Stefanie Haselmann
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Stefanie Haselmann
552 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES Produktionsdruck im Operationssaal gefährdet Patienten* Production pressure in operating theatres endangers patients U. Schulte-Sasse Klinik für Anaesthesie und Operative Intensivmedizin, SLK Kliniken Heilbronn GMBH, Klinikum Am Gesundbrunnen (Direktor: Prof. Dr. U. Schulte-Sasse) Zusammenfassung: Es ist dem Anästhesisten eine vertraute Erfahrung, dass Operationsprogramme verfügbare personelle Ressourcen wiederholt unberücksichtigt lassen und dass die notwendige Anpassung – Planung an Wirklichkeit – zu Konflikten führt: es resultiert Patienten-gefährdender Produktionsdruck. In Gegenwart unzureichender Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen ist die Gefahr für Patienten dort besonders groß, wo, um Erlöse zu erzielen, Sicherheitserwägungen (z.B. Qualifikation des Anästhesisten) dem Erreichen von Produktionszielen (jährliche Fallzahlen, Saalauslastung, Wechselzeiten) untergeordnet werden. Mit klinischen Beispielen wird dargestellt, wie groß die Gefahr für Patienten sein kann, wenn dem Erreichen eines Produktionszieles – das Einhalten eines geplanten OP-Progammes – eine höhere Priorität eingeräumt wird als der Sicherheit der Patienten. Es werden auch Ausführungen dazu gemacht, wer sich in dem einem Schadensfalle folgenden Haftpflicht- oder Strafprozess typischerweise zu verantworten hätte – und dazu, wer sich, obwohl ebenfalls verantwortlich, bisher nicht zu verantworten hat. Die juristischen Spielregeln, nach denen ein Arzthaftpflichtprozess oder ein Strafverfahren ablaufen, verhindern bisher häufig, dass die Verantwortlichkeit von patientenfern entscheidenden Managern und managenden Ärzten, von Betreibern von Gesundheitseinrichtungen erkannt und gewürdigt wird. Die Chance, mit voller Namensnennung verurteilt zu werden, nimmt mit der Entfernung zum Handeln am geschädigten Patienten ab: den direkt am Patienten handelnden Arzt trifft es immer, die „patientenfernen“ ärztlichen und nicht-ärztlichen „Entscheider“ bisher nie. Juristen bewerten diese Praxis mit: Das Ziel einer generalpräventiven Wirkung des Zivil- und Strafrechts wird gegenwärtig klar verfehlt. Für die wirtschaftlich Verantwortlichen besteht Anreiz, kostengünstige, aber potentiell gefährliche Organisationsstrukturen aufrechtzuerhalten oder sogar neu einzuführen, ohne dass diese persönlich dafür einzustehen hätten. Schlüsselwörter: Produktionsdruck – Patientensicherheit – Anästhesierisiko – Krankenhausmanagement – Arzthaftpflichtprozesse. Summary: A common experience by clinical anaesthesiologists is an operation schedule that is incompatible with the staff available and the necessary rescheduling – compliance with reality – often leads to conflict due to “production pressure” – a potentially dangerous situation for patients. With many health care providers in financial strait dangerous situations are most likely to arise when safety considerations (e.g. employment of fully qualified anaesthesiologists) are left unconsidered in order to meet production targets (case load, theatre capacity utilisation and changeover times). This article describes critical events that demonstrate how acute danger to patients becomes when priority is given to meeting a target (eg. completing the OR schedule) over the safety of the patient. The article also identifies those answerable in the event of possibly resulting malpractice litigation, as well as those who – though also equally responsible – have not previously been called to account. Current laws that that apply to medical malpractice lawsuits, tend to obfuscate recognition and evaluation of the responsibility of the decision-taking physician and non-physician managers with no direct patient contact. The possibility of being publicly sued and charged increases in direct proportion to patient contact – the doctor is always in trouble, the “no-patientcontact” managers probably never. The preventative effect of such lawsuits is largely non-existent. Since they are still very unlikely to be personally – and publicly – held responsible for the consequences of their decisions, health care providers are even encouraged to retain or even introduce dangerous but costeffective organisational structures. Keywords: Production Pressure – Patient Safety – Anaesthesia Mishaps – Health Economics – Medical Malpractice Lawsuits. Einleitung Es ist kurz vor 8:00 Uhr, im HNO-Operationstrakt wartet ein überbordendes, auf drei Tische verteiltes Operationsprogramm. Der allen Verantwortlichen bekannte Mangel an Anästhesisten – zwei Fachärztinnen sind schwanger, ihre Stellen jedoch nicht besetzt wird akut gesteigert, als sich ein weiterer Arzt krank * Rechte vorbehalten © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH LEGAL AFFAIRS meldet. Von Protesten des HNO-Chefarztes begleitet, nimmt der OP-Manager kurzfristig eine Umverteilung des Operationsprogrammes vor: in der HNO werden nun nur zwei Tische betrieben, der zur Beaufsichtigung von Assistenzärzten vorgesehene Anästhesie-Oberarzt wird selbst „produzierend“ an einen Tisch festgestellt. Mit dieser Umorganisation soll erreicht werden, das geplante OP-Programm in allen Abteilungen trotz Personalmangels „durchziehen“ zu können. Der Oberarzt und ein erfahrener Facharzt beginnen mit ihrer Arbeit im HNO-Operationstrakt, der OP-Beginn 8:00 kann auch eingehalten werden. Die Stimmung zwischen HNO-Chefarzt und Anästhesisten ob des gestrichenen 3. OP-Tisches ist nicht ganz so, wie in Personalentwicklungsprogrammen beschrieben. Unter hohem Druck, das (zu) große Programm bei bekanntem Personalmangel dennoch abzuarbeiten, bemühen sich Ober- und Facharzt um schnelle Wechsel: das jedoch geht bereits bei dem 2. Wechsel schief. Ein kleines Kind, gerade extubiert und in den Aufwachraum gebracht, noch nicht voll ansprechbar, „verschluckt“ sich an Wundsekret nach einer Tonsillektomie und entwickelt einen Laryngospasmus. Die Sauerstoffsättigung fällt bedrohlich ab. Der Facharzt, schnell wechselnd, hatte das Kind schon wieder verlassen und leitete bereits die Narkose bei dem nächsten Kind ein. Der aufsichtführende Oberarzt, für die Beherrschung von Komplikationen im Aufwachraum initial vorgesehen, stand selbst bei einer Narkose fest – um das Programm durchzuziehen. Um das Kind zu retten, eilte (rannte) er in den Aufwachraum und konnte – unter den Augen der überaus besorgten Mutter – die kritische Situation beherrschen und eine normale Sauerstoffsättigung wieder herstellen. Die Rettung des Kindes gelang ihm nur, indem er eine neue, potentiell kritische Situation schuf: mit der Führung der Oberarzt-Anästhesie wurden das Narkosegerät und der HNO-Operateur beauftragt. Glücklicherweise führte die „Autopilot“Phase nicht zu einem weiteren Anästhesie-Unglück. Sieht so die vorausschauende Beherrschung bekannter Gefahren aus? Nein! Die Beteiligten hatten lediglich Glück gehabt! Vor dem Hintergrund solcher kritischer Ereignisse (critical incidents), dem klinisch tätigen Anästhesisten leidvoll vertraut, sei dargelegt, wie groß die Gefahr für Patienten sein kann, wenn dem Erreichen eines Produktionszieles – das Einhalten eines geplanten Operationsprogrammes – eine höhere Priorität als der Sicherheit der Patienten eingeräumt wird. Es seien auch Ausführungen dazu gemacht, wer sich in dem einem Schadensfalle folgenden Haftpflicht- oder Strafprozess typischerweise zu verantworten hätte – und dazu, wer sich, obwohl / RECHT I 553 ebenfalls verantwortlich, bisher nicht zu verantworten hat. 1. Produktionsdruck Analysen von Unglücken im Schwerlastverkehr, im Zivilflugverkehr, in der Fährschifffahrt bringen immer wieder ans Licht, dass in gefahrengeneigten Unternehmungen Druck („production pressure“) auf das Personal existiert, um vorgegebene Produktionsziele zu erreichen und zu übertreffen, um Gewinne zu erzielen und zu steigern - auf Kosten von Sicherheitserwägungen [1]. Wie einleitend dargestellt, gefährdet Produktionsdruck auch unsere Patienten im Operationssaal: Wiederholt lassen die Planer eines Operationsprogrammes die personellen, tatsächlich verfügbaren Ressourcen unberücksichtigt. Es ist dem Anästhesisten eine vertraute Erfahrung, dass die nun erforderliche Anpassung – Planung an Wirklichkeit – zu Konflikten mit (manchen) Programmplanern führt, es resultiert Patienten gefährdender Produktionsdruck [2,3]. Produktionsdruck aus einer weiteren Quelle setzt neuerdings Anästhesist und Operateur gleichermaßen unter Druck, dem Durchziehen eines Operationsprogrammes Vorrang über Patientensicherheit einzuräumen: Von Geschäftsführern, Betriebsleitern, OP-Managern werden heute im Operationssaal zu verwirklichende Produktionszahlen vorgegeben, um das ökonomische Überleben der Gesundheitseinrichtung zu sichern. In Gegenwart unzureichender Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen ist die Gefahr für Patienten dort besonders groß, wo, um Erlöse zu erzielen oder doch Verluste abzuwehren, Sicherheitserwägungen (z.B. Qualifikation des Anästhesisten – Arzt vs. Schwester; Weiterbildungsanfänger vs. Facharzt) dem Erreichen von Produktionszielen (geplantes Operationsprogramm, jährliche Fallzahlen, Saalauslastung, Wechselzeiten) untergeordnet werden. In unseren Operationssälen in Kliniken und Praxen geht es inzwischen darum „immer mehr Patienten, immer schneller, mit immer geringerem personellem und apparativem Aufwand“ durch ein Operationsprogramm zu schleusen. Der resultierende Produktionsdruck wird als „near fanatic“, als „dramatic“, als „incredible“, als „mindless“ beschrieben [2] und von Ärzten und Schwestern im Operationssaal erlebt. Von OP-Managern werden Operationssaalauslastungen auf der Grundlage von Wechselzeiten zwischen den Operationen und durchschnittlicher Bindungszeit des Anästhesisten pro Eingriff vorgegeben. Es werden Berechnungen angestellt, wie mit einem sol- © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH 554 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES chen Management „Gewinne“ zu erzielen sind [4]. Bei der Umsetzung eines solchen OP-Managements, oft von externem „Sachverstand“ begleitet, bleibt wiederholt und grob die Sicherheit der zu Fallzahlen degradierten Patienten außer acht. Diese Entwicklung wird als lebensbedrohend beklagt [1,2], und es mangelt nicht an warnenden Stimmen. Ausdrücklich betont der BGH [5], dass im Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Überlegungen und der Einhaltung des gebotenen Standards letzterem der Vorrang eingeräumt werden muss: „Die Sicherheit des Patienten“ geht „allen anderen Gesichtspunkten vor“. Geschäftsführung und Klinikleitung vereinbaren inzwischen mit OP-Managern zu erwartende Erlöse auf der Basis von geplanten Fallzahlen, Operationssaalauslastungen und Wechselzeiten. Solche „Kennzahlen“, in Zielvereinbarungen zwischen OP-Manager und Geschäftsführung festgehalten, werden als „wesentliche“ Ziele den Mitarbeitern kommuniziert und deren Einhaltung kontrolliert. Bei der Kommunikation solcher, den Erlös sichernden Zielvereinbarungen, bei der Formulierung von OP-Betriebsordnungen (OPStatut) bleiben Begriffe wie Patientensicherheit und Facharztstandard - wiederholt – unerwähnt: „Something is wrong in our nation’s hospitals“ beklagt Schiff [6], denn Krankenhausmanager und selbst Ärzte sind mehr mit dem Überleben „am Markt“ als mit dem Überleben ihrer Patienten befasst. Aus nachvollziehbaren Gründen gibt es keine systematische Studie, die belegt, in welchem Maße Produktionsdruck Patienten tatsächlich geschädigt hat [7]. Eine solche Studie wird es auch in Zukunft nicht geben. Dies bedeutet nicht, dass Patienten nicht zu Schaden kommen würden, wenn im Operationssaal Fallzahlen über Qualität und Sicherheit dominieren. In einer Umfrage berichten Gaba et al. [1] dass 49 % der Befragten bei ihrer Arbeit im Operationssaal immer wieder beobachten konnten, wie Anästhesisten, unter Druck gesetzt, ein Operationsprogramm „durchgezogen“ und dabei Aktionen ergriffen haben, die Patienten gefährdet (unsafe actions) und tatsächlich geschädigt hatten. Ökonomische Erwägungen erzeugen Produktionsdruck und dieser gefährdet die Sicherheit unserer Patienten im Operationssaal [2], das ist die Lehre, die der Risiken managende Kliniker aus anekdotischen Fallberichten ziehen kann. Mit der Forderung „Wir müssen über Fehler reden“ – so der Chirurg Rothemund im „Stern” 10/2008 - wird zutreffend betont, dass wir aus Einzelfällen, bei denen Fehler zu Patientenschädigung geführt haben oder unkorrigiert zu Katastrophen hätten führen können (near misses), lernen können und müssen. Im Zusammenhang mit den Gefahren des Produktions- druckes sei an die Adresse der gegenwärtig ärztliche Fehlerkultur anmahnenden Politiker und Repräsentanten der Kostenträger betont: Es waren und sind wir, die Ärzte, die auf die Gefährlichkeit des Produktionsdruckes hingewiesen haben. Wir, die in der „Produktion“ (mit Anführungszeichen geschrieben – der Autor weiß, dass es sich hier um die operative Versorgung kranker Menschen handelt) stehenden Ärzte, waren und sind es, die den patientenfern entscheidenden ärztlichen und nicht-ärztlichen Managern darlegen, welche Konsequenzen es für den Patienten hat, haben kann, wenn Fallzahlen und Operationssaalauslastung eine höhere Priorität als Patientensicherheit haben. Es ist eine wiederholt frustrierende Erfahrung des Klinikers, dass unser Einstehen für die Patientensicherheit bei den gerade noch ärztliche Fehlerkultur anmahnenden Gesundheitspolitikern und Repräsentanten der Krankenhaus- und Kostenträger (wiederholt) ohne Konsequenz bleibt. Ob zukünftig Anästhesisten in Reaktion auf die neuerliche Diskussion um eine ärztliche „Fehlerkultur“ auf offenere Ohren stoßen werden, wenn sie bei ihrem Geschäftsführer und Betriebsleiter, Fehlerkultur pflegend und auf Abhilfe drängend, über Beinahekatastrophen im Operationssaal in Folge von Produktionsdruck berichten, dies bleibt abzuwarten. Dem Geschäftsführer, dem Betriebsleiter, dem Personalleiter (auch einem Operationsprogramme festlegenden operativen Chefarzt) ließen sich - den Chirurgen Rothemund zitierend („Wir müssen über Fehler reden“) - mit dem nachfolgenden Fallbericht die Gefahren vor Augen führen, die einem Patienten drohen, wenn vereinbarte Saalauslastungen „near fanatic“ und „mindless“ von OP-Managern umgesetzt werden. Dies ist die Absicht, die der Autor verfolgt bei dem Bericht über eine Anästhesiekatastrophe, die sich am Krankenhaus einer privaten Kliniken-Gruppe ereignet hat, ein Unglück über das in den Medien berichtet wurde (Krankenhäuser auf Sparkurs. SAT 1 Planetopia vom 01.06.2008). Es ist die auf Anschauung bei der täglichen Arbeit im Operationssaal fußende Überzeugung des Autors, dass dieser Bericht es nicht verdient hat, als Analyse eines unglücklichen Einzelfalls abgetan und damit ignoriert zu werden: hier wird ein in den Operationssälen von Krankenhäusern und Praxen häufig zu beobachtender, gefährlicher Systemfehler beschrieben: das „Durchziehen“ eines geplanten Operationsprogrammes, auch um den Preis einer damit verbundenen geplanten Gefährdung von Patienten. 2. Sind wir schnell genug? „Mit dem fallpauschalierten Entgeltsystem der „Diagnosis Related Groups" (DRG) steht ein Benchmark © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH LEGAL AFFAIRS der Soll-Kosten bereit. Krankenhäuser, welche für eine Leistungserstellung höhere Ist-Kosten benötigen, als über den DRG-Erlös (= Soll-Kosten) entgolten werden, verfehlen die Gewinnschwelle und bieten diese Leistung defizitär an. Verlängerte intraoperative Prozesszeiten können aufgrund vermehrter Personalbindungszeiten und erhöhter Sachkosten hierfür ursächlich sein“ (Bauer M. Benchmark operativer Prozesszeiten: Current congress, 55. Jahrestagung der DGAI, 2008). Solche Erkenntnisse werden uns heute in OP-Management-Seminaren vorgetragen. Vor diesem Hintergrund werden Bindungszeiten des Anästhesisten pro Operation von externen Gutachtern akribisch analysiert, von OP-Managern genau beobachtet, und es wird die Frage gestellt: „Sind wir schnell genug?“ (Bauer M. Current congress, 55. Jahrestagung der DGAI, 2008). Es beunruhigt in diesem Zusammenhang, dass eine weitere Frage nicht gestellt und damit auch nicht beantwortet wird, die Frage, ob wir denn auch sicher genug sind. Mit der Beschreibung eines konkreten Falles können Antworten auf beide Fragen gegeben werden. Die Antworten können/sollen Anlass zum Nachdenken geben. Bei einem Patienten wurde ein Prostatacarcinom diagnostiziert. Die Urologen am Klinikum einer privaten Kliniken-Gruppe stellten die Indikation für eine offene, radikale Prostatektomie. Diese Operation wurde in Allgemeinanästhesie, kombiniert mit thorakaler Periduralanästhesie, durchgeführt. Die Bindungszeit des Anästhesisten betrug 180 Minuten. In anderen Krankenhäusern ist der Anästhesist bei gleichem Eingriff 240 (und auch deutlich mehr) Minuten gebunden [8]. Bei glücklichem Ausgang hätte die bemerkenswert kurze Bindungszeit der privaten Kliniken-Gruppe einen Wettbewerbsvorteil verschafft gegenüber anderen Krankenhäusern, die bei gleichem Personaleinsatz pro Zeiteinheit weniger produzieren und damit die „Gewinnschwelle“ verfehlen. Die Frage von Geschäftsführer und OP-Manager der Kliniken-Gruppe „Sind wir schnell genug?“ kann damit zunächst mit einem Verluste abwehrenden Gewinn in Aussicht stellenden „Ja“ beantwortet werden. Um nun auch die zweite Frage, „Sind wir sicher genug?“, beantworten zu können, soll der Leser weitere Informationen erhalten, darüber, was innerhalb von 180 Minuten, in denen der Anästhesist an den Patienten gebunden war, „geschafft“ wurde: Auf die komplikationslose Anlage der thorakalen Periduralanästhesie und die Einleitung der Allgemeinanästhesie folgten verzugslos Lagerung, Abwaschen und Abdecken des Patienten. Nun begann – die Operateure waren pünktlich im OP - die offene Prostatektomie. Der Verlauf der Operation war kompliziert: zusätzlich Operationszeit (und damit Bindungszeit des Anästhe- / RECHT I 555 sisten) erforderte die Übernähung des Dickdarmes, der nach Verletzung versorgt werden musste. Diese operative „Zusatzleistung“ war der Beginn eines komplizierten postoperativen Verlaufes – in einer Folgeoperation musste ein Anus praeter, bei intraabdomineller Entzündung, angelegt werden. Aber nicht nur der Verlauf der Operation war kompliziert: Die kurze Bindungszeit des Anästhesisten schloss eine weitere, bei Prostatektomie nicht erforderliche, jetzt anästhesiologische „Zusatzleistung“ ein: eine Reanimation. Kurz vor Operationsende kam es zu einem Herzstillstand. Nur mit großem Aufwand, Anästhesiezeit verbrauchend, konnte der Patient wiederbelebt werden. Der Anästhesist musste den Patienten danach beatmet auf die Intensivstation transportieren. Für all diese Leistungen und Zusatzleistungen wurden lediglich 180 Minuten Anästhesiepräsenz verbraucht – an anderen Krankenhäusern wäre hier die Operation noch nicht einmal beendet gewesen. 3. Der Fall: Morgendliche Krisensituation – es fehlt ein Anästhesist Der Verlauf der 180 Minuten Anästhesie-Bindungszeit sei beschrieben: Im Vorbereitungsraum der Anästhesie erhielt der Patient zwei periphere Venenkanülen, es wurde ein thorakaler Periduralkatheter (Th10/11) angelegt, dem folgte – ohne den Katheter aufzuspritzen - die Einleitung der Allgemeinanästhesie. Mit diesen Tätigkeiten war die erfahrene Anästhesistin kurz vor 8:00 Uhr fertig. Der Patient war abfahrbereit in den Operationssaal, die im OP-Statut vorgegebene Richtzeit für den Operationsbeginn, 8:00 Uhr, konnte eingehalten werden. Der OP-Manager, selbst Oberarzt der Anästhesie, stand nun einem Problem gegenüber – es fehlten ihm erfahrene Anästhesisten für ein geplantes, üppiges Operationsprogramm. Es fehlte ihm akut ein Anästhesist für die Narkose bei einem Kleinkind für einen geplanten HNO-Eingriff. Um diese Lücke zu schließen und um den verbindlich vorgegebenen OP-Beginn auch im HNO-Operationstrakt einzuhalten, zog der OP-Manager die erfahrene Anästhesistin von dem urologischen Patienten direkt nach Einleitung der Allgemeinanästhesie ab. Sie verließ den Zentral-OP, eilte in den abseits gelegenen HNO-Operationstrakt und leitete dort das Kleinkind ein. Der vereinbarte Operationsbeginn konnte eingehalten werden. Mit dieser Personalverschiebung hatte der OP-Manager zwar eine Lücke im dezentralen HNO-Operationstrakt geschlossen – bei unzureichender Personalbesetzung aber ein neues Problem geschaffen: An die Stelle der erfahrenen Anästhesistin setzte der OPManager nun eine noch unerfahrene Assistenzärz- © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH 556 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES tin. Mit nur wenigen Monaten Erfahrung sollte diese nun die komplexe Anästhesie bei dem urologischen Patienten führen. Im Zentral-OP musste der OP-Manager eine Veränderung des Arbeitseinsatzes der Anästhesisten vornehmen. Typischer Anlass für solche kurzfristigen Änderungen im Personaleinsatz sind zum Beispiel der überraschende Ausfall wegen Krankheit oder die akute Versorgung zusätzlicher Notfälle. Dem OPManager steht für solche beinahe täglich zu managenden Personalmangelkrisen keine „Facharztreserve“, kein „contigency plan“ – wie gefordert – zur Verfügung (Carayon P. Production pressure. Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ). WebM&M May 2007). Der OP-Manager kann nicht (oder nur in seltenen Fällen) auf eine Reserve nicht beschäftigter Fachärzte zurückgreifen, um Personalausfälle zu kompensieren. Warum existiert der geforderte contigency plan nicht, warum gibt es keine Facharzt-„Reservebank“? Nun, Personalkosten sind heute d i e dominierende Größe bei den Kosten, die ein Operationsbetrieb verursacht. Um Gewinne zu erzielen (oder doch wenigstens Verluste abzuwenden), setzen Geschäftsführer und Betriebsleiter insbesondere hier an, um Produktionskosten zu senken. (Fach-)Ärzte zur Führung der Anästhesie, aufsichtführende, den Facharztstandard sichernde Oberärzte stehen ungenügend zur Verfügung, weil Arztstellen zögerlich und wiederholt überhaupt nicht besetzt werden. Der resultierende Personalmangel erschwert dem OP-Manager seine Arbeit ganz erheblich. Gefahren für die Patienten nehmen nun vor allem und erheblich zu, wenn bei chronischem Mangel, akute Personalausfälle zu ersetzen und/oder akute Mehranforderungen bei Notfällen abzudecken sind: Wenn ein OP-Manager nun versucht, dennoch das geplante OP-Programm „durchzuziehen“, er dabei (vielleicht) die bei der Aushandlung des variablen Teils der eigenen Vergütung festgelegten Zielvereinbarungen im Auge hat [9], dann drohen die beklagten Gefahren des Produktionsdruckes. Besonders groß sind die Gefahren des Produktionsdrucks dort, wo Ärzte in Weiterbildung in der „Produktion“ eingesetzt werden [2] . Berufsanfänger sind billiger als Fachärzte, sie benötigen aber zusätzlich (und damit Personalkosten erhöhend [10]) eine ausreichend engmaschige Überwachung durch einen (selber nicht „produzierenden“) Facharzt. Nur so lässt sich der dem Patienten geschuldete Facharzt-Standard zuverlässig sicherstellen. Patienten an Krankenhäusern mit Weiterbildung geraten in erhebliche Gefahr, wenn im Sinne einer „lean production“, Produktionskosten senkend, billigere Assistenzärzte eingesetzt werden und gleichzeitig an deren fachärztlicher Überwachung gespart wird. An dieser Stelle sei eingeschoben: Auch wenn in Praxen nur Fachärzte arbeiten, so bleiben Patienten auch dort nicht vor den Gefahren des Produktionsdruckes verschont: So hat kürzlich ein behindertes Kind in der Praxis eines Zahnarztes einen Herzstillstand erlitten und ist schließlich gestorben (Tod nach Zahn-OP. Ambulante Narkosen mit fatalen Folgen. SAT 1, Planetopia vom 30.11.2008). Um mit der zu knapp eingeschätzten Vergütung für Zahnextraktionen in Narkose in einer Zahnarztpraxis finanziell „überleben“ zu können (Berzbach S. Drohender Notstand für zahnärztliche Behandlungen von Kindern unter Vollnarkose. 14.10.2008 ZWP online), war auf eine adäquate Überwachung der Patienten im Anschluss an die Allgemeinanästhesie verzichtet worden. Vordergründig rechnet sich ein solcher Verzicht für Anästhesist und Zahnarzt, da die Produktionskosten pro Fall sinken, wenn Kosten für Personal und Apparate in einem Aufwachraum nicht anfallen. Das nach einer Zahnextraktion aus Narkose erwachende Kind war den Eltern übergeben worden, der Anästhesist - unter hohem Produktionsdruck stehend - musste die nächste Narkose einleiten. Die Eltern des Kindes „versagten“ bei der Aufgabe, die postanästhesiologische Versorgung auf dem Niveau des Fachpflegestandards sicherzustellen. Das Kind erlitt einen Atem- und dann Herzstillstand. Es ist einige Tage später gestorben. 3.1 Entscheidungs-Optionen des OP-Managers Als der OP-Manager kurz vor 8:00 Uhr zu entscheiden hatte, wer in der HNO Klinik mit der Anästhesie bei dem zweijährigen Kind beginnen und wer bei dem urologischen Patienten die komplexe Anästhesie fortführen sollte, hatte er zwischen drei Optionen zu wählen. Im Zeitalter des Prozessmanagement lernen wir auf Seminaren, wie wichtig „Leitplanken“ für Prozesse sind. Die Richter am BGH haben für genau diese Konstellation – Einsatz von noch unerfahrenen Anästhesisten – Leitplanken vorgegeben: „Die Sicherheit des Patienten“ geht „allen anderen Gesichtspunkten vor“ und darf nicht „etwaigen personellen Engpässen geopfert werden“ [5]. 1. Wenn der OP-Manager die erfahrene Anästhesistin vom urologischen Patienten abzieht und damit das geplante HNO-OP Programm „durchgezogen“ werden kann, dann hätte er einen anderen erfahrenen Facharzt in den Zentral-OP rufen müssen, damit dieser die Anästhesie weiterführte. Diese Option stand offenbar nicht zur Verfügung, sie wurde vom OP-Manager nicht gewählt. 2. Die zweite Option des OP-Managers bestand darin – wenn nur eine Anfängerin als Ersatz zur Verfügung stand – die Assistenzärztin so durch den aufsichtführenden Oberarzt im Zentral-OP überwachen zu lassen, dass die Anästhesieführung im Ergebnis wieder dem geschuldeten Facharztstan- © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH 558 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES dard entsprach. Dies hätte bei dem nach Monaten zählenden Erfahrungsschatz der Anfängerin die ununterbrochene (oder doch nur ganz kurzfristig unterbrochene) persönliche Anwesenheit der aufsichtführenden Oberärztin erfordert. Der OP-Manager hat sich für diese Option entschieden – tatsächlich aber war die persönliche Präsenz der aufsichtführenden Oberärztin auf zehn Minuten gegen Operationsende beschränkt. 3. Wenn weder ein Facharzt als Ersatz bei dem urologischen Patienten zur Verfügung stand, noch die Anleitung der Anfängerin zu verwirklichende Optionen waren, dann stand dem OP-Manager eine letzte Möglichkeit offen: • die geplante Operation, bei dem Kind im HNO-OP nicht beginnen zu lassen, damit die erfahrene Anästhesistin die Anästhesie in der Urologie fortführte, oder • die Narkose bei dem urologischen Patienten zu beenden und ihn zu einem späteren Zeitpunkt operieren zu lassen, wenn ein erfahrener Facharzt zur Verfügung stand. Eine Verschiebung wäre für den Patienten ärgerlich aber nicht lebensbedrohend gewesen. 3.2 Produktionsdruck: Absetzen einer Operation vs. Operationsprogramm durchziehen Der OP-Manager hat sich für die Option 2 entschieden und damit die Verantwortung für die Anfänger-Anästhesie auf die Schultern der aufsichtführenden Oberärztin gelegt. Die Entscheidung des OP-Managers hatte für den Patienten im urologischen Operationssaal schwerwiegende Folgen: Offensichtlich war die aufsichtführende Oberärztin im Zentral-OP nicht in der Lage, die ihr zusätzlich übertragene Überwachung der Anfängerin zu übernehmen. Der Grund: Auch an der Zahl der aufsichtführenden Oberärzte wurde in dem kostenbewussten Klinikum gespart: die Oberärztin war bereits mit der Sicherstellung des Facharztstandards in mehreren Operationssälen – in verschiedenen Stockwerken – betraut. Darüber hinaus sollte die aufsichtführende Oberärztin, ggf. mit überlappenden Narkoseeinleitungen, für kurze Wechselzeiten zwischen den Operationen sorgen – um das Produktionsziel „hohe OP-Saal-Auslastung“ zu erreichen. Im Ergebnis dieser Aufgabenfülle blieben für die Anfängerin lediglich zehn Minuten Überwachung in persönlicher Präsenz übrig. Die vom OP-Manager nicht gewählte, dritte Handlungsoption - mit der HNO-OP nicht zu beginnen oder die Narkose in der Urologie wieder auszuleiten - wird als „stop the presses“ („Stopp das Fließband“)-Politik beschrieben und als ein Standard gefordert (Carayon P. Production pressure. Agency for Healthcare Re- search and Quality (AHRQ). WebM&M May 2007). Die Verantwortlichen im OP – „am Fließband“ - sollen auf die Notbremse treten, das Fließband anhalten können, wenn zu erkennen ist, dass ein geplantes Produktionsziel – hier die Prostatektomie – nur mit unsicheren Mitteln zu erzielen ist – hier die Anästhesie durch die Anfängerin. Mit Verständnis für die Wirklichkeit im Operationsbetrieb wird zu dieser Option ausgeführt, dass eine solche Politik von „ganz oben“ angeordnet und unterstützt werden muss – soll sie tatsächlich zu einem Standard werden. Wenn sich die aufsichtführenden Oberärzte – täglich - bei Verzögerungen im OP-Beginn, bei Zeitüberschreitungen bei den Wechselzeiten, bei Saalauslastungen unterhalb der Zielvereinbarung gegenüber dem OP-Manager haben rechtfertigen müssen, dann war das „Commitment“ der Klinikleitung für die „Stopp das Fließband“-Politik möglicherweise so gering ausgeprägt, dass diese Unterstützung für die Oberärztin nicht zu erkennen war. 4. Produktionsdruck: Wechselzeiten verkürzen 4.1 Schneller Starten – Einleitungszeit verkürzen? Von externen Beratern, Geschäftsführung und OPManagern werden Wechselzeiten (Naht-Schnitt Zeit) vorgegeben, um auf „sich rechnende“ OP-Saalauslastungen zu kommen, denn „je kürzer die Wechselzeit, umso höher kann die Saalauslastung sein“ [4]. „Wie ist sichergestellt, dass die erforderliche Wechselzeit zwischen den Eingriffen so gering wie möglich gehalten wird“ [4], wird im KTQ-Zertifizierungsprozess gefragt. Eingeschlossen in die zu verkürzende Wechselzeit ist die Zeit für Narkoseeinleitung („Starten“) und Narkoseausleitung („Landen“). Ein solcher Ansatz ist lebensgefährlich. Der anästhesiologische „Schnellstart“ und seine gefährlichen Konsequenzen seien beschrieben: Nachdem die thorakale Periduralanästhesie angelegt war, leitete die erfahrene Anästhesistin sofort die Allgemeinanästhesie ein, ohne zuvor das Lokalanästhetikum in kleinen Einzeldosen in den Periduralkatheter zu injizieren, um am wachen Patienten das Ausmaß einer gerade bei blutverlustreichen Operationen gefürchteten Sympathicolyse zu erkennen und zu begrenzen. Das vorsichtige Austesten am wachen Patienten hätte die Kreislauftherapie intraoperativ erleichtert und damit einen Gewinn an Sicherheit für den Patienten geschaffen. Aber es hätte soviel Zeit gebraucht, dass der vorgegebene Operationsbeginn nicht eingehalten worden wäre. Um die Vorgabe einzuhalten, ließ die übernehmende Anfängerin den Patienten sofort in den Operationssaal einfahren. Er wurde gelagert, abgewaschen und abgedeckt, und es konnte dort um 8:10 mit der Operation begonnen © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH LEGAL AFFAIRS werden. Während dieser kurzen Zeit spritzte die Anfängerin den Periduralkatheter mit 15 ml (Carbostesin mit Sufentanil) auf. Dieses schnellere “Starten“ hatte lebensbedrohende Konsequenzen für den Patienten: Die Anfängerin hatte den Patienten im Einleitungsraum bereits mit deutlich abgefallenem Blutdruck übernommen. Noch bevor der Periduralkatheter aufgespritzt war, hatte allein die Einleitung der Allgemeinanästhesie zu einem Missverhältnis zwischen Gefäßfüllung und Gefäßweite geführt. Die Anlage eines invasiven Monitoring zur kontinuierlichen Messung intravasaler Drucke, zur Steuerung einer Kreislauftherapie auf der Basis kontinuierlich verfügbarer Informationen, unterstützt von herznaher Infusion kreislaufwirksamer Medikamente wäre spätestens jetzt angezeigt gewesen. Um die empfohlene Anlage einer invasiven arteriellen Blutdruckmessung und eines zentralen Venenkatheters vorzunehmen, hätte sich die Assistenzärztin aber über die Vorgabe - „OPBeginn 8:00“ - hinwegsetzen müssen, da diese technischen Maßnahmen, selbst in der Hand des Geübten, den Operationsbeginn deutlich verzögert hätten. Bei glücklichem Verlauf hätte die schnell „startende“ Anfängerin einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kliniken gesichert: ohne invasives Monitoring fallen die entsprechenden Materialkosten nicht an, und es werden bei der Narkoseeinleitung weniger Anästhesieminuten verbraucht, die Personalkosten pro abgerechnete DRG sind geringer, die Erlöse pro Fall höher. Die beschleunigte Narkoseeinleitung lässt sich mit dem schnelleren Starten eines Flugkapitäns vergleichen – nicht mit dem Warten am Flugsteig oder dem Rollen auf der Startbahn verdienen Fluggesellschaften ihr Geld, dies tun sie vor allem mit dem Transportieren von Passagieren von A nach B. Obwohl Fluggesellschaften unter ganz erheblichem Produktionsdruck stehen, um Gewinne zu sichern, führt das Operation Manual der Lufthansa City Line bei der Aufzählung von 16 Pflichten und Verantwortlichkeiten eines Flugkapitäns zunächst 14 Pflichten auf, die sich mit der S i c h e r h e i t der Passagiere befassen (Lufthansa CityLine Operations Manual, Part A, Page 12). Erst der Punkt 15 geht auf ökonomischen Flugbetrieb und Pünktlichkeit ein: Beschrieben wird die Pflicht des Flughafenpersonals am Boden, dafür zu sorgen, dass Passagiere und Gepäck rechtzeitig am Flugsteig bereitstehen, damit so Flugpläne ohne Verspätungen eingehalten werden können. Eine Verpflichtung des Piloten zu schnellerem Starten und Landen findet sich nicht! Wie viel Text ist heute in OP-Statuten der Verpflichtung von Anästhesist und Operateur gewidmet, vor allem anderen, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit des Patienten im noch so vollen OP-Programm, auch bei krankheitsbedingten Personalausfällen gewährleistet ist? Wie viel Text ist im OP-Statut der / RECHT I 559 „Stopp das Fließband“-Politik gewidmet? Es lohnt, einmal nachzuschauen, was OP-Manager und Betriebsleiter, oft extern beraten, im eigenen Krankenhaus zu dieser vornehmen ärztlichen Pflicht formuliert haben. Sollten sich Lücken finden, so kann bei der Deutschen Lufthansa abgeschrieben werden. 4.2 Verlauf der Operation Der „Schnellstart“ der Anfängerin hatte medizinisch seinen Preis: Schon bevor sich ein operativer Volumenverlust entwickelt hatte, waren der Blutdruck auf unter 80, die Herzfrequenz auf unter 50 abgefallen. Die ungetestet hoch aufgestiegene Periduralanästhesie hatte eine profunde Sympathicolyse verursacht. Der potentiell einen Wettbewerbsvorteil sichernde Verzicht auf Austesten und invasives Monitoring wandelte sich nun zu einem die Anästhesieführung erheblich erschwerenden Nachteil – immer wieder kam es im Verlauf der Operation zu Abfall von Blutdruck und Herzfrequenz. Für Volumenersatz und Steuerung der Kreislauftherapie standen der Anästhesieanfängerin zwei periphere Venenkanülen bei angelagerten Armen sowie eine Blutdruckmanschette an einem der Arme zur Verfügung. Weil es die Personalkosten erhöht, insbesondere bei unökonomischer räumlicher Infrastruktur (kleine OPEinheiten, dezentrale Operationsanlage [10]), kann die Funktion des aufsichtführenden Anästhesie-Oberarztes heute nur noch gegen große Widerstände und immer wieder überhaupt nicht mehr aufrecht erhalten werden mit der gefährlichen Folge, dass die „direct hands-on“-Überwachung von Assistenzärzten – wie im vorgestellten Falle geboten – unterbleibt [2]. Wären schriftlich formulierte “Abteilungsstandards“ in der Lage gewesen, den Mangel an oberärztlicher Überwachung auszugleichen, um aus der Anfängernarkose eine, dem „Kochbuch“ folgend, sichere Facharzt-Anästhesie zu machen? Hätten die in ihrer Bedeutung heute so betonten schriftlichen Handlungsanweisungen die Kreislaufsteuerung der Anfängerin im „Blindflug“ in einen „Flug nach Sicht“ wandeln können? In der Anästhesieabteilung der privaten Kliniken-Gruppe gibt es schriftliche Anweisungen für die Führung einer Anästhesie bei Prostatektomie, darin festgelegt die zu verwendende komplexe Anästhesiekombination, das Aufspritzen des Periduralkatheters, die Kosten sparende, nicht-invasive Patientenüberwachung. Unbeeinflusst von der Kreislaufreaktion des Patienten hat die Assistenzärztin diese Anweisungen befolgt. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Anfänger, mit solchen Konzepten allein gelassen, zur Gefahr für den nach „Standard“ versorgten Patienten werden [2]. Es gehört zur ärztlichen Kunst, von vorgegebenen Abteilungsstandards – den konkreten Einzelfall bewer- © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH 560 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES tend - abzuweichen. Sich über die Anweisungen einer Klinikleitung hinwegzusetzen, erfordert Erfahrung und damit gepaart „standig“! Die Deutsche Lufthansa betont zur Verantwortung ihrer Piloten in diesem Zusammenhang (Lufthansa CityLine Operations Manual): Wenn es die Sicherheit der Passagiere erfordert, ist es nicht das Recht, sondern die Pflicht des Flugkapitäns auch von vorgegebenen Regeln abzuweichen. Eine solche Entscheidung ist von einer Anfängerin nicht zu erwarten. Diese Erkenntnis wirft eine weitere Frage auf: Hätte die Assistenzärztin spätestens jetzt, als während der Operation Blutdruck und Herzfrequenz immer wieder abfielen, die Oberärztin rufen müssen? Ja! Dass es aber für die Sicherheit eines Patienten nicht genügt, darauf zu bauen, dass ein Berufsanfänger rechtzeitig sich anbahnende Gefahren erkennt – für diese Erkenntnis braucht es kein Medizinstudium. Schon das Landgericht in Augsburg hat darauf verwiesen, dass solche Ruf-Konstruktionen nur unzuverlässig Sicherheit für Patienten schaffen [11]: „Eine solche Dienstanweisung (rechtzeitig um Hilfe rufen) geht ins Leere, wenn der Arzt vor Ort infolge Kenntnisdefizits gefahrverheißende Anzeichen einer Komplikation schon gar nicht als solche erkennt.“ Im Verlauf der Operation über die nächsten 50 Minuten waren die Konsequenzen der ausgeprägten Sympathicolyse immer wieder zu beobachten. Der venöse Rückstrom zum und die Füllung des Herzens blieben lebensbedrohend niedrig. Ungeachtet aller Kreislaufinstabilität, wieder dem Abteilungsstandard folgend, begann die Anfängerin gegen Ende der Operation mit der erneuten epiduralen Infusion von Lokalanästhetika. 4.3 Die Naht-Schnitt-Zeit ist zu verkürzen – Schneller Landen? Eine mechanische Behinderung des venösen Rückstroms zum Herzen bei radikaler Prostatektomie ist typisch und im Zusammenhang mit der thorakalen Periduralanästhesie gefürchtet. Wenn in Gegenwart einer ausgeprägten Sympathicolyse Flüssigkeitsverluste zögerlich oder nur unzureichend ersetzt werden, dann kann jede zusätzliche Behinderung des venösen Rückstromes zum Herzen zu einem plötzlichen Herzstillstand führen [12]. Bei Operationsende kam es zu dieser zusätzlichen Behinderung. Als die Urologen die Operation beenden wollten, erschwerte eine „starke Muskelspannung“ des Patienten den Bauchdeckenverschluss. Ein Muskelrelaxans ist geeignet und indiziert, um eine „starke Muskelspannung“ zu überwinden. Mit Gabe eines Muskelrelaxans wäre die Narkoseausleitung möglicherweise um Minuten verlängert worden, die vom OP-Manager vorgegebene Verkürzung der Naht- Schnitt-Zeit wäre nicht zu verwirklichen gewesen. Bei anderen Ausgangsbedingungen (keine Sympathicolyse, kein maskierter Volumenmangel) hätte die Anfängerin mit ihrer Entscheidung für das kurzwirkende Propofol sowohl die Entspannung fordernden Operateure als auch den auf kurze Wechselzeiten drängenden OP-Manager zufrieden stellen können. Unter den gegebenen Bedingungen jedoch hätte die Entscheidung der Assistenzärztin unglücklicher nicht sein können: Mit der Injektion von Propofol hatte sie eine „unsafe action“ ergriffen und das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen gebracht: Die bekannten Wirkungen von Propofol auf Gefäßweite, Herzschlagfolge und Kontraktilität wurden dem Patienten jetzt zum Verhängnis. Propofol verminderte den venösen Rückstrom zusätzlich. Das Herz drohte leer zu schlagen. Es kam zu einer starken Pulschlagverlangsamung, das Herz blieb stehen. Der vorgestellte Fall macht deutlich, dass es geradezu absurd ist, Anästhesisten zu schnellerem Starten und Landen anzuhalten. Mit dem Hinweis auf eine Katastrophe in der Zivilluftfahrt warnt Gaba vor dieser Form des Produktionsdruckes [1]: Um die „Wechselzeit“ zwischen zwei Flügen so kurz wie möglich zu halten, hatte ein Pilot versucht, „schneller“ zu landen: Im Landeanflug umflog er nicht eine Gewitterfront am Flughafen, sondern wählte den schnellsten Weg – mitten durch - und stürzte mit allen Passagieren ab! Mit der Wahl von Propofol wäre eine schnellere „Landung“ möglich gewesen, im Ergebnis - in der gegebenen Konstellation - „stürzte“ der Patient ab. Die der Propofolgabe folgende Reanimation benötigte Zeit – zuviel Zeit: der Patient ist heute zerebral schwerst geschädigt und zu 100 % erwerbsunfähig. 5. Produktionsdruck und rechtliche Verantwortung Die juristische Würdigung medizinischer Katastrophen in Zivil- und Strafprozessen führt zu einem Urteilsspruch, der Fragen nach Verpflichtung zu Schadensersatz, nach Schuld der beteiligten Ärzte beantwortet. Bei diesen Gerichtsverfahren müssen sich diejenigen Ärzte verantworten, die zum Zeitpunkt des Unglückes am Patienten direkt tätig waren, und es sind auch diese Ärzte, die gegebenenfalls - mit voller Namensnennung - verurteilt werden. Wird die Organisation analysiert, in der ein Arzt mit katastrophalen Konsequenzen tätig wurde, so fördert ein solch analytischer Ansatz wiederholt die Erkenntnis zu Tage, dass die organisatorische Infrastruktur die vom Gericht zu würdigende Katastrophe nicht nur nicht verhindert hat, sondern geradezu Voraussetzung für das Unglück war [13]. Die vorgestellten Katastrophen © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH LEGAL AFFAIRS und Beinahe-Unglücke belegen, was Rechtsanwalt Dr. Bruns in diesem Zusammenhang anmerkt [14]: „Behandlungsfehler sind häufig das Ergebnis von Systemfehlern im Krankenhaus, die in ihren gefährlichen Auswirkungen zwar bekannt, aber „aufgrund wirtschaftlichen Druckes beibehalten oder sogar neu eingeführt werden“ - im hier erörterten Zusammenhang, der von Betriebsleitung und OP-Management – von ärztlichen und nicht-ärztlichen Managern - ausgehende Produktionsdruck in den Operationssälen. Die Analyse bisheriger Gerichtsentscheidungen in diesem Zusammenhang deckt einen Mangel auf: Diejenigen, die verantwortlich sind, für eine zu dem Unglück führende Organisationsstruktur, für Patienten gefährdende Planungen von Leistungserbringung die oft „patientenfernen“ Entscheider - bleiben bei „Arztpfusch“-Prozessen persönlich „ungeschoren“, obwohl es sich - auch - um „Managerpfusch“ handelte. In Zivilverfahren bleiben die patientenfernen Entscheider anonym, sie finden lediglich als „Träger“ der Gesundheitseinrichtung unter den haftenden Gesamtschuldnern Erwähnung und strafrechtlich wurden sie persönlich bislang überhaupt nicht „gewürdigt“. Die Chance, mit voller Namensnennung verurteilt zu werden, nimmt mit der Entfernung zum Handeln am geschädigten Patienten ab: den direkt am Patienten handelnden Arzt trifft es immer, die „patientenfernen“ ärztlichen und nicht-ärztlichen Entscheider bisher nie! Bruns hierzu: „die Kleinen werden gehängt, die Großen laufen gelassen“ [14]. Auch in einem gefährlich unterfinanzierten Gesundheitswesen fordern Gerichte nach wie vor den Facharztstandard bei der Versorgung jedes einzelnen Patienten ein. Im Spannungsfeld ökonomisches Überleben der Krankenhäuser, der Praxen vs. Überleben der Menschen in den Gesundheitseinrichtungen hat „die Sicherheit des Patienten Priorität gegenüber allen ökonomischen Erwägungen“ [5,11]. Solche herausragenden Gerichtsentscheidungen sind es, die wir den Managern in Gesundheitseinrichtungen heute vortragen, in Abwehr des gefährlichen Produktionsdruckes im Operationssaal. Mit dem Vortragen von höchstrichterlicher Rechtsprechung tut sich nun ein weiteres, jetzt arbeitrechtliches Spannungsverhältnis auf zwischen Patienten direkt versorgenden Ärzten auf der einen Seite und patientenfern entscheidenden ärztlichen und nicht-ärztlichen Managern auf der anderen Seite [15]. Unsere Argumentation gegenüber dem Management gewinnt an „Überzeugungskraft“, wenn sich in einem dann zitierten Gerichtsurteil - im Zusammenhang mit einem medizinischen Unglück – nicht nur Ausführungen zur Verantwortung des „Trägers“ finden, sondern auch solche zur persönlichen Verantwortung derer, die Patienten gefährdende Personal- und Organisationsstrukturen, die Patienten ge- / RECHT I 561 fährdende Produktionsplanungen vorgegeben haben. Die juristischen Spielregeln, nach denen ein Arzthaftpflichtprozess oder ein Strafverfahren ablaufen, verhindern bisher jedoch häufig, dass die Verantwortlichkeit von patientenfern entscheidenden Managern erkannt und gewürdigt wird. Dr. Bruns hierzu [14]: „Die ärztlichen Gutachter sind aufgerufen, auch die Organisationsstruktur eines Krankenhauses zu untersuchen und die übergeordnete Verantwortlichkeit, z.B. des Krankenhausgeschäftsführers, zu verdeutlichen“. Unterbleibt diese Verdeutlichung durch den medizinischen Sachverständigen, und das ist bislang eher die Regel als die Ausnahme, dann begünstigt ein solcher Mangel Urteile, zu denen Rechtsanwalt Dr. Bruns anmerkt: „Das Ziel einer generalpräventiven Wirkung des Zivil- und Strafrechts wird gegenwärtig klar verfehlt. Für die wirtschaftlich Verantwortlichen besteht Anreiz, kostengünstige aber potentiell gefährliche Organisationsstrukturen aufrechtzuerhalten oder sogar neu einzuführen“, ohne dass diese persönlich dafür einzustehen hätten. Dem beschriebenen Mangel an präventiver Wirkung bisheriger Gerichtsentscheidungen in deutschen Arzthaftungsprozessen ist in Großbritannien mit einem Gesetz begegnet worden [16,17,18]. Unter dem neuen „corporate manslaughter act“ ist es in England heute möglich, auch patientenfern entscheidende ärztliche und nicht-ärztliche Manager von Gesundheitseinrichtungen vor Gericht zu stellen, wenn eine von diesen Personen eingeführte oder tolerierte - damit zu verantwortende - Organisationsstruktur zu einer Patientenschädigung geführt hat. Im Fall der schweren Patientenschädigung im urologischen OP war es nicht die Assistenzärztin, die sich selbst die Führung der komplexen Anästhesie aufgebürdet hatte. Angesichts der Überwachungspflichten in zahlreichen Operationssälen, angesichts der Pflicht, ein OP-Programm im vorgegebenen Takt durchzuziehen (Stichwort „Sind wir schnell genug“), ist es realistisch anzunehmen, dass auch die aufsichtführende Oberärztin nicht danach drängte, mit der Überwachung einer weiteren Anfängernarkose belastet zu werden. Es wird nun interessant zu beobachten sein, wenn es zu einer Klage kommt, wer sich zu verantworten hat. Bruns [14] hierzu: „Die wirtschaftlichen Verantwortlichen müssen bei Organisationsversäumnissen u n m i t t e l b a r zivil- und strafrechtlich in Haftung genommen werden. Entscheidungsbefugnis und rechtliche Verantwortung müssen sich in einer Person vereinen.“ © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH 562 I SONDERBEITRÄGE / SPECIAL ARTICLES 6. Produktionsdruck und Zufriedenheit mit dem Beruf des Anästhesisten Das Fachgebiet Anästhesie macht sich – wie andere klinische Disziplinen – große Sorgen darum, wie Absolventen von den Universitäten für das Fachgebiet gewonnen werden können. Wenn Medizinstudenten erste Erfahrungen in der operativen Medizin sammeln, dann beobachten sie den Produktionsdruck, dem Anästhesisten all zu oft ausgesetzt sind. Internetauftritte, Marketingoffensiven, Personalentwicklungsprogramme können nicht den Eindruck auslöschen, den miterlebter „mindless“ Produktionsdruck bei potentiellen Interessenten für das Fachgebiet Anästhesie hinterlässt, ganz besonders wenn kritische Ereignisse oder gar Katastrophen die Folge sind. Patienten-gefährdender Produktionsdruck in unseren Operationssälen schreckt Medizinstudenten ab, das Fach zu wählen, treibt junge Assistenzärzte, aber auch Fachärzte aus der klinischen Anästhesie [19]. Die Kontrolle über die eigene Arbeitslast wird als wesentliches Element der Zufriedenheit im Beruf beschrieben, als ein wirkungsvolles Instrument, um chronischem Verdruss (burn out) vorzubeugen [20]. Produktionsdruck ist eine Quelle für chronischen Verdruss: Anästhesisten teilen sich ihr Arbeitspensum nicht zu, sie verfügen über wenig Kontrolle über ihr Arbeitsvolumen, es wird ihnen zugeteilt. Unter den Bedingungen des inzwischen chronischen Konfliktes zwischen Kostensparen und Patientensicherheit geschieht die Zuteilung der täglichen (und nächtlichen) Arbeitslast immer wieder unter – wie dargestellt – gefährlichem Ausblenden der tatsächlich verfügbaren personellen Ressourcen. Der resultierende Patienten-gefährdende Produktionsdruck lässt Erklärungen auf Internetseiten wie „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unser höchstes Gut“ zur zynischen Floskel verkommen: Aber mit dem Beruf zufriedene, nicht „ausgebrannte“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind tatsächlich unser höchstes Gut! Der Produktionsdruck gefährdet nicht nur einzelne Patienten, er hat das Potential - in seiner chronischen Form - die sichere Zukunft der gesamten operativen Medizin zu gefährden. 7. Produktionsdruck: Unglücke vermeidbar? Immer wieder wird es bei gefahrengeneigter Tätigkeit zu Unglücken kommen – denn Irren ist menschlich [13]. So berichteten kürzlich die Medien über den tragischen Tod eines Kindes, weil eine Krankenschwester dem Kind das falsche Medikament gegeben hatte (FAZ vom 10.01.2009). Trotz struktureller Vorsichtsmassnahmen – wie aktuell gefordert - ist es weniger pessimistisch als vielmehr realistisch anzunehmen, dass es immer wieder einmal zu einer verhängnisvol- len Medikamentenverwechslung kommen wird – weil Menschen eben irren. Gehören die hier beispielhaft vorgestellten Beinaheunglücke und Katastrophen infolge von Produktionsdruck im Operationssaal ebenfalls in die Kategorie „Irren ist menschlich“? Im Operationssaal Verantwortung-tragende Ärzte sehen in dem heutigen Produktionsdruck eine unvermeidbare Begleiterscheinung des sich ständig verschärfenden Druckes zum Kostensparen im Gesundheitswesen. Vor diesen ökonomischen Zwängen kapitulieren auch erfahrene Kliniker gelegentlich und schätzen Unglücke infolge Produktionsdruck als ebenso schwer bis kaum vermeidbar ein mit dem Hinweis: „Wo gehobelt wird, fallen Späne“. Gehört der Personal-sparende, bewusste Verzicht auf eine qualifizierte Überwachung nach Narkose in der Zahnarztpraxis in die Kategorie unvermeidbarer „Hobelspäne“? Ist das für den urologischen Patienten so verhängnisvolle Durchziehen eines geplanten OP-Programmes zu vergleichen mit dem verhängnisvollen Irrtum der Krankenschwester? Auch wenn das Handeln der patientennahen Akteure im Ergebnis gleichermaßen eine Katastrophe herbeigeführt hatte – so gibt es dennoch einen Unterschied, einen offensichtlichen Unterschied: Anders als im Fall der Medikamente-verwechselnden Krankenschwester haben die für die Organisation verantwortlichen Akteure in der Zahnarztpraxis, im Zentral-OP sehenden Auges gehandelt: Es ist bekannt, dass aus Narkose erwachende Kinder auch nach Zahneingriffen kompetent überwacht werden müssen – Eltern mit dieser Aufgabe zu betrauen ist eine absurde Idee. Es ist bekannt, dass Anfänger die persönliche Unterstützung des aufsichtführenden Anästhesisten in Gegenwart einer komplexen Anästhesie benötigen. Es ist bekannt, dass die Aufsichtskapazität eines AnästhesieOberarztes eine endliche Größe darstellt. Die vorgestellten Produktionsdruck-Unglücke sind in ihren Ursachen mit der Medikamentenverwechslung der Krankenschwester nicht zu vergleichen: hier handelt es sich um Fehler in der Organisation, um Systemfehler. Der Druck zu produzieren dominierte über Sicherheitserwägungen. Allen Fällen lag eine geplante – unzureichende - Organisationsstruktur zugrunde. Der Risiko-managende Arzt weiß, dass Systemfehler besonders gefährlich sind [13], er weiß aber auch, dass Systemfehler weit besser zu verhüten sind als Fehler des Individuums, wenn dieses, menschlich so typisch, irrt. Die beschriebenen Unglücke wären mit Sicherheitsadäquater Organisation zuverlässig zu verhindern gewesen. Von Gesundheitspolitikern zu offenem Umgang mit Fehlern aufgerufen (Auch Ärzte können sich entschuldigen. FAZ vom 13.12.2008), bekennt dieser Autor: Es fällt wesentlich leichter, die Gefahren des Produktionsdruckes in einem Artikel zu beschreiben, als diese bekannte und immer wieder geplante Gefährdung unserer Patienten im täglichen © Anästh Intensivmed 2009;50:552-563 Aktiv Druck & Verlag GmbH LEGAL AFFAIRS OP-Programm abzuwehren. Aber: „Wenn der zunehmende Produktionsdruck im OP oder auf der Intensivstation die Grenze des ökonomisch Sinnvollen überschreitet und für den Patienten gefährlich wird, dann heißt es für jeden von uns, die Stimme zu erheben, Verantwortung zu übernehmen, für das Wohl des Patienten“ – so der Präsident der DGAI in seiner Begrüßung zum Hauptstadtkongress der DGAI im vergangenen Jahr. Literatur 1. Gaba DM, Howard SK, Jump B. Production pressure in the work environment. Anesthesiology 1994; 81: 488-500. 2. Eichhorn J. 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