Wenn Riesen fallen - Audi Urban Future Initiative
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Wenn Riesen fallen - Audi Urban Future Initiative
The Audi Urban Future Initiative Wenn Riesen fallen Wie Hochhäuser sinnvoll abgerissen werden können New York, Tokyo, Dubai: Hochhäuser prägen das Gesicht heutiger Metropolen. Die Skylines sind im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Doch irgendwann müssen selbst die Riesen weichen. Inmitten pulsierender Städte ist das eine risikoreiche Aufgabe. Inwzischen stehen allerdings auch nachhaltige Methode zur Verfügung, mit denen sich durch den Rückbau sogar Energie gewinnen lässt. Wohl jeder von uns hat schon Videos von einem Hochhausabriss gesehen: Das Gelände ist weiträumig abgesperrt, Wasserwerfer sind an den Rändern postiert. Es ertönt ein Warnsignal – und kurz darauf implodiert das Gebäude, es fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Wenn der Staub sich gelegt hat, bleibt eine riesige Geröllhalde, und Bagger machen sich daran, in wochenlanger Geduldsarbeit den Schutt abzutragen. Tatsächlich sind feinausgeklügelte Explosionen die gängigste Methode, große Gebäude zu Boden zu holen – doch bei weitem keine ausgereifte. Denn beim Abriss zählt nicht nur, ein Gebäude zu vernichten, sondern auch, die umliegenden Häuser nicht zu beschädigen. Da Hochhäuser jedoch erst dort gebaut werden, wo eine gewisse Bevölkerungsdichte erreicht ist, stehen sie selten allein. Ein Abriss inmitten einer Megacity ist also wie eine Operation am offenen Herzen. Urban Mining Das erkannte auch der deutsche Nachwuchsdesigner Jan Meissner; er entwarf das „Urban Mining/Reconstruction“ („UM/R“)-Robotersystem, das Gebäude inmitten von Stadtzentren zurückbauen kann. Sein Konzept basiert aus mehreren Robotereinheiten, die auf das Dach von Gebäuden aufgesetzt werden. Ihre Arme können kernbohren, meißeln, schneidbrennen, Schutt zusammenschaufeln; und wenn man den Abrissrobotern CAD-Daten von dem Gebäude zuspeist, können sie sogar selbstständig berechnen, was an welcher Stelle zu tun ist. Während der Arbeit ist das Gebäudedach von einem modularen Rahmen gesichert, in dem ein mit Aluminium gestärktes Textil verhindert, dass Schuttteile zu Erde stürzen. An den Ecken finden sich wiederum modulare Falltunnel, durch die der Schutt gesichert abwärts gelangt. The Audi Urban Future Initiative Dieser türmt sich jedoch nicht einfach am Fuße des Gebäudes, sondern wird automatisiert in Bestandteile wie Glas, Beton und Stahl vorsortiert und geschreddert. Auf Lastwagen treten die Rohstoffe ihre Reise an: Zu Recyclinghöfen, wo sie weiterverwertet werden können. Auf die Projektidee kam Jan Meissner ganz pragmatisch, indem er sich mit heutigen Großstädten beschäftigte: „Um schnell und praktisch Wohn- und Gewerberaum zu schaffen, verzichten die Bauherren oft auf Lebensqualität. Gleichzeitig wachsen mit der Bewohnerzahl einer Stadt auch die Verkehrswege und verdrängen letzte Orte der Ruhe. Eine mehr oder minder chaotisch gewachsene Struktur entsteht, die aus heutiger Sichtweise überdacht und für die Zukunft angepasst werden muss.“ Grade in Stadtzentren, in denen die Anwohner ohnehin unter Lärm und Luftverschmutzung leiden, können die staubreichen Implosionen von Gebäuden jedoch nur die letzte Wahl sein. Die Alternative ist kostenspielig und langwierig, wie beispielsweise der Rückbau des Deutsche Bank Buildings in New York zeigte. Durch den Einsturz der benachbarten World Trade Center war das 172 Meter hohe Gebäude schwer beschädigt worden. Selbst wenn es auf freier Fläche und nicht im Herzen New Yorks gestanden hätte, hätte man es aufgrund der Verschmutzung mit Giftstoffen, herrührend vom Einsturz der Zwillingstürme, jedoch nicht einfach zusammenstürzen lassen können. Der Rückbau dauerte insgesamt sieben Jahre und kostete 75 Millionen US-Dollar. Kein Wunder also, dass man die Riesen lieber ruhen lässt, oder durch Umbauten über Jahrzehnte modernisiert. Doch es wäre wünschenswert, dass Stadtplaner nicht vor ihnen kapitulieren müssen. Auch Jan Meissner sagt: „Wie man Städte zukunftsfähig macht, überlasse ich den Stadtplanern; aber das Mittel zum Zweck gebe ich ihnen mit ‚UM/R‘ in die Hand. Da ich mich auf heutige technische Möglichkeiten stütz und sie neu arrangiere, ist mein System keine Utopie, sondern ein pragmatischer Ansatz um ein großes soziales Problem unsrer Zeit anzugehen - Lebensraum und Lebensqualität.“ Das überzeugte auch die Jurymitglieder bei verschiedenen deutschen Nachwuchsdesignpreisen, wie etwa dem bedeutenden Lucky Strike Junior Designer Award oder der Nachwuchsauszeichnung des Verbands Deutscher Industriedesigner VDID. Die Jury fasste in der Laudatio zusammen: „‘UM/R‘ ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit einem drängenden Problem der Großstädte weltweit. Die Lösung überzeugt als komplexes System mit vielen durchdachten Komponenten und nimmt Rücksicht auf Mensch und Umwelt.“ Energie gewinnen In den Megacities der Zukunft werden Rohstoffe und Energie begehrter und wertvoller denn je sein. Und die Reduktion von Lärm und Luftverschmutzung bleiben ein wichtiges Thema, wenn man lebenswerte Stadträume erhalten will. Besonders spannend ist darum die Teco- The Audi Urban Future Initiative Rep-Technologie des japanischen Bauunternehmens Taisei Corporation. Die Entwickler sprechen im Zusammenhang mit der Rückbautechnologie von bis zu 90 Prozent weniger Staubentwicklung, 20 Dezibel weniger Lärm und bis zu 85 Prozent weniger Carbonausstoß. Zudem lässt sich ein Gebäude nicht nur unter Erhaltung einer bis zuletzt ansehnlichen Fassade zurückbauen, bei der Arbeit wird sogar Energie gewonnen. Das Prinzip ist beispielsweise am Rückbau des Grand Prince Hotel Akasaka-Hochhauses zu sehen, einem 138,9 Meter hohes Gebäude im Herzen Tokyos. In einem der obersten Stockwerke begannen die Bauarbeiten: während Hydraulikstützen die darüberliegenden Geschosse trugen, wurden Wandverkleidungen, der Boden und selbst die Stützelemente abgebaut. Elektrokränen im Inneren des Gebäudes befördern den Schutt abwärts – und wandeln die Dank der Erdanziehungskraft entstehende Bewegungsenergie in Strom um. Meter um Meter ließen die Hydraulikstützen die ausgeschlachteten Etagen zusammensinken; die Fassade des Gebäudes blieb dabei bis zuletzt erhalten. Und so verschwand der Riese einfach. Leiser, als er gekommen war. Jan Meissner: http://www.jmid.de „Urban Mining/Reconstruction“ Video: https://vimeo.com/39537321 Deutsche Bank Building: http://en.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Bank_Building Taisei Corporation: http://www.taisei.co.jp/english/ Rückbau Video: http://youtu.be/W_uBx2w0Sso Autor: Johanna Wittmaack