WIE GEIL IST DAS DENN?
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WIE GEIL IST DAS DENN?
zak 18 Schülerzeitung am Hermann-Kesten-Kolleg Wie geil ist das denn? Juni 2015 2,– € Impressum Inhalt Redaktion Mikail Aydin Lukas Fries Skott Grunau Michaela Männer Alexander Pelz Ines Prasch Friedrich Schmidt Stefanie Schmidt Titelbild und Bilder aus dem Kolleg Michaela Männer Layout Michaela Männer Mikail Aydin Skott Grunau (Layoutvorlage: Tatjana Fuchs) Druck XY Straße Ort www.xy.de presserechtlich verantwortlich Skott Grunau Preis 2,– € Hermann-Kesten-Kolleg Fürther Straße 212 90429 Nürnberg http://www.kolleg.kubiss.de 2 Titel Wie geil ist das denn? Kunst und Kultur Ausstellung ‚Kaiser – Reich – Stadt‘ Das Grab des Tutanchamun Das HKK und seine verrückten Physiker Kolleg Inside Der Kollegiat an sich Mündlich oder schriftlich? Aus dem Nähkästchen Warum reden wir eigentlich nicht mehr miteinander? Poetry Slam Die Schulplatzmiete Schulpsychologische Beratung am Kolleg Kolleg outside Ein vergessener, toter Nachbar Medien Etes – vous Charlie? Replik auf ‚Etes – vous Charlie‘ Sailor Moon Lagerdenken Abitur und was dann? Homöopath 4 6 8 10 12 16 18 22 24 28 30 32 34 36 38 40 42 3 Der Untergang einer Kultur – wie geil ist das denn? von Mikail Aydin und Michaela Männer Die mit den dünnen Haaren, die mit dem fetten Hintern. Die mit den hässlichen Klamotten oder die mit Pickeln im Gesicht. Die will doch keiner sehen! Die sollten mal was aus sich machen, vielleicht ins Fitnessstudio, zum Hautarzt oder Friseur gehen. Warum gehen die eigentlich im Sommer ins Schwimmbad oder in ihren zerfetzten Hosen in den Club? Finden Sie das jetzt gemein? – Wir auch. Sie haben sich aber trotzdem genau das schon irgendwann einmal gedacht und nun auch noch eine Zeitung gekauft, auf der diese Personen nicht abgebildet sind. Gekonnt haben wir uns hübsche Leute ausgesucht. Ins Blaue geschätzt, haben sich 50% von Ihnen die Zeitung gekauft, weil Sie entweder die Hintern attraktiv fanden oder sich über den Titel gewundert haben. Eine wüste Annahme? Wir erwarten keinen wütenden Mob vor unserer Redaktion, denn Sie werden sich jetzt schuldig fühlen – auch wenn wir ganz schön impertinent sind. Aber ist diese Impertinenz nicht der Grund, warum Sie sich zwar keine BILD-Zeitung kaufen, sie aber schon gerne mal lesen, wenn sie irgendwo rumliegt? Natürlich nur, um sich über die Artikel zu echauffieren, wir verstehen das. Trotzdem: ‚Sex sells’ – das hat uns das ehemalige nackte Mädchen von Seite eins der BILD gezeigt. Diese ZAK-Ausgabe 4 gleicht aber – hoffentlich! – nur der Titelseite nach der Zeitung mit den vier Großbuchstaben. Sie dürfen Ihr Gewissen damit beruhigen, nicht ein Sensationsmagazin gekauft zu haben, sondern nur Ihrem natürlichen Trieb nachgegangen zu sein. Friedrich Nietzsche sagte einmal, dass ein Künstler in völliger Enthaltsamkeit leben sollte, da sich sonst die Schaffenskraft allein auf den Vollzug des sexuellen Aktes konzentrieren würde. 115 Jahre nach seinem Tod richtet sich die Schaffenskraft der meisten allein auf den sexuellen Akt. Eine Art Flächenbrand, ausgelöst durch einen Gesellschaftswandel, der das Ausleben von Sexualität in allen Facetten ermöglicht, zusätzlich angefacht durch das Internet, das den Hedonismus auf eine völlig neue Ebene hebt. steht jedoch der bloße Medienkonsum zur Befriedigung von Initialreizen. Inhalte weichen Bildern, weichen Ikonisierungen physischer Gelüste. Genauer gesagt, das Internet verdrängt die Printmedien – wie auch die ZAK –, da es die Möglichkeit bietet, all seinen sexuellen Begierden nachzugehen und immer wieder neu zu ergründen: ein Verhalten, einzig nach der hēdonḗ des Körpers strebend. Der Untergang einer Kultur oder der Überlebenskampf der menschlichen Natur? Und: Wie geil ist das denn? Zurück zu unserem Titelbild: wir betrachten den Kauf dieser Zeitung aufgrund des Titelbildes durchaus als positiv, denn das bedeutet die Existenz einer Freiheit, die es nicht nur der ZAK-Redaktion erlaubt, ein solch geschmackloses Bild zu veröffentlichen, sondern auch den Schülern am Kolleg, diese Zeitung zu kaufen. Und mal ehrlich – wer sieht denn nicht gerne einen wohlgeformten Hintern? Im Kontrast zu Veröffentlichung und Kauf 5 von Alexander Pelz In einer groß angelegten Sonderausstellung wurde Ende 2013 die ereignisreiche Geschichte der Kaiserburg ausgeleuchtet. Die betrachtete Zeitspanne erstreckte sich von der Erbauung einer ersten Burg im 10. Jahrhundert, der der heutigen Burg im 11. Jahrhundert über die Zeit, als die Burg ein wichtiger Sitz von Königen und Kaisern war, bis hin in die Neuzeit, der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg sowie dem anschließende Wiederaufbau. Der Rundgang durch die Burg begann in der Kaiserkapelle, in der man sich zuerst am romanischen Baustil erfreuen und den Ausblick genießen konnte, den die Kaiser und Könige von der Oberkapelle aus auf Gottesdienste und über Nürnberg hatten. Zudem ist die Kapelle aus dem 12. Jahrhundert im Krieg nicht zerstört worden und somit einer der wenigen erhaltenen Originalteile der Burg. Nach der Kapelle gelangte man in das Palais mit den Exponaten. Gezeigt wurden hier im ersten Teil der Ausstellung neben einem Film, der die detailgetreue Baugeschichte Revue passieren ließ, Urkunden, Inventar der Burg, aber auch 6 die Reichsinsignien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, welche im Original in Wien, in der „Weltlichen Schatzkammer“ des kunsthistorischen Museums, aufbewahrt werden. CDU-Heimatminister Markus Söder machte vor kurzem den Vorstoß, für die Kaiserburg Repliken der Reichsinsignien per 3D-Druck anzufertigen und dauerhaft auszustellen. Dieser Vorschlag stößt auf große Ablehnung. Die einen Kritiker fordern die Herausgabe der originalen Kleinodien, die anderen betonen, dass im Fembohaus bereits Repliken ausgestellt seien und es keinen Bedarf an einer weiteren Kopie gebe, es erwecke nur den Eindruck von Massenware. Nur wenige sehen die Idee solcher 3-D-Kopien als sinnvoll an, sie könnten die Attraktivität der Kaiserburg weiter anheben. Zurück zur Ausstellung. Aufschlussreich waren wichtige Dokumente, die das Verhältnis zwischen Lehnsherren und Gefolgsmännern regelten, Abgaben festlegten, aber auch das Benehmen auf der Kaiserburg reglementierten. Von Rüstungen für Mensch und Pferd über Schwerter, Hellebarden bis hin zu spätmittelalterlichen Kanonen und ersten Gewehren wurde alles gezeigt. Besonders schön anzuschauen waren kleine Modelle der Burg zu verschiedenen Bauabschnitten und ein mit rotem Samt bezogener Thron. Zeitgenössische Darstellungen der Burg und ihrer Umgebung, unter anderem ein Gemälde des ersten Feuerwerks auf der Kaiserburg zu Ehren Maximilian II., gaben Aufschluss über den Zeitgeist. Abschließend kann man sagen, dass die Ausstellung nicht nur Geschichtsbegeisterte fasziniert hat, sondern auch Menschen, die Kunst und Kultur Kunst und Kultur Ausstellung ‚Kaiser – Reich – Stadt‘ Zudem waren Reliefs der Kurfürsten und Erzbischöfe des Mittelalters, der „Säulen des Reiches“, ausgestellt. Auch die Entwicklung des schwarzen Adlers wurde erläutert, der heute noch Deutschlands Wappentier ist und schon früher das Kennzeichen des Kaisers war: der schwarze Adler wurde bereits im 12. Jahrhundert verwendet und leitete sich ab vom römischen Adler, der einst im römischen Reich als Herrschaftszeichen verwendet worden war und Jupiter, den obersten römischen Gott, symbolisiert hatte. Im Mittelalter war der doppelköpfige Adler zeitweise das Zeichen des Kaisers, während die einköpfige Variante dem römisch-deutschen König zustand, jedoch setzte sich nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches der einköpfige Adler durch. In den Räumen der Ausstellung konnte man einen Eindruck davon gewinnen, wie die Kaiser auf der Burg lebten, die Schlafgemache und Arbeitszimmer waren zwar leer geräumt, doch wurden für Besucher Lichttische errichtet, auf denen die Ausstattung im Mittelalter bis hin zum 19. Jahrhundert illustriert war. Interessant anzusehen waren die Reste mittelalterlicher Wandgemälde, welche lange Zeit hinter einer Holzvertäfelung verschwunden waren, Anfang des 20. Jahrhunderts aber während der sog. Purifizierung wiederentdeckt worden waren. Purifizierung heißt Stilbereinigung, gemeint war damit die Rücksetzung des neugotischen Baustils auf den romanischen und die Entfernung aller romantischen Elemente, damit die Burg als unverfälschte Zeugin des Mittelalters von den Nationalsozialisten verherrlicht werden konnte. Auch wurden weitere Reichskleinodien und wunderschön vergoldete und aufwändig verzierte Gegenstände und Skulpturen gezeigt, die von der einstigen Pracht der Burg erzählten. Selbst zwei Ehrenpforten, die zu Ehren zweier Kaiser auf eine riesige Leinwand gemalt worden waren und der Dekoration während deren Besuch gedient hatten, fanden Verwendung und führten die Besucher in den zweiten Teil der Ausstellung. Hier wurden überwiegend Waffengeschichte, Belagerungen und kriegerische Auseinandersetzungen um die Burg dargestellt. © Martin Jäger / pixelio.de ihren Horizont erweitern und etwas über ihre Heimatstadt, die Burg und das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, die Wiege unseres heutigen Deutschland, erfahren wollten. Ein Großteil der Exponate ist in eine Dauerausstellung integriert worden und im Museum zu besichtigen. 7 von Ines Prasch Tutanchamun wurde bereits im Alter von 7 Jahren Pharao und starb mit 19 Jahren unter bis heute ungeklärten Umständen. Er entstammte der 18. Dynastie und war der Sohn des „Ketzerpharaos“ Echnaton und seiner Hauptgemahlin, der berühmten Nofretete. Nach seinem Tod wurde sein Name aus allen Schriften und von allen Denkmälern getilgt und so geriet er zunächst in Vergessenheit. Seit mehr als 30 Jahren vermittelt die erstmals in Zürich gezeigte Ausstellung mit über 1000 Exponaten die geschichtliche Bedeutung dieses Fundes und den Zusammenhang zwischen ägyptischer Kulturgeschichte und dem historischen Moment der Entdeckung dieses Grabschatzes. Mithilfe ‚virtueller Archäologie’ wird ein dreidimensionaler Rundgang durch das Grabmal ermöglicht und vermittelt lehrreich und unterhaltsam die Geschichte des jungen Pharao und ermöglicht es dem Besucher, auf einer Fläche von mehr als 2000 qm sich durch Howard Carters Augen auf die Entdeckungsreise dieses Schatzes zu begeben und den Zauber der Entdeckung hautnah und authentisch mitzuerleben. © Dieter Schütz / pixelio.de 8 Von diesem Bild ausgehend, betritt man nun eine völlig andere Welt, eine, deren stille Schönheit man zunächst erst einmal erfassen muss. Dabei geht es der Ausstellung weniger um Originalität und Authentizität der Objekte als vielmehr um ihr Zusammenspiel zu einem Großen und Ganzen. Kunst und Kultur Als Howard Carter das Grab des Pharaos Tutanchamun 1922 im Tal der Könige entdeckte, glaubte niemand mehr an einen solchen Sensationsfund. Seitdem ist die Faszination ungebrochen, die von den prächtigen Beigaben, den überdimensional großen goldenen Särgen, den Schreinen, den Masken und dem Schmuck des Kindkönigs ausgeht. Das Grab des Tutanchamun Die in Vitrinen ausgestellten und sorgfältig katalogisierten Stücke zeigen jedes einzelne Fund und seine Bedeutung für die alten Ägypter genau wie für uns, die wir nun davorstehen und versuchen, deren Lebens- und Denkweise, ihren Glauben und ihr Weltbild zu verstehen. Und genau hier liegt die besondere und faszinierende Herausforderung dieser Ausstellung: diesen Zusammenhalt darzustellen. Und der Erfolg gibt ihr Recht. Seit ihrer Premiere haben mehr als viereinhalb Millionen Besucher diese Ausstellung in Städten wie Berlin, Madrid, London, Brüssel, Paris und Amsterdam gesehen. Nachdem die Ausstellung ihre Tore im ehemaligen Versandhaus Quelle bereits im letzten Jahr geschlossen hat, gastiert sie noch bis zum 13. September 2015 im Olympiapark München, anschließend in Dresden. Ein Besuch lohnt sich! Sorgfältig ausgedruckte Schwarzweiß-Fotografien – von Carters langjährigem Freund und Begleiter, dem Fotograf Harry Burton, aufgenommen und dokumentiert – sowie eingehende Erklärungen führen im Foyer zu einem ersten bleibenden Eindruck und vermitteln bereits einen Teil lebendig gewordener Unsterblichkeit des Pharaos. Sie zeugen von den intensiven Bemühungen Carters, von seinem Glauben an die Existenz des Grabes und den steten Bemühungen, die Arbeiten trotz aller Widrigkeiten fortzusetzen; selbst als allen bereits der Glaube daran fehlte. Und dann schließlich der Durchbruch und somit der Beweis: am 29. November 1922 öffnete er offiziell die Grabkammer im Beisein seines Sponsors und unermüdlichen Förderers der Ägyptologie, Lord Carnarvon. 9 von Michaela Männer und Nam Wo „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“ – das wusste Albert Einstein schon zu Lebzeiten. Doch was hätte er von der Idee gehalten, mit zwei seiner Kollegen in einer Nervenheilanstalt eingesperrt zu sein? Fünf Jahre nach Einsteins Tod verfrachtete Friedrich Dürrenmatt ihn durch sein Stück „Die Physiker“ dorthin. 1962 wurde es im Schauspielhaus Zürich dann uraufgeführt. Am 13. März 2015 wagten sich die Teilnehmer des Theaterkurses am Hermann-KestenKolleg noch einmal an die Komödie in zwei Akten. Das Ensemble erntete dafür nicht nur Applaus, sondern auch hohen Respekt. 10 Es herrscht geschäftiges Treiben auf der modern möblierten Bühne des Objektif Theaters. Forensiker (gespielt von Sabrina Herold und Tobias Rösch) und ein Inspektor (Stefanie Schmidt) möchten Albert Einsteins Tat – den Mord an seiner Krankenschwester – aufklären. Personal und Patienten der Nervenheilanstalt sind hingegen wenig am Mord interessiert. Denn das Sanatorium birgt tiefere Geheimnisse und dort sollen sie auch bleiben. Nicht nur der Cognac im Regal, sondern auch die Identitäten der Patienten laufen Gefahr, entdeckt zu werden. der dritte Patient im Bademantel und mit Krone auf dem Haupt, der Physiker Möbius (Sadek Radde) ist ganz das verrückte Genie: apokalyptische Reden und sachliche Diskussionen mit den vermeintlichen Kollegen lassen ihn zum Star des Abends werden. Höhepunkt der Aufführung ist ein Abendessen. Die drei Physiker versammeln sich im Salon und diskutieren bei Leberknödelsuppe die Gründe für ihren Klinikaufenthalt sowie die Bewahrung der Menschheit vorm Untergang. Und während sich Kapitalismus und Kommunismus um die „Weltformel“ duellieren, betrinkt sich die Wissenschaft im Hintergrund entspannt mit Rotwein. Doch nicht nur die Schauspieler, von denen viele zum ersten Mal auf der Bühne stehen, überzeugen, auch Licht und Ton arbeiten mit: gedimmtes Licht, als auch Möbius seine Krankenschwester umbringt, und das entfernte Geigenspiel Einsteins (Michael Baumann), der sich von seinem Mord erholen muss. Besonders beeindruckend ist das aufgrund der kurzen Einarbeitungszeit von weniger als einem halben Schuljahr. Kunst und Kultur Kunst und Kultur Das Hermann-Kesten-Kolleg und seine verrückten Physiker Der Vorhang fällt und die Zuschauer können sich auf die nächste Aufführung freuen: Im Juli führt das P-Seminar „English Theatre“ den Schocker „Popcorn“ auf. Da man in Nürnberg selten ein englischsprachiges Theaterstück sieht, hofft man auf ein großes Publikum. Näheres auf der Website des Hermann-Kesten-Kollegs: http://kolleg.kubiss.de. Bereits Monate zuvor hat auch Isaac Newton (Lukas Fries), ein weiterer Patient, seine Krankenschwester erdrosselt. Dieser tritt nun im adretten Frack auf und stellt vor allem rhetorisch seine Überlegenheit zur Schau. Newton zuzuhören, ist einfach köstlich – sowohl textlich als auch schauspielerisch glänzt er. Als Anstaltsleiterin Fräulein von Zahnd (Nadine Häßler) den Salon betritt, ist ihr die Verrücktheit bereits anzusehen: wirres Haar und Säuseln lassen ihren schicken Arztkittel lächerlich wirken. Im Kontrast dazu erscheint 11 von Michaela Männer Der Kollegiat an und für sich will minimalen Aufwand bei maximalem Erfolg. Der Kollegiat an sich lernt jeden Tag etwas Neues. Da er das von gestern schon vergessen hat. – Quatsch! Der Kollegiat an sich hat zwanzigmal in der Woche die Möglichkeit, ins Café zu kommen, und genauso oft steht ein Freiwilliger hinter dem Tresen. An manchen Tagen kommt er kaum nach und gibt Geld falsch heraus. In drei von vier Fällen wird er dafür ausgelacht, nicht angemotzt. – Schön! Der Kollegiat an sich wundert sich im ersten Jahr am Kolleg noch, warum es Leute gibt, die andauernd im Zimmer am Ende des Flurs im Erdgeschoss sitzen. Im zweiten Jahr stellt er sich dazu, während er wartet, bis der Kaffee durchgelaufen ist. Im dritten Jahr sprintet er vielleicht schon los, um einen anständigen Platz auf dem Sofa zu ergattern. Kolleg inside Kolleg inside Der Kollegiat an sich dort und kocht Kaffee und räumt die Spülmaschine aus. Er beobachtet die Morgenmuffel, die ins Café schlurfen, und legt schon mal die Infusion bereit. Er lässt müde Schüler, die ihr Geld vergessen haben, anschreiben und weiß irgendwann schon, wer welche Süßigkeit bevorzugt. Er sperrt auch um sieben nach acht noch einmal auf, wenn der Kollegiat ihn um einen schnellen Kaffee anbettelt. Das Café an sich, das ist etwas Besonderes. Es ist anders, es ist weitestgehend autark. Es organisiert sich aber nicht von selbst und bei jeder Sitzung ist keiner der zweiundzwanzig Mitarbeiter der gleichen Meinung. Und wenn fünf gleichzeitig reden, vier schmollen und zwei sich beschweren, weil die Kaffeekannen schon leer sind, und die Stimmung sich hochschaukelt, dann wird es chaotisch. Faszinierend aber, dass es doch immer wieder funktioniert. Hoch die Tassen – auf das Café! Der Kollegiat an sich übernimmt gern einen Dienst, vielleicht auch zwei. Manch einer deshalb, weil er nett ist, ein anderer, weil der Kaffee lockt, und ein dritter würde gerne, wenn er denn ‚für so etwas regelmäßig da wäre’. Hoffentlich hat er das nun richtig zitiert. Der Kollegiat an sich sitzt auch ohne Dienst im Café, weil immer jemand da ist. Es gibt etwas zu essen und Kaffee sowieso. Bequeme Sofas und unbequeme Stühle. Eine große Auswahl an Schokolade und immer jemanden, der ein paar mehr oder minder interessante Geschichten zu erzählen hat. Manchmal dudelt eine Oper im Radio. Der Cafémitarbeiter an sich hat besonders Spaß. Er steht Montagmorgen um halb acht 12 13 © Alexander Pelz 14 15 Kolleg inside Kolleg inside von Stefanie Schmidt Pünktlich kurz vor den Zeugnissen stehen die Schüler am Lehrerpult Schlange, um ihre Noten zu erfahren, die die Lehrer während des Unterrichtes gemacht haben. Ihre Noten aus schriftlichen Prüfungen kennen sie, aber die Mitarbeitsnoten nicht. So weit, so gut. Aber was ist der Grund dieses Artikels? Die Oberstufe bedeutet viel Stress für die Schüler. Da das Bafög oftmals nicht ausreicht, müssen viele Kollegiaten nebenher arbeiten. Das bedeutet Zeitverlust. Die Semi- 16 Kolleg inside Kolleg inside Mündlich oder schriftlich – das ist hier die Frage nare, das Lernen für Klausuren, Vorbereitung des Unterrichts, das alles kostet Zeit – und dann noch extra für schriftliche Test lernen: purer Stress. Sie werden im Verhältnis 1:1 gewichtet: die großen Leistungsnachweise, sprich die Schulaufgaben, und die kleinen Leistungsnachweise, etwa Tests oder direkt erbrachte mündliche Beiträge. Wäre es nicht sinnvoll, wenn das Verhältnis von schriftlichen und mündlichen Noten genauso berechnet würde? Alle Noten der kleinen Leistungsnachweise aber werden noch einmal zusammengerechnet und bilden die zu verrechnende Teilnote, die mit der Schulaufgabe in eben jenes Verhältnis 1:1 gesetzt wird. Die Schulaufgabe ist immer eine Momentaufnahme, die Schüler lernen dafür und ‚kotzen’ es dann wieder aus. Die Note ist gemacht, weiter geht’s im Stoff. Danach wird fast alles wieder vergessen, da bleibt nichts für später, für die Zeit nach der Schule. Die mündlichen Leistungen werden über einen längeren Zeitraum erfasst, kontinuierliche Mitarbeit schlägt sich als Verbesserung des Ausgangsniveaus nieder. Es gibt immer Schüler, die im Schriftlichen schwächer sind, sei es durch Prüfungsangst oder aus anderen Gründen. Wenn deren mündliche Leistungen genauso gewertet würden wie die schriftlichen, könnten sie ihr Potenzial eben dort im Mündlichen vollständig ausschöpfen. Mündliche Beiträge bringen auch für die Klasse mehr. Nicht nur korrekte Antworten bereichern den Unterricht, auch Fragen und Diskussionen. Denn wenn ein Schüler noch nicht alles verstanden hat, kann der Lehrer davon ausgehen, dass es mehrere nicht kapiert haben. Ein nochmaliger Erklärungsanlauf seitens der Lehrkraft nützt allen. Der Fokus läge nicht primär auf der kommenden Klausur, sondern auf dem kontinuierlichen Wissens- und Verständniszuwachs der Schüler. Aber das Defizit der punktuellen Schulaufgaben dürfte nicht aufs Mündliche übertragen werden. Es sollte beachtet werden, dass der notenbestimmende Eindruck des Lehrers sich nicht nur auf eine Stunde bezöge, sondern auf die Beiträge des Schülers in einem längeren Zeitraum. Und was ist mit solchen Schülern, die eher schüchtern sind, die sich kaum trauen, sich zu Wort zu melden? Es gibt Möglichkeiten, zum Beispiel das Abfragen. Auf jeden Fall ist das besser als schriftliche Arbeiten, denn oftmals reicht ein kleines Stichwort oder eine kleine Hilfestellung des Lehrers und schon kann das Gelernte abgerufen werden. Schüler, die länger krank waren, können hiervon ebenfalls profitieren. Auch über eine mündliche Ersatzprüfung in solchen Krankheitsfällen sollte nachgedacht werden. Der Schüler kann beweisen, dass er den Stoff verinnerlicht hat – eine mündliche Prüfung, so die Vermutung, fällt den meisten leichter als ein schriftlicher Test. Alles in allem ist zu sagen, dass schriftliche kleine Leistungsnachweise dem Lerneffekt und Erfolg mehr schaden als nützen. Demgegenüber die kontinuierlichen Beiträge im Unterricht zu bewerten und zu benoten, scheint sinnvoller und gerechter, und zwar für beide Seiten, für den Lehrer wie den Schüler. 17 Haben sich die Schüler mit der Zeit verändert? Waren sie früher besser oder gefällt ihnen ihre Arbeit heute besser als früher? Früher wurden die Schüler oft durch äußere Umstände daran gehindert, das Abitur auf normalem Wege zu erlangen, und haben sich an der Schule sehr angestrengt. Heute gehen viele Schüler nur auf das Kolleg, weil sie nichts Besseres finden. Zudem waren sie früher leistungsfähiger. Haben Sie ein Lebensmotto? Wenn sich in der Schule ein Mensch ärgert, ist es gefälligst der Schüler :) Welches Geschlecht ist Ihrer Meinung nach intelligenter? Keines. Jedoch haben Mädchen den größeren Erfolg in den Naturwissenschaften. Wo kommen Sie her, Herr Hupfer? Ich bin in Pegnitz geboren. Während ich in Nürnberg zur Schule ging, lebte ich in Nürnberg. Mein Studium verbrachte ich in Erlangen, mein Seminar absolvierte ich in Fürth und war einige Jahre am Scharrer Gymnasium, bis ich 1984 ans Kolleg wechselte. Was war Ihr Wunschberuf in der Jugend? Erst wollte ich Förster werden, dann Biologe. Ihre Lieblingsfächer in ihrer Schulzeit waren? Musik und Mathe. Welche Stärken haben Sie? Ich habe Geduld mit Schülern. Was sind Ihre Schwächen? Ich habe zu viel Geduld mit Schülern. Warum haben Sie sich für den Beruf des Lehrers entschieden? Ich gehe gerne mit Menschen um. Aufgrund meines Studiums gab es außerhalb des Lehramts kaum Anstellungsmöglichkeiten als Biologe. Gibt es eigentlich ein Lehrbuch für die Lehrer oder müssen Sie mithilfe des Schulbuches ihren Unterricht aufbauen? Es gibt zwar Lehrerbände, doch diese sind meist von schlechter Qualität. Wie haben Sie die Entwicklung der Schüler mitbekommen. Freuen Sie sich jeden Tag die Schüler zu sehen und Sie zu lehren? Wie gefällt es Ihnen am Hermann-KestenKolleg? Hätte ich es sonst 30 Jahre am Kolleg ausgehalten? Aus dem Nähkästchen – Bernd Hupfer von Alexander Pelz 18 Was sind Ihre Hobbies, Interessen? Fotografieren und Konzertgitarre spielen. Die Familie. Wenn Sie auf eine einsame Insel für einige Wochen fliegen würden, was würden Sie mitnehmen? Meine Gattin und viel Lektüre. Wo kommen Sie her, Herr Meisenbach? Aufgewachsen bin ich in Coburg, mittlerweile wohnhaft in Nürnberg/Fürth/Erlangen. Zivildienst habe ich in Berlin absolviert. Kolleg inside Kolleg inside Ja, ich unterrichte gerne und ich kann behaupten, dass sich einige Schüler noch immer erziehen lassen. Was war Ihr Wunschberuf in der Jugend? Das weiß ich nicht mehr. Warum haben Sie sich für den Beruf des Lehrers entschieden? Wollte etwas in Richtung Mathe/Physik studieren, nach dem Zivildienst mit Menschen arbeiten. Für eine Tätigkeit in der Erwachsenenbildung habe ich mich entschieden, weil ich hier nicht ständig gezwungen bin, den Fokus auf die Disziplinierung der Schüler zu legen. Haben Sie ein Lebensmotto? Manchmal gefällt mir ein Spruch. Aber als Motto für das Leben gibt es für mich keinen. Was sind Ihre Hobbies, Interessen? Seit einiger Zeit spiele ich wieder Tischtennis und interessiere mich manchmal für Lichtstimmungen. Ich fahre gerne mit dem Fahrrad, auch zur Schule, und gehe gerne ins Theater. Ihre Lieblingsfächer in ihrer Schulzeit waren? Mathematik und Geschichte/Sozialkunde (als LK-Fächer) Welche Stärken haben Sie? Ich koche große Mengen an Suppe als Wochenvorrat. Was sind Ihre Schwächen? Mir ist eine Schwäche für Marzipan zueigen. Alle weiteren bleiben geheim. lehrbücher. Für das vorhandene Schulbuch als stützendes Unterrichtsmaterial gibt es keinen Zwang, aber oft Gründe. Wie gefällt es Ihnen am Hermann-KestenKolleg? I like it. Es ist übersichtlich (zweieinhalb Stockwerke, lach) und ‚familiär’. Wenn Sie auf eine einsame Insel für einige Wochen fliegen würden, was würden Sie mitnehmen? Einen Ball, eine Gitarre und ein paar Bücher. Gibt es eigentlich ein Lehrbuch für die Lehrer oder müssen Sie mithilfe des Schulbuches ihren Unterricht aufbauen? Es gibt sehr viele Fach- und Fachdidaktik- Jens Meisenbach von Alexander Pelz 19 20 © Alexander Pelz 21 Kolleg inside Kolleg inside von Michaela Männer Wir haben hundert Leute befragt und zwei haben geantwortet … Es handelte sich aber nicht um eine Frage der Lehrkraft im Unterricht, sondern um Fragen, die häufig gar nicht gestellt werden: Was halten Sie eigentlich von mir und meinem Unterricht? Gibt es Probleme? Das Thema Feedback ist auch am Kolleg allgegenwärtig, wenn nicht sogar noch präsenter als an Regelschulen. Generell sind wir erwachsen und unsere Kritik ist dementsprechend gezielter, die Zeiten des bockigen Diskutierens sind aber nicht vollends vorbei. Oftmals ist unklar, woran es liegt. Auch fehlt es uns manchmal an der Fähigkeit, Kritik zu üben, konstruktive Kritik anzunehmen oder auch zu sehen, was man besser machen könnte. Auch der schmale Grat zwischen Autoritätsperson und „netter Lehrkraft, mit der man zumindest vom Alter her auch am Abend in der Kneipe ein Bierchen trinken könnte“, macht es schwierig, das passende 22 Unterrichtsklima zu treffen. Um ein paar offene Fragen zu klären, haben wir einen Vertreter der Schülerschaft sowie einen Vertreter des Lehrerkollegiums zum Thema Feedback interviewt. Wie viel Spaß der Unterricht auch macht, der größte Spaß nutzt wenig, wenn am Ende des Jahres die Noten nicht stimmen. Und darauf kommt der Schüler sofort zu sprechen, als er nach der gerechten Behandlung im Unterricht gefragt wird. Zwar gibt es hier verschiedene Kriterien, nach denen Lehrkräfte sich zu richten haben, die individuelle Einschätzung eines Schülers liegt seiner Meinung nach trotzdem beim Lehrer selbst. So macht wohl jeder, auch der befragte Schüler, während seiner Schullaufbahn die Erfahrung ungerechter Benotung. Zumindest fühlt sie sich so an, doch wie häufig wird darüber wirklich gesprochen und nicht nur gemeckert? Hier führt der Schüler an, dass er sich über eine persönliche Feedbackrunde mit dem jeweiligen Lehrer eines jeden Faches freuen würde, die die Möglichkeit böte, seine Noten zu besprechen und eventuell auch Tipps für die Zukunft zu bekommen. Das persönliche Feedback-Gespräch wünscht sich auch die befragte Lehrkraft, als wir wissen möchten, ob sie schon positives oder negatives Feedback erhalten habe. Feedback kann auf verschiedene Arten eingeholt werden: mittels Fragebogen zu Unterrichtseinheiten, Bewertungen einzelner Methoden oder als allgemeine Feedback-Runden am Ende des Schuljahres, aber auch durch kleine Nebenbemerkungen. Ob die Rückmeldungen persönlich oder lieber durch einen Vermittler gegeben werden sollten, ist laut der Lehrkraft situationsabhängig. Besonders sensible Themen sollten lieber durch oder in Anwesenheit eines Vermittlers angesprochen werden, vor allem wenn sie auf der Beziehungsebene zwischen Schüler und Lehrer liegen. Generell ist ihr aber der offene und direkte Umgang lieber. Da wir als Schüler wohl noch nicht in der Situation waren, der Kritik von Schülern aus- gesetzt zu sein, ist es interessant zu erfahren, wie Lehrkräfte mit Kritik umgehen. Zunächst ist es natürlich wichtig, wie Kritik vermittelt wird. Handelt es sich um konstruktive Kritik, so kann man als Lehrkraft damit arbeiten. Unsere Befragte gibt an, gerne immer noch einmal nachzufragen und vor allem nachzuhaken, wie die Situation verbessert werden könnte, um auf eine schnelle Lösung des Problems zu kommen. Danach geht es in die Reflexion: kann an der Situation tatsächlich etwas geändert werden? Manchmal hat man jedoch keinen Einfluss auf das Problem und es wird kein Mittelweg gefunden Wie auch die Lehrkraft weiß der Schüler, dass nicht jede Problemsituation befriedigend gelöst werden kann. Sollte einem das Problem gar nicht loslassen, hat er als SMV-Mitglied weitere Tipps auf Lager. Vertrauenslehrerin oder Klassenleiter beziehungsweise Oberstufenkoordinator und auch die Schulleitung haben ein offenes Ohr für alle schulischen Probleme. Gerne kann ein Schüler sich auch an die SMV wenden, die beispielsweise Themen wie die fehlende Transparenz der mündlichen Noten an das Schulforum weiterleiten kann. In manchen Fällen hilft vielleicht auch ein Gespräch mit höheren Jahrgängen, die bereits wissen, wie mit bestimmten Lehrkräften am besten umgegangen werden sollte. Meist handelt es sich bei den Problemen um Banalitäten, die im kurzen Gespräch geklärt werden können. Besonders aufschlussreich war die Antwort auf die Frage, ob die Lehrkraft bei negativem Feedback etwas an sich oder ihrem Verhalten geändert hat: „Ja, natürlich. Das kam aber auch auf das Thema an. Bei manchen Dingen ist es leicht, etwas zu verändern, wenn es zum Beispiel um eine gelesene Lektüre geht, um Tafelbilder oder um die Reduktion der Anzahl von Gruppenarbeiten. Bei anderen Punkten kann es schwieriger sein, etwas zu verändern, da es bei Lehrern auch immer um das eigene Selbstbild im Beruf geht, also: ‚Welche Art von Lehrer möchte ich sein? Was ist mir persönlich wichtig im Unterricht und im Verhältnis zu meinen Schülern?’ Bestimmte Werte und Kriterien möchte ich auch nicht aufgeben. Diese sollten aber auch Schülern transparent gemacht werden. Dennoch versuche ich grundsätzlich die Bedürfnisse ernst zu nehmen und einen Weg zu finden, mit dem beide Seiten leben können.“ Als Schüler vergisst man oft, dass auch Lehrer Menschen sind und diese haben natürlich Grundsätze, die sie einhalten möchten und auch müssen – um sich selbst treu zu bleiben. Diesen Punkt gilt es besonders zu beachten, wenn es bei Konflikten von der Inhaltsebene auf die persönliche wechselt. Kritik am Menschen selbst zu üben, muss immer vorsichtig gehandhabt werden, da man dazu tendiert, verletzend zu werden. Zuletzt haben wir uns und auch unseren Interviewpartnern die Frage gestellt, ob standardisiertes Feedback oder auch ein Kummerkasten hilfreich sein könnten. Während der Schüler wieder auf die Noten kommt, welche bereits genug Standardisierung verkörpern und sich eher individuelles Feedback wünscht, hält die Lehrkraft den Vorschlag für nicht ganz unsinnig. Sie selbst nutzt dieses System in individueller Form bereits im eigenen Unterricht. Grundsätzlich ist ein Kummerkasten eine gute Möglichkeit, seine Probleme oder auch Anregungen weiterzuleiten. Die SMV hatte dieses System schon einmal genutzt und es sollte weiterverfolgt werden. Ein neuer Anlauf mit Hinweisen auf den Kummerkasten und die damit verbundene Hilfe könnten die allgemeinen Sorgen klären. Für eine gezieltere Problemlösung bleibt das persönliche Gespräch unerlässlich. Ergiebiger wäre wohl die Einführung einer Sprechstunde. So könnten im wöchentlichen Wechsel Lehrer den Schülern Gesprächszeiten anbieten und müssten nicht mehr in der knappen Zeit zwischen den Stunden Gespräche führen. Dies könnte auch einige Schüler aus der Reserve locken, die eine Unterhaltung im Klassenzimmer oder belebtem Flur scheuen. Kolleg inside Kolleg inside Warum reden wir eigentlich nicht mehr miteinander? Es gibt viele Möglichkeiten, Kritik zu üben, und oftmals muss man aufpassen, wie Themen angesprochen werden. Nicht immer geht es nur um Noten und nicht immer kann eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung gefunden werden, doch es ist immer einen Versuch wert. Der allgemein geltende Grundsatz, dem Gesprächspartner so gegenüberzutreten, wie man selbst auch gerne behandelt werden möchte, gilt auch hier. 23 Kolleg inside Kolleg inside © Skott Grunau Pöbelnde, demotivierende Schüler – schreiende Lehrer – unnötige Quälereien – Sympathiepunkte hier&da, Schleimereien trallala – sowie sinnfreie Kommentare, das ist nicht das Wahre! Inkompetenz steht auf der Tagesordnung, Ich hoffe, das führt nie zu Massenmorden. Schon früh morgens denk ich mir: Was, in aller Welt, mach ich hier? Die Schulglocke ertönt um acht Uhr, Eine Schülerin heult hier im Flur: – MIMIMI Ich habe nur 13 Punkte in Chemie – Hass! Ich schlag’ mein Buch auf ihr Knie! Mit einem hasserfüllten Blick im Gesicht Begeb’ ich mich in den Unterricht. © Dieter Schütz / pixelio.de © Skott Grunau Poetry Slam von Kay Haas Im Rahmen des Sommerfestes des Kollegs richteten die Teilnehmer des W-Seminars PoetrySlam, geleitet von Amanda Abt, einen schulinternen Poetry Slam aus, indem sich nach dem Motto >Poesie ist für jedermann< einige mutige Schüler zusammenfanden und Lyrik aus eigener Feder zum Besten gaben. Für viele Teilnehmer war es das erste Mal, auf einer wenn auch kleinen Bühne zu stehen – vor allem mit eigenen kreativen Texten, für die sie selbst die alleinige Verantwortung trugen. Die Texte konnten sich sehen lassen und glänzten mit Wortwitz und Einfallsreichtum. Von lustig über witzig bis zu tiefsinnig kritisch und melancholisch herzergreifend 24 war alles vertreten. Die Grundidee des Poetry Slam, Lyrik von ihrem elitären und verstaubten Image zu befreien und zur lebendigen Volkskunst zu machen, gelang und wurde vom Publikum aus Schülern, Lehrern und Freunden des Kollegs beklatscht und gefeiert. Für die Gewinnerin des ‚Dichterwettstreits’, Rebecca Welzel, gab es abschließend, ganz im Sinne des ‚Spirit of Poetry Slam’ einen symbolischen Preis, der aber brüderlich unter allen Teilnehmern ausgeschenkt wurde. Alles in allem ein voller Erfolg und ein großer Spaß für alle vor und auf der Bühne. Da schläft schon der erste Schüler während der Unterrichtsstunde. Hmm – ich muss aufs Klo und hinterlass unnötige Pfunde. Dabei bemerke ich die betreibende Liebeslust. Hier – am stillen Örtchen – naja, vertreibt so mancher den Frust. Die Schule raubt uns den Verstand, Deshalb zerschmettern wir unsre Lebenslust an der Wand. Lehrer, die nichts taugen, Werden uns den letzten Nerv rauben. Hasserfüllt blicke ich aus dem Fenster & reime mir neue Wörter aus Glaserei Papst: Eier-Papst, Reiher-Papst, Geier-Papst, Reis-Papst, Laser-Papst … Mathematische Formeln, spanische Verben Werden mir den Tag verderben. Ich habe die Nase voll und geh weg von hier Und ertränke meinen hasserfüllten Kummer in Bier. Ein Sprichwort besagt: KEIN BIER VOR VIER. Aber bei mir ist immer vier! Deshalb stehe ich hier Und wanke mit Bier … Siegerperformance ‚Hass’ von Rebecca Welzel 25 26 © Alexander Pelz 27 Kolleg inside Kolleg inside Kolleg inside Kolleg inside Viele von euch kennen und nutzen ja schon unsere Schulplatzmiete am Staatstheater Nürnberg. Allerdings sind viele noch nicht so recht damit vertraut, Lehrer inklusive. Deswegen haben wir uns entschlossen, euch hier in der Schülerzeitung einige Infos zu geben. Und wer weiß, vielleicht entscheidet sich ja der eine oder andere für eine Laufbahn als Opernstar und schmettert bald die wildesten Arien auf den großen Bühnen der Welt? Doch zuerst: Was ist die Schulplatzmiete überhaupt? Die Schulplatzmiete ist eine Art Abo für Schüler, das einen kostengünstigen Besuch zu sechs Stücken je Spielzeit am Staatstheater Nürnberg ermöglicht. Das Staatstheater bietet die Sparten Oper, Ballett, Schauspiel und Konzert an und das von antik bis modern und von fröhlich bis tragisch. Die teilnehmenden Schüler können auch ein zweites Abo für Freunde oder Partner dazukaufen (Was auch immer ein gutes Geburtstagsgeschenk abgibt)*. Unser Abo ist in der Regel gut gemischt, so dass für alle Interessen etwas dabei ist. Auch ist es darüber hinaus eine ideale Ergänzung zum Unterricht. Selbst die langweilligste Lektüre aus dem Deutschunterricht kann auf der Bühne zum spannenden, blutigen Spektakel werden. So kann man Hintergründe und Zusammenhänge oft aus einer ganz anderen Perspektive betrachten und besser begreifen. © Staatstheaer Nürnberg Neben den Inszenierungen ist ein Besuch in der Staatsoper immer auch ein gesellschaftliches Ereignis mit besonderem Charakter: sich hübsch machen und auch den ein oder anderen Schluck trinken. Wobei der Dresscode lange nicht mehr aus Smoking und Abendkleid besteht, also keine Angst. Die Schulplatzmiete von Lukas Fries Zuletzt ist das Theater auch ein bedeutender Teil unser Kultur, der leider einer immer stärker werdenden Konkurrenz aus Facebook, Fernsehen und Konsum ausgesetzt ist. Dabei ist Kultur keine Nebensache, sie fördert Toleranz und setzt sich mit den Problemen unterschiedlicher Schichten auseinander. Wir hoffen, dass wir euch einen kleinen Einblick in die Schulplatzmiete geben konn- 28 ten und hoffen auf regen Zulauf auch in den kommenden Jahren. Und keine Sorge, es muss ja nicht gleich der Ring des Nibelungen sein – wobei, es sind ja nur 14 Stunden … _________________________________ * Allerdings gilt hier: die beschenkte Person muss entweder einen Schüler- oder Studentenausweis vorlegen können. Die weiteren Bedingungen: die Schulplatzmiete umfasst 6 Vorstellungen à 8,–, das Abo wird zu Beginn des Schuljahrs angeboten. Die Anzahl der Begleitpersonen ist kontingentiert. 29 Institut für Pädagogik und Schulpsychologie IPSN / Schulpsychologie IPSN - Institut für Pädagogik und Schulpsychologie, Kolleg inside PSYCHOLOGISCHE SPRECHSTUNDE AM HERMANN-KESTEN-KOLLEG Psychologische Beratung bei Schulproblemen, persönlichen Krisen und psychischen Problemen Alessandro Dore Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut Immer am 2. Mittwoch im Monat: 12:15-13:15 Uhr Zimmer: E 10 Telefonisch erreichbar: 0911 231 9051 E-Mail: alessandro.dore@stadt.nuernberg.de Die Beratung unterliegt der Schweigepflicht. Herausgeber: Stadt Nürnberg, Institut für Pädagogik und Schulpsychologie / Gestaltung: Stadtgrafik Nürnberg Seit letztem Schuljahr bietet Dipl.-Psych. Alessandro Dore als zuständiger Schulpsychologe für das Hermann-KestenKolleg eine Sprechstunde am Kolleg an. Die Sprechstunde findet an jedem zweiten Mittwoch eines Monats während der Infostunde von 12:15 bis 13:15 Uhr im Besprechungszimmer im EG statt. Das Angebot kann von allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften genutzt werden. Alessandro Dore steht sowohl bei schulischen Fragen und Schwierigkeiten wie auch bei persönlichen und familiären Problemen, die schulische Leistungen beeinträchtigen können, zur Verfügung. Für die Sprechstunde ist keine Voranmeldung nötig. Da mehrere Schülerinnen und Schüler in die Sprechstunde kommen, ist es oft nicht möglich, ausführlich über ein Problem zu reden und nach einer Lösung zu suchen. In diesem Fall ist es sinnvoll, einen zeitnahen Termin für ein Beratungsgespräch im Büro des Instituts für Pädagogik und Schulpsychologie zu vereinbaren. Die Sprechstunde ist als erste Kontaktaufnahme und zur Abklärung der Fragestellung bzw. des Problems geeignet. Manchmal kann auch ein kurzes Gespräch schon ausreichen und Lösungen aufzeigen. Kolleg inside Abt. Schulpsychologie; Fürther Str. 80a; 90429 Nürnberg; Tel. 0911 231 9051 Swagman Schulpsychologische Beratung am Kolleg von Alessandro Dore 30 Dipl.-Psych. Alessandro Dore Stadt Nürnberg, Institut für Pädagogik und Schulpsychologie IPSN, Bereich Schulpsychologie Fürther Straße 80a 90429 Nürnberg Tel. 231 9051 alessandro.dore@stadt.nuernberg.de 31 1982 meldete der Weltkonzern AEG Vergleich an. Dennoch überlebte er diesen Vergleich. Doch das alte Problem blieb. Die Finanznot der AEG war nicht vom Tisch. 1985 stieg der Daimler-Benz-Konzern als vermeintlicher Retter ein. Aber selbst dieser Konzern vermochte oder wollte am Ende die AEG nicht retten. Mit der Verschmelzung des AEG-Konzerns mit Daimler-Benz 1996 erlosch die AEG als autonomes Unternehmen. nik, allen Fährnissen des Mutterkonzerns zu trotzen. Doch wurde sie während des ‚Bereinigungsprozesses’ bei Daimler-Benz 1994 an ‚Electrolux Schweden’ veräußert. Damit hatte sich das Blatt für die AEG-Hausgeräte AG gewendet. Elektrolux ließ sich nicht über die Zukunft der AEG-Hausgeräte in die Karten schauen. Eine komplette Neustrukturierung des Werkes in Nürnberg wäre nötig gewesen. Doch wer ist schon bereit, von einem Stiefkind Name und Fähigkeiten zu übernehmen? Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann auch der letzte Namensträger der AEG aus dem deutschen Wirtschaftsbild verschwinden würde. Die AEG hatte durchaus Perlen in ihrem Besitz. Eine dieser Perlen war die ‚AEGHausgeräte AG’ in Nürnberg. Sie verstand es vor allem durch innovative und gute Tech- Wer zweifelt da noch an der immerwährend Gültigkeit des Aphorismus: „Wer da stehe, siehe zu, dass er nicht falle!“ eine notwendige Konsolidierung zustande zu bringen, wenigstens die einer soliden Finanzbasis. Und es kam der Tag, an dem nichts mehr half, für eine Rettung war zu spät. von Friedrich Schmidt Kolleg outside Kolleg inside Ein vergessener, toter Nachbar © Skott Grunau Nur noch wie unendlich ferner Donnerhall mag es in unseren Ohren klingen, wenn wir gelegentlich den Namen AEG hören. Wie war doch die schon fast vergessene Geschichte einer deutschen Industrielegende? Das neunzehnte Jahrhundert mit seinen Entdeckungen und Erfindungen schaffte die Voraussetzung für eine bis heute anhaltende Entwicklung, technische Errungenschaften nutzbar und für die privilegierte Masse erschwinglich zu machen. Aus der AEG, die 1883 mit der Herstellung von Glühlampen ihren Anfang nahm, wurde bis zum Ersten Weltkrieg ein Weltkonzern. Dies lag sicherlich auch am herausragenden Konzerngründer Emil Rathenau, der sich dann zu Beginn des Ersten Weltkrieges aus dem AEG-Konzern zurückzog. Mit dem Ende des Krieges verlor die AEG den Anschluss an die Weltmärkte. Nur 32 mühsam konnte sie sich wieder aufrappeln, abendrein gebeutelt durch die Weltwirtschaftskrise und den Mangel an Kaufkraft der Bevölkerung. Erst der Nationalsozialismus beschaffte Kapital und Mittel mit dem Ziel, wirtschaftliche und damit auch militärische Stärke auszubauen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war für die AEG besonders katastrophal, sie verlor den größten Teil ihrer Produktionsstätten an die östliche Siegermacht. Dennoch kam es bald nach dem Krieg zu einem rasanten Aufschwung. Alle hatten teil daran. Strukturschwächen der Firma konnten leicht verkraftet werden, solange die Wirtschaft boomte. Drei ihrer Schwächen wurden der AEG allerdings zum Verhängnis: * geringer Besitz von Immobilien * chronischer Kapitalmangel und * drittklassiges Management. Das Management war nicht in der Lage, 33 von Mikail Aydin Schüsse hallen wider in den Straßen. Angst und Panik hängen in der Luft. Es ist der 7. Januar 2015 und soeben stürmen zwei maskierte Männer die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Sie erschießen zwölf Menschen und verletzten zwanzig weitere, während sie immer wieder „Allahu akbar“ rufen. Noch am selben Abend und den darauffolgenden Tagen sind aus allen Ecken des Abendlandes „Je suis Charlie“ zu hören. Eine schlichte und doch inhaltvolle Bekundung von Solidarität nicht allein für die Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“, sondern auch für die abendländisch-demokratische Freiheit des Wortes und des Geistes. Temporär eine durchaus angemessene Reaktion, doch wird schon in der Schule versucht ein einfaches Prinzip zu vermitteln: es ist ratsam, die Dinge zunächst kritisch zu hinterfragen, um sich dann erst zu einer Festlegung verleiten zu lassen. Dieses Prinzip, auf die Geschehnisse des siebten Januars angewandt, würde bedeuten zu fragen, weswegen die zwei Männer die Redaktion Charlie Hebdos angegriffen haben, welches Motiv hinter der Tat steckt, ob die Tat womöglich gerechtfertigt ist und vor allem wer die Schuld am islamischen Terrorismus in Europa trägt. Für die meisten waren diese Fragen schnell geklärt. Die zwei Männer töteten zwölf Menschen, weil sie Islamisten waren und der Islam Gewalt und Mord predigt. Ihre Tat war demnach in keiner Weise gerechtfertigt, da Gewalt an sich abzulehnen ist, vor allem dann, wenn sie sich gegen demokratische Prinzipien, wie die Meinungs- und die Pressefreiheit, richtet. Die Schuld an Terror oder Mord tragen selbstverständlich allein diejenigen, die Gewalt ausüben. Im Grunde ist das auch richtig. Das Töten von Menschen kann nicht legitimiert werden und primär liegt die Schuld natürlich bei demjenigen, der den Mord begeht. Nichtsdestotrotz kann eine Mitverantwortung bei denen ausgemacht werden, die andere zu Straftaten jedweder Art, wie hier ein Tötungsdelikt, anstiften oder 34 Medien Medien Etes – vous Charlie? generell dazu aufrufen. Zieht man dies nun in Betracht, obliegt die moralisch-menschliche sowie rechtliche Haftung allein den zwei Islamisten und denen, die einen radikalen Islam dieser Art zu verbreiten suchen. Das klärt dennoch nicht die Hintergründe, denn um diese aufzudecken, muss gefragt werden, wieso ein Teil der islamischen Welt den Westen so sehr hasst, dass sich einige so sehr in ihrem Hass verlieren und sich am Ende in einer Situation wiederfinden, in der sie Menschen kaltblütig abschlachten. Hier ist zunächst einmal der Krieg zu erwähnen, der seit 2001 aufgrund von bis heute nicht geklärten Ereignissen am elften September im arabischen Raum geführt wird. Die US-Regierung kam ihrer Pflicht der Aufklärung der Geschehnisse am 11. September in keiner Weise nach. Trotz etlicher Stimmen aus der Bevölkerung, die etwa auf eine Sprengung nicht nur der beiden Zwillingstürme, sondern auch auf eine des WTC Building seven hindeuten, wurden die verbleibenden Stahlträger der Gebäude weder auf Rückstände von Sprengstoffen untersucht noch wurde der Einsturz des WTC Building seven im ersten 9/11 Report erwähnt. Dieser Umstände ungeachtet, ist wohl der wesentliche Grund für den Hass der islamischen Welt dem Westen gegenüber dessen Arroganz. Ein kollektiver Dünkel des Abendlandes hat zu einer Haltung geführt, die den Krieg im Nahen Osten akzeptiert und toleriert. Eine Tatsache, die schon Samuel P. Huntington in seinem heute viel zitierten Buch Kampf der Kulturen bereits 1993 ausmachte. „Das Problem für den Islam sind nicht der CIA oder das US-amerikanische Verteidigungsministerium. Das Problem ist der Westen, ein anderes Kulturkreis, dessen Menschen von der Universalität ihrer Kultur überzeugt sind.“ (S. 350) Die logische Konsequenz, die aus dieser Betrachtung zu ziehen ist, ist, dass der Westen an der Schuld an den Ereignissen mitträgt, die zu den traurigen Geschehnissen in Paris geführt haben. Es ist diese unsagbare Hochmütigkeit, mit der wir abrechnen müssen, wollen wir in Zukunft dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Dafür muss uns aber erst klar werden, was sich einer klaren Betrachtung entzieht, nämlich das Unterbewusste, denn die kulturelle Anmaßung ist keine vereinzelt auftretende Anomalie, sondern Teil des Alltags, so auch auf dem Kolleg. Sei es während einer Betrachtung von Infrastrukturprojekten im Osten – innerhalb des Geographieunterrichts –, deren Durchsetzung sowie die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit allein anhand der Tatsache angezweifelt wird, dass das Projekt von keinem Deutschen konzipiert worden ist, oder im Rahmen des Sozialkundeunterrichts, in dem Technologien einzig nach ihrem Herkunftsland beurteilt werden. Es ist eine sich dem Bewusstsein entziehende Betrachtung der Welt, die sich auf das Kollektiv projiziert und dort potenziert wird. Wir sind es, die etwas verändern, die alles zum Guten wenden können, wenn wir in der Lage sind, unser Selbst zum Guten zu wenden. Angesichts dieser allein für mich gültigen Einsicht erscheint es mir richtig, auf die Frage, ob ich Charlie sei, einer konkreten Antwort schuldig zu bleiben und stattdessen voller Hochmut zu fragen: Etes vous Charlie? 35 von Skott Grunau, wiederum kommentiert vom Autor Mikail Aydin © Alexander Pelz Lieber Mika, deinen kritischen Blick auf die Welt in allen Ehren, aber du gestattest mir ein paar Anmerkungen? 36 Erstens. Die juristisch anmutende Frage nach der Schuld zielt auf eine Perspektiverweiterung. Aber das ist nichts Neues, es wird auch in unseren Medien nach denen gefragt, die zum Mord aufrufen. Situation wieder, in der sie zu solchen Taten wie in Paris fähig sind. Hier verrät deine Formulierung etwas über dein Interesse, die Terroristen zumindest ein klein wenig in Schutz zu nehmen: sie ‚verlieren’ sich im Hass und können dann gar nicht anders. Du weißt, was ich dir im Ethikunterricht sagen würde? Richtig: war da nicht etwas mit dem freien Willen und der Möglichkeit einer Vernunftsteuerung. Zweitens. Du fragst nach den Gründen des Hasses auf die westliche Kultur. Und da wird es schon interessanter: Getrieben vom Hass, finden sich Terroristen bei dir in einer Das würden Sie zwar sagen und das ist auch so richtig, jedoch würde ich Ihnen allein im Rahmen des Ethikunterrichts zustimmen, denn ich sehe die Philosophie nicht in der Realität, sondern vielmehr als eine Schule, eine Konstruktion aller Möglichkeiten hinsichtlich anthropologischer Vorgänge wie Emotionen oder die Strukturierung verschiedener Individuen in einer Gruppe bzw. Gesellschaft. Es schärft den Verstand, hat aber auf die Empirie nur einen indirekten Einfluss. Um ehrlich zu sein würde ich sogar dahingehen tendieren zu sagen, dass die Philosophie sogar hinderlich ist. Sie zwingt, wenngleich es nur bei kleingeistigen Menschen der Fall ist, eine Sicht auf, die eine Betrachtung der Welt unter den gegebenen Werten der Gesellschaft zur Folge hat. D.h. die Sicht auf die Welt erfolgt allein aus einer Perspektive, also ist sie beschränkt. Ich hingegen sehe die ‚Moral’ und damit auch die Philosophie als möglichen Aspekt, unter dem man die Welt betrachten kann, aber auch nicht mehr. Damit ist die Sicht auf die Ereignisse unter der Annahme, dass die Menschen einen freien Willen und die Möglichkeit einer Vernunftsteuerung haben, nur eine Möglichkeit, nur ein zu erwägendes Szenario unter vielen – und ich habe mein Augenmerk einfach auf ein anderes gelegt. Drittens. Ach, Mika, der 11. September! Ich kenne die Videos und Dokus aus der Ecke der Verschwörungstheorien. Warum haben sich solche Theorien nicht durchgesetzt? Doch weder aus Meinungsmanipulation im großen Stil (oder sind wir wirklich alle nur Marionetten?) noch aus Dummheit. Sondern einzig deshalb, weil es auf all diese abweichenden Erklärungen der Wirklichkeit Antworten gibt, die ihnen den Boden entziehen. Nein, da muss ich Ihnen vehement widersprechen. Viele haben keine gesicherten Kenntnisse über die Ereignisse und meine Vorwürfe berufen sich auf Fakten. Außerdem muss ich Ihnen leider vorwerfen, nicht genau auf meine Formulierungen geachtet zu haben. Ich sagte nur, dass die Umstände trotz vieler Einwände von Augenzeugen und Experten nicht hinreichend aufgedeckt wurden. Viertens. Du behauptest, dass die ‚kulturelle Anmaßung’ des Westens – sag doch ruhig ‚Rassismus’ – im Alltags-Unterbewusstseins ihr Unwesen treibe. Nun ja, dazu es gibt es zweierlei zu sagen. Zum einen liegt auch hier ein merkwürdiges Konstrukt einer Fremdsteuerung zugrunde: der arme Rassist, er weiß eigentlich gar nicht, dass er einer ist. Und zum anderen verharmlost du damit alle wirklichen Rassisten, von denen es mehr als genug gibt; und die sind sich ihrer Weltsicht durchaus bewusst. Medien Medien Replik auf ‚Etes vous Charlie’ Hier sehe ich wohl alles wieder unter einem anderen Aspekt als Sie. Ich nutze bewusst das Wort “Rassismus“ nicht, da ich “Rassismus“ als einen bewussten Geisteszustand sehe, wohingegen ich die, die sich diesem Geisteszustand nicht bewusst sind, als gefährlicher einstufe. Rassisten sind meine Feinde, tragen sie den Rassismus offen zutage, kann ich reagieren. Ich kann ihre Schritte beobachten, analysieren und gegebenenfalls vorhersagen, da ich sie lediglich eine Armlänge von mir entfernt halten kann. Also nach dem Motto: Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher. Diejenigen, die sich ihren Gedanken nicht bewusst sind, sind schwer zu analysieren und ihre Schritte schwer vorherzusehen. Ich verharmlose den “Rassismus“ nicht, ich sehe ihn lediglich als kleineres Übel. Fünftens und Schluss. Es ist anerkennenswert und richtig, der Welt einen Spiegel vorzuhalten. Doch bitte sei so gut und entschuldige nicht die Täter, mach sie nicht kleiner, als sie sind, weder die Terroristen anderswo noch die Rassisten hierzulande. Die oben angeführten Punkte sollten ersichtlich machen, dass ich weder die Täter noch die Rassisten entschuldige. 37 Von Alexander Pelz Mit den Worten „Mondstein – flieg‘ und sieg‘!“ hat ein blondes Mädchen im Matrosenkostüm den Siegeszug japanischer Comics und Serien in Deutschland eingeleitet. Schon seit den 70er Jahren flimmern Zeichentrickserien aus Japan über deutsche Fernsehbildschirme, wie „Heidi“, die „Biene Maja“ und „Pinocchio“. Allerdings wusste niemand so recht, dass sie ursprünglich aus Japan kamen. Dies änderte sich mit der Ausstrahlung einer blonden Superheldin im Matrosenoutfit im TV. Von da an fanden immer mehr Serien aus dem Land der aufgehenden Sonne Zugang in die deutsche Kultur. Der Name der jungen Dame ist Sailor Moon, die maskierte Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit. Mit einem solchen Erfolg rechnete die Autorin Naoko Takeuchi im Jahre 1992 nicht, als ihre Geschichte über ein junges Mädchen mit Zauberkräften als Manga veröffentlicht und wenig später als Zeichentrickserie ausgestrahlt wurde. Eine Schülerin mit 14 Jahren, unschuldig, tollpatschig und unbeholfen, soll sich in eine maskierte Kämpferin verwandeln und die Erde retten? War diese Aufgabe doch bereits Superman und anderen amerikanischen Superhelden vorbehalten. Doch Sailor Moon ist nicht allein. Ihr zu Hilfe kommen weitere Mädchen und diverse helfende Charaktere. Dabei steht jedes Mädchen unter dem Schutz eines Planeten unseres Sonnensystems und auf diesen beziehen sich auch die Kräfte. Die Geschichte vermittelt auf humorvolle Art Werte wie Zusammenhalt, Freundschaft und vor allem, dass man nie aufgeben soll, an seinen Träumen festzuhalten. Von Träumen hat Bunny Tsukino*, so Sailor Moons bürgerlicher Name in der deutschen Synchronfassung, genug. Sie schläft und isst für ihr Leben gerne und denkt nicht daran, auch nur einen Hauch für die Schule zu lernen. Dieses Lotterleben wird jäh durch die sprechende Katze Luna beendet, die von Bunny verlangt, sofort den Kampf gegen das Böse aufzunehmen, die legendäre Mondprinzessin zu finden und die Welt vor dem Untergang zu bewahren. 38 Sailor Moon bietet für jeden Geschmack etwas. Romantische Momente sind ebenso zu finden wie actionreiche, doch wovon die Anime-Serie vor allem lebt, sind die zahlreichen Gags, aber auch traurige Szenen. Doch man muss zwischen den Mangas und der Anime-Serie unterscheiden. In „Pretty Guardian Sailor Moon“** macht sich Usagi Tsukino mit ihrer Katze Luna und ihren Freundinnen auf die Suche nach der legendären Mondprinzessin. Nachdem sich Sailor Moon als die gesuchte Mondprinzessin herausgestellt hat – als die einzige Person, die den heiligen Silberkristall, einen Kristall von ungeheurer Macht, einsetzen kann – besteht der erste Kampf darin, das Wesen zu besiegen, welches das Königreich auf dem Mond einst angegriffen und ausgelöscht hat. Kaum ist Ruhe eingekehrt, taucht ein mysteriöses Kind aus der Zukunft auf, um mithilfe des heiligen Silberkristalls von Bunny ihre Mutter zu retten. Verfolgt wird sie vom Black Moon Clan, den Bewohnern des ominösen Planeten Nemesis, die, aufgehetzt vom Dark Phantom, die Erde unter ihre Kontrolle bringen wollen. Auch hier erringt Sailor Moon den Sieg, rettet Gegenwart und Zukunft. Der dritte Gegner der Superheldin heißt Pharao 90 aus dem Sonnensystem Tau Nebula. Das Sailor-Team erhält zunächst Verstärkung von drei Kriegerinnen des äußeren Sternensystems, Uranus, Neptun und Pluto. Diese wollen nicht nur den Pharao vernichten, sondern die Erweckung einer weiteren Kriegerin – der Kriegerin der Zerstörung – verhindern. Nachdem auch dieser Gegner besiegt und die Erde vorerst gerettet ist, erscheint die böse Königin Nehelenia mit ihrem Dead Moon Circus. Sie will die Erde besitzen und versucht den Menschen ihre Fähigkeit zu träumen zu nehmen, um die Erde zu schwächen. Grund dafür ist, dass sie als Einzige nicht zur Geburtstagsfeier der Mondprinzessin eingeladen worden ist. Nach ihrem Sieg über die Königin Nehelenia steht sie ihrem ärgsten Feind gegenüber. Sailor Galaxia vernichtet einen Planeten nach dem anderen auf der Suche nach reinen Sternenkristallen – magischen Kristallen, die jede Sailor-Kriegerin in sich trägt und die ihnen magische Kräfte verleihen. Nachdem Sailor Moon Galaxia besiegt hat, trifft sie schließlich auf ihren Endgegner. Chaos ist mit dem Geburtsort der Sterne verschmolzen. Vernichtet sie ihn, werden keine Sterne mehr geboren, vernichtet sie ihn nicht, wird der Krieg Gut gegen Böse ewig so weitergehen. Sailor Moon vernichtet schlussendlich Chaos. Die Geschichte endet mit ihrer Hochzeit in der Zukunft. Die Zeichentrickserie von 1992, die 1997/98 in Deutschland unter dem Namen „Sailor Moon – Das Mädchen mit den Zauberkräften“ erstmals ausgestrahlt wurde, ist im Vergleich zum Manga kindlicher und fröhlicher gestaltet. Bunt, laut und auffällig – mit überzogener Mimik werden die Pointen bis ins Groteske verstärkt und selbst die noch so düster wirkenden Bösen lassen sich zu Scherzen hinreißen. Die Gewalt und die beklemmende Atmosphäre der Vorlage sind herausgenommen worden, damit die Geschichte auch für jüngere Zuschauer geeignet ist. In der Handlung folgt die Serie dem Manga nur bedingt, hat zusätzliche Handlungsstränge und von der 4. Staffel an ist die Handlung grundlegend anders. Aufgrund anhaltender Forderungen, Sailor Moon wieder der deutschen Fangemeinde zugänglich zu machen, brachte der Egmont Manga- und Animeverlag den Manga 2012 in einer neu übersetzten Version in japanischer Leserichtung und Farbseiten in 15 Bänden heraus. Zudem sicherte sich der Anime-Verleger Kazé Anfang 2013 die Rechte an der Serie und veröffentlicht alle 200 Folgen auf DVD. Des Weiteren läuft seit Frühjahr 2014 ein neuer Anime zu „Sailor Moon“. Diese Neuinterpretation läuft unter dem Namen Sailor Moon Crystal auf dem japanischen StreamPortal NicoNicoDouga.jp und folgt streng Medien Medien Sailor Moon der Handlung der Vorlage. * Tsukino Usagi heißt „Hase des Mondes“ ** Internationaler Originaltitel war „Pretty Soldier Sailor Moon“, wurde später jedoch in „Pretty Guardian Sailor Moon“ geändert. In Deutschland hieß die Serie „Sailor Moon – Das Mädchen mit den Zauberkräften“ 39 Nun könnte man an dieser Stelle den ollen Kant zitieren mit seinem Poesiebuch-Eintrag für die Aufklärer (der Leser der ZAK kennt das Zitat zur Genüge), aber er trifft die hier beschriebene ‚Denkkultur’ nicht. Weder sind wir unmündig noch ist unser Verhalten selbstverschuldet (na ja, ein bisschen schon). Unsere Kultur legt den größten Wert auf das selbständige Denken, Institutionen wie das Kolleg schreiben das dick und fett auf ihre Fahnen. © Tim Reckmann / pixelio.de Lagerdenken von Skott Grunau Woher kommt der Drang, auf Teufel komm heraus Standpunkte beziehen zu müssen? Oder genauer: woher kommt der Drang, immer einen parteiischen Standpunkt besetzen zu wollen? Gar selten trifft man auf Zeitgenossen, die die Welt so komplex und vielfältig, wie sie nun einmal ist, zu begreifen versuchen. Viel attraktiver scheint die Methode der ‚Vereinfachung’ zu sein. Und ist die Welt erst einmal ‚vereinfacht’ erfasst worden, sieht man sich schnell auf einer von zwei Seiten wieder, in einem Lager. Lässt man sich auf einen Disput ein, ist der Dialogpartner oft entweder für oder gegen Putin (oder entsprechend gegen oder für die EU), für oder gegen die griechische Regierung, für oder gegen die USA bei ihren diversen Waffengängen oder Abhörpraktiken. Das beschränkt sich nicht nur aufs Pausengespräch, sondern findet sich vor allem in der täglichen Meinungspflege durch die Medien wieder. Deutsche Zeitungen behaupten in der Regel, über den Ukrainekonflikt zu berichten, sie 40 ergreifen dabei aber sehr selektiv Partei für Kiew. Auch das andere Lager wird besetzt, so zitiere ich einmal eines der kuriosesten Blätter, die ‚Junge Welt’; sie spricht eine deutliche Sprache, in Kiew regierten ‚Machthaber’, im Osten der Ukraine befinde sich die ‚Volksrepublik Donetz’, ausgestattet mit ‚Volkswehren’. Aber auch bei der der ZEIT begegnen wir einseitigen Perspektiven (die, und das muss man der Wochenzeitung zugute halten, immer einmal wieder durch die zunächst ausgeschlossene Perspektive ergänzt werden, wenn auch manchmal um Wochen verzögert). Selbst die medieninterne Textsorten-Typologie ist keine überzeugende Verteidigung: dass der eigene Beitrag lediglich ein ‚Kommentar’ sei, macht ihn doch nicht weniger ‚meinungsbildend’, zumal wenn man bedenkt, wie ähnlich all die Kommentare auf prominenten Seiten deutscher Zeitungen sind. Es ist schon entlastend, wenn man sich seiner Position als der ‚richtigen’ bewusst ist und das täglich bestätigt bekommt. Der Preis muss allerdings entrichtet werden – und der ist weitaus höher als der Kioskpreis seines Lieblingsblattes –: die Realität nämlich Wie ist die Freude an der Einseitigkeit denn dann zu erklären? Die Antwort dürfte so einfach wie naheliegend sein. Komplexität verwirrt nur, das Bedürfnis, sich eine Meinung zu bilden, freut sich über jede Reduktion an Komplexität, Einseitigkeit hat etwas Entlastendes. Noch einmal Kant zum Schluss, etwas abgewandelt: Bediene dich deines Verstandes (was anderes hat man halt nicht) und trau dich, dich aus dem Geflecht von absurden, weil komplexitätsreduzierenden ‚Diskursregeln’ zu befreien. So gesehen, ist das Kantsche sapere aude* doch noch einigermaßen aktuell … Medien Medien zurechtzubiegen und vor dem einen oder anderen Fakt die Augen schließen zu müssen. ___________________________________ * Ein Blick in die Denkweisen von Philosophen kann manchmal auch Nützliches zutage fördern. So die Methode, Widersprüche und Gegensätze nicht einfach aufeinander prallen und dann stehen zu lassen, sondern sie auf einer höheren Ebene zu vermitteln und damit im besten Fall die Gegensätze zumindest denkend ‚aufzuheben’. Hegel wäre da ein geeigneter Lektüretipp. Besonders dann, wenn die jeweilige Mainstream-Meinung moralisch daherkommt. Das Blöde an der Verteilung der Qualitäten ‚gut’ und ‚böse’ ist allerdings, dass eine solche Einsortierung meist vor allem Denken passiert. ‚Gut’ ist auf einmal alles, was auf dem Euro-Maidan geschehen ist (dass hier zu etwas ‚angestiftet’ worden ist, möchte man gar nicht so genau wissen), ‚böse’ ist die Besetzung der Krim (dass die Bevölkerung das gutgeheißen hat, will man auch mehr so genau wissen). Und wenn man aber doch über den Tellerrand des üblichen ‚Meinungsbildes’ hinausblicken möchte? Man könnte einfach die Seite wechseln (wie es die ‚Junge Welt’ in ihrer ‚Berichterstattung’ tut und ihr Anderssein damit nur karikiert). Nun ja, aus einem Befürworter des Euro-Maidan in einen Russlandfreund zu mutieren, würde einen kaum weiterbringen. Der Ausweg liegt vielleicht in der Aufhebung des selbst verordneten Zwangs zur Einseitigkeit. Alle beteiligten Seiten infrage zu stellen, könnte weiterhelfen. Und wäre die Vorstellung tatsächlich so abwegig, dass beispielsweise im UkraineKonflikt beide Seiten Dreck am Stecken haben? © Lupo / pixelio.de 41 von Ines Prasch Das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg ist nicht einfach zu erreichen. Jeder von uns hat seine Gründe dafür, sei es wegen schlechter Berufsaussichten oder genereller Unzufriedenheit. Auch ein knappes Bafög oder Kinder machen es nicht leicht, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. So müssen viele von uns nebenher arbeiten oder sich um ihren Nachwuchs kümmern. Diese Belastungen lassen die Ziele sehr schnell verblassen. Wenn das Ziel Medizinstudium heißt, ist ein Schüler oft kurz davor alles hinzuwerfen. Doch das muss nicht sein. So gibt es hervorragende Alternativen im Bereich der Medizin, um das Lebensziel, anderen Menschen zu helfen, doch noch zu erreichen. Eine davon möchte ich hier vorstellen – den Heilpraktiker für die Klassische Homöopathie. Es geht dabei um zwei getrennt zu absolvierende Ausbildungen, von denen jede – an einer guten Schule absolviert – etwa 3 Jahre in Anspruch nimmt. Dann ist man aber nicht durch mit dem Lernen, man hat sozusagen einen Vertrag für lebenslanges Lernen unterschrieben. Es ist wichtig, mit dem Fortschritt mitzuhalten und die jeweils neuen Erkenntnisse in die Arbeit einfließen zu lassen. Doch warum zwei Ausbildungen für ein Berufsziel? Ein Heilpraktiker übt genau wie der Arzt seinen Beruf gewerbsmäßig und eigenverantwortlich aus. Er zählt zu den freien Berufen. Gesetzesgrundlagen sind ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Sie zeigen die Grenzen und Unterschiede zur akademischen Ausbildung. So darf ein Heilpraktiker beispielsweise keine meldepflichtigen Krankheiten behandeln und auch nicht auf dem Gebiet der Geburtshilfe tätig sein. Doch er darf uneingeschränkt in den Bereichen Psychotherapie und Physiotherapie tätig sein. © Foto Hiero / pixelio.de 42 Die Ausbildung samt der dazugehörigen mündlichen und schriftlichen Prüfung sollte nicht unterschätzt werden. In dieser Ausbildung lernt man immerhin das, was auch jeder Arzt in den ersten zwei Jahren seines Studiums lernt. Und genau das wird abgefragt. Da geht es nicht darum, ob der Auszubildende fit in Traditioneller Chinesischer Medizin ist oder ein psychoanalytisches Gespräch nach Rogers führen kann. Nein, er muss beweisen, das er sich in Anatomie und Innerer Medizin auskennt; er muss unter Beweis stellen, das er in der Lage ist, die einzelnen Krankheitsbilder und ihre Symptome zu erkennen; er muss zeigen, dass er in der Lage ist, sich im Notfall richtig zu verhalten. Die Ausübung der Homöopathie ist eine weitere und separat zu absolvierende Ausbildung, welche von praktizierenden und angehenden HeilpraktikerInnen und ÄrztInnen gleichermaßen absolviert werden kann. Eine gute Schule bietet das Studium von Arzneimitteln, ihrer Herstellung, sachgemäßen Anwendung, das Erlernen der sehr umfangreichen Anamneseführung sowie der Geschichte der Homöopathie. Im praktischen Teil wird das erlernte Wissen analysiert und reflektiert. Immerhin möchte ein ausgebildeter Homöopath mehr als Grippe und Kopfweh behandeln können. So ist es notwendig, die erlernten Grundlagen im weiterführenden Studium weiter zu vertiefen und einzuüben. Hier erfolgt dann auch ein tieferer Einblick in die verschiedenen Richtungen der Klassischen Homöopathie und ihre Grenzen und Möglichkeiten. Auch der Schulmedizin mit ihren unabdingbaren Leistungen im Bereich der Notfallmedizin, Chirurgie und Diagnostik sind bei allem Respekt Grenzen gesetzt. Dies betrifft nicht nur den Leistungskatalog vor allem der gesetzlichen Krankenkassen, sondern auch die ganzheitliche Behandlung von chronischen Krankheiten. Hier fehlt es den Medizinern an der notwendigen Zeit, um den kranken Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen und eben nicht nur beispielsweise chronische Schmerzen zu lindern, sondern deren Ursache zu erkennen und zu beseitigen. So ist die Klassische Homöopathie in der Lage, neben Akuterkrankungen auch chronische Erkrankungen wie Neurodermitis, Asthma, Rheuma oder Herzrhythmusstörungen erfolgreich zu behandeln. Und dies ohne Antibiotika oder Cortison. Es ist erfreulich, dass es auch Schulmediziner gibt, welche diese Möglichkeiten erkannt haben und im Interesse ihrer Patienten mit dem behandelnden Homöopathen zusammenarbeiten. Solche Kooperationen sind nicht nur vom Respekt für der Arbeit des anderen geprägt, sie führen auch nicht selten dazu, Schmerzen und Folgen schwerster Erkrankungen abzumildern und im besten Fall zu heilen. So kann ein sorgfältig arbeitender und erfahrener Homöopath mit seinem Wissen und Können dazu beitragen, dass ein Tumor sich soweit verkleinert, dass eine Operation ungefährlicher oder gar erst ermöglicht wird. Abitur und was dann? Abitur und was dann? Homöopath – ein Beruf mit Zukunft Selbstverständlich gibt es auch hier Grenzen, die jeder gute Heilpraktiker wie auch jeder Arzt kennen und achten müssen. So gehört zu einer sorgfältigen Arbeitsweise von Heilpraktikern auch das Erkennen von schweren Notfällen und die Überweisung an entsprechende Fachärzte. Jede homöopathische Behandlung muss individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten werden, da diese im Gegensatz zur Schulmedizin ganzheitlich und nicht symptombezogen erfolgt. Gute Ausbildung und ständige Bereitschaft zur Weiterbildung und Supervision sind unabdingbar. Den Beruf des Heilpraktikers oder auch des Arztes für Klassische Homöopathie auszuüben, bedeutet bereit zu sein, sich auf neue Wege und andere Blickwinkel einzulassen, von anderen und mit anderen Kollegen zu lernen. Für die sehr umfangreichen Ausbildungen gibt es einige wenige gute Schulen in Bayern. Zu ihnen gehören für die Heilpraktikerausbildung die Campus Heilpraktikerschule Regensburg/Neumarkt und das Institut für Klassische Homöopathie in Regensburg. Beide Schulen arbeiten in enger Kooperation und ermöglichen es so, beide Ausbildungen nacheinander oder aber auch parallel zu absolvieren. 43