Einstimmung und Referat
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Einstimmung und Referat
BEFAH e.V. Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen BET 2009 Wir sind da! Nehmt uns wahr! Eltern erwarten ein besseres Verständnis für ihre lesbischen und schwulen Kinder in der Gesellschaft. Bundeselterntreffen 1. bis 3. Mai 2009 in Stuttgart Inhalt Impressum Begrüßung durch die BEFAH-Vorsitzende Gudrun Held Eröffnung durch die Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Stuttgart, Frau Gabriele Müller-Trimbusch Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen Grußwort von Frau Dr. Monika Stolz MdL, Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg Grußwort des Landesbischofs Dr. h.c. Frank Otfried July Grußwort der Schweizer Partnerorganisation „fels“ 9 10 11 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referat – Hermann Bayer, Theologe Am Anfang war es Scham … – Henning Röhrs, Therapeut Vorstellung „Aktionsbündnis gegen Homophobie“ – Sören Landmann Wie heil machen Heilungstheorien? – Hermann Bayer, Theologe Kultursensible Aufklärung in Familien mit Migrationshintergrund – Aleksij Urev (LSVD) 12 16 18 19 24 Berichte aus den Elterngruppen Elterngruppe Stuttgart Elterngruppen Freiburg und Dortmund Elterngruppe Nürnberg – und EuroFLAG Elterngruppe Bremen Elterngruppen Lorsch und Dresden Elterngruppen Paderborn und Gütersloh Elterngruppe Hamburg Elterngruppe Hannover 28 29 30 31 32 33 34 35 Berichte der ausländischen Gäste Zur Situation in der Türkei, speziell in Istanbul – Günseli Dum und Ulrike Öztek (Lambda Istanbul) Elternarbeit in Argentinien (und in der übrigen spanisch-sprechenden Welt) – Irmgard Fischer (PFALyG) Neues aus Island – Gudrun Rögnvaldardottir (FAS) Aus der Schweiz: Was macht der Verein fels? – Hanni Müller und Brigitte Schenker (fels) Aus der Diskussion 36 Kulturprogramm Horst Emrich liest Tiergeschichten von Manfred Kyber und Texte von Michael Ende „Der K.d.R.“ von Manfred Kyber 43 44 Podiumskussion und Abschluss Podiumsdiskussion mit Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D. (LSVD); Dr. Ulrich Noll MdL, Fraktionsvorsitzender der FDP im baden-württembergischen Landtag; Ute Vogt, SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg; Alexander Kotz, CDU-Stadtrat in der Landeshauptstadt Stuttgart; Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzende des Sozialausschusses im baden-württembergischen Landtag. Moderation: Ansgar F. Dittmar, Bundesvorsitzender der Schwusos in der SPD Ausklang. Gudrun Held 46 52 Begrüßung und Eröffnung © 2009 Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen e.V. Postanschrift: BEFAH e.V. Schuhstraße 4 30159 Hannover 4 6 8 E-Mail: info@befah.de BEFAH im Internet: www.befah.de Redaktion: Dr. Bernd König, Hannover und Redaktionsteam des Befah e.V. Gestaltung und Satz: Oliver Wilking, Bremen Druck: Laserline, Berlin/Bremen Gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin Spendenkonto des BEFAH: Bank für Sozialwirtschaft, Hannover (BLZ 251 205 10), Konto-Nr. 74 815 00 Der BEFAH ist als mildtätig anerkannt i.S. §§ 51ff. AO vom Finanzamt Hannover-Nord Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes 2 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 Karten der Elterngruppe Stuttgart „Mein Kind ist schwul!“ – „Die Reli-Lehrerin wusste es – ich wusste es nicht“ (Stuttgarter Wochenblatt vom 30. April 2009) Bericht im vk-newsletter der RG Frankfurt Impressionen vom BET 2009 in Stuttgart – Renate Löhr BEFAH - Wofür sind denn diese da? – Gedicht von Dorle Johannsen Danksagung – Roswitha Schirra 37 40 41 42 54 55 56 58 60 61 3 Begrüßung und Eröffnung Begrüßung und Eröffnung Begrüßung durch die BEFAH-Vorsitzende Gudrun Held Liebe Freundinnen und Freunde, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Gäste! Im Namen des Bundesvorstandes heiße ich Euch und Sie alle herzlich willkommen zu unserem diesjährigen Bundeselterntreffen 2009. Wir freuen uns, dass Sie und Ihr der Einladung gefolgt seid und nach kurzer oder langer Anreise in Stuttgart angekommen seid. Und hoffentlich können alle sich hier wohlfühlen! Ein herzliches Dankeschön an die Elterngruppe Stuttgart, die uns hier so liebevoll empfangen hat und ein besonderer Dank an Erika Micale, die mit großem Einsatz die Vorbereitungen mitgetragen hat. Viele von Euch und Ihnen sind zum wiederholten Mal bei einem Bundeselterntreffen und erleben diese beinahe wie eine Familienzusammenkunft. Nun können Familientreffen ja schnell langweilig werden, weil immer dieselben Geschichten auf den Tisch kommen und dieselben Dinge hinter vorgehaltener Hand getuschelt werden. Deshalb freue ich mich, dass auch in diesem Jahr wieder neue Menschen dazu gekommen sind: Ich bitte diejenigen, doch eben aufzustehen, damit wir uns auch untereinander wahrnehmen können. Herzlich willkommen und ich wünsche Ihnen, dass Sie sich nicht lange fremd fühlen müssen. Denn die BEFAH-Familie ist eigentlich sehr aufnahmefähig! Vor knapp zwei Jahren hat BEFAH sein 10-jähriges Bestehen gefeiert. Die Kindheit ist zu Ende, wir kommen in die Pubertät und suchen die Kontakte außerhalb des eigenen Gartens. BEFAH ist offenbar über die Landesgrenze hinaus sichtbar geworden und Anreiz, hierher zu kommen: Ich freue mich sehr, Frau Hanni Müller und Frau Brigitte Schenker vom Schweizer Bundesverband fels bei uns begrüßen zu können. Aus Istanbul sind ebenfalls zwei Mütter angereist: ich begrüße Frau Günseli Dum und Frau Ulrike Öztek. Und wie in Hamburg kann ich auch heute Gudrun aus Island begrüßen, inzwischen schon vertraut. Sie wird diesmal von ihrer Tochter begleitet. Und – Frau Irmgard Fischer hat sich von Argentinien aus auf den Weg zu uns gemacht. Herzlich willkommen und herzlichen Dank, dass wir von einander hören, lernen und uns unsere Geschichten erzählen können und erfahren, wie es woanders ist und welche Probleme dort zu lösen sind. Ich glaube, wir alle sind neugierig aufeinander und auf die Begegnung mit allen! Ich begrüße ebenfalls die Referentinnen und Referenten, soweit sie schon da sind. Sie werden dafür sorgen, dass das Tagungsthema „Wir sind da - nehmt uns wahr! Eltern erwarten ein besseres Verständnis für ihre lesbischen und schwulen 4 Kinder in der Gesellschaft“ zum Klingen kommt und von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Zum einen haben wir überlegt, das Thema von der gesellschaftspolitischen Seite anzugehen. Dazu dient die Einstimmung gleich im Anschluss an die Begrüßung. „Wir sind da - nehmt uns wahr!“ mit wie viel Biss können wir diesen Satz sagen? Und vielleicht sagen wir ihn am Ende der Tagung noch einmal ganz anders. Am Samstagnachmittag werden wir dem Thema weiter nachspüren. „Wie heil machen Heilungstheorien?“ Es gibt ja unheimlich viele Heilsversprechungen in der Welt und heil macht längst nicht immer heil. Menschen können „Heil Hitler“ schreien oder „heil dir im Siegerkranz“ singen, bzw. „heile, heile Gänschen“. Es ist gut und weise, die Geister unterscheiden zu können. Von einer anderen Seite blicken wir ebenfalls am Samstag auf das Tagungsmotto, wenn wir uns den Eltern mit Migrationshintergrund nähern und deren Sichtweise jedenfalls annähernd kennen lernen und ein Verständnis für sie entwickeln. Ich denke, gerade wir Eltern, die durch ihre lesbischen und schwulen Kinder erfahren, was es heißt, einer Minderheitengruppe anzugehören, sind besonders dafür geeignet und wohl auch verpflichtet, andere Minderheiten zu achten und zu stützen. Auf unsere eigene Gefühlsebene werden wir am Samstagmorgen geführt, wenn es um das Thema geht: „am Anfang war es Scham …“ Und – in diesem Jahr wird in Deutschland die Regierung gewählt! Vornehmste Elternpflicht ist es, das Leben der Kinder zu schützen und ihnen Raum zum Leben zu geben. Deswegen die Podiumsdiskussion zu den Wahlprüfsteinen. Befragen wir die Politiker und hören gut hin, was sie sagen, damit wir nicht die wählen, die die Rechte unserer Kinder beschneiden oder nicht ernst nehmen. Und fordern wir von allen ein, die Würde und sexuelle Orientierung eines jeden Menschen zu achten und nicht nur widerwillig zu dulden. Dem Vorstand war wichtig, dass diese Tage auch viel Raum bieten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Deswegen haben wir uns bemüht, Frei-Räume zu lassen. Und nun endlich begrüße ich ganz herzlich die Bürgermeisterin, Frau Müller-Trimbusch, die in Vertretung des Stuttgarter Oberbürgermeisters Dr. Schuster, zu uns gekommen ist. Ich darf Sie bitten, das Bundeselterntreffen nun zu eröffnen! BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 5 Begrüßung und Eröffnung Begrüßung und Eröffnung Eröffnung durch die Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Stuttgart, Frau Gabriele Müller-Trimbusch Sehr geehrte Frau Micale, sehr geehrte Frau Held, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern aus ganz Deutschland, ich darf Sie ganz herzlich hier in Stuttgart begrüßen und mich für die Gelegenheit bedanken, zu Ihrem Bundeselterntreffen ein Grußwort sprechen zu dürfen. Frau Micale von der Elterngruppe Stuttgart danke ich für die freundliche Einladung. Mit dem Bundeselterntreffen verfolgen Sie aus meiner Sicht zwei ganz wichtige Ziele. Ziele, die in einem übergeordneten Bezug auch für Stuttgart zentral sind. Deswegen freut es mich, dass das Bundeselterntreffen — zwar schon zum zehnten, dieses Jahr aber zum ersten Mal in Stuttgart stattfindet. 1. Spontan fiel mir mit der Einladung zu Ihrer Veranstaltung ein Film ein, den ich gerne zur Verdeutlichung für das erste Ziel aufgreifen möchte, das ich mit Ihrem Engagement verbinde: Es liegt schon einige Zeit zurück, da gab es den wunderbaren Film „Mein Leben in Rosarot“ in den Kinos zu sehen. Es wird darin die Geschichte einer französischen Familie erzählt, die eine besondere Entwicklung durchmacht. Mutter, Vater und Geschwister müssen allesamt lernen, mit der Andersartigkeit des Sohnes und Bruders `Ludovic´ umzugehen. Dieser zeigt Neigungen, die unkonventionell sind. Aber nicht nur das; sie berühren auch heikle Tabus. Sie kennen den Film vielleicht und erinnern sich daran, wie darin durchaus humorvoll, aber auch mit der notwendigen Ernsthaftigkeit erzählt wird, wie sich der Siebenjährige als Prinzessin verkleidet und angibt, später einmal den Nachbarsjungen heiraten zu wollen. Wenn Sie den Film gesehen haben, werden Sie sich auch an die Reaktionen erinnern, die er damit unter den Familienmitgliedern ausgelöst hat, bis hin zur Ehekrise. Der Film zeigt eine Familie, die nach innen hin stark werden musste, um die Andersartigkeit des Kindes gegenüber den eigenen Selbstverständlichkeiten, aber auch gegenüber einer Umwelt, die nicht rosarot „tickt“, zu bewältigen. Als aktiv organisierte Eltern von lesbischen Töchtern und schwulen Söhnen haben Sie ein ähnliches Ziel. Sie treten dafür ein, dass Sie Ihren Kindern einen starken familiären Rückhalt bieten können. Darüber hinaus — das zeigt der BEFAH mit seinem Angebot — ist es Ihnen ein Anliegen, auch solche Eltern und 6 Familien zu unterstützen, die noch am Anfang dieser Entwicklung stehen. Erziehung ist schwer bzw. wird von denen, die erziehen, als schwierig empfunden. Erst kürzlich hat eine Studie dies belegt, das „Generationen-Barometer 2009“. In dieser Repräsentativ-Studie des Allensbach-Instituts gaben 89 Prozent der Eltern an, ihr wichtigstes Erziehungsziel sei, dass ihre Kinder Selbstbewusstsein entwickeln. Was heißt das erst für Eltern homosexueller Kinder? Sie müssen Ihren Kindern umso deutlicher zeigen, dass sie angenommen sind. Das Fundament für Selbstbewusstsein ist hier ein Stück weit windfester zu bauen. In unserer kommunalen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen — in der Kindertagesbetreuung, in der Jugendarbeit, in den Erziehungshilfen — zeigt sich immer wieder, wie wichtig eine aktive Rolle von Eltern ist. Ohne die Eltern geht es nicht. Erziehungspartnerschaft ist hier unser Stichwort. Es meint, dass individuelle Bildung und Persönlichkeitsentwicklung erst im Zusammenspiel zwischen Elternhaus und Bildungseinrichtungen vollends gelingen kann. Komplementär zur öffentlichen Erziehung brauchen wir also Eltern wie Sie, die sich für ihre Kinder einsetzen und ihnen Lebensmut vermitteln und immer wieder verdeutlichen, dass sie wichtige und wertvolle Gesellschaftsmitglieder sind. „Mein Leben in Rosarot“ - ich möchte nochmals auf den Film zurückkommen, denn darin wird eine zweite Notwendigkeit begreifbar: Alle elterliche Anstrengung, sei sie auch noch so groß, kann letztendlich nur in einem liberalen gesellschaftlichen Klima und Umfeld fruchten. öffentlichen Erziehung und der Jugendförderung ist es uns ein wichtiges Lernziel, dass Mädchen und Jungen lernen, Differenzen zwischen sich und anderen vorurteilsfrei wahrzunehmen. Dass sie lernen, Vielfalt zu respektieren und darin eine wertvolle Basis für die eigene Selbstverwirklichung erkennen. Diese Kompetenz zur Vielfalt gilt es bei den Heranwachsenden zu fördern, denn sie ist zukunftswichtig: Der Umgang mit Heterogenität gilt inzwischen nämlich als eine Schlüsselkompetenz. Sie tragen mit Ihrer Arbeit dazu bei, dass ein solches kulturelles Klima der gegenseitigen Wertschätzung und positiv gelebten Vielfalt entstehen kann. Mit dem Programm des 10ten Bundeselterntreffens haben Sie sich ein arbeitsames Wochenende „beschert“. Sie haben sich anspruchsvolle Themen vorgenommen, wie z.B. die „Kultursensible Aufklärung in Familien mit Migratonshintergrund“ oder die Auseinandersetzung mit Vorstellungen aus dem Umfeld der evangelikalen Christen, die diskriminierend gegen homosexuelle Lebensentwürfe vorgehen. Vielleicht bleibt zwischendurch auch noch Zeit für den einen oder anderen Stadtspaziergang durch Stuttgart, die schönste Stadt der Bundesrepublik. Insgesamt wünsche ich Ihnen ein gutes Gelingen, einen spannenden Erfahrungsaustausch, anregende Referate, viele Impulse und gute Ideen, um das zu erreichen, was Sie sich vorgenommen haben. Für all das, was Sie schon erreicht haben, möchte ich Ihnen meine Anerkennung aussprechen und Ihnen für Ihre wichtige Arbeit danken. Und wünsche Ihnen weiterhin Mut, Kraft und Gelassenheit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Damit komme ich zum zweiten Ziel, das ich mit ihrer Arbeit verbunden sehe. 2. „Wir sind da, nehmt uns wahr“ — lautet Ihr Motto für das Elterntreffen an diesem Wochenende. Mit Ihrem Treffen wollen Sie sich dafür einsetzen, dass Ihre homosexuellen Kinder im Wohnumfeld, in der Schule, in der Ausbildung — kurzum in sämtlichen Bezügen des gesellschaftlichen Alltags — Anerkennung und Wertschätzung erfahren — so wie sie sind und so wie sie leben wollen. Sie setzen mit dieser Forderung eine Gesellschaft voraus, die kompetent ist, Vielfalt zu leben. Das imponiert mir. Auch in den Arbeitsfeldern der BET-Reader 2009 Im Anschluss wurden die Grußworte der Bundesfamilienministerin Dr. von der Leyen, der Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg, Dr. Monika Stolz MdL sowie des württembergischen Landesbischofs Dr. h.c. Frank Otfried July verlesen. BET-Reader 2009 7 Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, zum Bundeselterntreffen des Bundesverbandes der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen e.V. (BEFAH) 1. - 3. Mai 2009 in Stuttgart Begrüßung und Eröffnung Begrüßung und Eröffnung Grußwort der Bundesministerin für Sehr geehrte Damen Senioren, und Herren, Familie, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen ich begrüße Sie herzlich zu dem Bundeselterntreffen des Bundesverbandes der Eltern, Freunde Grußwort von Frau Dr. Monika Stolz MdL, Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr geehrte Damen und Herren, Der Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen setzt sich für ich begrüßeund Sie Achtung herzlich zugegenüber dem Bundeselterntreffen des Bundesverbandes der Eltern, Freunde Toleranz Homosexuellen in unserer Gesellschaft ein. Er unterstützt die und Angehörigen von Homosexuellen e.V.an in Stuttgart Arbeit von Elterngruppen, wirkt mit der Einrichtung von Gesprächskreisen und Beratungseinrichtungen. zur diesjährigen Jahrestagung des Bundesverbandes der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen in Baden-Württemberg möchte ich Sie auf diesem Wege herzlich begrüßen. und Angehörigen von Homosexuellen e.V. in Stuttgart Der Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen setzt sich für Toleranz und Achtung gegenüber Homosexuellen in unserer Gesellschaft ein. Er unterstützt die Er bietet Rat suchenden Angehörigen und Freunden Hilfe Arbeit von vielen Elterngruppen, wirkt mit Eltern, an der Einrichtung von Gesprächskreisen und in vielfältiger Form. Mit Beratungseinrichtungen. seinem Angebot an Information und persönlichem Austausch gibt er konkrete Unterstützung bei der Bewältigung neuer und schwieriger Lebenssituationen. Er hilft Eltern, die sexuelle Er bietet vielen Rat suchenden Eltern, Angehörigen und Freunden Hilfe in vielfältiger Form. Mit Orientierung ihres Kindes zu akzeptieren und als Familie damit umzugehen. seinem Angebot an Information und persönlichem Austausch gibt er konkrete Unterstützung bei der Bewältigung neuer und schwieriger Lebenssituationen. Er hilft Eltern, die sexuelle Dies ist immens wichtig, denn manchmal fürdamit Eltern ihr ganzes Weltbild ins Wanken, wenn Orientierung ihres Kindes zu akzeptieren und alsgerät Familie umzugehen. sie von der Homosexualität ihres Kindes erfahren. Gespräche und die Erfahrung, das Gefühl, Dies immens wichtig, denn manchmal für Eltern ihr ganzes insDer Wanken, wenn mit anderen nichtistmit seinen Sorgen und Ängstengerät alleine zu sein, helfen Weltbild hier sehr. Austausch sie von der Homosexualität ihres Kindes erfahren. Gespräche und die Erfahrung, das Gefühl, Betroffenen gibt oft neue Impulse, Mut und Kraft. Hierzu leistet das jährlich stattfindende nicht mit seinen Sorgen und Ängsten alleine zu sein, helfen hier sehr. Der Austausch mit anderen Bundeselterntreffen einen bedeutenden Beitrag. Betroffenen gibt oft neue Impulse, Mut und Kraft. Hierzu leistet das jährlich stattfindende Bundeselterntreffen einen bedeutenden Beitrag. Die Arbeit des Bundesverbandes der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen Die Arbeit desehrenamtlichem BundesverbandesEinsatz der Eltern, Angehörigen von Homosexuellen basiert auf undFreunde ist einund herausragendes Beispiel für bürgerschaftliches basiert auf ehrenamtlichem Einsatz und ist ein herausragendes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement. Sie verdient unseren besonderen Respekt und unsere Anerkennung. Denn Engagement. Sie verdient unseren besonderen Respekt und unsere Anerkennung. Denn Engagement und der Einsatz für andere hält unsere Gesellschaft zusammen und macht sie Engagement und der Einsatz für andere hält unsere Gesellschaft zusammen und macht sie lebenswert. lebenswert. Ich Ihnen alles GuteGute für die und Ihrer Veranstaltung einen erfolgreichen Ichwünsche wünsche Ihnen alles fürZukunft die Zukunft und Ihrer Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf. Verlauf. Verhinderung und Abbau von Diskriminierung und Ausgrenzung sind mir als Ministerin für Arbeit und Soziales und Kinderbeauftragte der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Hierfür bedarf es eines langen Atems; dieser Aufgabe muss sich die Politik und jede Generation von Neuem stellen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass sich Lebensbedingungen und Rechte homosexueller Menschen zu Recht - nicht zuletzt durch wichtige gesetzliche Maßnahmen - in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert haben. Dennoch haben insbesondere homosexuelle junge Menschen auch in unserer modernen Gesellschaft leider immer noch einen Lebensweg vor sich, der von vielen Mitmenschen nicht als selbstverständlich und gleichwertig akzeptiert wird. Es sind Menschen, die sich vor Minderheiten und Außergewöhnlichem fürchten oder Anderssein zum Anlass nehmen, ihre vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren. Daher sind Homosexuelle mehr als andere Söhne und Töchter auf Rückhalt und Verständnis von Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden angewiesen. Dies fällt aber nicht ohne Weiteres leicht. Irrtümliche Vorstellungen über ihre Lebensweise, die Meinung, die Veranlagung sei disponibel, ganz besonders aber die Verfolgung in Diktaturen wirken so stark nach, dass längst nicht jede und jeder sofort angstfrei mit den Anzeichen der Homosexualität oder gar dem offenen Bekenntnis zu ihr umgehen kann. Furcht oder Sorge lähmen zunächst vermutlich um so stärker, je näher einem die entsprechende Person steht. In einer solchen Situation ist die Bedeutung einer Selbsthilfegruppe nicht hoch genug einzuschätzen. Ein Zusammentreffen mit Menschen, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben und sich dadurch gegenseitig eine Stütze bieten, ist besonders wertvoll. Wer das tut, hilft damit nicht nur sich, seinen Kindern und Angehörigen sowie anderen Eltern, sondern weist unserer gesamten Gesellschaft einen Weg zu mehr Toleranz und Demokratie. Ich wünsche dem BEFAH e.V. und seinen Mitgliedern einen für alle hilfreichen Austausch beim Bundeselterntreffen in Stuttgart und bei ihrem Wirken weiterhin viel Erfolg! Ursula von der Leyen Ursula von der Leyen Dr. Monika Stolz MdL Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg Anmerkung: In einer Hinsicht befand sich die Ministerin im Irrtum, denn das Bundeselterntreffen findet seit längerem nur alle zwei Jahre statt. 8 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 9 Begrüßung und Eröffnung Begrüßung und Eröffnung Grußwort des Landesbischofs Dr. h.c. Frank Otfried July Grußwort der Schweizer Partnerorganisation „fels“ „Ich glaube an die Liebe zu unseren homo- und heterosexuellen Kindern“, steht auf einer Grußkarte der Selbsthilfegruppe von Eltern homosexueller Kinder in Stuttgart. Der Satz hat mich berührt. Als Vater von vier Kindern kann ich mir nichts anderes vorstellen, als dass Eltern ihre Kinder ohne Bedingungen lieben. Desto mehr beunruhigt mich ein anderer Satz: „Homosexuelle fallen nicht vom Himmel – aber vielfach aus dem Nest.“ Im Matthäusevangelium sagt Jesus dazu einen bedenkenswerten Satz: „Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.“ (Matth.10,29-31). fels, Freundinnen, Freunde und Eltern von Lesben und Schwulen, die nationale Elternorganisation der Schweiz, grüßt die BEFAH und wünscht eine erfolgreiche Jahrestagung. Nein, kein Mensch fällt aus dem Himmel, der sich nach dem Himmel sehnt, was immer auch geschehen ist und was immer in einem Menschenleben nicht nach Wunsch verlaufen mag. Dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur, lehrt uns nicht nur der Römerbrief (Röm.8,38f), auch die Grundlagen der Reformation lassen daran keinen Zweifel. Ich danke allen Eltern von homosexuellen Töchtern und Söhnen, die ihre Kinder ohne Vorbehalt lieben, den Müttern, die dieses Leben zur Welt gebracht haben und bedingungslos zu ihm stehen, den Vätern und Geschwistern, die zu einander halten. Unsere evangelische Landeskirche in Württemberg ist mit homosexuellen Menschen im Gespräch. Erst vor wenigen Wochen habe ich für den Bereich unserer Prälaturen Pfarrer und Pfarrerinnen mit entsprechendem Gesprächsauftrag berufen. Der Aufrichtigkeit halber weise ich aber auch darauf hin, dass es in unserer Landeskirche in der theologischen und sexualethischen Diskussion über die Frage der Homosexualität zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommt. In manchen Folgerungen sind wir deshalb eher zurückhaltend. Dennoch: Christliche Gemeinde lebt davon, dass die verschiedenen Lebensbereiche eingebracht werden und mit einander im Gespräch bleiben. Dafür danke ich vielen von Ihnen. Und ich danke dem Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen e.V. dafür, dass er den Schatz der Erfahrungen mitzuteilen und auszutauschen hilft und Menschen dabei unterstützt, Wege zu finden, die man gehen kann. Ihnen allen wünsche ich den Segen des Gottes, dem wir wichtiger sind, als viele Sperlinge, und der keinen aus dem Himmel fallen lässt, der sich nach dem Himmel sehnt. Ihr Warum sind unsere Elternorganisationen so wichtig? Als Elternorganisation, die auch Angehörige, Freundinnen und Freunde von Lesben und Schwulen vertritt, haben wir zu den Schulen, zum Elternhaus und zur Politik einen speziell guten Zugang. Das ist unsere Stärke. Diesen Vorteil müssen wir nutzen. Während der vergangenen, schweizerischen Volksabstimmung zum Partnerschaftsgesetz hat sich dies gezeigt. Als Elternorganisation konnten wir den Medien und der Bevölkerung zeigen, dass es nicht nur um Lesben und Schwule, sondern auch um deren Eltern, Familie, Verwandte, Freundinnen und Freunde geht. Also, es geht nicht nur um eine Randgruppe, sondern um das ganze Volk. Wir erinnern uns an eine Aussage, als die Abstimmungs-Kampagne nachträglich analysiert wurde: „Das war wirklich der Ausstieg aus der „Wir-sind-am-Rande-der-Gesellschaft- ein-kleines-Grüppchen“ Phase zu „Wirsind-ein-großer-Teil-der-Gesellschaft“, und ich denke, als etwas vom Wichtigsten der Kampagne ist wirklich auch der Einbezug der Eltern und die Sichtbarkeit der Eltern zu nennen. Das hat zwar gedauert, bis die Medien das aufgreifen wollten, aber als sie es dann begriffen haben, kam es breit“. Frau Schenker und Frau Müller von der Schweizer Partnerorganisation fels verlasen deren Grußwort Das bedeutet: Die Sichtbarkeit der Eltern hat wesentlich das positive Resultat der Volksabstimmung beeinflusst. Die Sichtbarkeit ist die Voraussetzung zur Akzeptanz. Nutzen wir diese Wahrheit, zeigen wir uns für die volle Akzeptanz unserer lesbischen Töchter und schwulen Söhne. Wir danken Ihnen für ihren Einsatz für unsere gemeinsamen Ziele. Mit herzlichen Grüssen Hanni Müller, Vizepräsidentin a.D. Brigitte Schenker; Vizepräsidentin, Fritz Lehre, Präsident des fels Dr. h.c. Frank Otfried July Landesbischof Im Anschluss an die Verlesung des Grußworts überreichten Frau Müller und Frau Schenker als Präsent ihrer Organisation eine „Regenbogen-Kuh“, geschnitzt aus Schweizer Holz vom Genfer See. „Sie hat Hörner, was heutzutage nicht alle Schweizer Kühe haben; sie trägt ihren Blumenschmuck aus Anlass des Tages und ihr Schwanz vertreibt lästige Fliegen“ meinten die Damen dazu. 10 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 11 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referate Einstimmung und Referat – Hermann Bayer, Theologe Wir sind da! Nehmt uns wahr! Das Motto klingt am 1. Mai ganz besonders. Aus zweierlei Gründen. Sie haben sich auf den Weg gemacht hierher nach Stuttgart – vermutlich nicht mit Wanderschuhen oder Bollerwagen, jedoch umso entschiedener mit der Bahn, dem Auto oder Flugzeug, um hier zu sein. Nicht am Grillplatz oder einem Biergarten, jedoch umso entschiedener in einer Gemeinschaft, die mit demselben Anliegen losmarschiert sind. Das ist die Kultur, auf die ich mich als Kind und als Jugendlicher durchaus lustvoll mit der Familie und später im Freundeskreis gefreut habe. Mit einem Ziel und darin bezogen auf den Weg und die Menschen, die mit unterwegs waren. Wir sind da! Nehmt uns wahr! manche Eltern zum ersten Mal dabei. Und sie sind froh sagen zu können: „Ich bin da.“ Ich bin zumindest mal angekommen. Mit dem Zug oder Auto, mit meiner Erfahrung und meinem Anliegen. Mal sehen, was daraus werden wird. Vielleicht – und das wünsche ich mir – dass ich am Ende der Tagung auch freier, befreiter sagen kann, „Wir Eltern, Angehörige, Freunde sind da.“ Wir sind da! Nehmt uns wahr! Das ist also zunächst die Botschaft an uns hier im Raum. Da geht es noch nicht um die politische Aussage, sondern um eine Solidarität, die aus dem „ich zum wir“ erwachsen kann und die Zeit braucht, Pflege und Wertschätzung jedes Einzelnen. Und irgendwann in diesem Annäherungsprozess vom ich zum wir - ich im wir - können wir auch dann auch erleichtert und unüberhörbar sagen „Yes, we can“. Mit roten Fahnen und Transparenten. Vielleicht schon eher. Zumindest in der Vorstellung. Haben Sie, Frau Held, mit Ihren Begrüßungsworten etwa die 1. MaiKundgebung eröffnet? Die des Bundeselternverbandes? Ich habe bislang nur in der Kirche gelernt, Fahnen zu tragen bei feierlichen Anlässen, nicht auf der Straße als politische Aussage. Obgleich ich der 68er Generation angehöre, davon infiziert bin, war ich eher derjenige, der sich sozial engagiert hat für behinderte und benachteiligte Menschen; das andere habe ich meinem älteren Bruder überlassen. Beides hatte seinen christlichen Ansatz im Elternhaus und suchte nach entsprechendem Ausdruck. Wir sind da! Nehmt uns wahr! Eine 1. Mai-Überschrift, die durchaus dem Anliegen Ihres Verbandes entspricht. Wir sind da. „Der Verein setzt sich für die Verwirklichung eines aufrechten Lebens von Lesben, Schwulen und Transgender, ihrer Eltern, Freunde und Angehörigen ein im Sinne des Wortes: Nicht richten, sondern aufrichten!“ Wir sind da, wir haben uns auf den Weg gemacht. Wir sind nicht zu übersehen. Nehmt uns wahr. Die Elterngruppen, die über das ganze Bundesgebiet verteilt leben, versuchen, sich gegenseitig zu stärken und zu ermutigen auf dem Weg zu bedingungsloser, selbstverständlicher Akzeptanz und Antidiskriminierung. 12 Ich lade Sie ein, aufzustehen. Hinzustehen. Sich aufzurichten. Ich bin da. Und spüre wie sich das anfühlt. Vielleicht noch etwas unsicher auf den Beinen, vielleicht auch müde vom langen Unterwegssein, etwas schwindelig bei den Themen, freudig in dem Wunsch nach Begegnung und Austausch. So bin ich da. Wir sind da! Nehmt uns wahr! Und ich schaue etwas nach rechts oder nach links, oder sogar nach hinten. Und sage meinem Nachbarn oder Nachbarin: „Ich bin da.“ Leise, entschieden, laut, schweigend in die Augen sehend „Ich bin da“ und Sie finden gemeinsam zum „wir sind da“. Vielleicht spüren Sie jetzt, wie sich das anfühlt, dieses „wir sind da“. Wir beide, wir drei, wir in der Stuhlreihe, wir im Saal. Für manche ist das „Wir“ fast zu schnell. Noch nicht vollzogen. Als Wunsch formuliert. Vielleicht sind Jede und jeder mit seiner Geschichte, Wunden und Freuden. BET-Reader 2009 Mein Ich begegnet sich im Du und sucht das Wir. Die Gemeinschaft und Solidarität. Wir sind da mit unseren Kindern, so wie sie sind, unseren Angehörigen und Freunden. Gemeinsam sind wir da! Nehmt uns wahr! (Einladung, wieder Platz zu nehmen) Ich bin auch da und danke von Herzen für Ihre Einladung. Eine Herausforderung, die Sie mir stellen und eine Begegnungsmöglichkeit mit Eltern, die ich bislang so nur mit meinen eigenen Eltern und Schwiegereltern gelebt habe. Und wir wissen ja, mit den eigenen Eltern ist das alles ja auch etwas anderes, besonders und eigen. Und ich bin dankbar, noch Kind sein zu dürfen. Wiederum könnte ich nicht so dastehen, wie ich hier stehe, hätte ich nicht genau meine Erfahrung mit meinen Eltern und mit meiner Familie machen dürfen. Statt dass ich zunächst aufzähle, was ich beruflich so mache, und warum ich eingeladen worden bin, zitiere ich aus meinem Leserbrief im vergangenen Sommer an die „verehrte Frau Waldburg“, der Society-Journalistin aus der Bunten. Sie berichtet von der Hochzeit (entschuldigen Sie gnädige Frau, das heißt korrekt: eingetragene Partnerschaft) von Udo Walz und seinem Partner. Vielen Dank. Dadurch entsteht Öffentlichkeit und das ist gut so! Öffentlichkeit ist deshalb wichtig, weil dies ja keine Hochzeit ist, denn der deutsche Staat sieht dies für ein schwullesbisches Paar nicht vor. Ich bin auch seit zwei Jahren „verpartnert“ und erlebe nun die Ungerechtigkeit gegenüber unserer Lebensform sehr nah. Und dennoch, immerhin schon so weit, obgleich in anderen europäischen Ländern dies schon gleichgestellt ist. Doch vielleicht interessiert das die Leser ja auch nicht so …? Ich möchte gerne auf zwei Sätze aufmerksam machen, die mir in Ihrem Artikel zeigen, wie „Vorurteile“ transportiert werden. „Es war keine Spaßhochzeit unter schwulen Männern, sondern eine Geste der Liebe und Fürsorge.“ Gut so. Doch auf welchem Hintergrund wird dem Leser ein solches Bild gezeigt? Was denkt die Welt, wie wir leben? Es ist nicht das ganze Jahr CSD! Der andere Satz: „Er ist ein zuverlässiger Kumpel. Einer, der Männer liebt, aber dessen Schulter immer ein wohliger Platz ist für eine Freundin – ob in Sorge oder in Freude.“ Schön, doch warum eigentlich nicht. Auch schwule Menschen sind reif und fähig, mit Frau und Mann zu kommunizieren, sie zu lieben und zu achten. BET-Reader 2009 Ich bin Jahrgang 1950 und bin aufgewachsen in einer Zeit der Kriminalisierung und der Unsicherheit. Selbst mein „Coming Out“ löst diesen Makel nicht auf. […] Toll was passiert ist in diesen fast 60 Jahren. Doch das heißt für mich auch achtsam umgehen mit Bildern, Sprache und dem, was „normal“ ist, egal ob heterosexuell oder homosexuell oder was auch immer. Wir sind da! Nehmt uns wahr! Manchmal wird man wahrgenommen und weiß gar nicht was geschieht. Ostersonntag in St. Gilgen. Ostergottesdienst mit der befreundeten Familie, der Wirtsfamilie, Freundinnen und Freunde … Kind und Kegel sozusagen. Wir alle haben uns „schön gemacht“ und bekommen noch einen Platz oben auf der Empore gleich neben dem Chor. Jemand fragt einen Sänger, ein feiner älterer Herr in Lederhose, was sie denn singen werden und er sagt: Missa brevis von Mozart, KV 275 … Sie wissen schon, wie der Paragraph mit den Schwulen … Ich stand am nächsten und erlebte ganz bewusst, was in mir vorging. Ich begann zu sortieren, wie ich reagieren soll. „175“ sagte ich … „Na ja“, sagte er, „ist ja auch nicht schlimm, die dürfen ja jetzt sogar heiraten, solange sie nichts schlimmes machen …“ Ostersonntagmorgen 2009: Einerseits die ganz selbstverständliche Zugehörigkeit im Freundeskreis, Achtung und Wertschätzung. Andererseits ganz plötzlich und wie aus einer vorher nicht geahnten Unverschämtheit diese Szene. Comedyreif, wenn sie nicht auch immer und immer wieder verletzend wäre. Die Wunden berührt und zugleich herausfordert, für diesen Augenblick bewusst und klug zu entscheiden, wie dieser Situation begegnet werden kann. Nicht dadurch, dass ich „darüber stehe“, sondern wahrnehme, was geschieht. Verletzung und Heilung. Immer wieder diese Spannung, in der wir stehen. Wir sind da! Nehmt uns wahr! Wer ich bin In der Ausschreibung steht Theologe. Das stimmt bedingt. Ich war über zwanzig Jahre Ständiger Diakon in der katholischen Kirche. Schwerpunkt der Ausbildung ist Sozialpädagogik und Theologie. Mit 49 Jahren habe ich den Dienst beendet und arbeite seither selbständig überwiegend im Bereich Sterben – Tod und Trauer. Die Hospizbewegung ist seit über 20 Jahren meine Spur und darin derzeit ganz besonders die Fortbildung für Ehrenamtliche, die Gestaltung von Trauerfeiern und die Trauerbegleitung. Ein so genannter „freier“ Theologe! 13 Einstimmung und Referate Ich möchte Sie zu einer Übung einladen. Zu einem Augenblick der Stille, ganz für sich, ehe nachher die Gemeinschaft Raum nehmen wird und Sie erfreuen möge an diesem 1. Mai-Abend. Diese Übung steht in Verbindung mit meinem Referat, das ich morgen Nachmittag halten werde. Mit Heilung, Coming Out und Coming In. Übung und anschließend Austausch mit den Nachbarn (nach einer Vorlage aus „Coming In“ von Urs Mattmann, Kösel-Verlag 2002) Einstimmung und Referate entdeckst du in der weiteren Umgebung einen Berg. Er erhebt sich in relativer Nähe und während du zum Gipfel blickst, spürst du Erhabenheit. 4. Du siehst einen Weg, der zum Berg führt. Du entschließt dich, ihn zu besteigen. Der Weg führt zuerst in einen Wald hinein. Du riechst das angenehme Aroma von Nadelbäumen und nimmst die kühle, dämmrige Atmosphäre des Waldes wahr. 5. Nun siehst du, wie der Weg wieder aus dem Wald hinausführt und der Weg steiler wird. Aufwärts steigend spürst du die Anstrengung in deinem Körper und die Energie, die ihn gleichzeitig anregt. Der Weg wird steiler, vielleicht musst du auch die Hände zur Hilfe nehmen. 6. Die Luft wird frischer. Du spürst Erhabenheit und bemerkst die Stille. Jetzt führt der Aufstieg in eine Wolke. Alles sieht weißlich und neblig aus. Du gehst vorsichtig und behutsam weiter. Jetzt löst sich die Wolke auf und du kannst den sonnigen Himmel wieder über dir sehen. Psychosynthese – Imaginationsübung 1. Sitze bequem und aufrecht oder liege auf dem Boden. Schließe deine Augen und nimm für einen Moment deinen Atem wahr. 2. Nun stelle dir vor, dass du an einem freundlichen, sonnigen Morgen auf einer Blumenwiese stehst. Du befindest dich in einer wunderschönen Landschaft. Langsam wirst du dir deiner Umgebung bewusst: die Wiesen mit den Blumen, der tiefblaue Himmel, die reine Luft, der leichte Wind, der sanft über das Gesicht streift. Nimm wahr, wie du gut geerdet auf der Wiese stehst und welche Kleider du trägst. 3. Du spürst in dir Offenheit und Erwartung. Nun 14 7. Hier oben ist alles viel heller und klarer. Die Luft ist rein, die Farben der Umgebung leuchten intensiv und die Sonne scheint wärmend. Der Aufstieg ist leicht geworden. Du fühlst dich, als ob du weniger Gewicht hättest. Der Gipfel zieht dich an und du bist erpicht, ihn zu erreichen. 8. Nun bist du auf dem Plateau des Berggipfels angelangt. In einiger Entfernung siehst du jemanden. Es ist ein weises Wesen, eine liebevolle Person. Du spürst deren Bereitschaft zuzuhören und deine Fragen zu beantworten. Ihr habt einander in der Weite bemerkt und geht aufeinander zu. Du spürst die Freude, Heiligkeit, Kraft und Liebe, die es ausstrahlt. stellst du weitere Fragen oder ein Gespräch entwickelt sich. Auf jeden Fall merke dir die Antworten. 10. Zeige in irgendeiner passenden Form Dankbarkeit und verabschiede dich von diesem weisen Wesen, im Wissen, dass du immer wieder auf diese Bergspitze zurückkehren kannst. 11. Nun gehe in deinem Tempo den gleichen Weg wieder zurück, bis du am Ausgangsort im Tal auf der Blumenwiese angekommen bist. Nach einer kurzen Zeit öffne deine Augen. Recke und strecke dich, trinke etwas und mach dir Notizen zu dieser inneren Reise, besonders zu den Antworten. (Der Aufbau dieser Übung geht auf den Begründer der Psychosynthese, Roberto Assagioli, zurück. Die Übung wird zum Beispiel vom Assagioli-Schüler Piero Ferrucci in seinem Buch „Werde was du bist“ dargestellt.) So sind Sie jetzt, ganz eigen und ganz persönlich, da. So sind wir jetzt als Bundesverband da. Hier angekommen und bereit einen Weg zu gehen, für den die Spur gelegt worden ist an diesem Wochenende. Der nächste Schritt geht nun zum gemeinsamen Abendessen und zum Erfahrungsaustausch und geselligen Beisammensein. Viel Freude dabei. 9. Nun steht ihr euch gegenüber. Du hast die Möglichkeit, dieser weisen und liebevollen Person Fragen zu stellen und Anliegen mitzuteilen. Stelle ihr nun folgende Fragen und lass dir Zeit dazwischen, um die Antworten wahrzunehmen: - Worin liegt das Potential der Homosexualität meiner Tochter/meines Sohnes - Welche Begabungen, Talente drängen in ihrem/seinem Leben zur Entfaltung? - Was für ein Schritt steht in ihrem/seinem Leben konkret an, damit sie/er das Potential mehr leben kann? Möglicherweise kommen die Antworten verbal. Achte aber auch auf Symbole und Gesten. Was immer die Antwort ist, werte nicht. Vielleicht BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 15 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referate Am Anfang war es Scham … – Henning Röhrs, Therapeut Über Schamgefühle zu sprechen, ist in einem kleinen Kreis sicher möglich. Schamgefühle im Zusammenhang mit der Homosexualität der eigenen Kinder in einem so großen Kreis offen zu legen, ist schon eine Herausforderung. Mit dem Geschick des Therapeuten und der Bereitschaft der Anwesenden, auf ihn einzugehen, wurde diese Veranstaltung für große Emotionen und befreiende Erfahrungen geöffnet. So bat H. Röhrs am Anfang die TeilnehmerInnen, aufzustehen und sich umzuschauen. Denn er findet es wichtig bei einem solchen Thema, zu wissen, dass man nicht allein damit ist. Bei Schamgefühlen und Akten der Bloßstellung seien die Menschen bisweilen starr vor Schreck und könnten nichts tun. Das ist wie in der Bibel bei der Geschichte von Adam und Eva – auf einmal erkannten sie, dass sie nackt waren. Der Blick richtet sich auf die Peinlichkeit des jeweils Anderen und zurück auf sich selbst. Der Blick richtet sich auf die Peinlichkeit des jeweils Anderen und zurück auf sich selbst. Dadurch entsteht das Gefühl, ganz anders zu sein. Der Blick des Gegenübers, der meine Peinlichkeit bemerkt, erzeugt in mir eine bis dahin unbekannte Fremdheit, die Scham. Sie verunsichert mich als Mutter oder Vater eines schwulen Sohnes oder einer lesbischen Tochter, aber auch als jungen Menschen, der sich gerade im Coming Out befindet. Wie halte ich es aus, anders zu sein? Diese dauernde Auseinandersetzung mit Blicken, Aussagen und Normen! Nicht selten führt dies zu persönlicher Vereinsamung und zu einem Rückzug aus der Gesellschaft. Wie haben die Teilnehmer/innen das Coming Out ihrer Kinder erlebt? Der Referent bittet, sich den Augenblick bzw. den Tag zu vergegenwärtigen, als die Eltern erfuhren – oder (für die anwesenden Töchter und Söhne) als man selbst erkannte, ich bin lesbisch / ich bin schwul. Was war damals die allererste Reaktion? Nach einem Augenblick zum Überlegen ermuntert Röhrs die Anwesenden zum Austausch mit dem/der Vorder/Hinter- oder auch Neben-Mann oder Frau. Es kommt zu lebhaften Gesprächen untereinander; dann sammelt er viele Statements seitens der Eltern und auch einzelner anwesender „Kinder“ (bereits erwachsener Söhne und Töchter) ein: Väter schwuler Söhne etwa haben damit zumeist mehr und größere Probleme als die Mütter – so jedenfalls die Meinung einer Mutter. Ein Vater hingegen meint, schon lange vor dem Coming out des Sohnes „etwas gespürt“ zu haben und gar nicht überrascht gewesen zu sein; er wundere sich geradezu, wieso Eltern so oft berichten, ahnungslos gewesen und dann vollkommen überrascht worden zu sein. Ein junger Schwuler berichtet, wie offensichtlich es für 16 jeden auch nur oberflächlichen Betrachter bei ihm gewesen wäre, aber wie sehr er selbst und auch seine Eltern alle diese „Anzeichen“ bis zum Coming out verdrängt hätten. Bisweilen erfolgt das Coming out den Eltern gegenüber auch in Etappen – so erfuhr Frau Micale „es“ von ihren Söhnen zwei Jahre eher als der Vater. Wenn Geschwister vorhanden sind, werden die zumeist vor den Eltern eingeweiht. Dass Väter mit lesbischen Töchtern eher „klar kämen“ als mit schwulen Söhnen hält eine Teilnehmerin für eine doch eher unbewiesene Vermutung: In ihrem persönlichen Fall trennte sich darauf hin sogar der Mann von ihr und ließ sie mit ihrer Tochter allein zurück. Eine Mutter berichtet von ihrem Sohn, der sich im Alter von 21 geoutet hatte, er hätte aus Angst vorm Outing schon seit der Pubertät unter Depressionen gelitten und wäre nahe daran gewesen, sich vor einen Zug zu werfen – dabei hätten sie und ihr Mann überhaupt keine Probleme mit dem Schwulsein ihres Sohnes gehabt. Eine der beiden türkischen Mütter hatte schon als ihr Junge noch sehr klein war damit gerechnet, dass er schwul sein könne, „weil er sowohl mit Autos als auch mit Puppen spielte“. Ihr sei aber damals schon bekannt gewesen, dass das vollkommen natürlich ist und sich wohl auch nicht mehr ändern würde. Sie hätte ihm daraufhin frühzeitig kindgerecht vermittelt, dass er „nichts solle, was er nicht wolle“ – gerade auch in sexueller Hinsicht. Sie ist heute sehr aktiv in der Istanbuler Gruppe und ihr Mann habe es später auch akzeptiert und nähme regelmäßig an den Treffen teil. Einem der jüngeren anwesenden schwulen Söhne hatten die Eltern von einem fremden Ehepaar erzählt, das sich vor lauter Scham noch nicht einmal in der Lage sähe, untereinander über das Thema zu sprechen. Als Ursache der nicht selten jahrelangen „Sprachlosigkeit“ der Kinder vermuten hingegen mehrere TeilnehmerInnen deren Angst, die Liebe ihrer Eltern zu verlieren. Aus eigenem Erleben weiß der Redakteur, dass es auch die Angst davor sein kann, die Eltern könnten sich aus Scham über ihr „missratenes“ – weil nicht der heterosexuellen Norm entsprechendes – Kind etwas antun. Röhrs fasst die Statements zusammen und betont, dass in der Gesellschaft heute immer noch die Homosexualität als ein reparierbarer Makel dargestellt wird; unter Jugendlichen ist der Begriff „schwul“ – und „lesbisch“ ebenso – immer noch das schlimmste Schimpfwort. Eltern können das nicht beeinflussen, können aber lernen, damit umzugehen! Sie können nachfragen, was das Gegenüber über Sexualität weiß. Sie können positiv einwirken, wenn sie die Bereitschaft zu einem Gespräch spüren, müssen aber auch nicht auf alles eingehen! Wichtig ist es außerdem, BET-Reader 2009 im eigenen sozialen Umfeld für Wertschätzung zu sorgen und Menschen zu suchen, die ihnen und ihren Kindern mit Wertschätzung begegnen. Dabei ist das Coming out nicht mit einem Mal (oder wenigen Malen) abgetan: es ist vielmehr ein lebenslanger Prozess. Wir können es im Einzelfall natürlich auch lassen, aber dann verbiegen wir uns. Als Lesbe oder Schwuler selbst - und als Elternteil genauso muss man(n/frau) da immer wieder eine kleine Hürde überwinden – in jedem neuen Lebensbereich immer wieder aufs Neue. Wir leben eben in einer heterosexuell geprägten Gesellschaft, in der (so würde es der Redakteur formulieren) die sogenannte „heterosexuelle Vorannahme“ gilt - das will heißen, bis er/sie sich anders erklärt, wird ein Mensch vom Gegenüber ungefragt als heterosexuell eingestuft. Henning Röhrs ist in Hannover als Therapeut tätig; früher in der Beratungsstelle des (ehemaligen) Lesben- und Schwulenzentrums des HOME e.V., danach in der Beratungsstelle Osterstraße und nunmehr frei praktizierend. Der vorstehende Text wurde nach den vorgenommenen Aufzeichnungen des Redakteurs von diesem neu formuliert; daraus könnten sich geringe Abweichungen in der Wortwahl ergeben. So wie wir Homosexuellen selbst immer wieder die Erfahrung machen, dass in unserem Beisein von Leuten, die das nicht wissen, über das Thema geredet wird, so geschieht es ja auch den Eltern im Kreis von Menschen, die nicht wissen, dass sie ein homosexuelles Kind haben. Röhrs bittet darum, darüber nachzudenken, wie ich mit dieser Situation umgehe, wenn ich damit konfrontiert werde. Danach fordert er nochmals zum persönlichen Gespräch mit den Sitznachbarn auf; nach einer wiederum sehr lebhaften Gesprächsrunde sammelt er auch dazu Statements ein: Eine der Mütter beispielsweise räumt ein, sich anfangs nicht so recht getraut zu haben, in einer solchen Situation das Wort zu ergreifen; heute hakt sie aber immer nach und hat dann auch kein Problem mehr damit, zu sagen, dass ihr Sohn schwul ist. In Einzelfällen kam es sogar vor, dass sie den Arbeitgeber einer über „Homos“ lästernden Person kannte und dann „eins draufsetzte“ wie etwa: „Pass/en Sie lieber auf, was Du/Sie da redest/n – denn es könnte sein, dass Dein/Ihr ArbeitgeberIn schwul bzw. lesbisch ist!“ Bei nicht verletzenden Witzen kann sie durchaus mitlachen, bei verletzenden hingegen führt sie den ErzählerInnen das Verletzungspotential vor Augen. Eine andere Mutter fragt dann nur „Und wo ist die Stelle zum Lachen?“ – Einer der Väter betont, man müsse ja nicht auf jede dumme Bemerkung und jeden dummen Witz reagieren, besonders wenn man gerade nicht in der Stimmung dazu ist. Er tue sich das dann auch nicht an; wenn jedoch so unsägliche Thesen in den Raum gestellt werden würden wie etwa, Homosexualität sei Sünde und gewiss nicht von Gott gewollt, dann könne und dürfe man das nicht so stehenlassen, sondern müsse sich zu Wort melden. BET-Reader 2009 17 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referate Vorstellung „Aktionsbündnis gegen Homophobie“ – Sören Landmann Anschließend stellte Sören Landmann das zum Tag der Menschenrechte 2008 neu gegründete „Aktionsbündnis gegen Homophobie“ kurz vor, dessen Vorsitzender er ist. Es ist in Trier ansässig und plant ein Schulprojekt auf Landesebene sowie bundesweit Stellungnahmen zu Vorgängen wie dem Marburger Kongress für Psychotherapie und Seelsorge Ende Mai 2009, wo selbsternannte „HomoHeiler“ sich durch Auftritte in einem sich wissenschaftlich gebenden Rahmen – und zudem an einer ihrer Forschungsleistungen wegen angesehenen Universität! - unberechtigte Reputation verschaffen wollen. Außerdem will das Aktionsbündnis Materialien zur Nutzung auch durch andere lesbischwule Organisationen produzieren, als Beispiel dafür werden je ein „lesbisches“ und ein „schwules“ Poster zum Internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) vorgestellt. Näheres kann mensch durch die im Aufbau befindliche Homepage erfahren: www.aktionsbuendnis.org Wie heil machen Heilungstheorien? Wie erreichen wir Eltern, die diesen Theorien ausgesetzt sind? – Hermann Bayer, Theologe Herzlichen Dank für die Einladung. Während der Vorbereitung auf mein Referat fiel mir wieder ein Text in die Hände, der sich vermutlich deshalb mir gezeigt hat, weil diese Gedanken unser Nachdenken über „Heilungstheorien und die Unterstützung für Eltern, die solchen Theorien ausgesetzt sind“ begleiten wollen. (Der Verfasser ist mir leider unbekannt.) Beim Heilwerden geht es darum, unsere Herzen zu öffnen, nicht sie zu verschließen. Es geht darum, die Stellen in uns, die die Liebe nicht einlassen wollen, weich zu machen. Heilung ist ein Prozess. Beim Heilwerden schaukeln wir hin und her zwischen den Verletzungen der Vergangenheit und der Fülle der Gegenwart. Es ist das Schaukeln, das die Heilung bewirkt, nicht das Stehenbleiben an einer der beiden Stellen. Der Sinn des Heilwerdens ist nicht, für immer glücklich zu werden. Das ist unmöglich. Der Sinn der Heilung ist, wach zu sein. Und sein Leben zu leben, nicht bei lebendigem Leibe zu sterben. Heilung hängt damit zusammen, gleichzeitig ganz und zerbrochen zu sein. Es ist genug gesagt, geschrieben, diskutiert und wir dürfen nicht aufhören, wach zu bleiben. Und unser Leben zu leben. Herzlichen Dank für ihr Engagement. Zwei Nachrichten können wir aktuell nebeneinander stellen. Einerseits bekommt Herta Leistner für ihren Einsatz für Homosexuelle in der Kirche den Amos-Preis von der Offenen Kirche verliehen … Von der Kirche, die sie in den 80ern Anlaufstelle für lesbische Frauen nennt. In einem regelrechten „Inquisitionsverhör” haben damals der Theologin klerikale Vertreter vorgeworfen, sie habe aus der Akademie Bad Boll einen „Tempel der lesbischen Liebe” gemacht. Die öffentliche Verleihung des Amos-Preises solle ein deutliches Zeichen sein, dass Herta Leistners Engagement auch im Raum der Kirche Resonanz und Würdigung findet. Denn sie habe sich mit ihrem Einsatz gegen Unrecht, Menschenverachtung und Ignoranz in Kirche und Gesellschaft in die prophetische Tradition der Kirche gestellt, „den Mund für die Stummen aufzutun und für die Sache derer, die verlassen sind“ (Sprüche 31,8). Trotz geänderter Gesetzeslage für homosexuelle Paare, so die Jury weiter, sei das Thema Homosexualität gerade in 18 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 den Kirchen im Untergrund aktuell. Es scheine eine Art Burgfrieden zu herrschen, ohne die erfolgten theologischen Klärungen in den Kirchen und in der Gesellschaft bekannt zu machen. Andererseits ist es neben vielen anderen Initiativen und Stimmen aus der gesellschaftspolitischen Landschaft der Bundeselternverband, der mit klaren und unmissverständlichen Worten in einem offenen Protestbrief sich an den Veranstalter des 6. Internationalen Kongresses für Therapie und Seelsorge im Mai dieses Jahres in Marburg wendet: „Unsere Kinder sind, wie sie sind. Sie haben ein Recht, in unserer Gesellschaft ihr Leben so zu gestalten wie es ihren Anlagen gemäß ist.“ Wir könnten viele solcher Beispiele anführen. So schaukeln wir hin und her in der Spannung zwischen den „Verletzungen der Vergangenheit und der Fülle der Gegenwart“. Einerseits – andererseits. Ein Zeichen für den Wandel in der gesellschaftlichen Diskussion, der jedoch auch kontroverser diskutiert werden wird. So der Kommentar in der taz „Bekennen und Bekehren“ von Philipp Gessler am 16.04.2009 zu diesem Thema. Neu sei nicht, dass evangelikale Christinnen und Christen glauben, Homosexualität sei „heilbar“. Dass „Heilung“ sogar nötig sei. „Neu ist, wie massiv sie mit ihren Ansichten in die Öffentlichkeit gehen, auch wenn die Aussagen der Bibel über die Homosexualität alles andere als eindeutig sind. Eindeutig aber passt der jüngste Marburger Fall zu einer Tendenz, die in der deutschen Gesellschaft insgesamt zu beobachten ist. Die Konfessionen und Weltanschauungen differenzieren sich auch intern immer weiter aus, radikalisieren sich partiell und suchen selbstbewusster die öffentliche Aufmerksamkeit … Zugleich zwingt die Mediengesellschaft alle Gruppen, ihr Profil zu schärfen. Das geistlich-geistige Leben wird dadurch vielfältiger, schroffer und verrückter auch. Dagegen ist nichts zu sagen.“ Eben doch: wagen wir ein Profil. Dazu sind wir heute Nachmittag eingeladen, dies zu klären und Eltern anzubieten, die verunsichert sind. 19 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referate Während meiner Vorbereitung auf dieses Referat sprach ich mit Freunden, Freundinnen, Eltern … und immer wieder ging es auf beiden Seiten um Verständnis, Sorge und Zeit lassen … Ja, jedoch bitte schön in „wachem Zustand“. Das ist der Sinn der Heilung und dazu sind Sie wiederum ein Wochenende zusammen, um nicht „bei lebendigem Leib zu sterben“. Über eines sind sich die meisten Wissenschaftler einig: Die sexuelle Ausrichtung liegt sehr frühzeitig fest, lange vor der Pubertät. Ob wir homosexuell oder heterosexuell sind, liegt außerhalb unserer Einflussmöglichkeiten und unseres Willens. Eltern müssen sich nicht vorwerfen, sie hätten etwas „falsch gemacht“. Ebenso wenig muss jemand Angst haben, sein Kind könnte zur Homosexualität verführt werden. (LSVD) Die Psychologen in der WHO bestätigen: Die Richtung der sexuellen Orientierung selbst ist nicht als Störung anzusehen. Alle Ursachenforschung hat den Zweck, Homosexualität wegzumachen. Die Geschichte der Medizin ist voller grauenhafter „Umpolungsversuche“. Im Nationalsozialismus haben SS-Ärzte an schwulen KZ-Häftlingen Hormonexperimente und entsetzliche Quälereien vorgenommen. Später versuchte die Verhaltenstherapie, Homosexuelle mit Elektroschocks auf heterosexuell zu dressieren. In den 70er Jahren wurden sogar chirurgische Eingriffe im Gehirn vorgenommen. … Selbst wenn in Deutschland solche brutalen Methoden nicht mehr im Gebrauch sind, versprechen manche Ärzte, Heilpraktiker oder Psychologen, Homosexualität zu heilen. 20 warnen, ist geblieben. Eine Ex-Gay-Bewegung schwappt aus den USA auf Deutschland über … so die Nachrichten, die durch das Internet jagen. Therapeuten glauben an Heilung Homosexueller … Süddeutsche 26.03.2009 Im Bundestag wird klargestellt: Homosexualität bedarf weder einer Therapie noch ist Homosexualität einer Therapie zugänglich. Die vor allem in den 60er und 70er Jahren häufig angebotenen so genannten „Konversions- oder Reparations-Therapien“, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Verhalten oder der homosexuellen Orientierung abzielten, werden heute in der Fachwelt weitgehendst abgelehnt. Dies gründet sich auf Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen, nach denen bei der Mehrzahl der so therapierten Personen negative und schädliche Effekte (z.B.: Ängste, soziale Isolation, Depressionen bis hin zur Suizidalität) auftraten und die versprochenen Aussichten auf „Heilung“ enttäuscht wurden. Erfahrungen im Schaukeln zwischen den Verletzungen der Vergangenheit und der Fülle der Gegenwart Heilungsversuche gab es ständig … einer davon ist, sich in die Ehe zu retten. Beispiel Wolfgang, der am Hochzeitsmorgen, als er seine Frau im Brautkleid sah, heftig weinen musste. Seine Seele wusste, dass dies kein heilender Weg sein wird. Erklärungsbedürftig ist nicht die Homosexualität. Sondern vielmehr, warum in unserer Gesellschaft immer noch viele Menschen Schwule und Lesben verachten und anfeinden. Doch bitte: Heilung beginnt damit, dass Eltern in ihrer Erstreaktion aufhören zu sagen, „was habe ich falsch gemacht …“, denn das impliziert: „du bist falsch ...“ - nachdem vielleicht der Sohn, die Tochter gerungen haben, endlich den Eltern das zu sagen. Beispiel: der erste Besuch bei meiner Schwiegermutter vor 6 Jahren: sie weinte und erzählte mir, der fremd bei ihr am Tisch saß, davon, wie schlecht es ihr gehe… Therapeutisch geschult höre ich zu, signalisiere ihr, sie zu verstehen, bis mir plötzlich klar wurde, das betrifft ja auch mich. Und ich befreie mich mit den Worten: „Wissen sie, hier am Tisch kann ich auswählen zwischen einem Johannisbeerkuchen oder Himbeerkuchen, ich konnte jedoch nicht auswählen, ob ich hetero- oder homosexuell sein möchte. Das ist der Unterschied.“ Warum homosexuelle Männer und Frauen im kirchlichen Dienst entlassen werden können, wenn sie sich verpartnern. Das gesellschaftliche Klima hat sich in den letzten Jahren bedeutend verändert, aber die Angst vor dem Unbekannten, vor dem die Eltern und das Umfeld Ja und sich selbst die Zeit als Eltern zu lassen, damit zurecht zu kommen. Mit all den Bildern, die die Eltern meiner Generation noch in sich tragen und ich dazu NS-Zeit, Kriminalisierung, AIDS, Verachtung, Stigmatisierung. BET-Reader 2009 Und die Eltern der jetzt erwachsen werdenden Kinder? Beispiel: mein jüngster Bruder: als vor zehn Jahren sein Sohn zur Welt kam und er mir sagte … der gehört auch dir, da du ja keine Kinder bekommen kannst. Vier Jahre später kommt sein Sohn aus dem Kindergarten und erklärt seinem Vater: ich heirate Philipp. Worauf sein Vater prompt zurückfragt: gibt es denn da keine Mädchen … und erst dann merkt, wie festgelegt der Kopf ist. Sein Sohn wusste es besser, erstens hat Philipp auch Playmobil und der Onkel in Stuttgart hat doch auch einen Mann! Oder die Mutter eines 40jährigen Freundes … Beispiel: Vielleicht wirst du doch noch anders … obgleich er seit 18 Jahren mit seinem Partner in einer festen Beziehung lebt … Meine Freundinnen sagen: Das ist doch heute ganz normal. Was heißt normal, wo ich doch schon als Kind mich als „abnormal“ empfinden musste. Ich möchte in dieser Polarisierung gar nicht „normal“ sein. Ich möchte lernen, mit meiner Geschichte zu leben und mit ihrer darin wohnenden Angst, und ich möchte lernen wertzuschätzen, was geworden ist und wie ich heute leben darf. Heute noch, geoutet und bekannt, zögere ich in manchen Situation von „meinem Mann“ zu reden … Ich habe Angst vor Ablehnung ob meiner Sexualität. Ich bin Wowereit dankbar für seine Öffentlichkeit. Und zugleich ist es, als ob der eigene Verletzungsweg zum Befreiungsweg werden kann. Wie lange ließ ich die Welt reden, denken, verlautbaren, bis ich gemerkt habe, wie verletzend dies für mich ist. Und ich nicht länger in dieser Kirche arbeiten kann. Selbst wenn ich lange Zeit erleben durfte, dass dieser Dienst für mich heilend war … mitten drin in der „Ablehnung“ … mich zu zeigen, mich zu entwickeln … Identität ist mehr als nur über Sexualität reden … Wir sollten vielmehr darüber reden, wie wir als schwule oder lesbische Menschen Gott, die Welt und uns selbst erfahren. Pierre Stutz spricht in seinem Buch „verwundet bin ich und aufgehoben. Für eine Spiritualität der Unvollkommenheit“ (Kösel 2003) vom - Geradestehen für mein Leben - Zu-Grunde-Gehen - Loslassen. Sein Brief Ende Juni 2002 an den Freundeskreis der Abtei … sagt deutlich: Mein Coming-Out ist das … „Gerade stehen für mein homophiles Fühlen. Denn nicht ich habe es gesucht, sondern Gott als Urgrund allen Lebens hat mich so wunderbar ge- BET-Reader 2009 schaffen und gestaltet.“ Eine neue Kultur schaffen Die Aneinanderreihung von Bibelworten, solche die „für oder gegen“ Homosexualität reden wollen, dient nicht mehr. Denn daran werden die Kirchen ja auch gemessen, wenn sie sagen, dass „Gott im Himmel“ alle Menschen liebt und ihr Verhalten und ihre Sanktionen „hier auf Erden“ einer scheinbar anderen Wirklichkeit entsprechen. So kommen wir nicht mehr weiter und diese Argumente sind zur Genüge ausgetauscht. Verletzungen mit inbegriffen. Es geht darum, dass wir eine neue Kultur schaffen. „Nun, zum einen ist die Kultur, in der wir leben, nicht dafür geeignet, dass sich die Menschen mit sich selbst wohl fühlen. Wir lehren die falschen Dinge. Und man muss stark genug sein, um zu sagen: Wenn die Kultur nicht funktioniert, dann pass dich ihr nicht an. Schaff dir deine eigene. Die meisten Menschen können das nicht … Das Wichtigste im Leben ist zu lernen, wie man Liebe gibt und wie man sie in sich selbst hereinlässt. Lass sie rein. Wir denken, wir verdienten keine Liebe, wir denken, wenn wir sie rein ließen, würden wir allzu weich und rührselig. Aber ein weiser Mann namens Levine hat mal genau das Richtige dazu gesagt: Er sagte: ‚Liebe ist der einzig rationale Akt.‘“ (aus: „dienstags bei Morrie“ von Mitsch Albom) Coming In nennt dies Urs Mattman in seinem Buch „Spiritualität für Schwule und Lesben als Ausdruck eines selbstbewussten Lebensstils”(Kösel-Verlag). Es geht darin um die positive Haltung zu sich selbst, die ganzheitliche Wahrnehmung schwullesbischen Lebens und die Frage nach persönlichen Prioritäten in einer häufig immer noch diskriminierenden Umwelt. Coming In als notwendige Ergänzung zum Coming Out. Was nach außen tritt, schöpft aus einer inneren Lebenskraft. Was wie eine innere Quelle wahrnehmbar wird, sucht einen Ausdruck, der sichtbar werden lässt, welchen Platz ein homose- 21 Einstimmung und Referate xueller Mensch in der Welt einnehmen kann. „Ich gehe davon aus, dass Homosexualität kein „Zufallsprodukt“ ist, sondern dass damit besondere Berufungen, Qualitäten und Aufgaben für homosexuelle Menschen in ihrer Entfaltung und am Dienst an der Welt impliziert sind.“ (ebenda) Richard Rohr sagt im Vorwort: „Das Thema entzweie sonst rechtschaffene Menschen. Beide Seiten bekämen Angst, haben Interesse an Anschuldigungen und schnellen Rechtfertigungen durch Bibelstellen, bevor der aufgewirbelte Staub sich wieder setzt. Leichtfüßig und mit Respekt vor den anderen bewegen wir uns vorwärts … Lasst uns die großartige Vielfalt, Mensch zu sein, wahrnehmen … Dies ist ein grundsätzlich identischer Prozess für Homosexuelle und Heterosexuelle. Wir verlieren wertvolle Zeit, wenn wir versuchen, dieses Liebesmysterium in unseren Köpfen oder nur in unserer abgesonderten Gruppe einzugrenzen. Ich dachte früher immer, dass das Gegenteil von Kontrolle Loslassen oder Nicht-Kontrolle ist. Nach und nach wurde mir klar, dass das wahre Gegenteil von Kontrolle in Partizipation, in Teilnahme und Beteiligung zu suchen ist. Das Evangelium fordert uns auf … im Mysterium aktiver Liebe aneinander zu partizipieren …“ Es gibt eine Sehnsucht von Menschen, so Mattmann, die ihre Sexualität bejahen, eine relevante Form von Glauben suchen und einen spirituellen Weg gehen wollen. Und es muss auch gesagt werden, dass trotz sattsam bekannten sexualfeindlichen Geschichten des Christentums in keiner anderen der Weltreligionen so viel an Aufbruch, Dialog und Infragestellung in Bezug auf Homosexualität im Gang ist. Es geht nicht darum, die gleichgeschlechtliche sexuelle Ausrichtung zu rechtfertigen, sondern ihren Sinn zu entdecken, sie in der Integration in die Spiritualität fruchtbar werden zu lassen. Drei Lebenswirklichkeiten finden darin zueinander: Sexualität und Liebesbeziehung und Bewusstsein. Wir sind eingeladen, umzudenken für ein neues Handeln, um Sexualität würdevoll und respektvoll zu leben und als Kraftquelle zu entdecken für eine Kultur der Partizipation. Dies könnte ein wichtiger Schritt sein, wenn wir jetzt überlegen werden, wie wir die Eltern erreichen, die „Heilungstheorien“ ausgesetzt sind. Einstimmung und Referate mit einem ihnen eigenen Bewusstsein zu tun, das sich in Aspekten von dem der heterosexuellen Mehrheit unterscheidet. Zudem sind sie vom dem kollektiven Bewusstsein als Schwule und Lesben geprägt. Dazu gehört eine Geschichte, die durch lange Unterdrückung, Gewalt, und Ausgeschlossen-Sein gekennzeichnet war und in vielen Ländern der Erde immer noch ist. Die Frage heißt jetzt nicht mehr: warum homosexuell, sondern wozu. Die Frage nach Potential, Sinn und Berufung. Im englischsprachigen Raum ist dies das zentrale Anliegen für engagierte Menschen geworden. Ein Grund für erhöhte Sensibilität liegt darin, dass erlittene Unterdrückung sensibler macht und die Solidarität mit anderen Ausgestoßenen stärkt. Dass geschichtlich die traditionellen Weltreligionen und so auch das Christentum in ihrer patriarchalen Phase so viel Homophobie praktizierten, ist doppelt tragisch. Einmal wegen des Leids, das Schwulen und Lesben zugefügt wurde und wird; dann, weil so viel Kreativität, Heilung, Dienen und Lebensfreude den Kirchen und letztlich allen Weltreligionen durch den Ausschluss von offen schwul und lesbisch lebenden Menschen verloren gegangen ist. Wozu Homosexualität und wie kann sie zum Aufbau einer menschlicheren Welt und zur Verwirklichung der alles durchstrahlenden Liebe gelebt werden … das ist der Ansatz unserer „neuen Kultur“, der Übergang zu einer neuen Bewusstseinsstufe, die wir integrales Bewusstsein nennen. Die ganze Bewegung können wir also auch in einem viel größeren Zusammenhang sehen. „Die Integration von Homosexualität ist ein so wichtiger Schritt in der Evolution der Menschheit wie die Abschaffung der Sklaverei, der Rassentrennung und der Kampf um die volle Anerkennung der Frau. In diesem Sinne ist die Integration der Homosexualität also ein wichtiger Schritt zu einem neuen Bewusstsein in der Menschheit. Er muss erfolgen, wenn die Schöpfung fortschreiten will. Das Ziel heißt Einheit in der Vielfalt. Wir erleben einen Übergang vom mentalen zum integrativen Bewusstsein. Aus Abspaltung muss Integration werden, wenn wir überleben wollen.“ (ebenda) Von „Wowereit zu Obama“ sozusagen, der in seiner Antrittsrede als Vertreter einer Minderheit alle anderen Minderheiten nennt und würdigt. Indem wir uns zunächst selbst erreichen! Das Coming out als heilender Prozess. Abschluss 1 Das Coming Out als Ritual feiern in der Familie und im Freundeskreis Das könnte ein Weg sein, Ihrem Kind in seinem Sosein und darin auch allen Ihren Kindern den Platz zu geben, den sie in ihrer Familiengemeinschaft haben: Eltern können so die Beziehung fördern, Gemeinschaft stiften und dem Göttlichen Raum geben. Im Coming-Out wird ein altes Lebensmuster sterben, hinter dem wir uns versteckt haben, und beginnt ein Leben in Fülle und Integrität. Das Coming-Out versöhnt mit der Vergangenheit und kann den inneren Weg zu sich selbst vertiefen. Beim Heilwerden schaukeln wir hin und her zwischen den Verletzungen der Vergangenheit und der Fülle der Gegenwart. Carter Heyward (ebenda): „ … Ich wusste, dass für mich persönlich das Coming-Out nicht ein Statement darüber war, mit wem ich schlafe, sondern eine Aussage darüber, was ich im menschlichen und göttlichen Leben wertschätze. Es galt für mich zu lernen, auf einem gemeinsamen Grund zu stehen: ein Prozess, der gleichzeitig sexuell, politisch, spirituell, ökonomisch ist. Eine Reise in Beziehung zum Individuellen wie auch zum Kollektiven.” Beispiel: Bei dem Fest unserer eingetragenen Partnerschaft vor zwei Jahren zogen wir vom Standesamt in der Eberhardstraße (Stuttgart) in einem großen „Hochzeitszug“ durch die Stadt zu unserem Festlokal am Charlottenplatz. Öffentlich und intim zugleich, unsere Familien, Freundinnen, Freunde – Kinder und Erwachsene. Plötzlich war alles „ganz normal“ und dankbar feierten wir diesen Tag. 2 Unterstützung durch uns, die wir einen langen Weg schon gegangen sind. Wir ältere homosexuelle Frauen und Männer können Sie, die Eltern, Angehörige und Freunde in Ihrer Elterngruppe unterstützen. Wir können das Gespräch anbieten für Ihre Kinder und/oder Eltern, die mit dem Coming-out ihrer Kinder beginnen zu leben. 3 Der „Übergangsgemeinschaft“ als örtliche Elterngruppe Bedeutung für den eigenen Weg und den als Verband beimessen Der Theologe und Psychotherapeut Peter Schellenbaum beschreibt diese Lebensform in einer Zeit zunehmender Individualisierung: Wir brauchen „spirituelle und therapeutische Übergangsgemeinschaften“. Sei es als Familie, als Freundeskreis, als Elterngruppe. „Denn wenn ein Ich sich in einem Du zu spiegeln traut, dann gibt diese Beziehung dem einzelnen Menschen Kraft und schenkt ihm Glauben.“ Diese Unterstützung in den wiederkehrenden Treffen einer Elterngruppe kann Sicherheit geben für den neuen und noch unvertrauten Weg, den Eltern unterschiedlich gehen. Und sie kann Mut machen für das Engagement und den Einsatz für „ein besseres Verständnis für ihre lesbischen und schwulen Kinder in der Gesellschaft“. Andrew Harvey (ebenda): „Aus der tiefsten Wunde meines Lebens wuchs eine wunderbare Möglichkeit … die Entdeckung der Schmerzen des Selbst-Betrugs in Selbst-Entdeckung. Das Bewusstsein, dass wir alle in uns selbst ein heiles Zentrum haben, ist entscheidend. In uns gibt es einen göttlichen Kern, der unverletzbar ist bei allen Verletzungen, die wir auf der Persönlichkeitsebene erleben. Die Verletzungen, die wir erleben, sind ja nicht nur individuelle, sondern haben auch eine kollektive Seite … Ich glaube, dass wir kollektiv bewusst und unbewusst auch mit den Lesben und Schwulen der Vergangenheit, der Gegenwart und auch denen aller Kontinente verbunden sind ….” Auf dem heilenden Weg von Coming-Out und Coming-In Einkehren, mich einlassen auf die Stille, eintauchen in die Tiefe des eigenen Wesens, die göttliche Wirklichkeit erfahren und aus dieser Einkehr heraus denken, entscheiden und handeln, das ist die Einladung. In einer Aussprache im Anschluss an das Referat ging Hermann Bayer auch noch einmal auf seinen Lebensweg ein. Als er sich in den 70er Jahren auf das Diakonat vorbereitete, wäre er nicht eingestellt worden, wenn die Kirche davon Kenntnis erlangt hätte, dass er schwul ist. Oder wenn er die ihm einmal aus heiterem Himmel gestellte Frage „Aber gell, Sie sind nicht andersrum?“ zutreffend beantwortet hätte. Bis in sein 49. Lebensjahr habe er – so wörtlich – in einem „unverschämten Vertrauen“ darauf gebaut, dass bei der ihm angeborenen Natur das ihm seitens seines Arbeitgebers Kirche aufgezwungene Versteckspiel vor Gott so richtig ist. Dann aber konnte er das für sich persönlich nicht mehr so fortsetzen – auch wenn bis in höchste Kirchenämter heimlich homosexuell gelebt wird. Auslöser war ein Artikel des Magazins Spiegel, wo er zufällig zusammen mit einem Bischof abgebildet worden war, der dann mit der Aussage zitiert wurde „Ich habe nichts gegen Homosexuelle, solange sie enthaltsam leben.“ Der Spiegel habe ihm da gewissermaßen den Spiegel vorgehalten. Jeff Leeds, ein ehemaliger Jesuit: „Ich sehne mich danach, ein Befreier zu werden, nicht nur für mich selbst, sondern, um auch andere von ihrem Platz im Exil zu lösen.“ (ebenda) Wie Sie dies miteinander tun können als Bundeselternverband, gerade darin, dass wir Eltern erreichen, die „Heilungstheorien“ ausgesetzt sind, darüber nachzudenken, lade ich Sie ein. Die Gleichgeschlechtlichkeit Ihrer Kinder hat auch 22 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 23 Einstimmung und Referate Einstimmung und Referate Kultursensible Aufklärung in Familien mit Migrationshintergrund – Aleksij Urev (Projekt Migrationsfamilien im Familien- und Sozialverein des LSVD) Eingangs stellte der Referent sich selbst mit seinem familiären Hintergrund vor und umriss in groben Zügen die Rahmenbedingungen des Projektes. Herr Urev entstammt einer Spätaussiedlerfamilie, die seit etwa zehn Jahren in Deutschland lebt. Seine Mutter ist deutschstämmig, der Vater Russe. Er selbst ist jetzt fast 30 und outete sich vor acht Jahren gegenüber seiner Mutter und vor zwei Jahren gegenüber dem Vater; der meinte dazu „Wir sind aus Russland ausgewandert; das werden wir dann auch noch überleben.“ Der Bruder weiß es erst seit zwei Monaten und die jüngere Schwester fand‘s einfach nur „cool“. Dem Projekt ging ein Modellprojekt in Berlin von 2005 bis 2007 voraus, während das jetzige Projekt von 2008 bis 2010 läuft mit Köln als Dienstsitz – seit genau einem Jahr. Berlin ist dabei ausgenommen, Schwerpunkte sind Hamburg, das Rhein-Ruhr-Gebiet, Stuttgart, München und Frankfurt/Main. Hannover gehörte also eigentlich auch nicht dazu, ist nun aber mitbeteiligt, weil der Migrationsausschuss der niedersächsischen Landeshauptstadt ausdrücklich auf das Projekt zugegangen ist. Näheres lässt sich im Übrigen auch der Webseite www.migrationsfamilien.de entnehmen. Eine Frage aus dem Publikum nach etwaiger Kooperation mit der Gruppe GLadT (Gays und Lesben aus der Türkei) beantwortete Urev dahingehend, dass diese Gruppe auf Berlin beschränkt sei und Berlin eben gerade nicht zum Projektgebiet gehöre. Gerade türkische Migrationsfamilien stehen ansonsten aber natürlich mit im Vordergrund des Projektes und da habe er als „Russlanddeutscher“ auch noch einiges zu lernen gehabt – und sei es auch nur die Bedeutung des Spruches „Ich war auch schon mal in Bursa“, was unter Türken so viel heißt wie „Ich hatte auch schon mal gleichgeschlechtlichen Sex.“ Aber kommen wir nun zu den grundlegenden Überlegungen zum Thema: Kultursensible Aufklärung zum Thema Homosexualität in Migrationsfamilien – eine immer wieder neue Herausforderung Bei Projektvorstellungen wird das LSVD-Team Migrationsfamilien je nach Arbeitsbereich der möglichen Kooperationspartner mit verschiedenen Fragen konfrontiert. Diese Fragen können sich auf der praktischen Ebene bewegen, wie z.B.: Wie und wo erreicht Ihr Migrantinnen und Migranten? Wie sind die Reaktionen, wenn Ihr das Thema Homosexualität ansprecht? Könnt Ihr das Thema überhaupt ansprechen? Oder lauft Ihr da nicht ständig gegen Mauern? 24 Aber auch die Theorie oder Konzepte hinter der Praxis interessieren viele, vor allem Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die selbst Aufklärungsarbeit leisten und damit eigene Erfahrungen gemacht haben: Was ist für Euch Kultursensibilität? Reicht es nicht, die jeweilige Sprache zu sprechen? Wie kann man mit Menschen arbeiten, mit denen man nicht einen bestimmten (kulturellen) Hintergrund teilt? Warum überhaupt „Aufklärung“? Es sind doch schließlich Erwachsene, die da vor Euch sitzen? Die muss man doch nicht mehr aufklären?! All diese Fragen können natürlich nicht „ein für alle Mal“ oder mit einem Patentrezept beantwortet werden, das immer gleich funktioniert. Ebenso wenig ist garantiert, dass andere Menschen oder Aufklärungsprojekte dieselben Erfahrungen wie im Projekt Migrationsfamilien machen. Zuviel hängt von der Interaktion der TeilnehmerInnen und Teammitglieder ab. Die jeweilige Situation ist z.B. von den individuellen Charakteren der Beteiligten und von Sympathie und Antipathie beeinflusst. Es spielt aber auch eine Vielzahl von (verinnerlichten) sozialen und kulturellen Faktoren eine wichtige Rolle, deren Wirkung man sich zum größten Teil nicht bewusst ist. Dennoch findet die Arbeit des Projektes Migrationsfamilien nicht „aus dem Bauch heraus“ statt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gut durchdachte Konzepte und wenige knapp formulierte Grundsätze helfen, andere vom Wert und der Machbarkeit der eigenen pädagogischen Arbeit zu überzeugen. Daher wollen wir hier zwei grundlegende Prinzipien vorstellen, die wir in unserer Arbeit anwenden. Unserer Erfahrung nach sind dies auch diejenigen Grundsätze, die selbst unsicherste Kooperationspartner überzeugen helfen können. Kultursensibilität als „Respekt vor den Werten anderer“ Eltern, Freunde und Angehörige von Homosexuellen wissen, was es heißt, wenn die eigenen Vorstellungen und Erwartungen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität plötzlich auf den Kopf gestellt werden. Erst wenn man mit etwas völlig Unerwartetem oder Unvorstellbarem konfrontiert wird, wird einem bewusst, was und wie viel für einen selbstverständlich ist oder war. Ähnliches geschieht, wenn Homosexualität zum ersten Mal in einer Gruppe angesprochen wird, in der sich sonst (mehrheitlich heterosexuelle) Erwachsene zum Kaffeekränzchen, zur Weiterbildung, zur Familienberatung oder zum Sprachenlernen treffen. Das Thema stellt Erwartungen und Vorstellungen in Frage, die bis dahin völlig selbstverständlich erschienen. BET-Reader 2009 Solche Selbstverständlichkeiten sind Werte, die das eigene Weltbild, die Wahrnehmung von sich und anderen bestimmen und das Handeln beeinflussen. Das Coming out von Kindern, Angehörigen und Freunden kann eine ganze Reihe von Werten verunsichern: Familie, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen, Freundschaft, Liebesbeziehung und Sexualität. Aber auch so abstrakte Werte wie Normalität und Tabus, Toleranz und Vorurteil, Wissen und Projektion verlieren ihre sicher geglaubten Bedeutungen. Man ist gezwungen, sich neu zu orientieren, die alten Selbstverständlichkeiten zu verändern oder neue zu entwickeln. Dass Werte sich verändern (können), zeigt sich schon an so alltäglichen Beispielen über Geschlechterbilder wie Männern, die Kinderwagen schieben, und Frauen, die Hosen tragen. Andere Beispiele wie die Gründung und die Arbeit des BEFAH selbst und die Eingetragene Lebenspartnerschaft nur 7 Jahre nach der Abschaffung des Paragraphen 175 weisen auf die Veränderungen in Bezug auf Homosexualität und Homosexuelle hin. Werte sind aber nicht nur veränderlich, sondern auch noch kulturell verschieden. Es gibt jedoch keine einheitliche Definition, was „Kultur“ ist. Wir wollen auch gar nicht versuchen, den vielen wissenschaftlichen Definitionen noch eine weitere hinzuzufügen. Entscheidend ist für „kultursensible“ Arbeit folgendes: Kulturelle Grenzen orientieren sich nicht nur an nationalen Grenzen. „Unterschiede zwischen den Kulturen“ sind daher am ehesten an verschiedenen Vorstellungen und Werten festzustellen. So sind die durch ein Coming out verunsicherten Selbstverständlichkeiten ebenfalls kulturell beeinflusst und entsprechend veränderlich und vielfältig. Es sind die Fragen, wer zur Familie zählt; wie Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die jeweiligen Lebensbereiche und Rollenbilder gestaltet sind; ob und mit wem über Partnerschaften und Liebesbeziehungen gesprochen werden kann usw. Auch die Vorstellungen, was oder wer normal und was „richtiges Verhalten“ ist oder nicht toleriert werden darf, was man wissen muss, was man erwarten kann und was unwichtig zu wissen ist, gehören zu kulturellen Selbstverständlichkeiten oder Werten. Das heißt, dass auch innerhalb eines Landes und einer Nationalität verschiedene Kulturen existieren. Der Anspruch von kultursensibler pädagogischer Arbeit ist an sich schon eine Herausforderung angesichts der Komplexität, Veränderlichkeit und oftmals unbewussten Wirkung von „Kultur“. Denn man kann beim besten Willen nicht alle Werte und Vorstellungen kennen, die von dem zu bearbeitenden Thema BET-Reader 2009 berührt werden. Wer selbst die Erfahrung gemacht hat, wie viele miteinander verknüpfte und bis dahin unbewusste Vorstellungen durch ein einziges Erlebnis ihre Selbstverständlichkeit verlieren können, wird dies vermutlich bestätigen. Bestandteil kultursensibler Arbeit ist zwar der Respekt vor den Werten anderer. Das Ziel besteht jedoch nicht darin, diese Werte und Selbstverständlichkeiten unangetastet zu lassen und gar nicht erst in Frage zu stellen. Vielmehr unterstützt kultursensible Aufklärung das Gegenüber darin, sich selbst dieser Werte bewusst zu werden und sie dadurch letztendlich auch verändern zu können. Das fügt der Herausforderung von Kultursensibilität eine weitere Facette hinzu: die Notwendigkeit, Tabus zu brechen und also in einem gewissen Maß doch unsensibel zu scheinen. Praktisch ist das z.B. möglich, indem das Team Migrationsfamilien mit dem Modul „Blaue-Gelbe-Gruppe“ Diskussionen anregt, Vorurteile formulieren lässt, sie aushält und nicht bewertet. Durch das Aussprechen der Vorurteile verlieren diese Vorstellungen bereits ihre Selbstverständlichkeit und können diskutiert werden. Für viele ist es das erste Mal, ihre Vorbehalte, Vorurteile und festen, aber unbewussten Vorstellungen überhaupt auszusprechen. Sie werden eingeladen, in der Gruppe zu diskutieren, während die Teammitglieder lediglich moderieren. Dabei werden den TeilnehmerInnen nicht einfach nur andere Werte oder Vorurteile entgegen gehalten. Respekt zeigt sich vielmehr darin, das Gegenüber darin zu unterstützen, sich die jeweiligen Selbstverständlichkeiten bewusst zu machen, sich mit abweichenden (z.B. den eigenen oder weiteren) Werten zu konfrontieren und selbst den Dialog zu suchen. Entscheidend ist, die Wertschätzung des Gegenübers und seiner Weltsicht immer wieder deutlich zu machen, da sonst kein Dialog möglich ist. Nach unserer Erfahrung sind Hinweise auf die Vielfalt von Werten auch in der jeweiligen eigenen Kultur äußerst hilfreich: Dies lädt die TeilnehmerInnen dazu ein, immer wieder neue Perspektiven einzunehmen und sich damit auch von eigenen Vorurteilen zu lösen. Diese Bereitschaft, die von den TeilnehmerInnen eingefordert wird, muss natürlich in erster Linie von den Teammitgliedern auch geleistet werden. Die Teammitglieder müssen interkulturell kompetent sein: Sie sollten entweder über ein grundlegendes Wissen über die jeweils andere Kultur verfügen oder bereit und neugierig sein, die Wissenslücken zu füllen und selbst zu lernen. Sie müssen außerdem in der Lage sein, andere Standpunkte einzunehmen, sich selbst zu reflektieren und in Frage zu stellen, Widersprüche, eigene Unsicherheiten und Konflikte 25 Einstimmung und Referate auszuhalten. Eine solche Bereitschaft von Seiten der Teammitglieder unterstützt den „Dialog auf Augenhöhe“ mit den TeilnehmerInnen und ist eine überzeugende Einladung, sich auf das Wagnis und die Herausforderungen von Enttabuisierung und Wertediskussion einzulassen. Kultursensibilität ist also nicht an ein wissenschaftliches oder pädagogisches Diplom gebunden; sie ist lernbar und erschöpft sich nicht in der Kenntnis der Sprache oder des kulturellen Hintergrundes, auch wenn beides hilfreich ist. Aufklärung ohne Sexualaufklärung Kultursensible Arbeit wird also durch die Achtung vor der Kultur und den Werten des jeweiligen Gegenübers für beide Seiten zur Herausforderung. Kultursensible Aufklärung zum Thema Homosexualität scheint ein Widerspruch in sich zu sein: Das Thema Homosexualität selbst ist eines der am weitesten verbreiteten Tabus. Gleichzeitig eint die Verurteilung von Homosexuellen die verschiedensten Kulturen und Autoritäten weltweit. So stellen sich dann die Fragen, wie überhaupt kultursensibel, also auch mit Sensibilität vor Tabus, über das Thema gesprochen werden kann? Und wie kann „Aufklärung“ als ein gleichberechtigter, ein „Dialog auf Augenhöhe“ praktiziert werden? Die Arbeit des Projektes Migrationsfamilien löst sich zum einen vom weitverbreiteten Verständnis von „Aufklärung“ als einer Art der Belehrung. Diskussionen werden moderiert, nicht aber bewertet, die „Richtigkeit“ von Antworten in den Spielen wird von den TeilnehmerInnen selbst beurteilt. Zum anderen verfolgt das Projekt den (traditionell philosophischen) Anspruch, starre und überholte bzw. diskriminierende Vorstellungen und Vorurteile durch Wissen und Informationsvermittlung zu überwinden. In Diskussionen (von Werten) werden gleichgeschlechtliche Liebes- und Lebensweisen enttabuisiert, und durch die Unterstützung von Selbstreflexion wird für Vielfalt und Veränderung sensibilisiert. Z.B. in der spielerischen Form des Quiz „Gay Pursuit“ werden Wissen und Anregungen zum Nachdenken vermittelt. Im Rollenspiel „Hattice bittet um Rat“ hingegen bringen die TeilnehmerInnen ihre eigenen Erfahrungen und Wissen als Eltern und Angehörige ein und diskutieren miteinander Strategien zur Bewältigung von möglichen familiären Konflikten. Ist das Eis in einer Veranstaltung erst einmal gebrochen, stellen die TeilnehmerInnen oftmals viele Fragen, die sehr persönlich werden können und manchmal die Teammitglieder selbst unsicher werden lassen. Die meisten Fragen beziehen sich auf das Alltags- und Beziehungsleben, auf Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft. Sie sind Anzeichen für 26 Einstimmung und Referate den Erfolg der Aufklärungsarbeit: Sie zeigen, dass das Tabu, das „Sprechverbot“ über Homosexualität bereits gebrochen ist, sie beweisen Wissbegierde der TeilnehmerInnen und die zunehmende Bereitschaft, sich mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Hin und wieder werden zwar auch Fragen zur Sexualität (z.B. im Zusammenhang mit HIV/AIDS oder Kinderwunsch) gestellt. Diese jedoch zielen i.d.R. nicht auf eine Sexualaufklärung, sondern sind in die Komplexe „Gesundheit“, „Verantwortung“, „Familie“ und „Kinder“ eingebettet. Es ist sinnvoll, diese Fragen dann auch in den entsprechenden Kontexten zu beantworten und daraus keine Sexualaufklärung werden zu lassen. Wenn es gelingt, die Gemeinsamkeiten zwischen den (heterosexuellen) TeilnehmerInnen und den (homosexuellen) Teammitgliedern überzeugend darzustellen, ist einer der wichtigsten Schritte zu Enttabuisierung und Respekt geschafft. Aus diesem Grund werden Lebensweisen, Beziehungsfragen, Fragen der Lebensplanung und rechtlichen Anerkennung usw. thematisiert und keine Sexualaufklärung betrieben. Und die Praxis? Aber wo und wie kann man nun Migrantinnen und Migranten erreichen? Die Antwort ist einfach: „Überall da, wo sich Menschen treffen“. Auf der ganz praktischen Ebene sind das zum Beispiel je nach Ort Nähgruppen, Frühstücks-, Gemeinde- oder „Kiez“treffs, Nachbarschaftshäuser, Kaffeekränzchen, Interkulturelle Zentren, Stammtische, Sportvereine und viele mehr. Sinnvoll ist es immer, GruppenleiterInnen anzusprechen. GruppenleiterInnen werden von den TeilnehmerInnen meist sehr respektiert. Wenn man sie als „Türöffner“ gewonnen hat, ist schon viel erreicht. Da in vielen Kulturen die Gastfreundschaft einen respektvollen Umgang mit Gästen sichert, bietet es sich an, sich von der Gruppenleitung einladen zu lassen und als Gast aufzutreten. Die Rolle als Gast beinhaltet aber auch entsprechende Erwartungen an das Verhalten, den Respekt vor den Hausherren und den Regeln der Gruppe. Diese oftmals auch ungeschriebenen Regeln können und sollten auch bei der Gruppenleitung vorher erfragt werden, um sie nicht unbewusst zu brechen. Wenn Angehörige von Homosexuellen in Gruppen mit Migrationshintergrund Aufklärungsarbeit betreiben, haben sie im Vergleich zu jungen Homosexuellen einen Vorteil: Sie können aus einer eigenen Art von „Betroffenheit“, eben als Angehörige sprechen. In diese Position können sich die TeilnehmerInnen tendenziell leichter hineinversetzen als in die Rolle BET-Reader 2009 von Homosexuellen selbst. Menschen, die selbst ein Coming out als Angehörige von Homosexuellen durchgemacht haben, haben unter Umständen ähnliche Gefühle, Unsicherheiten und Ängste erlebt, die die Berührungsängste und Vorurteile der TeilnehmerInnen in Aufklärungsveranstaltungen bewirken. Elterliche Sorgen im weitesten Sinne sind außerdem Erfahrungen, die Angehörige von Heterosexuellen und von Homosexuellen gemeinsam haben. Beide, die Ängste beim Coming out und die elterlichen Sorgen um das Kind, bilden die Grundlage für die „kulturelle Übersetzung“ und den gesuchten Dialog. Es ist auf jeden Fall überzeugend, wenn die Gäste sich mit ihrer eigenen Erfahrung einbringen. Wenn Fragen auftauchen, die den Gästen zu persönlich sind oder auf die man keine Antwort weiß, ist es nicht nur angebracht, sondern kann auch Respekt verschaffen, diese Fragen nicht zu beantworten und Unsicherheiten zuzugeben oder persönliche Grenzen zu setzen. Eine solche Wahrung der Persönlichkeitsrechte wird in den meisten Fällen mit Achtung registriert. Die Antwort auf die Frage nach dem „Wie kann man sie erreichen?“ ist natürlich auch kompliziert: es braucht manchmal viel Beharrlichkeit, immer neue Versuche, manchmal etwas Glück und persönliche Sympathie. Vor allem aber sind es Kontaktbereitschaft und Neugierde, der Wille, seine Erfahrungen zu teilen und von denen anderer zu lernen, die Kontaktaufnahme ermöglichen und die Gruppenleitung zur Durchführung einer solchen Aufklärungsveranstaltung überzeugen können. Die Reaktionen in den Gruppen können dann von überraschend offen bis völlig ablehnend reichen. Wenn auch nur eine Person dabei ist, die die ganze Zeit nur von der Sünde oder der Widernatürlichkeit von Homosexualität gesprochen hat und irgendwann einen unerwartet nachdenklichen Gesichtsausdruck zeigt oder gar selbst anfängt, über homosexuelle Bekannte oder Verwandte (nicht Kinder!) nachzudenken - ist mitunter schon viel gewonnen. Dann hat ein Denkprozess eingesetzt, der mit Sicherheit noch über das Ende der Veranstaltung hinausreichen wird und vielleicht zu einem Anruf bei einer Elterngruppe des BEFAH oder einer hoffentlich sensiblen Familienberatung führen wird. Und das sind die Erfahrungen, die jede Aufregung und Unsicherheit vor und in einer Aufklärungsveranstaltung wettmachen. Das ist das Lohnenswerte an der Herausforderung „Kultursensible Aufklärung zum Thema Homosexualität“. BET-Reader 2009 Ilka Borchardt (Projektleiterin), Aleksej Urev (Projektkoordinator) Projekt Migrationsfamilien, LSVD, Pipinstr. 7, 50667 Köln, Tel.: 0221-925961-12, migrationsfamilien@lsvd.de 27 Berichte aus den Elterngruppen Berichte aus den Elterngruppen Elterngruppe Stuttgart – Erika Micale Elterngruppe Freiburg – Doris Eisele Im Januar 2008 erschien im „Stern“ der Artikel „Mama ich bin schwul!“. Daraus ergab sich dann noch ein Termin mit dem „Schwulfunk“ zum Artikel. Außerdem war noch ein Lehrer - Herr Epp - zum Gespräch bei uns zu Hause. – Im Februar 2008 wurden Fernsehaufnahmen in Lorsch bei Familie Schütz für den Norddeutschen Rundfunk (NDR) gemacht; sie wurden dann im ARD-Programm gesendet. Im März 2008 wurde eine Einladung bei den GRÜNEN im Landtag anlässlich 7 Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz wahrgenommen und wir nahmen am BEFAH-Seminar und der Mitgliederversammlung in Nürnberg teil. Die Elterngruppe Freiburg ist sehr gut vernetzt mit den Lesben- und Schwulengruppen in der Region, besonders auch nach Lörrach und über die Grenze in die Schweiz. Während das Freiburger Schulprojekt „Fluss“ die Kooperation mit den Eltern ablehnte, gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Lörracher Jugendgruppe, die aus etwa gleich vielen Mädels und Jungs besteht, sehr international und auch sehr nett ist. So beteiligten wir uns mit einem Stand beim 1. Lörracher CSD; beim Sommerfest der Jugendgruppe waren wir dabei sowie – auf Wunsch der Jugendlichen – bei einem Informationsabend im Herbst. Leider haben diese Jugendlichen zumeist sehr negative Erfahrungen mit ihren eigenen Eltern machen müssen. Die Probleme unserer Gruppe liegen vor allem darin, dass die Eltern fast alle voll berufstätig sind und dadurch wenig Zeit haben, dass sie auch sehr verstreut wohnen und dass sie überwiegend nicht so gern an die Öffentlichkeit gehen. Im April 2008 wurde in Karlsruhe an der VHS die Elterngruppe vorgestellt; wir nahmen an der CSDWoche „Schrill im April“ teil und in Ravensburg/Weingarten im Theater Linse diskutierte Herr Frommlet auf der Bühne mit Patern (Ordensgeistlichen). Im Juli 2008 waren wir zum ersten Mal bei der CSDGala-Eröffnung mit einem Infotisch vertreten; eine Mutter meldete sich bei dieser Gelegenheit (es waren ja im Allgemeinen nur Schwule und Lesben da). Es gab dann wieder unsere Teilnahme an der CSD-Parade und mit einem Info-Stand an der AIDS-Hocketse. Im Oktober 2008 besuchten wir Pierre Stutz´ Vortrag in Ditzingen. Im November 2008 war eine junge italienische lesbische Frau zu Hause bei uns zum Gespräch mit meinem italienischen Ehemann. der Anruf von Holger Klotzsche, dass Franziska am 14.04.09 starb … das hat mich gewaltig mitgenommen, aber es muss weitergehen … – Am 16.04. rief das Stuttgarter Wochenblatt an wegen eines Interviews; sie hatten den Artikel in der Filderzeitung gelesen. Am 20.04. fand der Telekom-Hotelbesuch mit Familie Schütz statt und am 21.04. wurde an der VHS in Karlsruhe wiederum die Elterngruppe vorgestellt wie jedes Jahr (mit Eltern aus der Gruppe). Am 23.04.09 wurde das Interview mit dem Stuttgarter Wochenblatt geführt, das dann am 30.04.09 erschien. Es wurden noch alle eingehenden E-Mails zum BET bis gestern abend beantwortet und nun hoffe ich auf ein gutes Gelingen des BET. Elterngruppe Dortmund – Isolde Braun Vielen neuen Eltern haben wir in 2008 telefonisch und schriftlich (BEFAH-Forum) geholfen und erste schriftliche Vorbereitungen fürs BET 2009 in Stuttgart getroffen. Die Dortmunder Elterngruppe wurde im Dezember vorigen Jahres 25 Jahre alt – Christa Bauer und Gudrun Held haben sie aus diesem Grunde und zu diesem Anlass besucht. Während man sich früher in der Volkshochschule traf, wechselte die Gruppe nun ins Selbsthilfezentrum KCR – wobei die Zusammenarbeit mit beiden Institutionen immer sehr positiv verlief. Leider ist die Elterngruppe in ihrer Mitgliederstruktur etwas überaltert, was jedoch die neue Jugendgruppe „Sunrise“ nicht davon abhielt, sie sich zum Beratungsteam zu wählen. Die Kooperation klappt auch immer dann sehr gut, „wenn es irgendwo brennt“ – ansonsten trifft man sich alle paar Monate. Die Elterngruppe beteiligt sich auch aktiv am neuen Dortmunder CSD und beantwortet laufend sehr viele email-Anfragen, während neue persönliche Kontakte eher selten sind. Im Jahre 2009 fassten wir dann den Entschluss, ein Häuschen im Norden als Rentnerruhesitz zu erwerben. In Verbindung damit haben wir arbeitsmäßig die Altersteilzeit eingereicht und eine Nachfolge für die Elterngruppe gesucht und auch gefunden: Frau Andrea Wanner wird ab 1. Januar 2010 die Leitung der EG Stuttgart übernehmen. Ich bleibe jedoch der EG erhalten, da sich der Traum vom Häuschen zerschlagen hat. Im Januar 2009 stießen drei neue Eltern zu unserer Gruppe; es standen die Telekom-Hotel-Besichtigung an und die Aufgaben, Briefe zu schreiben an PolitikerInnen zum BET und Grußworte anzufordern. Im Februar 2009 waren wir in Karlsruhe zum Theaterstück „Egohelden“ über das Coming out für SchülerInnen und sahen im März 2009 den Kino-Film „Milk“. Ferner standen das Schreiben von Erinnerungen und der Pressemitteilung zum BET an. Im April 2009 erhielten wir einen Anruf von der Filderzeitung zum Interview, das am 14.04. geführt wurde und am 16.04.09 erschien. Dann erreichte uns 28 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 29 Berichte aus den Elterngruppen Berichte aus den Elterngruppen Elterngruppe Nürnberg – und EuroFLAG – Inge Breuling Elterngruppe Bremen – Werner Steinmeyer Inge Breuling ist nicht nur die Vorsitzende der Nürnberger Elterngruppe, sondern zugleich auch Vorstandsmitglied des örtlichen Lesben- und Schwulenvereins Fliederlich e.V., so dass dadurch eine gute Vernetzung gegeben ist. In der Elterngruppe selbst herrscht ein stetiger Wechsel von Personen insofern als immer wieder neue Eltern dazustoßen, dann aber nach einiger Zeit auch wieder weg bleiben. Sorgen bereiten türkische Migrantinnen aus Anatolien, die kein Deutsch sprechen und als Analphabetinnen das vorhandene Informationsmaterial in türkischer Sprache nicht lesen können. Ihre Ehemänner könnten zwar beides, aber die sollen lieber nicht erfahren, dass ihre Kinder lesbisch bzw. schwul sind! Problematisch ist ansonsten in Nürnberg auch, dass Mitteilungen – schon allein nur der Termin der Elterntreffen – nur ganz schwer in der örtlichen Presse unterzubringen sind. Die beim Nürnberger Schulprojekt aktiven Jugendlichen wollen dies lieber ohne Beteiligung von Eltern durchführen; mit dem Erlanger Schulprojekt hingegen ist jetzt eine Kooperation zustande gekommen. Im vorigen Jahr hat die Nürnberger Gruppe die BEFAH-Mitgliederversammlung mit Seminar in ihrer Stadt vorbereitet und durchgeführt. Ferner wurde die Gruppe vom neuen schwulen Fernsehsender Timm angefragt wegen einer Teilnahme an dem dortigen „Talk-Format“ „Timmousine“; Inge Breuling hat diese Gelegenheit wahrgenommen und ihre Mitfahrt im Talk-Taxi „Timmousine“ ist inzwischen erfolgt. Die Elterngruppe Bremen wurde im Jahre 1989 von Uschi Schulze im Rat & Tat-Zentrum für Schwule und Lesben in Bremen ins Leben gerufen. Als Betroffene hatte auch sie das Bedürfnis, sich mit anderen Eltern homosexueller Kinder über die Sorgen und Probleme auszutauschen, die sich vor allem nach dem ComingOut einstellten. Diese Gruppenarbeit führte sehr bald dazu, dass sich das Verhältnis zu den Töchtern und Söhnen verbesserte und die betroffenen Eltern wieder Freude daran hatten, in Harmonie mit ihren Kindern weiterleben zu können und ein verständnisvolles Miteinander zu erreichen. Durch die Verbindung zum Rat&Tat-Zentrum kamen immer mehr Eltern zu uns, so dass wir auch immer gut besucht wurden. Leider wird dieser Zulauf in den letzten Jahren immer weniger. Das daraufhin beantragte, bewilligte und nunmehr abgeschlossene EU-Projekt trug die offizielle Bezeichnung „Family Matters - Supporting families to prevent violence against gay and lesbian youths“ und zielte somit (ins Deutsche übersetzt und zugleich ein wenig erklärt) darauf ab, wie man Familien mit schwulen und lesbischen Jugendlichen darin unterstützen könne, auf einer Basis der innerfamiliären Akzeptanz einen psychologisch starken Rückhalt gegen soziale Stigmatisierung und Diskriminierung bis hin zu Akten antihomosexueller Gewalt aufzubauen. Über 200 Familien aus den drei genannten Ländern waren in das Projekt einbezogen worden. An der Abschlusstagung im Juni 2008 in Florenz nahmen auch Frau Dum und zwei weitere Mitglieder der Familiengruppe von Lambda Istanbul teil. EuroFLAG plant nun für die nächste Zukunft, das erarbeitete Projektmaterial auch in andere europäische Sprachen übersetzen zu lassen und hofft, dann besonders in jenen EU-Mitgliedsstaaten, in denen es noch überhaupt keine staatliche Unterstützung für lesbische und schwule Jugendliche und ihre Familien gibt, damit die erforderlichen Entwicklungen in Gang setzen zu können. (In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Webseite von EuroFLAG jetzt unter www.euroflag.net zu erreichen ist und nicht mehr unter www.euroflag.org!) Inge Breuling ist auch aktiv als Repräsentantin des BEFAH im im Jahr 2000 gegründeten europäischen Dachverband der Elternorganisationen EuroFLAG (European Organisations for Families of Lesbians And Gays). Dazu gibt es derzeit nichts zu berichten außer dem Abschluss eines von der EU über zwei Jahre im Rahmen des sozialwissenschaftlich-sozialpolitischen Programms „Daphne II“ geförderten Projektes der drei EuroFLAG-Mitgliedsorganisationen in Italien (AGEDO), Spanien (AMGIL) und Großbritannien (FFLAG). Dem war eine Pilotstudie an der Universität London vorausgegangen, in der in sehr kleinem Rahmen junge Lesben und Schwule und deren Familien in Frankreich, Belgien, Deutschland und Großbritannien zu den Rahmenbedingungen des Coming outs befragt worden waren. Gemeinsam mit dem Rat&Tat-Zentrum haben wir uns an Unterschriften-Aktionen in der Bremer Innenstadt beteiligt und gegen die Präsenz der Evangelikalen anlässlich des „Christival“ im Jahr 2008 drei Tage lang protestiert. Hier hatten wir viel Zuspruch aus der Bevölkerung, so dass wir den konservativen Christen ausreichend Paroli bieten konnten. Unsere gemeinsamen Ziele waren und bleiben daher: – Die Verständigung zwischen homo- und heterosexuellen Mitbürgern zu fördern; – Vorurteile abzubauen und die Akzeptanz zu fördern; – Für sich und für die betroffenen Frauen und Männer Homosexualität zu akzeptieren und beherzt offen damit umzugehen; – Die Rechte unserer Töchter und Söhne zu verbessern. Mitglieder der Elterngruppe Bremen nahmen schon früh an überregionalen Treffen von Elterngruppen teil und waren somit auch bei den Gründungsveranstaltungen von BEFAH im Jahre 1997 in Hamburg und 1998 in Laatzen dabei. Seit dem haben wir die große Unterstützung durch BEFAH schätzen gelernt und sind sehr dankbar dafür. Hier beteiligen wir uns auch an den Kirchentagen, auf denen BEFAH präsent ist. So im Mai auf dem 32. Deutschen Evangelischen Kirchentag bei uns in Bremen. Um auch im regionalen Bereich mehr Einfluss zu politischen Gremien zu bekommen, sind wir zusammen mit anderen Interessengruppen am Lesbisch-Schwulen-Runden-Tisch beim Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in Bremen beteiligt. Hier beteiligen wir uns an etlichen Aktivitäten wie Fragebogenaktionen, Filmreihen, Protestschreiben, Eingaben an die Bremische Bürgerschaft usw. Übereinstimmend wurden diese in allen vier Ländern als sehr unbefriedigend beschrieben: Die Aufklärung zum Thema Homosexualität im Schulunterricht war sehr dürftig bis nicht vorhanden und in keiner Weise hilfreich; gleiches galt für die Darstellung in den Medien, die als vorwiegend auf die Bedienung von Klischees und Stereotypen gerichtet und als fern der Lebenswirklichkeit junger Menschen beschrieben wurde. 30 Die Bremer Elterngruppe (v.l.n.r.): Werner Knebel, Mechthild Mehrtens, Werner Steinmeyer, Uschi Schulze (Leiterin) und Josef Hudalla Es gibt noch viel zu tun und wir werden so lange wie möglich aktiv bleiben. BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 31 Berichte aus den Elterngruppen Berichte aus den Elterngruppen Elterngruppe Lorsch Elterngruppen Paderborn und Gütersloh Gabi und Willibald Schütz haben uns bei der Erstellung des neuen Flyers große Hilfe geleistet. Willibald Schütz war als Vorstandsmitglied bei der Vorbereitung des BET 2009 maßgeblich beteiligt. Beide sind über die Selbsthilfekontaktstelle des Kreises Bergstraße zu erreichen und vertreten hier BEFAH. Sie widmen sich der Aufgabe, Eltern, Freunde und Angehörige von Homosexuellen zu stärken und zu unterstützen. Sie helfen aber auch Lesben und Schwulen, die sich aus religiösen oder sonstigen Gründen selbst ablehnen, aus Angst vor Diskriminierung völlig isoliert leben und es nicht wagen, sich gegen Benachteiligung und Verletzung ihrer Menschen- und Bürgerrechte zu wehren. Auf große Resonanz stieß der Artikel im Stern „Mama, ich bin schwul!“ (erschien im Januar 2008). Die Lorscher Gruppe trifft sich nicht regelmäßig, sondern nur auf Verabredung. Paderborn: Edda Zeileis und ihr Mann sind in Paderborn bemüht, ihre Elternarbeit in einer überwiegend katholisch geprägten Umgebung fortzusetzen. Das dies nicht immer leicht ist, konnten wir vom BEFAH zusammen mit ihnen beim Katholikentag 2008 in Osnabrück erleben. Katholische Eltern haben in der Öffentlichkeit keine Probleme mit ihren lesbischen und schwulen Kindern, weil sie meist nicht darüber reden. In den Gesprächsrunden, die wir bei den Kirchentagen anbieten, reden sie offen über das, was sie sonst verdrängen. Bis zu einer Mitarbeit in einer unserer BEFAH Gruppen ist es aber noch ein langer Weg. Marianne und Detlef Kerkhoff (Gütersloh) Gütersloh: Außer der Paderborner Gruppe wird es ab September 2009 eine weitere Elterngruppe in Gütersloh geben. Ansprechpartner werden dort Marianne und Detlef Kerkhoff sein. Die Gruppe hat bereits Kontakt aufgenommen zur Gleichstellungsbeauftragten des Kreises, zur Polizei und zur Beratungsstelle pro familia. Gabi Schütz (Lorsch) Elterngruppe Dresden Nach dem Tod von Franziska Klotzsche hält Eveline Seidel die Verbindung der Elterngruppe Dresden zu BEFAH aufrecht. Die Gruppe hat im Moment 20 aktive Mitglieder, davon 8 Elternpaare und 4 Einzelmitglieder. Wir treffen uns gewöhnlich einmal im Monat zur Aussprache, aber auch zu thematischen Gesprächen, teilweise mit eingeladenen Fachleuten. Eveline Seidel (Dresden), hier mit Detlef Kerkhoff (Gütersloh) Durch den Tod von Frau Klotzsche ist in diesem Jahr einiges weggefallen, was eigentlich geplant war. So haben wir nicht am CSD in Dresden und Leipzig und auch nicht am „Runden Tisch Transgender“ in Berlin teilgenommen. Die Gruppe strukturiert sich gerade neu, so dass im nächsten Jahr wieder mit einer normalen Arbeit zu rechnen ist. Dieses Jahr haben wir noch eine kleine Wanderung und einen Abend mit Filmen zum Thema geplant. Neben der Gruppenarbeit führt Holger Klotzsche nach wie vor die Telefonberatung für Eltern durch. 32 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 33 Berichte aus den Elterngruppen Berichte aus den Elterngruppen Elterngruppe Hamburg – Sabine Fischer Elterngruppe Hannover – Elvira Gatz Sabine Fischer übernahm die Leitung der Elterngruppe aus den Händen von Günther Stümpel, der nunmehr seinen 80. Geburtstag feiern konnte. Sie selbst ist erst seit einem Jahr dabei und erfuhr, dass seit etwa 2002 „viel weggebröckelt“ sei und die Gruppe nunmehr sehr klein ist. Die Beratungsarbeit im Sinne einer „Notfallklinik“ läuft gut, aber an Lobbyarbeit und PR-Arbeit leistet die Gruppe derzeit kaum etwas – das ist auch im Moment „noch nicht so ihr Ding“. Die Kooperation mit dem MHC (MagnusHirschfeld-Centrum, das Hamburger Lesben- und Schwulenzentrum; der Redakteur) ist produktiv – so erschien kürzlich eine gemeinsame Pressemitteilung im Hamburger Abendblatt und in Vorbereitung ist ein Infotreff mit Jugendlichen im MHC, die wohl zum Teil auch ihre Eltern mitbringen werden. Die Teilnahme der Gruppe am Hamburger CSD ist geplant. Wir versuchen in unserer Elterngruppe die Arbeit vor Ort wie auch die Arbeit für den Bundesverband zu koordinieren. Immerhin sind in unserer Gruppe vier Mitglieder, die dem Vorstand angehören und sechs Mitglieder, die im Beirat sind. Das führt sehr oft zu großem Einsatz auch der anderen Gruppenmitglieder für den Bundesverband. Der Vorteil ist sicher ein lebendiger Bezug zur Praxis, denn alle bringen ihre Ideen und Erfahrungen ein, die der Vorstand für die gesamte Arbeit nutzen kann. So haben wir gemeinsam eine Buchauswahl für das BET in Stuttgart vorbereitet und die Bücherliste ergänzt. Wir haben dem LSVD die Gelegenheit gegeben, das Projekt „Homosexualität in Migrationsfamilien“ vorzustellen, um es anschließend in das Programm für das BET zu übernehmen. Auch der Aufbau einer neuen BEFAH-Elterngruppe in Gütersloh / NordrheinWestfalen wurde in Gesprächen mit dem notwendigen Hintergrundwissen der Gruppe begleitet. immer von vielfältigen Homophobien geprägten Gesellschaft zur Sprache kommt. Wir freuen uns, wenn wir Berichte über gelungenes schwules und lesbisches Leben hören, da wir ja auch wissen, wie schwer eine Identitätsfindung unserer Kinder war und ist. Wir pflegen unsere Gemeinschaft auch mit Veranstaltungen, die auch andere Themen zulassen. Ein Gang über den Weihnachtsmarkt in Hannover, ein gemeinsames Essen oder ein Glas Bier an einem lauen Sommerabend in einem Lokal am Leineufer gehören dazu und tun uns allen gut! Die aktive Teilnahme von BEFAH an der offiziellen Gedenkfeier anlässlich des 64. Jahrestages der Befreiung des Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen wurde von der Gruppe Hannover aus organisiert, und deren Mitglieder haben vor Ort einen Kranz für die verfolgten Homosexuellen des NS-Regimes niedergelegt. Eine vom Referat für Frauen und Gleichstellung initiierte Ausstellung der Stadt Hannover mit dem Titel „Vom anderen Ufer … Hannovers verschwiegene Geschichten“ (vom März bis September 2009 im Historischen Museum) fand unser großes Interesse, da hier auch etwas über die Gründungsgeschichte von BEFAH zu sehen ist. Zeit bleibt aber immer auch für unsere persönlichen Gespräche, in denen die Sorge um die Zukunft unserer Töchter und Söhne und deren Leben in einer noch 34 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 35 Berichte der ausländischen Gäste Zur Situation in der Türkei, speziell in Istanbul – Günseli Dum und Ulrike Öztek (Lambda Istanbul) Elternarbeit in Argentinien (und in der übrigen spanisch-sprechenden Welt) – Irmgard Fischer (PFALyG) Die Lambda Istanbul Familiengruppe (LISTAG) ist eine Selbsthilfegruppe für Eltern, Geschwister, Verwandte und Freunde von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen / Transgendern (LGBTT). Als Familiengruppe führen wir die Familien und Freunde zusammen und versuchen, ihnen in der Zeit bis zum Coming-out beizustehen. Irmgard Fischer ist in Deutschland geboren, lebt aber seit ihrem 4. Lebensjahr in Argentinien. Ihre Tochter heiratete mit 18 Jahren nach Deutschland; ihr ebenfalls in Argentinien geborener und aufgewachsener Sohn Robert folgte seiner Schwester zwei Jahre später. Seiner Mutter zuliebe engagiert er sich in der Stuttgarter Elterngruppe. Das erste Treffen fand im Januar 2008 statt. Zuerst trafen wir uns zu Hause oder in Café‘s und versuchten dort den Familien „beim Sich-Näherkommen“ zu helfen. Im Mai hatten wir dann unser erstes Treffen in der jetzt üblichen Form, wobei wir uns nur unterhalten, essen und trinken. Unsere Gruppe trifft sich jeden Samstag und gibt Angehörigen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen die Gelegenheit, ihre Erfahrungen auszutauschen; auf der anderen Seite helfen wir ihnen, sich auf das Coming-Out vorzubereiten. Es ist sehr schwer in der Türkei, homosexuell zu sein. Der Autor und Dichter Murathan Mungan sagte in einem seiner Kommentare „Wenn sie sichtbar werden wollen, sind sie ein Teil der Politik. Kurz gesagt, ohne politisch zu sein, können sie auch nicht homosexuell sein. Sie sind dann nur eine Person, die mit einer gleichgeschlechtlichen Person schläft. Wenn es ihnen genügt, dass sie mit einem gleichgeschlechtlichen Menschen schlafen, lässt sie das gegen den Druck des Systems widerstandslos und hilflos sein.“ Lesben und Schwule müssen sich wegen der Diskriminierung verstecken; lebten sie offen, erhielten sie von vornherein keine Arbeit, schon gar nicht im Öffentlichen Dienst. Dabei gibt es in der Türkei kein Gesetz gegen Homosexuelle; sie existieren offiziell gar nicht. Morde an Transsexuellen werden von der Polizei kaum ernsthaft verfolgt. Es ist auch schwer, in der Türkei ein lesbisches, schwules, bisexuelles oder transsexuelles Kind zu haben. Man hat Angst vor dem Druck der Familien, dem Druck der Freunde, man hat Angst, die Arbeitsstelle zu verlieren und scheut sich davor, das eigene Kind zu akzeptieren. Um noch mehr Familienangehörigen von LGBTT zu helfen, versuchen wir, mit Hilfe der Medien auf uns aufmerksam zu machen. Über die folgenden Adressen können Sie mit uns Kontakt aufnehmen: Unser Blog: http://listag.wordpress.com Telefon: 0090-212-244 57 62 E-mail: listag@lambdaistanbul.org oder contaclistag@gmail.com 36 Berichte der ausländischen Gäste Wie in anderen Ländern auch, haben wir meistens das Problem, dass sich Familien alleingelassen fühlen; man denkt „Warum gerade mein Kind?“; es folgen Selbstvorwürfe, Gedanken an Heilung, Psychiater, die falsch beraten und Heilung versprechen. Man hat Angst, die Partner des Kindes zu akzeptieren und die Kommunikation mit dem Kind wird schwerer oder reißt ganz ab. Darum müssen wir uns weiterbilden und uns mitteilen. Als Familiengruppe sind wir in der Türkei die ersten und immer noch die Einzigen. Der Unterschied zu den Familiengruppen in Europa ist, dass wir auch Familienangehörige von Transsexuellen unter uns haben und gemeinsam kämpfen. Unsere Gruppe redet über die Probleme bis zum und nach dem Coming out und tauscht ihre Erfahrungen aus, außerdem lernen wir immer wieder etwas dazu. Lambda Istanbul ist der einzige Verein für Lesben und Schwule und auch deren Eltern. Weitere Vereine gibt es in der Türkei noch in Ankara und Izmir, zu denen Lambda Kontakt hält. Wir treffen uns einmal im Monat im Verein für Sexualforschung und Rehabilitation (CETAD) und reden dort mit Hilfe von freiwillligen Psychologen über unsere Probleme. Jeder, der erfahren hat, dass ein Angehöriger schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell ist, kann zu unseren Treffen kommen, seine Erfahrungen austauschen oder um Rat fragen. Bei diesen Treffen geht es meistens um die Zeit nach dem Coming out. Was haben die Angehörigen gefühlt? Der erste Schock, die Zeit der Verdrängung, Wut und Selbstvorwürfe, die Phase der Anerkennung. Danach die Lernphase und der Wiederaufbau der Kommunikation mit dem Kind; wir brechen unsere Tabus und reden auch offen über Sexualität. Wir als LISTAG kommunizieren und arbeiten mit Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen zusammen. Gemeinsam protestieren wir gegen den Schließungsprozess vom Lambda-Verein, der vom Regierungsbezirk Istanbul angestrengt wurde und gegen den sich der Verein mit eigenen Anwälten erfolgreich gewehrt hat. Wir veranstalten Lesestunden und bereiten Aktivitäten für den CSD vor (Onur Haftasi). Einen CSD gibt es in Istanbul seit etwa 7 bis 8 Jahren; darüber wird in den Medien berichtet und zu Angriffen auf die TeilnehmerInnen – wie etwa im Vergleich in osteuropäischen Ländern – kam es bisher erfreulicherweise nicht. - Im letzten Jahr waren wir in Italien bei der Abschluss-Veranstaltung zum EuroFLAG-Projekt „Family Matters“ dabei (siehe hier den Bericht zur Elterngruppe Nürnberg und zu EuroFLAG – der Redakteur). Wir motivieren und unterstützen uns bei Problemen wie Namensänderungen und Wehrdienst. Die Gruppe verfügt über eine Internetseite und erhält viele Anrufe und emails auch aus ländlichen Regionen. Unsere wichtigste Aktivität aber ist unsere Broschüre, die ein Wegweiser für Angehörige von Schwulen, Lesben und Bisexuellen ist. Eine zweite Broschüre für Angehörige von Transsexuellen wird auch in Kürze fertig sein. BET-Reader 2009 „Zu derem 10-jährigen Bestehen im Jahr 2003 erschien in der entsprechenden Festschrift die Geschichte unserer Elterngruppe in Buenos Aires, Argentinien,“ begann Frau Fischer ihren Bericht. „Einige werden sich vielleicht noch daran erinnern; ich erzähle aber nochmal kurz von der Entstehung unserer Gruppe, da dieselbe eng mit der Stuttgarter Gruppe verbunden ist. Unsere Elterngruppe in Buenos Aires besteht seit dem Jahre 1996. Sie wurde von der Mutter einer in Kanada lebenden lesbischen Tochter und von mir gegründet. Sie war die erste Gruppe dieser Art in Argentinien, und wahrscheinlich in ganz Lateinamerika. Währenddessen besteht noch eine kleine Gruppe in einer Zentralprovinz von Argentinien, die sich aber nicht regelmäßig trifft. Wie kam es dazu, dass diese erste Elterngruppe in Argentinien entstand? Vor 14 Jahren gestand mir mein damals 25jähriger Sohn, der zu der Zeit bereits in Deutschland lebte, bei einem meiner jährlichen Besuche, dass er schwul sei. Das bedeutete für mich einen unerwarteten Schlag. Ich war dieser Lage nicht gewachsen und merkte, dass ich überhaupt nichts über dieses Thema wusste. Mein Sohn, der damals seinen Mut, es mir zu erzählen, bei einer Selbsthilfegruppe geholt hatte, hielt schon die Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln, „Unser Kind fällt aus der Rolle“ für mich bereit. Ich entdeckte eine neue Welt, und das Büchlein wurde mir zur Rettung. Nach meiner Rückkehr nach Argentinien erzählte ich zunächst niemandem von dieser Angelegenheit. Ich erhielt von zwei Seiten Hilfe: von meinem eigenen Sohn, der mir Bücher zum Thema zuschickte, und von der Leiterin der Stuttgarter Elterngruppe, Frau Micale. Als ich ihren ersten Brief erhielt, liefen mir die Tränen über das Gesicht. Ich konnte es nicht fassen, dass eine mir unbekannte Mutter mir so voller Verständnis und Trost entgegenkam. Ich fühlte mich nicht mehr alleine. Bald lernten wir uns persönlich kennen; es entstand eine schöne Freundschaft und durch Frau Micale wurde mir auch die Stuttgarter Elterngruppe vertraut. BET-Reader 2009 Nach kurzer Zeit erzählte ich meinen Familienangehörigen, einigen Verwandten und Freundinnen von dem Thema. Und da ich erfahren hatte, dass es in Argentinien keine Elterngruppe gab, entstand bei mir langsam der Gedanke, eine zu gründen. Ich verspürte den Wunsch, die Hilfe, die ich von der deutschen Elterngruppe erfahren hatte, an andere weiterzugeben. Ich tat mich mit einer anderen Mutter zusammen, und die Gruppe entstand. Zu Anfang erfuhr die Öffentlichkeit nichts davon. Wir verteilten Werbeprospekte in den Schwulengruppen, aber es erschienen keine Eltern. Ein Jahr später trat die zweite Mutter zurück, und ich blieb alleine. Ich beschloss, weiter zu machen. Und in dem Jahr begann die Bekanntmachung unserer Gruppe durch öffentliche Medien. Dies war der wahre Beginn unserer Elterngruppe. Es erschienen Eltern und Familienangehörige. Einige von ihnen sind noch heute dabei und bedeuten eine große Hilfe. Unser Arbeitsmaterial erhielten wir z.T. aus der Elterngruppe Stuttgart, die uns immer wieder halfen, und auch aus Washington, USA, mit denen wir eine gute Verbindung aufbauen konnten. Währenddessen ist unsere Gruppe in Buenos Aires sehr bekannt geworden. Wir werden oft um Hilfe gebeten. Die Broschüre „Unser Kind fällt aus der Rolle“ ist von mir ins Spanische übersetzt worden und inzwischen in der 3. Auflage erschienen. Auf der Titelseite zeigt die spanische Fassung eine BarlachSkulptur, bei der eine Person eine andere tröstet. Die Broschüre ist in weiten Kreisen verteilt worden, so z.B. auch in der Evangelischen Theologischen Fakultät und in der Evangelischen Kirche, und wurde auch landesweit in den katholischen Kirchen empfohlen. Daraus ist zu ersehen, wie notwendig solche Aufklärungsliteratur für die Bevölkerung ist. Unsere Gruppe besitzt ihre eigene Webseite www.familiaresdegays.org. Wir treffen uns jeden letzten Samstag des Monats. Die Anzahl der Anwesenden liegt normalerweise zwischen 25 und 30, manchmal zu viel, um jeden einzelnen sprechen zu lassen. Die Gruppe besteht hauptsächlich aus Eltern, aber auch aus mehreren Kindern oder anderen homosexuellen Personen. So haben wir einige homosexuelle Jugendliche als „Kinder“ angenommen. Allerdings ist unser ältestes Kind ein Mann von 89 Jahren, der nie fehlt und uns als seine Familie angenommen hat. Er hat, wenn man sein Alter berücksichtigt, eine nicht sehr einfache Lage für Homosexuelle in unserem Land mitgemacht. Als Spezialfall erleben 37 Berichte der ausländischen Gäste Berichte der ausländischen Gäste leichter. Was uns auffiel, war das Interesse der Jugendlichen, es gab kein Gekicher, wie wir erwarteten. Am dritten Tag fiel aber alles ins Wasser, weil drei „Pfingstler“-Mädchen, Fundamentalistinnen, mit dem Thema „Bibel und Religion“ anfingen, und dieses Thema ist nicht in kurzer Zeit zu behandeln. Wir haben vor, dieses Jahr wieder über das Thema Homosexualität in dieser Schule zu sprechen. Es ist eine evangelische Schule, deren Leiter, ein Pfarrer unserer Gemeinde, uns dabei helfen wird. Im Allgemeinen wird über das Thema Sexualität nicht viel in den Schulen geredet, und schon gar nicht über Homosexualität. wir gerade das schwierige Thema der Transsexualität, auch wenn es ja nicht unbedingt in unsere Gruppe gehört. Ein Elternpaar suchte uns auf, deren Tochter sich als Junge fühlt. Dieses wurde von Ärzten, Rechtsanwälten und Psychologen bestätigt und die Geschlechtsanpassung wird durchgeführt. Die Eltern und der zukünftige Junge fühlten sich bei uns so wohl, dass sie es nicht bereut haben, uns aufzusuchen. Und für uns war es eine neue Erfahrung und jeder hat diesen Jungen gern. Oft werden wir gebeten, uns an Fernseh- oder Rundfunksendungen zu beteiligen. Auch in Zeitungen und Zeitschriften sind wir erschienen. In diesen Artikeln erscheinen normalerweise die Namen der Eltern verändert. Es besteht immer die Angst, erkannt zu werden. Anonymität ist bei den meisten oberstes Gesetz. Ich selbst erscheine mit meinem richtigen Namen und auch Foto. Das sind eben die Spielregeln. Bei der Gründung von neuen Gruppen in Córdoba und Rosario, zwei Städten im Innern des Landes, habe ich persönlich mitgeholfen. Vor ca. 4 Jahren haben eine andere Mutter und ich 3 Tage lang in einer Schule mit 17-jährigen über das Thema Homosexualität gesprochen. Wir verteilten anonyme Fragen auf Zetteln, das war für die Schüler 38 Wir nahmen an mehreren Treffen teil, nicht nur in Argentinien, sondern auch in unserem Nachbarland Uruguay. Im Jahr 2005 fand ein 1. „internationales“ Treffen von spanisch sprechenden Ländern in Buenos Aires, Argentinien, statt. Das Treffen war in einem sehr schönen zentral gelegenen Hotel, und die Kosten wurden von der Firma IBM übernommen, die zu der gleichen Zeit ein eigenes Treffen für ihre homosexuellen Mitarbeiter organisiert hatte. IBM ist eine der nordamerikanischen Firmen, die diesbezüglich sehr offen sind und zu dem Schluss gekommen sind, dass die geouteten homosexuellen Mitarbeiter sich wohl fühlen und sich sehr gut in die allgemeine Arbeit einfügen. Die vertretenen Länder waren in diesem Fall Uruguay, Mexiko, USA (der spanisch sprechende Teil), Argentinien und Spanien. Im Jahr 2007 fand das nächste „internationale“ Treffen spanisch sprechender Länder in Montevideo, Uruguay, statt. Dieses Mal waren, außer den vorher genannten Ländern, eine Menge lateinamerikanischer Länder vertreten, wie Peru, Chile, Ecuador, Kolumbien, Costa Rica, Nicaragua, Panama, Puerto Rico und Brasilien (obwohl man dort ja portugiesisch spricht). Es war ein sehr erfolgreiches Treffen und bei der Gelegenheit wurde die internationale Gruppe „Asociación Internacional de Familias por la Diversidad Sexual (FDS)“, www.familiasporladiversidad.org, gegründet. Der Hauptsitz dieser Gruppe liegt in Barcelona, Spanien. Die Organisation der Gruppe ist noch nicht abgeschlossen. Für September 2010 ist das dritte „internationale“ Treffen spanisch sprechender Länder in Chile vorgesehen, an dem schon jetzt gearbeitet wird. In Argentinien, einem riesigen Land mit nur 38 Millionen Einwohnern, war vor mehreren Jahren das Thema Homosexualität noch tabu. Die größtenteils lateinische Bevölkerung (spanisch und italienisch) war noch an alt überkommene strenge Ansichten BET-Reader 2009 gebunden. Das ist bis zu einem gewissen Grad heute noch so, obwohl z.B. im Fernsehen ständig das Thema Homosexualität vorkommt. Manchmal in ernster Weise, aber leider auch oft ins Lächerliche gezogen. Auf der anderen Seite wird Buenos Aires jetzt bekannt als die Hochburg der Toleranz in touristischer Hinsicht. Buenos Aires wurde zur Schwulenhauptstadt Lateinamerikas. Vor einiger Zeit wurde ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet; seit 2003 ist in der Stadt Buenos Aires, Carlos Paz in der Provinz Córdoba und in der Provinz Río Negro ein Partnerschaftsgesetz gültig. – Das Tangoviertel San Telmo ist berühmt für sein Nachtleben mit stimmungsvollen Restaurants und gilt nunmehr als der Schwulen-Stadtteil von Buenos Aires. Dort besteht jetzt auch ein 5-SterneGay-Hotel der Gruppe „Axel-Hotels“ wie in Barcelona und Berlin – mit allem Luxus versehen, aber auch mit den dazugehörigen Preisen. So kosten die Zimmer zwischen 180 und 350 Dollar pro Nacht. (Die „AxelHotels“ bezeichnen sich als „heterofriendly“, stehen also auch heterosexuellen Paaren offen.) Der CSD-Tag wird in Buenos Aires seit 1992 jeden ersten Samstag im November gefeiert, nicht wie in anderen Ländern am 28. Juni. Im Juni ist Winter in Argentinien, im November Frühling, geeignet für einen Umzug. Dieser wird „Marcha del Orgullo“ genannt (Marsch des Stolzes). Im November 2008 nahmen in der Stadt Buenos Aires 50.000 Menschen daran teil. Im Jahr 1992 waren es erst 250! Es ist ein Ereignis, welches im November zum Stadtbild gehört. Wir als Elterngruppe nehmen erst seit 4 Jahren daran teil, zuerst waren wir nur 4, das letzte Mal schon 11. Die Eltern haben immer eine große Angst, sich zu zeigen, aber es sind jedesmal mehr, die diese Angst überwinden. Und ich muss sagen, dass unser Umzug immer mit einem Gang in ein Restaurant endet, und das ist immer sehr anregend und lustig. Nun habe ich einen kleinen Überblick über das Thema „Homosexualität“ in Argentinien gegeben und über unser Wirken als Elterngruppe. Meinen allerherzlichsten Dank an Frau Micale, denn ohne ihre Hilfe wäre wohl nichts aus unserer Gruppe geworden.“ Anschrift: Padres, Familiares, Amigos de Lesbianas y Gays (PFALyG) Buenos Aires, Argentina Tel.: 0054-11-4765-5531 e-mail: imf@peon4rey.com.ar BET-Reader 2009 39 Berichte der ausländischen Gäste Berichte der ausländischen Gäste Neues aus Island – Gudrun Rögnvaldardottir (FAS) Gudrun Rögnvaldardottir Frau Rögnvaldardottir war bereits beim vorigen Bundeselterntreffen 2007 in Hamburg zu Gast gewesen (vgl. S. 33-34 im Tagungsreader zum BET 2007); inzwischen ist sie selbst von der Vizevorsitzenden zur Vorsitzenden der Elternorganisation FAS aufgestiegen. Nach wie vor arbeitet FAS mit dem „Verein von ’78” zusammen, dem 1978 gegründeten Verband von Schwulen und Lesben in Island, wo seit 1996 die Diskriminierung von Lesben und Schwulen strafbar ist. Das Partnerschaftsgesetz von 1996 erfuhr nach den Änderungen in 2000 und 2006 (Adoption, künstliche Befruchtung u.a.) inzwischen eine weitere in 2008, bei der es um die Partnerschaftsstiftung in der Kirche und in anderen Glaubensgemeinden, die es wollen, ging und die nunmehr – anders als noch 2007 in Hamburg berichtet – jetzt auch möglich ist. Damit sind jetzt in Island alle Rechte und Pflichten bei der homosexuellen Partnerschaft wie bei heterosexuellen Paaren. Es wird aber immer noch von „Ehe“ und „Partnerschaft“ gesprochen. Alle Parteien im neugewählten Parlament haben ihren Willen dazu erklärt, das Gesetz so zu verändern, dass es nur ein Ehegesetz geben wird, gültig für homosexuelle wie heterosexuelle Partnerschaften. Voraussichtlich wird dies noch innerhalb dieses Jahres in die Praxis umgesetzt, gibt sich die Referentin optimistisch. Natürlich hat sich FAS sehr stark für diese Gesetzesänderungen eingesetzt. Seit 1999 gibt es “Reykjavík Gay Pride” jedes Jahr im August. 2008 gab es etwa 70.000 TeilnehmerInnen und ZuschauerInnen (bei einer Gesamtbevölkerung von 320.000!). FAS macht immer mit in der Parade. Wir sind stolz auf unsere Kinder. Seit dem 1. Februar 2009 hat Island mit seiner neuen lesbischen Ministerpräsidentin Johanna Sigurdadottir das erste homosexuelle Regierungsoberhaupt der Welt (sie ist seit 7 Jahren mit einer Frau verpartnert). Eigentlich ist Homosexualität in Island kein Thema mehr, die gesetzliche und soziale Anerkennung weitestgehend erreicht - und dennoch gibt es immer noch Vorurteile und Gewalt, insbesondere unter Jugendlichen. Unterricht, Wissen, Ausbildung! DAS ist daher das Thema von heute. Ansonsten wird FAS langsam irrelevant und schon jetzt gibt es so gut wie keinen Bedarf mehr für FAS als Selbsthilfegruppe. Was macht FAS sonst noch? Gruppen gibt es in Reykjavík und Akureyri; die Elterntreffen finden in jeder Gruppe einmal im Monat statt. Wir veranstalten Seminare, z.B. in Zusammenarbeit mit dem Verein von ’78, und haben Treffen mit der Jugendgruppe vom Verein von ’78. Wir bieten, vermitteln und pflegen Kontakte per Telefon und über unsere Webseite, zeigen politischen Einsatz für gleiche Rechte und die Anerkennung unserer Kinder und Medienpräsenz nach dem Motto „Sichtbar sein!“ – neben dem Gay Pride auch durch Zeitungsartikel, Interviews und Broschüren. Seit 2007 arbeitet FAS zusammen mit dem Verein von ‘78 und den Schulbehörden in Reykjavík daran, GrundschullehrerInnen und andere Schulangestellte über Homosexualität zu unterrichten. Jugendliche Homosexuelle besuchen auch Grundschulen (13- bis 16-jährige) und Gymnasien und sprechen mit den Schülern. Das Ziel dabei ist, Wohlbefinden und Anerkennung von jungen Homosexuellen zu erreichen. Auf eine Nachfrage in der Diskussion hin meinte Frau Rögnvaldardottir, dass man etwa 15 bis 20 Transsexuelle in Island vermutet; etwa so viele hätten sich auch schon an FAS gewandt wegen einer möglichen Zusammenarbeit. Zur Vorgeschichte des Ende 1997 gegründeten Vereins fels gehört auch die Petition der Schwulen und Lesben „Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare“ von 1995, als noch die Mutter einer lesbischen Tochter bei LOS – der LesbenOrganisation der Schweiz – nachfragte „Und wo sind Eure Eltern?“. Als die dann bei der Demonstration „Lesben und Schwule in guter Verfassung“ am 31. Mai 1997 auf dem Berner Bundesplatz mit einem eigenen Transparent „Wir Eltern wollen gleiche Rechte für unsere heterosexuellen und homosexuellen Kinder“ dabei waren, gingen auch die jungen Leute begeistert auf sie zu. Ein Schwerpunkt der Arbeit in der Vergangenheit war der Einsatz für das Schweizer Partnerschaftsgesetz, das doch noch einiger Nachbesserungen bedarf, so etwa in den Bereichen Altersvorsorge, Erbschaft und Steuer. Auch soll das Verbot der künstlichen Befruchtung und der Adoption fallen. Hier besteht sogar ein geradezu grotesker Nachteil im Vergleich zur Situation in Deutschland - nicht nur hinsichtlich des Fehlens der Möglichkeit der Stiefkindadoption, sondern dadurch, dass Adoptionen Lesben und Schwulen nur als Einzelpersonen erlaubt sind (wie in Deutschland auch), aber – und hier ist der Unterschied! – nur solange sie nicht in einer Partnerschaft leben! (Dazu und zu anderen Problemen in Verbindung mit dem Partnerschaftsgesetz reichte genau einen Monat nach dem Bundeselterntreffen ein eigens gegründetes Komitee“Familienchancen“ die Petition „Gleiche Chancen für alle Familien“ ein – näheres siehe z.B. auf der Webseite www.pinkcross.ch – der Redakteur) Der Vorstand des Vereins fels erarbeitet jährlich ein Tätigkeitsprogramm. Unser wichtigstes Projekt ist im Moment Schule und Elternhaus. Dort möchten wir erreichen, dass alle Eltern und auch die Schule es vollständig normal finden, über Homosexualität zu reden. Wir möchten mit einem Versand möglichst alle Oberstufen-Schulgemeinden, Kirchgemeinden, Elternvereine, Ärzte, Psychologen, Sozial- und JugenarbeiterInnen etc. erreichen. Dieser Versand läuft im Moment auf Hochtouren. Denn alle Eltern müssen wissen, dass auch ihre Tochter einmal sagen könnte, ich liebe eine Frau; oder ihr Sohn, ich liebe einen Mann. In regionalen Lesben- und Schwulen-Jugendgruppen organisieren wir Elternabende und intensivieren so die Zusammenarbeit. Auch Eltern-Gesprächsgruppen sind ein Teil unserer Arbeit. Zusammen mit Pink Cross (eidgenössischer Schwulenverband) und LOS (Lesbenorganisation Schweiz) sind wir in drei wichtigen Gruppen vertreten. Ministerpräsidentin Johanna Sigurdadottir 40 Aus der Schweiz: Was macht der Verein fels? – Hanni Müller und Brigitte Schenker BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 Gruppe Politik: Diese Gruppe hat vor allem das Ziel, auf politischer Ebene viel zu erreichen. Fachgruppe Bildung: Diese Gruppe arbeitet daran, dass Homosexualität in allen Lehrmitteln und Lehrbüchern aufgenommen wird – und zwar in allen Sprachen der Schweiz! Grundlage der Arbeit ist hier eine aktuelle Dissertation zur Behandlung des Themas in der Schulbuch-Literatur. Schulprojekt GLL (Gleichgeschlechtliche Liebe leben): Ein Dreierteam besucht Oberstufenklassen, Konfirmanden, Jugendgruppen und selten einmal auch eine Firmklasse. Eine Lesbe, ein Schwuler und ein Elternteil eines homosexuellen Kindes besuchen die Schulen und informieren während zwei bis drei Lektionen über Homosexualität. Euro-Pride 2009 in Zürich: Heute abend wird die Euro-Pride eröffnet und dann wird während fünf Wochen ein lesbisch-schwules Fest gefeiert. Wir von fels hoffen, dass wir bei der Abschlussparade das eine oder andere Gesicht von Euch wiedersehen. Die Parade findet am 6. Juni statt. Dort wird auch die erste lesbische Stadtpräsidentin Zürichs anzutreffen sein, die seit gestern im Amt ist. 41 Berichte der ausländischen Gäste Kulturprogramm Aus der Diskussion – Probleme mit der Religion und mit AIDS Horst Emrich liest Tierfabeln von Manfred Kyber und Texte von Michael Ende Es schloss sich eine lebhafte Diskussion mit der Möglichkeit zu Nachfragen an alle ausländischen Gäste an. Probleme mit den Kirchen beziehungsweise mit der Religion und Fragen im Zusammenhang mit AIDS bildeten dabei den Schwerpunkt – andere Aspekte wurden der besseren Lesbarkeit im Zusammenhang wegen schon vom Redakteur in die vorangegangenen Texte eingearbeitet. Nach dem Abendessen am Samstag folgten dann als Kulturprogramm Tiergeschichten von Manfred Kyber (so etwa „Der K.d.R.“, was ausgeschrieben „Der Kongress der Regenwürmer“ heißt) und ebensolche von Michael Ende (und auch andere Texte, vermutlich aus dem Programm „Michael Endes Zettelkasten“), vorgetragen vom Stuttgarter Schauspieler Horst Emrich, der mit seiner „kaba-reh production“ vor allem mit Einpersonenstücken auftritt, und zwar nicht nur im Stuttgarter Raum, sondern bundesweit. (Näheres auf seiner Homepage http://www.kaba-reh.de). Als die Schweizerinnen nach dem Widerstand aus den Kirchen gegen das Partnerschaftsgesetz gefragt wurden, betonten sie unisono: „Bei uns sind Staat und Kirche getrennt!“ In Deutschland sollte das theoretisch zwar auch der Fall sein, doch ist Dank der Konkordate, durch vielfache Beteiligung der Kirchen beispielsweise in den Gremien der Öffentlich-Rechtlichen Medien und vieles mehr diese Trennung oftmals nicht so deutlich wie sie sein sollte. Eine schwere Hypothek, die anderswo nicht so gegeben sei, sei auch immer noch die Nachwirkung des „Dritten Reiches“ in den Köpfen, meinte Wolfgang Köhn vom Beirat des BEFAH. Frau Fischer, auf die Verhältnisse in ihrem Land angesprochen, sagte, dass Argentinien zwar ein katholisches Land sei, aber das „regierende Paar“ (die amtierende Präsidentin und ihr Ehemann und zugleich Vorgänger) sehr gegen die katholische Kirche eingestellt sei. Einer der Ende-Texte widmete sich auch dem „Phänomen“ des abgeschlagenen Penis bei antiken Statuen: »2007 berichtete der Künstler Jean-Jaques Lebel in dem Film „Geheime Museen“ von Peter Woditsch, er habe mit einem Empfehlungsschreiben ausgestattet im Vatikan Dutzende von Schubladen gesehen, in denen Penisse gelagert seien. Ein amtlicher, vom Vatikan bestellter „Kastrator“, habe sie abgeschlagen, denn anstelle der Penisse mussten Feigenblätter montiert werden. Als hätte sie es mit Scham erfüllt, behielten sie die Marmorglieder, versahen sie mit Etiketten und deponierten sie in großen Schubladen. In demselben Film erklärt der ehemalige Chef-Restaurator im Vatikan, Gianluigi Colalucci, dass man Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts damit begonnen habe, die antike Kultur wiederzuentdecken und man habe eben auch „solche“ Dinge, gemeint sind jetzt erotische, gesammelt. Die Päpste sammelten alles aus der Antike, auch Erotisch-Sexuelles. Und: Die Einstellung gegenüber Kunstwerken, die in einer Epoche für normal und schön gehalten worden seien, habe sich verändert. Plötzlich schäme man sich ihrer. Es geschah aber nicht „plötzlich“. Die großen monotheistischen Weltbetrachtungen hatten in Jahrhunderten eine Kultur der Verdrängung, Körperfeindlichkeit und Sexualunterdrückung geschaffen. Sexualität wurde mit Sünde und Schuld beladen und für das Volk tabuisiert. Der abgeschlagene Penis symbolisiert die Selbstkastration des Abendlandes und die Selbstzensur.« (Zitiert aus einem Aufsatz von Rainer Hoffschildt, Hannover) Zum Thema Homosexualität befragt, meinten Frau Dum und Frau Öztek, dass nach Aussage des Koran Mann und Frau zum Zweck der Vermehrung geschaffen wurden. So habe ein Imam einem Gruppenmitglied gegenüber erklärt, Homosexualität sei Sünde, ebenso aber auch, wenn ein heterosexuelles Paar keine Kinder wolle. Andererseits stünde im Koran aber, man müsse Respekt haben vor allem, was Gott geschaffen hat. Zum Thema AIDS geben bei Lambda Istanbul Ärzte Aufklärung; außerdem arbeitet man mit einem AIDSAufklärungsverein zusammen. In Argentinien wird laut Frau Fischer viel für die AIDS-Aufklärung und die Prophylaxe getan. In Island gibt es generell nur sehr wenige Fälle von AIDS-Infektionen; hier seien in der Hauptsache heterosexuelle junge Leute infiziert bzw. schon erkrankt, so dass AIDS dort gar nicht mehr als „Schwulen-Krankheit“ eingeschätzt wird. 42 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 43 Kulturprogramm Kulturprogramm „Der K.d.R.“ von Manfred Kyber Die Regenwürmer hatten einen Kongress einberufen, Es war ein moderner Kongress. Darum hieß er nicht der Kongress der Regenwürmer, sondern der K.d.R.. Der K.d.R. tagte im Garten an einer recht staubigen Stelle. Es wurden nur Fragen der Bodenkultur erörtert. Weiter geht der Horizont der Regenwürmer nicht. Sie kriechen auf der Erde und essen Erde. Es sind arme bescheidene Leute, aber sie sind nützlich und notwendig, Die Erde würde ohne sie nicht gedeihen. Ihre Arbeit muss verrichtet werden. Es war Abend. Die Dämmerung lag auf den Wegen, auf denen der K.d.R. zusammengekrochen war. Manfred Kyber (1880-1933) Ein langer alter Regenwurm hatte den Vorsitz übernommen, Er besprach Fragen lokaler Natur, die Bodenverhältnisse des Gartens, in dem man arbeitete. Es waren erfreuliche Resultate. „Wir sind schon recht tief in die Erde eingedrungen“, sagte der Präsident des K.d.R. „Wir haben viele Erdschichten an die Oberfläche befördert, von denen niemand vorher etwas wusste. Wir haben sie zerlegt und zerkleinert. Aber die Erde scheint noch tiefer zu sein, als wir dachten. Sie scheint noch mehr zu bergen, als wir heraufgeschafft haben. Wir müssen fleißig weiter überall herumkriechen und Erde essen. Es ist eine große Aufgabe. Damit schließe ich den K.d.R..“ Er ringelte sich verbindlich. Der offizielle Teil des K.d.R. war erledigt. Man bildete zwanglose Gruppen mit Nachbarn und Freunden und sprach über die Praxis der Gliederbildung. Man wollte allerseits lang werden. Darin sah man den Fortschritt. Neue Methoden hierfür waren stets von Interesse. „Die allerneueste Methode, lang zu werden“, sagte ein junger Regenwurm, „heißt `Ringle dich mit dem Strohhalm´. Das stärkt die Muskeln und zieht die Glieder auseinander. Sehen Sie — so!“ Er tastete nach einem Strohhalm und demonstrierte die neue Methode energisch und mit Überzeugung. Dabei stieß er an etwas an. Er fühlte, dass es rauh und haarig war. „Nanu, was ist denn das? Das hat ja Haare und bewegt sich!“ Er ringelte sich ängstlich vom Strohhalm los, „Verzeihen Sie, ich war so müde. Da hab ich mich auf den Strohhalm gesetzt“, sagte das Etwas mit Haaren. „Wer sind Sie denn?“ fragte der Regenwurm und kroch vorsichtig wieder näher. „Ich bin Raupe von Beruf. Ich hätte mich gewiss nicht auf den Strohhalm gesetzt, aber ich bin so sehr müde. Ich habe einen so langen Weg hinter mir. Ich bin immer im Staub gekrochen. Nur selten fand ich etwas Grünes. Ich bin ein bißchen schwächlich, schon von Kind an. Es ist auch so angreifend, bei 44 jedem Schritt den Rücken zu krümmen. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich bin zu müde. Sterbensmüde.“ Die Raupe war ganz verstaubt und erschöpft. ihre Beinstummel zitterten. Der gesamte K.d.R. kroch teilnahmsvoll heran. „Sie müssen sich stärken“, sagte ein Regenwurm freundlich. „Sie müssen etwas Erde zu sich nehmen.“ „Nein danke“, sagte die Raupe, „ich bin zum Essen zu müde. Mir ist überhaupt so sonderbar. Ich will nicht mehr auf der Erde kriechen.“ „Aber ich bitte Sie“, sagte der Präsident des K.d.R. „Das ist das Leben, dass man auf der Erde kriecht und Erde isst. Wenn man das nicht mehr kann, stirbt man. Man soll aber leben und recht lang werden, Ich kann Ihnen verschiedene Methoden empfehlen. Es ist Makrobiotik.“ „Ich glaube, dass man nicht stirbt“, sagte die Raupe. „Wenn man zu müde ist und nicht mehr auf der Erde kriechen kann, verpuppt man sich, und nachher wird man ein bunter Falter. Man fliegt im Sonnenlicht und hört die Glockenblumen läuten. Ich weiß nur nicht, wie man es macht. Ich bin auch viel zu müde, um darüber nachzudenken.“ Die Regenwürmer ringelten sich aufgeregt und ratlos durcheinander. „Fliegen? — Sonnenlicht? — Was heißt das? — So was gibt‘s doch gar nicht! — Sie sind wohl krank?“ „Sie gebrauchen solche kuriosen Fremdworte“, sagte der Präsident des K.d.R. „Ihnen ist einfach nicht wohl!“ sollte. Denn er hatte vergessen, was er als Raupe geglaubt und gehofft hatte — und wie müde er gewesen war, sterbensmüde ... Die Flügel aber wuchsen im Sonnenlicht. Sie wurden stark und farbenfroh. Da breitete der Falter die Schwingen aus und flog weit über die Erde ins Sonnenlicht hinein. Die Glockenblumen läuteten. Unten im Staube tagte der K.d.R.. Man hatte die leere Hülle gefunden und alle Kapazitäten waren zusammengekrochen. „Es ist nur ein Mantel“, sagte die erste Kapazität enttäuscht. „Die Krankheit ist allein zurückgeblieben“, sagte die zweite Kapazität. „Der Mantel ist eben die Krankheit“, sagte die dritte Kapazität. Hoch über ihren blinden Köpfen gaukelte der Falter in der blauen sonnigen Luft. „Nun ist es ganz tot“, sagten die Regenwürmer. „Resurrexit!“ sangen tausend Stimmen im Licht. Der Text „Der K.d.R.“ wurde entnommen aus: Das Manfred Kyber-Buch. Tiergeschichten und Märchen. Hamburg 1969: Wegner-Verlag; Neuauflage Reinbek 2003: Rowohlt. ISBN 3-498-03420-0. (S. 18-21). Wir danken dem Verlag für die Abdruckerlaubnis! Die Raupe antwortete nicht mehr. Sie war zu müde. Sterbensmüde. Sie klammerte sich an den Strohhalm. Dann wurde es dunkel um sie. Aus ihr heraus aber spannen sich feine Fäden und spannen den verstaubten sterbensmüden Körper ein. „Das ist ja eine schreckliche Krankheit“, sagten die Regenwürmer. „Es ist ein Phänomen“, sagte der Präsident des K.d.R. „Wir wollen es beobachten.“ Einige Kapazitäten nickten zustimmend mit den Kopfringeln. Es vergingen Wochen. Der Präsident des K.d.R. und die Kapazitäten krochen täglich an das Phänomen heran und betasteten es. Das Phänomen sah weiß aus. Es war ganz versponnen und lag regungslos am Boden. Endlich, in der Frühe eines Morgens, regte sich das versponnene Ding. Ein kleiner bunter Falter kam heraus und sah mit erstaunten Augen um sich. Er hielt die Flügel gefaltet und verstand nicht, was er damit BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 45 Podiumskussion und Abschluss Podiumskussion und Abschluss Podiumsdiskussion mit Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D. (LSVD) ; Dr. Ulrich Noll MdL, FDP-Fraktionsvorsitzender im Landtag BW; Ute Vogt, SPD-Landesvorsitzende in BW; Alexander Kotz, CDU-Stadtrat in Stuttgart; Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90/Die Grünen, Vorsi tzende des Sozialausschusses im Landtag BW. Moderation: Ansgar F. Dittmar, Rechtsanwalt, Bund esvorsitzender der Schwusos Podiumsdiskussionen auf den Bundeselterntreffen – alle TeilnehmerInnen selbst schwul bzw. lesbisch waren). Dazu meinte Dr. Noll, er, der heterosexuelle mehrfache Großvater, habe ganz bewusst nicht „einen betroffenen Kollegen hergeschickt“, sondern sei in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender selbst gekommen. An ihn richtete sich auch die erste Frage des Moderators „Wie halten Sie es mit der Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe?“ Noll entgegnete, seine Partei trete für die völlige Gleichstellung aller Verantwortungsgemeinschaften ein – getreu dem Grundsatz „Gleiche Pflichten – gleiche Rechte“. Seine Partei wäre in jenen Bundesländern, in denen sie mitregiert, bereits viel weiter vorangegangen in Sachen Gleichstellung, wenn sie nicht auf die Koalitionsraison Rücksicht nehmen müsse. Somit sei die praktische Umsetzung ihrer Politik von Kompromissen geprägt, aber das Ziel bleibe die völlige Gleichstellung. A. Kotz, Dr. U. Noll, U. Vogt, B. Lösch (v.l.n.r.) Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D.(LSVD) 46 Einziger Programmpunkt am Sonntag, dem 3. Mai, war - abgesehen von der Zusammenfassung und Verabschiedung durch die Bundesvorsitzende - die Podiumsdiskussion, die im Hinblick auf die im Herbst bevorstehende Bundestagswahl Wahlprüfsteine für die anwesenden Eltern und ihre lesbischen oder schwulen Kinder liefern sollte. TeilnehmerInnen waren (gemäß der Sitzordnung, von links nach rechts – siehe das Foto) Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D. und Vertreter des LSVD, Dr. Ulrich Noll MdL, Fraktionsvorsitzender der FDP im baden-württembergischen Landtag, Ute Vogt, SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Alexander Kotz, CDU-Stadtrat in der Landeshauptstadt Stuttgart, und Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90 / Die Grünen, Vorsitzende des Sozialausschusses im baden-württembergischen Landtag. Ansgar F. Dittmar, Bundesvorsitzender der Schwusos in der SPD, fungierte als Moderator. Nur dieser und die Herren Bruns und Kotz waren „Selbstbetroffene“ - anders als bei der Hamburger Runde in 2007 (wo – zum bisher einzigen Mal bei Wo dann der Hemmschuh bei der CDU liege, wollte Dittmar daraufhin von Kotz erfahren. Der entgegnete, innerhalb einer Partei gebe es eben unterschiedliche Strömungen. Er habe in seiner Partei das Problem, dass er als Betroffener vieles anders sieht als die Mehrheit seiner Parteifreunde und er habe es eben auch besonders schwer, seine Parteifreunde zu überzeugen. Als verpartnerter und bekennender Schwuler bringt er allerdings seine konservativen Parteifreunde im persönlichen Umfeld fortwährend „auf seinen Kurs“. Als Handwerksmeister und Vorsitzender seiner Innung stellt dies für ihn inzwischen kein Problem mehr dar. Generell sei es ja so, dass sich die Partei durchaus bei dem Thema bewegt, aber in einer so großen Volkspartei gehe das eben etwas langsam und träge. Er jedenfalls trage sein Möglichstes dazu bei. Auf Dittmars Frage, wie es denn um die Trägheit bei der SPD in diesen Fragen stünde, wies Frau Vogt erst einmal darauf hin, welch großen Erfolg das von ihrer Partei gemeinsam mit den Grünen durchgesetzte Lebenspartnerschaftsgesetz darstelle – ein Erfolg besonders auch im Hinblick auf die gewachsene Ak- BET-Reader 2009 zeptanz lesbischer und schwuler Lebensweise in der Bevölkerung. Nur noch in Baden-Württemberg (dem Gastland des diesjährigen Bundeselterntreffens) und in Thüringen bleibt Lesben und Schwulen weiterhin das Standesamt verwehrt, um Ihre Verpartnerung eintragen zu lassen. Das widerspreche dem Geist des Bundesgesetzes und könne insofern fast schon als rechtswidrig bezeichnet werden. Von Herrn Noll und seiner Fraktion erhoffe sie sich hierzu ein offensiveres Agieren innerhalb der Regierungskoalition hier im Lande; und das Engagement von Herrn Kotz in seiner Partei sei ja gut und anerkennenswert, aber sie riete ihm, von der in der SPD gemachten Erfahrung in Fällen früherer politischer Trägheit zu profitieren, dass nämlich die Parteimitglieder durchaus auch von außen Druck auf die Partei machen könnten. Heute könne aber bei der SPD von homopolitischer Trägheit keine Rede mehr sein, habe sie doch als erste und bis dato einzige Partei zum Zeitpunkt der Tagung einen einzigen wichtigen Satz im Wahlprogramm stehen: „Eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften werden wir mit der Ehe gleichstellen Punkt.“ Dem gebe es wohl nichts mehr hinzuzufügen. (Ähnliches ist nach allgemeiner Einschätzung von FDP und Grünen in ihren Programmen zur Bundestagswahl zu erwarten. – Der Redakteur) Ein eigenes Kapitel „Lesben- und Schwulenpolitik“ gebe es im Programm ihrer Partei jedoch nicht – das habe man früher beim Thema Frauenpolitik auch so gehalten. Die standesamtliche Eintragung sollte ein Minimum sein, das nun auch hier in Baden-Württemberg realisierbar sein müsste. Eine solche Diskriminierung habe Einfluss auf das gesellschaftliche Klima, weswegen Stuttgarter Bekannte von ihr schon nach Berlin umgezogen seien. Dittmar fragte dazu: „Würde denn der Ehe mit der völligen Gleichstellung – einschließlich der Eintragung auf dem Standesamt – etwas weggenommen? Wie sieht man das bei den Grünen, Frau Lösch?“ Die entgegnete dazu: „Natürlich wird der Ehe nichts „weggenommen“ – eher im Gegenteil. Im Landtag von Baden-Württemberg habe es bisher noch keine Diskussion über die positiven Auswirkungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegeben. Nachdem nun die Grünen einen Entwurf für ein Ausführungs- BET-Reader 2009 gesetz dazu eingebracht hätten, sei ja jetzt auch den anderen Fraktionen die Chance eingeräumt, sich dazu zu äußern. Noll meinte zu den Chancen auch dieses Entwurfs, in allen Koalitionen würde vorab erst einmal abgeprüft, was gemeinsam gehe und was nicht, denn Abstimmungen mit wechselnden Mehrheiten würden überall nach Möglichkeit vermieden und seien auch keine gute Basis für die Arbeit einer Regierungskoalition. Als Beispiel aus der Bundespolitik führte er das Scheitern eines Gesetzentwurfes von Grünen und FDP zur Drogensubstitution an. Die SPD sei zwar ebenfalls dafür gewesen, habe dann aber aus Gründen der Koalitionsraison nicht für den Entwurf gestimmt. So sei wahrscheinlich in der derzeitigen Legislaturperiode in Baden-Württemberg kein Fortschritt in punkto Ausführungsgesetz zum Lebenspartnerschaftsgesetz mehr zu erreichen. Das Thema bleibe aber auf der Agenda für die nächsten Koalitionsverhandlungen – mutmaßlich im Jahre 2011. Bis dahin werde man sich bemühen, beim Koalitionspartner Überzeugungsarbeit in diesem Sinne zu leisten. Bruns wies darauf hin, dass das Bundesverfassungs- 47 Podiumskussion und Abschluss gericht bislang in der Regel im Sinne einer Gleichstellung geurteilt habe. Vielfach habe dann auch die CDU in den Landtagen „klammheimlich mitgemacht“, wenn es um Fortschritte in unserem Sinne gegangen sei. Manchmal, so zuletzt im Falle des Opferentschädigungsgesetzes, habe die CDU zwar einer direkten Gleichstellung nicht zugestimmt; dann sei aber die Gleichstellung durch eine Verweiskette indirekt ermöglicht worden - auf den Druck der CDU hin. Diese Rücksichtnahme auf den rechten Flügel der Union „finde ich fast schon idiotisch“, so Bruns. In BadenWürttemberg speziell sei es aber jetzt regelrecht schwierig, das für eine Verpartnerung zuständige Amt herauszubekommen. Durch doppelte Registrierung würde hier auch ein unnötiger Verwaltungsmehraufwand generiert. Aber auch in anderer Hinsicht könne man in diesem Bundesland nicht so einfach Papiere von der Wohnortgemeinde erhalten wie dies in den anderen Bundesländern üblich sei. Vogt stimmte – wie auch die anderen TeilnehmerInnen der Runde – Nolls Ausführungen zur Koalitionsraison im Prinzip zu, meinte aber, auch unterhalb dessen, was „koalitionsrelevant“ sei, also der Gesetzesebene, könnten die FDP-Fachminister mehr tun als sie bisher gezeigt hätten. So könne beispielsweise der FDP-Justizminister eine Broschüre herausbringen, die den Bürger über den Podiumskussion und Abschluss Verwaltungsweg und die Zuständigkeiten informiert, ohne dass dies dem Koalitionsvertrag widerspräche. Damit wäre dann aber schon ein Anfang hin zu mehr Normalität gemacht. Daraufhin fragte Dittmar, wo es denn ressortmäßig anzusiedeln sei, wenn man nach dem Vorbild unserer Schweizer Gäste auf eine Überarbeitung der Lehrpläne der Schulen hinwirken wolle. Natürlich im Kultusministerium, warf Frau Lösch ein. Die Grünen hätten dazu bereits einen Antrag formuliert, der bisher offiziell aber weder im Ministerium noch im Schulausschuss angekommen sei. „Heroin und Homosexualität“ seien hier in Baden-Württemberg eben Tabu-Themen und die Debatte dazu oftmals „unter der Gürtellinie“. Auch an den Schulen – nicht nur hier im Lande, sondern bundesweit - sei das Klima eher schwierig und „schwul“ und „lesbisch“ immer noch üble Schimpfworte. Trotz vieler „Promi-Outings“ in den letzten Jahren habe sich das Klima eher wieder verschlechtert – und zwar selbst in Berlin. Hierzu solle mal die kleinere Regierungsfraktion im Landtag besonders aktiv werden. [Und wie dann bitte konkret? – der Redakteur] Kotz kam auf die von Vogt erwähnten Umzüge nach Berlin zurück und bestritt „als überzeugter Schwabe und Stuttgarter“ ausdrücklich und entschieden, dass hier das Wohnumfeld für Lesben und Schwule (bzw. das gesellschaftliche Klima) schlechter sei als beispielsweise in Berlin. Natürlich gehöre das Thema Homosexualität in den Schulunterricht und die LSU [„Lesben und Schwule in der Union“ – der Redakteur] sei hier auch am Ball, etwas zu bewegen. Und manches kläre sich ja auch rein biologisch, indem unbelehrbare Alte hinwegstürben, meinte er verschmitzt. Dittmar bestätigte, dass es hier in Stuttgart eine recht große und (er-)lebenswerte lesbisch-schwule Szene gäbe. Noll betonte, dass die „Homophobie“ ein gesellschaftliches Problem sei, das nicht erst in der Schule angegangen werden dürfe. Vielmehr sollte schon den Kindern im Kindergarten deutlich gemacht werden, dass die Menschen eben unterschiedlich sind. Bei der FDP sei auf lokaler, Landes- und Bundesebene die Gleichstellung homo- wie heterosexueller Menschen selbstverständlich; in Koalitionen immer wieder aufs Neue darum kämpfen zu müssen, hänge einem allmählich zum Hals raus. Schließlich hätte ja auch der BEFAH dann sein Ziel erreicht, wenn er nicht mehr gebraucht würde. 48 BET-Reader 2009 Bruns meinte dazu, die Gesellschaft – also die Bevölkerung – sei in ihrer Mehrheit da schon viel weiter als die Abgeordneten, sowohl die des Bundes- als auch die der Landtage. Deren Einlassungen gingen nicht selten schon an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbei. Berlin allein sei dabei etwas weiter, so etwa mit seinem Programm gegen Homophobie. Vogt fragte „Wer kommt denn in unseren Schulbüchern vor?“ und gab sich selbst die Antwort „Zumeist doch noch die „klassische Idealfamilie“. Das Thema Homosexualität dürfe dabei in den Schulbüchern nicht als etwas ganz Besonderes dargestellt werden, sondern als etwas ganz Normales. Bei der Darstellung der Rolle der Frau habe es Jahrzehnte gedauert, von alten Klischees loszukommen; auch Behinderte kämen heute noch so gut wie gar nicht in den Schulbüchern vor. Diese müssten in Zukunft einfach schneller die gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden. Die Homophobie in der Gesellschaft würde natürlich auch verstärkt durch die politische Rechte. Wenn aber auf dem Land Mütter, die ihre Kinder in eine Krippe geben, zum Teil noch als Rabenmütter gelten, dann sei es dort eben auch schwierig, in Sachen Akzeptanz von Lesben und Schwulen voranzukommen. Bei der Europäischen Union ist die Homophobie-Frage im Übrigen nach wie vor ein wichtiges Thema, da eben manche europäische Länder hier noch deutlich weiter zurück sind als das Deutschland von vor 10 Jahren. Hier muss darum gekämpft werden, dass die konservativen Kräfte zurückgedrängt werden, so Vogt. Wobei – so warf Dittmar ein – das AGG [Allgemeines Gleichstellungsgesetz] ja ein schönes Beispiel dafür sei, wie auch einmal der kleinere Koalitionspartner dem größeren etwas abringen kann. Lösch begrüßte es ganz allgemein, wenn ein Aktionsplan gegen Homophobie ins Leben gerufen würde, wie z.B. das Berliner Projekt zur zahlenmäßigen Erfassung von Gewalterfahrungen. Dabei gäbe es ja die Probleme nicht nur bei bildungsfernen Schichten, sondern sogar unter Gymnasiasten. Und - um wieder auf Baden-Württemberg zurückzukommen – aus an sich hübschen Orten wie etwa Geislingen zögen hier die Lesben und Schwulen fort, weil sie sonst kaum offen leben könnten. Und dann müsse man den Leuten auch klarmachen, so Dittmar, dass Schwule nicht immer mit Lederkappe und/oder Federboa herumlaufen. „Die habe ich jetzt beide extra abgelegt“, meldete sich Kotz BET-Reader 2009 zu Wort. Es brauche eben Zeit, positive Bilder von Lesben und Schwulen selbstverständlich werden zu lassen. Kotz ist zum Beispiel Kreishandwerkermeister und bringt zum Bäckerball schon mal seinen Mann mit. Man muss sich eben in bürgerliche Vereine und Strukturen einbringen. Natürlich sei es das Problem gerade in den eher bürgerlichen Parteien, dass die, die sich schwer tun mit dem Thema, nicht auf einer solchen Veranstaltung wie dem Bundeselterntreffen auftreten würden, meinte Dittmar und fragte Noll, ob sich denn in der FDP durch das Outing Westerwelles etwas verändert habe. Der entgegnete, da es eh schon jeder wusste, sei man eher erleichtert gewesen, dass es nun „offiziell wurde“. Als Mediziner [- er ist Zahnarzt; der Redakteur] wies er an der Stelle darauf hin, dass „Homophobie“ eigentlich nicht der adäquate Begriff ist, da ja Aggression gegen Homosexuelle gemeint ist. Wichtig sei es, die Menschen zusammenzubringen. Durch persönliches Kennenlernen werden irrationale Ängste und Ablehnung bis hin zur Gewaltbereitschaft abgebaut – außer natürlich bei jenen, die in erster Linie auf Gewalt aus sind und sich nur irgendein Opfer suchen. Dittmar fragte daraufhin Bruns, ob denn nur Berlin (als einziges Bundesland) anti-homosexuelle Straftaten in der Kriminalstatistik gesondert ausweise. Der entgegnete, auch in Berlin sei das im Augenblick nur beabsichtigt, aber noch nicht umgesetzt; in den anderen Bundesländern sei es noch nicht einmal geplant, obwohl es sicher sinnvoll wäre. Im Übrigen habe der LSVD das Lebenspartnerschaftsgesetz auch aus dem Grunde gefordert, um Lesben und Schwule mehr sichtbar zu machen. Und das Ziel sei ja nun damit wirklich erreicht. Zur FDP meinte er, dass der LSVD mit dem Bundesverband sehr gut zusammenarbeite, nur mit einzelnen Landesverbänden sei es eher schwierig – in den Fällen aber auch intern, von der Bundespartei aus gesehen. Dittmar stellte dann die Frage in den Raum, ob nicht die Kriminalstatistik in den Ländern kurzfristig zu ändern wäre. Lösch antwortete, im Prinzip wäre das möglich. Wichtig wäre aber natürlich auch, das gesellschaftliche Bewusstsein weiterzuentwickeln. Konkret müsste man fragen, was steht auf welcher Ebene an und wie kann man da positiv etwas bewegen. Vogt stimmte zu, antihomosexuelle Straftaten separat zu erfassen wäre hilfreich für die gezielte Prävention. Während Politiker ansonsten immer dazu bereit wären, sich zu beinahe jedem Thema zu Wort 49 Podiumskussion und Abschluss zu melden, hielten sie sich beim Thema Homosexualität und allem, was damit zusammenhängt, auffällig zurück. Auch unter ihnen könne man dann bisweilen Aussagen hören wie „Der neue Kollege ist nett, übrigens schwul – aber sonst o.k.“. Als Anekdote am Rande erzählte sie an dieser Stelle, ihr selbst sei im letzten Wahlkampf unterstellt worden, vielleicht lesbisch zu sein, weil sie auf ihren Plakaten mit ihrem Hund abgebildet war, aber nicht mit einem Lebenspartner. Der aber wollte nicht mit in die Öffentlichkeit, weil Politik ja auch nicht sein Job ist. Die erste Frage aus dem Publikum richtete sich an Herrn Kotz, weshalb hier im Lande die Gebühr für eine Lebenspartnerschaft höher sei als die für eine heterosexuelle Ehe und weshalb in Stuttgart bei der AIDS-Hocketse nicht so lange Musik gespielt werden dürfe wie bei nicht-schwulen Events. Beides sei wohl nicht mehr der Fall, entgegnete dieser. Auf die Gebührenfrage sei er die ersten fünf Jahre lang nicht angesprochen worden und bei seiner eigenen Verpartnerung sei er schon nicht mehr betroffen gewesen. Und in der Stuttgarter Kommunalpolitik sei nunmehr durchgesetzt worden, dass der Musikschluss für alle Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen gleich sei. Zu den Aufgaben der Kommunalpolitik zählt auch die strukturelle Unterstützung junger Lesben und Schwuler, die Probleme mit ihrer Herkunftsfamilie haben, womöglich gar nach ihrem Coming out „zuhause rausgeflogen“ sind. Für die Situation in Baden-Württemberg zumindest beantwortete Kotz die Frage dahingehend, dass die Kommunen hier Aufnahmeplätze bereitstellen, und zwar für alle derart betroffenen Jugendlichen unabhängig vom Grund des Rauswurfs zuhause. Was das faktische Blutspende-Verbot für Schwule betrifft, wie es sich als Folge der Praxis vor allem des DRK (Deutsches Rotes Kreuz) ergibt, so will er sich hier für eine Änderung einsetzen. Die künstliche Befruchtung gäbe es in Deutschland nicht für lesbische Frauen – wo bliebe denn da die im Grundgesetz verheißene Gleichheit vor dem Gesetz, lautete eine Frage, die Bruns so beantwortete: „Die einfache Insemination können Sie ja selbst vornehmen. Dass die „assistierte Insemination“ – also die mit ärztlichem Beistand durchgeführte – nur Eheleuten und nicht-ehelichen Heteropaaren gewährt wird, nicht aber lesbischen Lebenspartnerinnen, ist eine standesrechtliche Entscheidung der Ärzteorganisationen. Zur Begründung wird deren „Fürsorgepflicht“ den Ärzten gegenüber angegeben, womit 50 Podiumskussion und Abschluss gemeint ist, dass sie vor dann eventuell möglichen, daraus abgeleiteten Unterhaltsansprüchen bewahrt werden sollen.“ Noll verwies dazu auf das die völlige rechtliche Gleichstellung fordernde Programm der FDP und sieht daraus die Verpflichtung erwachsen, über das Thema Insemination das Gespräch mit den Standesorganisationen der Ärzte zu suchen, um hier zu einer Verbesserung zu kommen. Der nächste Fragenkomplex richtete sich darauf, wie es mit der steuerlichen Gleichstellung aussähe. Gewollt kinderlose Ehepaare etwa gelten steuerlich als Familie, alleinstehende Frauen und Männer mit Kindern hingegen nicht und homosexuelle Paare mit Kindern werden als Alleinstehende veranlagt. Bruns führte dazu aus, dass bei weitestgehender zivilrechtlicher Gleichstellung die steuerrechtliche leider immer noch fehle – neuerdings mit Ausnahme des Erbschaftssteuerrechts, wo ja jetzt die Freibeträge gleich wären. Der bleibende Nachteil, dass jenseits der Freibetragsgrenzen für Lebenspartner dieselbe Steuerklasse wie für einander Fremde gelte, sei der CDU zugestanden worden, um das Gesicht zu wahren. Im Allgemeinen hoffe er, nun im Alter von 75, dass in fünf Jahren zu seinem 80. alle derzeit noch bestehenden Probleme gelöst seien. Das Hauptproblem sei eben, dass die Parteien möglichst nicht zerstritten erscheinen wollten, was den Konservativen zu einer Art Sperrminorität verhülfe. Noll ergänzte, dass das derzeitige Steuerrecht letztlich noch aus dem traditionellen Familienbild abgeleitet sei. Die FDP strebt stattdessen ein neues Steuerrecht an, bei dem die Förderung von Kindern vom Familienstand unabhängig sein solle. Im Übrigen seien die Steuerfachleute in allen Parteien gleich immer mit dem Rechenschieber dabei, um zu klären, wieviel ein steuerpolitischer Vorschlag den Finanzminister kostet. Und dann seien sie eben auch nicht selten für die von Bruns beschriebene „Sperrminorität“ dankbar. Vogt betonte dazu, dass der Widerstand gegen familienpolitisch motivierte Veränderungen im Steuerrecht schon bei den nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften seitens der Kirchen sehr stark sei, insbesondere aus ihrer eigenen, der katholischen Kirche. So wollten die SPD-Frauen schon längst das Ehegattensplitting abschaffen außer für jene Partnerschaften, in denen Kinder leben. Der frühere Bundeskanzler Schröder habe sich damals aus rein pragmatischen Gründen dagegen ausgesprochen, denn das gereiche Vielen zum Nachteil – und was solle man dann bei älteren Paaren machen, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Kotz teile die Zielsetzung seiner Vorred- BET-Reader 2009 nerInnen, pflichtete er bei. Aber die Umsetzung sei wohl nur realistisch bei der Einführung eines völlig neuen Steuersystems, „damit keiner mehr weiß, ob er nun Vor- oder Nachteile bei den Veränderungen hat“. Lösch betonte dann, dass ja die Abschaffung des Ehegattensplittings unter Rot-Grün an der SPD gescheitert sei. Sie aber meinte im Gegensatz zu Kotz, dass sich dessen Abschaffung auch ohne eine radikale Steuerreform bewerkstelligen ließe, wenn man das wolle, und dass es dann nur noch eine steuerliche Förderung von Kindern zu geben brauche. Lösch meldete sich auch als erste zum Fragenkomplex „Probleme mit der Kirche“ zu Wort, indem sie darauf hinwies, dass im (aus rund 230 Personen bestehenden) Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auch die Grünen mit einem Mitglied vertreten seien, das das Thema Homosexualität immer wieder einbringen würde. Als beispelsweise die badenwürttembergische Sozialministerin Dr. Stolz (anders als jetzt zum Bundeselterntreffen) im vorigen Jahr ein Grußwort zum Stuttgarter CSD verweigerte wegen dessen Motto „Ich glaube …“, hatte sie zugesagt, mit Kirchenvertretern darüber zu sprechen. Nun wird nachgefragt werden, was denn diese Gespräche ergeben hätten. Auch der Auftritt von „Homoheilern“ in Marburg wurde angesprochen und – z.B. vom ehemaligen BEFAH-Vorstandsmitglied Renate Löhr – gefordert, dass die Politik bei solchen Vorgängen nicht tatenlos zusieht. Wörtlich: „Zu sagen, die Kirche mauert da, reicht mir nicht.“ Die Kirchenleitenden müssten „umgepolt“ werden in ihrer Haltung zur Homophobie. Gerade hier in Baden-Württemberg (und speziell auch in der Region Stuttgart) sind ja auch selbsternannte „Homoheiler“ aktiv – „aber keine, die Heterosexuelle zur Homosexualität hin heilen wollen.“ Kritisch hingewiesen wurde auch darauf, dass die „HeilerInnen“ für ihren Auftritt in Marburg auch UnterstützerInnen aus den Reihen der CDU gefunden hätten. (Darunter sind solche, die sich schon gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz gewandt und von jeher als Kämpfer gegen gleiche Rechte für Lesben und Schwule hervorgetan hatten.) Während jemand (auf die dortige Öffnung der Ehe abzielend) bemerkte „Was im erzkatholischen Spanien geschafft wurde, müsste bei uns doch auch zu schaffen sein!“, fragte jemand anderes „Wie begründen die Kirchen eigentlich ihren hohen Anspruch auf Einflussnahme bei ihren sinkenden Mitgliederzahlen – und wie begründen es die Parteien, dass sie diese Ansprüche akzeptieren?“ Noll meinte, die FDP sei wohl in den Kirchen personell weniger stark vertreten als andere Parteien und könne von daher auch innerhalb der Kirchen weniger bewirken. Er selbst sei aus der ka- BET-Reader 2009 tholischen Kirche schon vor langer Zeit ausgetreten wegen deren Sexualmoral und des Umgangs mit dem Thema AIDS. Ein Vorschlag, eine Resolution des Bundeselterntreffens an die Kirchen zu entwerfen und zu verabschieden, wurde dann nicht weiterverfolgt. Im Zusammenhang mit Marburg erwähnte ein Teilnehmer einen – nicht veröffentlichten – Leserbrief an eine Zeitung, von dem er Kenntnis erlangt hatte, in dem „unsere Kinder mit Drogensüchtigen und Alkoholikern gleichgesetzt wurden.“ Frau Vogt berichtete dazu von einem Erlebnis mit einer CVJMJugendgruppe „aus ganz normalen gutsituierten Familien“ aus einer pietistisch geprägten Region, die ihr voller Feindseligkeit sagten „Zum Kirchentag gehen wir nicht hin, weil da auch die Lesben und Schwule auftreten dürfen!“ Dabei war das ja ein offen vorgebrachtes Statement; in der heimischen Kommunalpolitik mussten Eltern die Erfahrung machen, dass in einer nichtöffentlichen Sitzung ganz anders geredet wurde als sonst in der Öffentlichkeit – und das z.T. auch von Jüngeren, denen sie keine derartigen antihomosexuellen Ausfälle zugetraut hätten. Vogt betonte dazu, dass dumme Bemerkungen bei Stammtischgesprächen dann aber gut zum Anlass genommen werden könnten, selbst einzugreifen und Klartext zu reden. Bruns meinte abschließend, dass trotz aller immer noch und immer wieder zu hörender Vorurteile und Abneigungen in den letzten Jahren erhebliche gesellschaftliche Fortschritte durchaus erkennbar seien. Dafür spreche zum Beispiel auch jetzt gerade wieder die Entscheidung in Berlin, dass Ethik Pflichtund Religion Wahlfach bleiben soll. Er jedenfalls hoffe es noch zu erleben, dass das eine oder andere heute noch bestehende Problem schon in den nächsten Jahren gelöst werden wird. Fazit des Redakteurs: Alle Diskutanten treten für Fortschritte in Bezug auf die rechtliche Gleichstellung ein – etwaige Gleichstellungsgegner hat keine Partei in die Runde entsandt. Abgesehen von lokalen Besonderheiten ist die Union von einer Gleichstellungspolitik noch am weitesten entfernt. 51 Podiumskussion und Abschluss Podiumskussion und Abschluss Ausklang und Schlusswort – Gudrun Held Zum allerletzten Mal muss ich die angeregten Gespräche untereinander stören und Sie und Euch hier im Raum zusammenholen. Das tue ich nicht gern, jedoch, unsere Zeit miteinander ist zu Ende. Die Ersten müssen schon gleich zum Bahnhof. Also nur noch ganz kurz: Das war ein merk-würdiges Bundeselterntreffen, das nun zu Ende geht. Langjährige Mitglieder und Neulinge sind in vertrauensvolle, gute Gespräche gekommen. Wir alle spürten, wie gut es tut, zur Mehrheit zu gehören, die wir hier erlebten. Dafür bin ich allen Anwesenden sehr dankbar. Ich wünsche Euch und Ihnen allen: Kommt, kommen Sie gut nach Hause. Nehmt mit, was gut und bereichernd für Euch ist und lasst hier, was nicht gefällt oder ärgerlich ist. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in zwei Jahren – und das wird wahrscheinlich wieder in Berlin sein. Eine gute Heimfahrt – Aufwiedersehen – Ade. 52 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 53 Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Karten der Elterngruppe Stuttgart „Mein Kind ist schwul!“ „Die Reli-Lehrerin wusste es – ich wusste es nicht“ Karte zum Stuttgarter CSD 2008, dessen Motto „Ich glaube ... „ lautete Beide Ausschnitte aus dem Stuttgarter Wochenblatt vom 30. April 2009 Auf der Rückseite befindet sich ein Goethe-Zitat: „Jeder, der in sich fühlt, dass er etwas Gutes wirken kann, muss ein Plagegeist sein. Er muss sein wie eine Fliege, die, verscheucht, den Menschen immer wieder von einer anderen Seite anfällt.“ 54 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 55 Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Bericht im vk-newsletter der RG Frankfurt Eltern kämpfen für die Rechte von Schwulen und Lesben Vom 1. bis 3. Mai 2009 fand in Stuttgart das 10. Bundeselterntreffen des BEFAH statt. Es stand unter der Überschrift „Wir sind da! Nehmt uns wahr! - Eltern erwarten ein besseres Verständnis für ihre lesbischen und schwulen Kinder in der Gesellschaft.“ Es wird weiter diskutiert - Ansgar Dittmar (Mitte) im Gespräch mit Dirk Hartmann (links) und Josef Bonn nach der Podiumsdiskussion BEFAH e. V. steht für Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörgen von Homosexuellen und gründete sich am 29.11.1997. Der Verband hat heute ca. 200 Mitglieder und ist bundesweit aufgestellt. Die VK-Mitglieder Josef Bonn und Dirk Hartmann, mit Lebensgefährte Marc-Christopher Schütz, dessen Eltern sich schon seit 8 Jahren für die Belange des Vereins einsetzen, nahmen als Gäste an der Tagung teil. Weiter war noch Ansgar Dittmar, ebenfalls VK’ler und Bundesvorsitzender der Schwusos, als Moderator für eine politische Podiumsdiskussion mit dabei. Nach der Begrüßung durch die Bundesvorsitzende Gudrun Held eröffnete Stuttgarts Bürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch das Bundeselterntreffen mit ihrem Grußwort. Die Anwesenden durften sich weiter über die Grußworte der Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen, der Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg, Dr. Monika Stolz MdL, sowie des (ev.) Landesbischofs Dr. h.c. Frank Otfried July freuen. Als Vertreterinnen des Schweizer Verbandes „FELS“ überbrachten die Vizepräsidentinnen Brigitte Schenker und Hanni Müller (Vizepräsidentin a.D.) ihre und des Präsidenten Fritz Lehre gemeinsame Grußbotschaft. Als Präsent überreichten sie eine aus Holz vom Genfer See geschnitzte „Regenbogen Kuh“. Danach begann das Tagungsprogramm mit einem Referat durch den Stuttgarter Sozialpädagogen und Theologen Hermann J. Bayer. Anschließend stellten die türkischen Frauen Ulrike Öztek und Günseli Dum von der Familiengruppe „Lambda Istanbul“ die derzeitige Situation ihrer Gruppe in der Türkei und speziell in ihrer Stadt Istanbul vor. Nach dem gemeinsamen Abendessen gab es reichlich Gelegenheit zum persönlichen Gespräch und Gedankenaustausch. Das Programm des Sonnabends, 2. Mai 2009, wurde durch das Referat des Hannoveraner Psychologen Henning Röhrs mit dem Titel „Am Anfang war es Scham …!“ eingeläutet. Er ermunterte die Anwesenden in bestimmten Arbeitsphasen seines Referates zu - lebhaften ! - Gesprächen auch untereinander und sammelte viele Statements seitens der Eltern und auch einzelner anwesender „Kinder“ (bzw. er- 56 wachsener Söhne und Töchter) ein. - Einer dieser „Söhne“, nämlich Sören Landmann, stellte im Anschluss das zum Tag der Menschenrechte im vorigen Jahr gegründete „Aktionsbündnis gegen Homophobie“ vor. Mehr darüber ist im Internet unter www.aktionsbuendnis.org nachzulesen. Den Samstagnachmittag eröffnete dann Hermann Bayer mit seinem zweiten Referat (mit Diskussion) „Wie heil machen Heilungstheorien? - Wie erreicht man Eltern, die diesen Theorien ausgesetzt sind?“. Darin wies er unter anderem auch darauf hin, wie verletzend „für uns Lesben und Schwule“ die „klassische“ (anfängliche) Elternfrage sei „Was haben wir falsch gemacht?“, impliziert sie doch, „wir“ (Lesben und Schwule) seien falsch. Und er stellt fest: „Erklärungsbedürftig ist nicht die Homosexualität. Sondern vielmehr, warum in unserer Gesellschaft immer noch viele Menschen Schwule und Lesben verachten und anfeinden.“ Es folgte Aleksij Urev vom LSVD mit seinem Referat zur Vorstellung des Projekts „Kultursensible Aufklärung in Familien mit Migrationshintergrund“. Besonders interessant in diesem Zusammenhang waren die anschließenden und ergänzenden Berichte der internationalen Gäste (ausschließlich Damen) – darunter Irmgard Fischer aus Argentinien, Gudrun Rögnvaldardottir aus Island und Frau Schenker sowie Frau Müller von BEFAH‘ s Schweizer Partner-Organisation FELS. Frau Fischer, die die erste Elterngruppe in Südamerika gründete, kam durch ihren seit ein paar Jahren in Stuttgart lebenden Sohn zur Elternarbeit der Stuttgarter Elterngruppe. Sie engagiert sich bei der neuen internationalen Kooperation spanisch-sprechender Länder, die auch die spanisch-sprechende Community der USA umfasst - und neuerdings auch Brasilien. Frau Rögnvaldardottir von der isländischen Elternvereinigung konnte aus dem aus Lesben- und Schwulensicht fortschrittlichsten Land berichten. Die Anzahl der CSD-Teilnehmer in Reykjavik stieg im Jahr 2008 auf 70.000 (bei einer Gesamtbevölkerung von 320.000!). Die Partnerschaft von Lesben und Schwulen kann nun auch in der Kirche eingegangen werden und binnen eines Jahres soll es ohnehin ein Ehegesetz für alle geben - „Heteros“ wie „Homos“. Wie kommt‘s? Seit dem 1. Februar 2009 hat Island mit seiner neuen lesbischen Ministerpräsidentin Johanna Sigurdadottir das erste homosexuelle Regierungsoberhaupt der Welt (sie ist seit 7 Jahren mit einer Frau verpartnert). Eigentlich ist Homosexualität in Island kein Thema mehr, die gesetzliche und soziale Anerkennung weitestgehend erreicht - und dennoch gibt es immer noch Vorurteile und Gewalt, insbesondere unter Jugendlichen. BET-Reader 2009 Die Schweizer Organisation FELS hat im Moment Schule und Elternhaus als Hauptthema im Visier und will dabei alle Eltern erreichen, nicht nur die mit homosexuellen Kindern. Sie schreiben zu dem Zweck alle Organisationen und Institutionen an, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Bei ihremSchulprojekt, das sie gemeinsam mit LOS (der Lesben-Organisation der Schweiz) und Pink Cross (der analogen Schwulen-Organisation) betreiben, gehen ein Schwuler und ein Elternteil gemeinsam in die Schulklassen und betreiben Aufklärung. Daran, dass das Thema angemessen in den Schulbüchern zur Sprache kommt, arbeitet man noch. Auch das Partnerschaftsrecht bedarf aus Sicht des Schweizer Verbandes noch einiger Nachbesserungen - etwa in den Bereichen Altersvorsorge, Erbschaftsrecht und Steuerrecht. Weiteres Ziel ist der Fall des Verbotes der künstlichen Befruchtung und der Adoption. Hier besteht sogar ein geradezu grotesker Nachteil im Vergleich zur Situation bei uns: nein, nicht nur hinsichtlich des Fehlens der Möglichkeit der Stiefkindadoption, sondern dadurch, dass Adoptionen Lesben und Schwulen nur als Einzelpersonen erlaubt sind (wie in Deutschland auch), aber - und hier ist der Unterschied! - nur solange sie nicht in einer Partnerschaft leben! schlechtliche Lebenspartnerschaften werden wir mit der Ehe gleichstellen – Punkt“ Dem gab es wenig hinzuzufügen. Ähnliches ist von FDP und Grünen in ihren Programmen zur Bundestagswahl zu erwarten. Bruns meinte abschließend, dass erhebliche gesellschaftliche Fortschritte in den letzten Jahren durchaus erkennbar seien und dass er es noch zu erleben hoffe, dass das eine oder andere heute noch bestehende Problem schon in den nächsten Jahren gelöst werden würde. Der große Programmpunkt am Sonntag war eine Podiumsdiskussion mit Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D. und Vertreter des LSVD, Dr. Ulrich Noll MdL, Fraktionsvorsitzender der FDP im baden-württembergischen Landtag, Ute Vogt, SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Alexander Kotz, CDU-Stadtrat in der Landeshauptstadt Stuttgart, sowie Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90 / Die Grünen, Vorsitzende des Sozialausschusses im baden-württembergischen Landtag. Ansgar F. Dittmar, Bundesvorsitzender der Schwusos in der SPD, fungierte wie bereits erwähnt als Moderator. Alle Parteienvertreter fordern weitere Fortschritte in Bezug auf die rechtliche Gleichstellung, doch hat es Kotz dabei in seiner Partei besonders schwer, seine Parteifreunde zu überzeugen. Als verpartnerter und bekennender Schwuler bringt er allerdings seine konservativen Parteifreunde im persönlichen Umfeld fortwährend „auf seinen Kurs“. Aus dem Newsletter des Völklinger Kreises, Regionalgruppe Frankfurt & Mainz/Wiesbaden, Ausgabe Juni 2009, Seiten 4-6 In ihrer Zusammenfassung und Verabschiedung meinte die BEFAH-Bundesvorsitzende, dass in diesen drei Tagen in Stuttgart viel Vertrauen unter bisher einander Fremden entstanden sei. Wir VK’ler finden es sehr bewundernswert, dass es so viele Eltern gibt, die sich bundesweit organisieren und sich mit sehr viel Energie und Engagement für unsere Rechte einsetzen. Es bleibt jedoch nach wie vor noch viel zu tun, bis sich Verbände wie der BEAFH und der VK einmal überflüssig gemacht haben. Mehr über den BEFAH e.V. ist im Internet unter www.befah.de zu finden. Dirk Hartmann – RG Frankfurt Als Handwerksmeister und Vorsitzender seiner Innung stellt dies für ihn inzwischen kein Problem mehr dar. Abgesehen von diesen lokalen „Erscheinungen“ ist die CDU von Gleichstellung jedoch noch weit entfernt. Homosexuellen Paaren bleibt zum Beispiel in Baden-Württemberg weiterhin das Standesamt verwehrt, um Ihre Verpartnerung eintragen zu lassen. Ute Vogt hob hervor, dass die SPD als erste und bis dato einzige Partei zum Zeitpunkt der Tagung einen einzigen wichtigen Satz im Wahlprogramm stehen habe: „Eingetragene gleichge- BET-Reader 2009 57 Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Impressionen vom BET 2009 in Stuttgart – Renate Löhr, Pastorin i.R. Das fand ich gut. Was ist BEFAH? Henning Röhrs hat aus den Anfangsbuchstaben ein Motto entwickelt: B - Bundesverband E - einer F - freundlichen und friedevollen A - Anhörung von H - Homo-Eltern Ich denke weiter: freundlich und friedevoll – also ff! Ein ff Bundesverband! Das fand ich gut. Die Grußworte der Stuttgarter Bürgermeisterin Frau Gabriele Müller-Trimbusch waren eine überraschend gelungene und ehrliche Rede einer Politikerin zu Beginn der Tagung. Sie hatte sich offensichtlich persönlich mit dem Thema beschäftigt und unterschied sich daher wohltuend von dem üblichen langweiligen Blabla solcher Eingangsworte hin und her im Lande, die ich gern so zusammenfasse: Wir sind auch dafür! Aber wofür, das weiß manchmal der Redner selber nicht. Diese Frau wusste genau, wovon sie redete, und sie war innerlich beteiligt und berührt. Ich saß in derselben Reihe wie sie. Als sie das Podium verlassen hatte, habe ich ihr spontan einen Zettel zugeschoben. Darauf habe ich geschrieben: Voll ins Schwarze getroffen! Danke! Das fand ich gut. Der Referent Hermann Bayer wagte es, die über 80 Teilnehmer/innen in seinem 1.Vortrag auf einen Phantasieweg mitzunehmen, der in die tieferen Schichten der Seele führt und die Türen aufschließt für eine Kommunikation auf der Ebene des Unbewussten, dessen, was sich unterhalb der kognitiven Oberfläche abspielt. Viele sind dabei auf die Tiefe ihrer Gefühle gestoßen, auf ihre Ängste, ihre Traurigkeiten, ihre Scham, ihre Zerrissenheit, ihre verzweifelten Hoffnungen und Wünsche nach sog. Normalität. Dieses Wagnis einer völlig unkonventionellen, fast überrumpelnden Eröffnung initiiert eine Tagungsatmosphäre, die von Offenheit, Wahrhaftigkeit und äußerstem Vertrauen der Menschen untereinander geprägt wird. Das fand ich gut. Was die Frauen und Männer am Samstag unter der Leitung des Referenten Henning Röhrs erlebten, habe ich eine ‚explosive Befreiung‘ genannt. Herr Röhrs ermunterte die Mütter und Väter, von ihren Gefühlen und Erfahrungen miteinander zu sprechen, sich gegenseitig ihre schweren und ihre hoffnungsstarken Geschichten zu erzählen, das Peinliche, die Scham, die Schuldzuweisungen an sich selbst, die 58 Unsicherheiten, die Ängste vor dem sog. Makel zu benennen. Von Gefühlen zu reden, die wir gemeinhin verstecken und verdrängen, ist befreiend. Der lebhafte Gesprächslärm im Plenum war mir Beweis dieses befreienden Geschehens. Das fand ich gut. Beide Referenten, Hermann Bayer und Henning Röhrs, pflegten den Redestil der ‚offenen Rede‘. Sie hielten im Grunde keine Vorträge im altbekannten Sinn in der Art von ‚Einer spricht und alle anderen hören schweigend zu‘. Sie begaben sich in ein Gespräch mit den Zuhörern, in ein inneres Gespräch mit Anfragen, Vermutungen, Hinweisen, Antwortmöglichkeiten, Ermutigungen und Aufforderungen zum Sprechen miteinander. Für mich war dieser Tagungsstil überraschend neu und überraschend wirkungsvoll. Letztlich führte er Menschen zur offenen und vertrauenden Gemeinschaft zusammen. Manchmal wirkte das ganze wie ein großes Familientreffen. Das fand ich gut. Innere Sicherheit trotz des Wissens um die Zerrissenheit und um die Sehnsucht nach Einssein fassten die Referenten in Worte und verkörperten sie auch selbst mit ihrer Persönlichkeit. Diese persönliche Gestaltung und Gestalt vermittelten den Teilnehmern/innen Zutrauen gegen Bedrückung, Glaube an eine bessere Zukunft. Das fand ich gut. Das Wir der Gemeinschaft konnte sich verwirklichen auch in dem offenen und großzügig angelegten Ambiente des Tagungshotels, das mit seinem Innenhof, den Sitzecken, den verschiedenen Räumen zum Miteinander, zum Kennenlernen, zum Austausch und zur Freundschaft einlud. Das fand ich gut. Das Wunder der internationalen Begegnung mit Menschen aus der Schweiz, aus Island, aus Argentinien, aus der Türkei habe ich als besonders glückliches Ereignis erlebt. Auch den Politikern hat diese sogar über Europa hinausgehende Besetzung imponiert; sie haben vielleicht ein wenig eingesehen, dass die Arbeit des BEFAH ernster zu nehmen ist als sie wohl ahnen konnten. Das fand ich gut. Die FELS-Kuh mit Hörnern, Blumen und Regenbogenfarben - ein beziehungsreiches und symbolträchtiges Geschenk. Und mit welcher Freude und Überzeugungskraft die beiden schweizer Frauen ihr Schmuckstück interpretiert haben, das war einfach ein anrührender Spaß. Der Funke aus Begeisterung und Leidenschaft sprang über. BET-Reader 2009 Das fand ich gut. Dass Erica Micale eine Vorlesestunde am Samstagabend organisiert hatte, fand ich besonders gelungen. Ich liebe die Tiergeschichten von Manfred Kyber und ihren Bezug zu unseren menschlichen Verhaltensweisen. Und der vortragende Schauspieler hatte die bezaubernde Gabe, sich durch Mimik und Gestik dem jeweiligen Tier ähnlich zu machen. Ich habe es sehr begrüßt, dass ein total anderes Thema für eine Stunde aus dem ‚Schmoren im eigenen Saft‘ herausführte und zum Schmunzeln und Nachsinnen Raum gab. Das ist mir wichtig. Und da ich gerade mit meinen Gedanken beim Geld bin: Es gab private Spenden. Sie sind das Salz in der Suppe der Finanzierungsmodalitäten. Das fand ich weniger gut. Dazu fällt mir nichts Wesentliches ein! Es war einfach rundum o.k., zukunftsweisend, stärkend und verbindend. Das fand ich gut. Das Podium am Sonntag Vormittag war nicht nur mit schwulen Politikern wie beim BET 2007 in Hamburg besetzt. Dadurch war eine breitere Auseinandersetzung möglich. Ich erlebte die ausgewogene Argumentation des Bundesanwaltes a.D. Manfred Bruns (Vorstandsmitglied des LSVD); die weite und fundierte Toleranz des FDP-Vertreters; die vorsichtige Annäherung des CDU Mannes an die Thematik – seine Partei ist leider noch nicht so weit; die eloquente, erfahrene SPD-Politikerin; die Vertreterin der Partei der Grünen, von der ich mir mehr Einsatz gewünscht hätte als die Aufzählung dessen, was die Grünen in Sachen politischer Akzeptanz von Homosexualität erreicht haben. Das weiß ich schon und kann es anerkennen. Aber wie sieht das Engagement der Grünen für die Zukunft aus? Der Diskussionsleiter Herr Ansgar Dittmar machte seine Sache souverän und zugleich angenehm locker. Das ist mir wichtig. Erica Micale und ihrem Mann Stefano sowie der Elterngruppe Stuttgart sage ich danke für die Vorbereitung, Organisation und Öffentlichkeitsarbeit. Der Befah-Bundesvorstand: W. Schütz, G. Schmidt, G. Held, G. Stein und C.Bauer (von links nach rechts) Das ist mir wichtig. Dem Bundesvorstand gelten meine Hochachtung und mein großer Dank. Es ist immer wieder ein Kraftakt, eine Tagung dieses Ausmaßes und dieser Qualität durchzuführen. Hinter und vor den Kulissen ist viel Klein- und Schwerarbeit nötig, die mit für das Gelingen sorgt. Die Freude der Vorständler an dieser Arbeit ist auch ein Grund mit für das gute Tagungsklima. Das ist mir wichtig. Die finanzielle Förderung der Tagung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Jugend und Soziales möchte ich lobend hervorheben. Nur dadurch war es möglich, die Kosten für die Teilnehmer/innen relativ niedrig zu halten. Dass der Staat unser Engagement für die Akzeptanz der Homosexuellen durch seine Unterstützung anerkennt, will ich nicht zu klein schreiben. BET-Reader 2009 59 Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes Gedicht – Dorle Johannsen, Winnenden Danksagung – Roswitha Schirra Liebe Frau Held, BEFAH wofür sind denn diese da? Gewusst hatt‘ ich‘s natürlich schon, es geht um Tochter oder Sohn lesbisch oder gar auch schwul aus Hamburg oder Istanbul. Auch gab es manch‘ Gesprächesrunden, um die Gefühle zu erkunden, um die Scham zu überrunden die Seele soll danach gesunden! Zum ersten Mal in diesem Jahr nahm ich teil am Seminar von Eltern unsrer Homosexuellen, das Recht auf Gleichheit herzustellen. Nun muss ich mich nach diesen Tagen auch selbst nach meinem Eindruck fragen: Am Anfang war die Lust nicht groß, das Thema ließ mich dann nicht los! Viele Mütter, viele Väter fühlen sich als Übeltäter! Doch höret: Homosexualität ist keinerlei Abnormität, erdacht, erschaffen von der Natur, nicht korrigierbar durch Dressur! Hier Probleme zu besprechen mit Menschen, die nicht unterbrechen, niemand war es unbequem zuzuhör‘n - wie angenehm! Allen konnt‘ man hier vertrauen, seinen Selbstwert gut aufbauen. Sympathie und Harmonie stimmten ebenso wie die Regie. Um dieses und um Vieles mehr ging‘s diesmal hoch in Stuttgart her: Politiker und Theologen vom Thema her sehr sachbezogen, Eltern von der Elterngruppe, einer von der Schauspieltruppe, auch das Ausland war vertreten, alle wurden sie gebeten, befreit uns von der Seelenqual Lesbisch-/Schwulsein ist normal! zuerst möchte ich mich für Ihr Engagement und die Zeit, die Sie für und im Interesse unserer Kinder einsetzen, ganz herzlich bedanken. Das gilt natürlich für den gesamten Vorstand und alle an der Organisation Beteiligten. Ich fand dieses Treffen als sehr informativ, wohltuend und familiär. […] Gemeinsam mit einer Mutter aus Mannheim möchte ich eine Elterngruppe gründen. Wir wollen uns einmal in Baden-Baden treffen und einmal in Mannheim. Vielleicht wachsen daraus zwei Elterngruppen? Jedenfalls haben wir das während des BEFAH-Treffens so angedacht. Wenn wir die Rahmenbedingungen geschaffen haben, melden wir uns. Ich wünsche Ihnen ein schönes und erholsames Wochenende. Herzlichen Gruß Roswitha Schirra Nun noch zum Schluss, für mich kein Muss: danken möcht‘ ich allen sehr, ich freu‘ mich auf die Wiederkehr. Mein bester Dank auch einer Dame, Erika Micale ist ihr hübscher Name. Mit sehr viel Zeit und viel Elan, hat sie für Eltern viel getan! Es war eine schöne Zeit für ein Mehr bin ich bereit! 60 BET-Reader 2009 BET-Reader 2009 61 BEFAH - Elterngruppen Anhang: Pressestimmen und Verschiedenes 62 BET-Reader 2009 Ort Ansprechpartner/In Telefon Bremen Ursula Schulze 04202 - 28 79 Dortmund Isolde Braun 0231 - 71 12 08 Dresden Holger Klotzsche 0351 - 83 02 36 9 Düsseldorf Carsten Körber 0211 - 68 87 19 23 Freiburg Doris Eisele Judith Wallmann 07631 - 59 19 07644 - 89 52 Gütersloh Marianne und Detlef Kerkhoff 0163 - 7778093 Hamburg Sabine Fischer 040 - 27 880 323 Hannover Elvira Gatz 0511 - 64 78 416 Lorsch Gabriele u. Willibald Schütz 06251 - 52 94 9 München Angelika Mayer-Rutz 07931 - 45 93 7 Nürnberg Inge Breuling 0911 - 59 14 15 Paderborn Edda Zeileis 0160 - 92 60 53 11 Stuttgart Erika Micale 0711 - 74 41 55 Würzburg Angelika Mayer-Rutz 07931 - 45 93 7 BET-Reader 2009 63