Historischer Hintergrund

Transcription

Historischer Hintergrund
DIE OPERATION SILENT CROSSING 1945
Die Operation Silent Crossing erinnert uns an jenen
überraschenden, schnellen und spektakulären Rheinübergang der US Army am 22. März 1945, der die
zeitnahe Befreiung von Darmstadt und des zur
„Frontstadt“ erklärten Frankfurt am Main einleitete.
Die Geschichte der Operation Silent Crossing erinnert
uns aber auch in besonderer Weise an den
hochbegabten, jedoch eigenwilligen militärischen
Führer General George S. Patton. Der Befehlshaber
der 3. US Armee, der einen Haltebefehl Eisenhower‘s
ignorierte und dadurch das sog. „Rennen zum Rhein“
mit dem britischen General Montgomery für sich
entscheiden konnte.
- Patton‘s späte Revanche dafür, dass er nach
Streitigkeiten mit General Omar Bradley am D-Day
nicht teilnehmen durfte und erst 18 Tage später mit
seiner 3. Armee in die Kämpfe in der Normandie
eingreifen konnte.
Mit der USMVC e.V. Ausfahrt 2016, die den Spuren
von Patton‘s Truppen nach Nierstein folgt, wollen wir
dazu beitragen, das Interesse an der Geschichte der
Region zu wecken und das Geschichtsdenken zu
pflegen und zu aktivieren. Zugleich schließt sich die
Ausfahrt thematisch direkt der Remagen-Fahrt des
USMVC e.V. vom März 2015 an.
Was geschah im Schicksalsjahr 1945?
Das Kriegsjahr 1945 begann mit der großen Offensive
der Alliierten im Osten und Westen. Der völlige
Zusammenbruch Deutschlands war damit nur noch
eine Frage der Zeit.
Am 07. März 1945 fällt – für alle überraschend – in
Remagen die einzige intakte Rheinbrücke den US
Truppen in die Hände. Durch das sog. „Wunder von
Remagen“ gelingt es der US Army, einen
Brückenkopf zu bilden, bevor die beschädigte
Ludendorff-Brücke 10 Tage später in sich
zusammenbricht und 28 G.I.s in den Tod reißt.
Oben Rechts: Montgomery und Patton „shake hand‘s“.
Doch das Foto täuscht über die tiefe Rivalität der
beiden Generäle hinweg.
Unten: General Patton uriniert am 23.03.1945 bei
Nierstein in den Rhein – ein Foto mit viel Symbolik.
Im Hintergrund die Gebäude Rheinallee 9 bis 15.
5th Infantry
Division, 11th
Infantry
1135th Engineer
Combat Group
Der Brückenkopf in Remagen stand unter massivem
Druck deutscher Angriffe und zwang das alliierte
Hauptquartier alle bestehenden Pläne für den Rheinübergang dramatisch zu beschleunigen.
Hierbei sollten die britischen Verbände im Norden bei
Wesel den Rhein unter dem Kommando von General
Montgomery zuerst überschreiten und die US Truppen
unter General Patton erst später im Süden des
bestehenden Brückenkopfes nachziehen.
Doch Patton war ein Panzer-General der ersten Stunde
und wollte daher den taktischen Vorteil der
Geschwindigkeit nutzen. So trieb er seine Angriffsspitzen - die 3. und 4. Panzerdivision - beständig weiter
Richtung Osten. Sein Ziel: Er wollte noch vor den
Sowjetischen Truppen in Berlin sein.
- Und vor seinem Rivalen „Monty“ über den Rhein.
So wurde bereits am 18. März 1945 Bad Kreuznach
nach schwerem Beschuss den amerikanischen Truppen
kampflos übergeben und die 5. US Infanteriedivision
rückte gemeinsam mit der 4. US Panzerdivision weiter
auf Mainz vor.
Die durch Luftangriffe im Januar bereits beschädigte
Hindenburgbrücke bei Bingen wurde aber von Pionieren
der Wehrmacht zuvor gesprengt. Damit war die einzige
Eisenbahnbrücke mit einer Fahrbahn über den Rhein für
General Patton‘s Truppen unpassierbar geworden.
Doch US-Pioniere, Schlauchboote, Brückenteile,
Schwimmfähige Panzer und Lkw sowie Landungsboote
der legendären „Sea Bee‘s“ der US Navy standen für
diesen Fall schon auf Tiefladern bereit.
US Navy
Seabees
Am 19. März 1945 stießen die Amerikaner auf den
erbitterten Widerstand einer deutschen Einheit in
Volxheim. Dort forderte das letzte Panzergefecht vor
den Toren von Mainz Tote unter Einwohnern und
Soldaten, während in Alzey in der Römerstraße
Einwohner starben, weil die Amerikaner auf einen
bereits zuvor aufgegebenen deutschen Panzer feuerten.
In Hahnheim fielen zehn Deutsche einer Flak-Einheit,
weil ihr Offizier nicht kapitulieren wollte, bei MainzDrais wurde ein US-Offizier von einem Scharfschützen
getötet, und an der Ecke Binger Straße/Saarstraße in
Mainz verbrannte der Fahrer eines deutschen Halbkettenfahrzeugs, weil Kameraden nachts einen USPanzer vermuten.
In Ingelheim ließen Wehrmachtsoffiziere und SS den
Volkssturmführer Berndes aufhängen, der eine
Panzersperre hatte beseitigen lassen, in Bingen traf es
den Offizier, der die Hindenburgbrücke angeblich zu
früh sprengen ließ, und in Mainz-Hechtsheim wurden
drei Bürger erschossen, weil sie bereits die weiße
Flagge gehisst hatten. All dies nur Tage, teils nur
Stunden bevor die Amerikaner einmarschierten.
21. März: US-Einheiten rückten über Gensingen, via
Sponsheim, Dietersheim und Büdesheim nach Bingen
vor. Der NSDAP-Kreisleiter hielt noch eine flammende
Durchhalterede - und floh dann mit einem Boot. Danach
ging es schlag auf schlag: „Mitternacht: Amerikaner in
Selzen; Köngernheim; um 4.00 Uhr: Angriff auf
Marienborn; 6.00 Uhr: Beginn der Säuberung von
Bingen; 6.10 Uhr: Die Amerikaner erreichen
Marienborn 7.00 Uhr: Amerikaner dringen in MainzBretzenheim ein, Häuserkämpfe; 7.30 Uhr: Ein Major
übergibt Selzen; 8.30 Uhr: Ober-Olmer Wald gesäubert;
US-Ari feuert auf Flak in Bretzenheim; 8.50 Uhr:
Hechtsheim fällt. Die G.I.‘s rücken weiter Richtung
Mainz vor. Widerstand an der GFZ-Kaserne; 13.00 Uhr:
Nackenheim fällt…“
Auf dem rechten Rheinufer spielte sich in diesen
dramatischen Stunden die „Tragödie auf dem
Kornsand“ ab: Vier Männer und eine Frau aus Nierstein
und ein Volkssturmmann aus Oppenheim wurden als
Gegner des Regimes von NS-Fanatikern aufgegriffen
und auf dem Kornsand erschossen und verscharrt.
Am frühen Morgen des 21. März erreichten die
Amerikaner Undenheim, das am Tag zuvor kampflos
übergeben worden war. Sofort begannen die USPioniere unmittelbar neben der Umgehungsstraße mit
der Errichtung eines Feldflugplatzes für die Operation
Grasshopper, die aber dann abgesagt wurde. Zeitgleich
erfolgt die Vorbereitung der Schwimm-Pontons, die
dann einsatzbereit nach Oppenheim transportiert und
am Abend gemeinsam mit den Navy Landungsbooten
am Rheinhafen zu Wasser gelassen wurden.
22. März 1945: „5.30 Uhr: Angriff auf Mainz;
später Vormittag Stadt von US Truppen durchstoßen; 14
Uhr: Widerstand fast erloschen; 16 Uhr Rheinfront in
US-Hand.“ Der Krieg in Rheinhessen war damit zu
Ende; kurz vor Mitternacht begann mit der Operation
Silent Crossing dann der Rheinübergang in Nierstein.
Die 3. US Armee begann mit den Übersetzmanövern in
Nierstein pünktlich um 22.00 Uhr des 22. März 1945.
Das erste Angriffsboot mit Soldaten der 11th Infantry,
Rifle Company „K“ landete mit ihrem Kompanie-Chef
1st Lt. Irven Jacobs auf dem rechten Rheinufer. Sieben
deutsche Soldaten ergaben sich dort und paddelten dann
über den Fluss „without any escort“, um dann in
Nierstein in Gefangenschaft zu gehen.
Die Kompanie A und B, die weiter südlich bei Oppenheim landeten, gerieten in starkes Abwehrfeuer deutscher Maschinengewehre und es kam zu einem halbstündigen schweren Gefecht, bis sich die Deutschen
Soldaten ergaben. Die US Infanterie wurde dann in 200
Schlauchbooten übergesetzt und es waren dabei am
Ende nur 20 verletzte G.I.‘s zu beklagen.
Am 23. März war die erste Treadway-Bridge trotz
deutscher Artillerie- und Fliegerangriffe fertig gestellt.
Bei dem ungezielten Feuer wurden lediglich 2 G.I.‘s
verletzt. Ein „Wunderwaffen“ Angriff mit einer Fliegenden Bombe vom Typ „Mistel“ schlug ebenfalls fehl.
Am 24. März 1945 wurde die zweite Treadway-Bridge
und eine schwere Pontonbrücke fertiggestellt und es
entstand das vielzitierte Patton Foto, das Ihn zeigt, wie
er triumphierend von der Brücke in den Rhein uriniert.
Zwischen dem 24. März 1945 und dem 31. März 1945
überquerten dann rund 60.000 US-Fahrzeuge der 3. US
Armee den Rhein auf diesen drei Rheinbrücken.
Die Folgen der Operation Silent Crossing:
Die Operation Silent Crossing legte den vom US
Generalstab von langer Hand geplanten Grundstein für
die Befreiung Hessens und den Vorstoß der Amerikaner
Richtung Osten, direkt in das Herz des Deutschen
Reichs: Aus dem Brückenkopf heraus rückten die
Soldaten Patton‘s durch das hessische Ried Richtung
Trebur und Gustavsburg sowie Darmstadt vor.
Bereits am 25. März wurde das von Bombenangriffen
stark zerstörte Darmstadt befreit, nachdem die örtliche
Garnison die Kapitulation unterschrieben hatte.
Die Panzerspitzen der Amerikaner schwenkten dann
scharf Richtung Norden ein, mit Ziel Frankfurt. Die
Messestadt war Angesichts der nahenden US-Truppen
von der NS-Führung zur „Frontstadt Frankfurt“ erklärt
worden, erhielt einen „Kampfkommandanten“ und
sollte „bis zum letzten Mann“ gehalten werden.
Die motorisierten Truppen Patton‘s rückten indes
schnell über die Autobahn (A5) nach Norden vor und
eroberten am 26. März den Rhein-Main Flughafen.
Die Rheinübergänge der
US Army 1945
Am Frankfurter Kreuz schwenkten die Panzerspitzen
dann
Richtung
Osten
und
verließen
am
Autobahnanschluss Frankfurt-Süd die Reichsautobahn,
um am Waldstadion vorbei über die Mörfelder
Landstraße nach Sachsenhausen vorzudringen.
Die US-Kommandeure sammelten an der heutigen
Kennedyallee
ihre
Truppen
und
sicherten
Sachsenhausen, das ohne Widerstand des Volkssturms in
US Hände fiel. Wenig später stellte die Aufklärung der
Amerikaner fest, dass die Sprengung der Wilhelmsbrücke, die über den Main geht, gescheitert war. Damit
stand das Tor zum nordmainischen Frankfurt offen.
Lediglich eine handvoll Soldaten und VolkssturmMänner hatten eilig eine provisorische Panzersperre an
der Brücke errichtet und versuchten die Amerikaner dort
aufzuhalten.
Am 27. März preschten Patton‘s Sherman Panzer mit
Infanterieunterstützung über die Stresemanallee auf die
beschädigte Brücke zu und nahmen die Panzersperre
unter Feuer. Nach einem kurzen, heftigen Gefecht lagen
schließlich ein Dutzend Soldaten beider Seiten tot im
Staub, der die Brückenrampe bedeckte. Die Amerikaner
drangen in die Stadt vor, die am 29. März von AFN in
Luxemburg offiziell als Befreit erklärt wurde. Die
„Stunde Null“ in Frankfurt. Bereits am Vortag waren
Wiesbaden und der Flugplatz Eschborn erobert worden.
Obwohl eine beeindruckende Artilleriegruppierung von
13 Bataillonen feuerbereit stand, wurde Patton‘s
Rheinübergang ganz ruhig (silently) ohne Artillerie und
Luftunterstützung in Rekordzeit durchgeführt. Der
Rheinübergang in Nierstein gilt daher als einer der
unblutigsten und geräuschärmsten Flussübergänge in
der Militärgeschichte der Neuzeit.
Epilog: Etwa 4 Wochen später, am 25. April 1945,
begegneten sich bereits Russen und Amerikaner bei
Torgau an der Elbe und zerschnitten so das Reich in
zwei Teile. Die bedingungslose Kapitulation am 08. Mai
1945 beendete wenig später den 2. WK in Europa.
Dies Monate vor dem von den Alliierten eingeplanten
Kriegsende im Herbst 1945. Die schnellen Rheinübergänge hatten zu dieser Verkürzung des Krieges
einen wesentlichen Beitrag geleistet und damit zugleich
unzählige Leben auf beiden Seiten gerettet.
General Patton starb am 21.12.1945, Tage nach
einem rätselhaften Autounfall bei Mannheim, in einem
Militärhospital in Heidelberg. Seine Gebeine ruhen
heute auf dem US-Soldatenfriedhof in Luxemburg.
1st Lt. Irven Jacobs erhielt das Silver Cross und
den Bronze Star, diente erneut im Korea-Krieg seinem
Land und starb 1985 in seinem Heimatort Topeka in
Kansas im Kreis seiner Familie.
Quelle: Geschichtsverein Nierstein, Archiv Steinweden