. Die Forscher entwickelten eine neue messen. Um das Rätsel zu knacken, sind daher Methode, um die räumlichen Strukturen von weitere Hinweise nötig. Diese lassen sich unter Proteinen und anderen Biomolekülen zu be- Umständen aus der bereits bekannten Struktur stimmen, die über bisherige Verfahren in vielen eines chemisch eng verwandten Moleküls gewin- Fällen nicht zugänglich waren. „Unsere Entde- nen oder aus dem Vergleich mit Streubildern von ckung erlaubt uns, atomare Details von großen Kristallen chemisch leicht veränderter Moleküle. 7 femto 01/16 CAMPUS Die Analyse der Bragg-Peaks alleine (links) liefert deutlich weniger Details des untersuchten Moleküls als die zusätzliche Analyse des kontinuierlichen Streubilds (rechts). Die Lupen zeigen Originaldaten aus der Untersuchung. Die besten Kristalle sind nicht perfekte Kristalle Dieses Konzept führt zu einem ParadigmenAuch diese Hürde erschwert insbesondere bei wechsel in der Kristallographie: Die am besten großen Molekülkomplexen wie etwa Membran- geordneten Kristalle sind bei dem neuen Verfah- proteinen die Strukturbestimmung. ren nicht mehr die besten für die Analyse. Am Chapman entdeckte, dass das Phasenproblem und das Problem der nicht perfekten Kristalle besten eignen sich leicht ungeordnete Kristalle, betont Chapman. „Erstmals haben wir Zugang miteinander verbunden sind. Der Schlüssel liegt zu Streubildern einzelner Moleküle – das gab in dem schwachen, kontinuierlichen Streubild, es zuvor in der Kristallographie noch nie. Dabei das bei „unordentlichen“ Kristallen entsteht, dem wissen wir seit langem, wie sich das Streubild vermeintlich störenden Hintergrund. Daraus las- einzelner Moleküle analysieren lässt, wenn sen sich zwar Einblicke in die Vibrationen und an- man es denn messen kann.“ Die Technik der dere Dynamiken der Moleküle gewinnen, für die sogenannten kohärenten Röntgenbeugung mit Strukturanalyse wird es jedoch normalerweise Hilfe von Freie-Elektronen-Lasern hat hierzu nicht berücksichtigt. Doch wenn die Unordnung sehr leistungsfähige Algorithmen geliefert. „Man im Kristall einzig daher rührt, dass die einzelnen muss nicht einmal die Chemie kennen“, erläutert Moleküle leicht von ihrer Idealposition im Kristall Chapman. „Aber man kann sie direkt aus den verschoben sind, enthält dieser „Hintergrund“ das dreidimensionalen Bildern erkennen, die man komplette kontinuierliche Streubild der Einzel- bekommt.“ moleküle im Kristall. „Würde man ein einzelnes Molekül mit Röntgenstrahlen beleuchten, würde es ein kontinuierliches Streubild ohne irgendeinen Bragg-Peak erzeugen“, erläutert Erstautor Kartik Ayyer aus Chapmans CFEL-Gruppe. „Das Muster wäre allerdings extrem schwach und sehr schwer zu messen. Aber der ‚Hintergrund‘ in unserer Analyse ist wie eine Aufsummierung zahlreicher Einzelaufnahmen individueller Moleküle. Wir benutzen den Kristall quasi nur, um eine Vielzahl gleich ausgerichteter Moleküle gemeinsam in den Strahl zu befördern.“ Das kontinuierliche Streu- „Erstmals haben wir Zugang zu Streubildern einzelner Moleküle – das gab es zuvor in der Kristallographie noch nie“ Henry Chapman, DESY bild liefert ausreichend Informationen, um das Phasenproblem direkt zu lösen, ohne dass irgend- Um ihre neue Technik experimentell zu testen, etwas über das untersuchte Molekül bekannt sein tat sich Chapmans Gruppe mit dem Team von muss. In Analogie zum Sudoku-Puzzle ergeben Petra Fromme und weiteren Forschern von der die Messungen nun genug Hinweise, um stets die Arizona State University, der Universität von richtige Antwort zu finden. Wisconsin, der griechischen Stiftung für 8 femto 01/16 femtopolis Entchen marsch! Aus der Badewanne an die Forschungsfront D as kleine gelbe Quietsche- aller Welt. Ein trauriges Beispiel für moleküls aus den entsprechenden die globalen Stoffkreisläufe. Streubildern zu ermitteln. Vergnüglicher ist der Enten-Einsatz bei den Kristallographen, die mit Hilfe von intensivem Röntgen- Zum ersten Mal tauchte die „Fourier-Ente“ in einem Buch über optische Transformationen der licht die räumliche Struktur komple- britischen Kristallographen Charles xer Biomoleküle entschlüsseln. Das Alfred Taylor und Henry Solomon funktioniert nur mit komplizierten Lipson aus dem Jahr 1964 auf. Heute Berechnungen, sogenannten Fourier- hat sie sich im Unterrichtsmaterial Transformationen, und hier kommt weit verbreitet und begegnet so gut die Ente ins Spiel: Sie ersetzt in den wie jedem Studenten, der eine Einführung in das Fach bekommt. Entchen liegt gut in der Rechenmodellen die Biomoleküle, Hand, schwimmt immer fungiert also als Testobjekt, dessen Jahrzehntelang galt dabei die oben und ist unser liebster Form bekannt, nicht zu kompliziert, Devise: Je ordentlicher die Enten auf Badegast in der heimischen Wanne. aber auch nicht zu simpel ist. Sitzen ihren Gitterpunkten sitzen, desto Doch auch die Forscher haben viele Enten in einem Gitter, sym- besser. Doch die Natur ist nicht im- die Gummitiere für sich entdeckt: bolisiert das den Kristall, den die mer präzise. Überraschenderweise Eher unbeabsichtigt geriet eine Forscher mühsam aus den Biomole- lässt sich über die Enten – oder Containerladung Plastikspielzeug, külen gezüchtet haben, um ihn mit genauer: über die Moleküle, die sie die ein Frachter aus Hongkong im Röntgenlicht zu bestrahlen und aus repräsentieren – viel mehr lernen, Januar 1992 im Ostpazifik verlor, zu dem entstehenden Streubild auf die wenn sie nicht allzu perfekt in Reih einem Großexperiment über die Struktur rückzuschließen. Nur wenn und Glied stehen. Ein Paradigmen- Verbreitung von Plastikmüll im Meer. die Rechenmodelle es schaffen, aus wechsel für die Kristallographen – Knapp 29 000 Badewannenentchen dem Streubild die Ente zu rekons- und mehr Freiheit für die Entchen, und Co. trieben mit den Strömungen truieren, taugen sie auch dazu, die die jetzt um ihren Gitterpunkt auch über die Ozeane und landeten in unbekannte Struktur eines Bio- mal herumschwimmen dürfen. 9 femto 01/16 Forschung und Technology – Hellas FORTH sowie dem US-Beschleunigerzentrum SLAC zusammen. Die Wissenschaftler nutzten den weltstärksten Röntgenlaser LCLS am SLAC, um „unordentliche“ Kristalle eines Membranproteinkomplexes namens Photosystem II zu untersuchen, der Teil der Photosynthese-Maschinerie in grünen Pflanzen ist. Die Analyse des kontinuierlichen Streubilds verbesserte in dem Versuch die Detailgenauigkeit gegenüber der reinen Auswertung der BraggPeaks unmittelbar um etwa ein Viertel von 4,5 auf 3,5 Ångström. Ein Ångström ist ein Zehntel Nanometer (milliardstel Meter) und entspricht in etwa dem Durchmesser eines Wasserstoffatoms. Das resultierende Bild zeigt dadurch Details des CAMPUS Nanostrukturen bauen sich selbst Neue Technik für die Herstellung metallischer Nanosysteme Moleküls, die sonst nur durch die rechnerische Anpassung an ein chemisches Modell sichtbar werden. „Das ist ein ziemlich großer Schritt bei der Untersuchung von Biomolekülen“, betont Ko-Autor Anton Barty von DESY. „Und wir können die räumliche Auflösung weiter verbessern, wenn wir mehr Bilder aufnehmen.“ Das Team hatte D ESY-Forscher haben ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich metallische Nanostrukturen selbst bauen und ordnen. Dieser sogenannte Bottom-up-Ansatz bietet eine schnelle und einfache Alternative zu für diese ersten Versuche nur ein paar Stunden bisherigen Verfahren und ist damit auch für die Messzeit zur Verfügung, während eine normale Wirtschaft interessant, die immer häufiger Nano- Messkampagne oft einige Tage dauert. Die Wissenschaftler hoffen nun, noch detail- strukturen nutzt. „Vor allem erlaubt die Methode, ausgesprochen gleichförmige Nanostrukturen in reichere Bilder vom Photosystem II und vielen an- sehr regelmäßigen Anordnungen mit verhältnis- deren Makromolekülen mit ihrer neuen Technik mäßig geringem Aufwand herzustellen“, erläutert gewinnen zu können. „Diese Form der kontinu- die Hauptautorin des Fachartikels, Denise Erb. ierlichen Röntgenbeugung hat man tatsächlich Mit einem von DESY-Wissenschaftler Kai Schlage schon seit langem bei vielen schlecht streuenden entwickelten Spezialaufbau konnten die Forscher Kristallen beobachtet“, erläutert Chapman. „Man an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III den Nano- hatte allerdings noch nicht verstanden, dass sich strukturen beim Wachsen zusehen. daraus Strukturinformationen gewinnen lassen, Nanostrukturen sind winzige Objekte, die daher wurde sie bei der Analyse gewöhnlich kleiner als ein tausendstel Millimeter sind. Ein unterdrückt. Wir werden jetzt viel damit zu tun Nanometer (nm) ist ein millionstel Millimeter. haben zu prüfen, ob wir aus alten, ursprünglich Im Vergleich dazu ist die Dicke eines mensch- verworfenen Daten weitere Molekülstrukturen lichen Haars mit fast 40 000 Nanometern riesig. gewinnen können.“ Für viele wissenschaftliche Fragestellungen und technische Anwendungen ist es wichtig, dass die Nature, 2016; DOI: 10.1038/nature16949 Nanostrukturen sich in einem geordneten Muster wiederholen. Größen und Abstände der einzelnen Musterelemente liegen dabei zwischen einigen wenigen und mehreren hundert Nanometern. Nanostrukturen begegnen uns immer häufiger im Alltag. „Durch Nanostrukturen können bessere oder neue Funktionalitäten erzielt werden. Zum Beispiel bei Katalysatoren, Datenspeichern oder Sensoren“, sagt Erb. „Produkte, mit denen wir in unserem täglichen Leben umgehen, haben aber in der Regel Abmessungen von Zentimetern oder mehr. Also möchte man nanostrukturierte Materialien in dieser Größenordnung herstellen. Und 10 CAMPUS das möglichst schnell und billig.“ Allerdings ist es oft eine große Herausforderung, Nanostrukturen sowohl auf großer Fläche als auch mit regelmäßiger Anordnung herzustellen. Hierbei kann das neue Verfahren seine Stärke ausspielen. Die traditionelle Herangehensweise an dieses Problem, das sogenannte Top-Down-Verfahren, lässt sich mit Bildhauerei vergleichen: Es wird zunächst eine Fläche mit dem gewünschten Material beschichtet. Aus dieser Schicht wird dann das Muster durch Entfernen bestimmter Bereiche herausgearbeitet. Dies geschieht Stück für Stück, so dass die Produktionsdauer direkt von der Größe der gewünschten Fläche abhängt. Der Vorteil ist, dass sich nahezu jedes gewünschte Muster auf diese Weise herstellen lässt. „Durch Nanostrukturen können bessere oder neue Funktionalitäten erzielt werden. Zum Beispiel bei Katalysatoren, Datenspeichern oder Sensoren“ Denise Erb, DESY Struktur die Bildung der zweiten Struktur beeinflusst. Durch eine solche Kombination entstehen besonders gleichmäßige Muster. Erb und ihre Kollegen kombinieren auf diese Weise Kristalle, Aufbau einer Nanostruktur nach dem Bottom-upVerfahren: Auf den etwa 10 Nanometer (nm) tiefen Furchen eines Aluminiumoxid-Kristalls (grau) wächst eine 40nm dicke Copolymer-Schicht (braun). Darauf lagern sich rund 10nm hohe Quantenpunkte aus Metall ab (grün). Die gezeigte Fläche ist 3000nm mal 1800nm groß. Polymere und Metalle. „Für Wissenschaftler dürfte besonders spannend sein, dass man mit Röntgenstreuung live dabei zusehen kann, wie sich die Nanostrukturen Die Methode der DESY Forscher dagegen fußt bilden und wie sich dabei ihre physikalischen auf dem sogenannten Bottom-up-Ansatz. Die- Eigenschaften entwickeln“, sagt der Leiter der ser nutzt aus, dass bestimmte Materialien von DESY-Forschungsgruppe, Ralf Röhlsberger. An sich aus dazu neigen, Nanostrukturen zu bilden. der Forschungslichtquelle PETRA III waren die „Bei Bottom-up-Methoden, auch selbstorgani- DESY-Forscher live dabei: In einer speziellen An- sierende Methoden genannt, zwingen wir das lage haben sie die Metall-Nanostrukturen unter Material nicht in ein bestimmtes Muster wie bei verschiedenen Bedingungen direkt im Röntgen- Top-down-Verfahren“, erläutert Erb. „Stattdessen strahl wachsen lassen. schaffen wir Bedingungen, die es dem Material Mit Hilfe des Röntgenlichts können die For- erlauben, sich selbst zu ordnen und Nanostruk- scher zum Beispiel erkennen, wie sich die Form turen auszubilden. Die Form der Nanostrukturen und die magnetischen Eigenschaften der Nano- können wir dabei nicht so beliebig festlegen, wie strukturen entwickeln. Sie können also nicht nur bei Top-down-Methoden – sie sind durch die das Endergebnis ihrer Arbeit begutachten, son- Materialeigenschaften vorgegeben. Nichtsdesto- dern auch die Zwischenstadien genauer studie- trotz sind die entstehenden Nanostrukturen für ren. Wie beim Fußball sind die Forscher nicht nur uns sehr interessant und nützlich.“ Der große am Endergebnis des Spiels interessiert, sondern Vorteil liegt darin, dass die Bildung der Nano- auch am Verlauf. Die Forscher möchten etwa strukturen auf der gesamten Fläche gleichzeitig wissen, welche Parameter eine wichtige Rolle geschieht, so dass die Dauer der Herstellung gespielt haben. „Eine Methode zu etablieren, die nicht mehr von der Größe der Fläche abhängt. Um die gewünschten Nanostrukturen per Bottom-up-Verfahren zu erhalten, können auch Nanostrukturen einfacher und schneller entstehen lässt, ist genauso Ziel unserer Forschung, wie besser zu verstehen, wieso sich diese winzigen mehrere verschiedene selbstorganisierende Strukturen magnetisch, chemisch oder optisch so Materialien miteinander kombiniert werden. verhalten, wie sie es tun“, fasst Erb zusammen. Der Aufbau der Nanostrukturen geschieht dann schrittweise, so dass die Ordnung der ersten Science Advances, 2015; DOI: 10.1126/sciadv.1500751 11 Bild: Denise Erb, DESY femto 01/16 femto 01/16 ZOOM Röntgenlaser der Superlative Er ist Hochgeschwindigkeitskamera, Supermikroskop und Planetensimulator zugleich: Mit seinen intensiven und ultrakurzen Röntgenlaserblitzen eröffnet der European XFEL von 2017 an Forschern aus Wissenschaft und Industrie völlig neue Einblicke in die Nanowelt – atomare Details von Viren, die molekulare Zusammensetzung neuartiger Werkstoffe, Filme von chemischen Reaktionen und die Eigenschaften von Materie unter Extrembedingungen. Elf Staaten sind an dem europäischen Gemeinschaftsprojekt beteiligt. DESY ist Hauptgesellschafter und für den Bau und Betrieb des Beschleunigers mit seiner innovativen, supraleitenden Technologie verantwortlich. Der European XFEL verläuft größtenteils in Tunneln unter der Erde. Die 3,4 Kilometer lange Anlage reicht von DESY in Hamburg bis in die schleswig-holsteinische Nachbarstadt Schenefeld. 12 13 Bilder: European XFEL / DESY ZOOM femto 01/16 ZOOM Licht für die Zukunft Der European XFEL in Hamburg wird die stärksten Röntgenlaserblitze der Welt produzieren D reieinhalb Kilometer erstreckt sich der European XFEL von Hamburg-Bahrenfeld bis ins schleswig-holsteinische Schenefeld. Der leistungsstärkste Röntgenlaser der Welt ist zugleich eine der größten Wissenschaftsmaschinen Europas. Seine Basis ist ein knapp zwei Kilometer langer Teilchenbeschleuniger. Er bringt Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit. Spezielle Magnetstrukturen, sogenannte Undulatoren, zwingen die schnellen Elektronen 1 2 auf eine Slalombahn – mit der Folge, dass die Teilchen kurze, extrem starke Röntgenblitze aussenden, die noch dazu Lasereigenschaften haben. Die Röntgenblitze machen Aufnahmen ultraschneller Vorgänge möglich, weil jeder einzelne Blitz weniger als 100 billiardstel Sekunden kurz und ausreichend lichtstark für Momentaufnahmen ist. So lassen sich molekulare Reaktionen quasi filmen und damit Prozesse verstehen, die für chemische Produktionsverfahren in der Industrie oder medizinische Wirkmechanismen grundlegend sind. Außerdem können die kurzwelligen Laserblitze sichtbar machen, wie Nanowerkstoffe oder komplexe Biomoleküle auf atomarer Ebene zusammengesetzt sind – auf dieser Wissensbasis lassen sich neue maßgeschneiderte Materialien und Medikamente entwickeln. Auch extreme 14 In der Elektronenquelle [1] schlägt ein starker Laser jeweils mehrere Milliarden Elektronen aus einer CäsiumtelluridElektrode, die anschließend zu feinen Paketen gebündelt werden. Den richtigen Schub geben diesen Paketen die Beschleunigermodule [2]. In diese werden starke Radiowellen eingespeist, auf denen die Elektronen dann „reiten“ wie Surfer ZOOM Zustände von Materie lassen sich mit dem offenbart einen komplexen Aufbau. Die Elektro- Röntgenlaser erzeugen und analysieren: hohe nen flitzen durch ein dünnes, luftleer gepumptes Drücke und Temperaturen, wie sie im Inneren Rohr. Die meisten Komponenten dienen der von Planeten vorkommen, und unter denen sich Wärmeisolierung und der Kühlung – diverse Materie ganz anders verhält als unter irdischen „Normalbedingungen“. „Der European XFEL wird Wissenschaftlern aus Forschung und Industrie ganz neue Mög- Leitungen, durch die Flüssighelium gespült wird, was das Innere der Röhre auf minus 271 Grad Celsius bringt. Der Aufwand ist nötig, damit die Kernkompo- lichkeiten eröffnen“, betont Massimo Altarelli, nenten funktionieren können – die Resonatoren. Vorsitzender der Geschäftsführung des European Diese silbrig glänzenden Bauteile sorgen für die XFEL. „Vieles wird Grundlagenforschung sein, die eigentliche Beschleunigung. Mit Hilfe starker ihre größte Wirkung meist nicht kurzfristig und Radiowellen bringen sie die winzigen Elektronen- auch nicht immer auf dem beabsichtigten Gebiet pakete nahezu auf Lichtgeschwindigkeit. Jedes entfaltet. Aber ohne solche Grundlagenforschung Modul enthält acht Resonatoren bestehend aus wäre unser heutiges Leben nicht vorstellbar.“ dem supraleitenden Metall Niob. Supraleitend heißt, dass das Metall jeden elektrischen Wider- Rennmaschine für Elektronen stand verliert und Strom verlustfrei leitet – aller- Elf Staaten sind an dem europäischen Gemein- dings erst bei klirrender Kälte. Der Vorteil: So kön- schaftsprojekt beteiligt. DESY ist Hauptgesell- nen pro Sekunde deutlich mehr Elektronenpakete schafter und verantwortet den Bau und Betrieb auf Touren gebracht und entsprechend mehr des Beschleunigers mit seiner innovativen, Röntgenblitze erzeugt werden als durch die kon- supraleitenden Technologie, die bereits bei DESYs ventionelle, normalleitende Beschleunigertechnik. Röngentlaser-Pionier FLASH erprobt wurde. Die Insgesamt 101 supraleitende Module werden die Beschleunigermodule sind gelbe, wuchtige Röh- Teilchen in dem zwei Kilometer langen Beschleu- ren, zwölf Meter lang und einen knappen Meter nigertunnel auf Trab bringen. Gelegentlich sind dick. Ein Blick ins Innere eines solchen Moduls sie durch „warme“, also ungekühlte Abschnitte 4 3 6 5 auf einer Wasserwelle. Damit die rasenden Teilchen nicht durch Luft abgebremst werden, fliegen sie in Vakuumröhren [3]. Haben die Elektronen ihre Maximalenergie erreicht, durchlaufen sie spezielle Magnetstrukturen, die Undulatoren [4]. Diese zwingen die Elektronen auf einen Slalomkurs und bringen sie dazu, Röntgenblitze auszusenden. Am Ende der Undulatorstrecke sind extrem intensive, ultrakurze Röntgenlaserblitze entstanden, die Forscher nutzen, um an Messplätzen [5] die unterschiedlichsten Proben zu durchleuchten. Das Prinzip: Die Atome der Probe lenken das Röntgenlicht ab, Detektoren fangen die abgelenkte Strahlung auf. Am Computer [6] lässt sich daraus beispielsweise die räumliche Struktur der Probe atomgenau berechnen. 15 ZOOM Weltweit werden FreieElektronen-Röntgenlaser gebaut. Etwa die Hälfte der Anlagen ist bereits in Betrieb. European XFEL Schenefeld & Hamburg (DE) FLASH | FLASH II DESY, Hamburg (DE) PAL-XFEL PAL, Pohang (KR) LCLS | LCLS II SLAC, Menlo Park (US) SACLA SCSS SwissFEL PSI, Villigen (CH) FERMI Kurzwellige Röntgenstrahlung Elettra Sincrotrone Trieste, Trieste (IT) Langwellige Röntgenstrahlung unterbrochen. In ihnen sind unter anderem trennen, lenken Biegemagnete den Elektronen- Magnete zum Bündeln der Elektronenpakete strahl sachte nach rechts ab, in einen anderen montiert. Am Ende des Beschleunigers verzweigt Tunnel. Die Röntgenblitze dagegen laufen strikt sich der Tunnel in zwei Röhren. Beide enthalten geradeaus, bis sie in einem flachen Winkel auf eine weitere Kernkomponente der Maschine – die einen Spezialspiegel treffen. Dieser ist mit Na- Undulatoren. Über und unter dem Elektronen- nometerpräzision geschliffen und fungiert als strahlrohr sind Permanentmagnete montiert, alle Verteilstation: Entweder lässt er die Röntgenblitze vier Zentimeter wechseln sich Nord- und Südpol in ein Rohr geradeaus passieren, oder er lenkt ab. Die Elektronen werden dadurch auf Slalom- sie um ein Zehntelgrad ab in ein anderes Rohr. kurs gebracht. 600 Meter laufen beide Röhren nebeneinander her, wobei sie sich allmählich immer weiter von- Auf Slalomkurs einander entfernen. Am Ende des Tunnels, nach In den Kurven strahlen die fast lichtschnellen 3,4 Kilometern, treten sie in einem Abstand von Elektronen starkes Röntgenlicht ab. Das Beson- 1,40 Metern durch eine dicke Betonwand. Direkt dere an dem Freie-Elektronen-Laser: Er besitzt dahinter liegt die große Experimentierhalle mit nicht nur einen Undulator, sondern 35, hinter- Messhütten, deren Wände Blei zur Abschirmung einandergeschaltet auf einer Strecke von mehr der Röntgenstrahlung enthalten. In diesen Hütten als 200 Metern. „Wenn das Röntgenlicht eines sollen 2017 die ersten Experimente stattfinden: Undulators mit dem Licht des nächsten im Takt Die Röntgenblitze werden auf die verschiedens- schwingt, findet eine Verstärkung statt“, erläutert ten Proben treffen und deren innerste Strukturen Tobias Haas, Technischer Koordinator beim Euro- und Prozesse enträtseln. pean XFEL. „Nur dadurch erreiche ich den Verstär- „Wir haben viele Jahre gearbeitet, um diese kungseffekt, den ich für einen Laser brauche.“ Um Anlage zu bauen“, sagt Haas. „Jetzt fühlen wir den Lasereffekt optimal einstellen zu können, ist uns, als hätten wir bei einem Marathonlauf zwischen jedem der fünf Meter langen Undula- endlich die Zielfahne im Blick.“ Zunächst wird toren ein Zwischenstück eingesetzt, ein soge- der europäische Röntgenlaser sechs Messplätze nannter Phasenschieber. Nach der Undulatorstrecke teilt sich die beinhalten. Doch zwei weitere Tunnel sind bereits gegraben und können bei Bedarf mit zusätzlichen dünne, luftleer gepumpte Röhre in zwei Röhren Undulatoren bestückt werden. Im Endausbau auf: Die eine ist für die Elektronenpakete gedacht, könnten die Forscher in der Experimentierhalle die andere für die in den Undulatoren entstande- bis zu fünfzehn Messstationen nutzen. nen Röntgenlaserblitze. Um beide voneinander zu 16 RIKEN, Harima (JP) SXFEL SINAP, Shanghai (CN) Bild: European XFEL femto 01/16 „Licht am Ende des Tunnels“ Massimo Altarelli, Vorsitzender der Geschäftsführung der European XFEL GmbH, freut sich auf die ersten Experimente am weltgrößten Röntgenlaser femto: Sechs Jahre Bauzeit liegen femto: Wie profitiert die Gesellschaft und Geldgebern zu erhalten und hinter Ihnen, wann geht es los mit davon? sich auf eine gemeinsame Rechts- Altarelli: Der European XFEL wird wurde das internationale Abkom- Altarelli: Ich hoffe, dass wir im Feb- den Wissenschaftlern aus Forschung men schließlich unterzeichnet. ruar oder März 2017 die ersten Rönt- und Industrie ganz neue Möglich- Damit konnte der Bau beginnen. genlaserblitze sehen werden. In der keiten eröffnen. Vieles wird Grund- Experimentierhalle entstehen der- lagenforschung sein, die ihre größte femto: Hat der Bau wie geplant zeit die Messplätze, und zwischen Wirkung meist nicht kurzfristig und funktioniert? Frühjahr und Sommer 2017 werden auch nicht immer auf dem beabsich- die beiden ersten Experimentiersta- tigten Gebiet entfaltet. Aber ohne Altarelli: Manchmal hätte ich mir tionen an den Start gehen. Bis Mitte solche Grundlagenforschung wäre natürlich gewünscht, es hätte sich 2018 sollten dann alle drei Undula- unser heutiges Leben nicht vorstell- schneller machen lassen. Aber torstrecken und sechs Messplätze in bar. Mittel- und langfristig sehe ich immerhin haben wir es mit einer Betrieb sein. zum Beispiel große Chancen für die neuen Technologie an der Grenze medizinische Forschung, beispiels- des Machbaren zu tun, die wir in femto: Welche neuen Einblicke er- weise in der Entwicklung von Arz- eine Serienproduktion überführen möglicht die Anlage den Forschern? neimitteln und Therapien, auf dem mussten. Das war eine große Her- Gebiet der erneuerbaren Energien ausforderung. Alles in allem haben Altarelli: Gegenüber den existie- und bei Materialien für neue Tech- sich die Verzögerungen in Grenzen renden Röntgenquellen hat der nologien. Nicht unterschätzen sollte gehalten, und wir können sehr zu- European XFEL einige wesentliche man aber auch, dass bei uns junge frieden sein! Vorteile. Unter anderem sind seine Wissenschaftler an einer weltweit Pulse deutlich kürzer, nur etwa zehn führenden Forschungseinrichtung femto: Die Gemütslage bei Ihnen und Ihren 280 Mitarbeitern? der Forschung am European XFEL? form zu einigen. Im September 2009 Femtosekunden lang. Damit wird Erfahrung sammeln werden, die sie es möglich sein, Filme von moleku- später in Wissenschaft und Indus- laren Prozessen und chemischen trie zur Entwicklung neuer Verfah- Altarelli: Sehr gut. Nach einer langen Reaktionen aufzunehmen – man ren und Produkte einsetzen können. und anspruchsvollen Bau- und kann die 'Action' buchstäblich Planungsphase sehen wir nun sehen, wie in einem Actionfilm. femto: Schon 2003 hatte die Bun- buchstäblich das Licht am Ende des Außerdem besitzen die Blitze Laser- desregierung grünes Licht für den Tunnels – und zwar nicht nur in un- eigenschaften. Das wird uns erlau- europäischen Röntgenlaser gegeben. serem Team, sondern bei Forschern ben, künftig auch Proben bis ins ato- Warum hat es so lange gedauert, bis in ganz Europa. Zum jährlichen mare Detail zu analysieren, die sich der Bau beginnen konnte? nicht kristallisieren lassen. Sollte es Nutzertreffen kommen schon jetzt jeweils hunderte Experten nach gelingen, den Aufbau solcher einzel- Altarelli: Der European XFEL wäre für Hamburg. Das zeigt das große Inter- nen Proteinmoleküle zu enträtseln, ein einzelnes Land zu groß und zu esse und die Aufbruchsstimmung, die für die Pharmakologie inter- teuer gewesen, deshalb war er von die gerade unter den Wissenschaft- essant sind, wäre das fantastisch! Anfang an als ein internationales lern herrscht. Allen Methoden gemeinsam ist, dass Projekt angelegt. Die Wissenschaft- sie einen Blick auf bisher verborgene ler aus anderen Ländern zu begeis- Details und Abläufe im Nanokosmos tern, war einfach. Schwieriger war ermöglichen. es, die Zustimmung von Politikern 17 Bild: European XFEL, Rey Hori femto 01/16 Experimente am European XFEL Atomgenaue Bilder von Viren und Biomolekülen, Superzeitlupe für chemische Reaktionen oder die Untersuchung von Materie bei Extrembedingungen wie sie etwa tief im Inneren gigantischer Gasplaneten herrschen – mit seinen außergewöhnlich hellen, energiereichen und intensiven Röntgenblitzen soll der European XFEL neue Erkenntnisse in vielen Forschungsdisziplinen ermöglichen. Die zahlreichen Anwendungen erstrecken sich über Biologie, Medizin, Chemie, Physik, Materialwissenschaften, Elektronik, Nanotechnik und eine Reihe weiterer Fachgebiete. Sechs Experimentierstationen bieten dabei eine Vielzahl von Untersuchungsmöglichkeiten. Unter anderem im Rahmen sogenannter Nutzer-Konsortien tragen zahlreiche Institutionen zu verschiedenen Aspekten des Experimentierbetriebs am European XFEL bei. Auch DESY ist – zum Teil führend – an solchen Konsortien beteiligt. Geplanter Aufbau der Messstation FXE Dynamik in der Nanowelt nicht nur klassische Festkörper wie Metalle lassen sich an der Expe- Nanosysteme kommen immer häufiger auch in unserem Alltag vor. rimentierstation untersuchen, auch weiche Materialien wie Polymere Ein Beispiel sind metallische Nanopartikel in Katalysatoren, etwa im und Gele und sogar biologische Proben können auf ihre Nanostruk- Auto. Die Untersuchung der Eigenschaften und des dynamischen tur und ihre Dynamik hin analysiert werden. Für ein breites Spektrum Verhaltens solcher Systeme dient nicht nur einem besseren grundle- unterschiedlicher Probenarten stehen verschiedene Analysemetho- genden Verständnis, sondern auch der Optimierung von alltäglichen den zur Verfügung, welche die Lasereigenschaften der XFEL-Strah- Produkten mit Nanopartikeln. Die Messstation MID (Materials Ima- lung, ihre kurze Pulslänge und hohe Intensität gleichermaßen ging and Dynamics) widmet sich solchen Untersuchungen. Doch nutzen. 4D-Supermikroskop in Raum und Zeit Die Proben werden quer durch den Röntgenstrahl gejagt. Trifft ein Biomoleküle, Nanokristalle, Viruspartikel, Zellorganellen und Atom- intensiver Blitz beispielsweise einen Kristall aus Biomolekülen, cluster – das sind die zentralen Forschungsobjekte an der Messsta- entsteht ein charakteristisches Röntgenstreubild, aus dem sich die tion SPB/SFX (Single Particles, Clusters and Biomolecules and Serial Struktur des Biomoleküls rechnerisch rekonstruieren lässt. Der Femtosecond Crystallography). Dabei geht es in der Regel darum, räumliche Aufbau eines Biomoleküls verrät Forschern etwas über zwei- und dreidimensionale Strukturen der Untersuchungsobjekte seine Funktionsweise und kann Ansatzpunkte für die Entwicklung aufzuklären, und zwar mit atomgenauer Auflösung von besser als ei- von Medikamenten liefern. Aber nicht nur die Struktur- und Zellbiolo- nem Nanometer (millionstel Millimeter). Das 3D-Mikroskop ist dabei gie werden von den Untersuchungsmethoden dieser Messstation eigentlich ein 4D-Supermikroskop, berücksichtigt man auch die profitieren, auch Materialwissenschaften, Nanotechnik und viele hohe mögliche Zeitauflösung. andere Disziplinen. Der Exoplaneten-Simulator Die „Normalbedingungen“ auf der Erdoberfläche sind im Universum teme (Exoplaneten) herrschen. Zur Erzeugung solcher Extrembedin- die absolute Ausnahme: Ein Großteil der Materie existiert bei viel gungen dienen verschiedene Mittel wie beispielsweise optische höheren Drücken, Temperaturen und stärkeren elektromagnetischen Hochleistungslaser, Diamantstempelzellen und starke gepulste Mag- Feldern. In der Experimentierstation HED (High Energy Density nete. Die Untersuchung von Materie unter Extrembedingungen führt Science) lassen sich Extrembedingungen simulieren, wie sie bei- zu einem vollständigeren Bild ihrer Materialeigenschaften, auch ab- spielsweise im Inneren gigantischer Gasplaneten anderer Sonnsys- seits des schmalen Bereichs, den wir Normalbedingungen nennen. 18 femto 01/16 ZOOM Ultraschnelle Quantenfilmkamera So lässt sich mithilfe der ultrakurzen Belichtungszeiten etwa das Dynamische Prozesse im Nanokosmos laufen meist auf unvorstell- komplizierte Wechselspiel der Moleküle während einer chemischen bar kurzen Zeitskalen von billiardstel Sekunden (Femtosekunden) ab. Reaktion beobachten, und der Röntgenlaser liefert bisher nicht ver- Die Messstation FXE (Femtosecond X-ray Experiments) macht sich fügbare Informationen über die detaillierten Schritte. Dafür wird der die extrem kurzen Röntgenblitze des European XFEL zunutze, mit zu untersuchende Prozess mit einem Laserblitz gestartet und nach denen sich solche schnellen Prozesse in festen Stoffen, Flüssigkei- einer genau definierten Zeit mit einem Röntgenlaserblitz abgebildet. ten und Gasen scharf abbilden lassen. Beispiele sind sich ausbrei- Das Experiment wird sehr oft wiederholt und dabei jeweils zu einem tende Schockwellen, explodierende Nanopartikel sowie fast alle etwas späteren Zeitpunkt abgelichtet. So entsteht eine Serie von chemischen Reaktionen. Standbildern, die sich zu einem Film des beobachteten Prozesses montieren lassen. Zoom in die Quantenwelt dig in viele geladene Teile. SQS bietet den Forschern verschiedene Im Reich der Atome und Moleküle gibt es noch viele ungeklärte Fra- Techniken, diese Bruchstücke detailliert zu analysieren. gen. Dem Verhalten kleiner Quantensysteme, die aus einem bis eini- Die Ermittlung exakter atomarer Daten ist dabei nicht nur we- gen zehntausend Atomen bestehen, spürt die Experimentierstation sentlich für die Entwicklung neuer theoretischer Modelle, sondern SQS (Small Quantum Systems) nach. Insbesondere die Wechselwir- auch für viele andere experimentelle Methoden. Denn um ihre Er- kung von diesen kleinsten Struktureinheiten mit den ultra-intensiven gebnisse begründen und quantifizieren zu können, brauchen Wis- Blitzen des Röntgenlasers hat die Mehrphotonenkamera dabei im senschaftler verlässliche Daten, die jedoch selbst für eher einfache Visier. Bei Mehrphotonenprozessen entstehen häufig viele Elektro- Systeme oft fehlen. Dabei ist es notwendig, die Mitspieler – die nen und hochgeladene Ionen, Moleküle zerbrechen dabei vollstän- Atome – zu kennen, um das gesamte Schauspiel zu verstehen. Struktur und Dynamik komplexer Materialien Röntgenstrahlung. Sie ist unter anderem optimal geeignet für die Die elektronische und atomare Struktur und Dynamik von funktiona- Untersuchung nanostrukturierter Materialien und ultraschneller len und komplexen Materialien untersuchen Forscher an der Experi- Magnetisierungsprozesse. Anwendungspotenziale liegen in den mentierstation SCS (Spectroscopy and Coherent Scattering) mit so- Forschungsfeldern Materialwissenschaften, Oberflächenchemie genannter weicher Röntgenstrahlung. Weiche Röntgenstrahlung und Katalyse, Nanotechnik und Dynamik kondensierter Materie. besitzt weniger Energie und eine größere Wellenlänge als harte Elektronentunnel Elektronenverteiler Photonentunnel Elektronenablenkung Undulator Elektronenabsorber MID Materials Imaging and Dynamics HED High Energy Density Science Optional für zwei weitere Undulatoren und vier Instrumente SPB/ SFX Single Particles, Clusters, and Biomolecules and Serial Femtosecond Crystallography SQS Small Quantum Systems SCS Spectroscopy and Linearbeschleuniger für Elektronen (10.5, 14, 17.5 GeV) Coherent Scattering SASE 2 0.05 nm - 0.4 nm SASE 1 0.05 nm - 0.4 nm SASE 3 0.4 nm - 4.7 nm 19 Grafik: European XFEL FXE Femtosecond X-ray Experiments femto 01/16 ZOOM Maßarbeit vom Fließband Die Fertigung der supraleitenden Beschleunigermodule war eine große Herausforderung beim Bau des European XFEL R öntgenlaser auf Beschleunigerbasis gibt es mittlerweile mehrere auf der Welt: Der Pionier FLASH ging im Jahr 2000 bei DESY in Betrieb. Seit einigen Jahren lie- fern etwa LCLS in Kalifornien und SACLA in Japan hochintensive Röntgenblitze. Beide Anlagen haben – unter anderem durch zahlreiche Veröffentlichungen in den renommierten Fachzeitschriften „Nature“ und „Science“ – eindrucksvoll bewiesen, welchen Wert die neuen Lichtquellen für die Forschung haben. Ende 2016 soll der SwissFEL am Reinhard Brinkmann ist Direktor des Beschleunigerbereichs bei DESY. Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz dazukommen. Gegenüber diesen Projekten besitzt der European XFEL einen Vorteil: Er basiert auf supraleitender Technologie und kann deshalb deutlich mehr Röntgenblitze pro Sekunde abfeuern als kaum noch auf“, erklärt Brinkmann. „Deshalb normalleitende Anlagen – ein wesentliches Plus kann man ihn über einen viel längeren Zeitraum für viele Experimente. einschalten als einen Kupfer-Resonator.“ Dank Konventionelle Beschleuniger bringen die dieser Technik wird der European XFEL sehr viel Elektronen in wassergekühlten Resonatoren mehr Röntgenblitze produzieren können als die aus Kupfer auf Trab. „Wegen seines elektrischen anderen Anlagen – 27 000 pro Sekunde, also mehr Widerstands erhitzt sich das Kupfer“, erläutert als 200-mal so viel. Reinhard Brinkmann, Direktor des Beschleuniger- Die Vorteile: Manche Versuche, die an ande- bereichs bei DESY. „Deshalb darf man die Radio- ren Röntgenlasern Stunden dauern, werden sich wellen immer nur für einen winzigen Sekunden- in Hamburg in Minutenschnelle erledigen lassen. bruchteil in den Resonator leiten, sonst würde Dadurch sind mehr Experimente möglich. Und für das Material schmelzen.“ Das bedeutet: Man Projekte, bei denen die Forscher chemische Re- muss einen kurzen Augenblick warten, damit sich aktionen möglichst detailliert verfolgen möchten, das erhitzte Kupfer wieder abkühlen kann – erst erlaubt die schnellere Abfolge der Röntgenpulse dann kann der nächste Radiowellen-Puls kom- eine höhere zeitliche Auflösung. men. Das begrenzt die Rate, mit der die Anlage Allerdings hat die supraleitende Beschleu- Röntgenblitze abfeuern kann. Bei den bisherigen nigertechnologie auch einen Nachteil: Sie ist Freie-Elektronen-Lasern sind es maximal 120 pro teurer und wesentlich aufwendiger. So müssen Sekunde. die Kernkomponenten mit flüssigem Helium auf rund minus 271 Grad Celsius gekühlt werden. Blitzlichtgewitter dank Supraleitung Um diese Beschränkung zu umgehen, entschied „Hierfür konnten wir große Teile der HeliumVerflüssigungsanlage des ehemaligen Großbe- man sich bei DESY für einen anderen Weg – die schleunigers HERA verwenden“, sagt DESY- supraleitende Technologie. Ein Supraleiter hat Wissenschaftler Hans Weise, Koordinator des keinen elektrischen Widerstand. Die Folge: „Der European-XFEL-Beschleunigerkonsortiums. „Wir Resonator heizt sich durch die Radiowellen mussten also nicht alles komplett neu bauen.“ 20 femto 01/16 ZOOM Die größte Herausforderung jedoch waren verfahren auf Herz und Nieren durchcheckten. Entwicklung und industrielle Fertigung der „Wir haben alle 16 000 Niobbleche gescannt“, er- supraleitenden Resonatoren. Statt aus Kupfer zählt Brinkmann. „Aussortieren mussten wir nur bestehen sie aus dem Metall Niob. Gemeinsam ein paar Prozent.“ mit zahlreichen in- und ausländischen Partnern fertigte DESY die ersten Prototypen – ein Durchbruch. Doch in den rund drei Kilometer langen Freie-Elektronen-Laser European XFEL sollten mehr als 800 dieser supraleitenden Resonatoren eingebaut werden – eine Stückzahl, die nur mit einer Serienfertigung zu schaffen war. Reinheitsgebot für Resonatoren Also entwickelten die Experten eine komplexe, „Wir haben alle 16 000 Niobbleche gescannt, aussortieren mussten wir nur ein paar Prozent“ Reinhard Brinkmann, DESY industrietaugliche Verfahrenskette, sie umfasst zahlreiche Mitspieler aus dem In- und Ausland. Jene Bleche, die den Test bestanden, wurden Allein die Herstellung des Rohmaterials ist auf- zugeschnitten und gestanzt, um sie anschließend wendig. Das Niob muss hochrein sein, weshalb es in speziellen Öfen bis zu achtmal umgeschmol- zu einem Resonator zusammenzuschweißen – einer meterlangen, silbrig glänzenden Röhre zen werden muss. Bei jedem Schmelzschritt sinkt von der Form eines Baumkuchens. „Der Herstel- die Menge an Verunreinigungen. Am Ende stehen lungsprozess erfordert eine extrem hohe Rein- Niobblöcke von höchster Reinheit, die anschlie- heit“, erläutert Brinkmann. „Schon ein Staubkorn ßend zu Blechen gewalzt werden. Dennoch kann genügen, und ein Resonator funktioniert können geringe Verunreinigungen im Material nicht wie gewünscht.“ Um die Anforderungen zu verbleiben – weshalb die Forscher bei DESY jedes erfüllen, spielten sich manche der Prozessschritte einzelne Blech mit einem speziellen Wirbelstrom- in Reinräumen ab. Deren Luft ist extrem gefiltert, Partikelzähler überwachen die Luftqualität. Um die Komponenten nicht zu verschmutzen, trug das Personal eine regelrechte Chirurgenkluft – inklusive Mundschutz, Haarnetz und Handschuhen. Das Verschweißen der Niobbleche geschah per Elektronenstrahl. Nach dem Verschweißen folgten komplexe Reinigungsprozeduren: Die Resonatoren erhielten ein elektrochemisches Das Niob (oben) wird mehrfach aufgeschmolzen (oben links) und die gewalzten Bleche genau vermessen (links). Supraleitende Resonatoren im Reinraum 21 femto 01/16 ZOOM Säurebad, wurden unter Hochdruck mit besonders gereinigtem Wasser gespült und schließlich stundenlang bei 120 Grad gebacken. „Teilweise sind das Prozesse, deren Wirkmechanismus wir noch gar nicht in allen Details kennen“, erläutert Brinkmann. „Man könnte fast sagen, da steckt ein kleines bisschen Alchemie drin.“ Viele der Techniken wurden bei DESY er- Montage eines Beschleunigermoduls (rechts), Anschluss der Hochfrequenz-Koppler an Resonatoren im Reinraum (unten) probt, anschließend in die Industrie exportiert und dann gemeinsam weiterentwickelt. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir eine zuverlässige Serienfertigung hinbekommen haben, vieles war ein mühsamer Prozess des Lernens und Einübens“, sagt Brinkmann. „Doch am Ende hat der gesamte industrielle Fertigungsprozess sehr gut funktioniert – vom Blech bis zu den fertigen Resonatoren.“ Geliefert hatten sie eine italienische und eine deutsche Firma. Anfang 2016 lief das letzte Exemplar vom Band. Der Ausschuss: gering. Kaum mehr als ein Dutzend der mehr als 800 Niob-Röhren musste chemisch nachbehandelt werden, und das durchschnittlich erzielte Beschleunigungsfeld liegt deutlich über der ursprünglichen Spezifikation. bauten zahlreiche Institute und Firmen mit. Das DESY-XFEL-Projektteam musste sicherstellen, „Der industrielle Fertigungsprozess hat sehr gut funktioniert – vom Blech bis zu den fertigen Resonatoren“ Reinhard Brinkmann, DESY dass alle Partner ihre Komponenten möglichst pünktlich zur Verfügung stellten. „Kam irgendein Bauteil zu spät, war die ganze Kette dahinter betroffen, und es drohte ein regelrechter Stau.“ Die enge Zusammenarbeit zwischen DESY als Führer des Beschleunigerkonsortiums und der European XFEL GmbH, bei der die Gesamtleitung des Projekts liegt, bildete eine wichtige Grundlage für das Gelingen des Unternehmens. Pakete aus Milliarden Elektronen Nach der Fertigung kamen sämtliche Resonatoren Eine Kernkomponente der Anlage ist der Injektor: nach Saclay bei Paris. Hier wurden je acht von Das 50 Meter lange Gerät erzeugt jene Elektronen- ihnen in ein gelb lackiertes Modul montiert – eine pakete, die der Beschleuniger des European XFEL Art riesige Thermoskanne mit integrierter Helium- dann auf einer Strecke von 1,8 Kilometern auf Kühltechnik. Nach und nach wanderten die ins- Touren bringt. Das Funktionsprinzip des Injek- gesamt 101 fertigmontierten Röhren zurück nach tors: 27 000 Mal pro Sekunde feuert ein Laser Hamburg, um in einer großen Halle auf Herz und starke Lichtblitze auf ein pillenförmiges Metall- Nieren geprüft zu werden. Erst dann konnten sie stückchen. Jeder Blitz löst einen Pulk von rund die Experten in den Tunnel des European XFEL zehn Milliarden Elektronen heraus. Zwei supralei- einsetzen. tende Module beschleunigen diesen Pulk vor und Der Bau des Beschleunigers bildete nicht nur eine technische, sondern auch eine organisato- formen ihn zu maßgeschneiderten Paketen. Anfangs sind diese Elektronenpäckchen rund drei rische Herausforderung – immerhin waren acht Millimeter lang und einen Millimeter dick. Im Länder daran beteiligt. „Einige Partner steuern vor Laufe des Beschleunigungsprozesses werden sie allem Geld bei, andere liefern im Wesentlichen dann mittels raffinierter Technik weiter zusam- Komponenten“, sagt Riko Wichmann, Leiter des mengequetscht – auf rund ein Tausendstel ihres XFEL-Projektbüros bei DESY. „Insbesondere die Volumens. Der Grund: „Nur wenn die Elektronen Koordination der Sachbeiträge war nicht ein- auf kleinstem Raum konzentriert sind, lassen fach, da ist deutlich mehr Aufwand angefallen sich extrem starke Röntgenblitze erzeugen“, als gedacht.“ An den Beschleunigermodulen erläutert Hans Weise. 22 femto 01/16 Hans Weise ist Leitender Wissenschaftler bei DESY und Koordinator des European-XFEL-Beschleunigerkonsortiums. Höchst ausgefeilt ist auch eine andere Technik, die beim europäischen Röntgenlaser zum Einsatz kommt – die präzise Synchronisation der ultrakurzen Elektronenpakete und Röntgenblitze. Sie ist unter anderem nötig, um chemische Reaktionen filmen zu können. Dazu löst ein gewöhnlicher, optischer Laserblitz die Reaktion aus. Einen kurzen, definierten Augenblick später hält der Röntgenblitz aus dem European XFEL das Geschehen im Bild fest. Allerdings funktioniert die Methode nur, wenn optischer Laser und XFEL präzise aufei- Test eines Beschleunigermoduls nander abgestimmt sind. Genau das gewährleistet eine spezielle Synchronisationstechnik. Sie basiert auf einer „Laseruhr“, die in einer „Nur wenn die Elektronen auf kleinstem Raum konzentriert sind, lassen sich extrem starke Röntgenblitze erzeugen“ Hans Weise, DESY Erprobt wurde die Methode bereits bei FLASH. Dieser rund 300 Meter lange Freie-ElektronenRöntgenlaser bei DESY basiert auf denselben supraleitenden Beschleunigermodulen wie der große European XFEL, erzeugt jedoch Lichtblitze im weichen Röntgen- und UV-Bereich. „Wenn man so will, ist FLASH ein 1:10-Modell für den European XFEL“, sagt Reinhard Brinkmann. „Im Laufe der Jahre hat uns FLASH zahllose wertvolle Erkenntnisse geliefert, wie man die große Anlage planen und bauen muss.“ Bereits seit Glasfaser im Beschleunigertunnel „tickt“. Unter einem Jahrzehnt dient FLASH als Nutzeranlage anderem misst das System den genauen Abstand für Wissenschaftler aus aller Welt. Das Interesse zwischen den Elektronenpaketen sowie den Rönt- der Forscher an FLASH ist so groß, dass DESY genblitzen – eine wichtige Information für die die Experimentierkapazität der Anlage derzeit Experimentatoren. verdoppelt. 23 femto 01/16 supraleitende Technologie künftig nutzen – konkret das US-Zentrum SLAC in Kalifornien. Seit 2009 betreibt es erfolgreich die „Linac Coherent Light Source“ (LCLS), einen Röntgenlaser basierend auf einem normalleitenden Beschleuniger. Derzeit planen die US-Forscher eine zweite Maschine, eingebaut in denselben Tunnel: LCLS-II wird auf einer Länge von 700 Metern mit 280 supraleitenden Resonatoren bestückt sein. Sie „Wir sind nur deshalb so schnell vorangekommen, weil wir das Wissen und die Erfahrung von DESY nutzen konnten“ John Galayda, SLAC gleichen im Wesentlichen denen des European XFEL. Das ehrgeizige Ziel: Ab 2019 soll der neue und die Erfahrung von DESY nutzen konnten.“ Das galt vor allem für das Design der hochkom- US-Laser eine Million Blitze pro Sekunde abfeu- plexen Beschleunigermodule, aber auch für die ern – allerdings bei längeren Wellenlängen und supraleitenden Niob-Resonatoren. „Wir kaufen damit geringerer Bildschärfe als das Vorbild in sie bei denselben beiden Firmen ein, die auch den Hamburg. „Bei unseren Planungen haben wir European XFEL beliefert haben“, erklärt Galayda. viel Unterstützung von DESY bekommen“, sagt „Es ist ein enormer Vorteil für uns, dass es bereits Projektleiter John Galayda. „Wir sind nur deshalb Hersteller gibt, die große Erfahrung beim Bau so schnell vorangekommen, weil wir das Wissen dieser Resonatoren haben.“ Mit Hilfe des Elektro-Spezialfahrzeugs „Mullewupp“ (unten links) wurden die Beschleunigermodule im Tunnel transportiert und montiert 24 Bild: European XFEL Auch andere Forschungseinrichtungen wollen die ZOOM femto 01/16 „Ein Triumph für DESY“ DESY ist der Hauptgesellschafter des European XFEL. Welche Erwartungen das Forschungszentrum mit dem europäischen Röntgenlaser verbindet, erläutert der Vorsitzende des DESY-Direktoriums, Helmut Dosch. femto: Was bedeutet der European besten Köpfe an die Elbe und liefert XFEL für DESY? zum anderen ein hochattraktives Umfeld für Hightech-Firmen, welche Dosch: Der European XFEL ist eines hier neue Ideen und Technologien der revolutionärsten Großfor- entwickeln können, die weit über schungsprojekte weltweit: Es verbin- die Forschung hinaus wirken. Damit det eine völlig neuartige, von DESY liefert DESY mit seinen Koopera- entwickelte Beschleunigertechnolo- tionspartnern einen nachhaltigen gie mit dem enormen Entdeckungs- Beitrag zu einer neuen Innovations- potenzial, das die einzigartigen kultur in der Metropolregion. Experimentiermöglichkeiten Wissenschaftlern aus aller Welt bieten femto: Was zeichnet den European werden. DESY hat dieses Großgerät XFEL neben der Wissenschaft aus? konzipiert und die theoretischen und technischen Grundlagen für Dosch: Der europäische Röntgenlaser dessen Realisierung geschaffen. ist bereits heute ein Leuchtturm für Und nicht zuletzt hat DESY mit ein hochprofessionelles Projektma- FLASH die Pionieranlage für nagement. Nach jetzigem Kenntnis- derartige Röntgenlaser gebaut. Ich stand wird der European XFEL alle bin deshalb überzeugt, dass der Design-Parameter erfüllen, inklusive European XFEL zu einem großen der Projektkosten. Dies zeigt einmal Triumph für DESY werden wird. mehr die Kompetenz von DESY in der Konzeption und im Bau hoch- femto: Welche Perspektiven ergeben komplexer Beschleunigeranlagen. sich für die Wissenschaftsregion Die im European XFEL eingesetzten Hamburg? Technologien haben bereits heute die Grenzen des technisch Mach- Dosch: Mit dem europäischen Rönt- baren verschoben, dies gilt insbe- genlaser entsteht in der Metropolre- sondere für den zwei Kilometer gion Hamburg – zusammen mit den langen supraleitenden Beschleuni- bereits existierenden herausragen- ger, eine DESY-Technologie. Damit den Röntgenlichtquellen PETRA III der European XFEL auch zu einem und FLASH bei DESY – eine weltweit Leuchtturm der Wissenschaft wird, einzigartige Forschungsinfrastruk- müssen in den kommenden Jahren tur. Im Umfeld dieser Anlagen die bahnbrechenden wissenschaft- sind in den letzten Jahren bereits lichen Entdeckungen passieren. Ich richtungsweisende interdisziplinäre habe da keinerlei Zweifel, unsere Forschungskooperationen entstan- Top-Wissenschaftler stehen schon den, wie beispielsweise das Center in den Startlöchern. for Free-Electron Laser Science CFEL und das im Bau befindliche Strukturbiologiezentrum CSSB. Diese Entwicklung lockt zum einen die 25 femto 01/16 Europäische Partner Elf Länder beteiligen sich am Bau des European XFEL NIIEFA UU GU KTH MSL DTU Physto DESY NCBJ WUT IFJ-PAN CNRS CEA PSI INFN CIEMAT CELLS UPM Institutionen und ausgewählte Sachbeiträge DESY Deutsches Elektronen-Synchrotron, Hamburg (Deutschland) DTU Dänische Technische Universität, Kopenhagen (Dänemark) - Hightech-Komponenten für wissenschaftliche Instrumente CNRS Centre National de la Recherche Scientifique, Orsay (Frankreich) - Produktion von Radiofrequenz-Kopplern für den supraleitenden Linearbeschleuniger CEA Commissariat à l’Energie Atomique et aux Energies Alternatives, Saclay (Frankreich) - 26 Montage von Baugruppen aus je acht supraleitenden Resonatoren Zusammenbau der 103 Beschleunigermodule (einschließlich zweier Prototypen) - Design, Fertigungsbetreuung und Test der supraleitenden Resonatoren Design, Fertigungsbetreuung und Test der Beschleunigermodule Kältetechnik Hochfrequenzversorgung Bau und Betrieb des Injektors Bau und Betrieb des Hauptbeschleunigers Bau und Betrieb der Strahlführungen Sicherheitsüberwachung Allgemeine Anlagen- und IT-Infrastruktur Koordinierung der Gesamtanlage Auftragsvergabe und -überwachung - NCBJ Polnisches Zentrum für Kernforschung, Świerk (Polen) - - - Produktion, Test und Auslieferung von supraleitenden Resonatoren Produktion, Test und Auslieferung von HOM-Kopplern und -Absorbern für den Beschleuniger Programmierbare Logic Controller für wissenschaftliche Experimente WUT Technische Universität Wrocław, Wrocław (Polen) - INFN Istituto Nazionale di Fisica Nucleare, Mailand (Italien) 42 Kryostate 3.9-GHz Beschleunigermodul für den Injektor - Produktion, Test und Installation von vertikalen Testständen für den Resonator-Test Produktion, Test und Installation der Transferlinie XATL1 Vertikale Kryostate ZOOM JINR BINP INR IHEP IFJ-PAN Henryk-Niewodniczański-Institut für Kernphysik der Polnischen Akademie für Wissenschaften, Krakau (Polen) INR Institut für Kernforschung an der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau (Russland) - - Tests aller supraleitenden Resonatoren, Magnete und Beschleunigermodule Design, Produktion und Lieferung von Transversal-Ablenkstrukturen sowie Elektronenstrahldiagnostik JINR Institut für Kernforschung, Dubna (Russland) CELLS Konsortium für Bau, Ausrüstung - und Nutzung von Synchrotronlichtquellen, Barcelona (Spanien) Design, Produktion, Test und Auslieferung von drei MCP-basierten Detektoren - IHEP Institut für Hochenergiephysik, Sieben mechanische Aufhängungen für Undulatoren Protvino (Russland) - Design, Produktion und Installation von Kühlanlagen für den Linearbeschleuniger Design, Produktion und Installation der Strahlfänger NIIEFA D.V.-Efremov-Institut für ElektrophysiDesign, Produktion und Auslieferung normalleitender Magnete BINP Budker-Institut für Kernphysik, CIEMAT Centro de Investigaciones Energéticas, Medioambientales y Tecnológicas, Madrid (Spanien) - - - Design, Produktion und Test von Magneten, Vakuumkomponenten und Stromversorgung Design, Produktion und Aufbau von Testständen für supraleitende Beschleunigermodule Kryogenik Stromversorgung Design, Produktion, Test und Auslieferung von Undulatorintersektionen Design und Produktion von supraleitenden Strahlführungsmagneten UPM Universidad Politécnica de Madrid, Madrid (Spanien) - Nowosibirsk (Russland) - - Magnetic-BottleElektronenspektrometer MSL Manne-Siegbahn-Labor der Universität Stockholm, Stockholm (Schweden) - Vermessung von Magneten Entwurf, Bau und Auslieferung von Temperatursensoren für die Undulatoren Physto Fachbereich Physik der Universität Stockholm, Stockholm (Schweden) kalische Anlagen, St. Petersburg (Russland) - GU Universität Göteborg, Göteborg (Schweden) Design, Produktion, Test und Auslieferung der Stromversorgung für supraleitende Magnete KTH Königliches Institut für Technologie, Stockholm (Schweden) - Untersuchung von Röntgenlinsen und Kühlsystemen - Konfigurierung, Validierung und Auslieferung des Zeitsteuerungs- und Synchronisierungssystems UU Universität Uppsala, Uppsala (Schweden) - - Design, Produktion und Auslieferung eines laserkontrollierten Proben-Injektors inklusive Laserheizung Abordnung von Physikern für die Ausrüstung der Strukturbiologie-Messstation PSI Paul Scherrer Institut, Villigen (Schweiz) - Design, Produktion und Installation von Strahlpositionsmonitoren und Intra-Bunchtrain-Feedbacksystemen Vollständige Liste unter: http://www.xfel.eu/project/ in_kind_contributions/ 27 femto 01/16 ZOOM Per Rad durch den Röntgenlaser Zwei Schüler erkunden den European XFEL denn am Ende des Tunnels ist noch Baustelle und da sind Sicherheitsschuhe Pflicht. Helme brauchen wir auch, falls man sich an der vielen Technik im Tunnel den Kopf stößt oder einem etwas auf den Kopf fällt. Und noch was: Als wir beim Eingangsgebäude des Röntgenlasers auf dem DESY-Gelände angekommen F sind, bekommt jeder von uns noch reitag, der 19. Februar, ist ein einen Selbstretter. Das ist eine Art grauer Tag. Immerhin regnet Schnorchel an einer Tüte. Durch die es nicht, als wir uns auf den bekommt man eine halbe Stunde Weg von Hamburg-Sülldorf Atemluft, falls ein Feuer im Tunnel nach Bahrenfeld machen. Auf dem ausbricht. Eine Schutzbrille gegen Fahrrad immer geradeaus entlang den Rauch ist auch dabei. Frank der Osdorfer Landstraße. Unser macht es vor. Ein bisschen wie die Ziel ist ein langer Tunnel, ein For- Stewardess, die im Flugzeug zeigt, schungsgerät, das künftig 27 000 wie man die Sauerstoffmasken Röntgenblitze pro Sekunde erzeu- benutzt. gen soll. Vorstellen können wir uns Und endlich geht die Tour los. das noch nicht so richtig. Wir sind In der Eingangshalle ist ein großer gespannt, ein bisschen aufgeregt, Schacht, durch den wir fast 40 Meter aber auch platt von der Schulwoche, tief nach unten blicken, natürlich die mit Mathe in der fünften und gut gesichert durch ein Geländer. An seinen 360-Grad-Reifen kann es aus sechsten Stunde endete… der Decke hängt ein großer Hallen- dem Stand in jede Richtung fahren – kran, der schwere Lasten in die wichtig, wenn es in dem engen Tun- hoch und kommen zur Trabrenn- Tiefe kranen kann. Und das ist sehr nel manövrieren muss. Außerdem bahn. Hier, am Albert-Einstein-Ring, wichtig, denn alle Bauteile für den kann es tonnenschwere Lasten nicht sind die Bürogebäude der European Teilchenbeschleuniger, der dort un- nur transportieren, sondern auch XFEL GmbH, und hier sind wir mit ten aufgebaut wird, müssen durch anheben, denn der Beschleuniger Frank Poppe von der PR-Gruppe diesen Schacht in die Tiefe direkt auf hängt unter der Tunneldecke. Dafür verabredet, der mit uns durch den ein Spezialfahrzeug geladen werden. braucht Mullewupp ganz schön viel Tunnel fahren und uns den Rönt- Also auch die tonnenschweren Kraft und hat riesige Batterien – ein genlaser erklären wird, der darin gelben Röhren, in denen die eigent- Benzinmotor wäre im Tunnel zu aufgebaut wird. Doch der Tunnel lichen Beschleunigerteile stecken. gefährlich. ist nicht in Sicht. Zuerst kriegen Das Fahrzeug sehen wir später im wir noch unsere Ausrüstung und Tunnel. Es heißt Mullewupp (platt- Mit unseren Zugangskarten kom- eine Sicherheitsunterweisung: Eine deutsch für Maulwurf), sieht aus men wir durch die Sicherheitssperre Zugangskarte für jeden, außerdem wie eine gelbe Bergwerkslokomo- und schieben unsere Fahrräder Gummistiefel mit Eisenkappen, tive und kann ganz schön viel: Mit in den Fahrstuhl, der uns sieben Wir fahren die Notkestraße 28 So, jetzt aber ab in den Tunnel. ZOOM jetzt ganz schön eng, es ist warm, und wir müssen vorsichtig fahren. Undulatoren gibt es keine mehr. Nur das Strahlrohr, durch das die Röntgenlaserstrahlung fliegt, ist rechts neben uns und ganz viele Prüfgeräte, die kontrollieren, ob das Licht auch allen Qualitätsanforderungen bündeln, erklärt uns Frank. Zwei entspricht. Dann kommt das Ende. knallblaue „Dipol“-Magnete sind Wieder eine Tür, und wir schieben besonders groß. Sie kommen aus unsere Räder aus dem Tunnel in die St. Petersburg, kosten 57 000 Euro unterirdische Experimentierhalle. pro Stück und gehören zu dem Die ist so groß wie ein Fußballfeld. russischen Beitrag für den European Mehrere Messhütten werden gerade XFEL. Die Partnerländer geben nicht aufgebaut. Hier sollen Atome beob- nur Geld, um den Röntgenlaser zu achtet und chemische Reaktionen bauen, sondern liefern auch wich- gefilmt werden. In einer Hütte mit tige Bauteile wie die Magnete. dicken Betonwänden sollen Expe- Unsere Fahrt endet vor einer Sperr- rimente unter extrem hohen Druck holztür. Die ersten zwei Kilometer und großer Hitze stattfinden, also Beschleunigerstrecke liegen hinter unter Bedingungen wie sie im Inne- uns. Wir sind jetzt direkt unter dem ren von Planeten herrschen. Osdorfer Born, in einem kahlen Dann schieben wir unsere Fahr- Betriebsgebäude. Ab hier verzweigt räder in den Fahrstuhl und fahren sich der Tunnel, und ab hier werden nach oben, wo gerade Labore und Stockwerke nach unten befördert. die Elektronen dafür benutzt, das Büroräume entstehen. Wir radeln Der Tunnel ist wie ein U-Bahn-Tun- Röntgenlaserlicht zu erzeugen, um zum Ausgang, geben Helme, Gum- nel gebaut, eine runde Betonröhre das es den Forschern geht. mistiefel und Lebensretter wieder mit Boden, schnurgerade, das Ende Wir radeln in den rechten der ab und stehen in Schenefeld, direkt können wir nicht sehen. In der beiden Tunnel. Hier stehen schon neben einer großen Tennisanlage. rechten Tunnelhälfte hängen schon einige der gelben Gestelle, in denen Mittlerweile ist es dunkel geworden. gelbe Beschleunigermodule an der später das besondere Licht entsteht. Wir verabschieden uns von Frank Decke. Hier könnten die Elektronen Der Name ist schwer zu merken. und radeln nach Hause. Spannend schon losfliegen, aber weit würden Demulatoren? Odolatoren? Emulato- war es, aber auch ganz schön an- sie nicht kommen, denn der Bau ist ren? Undulatoren sind es, in denen strengend. Wir haben viel gesehen noch in vollem Gange. Minus 271 die Elektronen von wechselnden und gelernt. Und wir würden gerne Grad kalt ist es in den Modulen, Magneten auf Slalomkurs gebracht nochmal in den Tunnel – aber dies- damit der Strom ohne Widerstand werden und dadurch Röntgenblitze mal mit dem Skateboard. fließen kann, außerdem fliegen die aussenden. Es sind starke Mag- Elektronen im Vakuum, damit sie nete, die man nicht abstellen kann. nirgends anstoßen und möglichst Eine Uhr kann zum Beispiel daran schnell beschleunigt werden. Sie hängen bleiben, wenn man zu dicht fliegen fast mit Lichtgeschwindig- dran kommt. keit, also mit 300 000 Kilometern Die orange-gelben Undulatoren pro Sekunde. Kann man sich kaum werden in Deutschland und Spanien vorstellen. gefertigt. Und dann kommt einer, In der linken Tunnelhälfte ist Vincent van Beusekom und Louis Wild gehen in die 6. Klasse des Marion Dönhoff Gymnasiums in Hamburg-Blankenese. Wenn sie nicht gerade mit Fahrrad oder Longboard unterwegs sind, spielen sie gerne Minecraft. Aus dem Material von ihren GoPro-Kameras wollen sie noch einen Film über den Röntgenlaser machen. der ist neongelbgrün und fällt ganz ein Weg für den Mullewupp und für schön auf. Er ist aus China. Funktio- unsere Fahrräder. Wir müssen auf- nieren tut er gut, aber irgendwie hat passen, dass wir wirklich geradeaus das mit der Farbabstimmung nicht fahren und nirgends gegenstoßen. hingehauen. Ganz schön schräg! Es ist ungewohnt, durch den Tunnel Jetzt kommt noch eine Verzweigung. zu fahren, spannend! Rechts neben Die beiden Tunnel fächern sich in uns die gelben Module und viele insgesamt fünf Tunnel auf, die zu auffällig große Magnete. Sie hel- verschiedenen Experimentiersta- fen dabei, den Elektronenstrahl zu tionen führen. Unser Tunnel ist 29 W SPEKTRUM inzige, metallische Buckminster-Fullerenen zusam- Fußballmoleküle verlie- mensetzt, und normalerweise bei ren ihren elektrischen etwa minus 250 Grad supraleitend Widerstand bei ver- wird. Durch den Beschuss mit dem gleichsweise hohen Temperaturen, Infrarotlaser setzte die Supraleitung wenn man sie mit einem intensiven kurzzeitig jedoch schon bei minus Infrarotlaser beschießt. Das haben 170 Grad ein. Physiker um Daniele Nicoletti vom Intensive Laserblitze können dem Alkali-Fullerid K3C60, das fußballähnliche Moleküle aus 60 Kohlenstoffatomen enthält, schon bei minus 170 Grad Celsius den elektrischen Widerstand nehmen. Fußbälle ohne Widerstand Hinweise auf lichtinduzierte Supraleitung in Buckminster-Fullerenen des Instituts gelungen, eine be- und Dynamik der Materie auf dem stimmte Keramik mit infraroten DESY-Campus in Hamburg beobach- Laserpulsen für Bruchteile einer tet. Die Experimente sollen helfen, Sekunde sogar bei Raumtempera- das Phänomen der Supraleitung tur supraleitend zu machen. Weil genauer zu verstehen. Fullerene einen relativ einfachen Supraleiter dienen derzeit vor die Wissenschaftler, das Phänomen selbst die besten dieser Materialien der lichtinduzierten, kurzzeitigen erst bei minus 70 Grad Celsius ihren Supraleitung bei vergleichsweise ho- elektrischen Widerstand verlie- hen Temperaturen durch die neuen ren, werden sie hauptsächlich in Experimente besser verstehen zu Magneten für Kernspintomogra- können. Solche Einsichten könnten phen oder Fusionsanlagen sowie in helfen, ein Material zu entwickeln, Teilchenbeschleunigern eingesetzt. das Strom auch ohne optische Anre- Die Max-Planck-Physiker aus der gung bei Raumtemperatur verlust- Gruppe von Institutsdirektor Andrea frei leitet. Cavalleri untersuchten nun das Fullerid K3C60, ein Metall, das sich Nature, 2016; DOI: 10.1038/nature16522 aus fußballförmigen, sogenannten Explodierende Nanopartikel Forscher filmen Nanokosmos mit bisher unerreichter Detailschärfe und Schnelligkeit liches Haar. „Mit dem intensiven LCLS am US-Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. Die winzigen Partikel hatten Durchmesser von etwa 40 Nanometern, das ist rund tausend Mal dünner als ein menschLicht eines Infrarotlasers wurden die Nanopartikel stark erhitzt und in der Vakuumkammer zum Explodieren it einem Superröntgenmikroskop hat gebracht,“ erklärt DESY-Forscher ein deutsch-amerikanisches Forscher- Jochen Küpper aus dem Team. team die Explosion einzelner Nano- Gezielt verzögerte Röntgenblitze partikel in Ultrazeitlupe gefilmt. Dabei hielten verschiedene Stadien der Ex- konnten die Physiker um Tais Gorkhover von der plosion fest, das Experiment wurde Technischen Universität Berlin und Christoph dazu jeweils mit einem neuen Bostedt vom Argonne National Laboratory Nanopartikel und etwas größerer erstmals eine Detailschärfe von besser als acht Verzögerung des Röntgenblitzes Nanometern in Kombination mit einer zeitlichen wiederholt. Aus diesen zeitlich leicht Auflösung von 100 Femtosekunden erreichen. versetzten Schnappschüssen ent- Ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter, eine stand ein Film der Explosion. Femtosekunde ist eine billiardstel Sekunde. Für die Experimente untersuchte das Forscherteam explodierende Nanopartikel aus gefro30 chemischen Aufbau haben, hoffen allem für Spezialanwendungen. Da renem Xenon mit dem Röntgenlaser M Bereits 2013 war es Forschern Max-Planck-Institut für Struktur Bild: Tais Gorkhover/SLAC Illustration: J.M. Harms/MPSD femto 01/16 Nature Photonics, 2016; DOI: 10.1038/ NPHOTON.2015.264 Drei Stufen der Explosion eines XenonNanopartikels, die vom Röntgenlaser in Form eines Streubilds (rechts) aufgezeichnet wurden. Aus dem Streubild lässt sich der Zustand der Probe (links) rechnerisch rekonstruieren. Schematische Darstellung, wie der Strahl eines Röntgenlasers einen Proteinkristall im Peroxisom einer Hefezelle trifft. Bild: Thomas Seine, EMBL/CFEL femto 01/16 Forscher röntgen Proteinkristalle direkt in der Zelle SPEKTRUM Neues Nanomaterial Nanokomposit eignet sich für Medizintechnik und Produkte H amburger Forscher haben ein neues Nanomaterial entwickelt, das mehrere wünschenswerte Eigenschaften in sich vereint und damit neue Anwendungen in der Medizintechnik und Produktherstel- lung eröffnen kann. Der Aufbau des neuen Materials ähnelt auf kleinster Ebene natürlichem Hartgewebe wie Perlmutt oder Zahnschmelz. Seine Bausteine sind einheitlich große Eisenoxid-Nanopartikel, die mit einer Hülle aus organischer Ölsäure umgeben sind. In bisherigen Arbeiten war die Verbindung zwischen den Ölsäuremolekülen sehr schwach und basierte auf soge- Neuer Ansatz könnte Strukturbestimmung von Biomolekülen erleichtern nannten Van-der Waals-Bindungen. Den Wissenschaftlern W küle viel stärker zu verbinden und damit das mechanische ist es nun durch Trocknung, Heißpressen und einer kontrollierten Wärmebehandlung gelungen, die Ölsäuremole- issenschaftler vom Europäischen Molekularbio- Verhalten dieses Nanokomposits entscheidend zu verbes- logie-Laboratorium EMBL haben gemeinsam mit sern. Die neue Materialklasse kann sich beispielsweise für Forschern von DESY und vom US-Beschleuniger- Zahnfüllungen oder auch die Herstellung von Uhrenge- zentrum SLAC natürlich produzierte Proteinkris- häusen eignen. Hierfür muss das Material hart und zugleich talle direkt in biologischen Zellen geröntgt. Die Untersuchung mit dem SLAC-Röntgenlaser LCLS in Kalifornien belegt, dass bruchfest sein. Die Wissenschaftler der Technischen Universität sich diese natürlichen Kristalle nutzen lassen, um die räumli- Hamburg (TUHH), der Universität Hamburg, des Helmholtz- che Struktur von Proteinen zu bestimmen. Zentrums Geesthacht und von DESY stellen das neuartige Mit Hilfe der Kristallographie lässt sich die atomare Struk- Nanokompositmaterial im Fachblatt „Nature Materials“ vor. tur von Proteinen untersuchen, aus den Biomolekülen muss Da auch andere Nanoteilchen sehr häufig in Kombination jedoch zuvor ein Kristall gezüchtet werden. „Proteinkristalle mit organischer Ölsäure verarbeitet werden, hat die verwen- für Kristallographie-Experimente im Labor zu züchten, ist nicht dete Methode das Potenzial, auch bei einer Vielzahl anderer immer einfach“, betont EMBL-Forscher Daniel Passon. „Man Nanokompositmaterialien die mechanischen Eigenschaften stelle sich vor, wir könnten Zellen dies für uns tun lassen: eine zu verbessern. kleine Kristallfabrik in einer Zelle!“ Zwar gehört die Kristallzucht zum täglich Brot von Struk- Nature Materials, 2016; DOI: 10.1038/NMAT4553 turbiologen; dass manche Organismen natürlicherweise Proteinkristalle in ihren Zellen bilden, ist jedoch weniger bekannt. Tatsächlich konnten die Forscher auf diesem Weg die Struktur ten Peroxisom in bestimmten Hefezellen zu Kristallen gepackt wird. Dabei gab es sogar bessere Ergebnisse, wenn der Kristall in der Zelle blieb und nicht vor dem Röntgen herausgeholt wurde. Die Forscher hoffen nun, dass sie die Kristallproduktion des Peroxisoms für ihre Zwecke ausnutzen können, indem sie Das neue Material unter dem Rasterelektronenmikroskop. Seine Bausteine sind einheitlich große Eisenoxid-Nanopartikel. Bild: TUHH des Alkoholoxidase-Moleküls bestimmen, das vom sogenann- die Zell-Organelle auch Kristalle aus anderen Proteinen produzieren lassen. International Union of Crystallography Journal, 2016; DOI: 10.1107/ S2052252515022927 31 SPEKTRUM Optischer Trichter für Nanopartikel Neue Methode verspricht präzisere Platzierung von biologischen Proben im Strahl von Röntgenlasern Künstlerische Darstellung der molekularen Bewegung des lichtempfindlichen Teils im Sehpurpur Molekularer Breakdance Der Sehsinn beruht auf exakt choreographierten, ultraschnellen Molekülbewegungen D F orscher haben einen optischen Trichter konstruiert, der einen Strom von Proteinen, Viruspartikeln oder anderen Nano-Teilchen präzise zur Analyse in den feinen Strahl eines Röntgenlasers leiten kann. Der Trichter besteht aus einem speziell modifizierten Lichtstrahl mit einer schraubenförmigen Wellenfront. Dadurch entsteht im Zentrum des Strahls eine dunkle Region, in der die Lichtintensität auf null fällt. Eine optische Linse gibt dem Lichtstrahl die gewünschte Trichterform. Im Gegensatz zu gewöhnlichen derartigen optischen Fallen nutzt der Trichter thermische Effekte, um die Partikel zu kontrollieren: Kommt ein Partikel der optischen Trichterwand zu ie Aufnahme von Licht durch Pigmente in der nahe, wird es an dieser Seite aufgeheizt. Luftmoleküle, die auf Netzhaut, die man Rhodopsin oder auch Sehpurpur der warmen Seite mit dem Partikel kollidieren, werden dann nennt, ist die Grundlage unseres Sehsinns. Unter- mit einem größeren Impuls abgestoßen als auf der kalten suchungen von Wissenschaftlern um R.J. Dwayne Seite. Diese Impulsdifferenz sorgt für eine sogenannte photo- Miller vom Hamburger Max-Planck-Institut für Struktur und phoretische Kraft, die das Objekt von der heißen zur kalten Dynamik der Materie und der Universität Toronto haben Seite schiebt und damit von der hellen zur dunklen Region. jetzt gezeigt, dass der erste photochemische Schritt dieses Prozesses noch viel schneller abläuft als bekannt. Rhodopsin leitet seine Lichtempfindlichkeit aus einer Das Team um Andrei Rode von der Australischen Nationaluniversität in Canberra, zu dem auch DESY-Forscher vom Hamburger Center for Free-Electron Laser Science CFEL und Kette von einzeln und doppelt gebundenen Kohlenstoffato- dem Center for Ultrafast Imaging CUI gehören, testete seinen men ab. Die Absorption eines Photons führt zu einer extrem Trichter erfolgreich mit winzigen Graphitkügelchen von 12 bis kurzzeitigen Schwächung einer bestimmten Doppelbindung, 20 Mikrometern Durchmesser. Vorteil der Methode ist, dass wodurch eine Rotation um diese Bindung ausgelöst wird. die photophoretischen Kräfte viel stärker sein können als die Wie schnell diese sogenannte Isomerisierung tatsächlich direkten Lichtkräfte in gewöhnlichen optischen Fallen. Ein erfolgt, konnte lange Zeit nicht genau beobachtet werden. erwünschter Seiteneffekt dabei ist, dass die Partikel die meiste Erst mit Femtosekunden-Lasern ließ sich zeigen, dass der Zeit in der dunklen Region des Trichters verbringen, wodurch Prozess innerhalb von maximal 200 Femtosekunden abläuft. ein unter Umständen schädliches Aufheizen vermieden wird. Eine Femtosekunde ist eine billiardstel Sekunde. Mit neuen Messungen an Rinder-Rhodopsin mithilfe Physical Review Applied, 2015; DOI: 10.1103/PhysRevApplied.4.064001 einer hochempfindlichen Methode aus der Ultrakurzzeitspektroskopie konnte das Team um Max-Planck-Direktor Miller und Oliver P. Ernst von der Universität Toronto nun zeigen, dass die Isomerisierung auf einer Zeitskala von 30 Femto-Sekunden erfolgt. „Es stellt sich heraus, dass der erste Schritt des Sehens beinahe zehnmal schneller ist als bisher angenommen“, sagt Miller. „Und die molekularen Bewegungen sind durch Rhodopsin perfekt choreographiert.“ Die Analyse der zeitaufgelösten experimentellen Daten enthüllt diesen molekularen Breakdance, der sich aus örtlich begrenzten Streck-, Wipp- und Drehbewegungen zusammensetzt. Nature Chemistry, 2015; DOI: 10.1038/nchem.2398 32 Partikel im optischen Trichter werden an den Seiten aufgeheizt und so in den dunklen Zentralbereich geleitet. Bild: N. Eckerskorn et al., Phys. Rev. Applied Bild: J.M. Harms, MPSD femto 01/16 Bild: Rob Meijers, EMBL femto 01/16 femtomenal Der gesamte Proteinkomplex wird von einem einzigen Gen produziert PETRA III FLASH LINAC II European XFEL Ein Gen, zwei Proteine, ein Komplex E PIA DESY HERA in Gen enthält normalerweise den Bauplan für genau ein Protein. Gelegentlich kann es auch die Blaupause für zwei Proteinvarianten liefern. Dass ein Gen jedoch zwei Proteine produziert, die dann zusammen einen Komplex bilden, sei einmalig, betont Rob Meijers, Gruppenleiter in der Hamburger Niederlassung des Europäischen Molekularbiologie-Laboratoriums EMBL auf dem DESY-Campus 16 288 Meter Tunnel in Hamburg. Meijers und sein Team hatten die Enzyme von zeigt, wie zwei Proteine von dem gleichen Gen einen Komplex G bilden, und wie das kürzere Protein das längere reguliert“, sagt den müssen. Elektronen etwa, die für den Speicherring Meijers. „Nach unserem Wissen wurde dies noch nie zuvor PETRA III bestimmt sind, durchlaufen eine Kaskade von drei beobachtet.” Beschleunigern und müssen von einem zum nächsten mit Viren untersucht, die Zellwände von Clostridium-Bakterien zerstören. Sie fanden eine kürzere und eine längere Variante des Enzyms, die beide vom gleichen Gen produziert werden. Der Grund: Das Gen hat verschiedene Startpunkte, kann also Proteine unterschiedlicher Länge aufbauen. „Diese Studie enau 16 Kilometer und 288 Meter Beschleunigertunnel durchziehen den DESY-Campus und das angrenzende Gebiet. Viele davon sind in einem unterirdischen Geflecht verbunden, durch das die schnellen Teilchen mit höchster Präzision gesteuert wer- Das Zusammenwirken beider Proteinvarianten spielt eine einer Genauigkeit von 50 Pikosekunden übergeben werden wichtige Rolle dabei, wie die Enzyme der Viren, die sogenann- – eine Pikosekunde ist ein millionstel einer millionstel Se- ten Endolysine, die Zellwand der Clostridium-Bakterien zerstö- kunde. Insgesamt legen die nahezu lichtschnellen Teilchen ren. Zu der Gattung der Clostridien gehören auch gefährliche knapp 3,5 Kilometer zurück, bis sie den PETRA-III-Ring zum Krankheitserreger. Daher bergen Viren, die Bakterien angreifen, ersten Mal umrundet haben. Wozu ein ICE-Zug mit Tempo die sogenannten Bakteriophagen, das Potenzial, Infektionen 230 rund 54 Sekunden bräuchte, schaffen die Elektronen wirksam zu bekämpfen. Das rückt die Bakteriophagen und vor über vier Millionen Mal schneller in knapp 12 Mikrosekun- allem ihre Enzyme in den Fokus der Forscher. den (millionstel Sekunden). Journal of Biological Chemistry, 2015; DOI: 10.1074/jbc.M115.671172 33 femto 01/16 Bild: DESY, Heiner Müller-Elsner CAMPUS Lizenz zum Messen Die schnelle DESY-Steuerungstechnik hat großes Potential für industrielle Anwendungen. Ein neuer Elektronik-Standard erobert den Markt T eilchenbeschleuniger sind Drei der existierenden Standards Industrie voran. Neuland nicht nur hochkomplexe Maschinen, wären grundsätzlich auch für den für die Forscher, sondern auch für gespickt mit Hightech und Betrieb eines Teilchenbeschleu- DESY. manchmal mehrere Kilome- nigers geeignet gewesen, sagt ter lang. Um solche Rennmaschinen zu steuern, ist eine hochpräzise und schnelle Technik erforderlich, die DESY-Beschleunigerexperte Holger Schlarb. Es gab nur ein Problem: „Keiner der Standards war am Ende Um so weit zu kommen, nahmen sich die Forscher zunächst den Standard vor, der ihren Anforderungen am nächsten kam: MicroTCA viele Datensätze parallel verarbeiten geeignet, um mit DESY in die (Micro Telecommunications Compu- kann. Die Systeme müssen mindes- Zukunft zu gehen.“ Die Zukunft ting Architecture). „Dieser Industrie- tens zehn Jahre lang, 24 Stunden am ist für DESY unter anderem der standard ist sehr weit verbreitet“, Tag störungsfrei laufen, und wenn 3,4 Kilometer lange europäische erläutert Schlarb. „Er kommt aus ein Netzgerät ausfällt, muss trotz- Röntgenlaser European XFEL, der dem Telekommunikationsbereich dem alles weitergehen. Um Systeme derzeit im Hamburger Westen ge- und kann alles, was wir brauchen – für solche Anforderungen zu wapp- baut wird. Daher haben Schlarb und bis auf eine Sache: feinste, analoge nen, haben sich in den vergangenen sein Team einen neuen Industrie- Daten erfassen.“ Das ist unerlässlich Jahrzehnten bestimmte Elektronik- standard mitentwickelt und gemein- für die Forschung mit Teilchen- standards etabliert: einheitliche sam mit dem DESY-Technologie- beschleunigern. Daher taten sich die Beschreibungen, anhand derer sich transfer zur Marktreife gebracht. Seit DESY-Physiker mit anderen Institu- solche Systeme konstruieren lassen drei Jahren treiben Physiker und ten und Industriepartnern zusam- – mit selbstgebauten, aber auch zukaufbaren Komponenten. 34 Technologietransfer die Kommer- men und erweiterten den Standard zialisierung und den Einsatz in der um die fehlende Funktion – die femto 01/16 CAMPUS Möglichkeit, analoge Messaufgaben Wissenschaft als auch Industrie durchzuführen. erheblich von der Innovationskraft Der neue Industriestandard der Forschung profitieren können“, MicroTCA.4 wurde etabliert, und ergänzt die Leiterin des DESY-Tech- auf seiner Basis entwickelten die nologietransfers Katja Kroschewski. DESY-Wissenschaftler ein System Die Investition in den neuen von Steuerungsplatinen, das ana- Standard zahlt sich schon jetzt aus: loge und digitale Signale verarbeiten Ein Patent und 18 Lizenzverträge kann. Mehr als 100 Kenngrößen basieren auf dieser Entwicklungsar- können so in Echtzeit mehrere beit. „So generieren wir Einnahmen hundert Millionen Mal pro Sekunde und Rückflüsse und haben die Mög- ausgelesen werden. Durch ein inte- lichkeit, Dinge weiterzuentwickeln“, griertes Managementsystem kann sagt Michael Fenner, Entwicklungs- alles aus der Ferne bedient und ge- ingenieur bei DESY. Und auch wenn wartet werden. Noch dazu lässt sich es den Forschern selbst viel zu das System von kleinsten Einheiten langsam geht, attestiert Branchen- bis zu hochkomplexen Großanlagen kenner Heiko Körte der Technik nutzen – es ist skalierbar, wie die Elektronikprofis sagen. eine vielversprechende Zukunft. „MicroTCA.4 setzen wir als Basisstandard schon jetzt sehr erfolgreich „Wir wollen MicroTCA.4 in der Wissenschaftscommunity und in industriellen Märkten etablieren“ Holger Schlarb, DESY Diese Funktionen machen den neuen Standard nicht nur für die Wissenschaft interessant. Auch in der Industrie gibt es zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: Von der Telekommunikation, der Online-Inspektion, Luftfahrt, Medizintechnik bis hin zur Präzisionsmesstechnik. Daher stellten die Helmholtz-Gemeinschaft, DESY und Partner aus der Industrie 2012 vier Millionen Euro in einer ganzen Reihe von Projekten ein“, sagt der Direktor Sales & Marketing vom Systemhersteller N.A.T. aus Bonn. Beispielsweise in der Verkehrsleittechnik und in diversen Funkanwendungen im Fest- und Mobilnetz. Auch in der Medizintechnik und im Katastrophenmanagement könnte die Technik zukünftig immer wichtiger werden. legt.“ Den Marktanteil von MicroTCA „MicroTCA.4 setzen wir als Basisstandard schon jetzt sehr erfolgreich in einer Reihe von Projekten ein“ Heiko Körte, N.A.T. an neuen Anwendungen im direkten Vergleich mit den Standards VME, Compact PCI und VPX schätzt er mittlerweile auf 30 bis 35 Prozent. Eine Marktanalyse aus dem Jahr 2014 bezifferte das jährliche Wachstum auf 9 Prozent. MicroTCA.4 ist ein Teil davon. N.A.T. war nicht nur ein maßgeblicher Industriepartner bei der Entwicklung von MicroTCA, das Bonner Unternehmen hat bereits zu 85 Prozent auf diesen Standard umgestellt, 12 Prozent davon sind Produkte auf der Basis von MicroTCA.4 – Tendenz bereit, um die Kommerzialisierung und den Einsatz in Industrieunter- DESY-Wissenschaftler Holger Schlarb war maßgeblich an der Entwicklung von MicroTCA.4 beteiligt. „Wenn beispielsweise nach Erdbe- steigend. Körte ist optimistisch, was ben mobile Basisstationen für den die Etablierung des neuen Standards wohntes Terrain für die Forscher: Mobilfunk errichtet werden müssen, auf dem Markt angeht. Die Firmen Seither gehen sie auf Messen, halten oder in infrastrukturschwachen bräuchten naturgemäß etwas Zeit Workshops, treten als Consultants Regionen der Welt Mobilfunkstati- um sich mit dem neuen Standard auf. „Wir wollen MicroTCA.4 in der onen aufgebaut werden sollen, ist und seinen Anwendungsmöglich- Wissenschaftscommunity und in dieser Standard der Richtige“, sagt keiten vertraut zu machen. „Das ist industriellen Märkten etablieren“, Körte. „Der Standard MicroTCA hat ein Übergangsprozess“, sagt er. „Das sagt Schlarb. „Der neue Standard in den vergangenen acht Jahren eine wird noch ein paar Jahre dauern, zeigt eindrucksvoll, wie sowohl beachtliche Erfolgsgeschichte hinge- aber nicht mehr zehn.“ nehmen voranzutreiben. Unge- 35 femto 01/16 CAMPUS Unbekannte Sauerstoffquelle im Erdmantel Hinweise aus der Entdeckung neuer Eisenoxide Bild: Elena Bykova, Universität Bayreuth Struktur des neu entdeckten Eisenoxid Fe25O32 B ei Versuchen mit speziellen Hoch- vieler geologischer Prozesse darstellt und die druckzellen haben Forscher zwei neue wichtigste Eisenquelle unserer Zivilisation ist“, Eisenoxide entdeckt. Der Fund von Elena erläutert Bykova. In den vergangenen fünf Jahren Bykova von der Universität Bayreuth und haben Forscher neue Eisenoxidverbindungen ent- ihrem Team weist auf die Existenz einer großen, deckt, die sich bei hohem Druck und hohen Tem- bislang unbekannten Sauerstoffquelle im unteren peraturen bilden. Um das Verhalten von Hämatit Erdmantel hin und wirft damit spannende Fragen und dem ebenfalls häufigen Magnetit (Fe3O4) auf. Was passiert mit dem Sauerstoff? Reagiert unter Extrembedingungen weiter zu untersu- er mit dem Gestein? Steigt er womöglich auf? chen, nutzte das Team um Bykova eine besondere Wie beeinflusst er geochemische Prozesse im Druckzelle an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III. Erdsystem? Eisenoxid kommt in der Natur in unter- „In dieser sogenannten Diamantstempelzelle können kleine Proben zwischen zwei Diamanten schiedlichen Verbindungen vor. „Das häufigste einem Druck von einigen hunderttausend Atmo- Eisenoxid ist Hämatit, Fe2O3, das ein Endprodukt sphären ausgesetzt werden, wobei ein sorgfältig 36 femto 01/16 CAMPUS Subduktionszone Erdkruste auch Magnetit, und es bildete sich das ebenfalls Oberer Erdmantel zuvor unbekannte Eisenoxid Fe25O32. Das Beson- Übergangszone dere daran: Die Bildung beider bisher unbekann- Unterer Erdmantel ten Eisenoxide setzt Sauerstoff frei. Obwohl Eisenoxid normalerweise nicht im großen Maß im unteren Erdmantel auftritt, kann es über sogenannte Subduktionszonen dorthin Fe 5 O 7 + O 2 befördert werden, wenn eine tektonische Platte Fe 25 O 32 + O 2 unter eine andere gleitet. Hämatit und Magnetit sind Hauptbestandteile bestimmter urzeitlicher Äußerer Erdkern Eisenablagerungen, Bändererz und Eisenstein, die auf allen Kontinenten vorkommen. Diese Formationen können mehrere hundert Meter Eisenoxid kann über Subduktionszonen tief in den Erdmantel hinab getragen werden, wo es unter hohem Druck und hoher Temperatur neue Formen bildet und dabei große Mengen Suaerstoff freisetzt. Was mit dem Sauerstoff geschieht, ist noch ungeklärt. dick werden und Ausdehnungen von hunderten Kilometern aufweisen. Als zwei Milliarden Jahre alte Ablagerungen bilden sie weltweit einen Teil Innerer Kern des Ozeanbodens. Über die Subduktion wird das Bändererz quasi im Erdinneren recycelt, wobei es in große Tiefen getragen werden kann, möglicherweise sogar bis zur Grenzregion von Erdmantel und Erdkern. justierter Laser die Probe durch die transparenten Unter Bedingungen, die dem unteren Erd- Diamantstempel hindurch auf mehrere tausend mantel entsprechen, zerfallen Hämatit und Mag- Grad Celsius erhitzen kann“, beschreibt DESY- netit jedoch und setzen dabei große Mengen einer Experte Hanns-Peter Liermann. Dabei lassen sich sauerstoffreichen Flüssigkeit frei (Sauerstoff ist mit dem außergewöhnlich hellen und feinen unter solchen Bedingungen üblicherweise flüssig), Röntgenstrahl von PETRA III Strukturänderungen wie das Team nun beobachtet hat. „Wir schätzen, in dem untersuchten Material verfolgen. Ähnliche dass diese Quelle bis heute Sauerstoff in einem Messungen fanden auch an der Europäischen Umfang freigesetzt hat, der der acht- bis zehnfa- Synchrotronquelle ESRF in Grenoble und an der chen Masse des Sauerstoffs in der Atmosphäre US-Röntgenquelle APS in Chicago statt. entspricht“, sagt Bykova. „Das ist überraschend, und es ist nicht klar, was mit dem Sauerstoff dort „In einer Diamantstempelzelle können kleine Proben zwischen zwei Diamanten einem Druck von einigen hunderttausend Atmosphären ausgesetzt werden“ Hanns-Peter Liermann, DESY unten passiert.“ Die sauerstoffreiche Flüssigkeit könnte lokal das umgebende Gestein oxidieren oder zur Übergangszone oder sogar bis in den oberen Mantel aufsteigen. „Das bleibt zu untersuchen“, sagt Ko-Autor Maxim Bykov von der Universität Bayreuth. „Zurzeit können wir nur sagen, dass es dort eine riesige Sauerstoffquelle im Mantel gibt, die geochemische Prozesse wesentlich beeinflussen kann, indem sie Oxidationszustände ändert und Spurenelemente mobilisiert. Das wird ein großes neues Modellierungsfeld eröffnen.“ Die Entdeckung der neuen Eisenoxide trage daher nicht nur zum Wissen über die grundlegen- Bei einem Druck von mehr als 67 Gigapascal (das den Eigenschaften dieser Substanzen bei, betont entspricht dem 670 000-fachen Atmosphären- Bykov. „Unsere Arbeit zeigt, dass uns wesentliche druck) und einer Temperatur von rund 2400 Grad Teile der Erdprozesse nach wie vor unbekannt Celsius zerfiel das Hämatit und bildete ein neues sind. Abtauchende Platten können offensichtlich Eisenoxid, Fe5O7, das zuvor noch nie beobachtet unerwartete Effekte bewirken. Die Auswirkungen worden war. Druck und Hitze entsprachen dabei auf die globalen Dynamiken der Erde, einschließ- in etwa den Bedingungen in 1500 Kilometern lich Klimavariationen, müssen noch untersucht Tiefe unter der Erdoberfläche. Bei einem noch werden.“ höheren Druck von rund 70 Gigapascal, entsprechend einer Tiefe von 1670 Kilometern, zerfiel Nature Communications, 2016; DOI: 10.1038/NCOMMS10661 37 femto 01/16 CAMPUS Teilchenbeschleuniger auf Mikrochip Innovative Entwicklung soll Zugang zu Beschleunigertechnologie erleichtern E im DESY-Forschungsbereich Forschung mit Photonen. Derzeit erste Wahl für das Material der MiniaturBeschleunigermodule ist dabei Silizium. „Das hat den Vorteil, dass man auf die weit fortgeschrittene Fertigungstechnik für SiliziumMikrochips zurückgreifen kann“, erläutert Hartl. DESY bringt in das Projekt unter anderem sein weltweit führendes Laser-Know-how ein, das sich bereits in der Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg in Teilchenbeschleuniger, zwar vorerst unverzichtbar. Eine bewährt hat. Hommelhoffs Gruppe der auf einen Mikrochip Miniaturisierung könnte den Einsatz hatte für langsame Elektronen passt – kaum vorstellbar, von Teilchenbeschleunigern jedoch gezeigt, dass ein mikrostrukturiertes in Bereichen ermöglichen, in denen Beschleunigermodul einen höheren aber die Entwicklung einer solchen Miniatur-Rennmaschine es bislang keinen Zugang zu derarti- Beschleunigungsgradienten errei- ist schon im Gange, gefördert mit gen Techniken gab. chen kann als die Radiowellentech- 13,5 Millionen US-Dollar (12,6 Millio- „Der Prototyp kann den Weg nik. Unabhängig davon hatte die nen Euro) von der Gordon-und-Betty- für eine neue Generation von Labor- Gruppe um Byer dies für schnelle, Moore-Stiftung. Auch DESY und die tisch-Beschleunigern bereiten sogenannte relativistische Elektronen demonstriert. Universität Hamburg gehören zu und damit für unvorhergesehene den Partnern des internationalen Entdeckungen in der Biologie und Der Weg von einem experimentellen Aufbau im Labor zu einem Projekts, das von Robert Byer von der Materialwissenschaft sowie der Universität Stanford (USA) und für mögliche Anwendungen in der funktionierenden Prototyp ist aller- Peter Hommelhoff von der Universi- Sicherheitstechnik, medizinischen dings noch weit. So müssen einzelne tät Erlangen-Nürnberg geleitet wird. Therapie und Röntgenbildgebung“, Komponenten des Systems neu Innerhalb von fünf Jahren soll dabei erläutert Byer. entwickelt werden. DESY arbeitet ein funktionierender Prototyp eines „Accelerator-on-a-Chip“ (Beschleuniger auf einem Chip) entstehen. „Das ‚Schrumpfen‘ von Beschleunigern ist ähnlich relevant Das Projekt fußt auf Entwick- unter anderem an einer hochprä- lungen der Nano-Photonik, der zisen Elektronenquelle, mit der die Herstellung und Nutzung von Elementarteilchen in die Beschleu- Nanostrukturen zur Erzeugung und nigermodule eingespeist werden, Manipulation von Licht. Zur Be- einem leistungsfähigen Laser zur wie die Evolution von Computern, schleunigung der elektrisch gelade- Beschleunigung sowie einer Elek- die einst ganze Räume füllten und nen Elementarteilchen wird dabei tronen-Slalomstrecke zur Erzeugung heute um das Handgelenk getragen ein sichtbarer oder infraroter Laser von Röntgenlicht. Außerdem ist das werden können“, betont Hommel- verwendet statt der heute üblichen Zusammenspiel der Miniatur-Kom- hoff. Für viele Zwecke bleiben die Hochfrequenz-Radiowellen. Die Wel- ponenten noch keine Routine, insbe- lenlänge dieser Strahlung ist rund sondere nicht die Kopplung mehre- zehn- bis hunderttausendmal kürzer rer Beschleunigungsmodule. Bild: SLAC National Accelerator Laboratory leistungsstarken, großen Anlagen als die Radiowellen. „Der Vorteil: Das im Aufbau befindliche Alles wird bis zu fünfzigmal klei- Beschleuniger-Entwicklungslabor ner“, erläutert DESY-Wissenschaftler SINBAD („Short Innovative Bunches Franz Kärtner, der auch Professor and Accelerators at DESY“) wird eine an der Universität Hamburg und am ideale Testumgebung für die Mini- Massachusetts Institute of Techno- atur-Beschleunigermodule bieten. logy (MIT) in den USA sowie Mitglied hochwertiger Elektronenstrahl in ter for Ultrafast Imaging (CUI) ist. die Module einspeisen, die Strahl- „Die typische transversale Größe einer Beschleunigerzelle kann etwa Drei Miniatur-Beschleunigermodule aus Silizium auf einer durchsichtigen Basis. 38 „Bei SINBAD lässt sich ein qualitativ im Hamburger Exzellenzcluster Cen- qualität testen und eine effiziente Laser-Kopplung erarbeiten. DESY von zehn Zentimetern auf einen Mi- bietet hier einzigartige Möglichkei- krometer reduziert werden“, ergänzt ten“, erläutert DESY-Beschleuniger- Ingmar Hartl, Leiter der Lasergruppe experte Ralph Aßmann. femto 01/16 CAMPUS Foto: Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation) Warum van Goghs Sonnenblumen welken Röntgenuntersuchung zeigt, wie Chromgelb nachdunkelt V an Goghs berühmte Son- in London, im Seji Togo Memorial nenblumen verändern mit Sompo Japan Nipponkoa Museum of der Zeit ihre Farbe. Ursa- Art in Tokio und im Van-Gogh-Mu- che ist die Mischung der seum Amsterdam. Zwei weniger als Pigmente, die der niederländische einen Millimeter kleine Farbpartikel Meister für seine Gemälde verwen- aus dem Gemälde in Amsterdam det hat. Das belegt eine aufwendige wurden mit DESYs Röntgenlicht- Röntgenuntersuchung der Sonnen- quelle PETRA III durchleuchtet. „Die blumen-Variante aus dem Van- Analyse zeigt, dass orangegelbe Gogh-Museum Amsterdam. Forscher Schattierungen vor allem die licht- um Letizia Monico vom Institut beständige Variante von Chromgelb für Molekularwissenschaften und enthalten, während sich in hellgel- -technologie (CNR-ISTM) in Perugia, Sonnenblumen, 1889, Vincent van Gogh (1853-1890). ben Bereichen vor allem eine licht- von der Universität Perugia und der empfindliche Chromgelb-Variante Universität Antwerpen haben dazu findet“, berichtet Gerald Falken- Oberfläche der Farbpartikel einen unter anderem winzige Farbpartikel berg, Leiter der Messstation, an der relativen Anteil von 35 Prozent CrIII des Gemäldes mit DESYs Röntgen- die Röntgenbeugungsmessungen messen. „Zumindest an den beiden lichtquelle PETRA III durchleuchtet. stattfanden. untersuchten Stellen, von denen Ihre Studie identifiziert Bereiche des Gemäldes, die besonders sorgfältig auf Veränderungen beobachtet werden sollten. Vincent van Gogh (1853-1890) ist berühmt für seine leuchtend gelben Farben. Der Niederländer verwendete sogenanntes Chromgelb, eine Verbindung aus Blei, Chrom und Sauerstoff. „Das Pigment existiert in unterschiedlichen Schattierungen, und nicht alle davon sind dauerhaft lichtbeständig“, erläutert Monico. „Helleres Chromgelb mit einer Bei- die Farbproben stammen, ist in den „Die Studie hat weiterreichende Konsequenzen dafür, wie die Farben anderer Kunstwerke einzuschätzen sind“ Koen Janssens, Universität Antwerpen mischung von Schwefel ist anfällig Sonnenblumen eine Farbveränderung durch eine Chromgelb-Reduzierung eingetreten“, sagt Monico. Die Sonnenblumen haben ursprünglich also möglicherweise anders ausgesehen als heute. Mit einem mobilen Scanner haben die Wissenschaftler Bereiche auf dem Amsterdamer Gemälde identifiziert, die künftig besonders genau auf Farbveränderungen hin beobachtet werden sollten. „Da Chromgelb-Pigmente bei den Malern des späten 19. Jahrhunderts weit für eine chemische Veränderung An der Europäischen Synchro- verbreitet waren, hat diese Studie unter Lichteinfluss, durch die das tronstrahlungsquelle ESRF in weiterreichende Konsequenzen Grenoble untersuchte das Forscher- dafür, wie die Farben anderer Kunst- team den chemischen Zustand der werke einzuschätzen sind“, betont Pigment nachdunkelt.“ Die Forscher untersuchten die Sonnenblumen aus dem Jahr 1889 Farbproben. Wenn lichtempfind- Koen Janssens von der Universität darauf, ob van Gogh darin verschie- liches Chromgelb nachdunkelt, wird Antwerpen, der an der Untersu- dene Chromgelb-Varianten verwen- das Chrom von seinem höchsten chung maßgeblich beteiligt war. det hat. Der Niederländer hat das Oxidationszustand CrVI in den Bild drei Mal gemalt. Je eine Vari- Zustand CrIII reduziert. Tatsächlich ante hängt in der National Gallery konnten die Wissenschaftler an der Angewandte Chemie, 2015; DOI: 10.1002/ ange.201505840 39 von Johannes Kretzschmar femtocartoon n n 40 S femto 01/16 Impressum femto wird herausgegeben vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, einem Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft Redaktionsanschrift Notkestraße 85, D-22607 Hamburg Tel.: +49 40 8998-3613, Fax: +49 40 8998-4307 E-Mail: femto@desy.de Internet: www.desy.de/femto ISSN 2199-5184 Redaktion Till Mundzeck (v.i.S.d.P.), Ute Wilhelmsen An dieser Ausgabe hat mitgewirkt Frank Grotelüschen, Kristin Hüttmann Gestaltung und Produktion Diana von Ilsemann Titelbild DESY, Dirk Nölle Bildbearbeitung und Herstellung Heigener Europrint GmbH Redaktionsschluss März 2016 ie S n e r ie Abonn stenlos! ko 613 o t 998-3 8 m 0 4 e 0 f der emto o esy. www.d Das DE S ch u n Y-Fors gsmag de/f azin Titelbild In dem neuen Röntgenlaser European XFEL werden Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um anschließend intensive ultrakurze Röntgenblitze zu erzeugen. Die Beschleunigerelemente stecken in zwölf Meter langen und einen knappen Meter dicken gelben Röhren. In einer Testhalle bei DESY werden die komplexen Bauteile auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie in den Beschleunigertunnel des Röntgenlasers eingebaut werden. Das Forschungszentrum DESY DESY zählt zu den weltweit führenden Beschleunigerzentren. Mit den DESY-Großgeräten erkunden Forscher den Mikrokosmos in seiner ganzen Vielfalt – vom Wechselspiel kleinster Elementarteilchen über das Verhalten neuartiger Nanowerkstoffe bis hin zu jenen lebenswichtigen Prozessen, die zwischen Biomolekülen ablaufen. Die Beschleuniger und die Nachweisinstrumente, die DESY an seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen entwickelt und baut, sind einzigartige Werkzeuge für die Forschung: Sie erzeugen das stärkste Röntgenlicht der Welt, bringen Teilchen auf Rekordenergien und öffnen völlig neue Fenster ins Universum. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.