- 1 - WAGNER, Hans: Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis
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- 1 - WAGNER, Hans: Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis
DRAMENTHEORIE WAGNER, Hans: Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis Schiller. Würzburg 1986. 1. EINLEITUNG 1.1 TRAGÖDIEN UND TRAGÖDIENTHEORIEN Geschichte der Tragödientheorie, v.a. der klassischen Tragödien Ästhetik interessiert sich v.a. für das Allgemeine und das Beständige Begründer der klassischen Tragödientheorien: Theoretiker (→ Aristoteles, Lessing, Schiller) Hauptfrage: Was ist die ästhetische Wirkung der Tragödie und worin hat sie ihren Grund? nicht immer die gleiche Antwort: Aristoteles → katharsis Schiller → Erhabenheit beide Theorien sehen in der Tragödie eine Urform des Ästhetischen beide Theorien arbeiten das eine spezifische Prinzip der Tragödie heraus (also das Prinzip, ohne das ein Drama keine Tragödie sein könnte) jedem Trauerspiel ist allerdings eine Vielfalt von ästhetischen Grundstimmungen inne, nicht nur das eine spezifische Prinzip 1.2 DIE ZWEI KLASSISCHEN TRAGÖDIENTHEORIEN Vater der klassischen Tragödientheorie: Aristoteles („Poetik“) große Wirkung über die Jahrhunderte, v.a. auf die klassischen französischen Tragödienautoren Corneille und Racine in Deutschland v.a. Lessing Schiller kommt ab 1792 mit einer eigenen Tragödientheorie, gestützt v.a. auf Kant und dessen Theorie von der Erhabenheit der Natur 2. PLATONS KRITIK AN DEN TRAGÖDIEN Platon selbst hat keine Tragödientheorie vorgelegt, er bewertet sie nur spricht in seiner Staatstheorie über die Tragödien (Schauspiele in Griechenland Teil des Staatskultes) Platons Überlegung liegt zu Grunde, dass er den Menschen für ein Lust/Unlustwesen hält und ihn erziehen will → Theateraufführungen können einen Beitrag leisten Tragödien müssen allerdings die „richtigen“ Inhalte präsentieren Vorwurf an die Dichter: sie verstoßen gegen die Idee des Wahren und erfinden Geschichten und zudem oft alles andere als gute Bühnenschauspiel übt Faszination auf Zuschauer aus → zeitgenössische Tragödien für Platon eine unmoralische Angelegenheit Platons Forderung: solange Werke der Dichter den Menschen nicht zum Besseren erziehen, sind sie aus dem Staat zu verbannen -1- 3. DIE TRAGÖDIENTHEORIE DES ARISTOTELES Aristoteles konzentriert sich auf das ästhetische Vergnügen, welches die Tragödie hervorrufen kann, dieses tragische Vergnügen hängt an einer bestimmten Form der Reinigung Dichtung ist Nachahmung, Nachbildung Kunst stehen drei Mittel zur Erzeugung ästhetischer Wirkung zur Verfügung: Wort, Rhythmus und Harmonie (Musik) Dichtung solle in der Lage sein, ihre Nachbildungs- und Darstellungsaufgabe allein mit dem Wort zu erfüllen Tragödie verbindet Rhythmus, Wort und Musik Tragödie ist die Nachbildung und Darstellung von handelnden Menschen Möglichkeit der Differenzierung o überdurchschnittliche Menschen o unterdurchschnittliche Menschen o durchschnittliche Menschen darstellen Komödie und Tragödie treten prinzipiell auseinander: in der Komödie treten minderwertige Figuren auf, in der Tragödie großartige Unterschied Epos – Tragödie: Epiker erzählt und berichtet; Tragiker bringt handelnde Personen auf die Bühne Unterschied Komödie – Tragödie: Tragödie ist die ernsthafte Form der Darstellung, Komödie lässt uns lachen Wesen der Tragödie: Nachbildung und Darstellung von Ernsthaftem Wesensbestimmung: eine Tragödie ist die Nachbildung/Darstellung einer ernsthaften und in sich abgeschlossenen Handlung, in einer Sprache, die in den verschiedenen Teilen zur Schönheit gesteigert ist, wobei die Personen handelnd auftreten, von ihnen nicht etwa nur erzählt wird, eine Nachbildung /Darstellung, welche durch Erregung von Mitleid und Befürchten die reinigende Entladung der Gefühle dieser Art zuwege bringt o Nachbildung /Darstellung: Unterscheidung vom Epos, wo der Dichter mit seinen eigenen Worten nacherzählt; im Drama wird fremdes Reden nachgebildet/dargestellt, Drama kennt nur die Nachbildung der Handlung durch Reden der Personen o ernsthafte Handlung: Differenzierung von der Komödie, die Lustiges darstellt; Gegenstand der Tragödie ist das Gewichtige, Bedeutsame → nicht: Differenz zwischen moralisch Gutem und Schlechtem o in sich abgeschlossene Handlung angemessenen Ausmaßes: Dargestelltes muss abgeschlossen sein, mit einem wirklichen Beginn, einem begreiflichen Fortgang und einem wirklichen Abschluss; Episode wäre zu kurz, Handlung muss aber überschaubar bleiben (→ Länge!) o Sprache, zur Schönheit gesteigert: Sprache der Handelnden muss zum Vergnügen des Zuschauers gestaltet sein (in den Sprech- und Chorpartien) o handelnde Personen: im Drama gibt es nur unmittelbare Äußerungen, keine Erzählungen des Dichters Kern der aristotelischen Wesensbestimmung: spezifische ästhetische Wirkung auf den Zuschauer die Auswirkung des im Theater ausgelösten Mitleidens und Bedauerns ist das spezifische Vergnügen der Tragödie -2- eine Reinigung soll das Vergnügen sein und Mitleiden und Bedauern soll dieses Vergnügen auslösen der Inhalt kann aber nicht Vergnügen bereiten: Tragödien stellen keinen erfreulichen Handlungsverlauf dar, oft kommen sie zu einem schrecklichen, traurigen manchmal sogar katastrophalen Ende Vergnügen liegt in der Vorzüglichkeit der Sprache, den formalen Qualitäten des Geschehens (fesselnd, spannend, überraschend) Aristoteles geht davon aus, dass das tragische Bühnengeschehen furchterregend, mitleiderregend, schrecklich, beeindruckend, jammervoll, kalte Schauer auslösend ist eine Tragödie ist umso tragsicher, je schrecklicher und schmerzlicher ihre Ende ist; je schrecklicher und erbarmungswürdiger das Schicksal der Hauptperson ist Frage nach dem Vergnügen an Tragödien muss auch die Tragödie mit einbeziehen, die nichts anderes auslösen als Schmerz, Schrecken u.ä. Aristoteles kannte mehr Dramen als wir und er rechnete auch solche Stücke zu den Tragödien, die keinen spezifisch tragischen Ausgang haben (→ Hauptfigur wird Opfer eines schweren Schicksals) Aristoteles verteidigt die Tragödie gegen den Vorwurf der Unmoral und der Volksverführung, weist v.a. die Behauptung zurück, dass in Tragödien das Glück und der Erfolg der Bösen und das Scheitern der Gerechten vorgeführt werden analysiert die Relation zwischen Tun und Charakter der tragischen Figur(en) ein Ende in Glück und Erfolg kann kein Tragödienende sein, wenn Gute und Gerechte allerdings nur schlimme Enden erlebten, dann wäre die Reaktion des Publikums Ärger und nicht tragische Ergriffenheit wenn Übeltäter am Ende aber verlieren, dann käme es zu der Reaktion, dass diese ihre gerechte Strafe erhalten hätten Forderung von Aristoteles: tragisch ist das Schicksal der Hauptfigur nur, wenn der Held nicht so fehlerfrei und großartig ist, dass sein übles Schicksal im Zuschauer nur Empörung auslöst; dem Held muss etwas Negatives anhaften oder er muss etwas Negatives getan haben das Negative darf allerdings keineswegs so stark sein, dass sich angesichts des Endes die Reaktion einstellt, dass er es verdient habe Negatives: tragische Figur kann nicht nur Schreckliches erleben, sie kann auch Schreckliches tun ein Fehler (charakterlich oder in der Handlung) bringt den Helden in sein Elend und Unglück; dies kann auch eine falsche Reaktion sein (→ dies nicht selten als die Folge einer gefährlichen Neigung des Naturells (Jähzorn, Unversöhnlichkeit…)) Schreckliches erleidet oder tut der tragische Held, er ist nicht völlig unschuldig daran, auf seiner Seite ist nämlich ein Fehler oder Mangel im Spiel, der dafür sorgt, dass er Schreckliches erleidet oder tut: verkehrtes Meinen, Tun, Reagieren; in der Summe aber ist er doch mehr Opfer als Täter und so leidet er doch unverdient beim Zuschauer löst das tragische Geschehen auf der Bühne zweierlei aus: phobos (Furcht) und eleos (Mitleid, Erbarmen) tragische Figur erleidet ihr Schicksal unverdientermaßen, also haben wir Mitleid die Figur ist uns in ihren Fehlern ähnlich, also empfinden wir Furcht; Tragödie jagt dem Zuschauer phobos ein, dem tragischen Helden gegenüber empfindet er eleos -3- nach Aristoteles nehmen die Tragödien den Zuschauer deswegen so sehr mit, weil diese in hohem Grad zu einer Identifikation ihrer selbst und ihres Lebens mit der tragischen Figur und dem dargestellten Geschehen veranlasst werden Interesse an Tragödien ist an zwei Bedingungen gebunden o Zuschauer kann sich mit dem Helden und dem Geschehen identifizieren o Universalisierung: Geschehen und Held können so vorkommen Interesse an Tragödien: weder streng Allgemeines noch stets Notwendiges, noch bloß Einmaliges, sondern auch solches, was geschehen kann (das Mögliche) Was in den Dichtungen passiert und was die Personen sagen und tun, was ihnen widerfährt ist alles Menschen mögliche überhaupt Zweck der Tragödie: katharsis durch phobos und eleos Was ist katharsis? Analogon zur Medizin → etwas, was den Organismus belastet, wird aus dem Organismus entfernt durch phobos und eleos erfolgt die katharsis von Emotionen dieser Art → das ist das spezifische Vergnügen an der Tragödie am Ende heftiger Emotionen steht die Reinigung von diesen Emotionen (reinigendes Gewitter) Paradoxie: Versetzen in Furcht und Schrecken, Jammer und Erbarmen soll Vergnügen bereiten? philosophische Auflösung: o Tragödie setzt voraus, dass wir ganz und gar nicht in guter Laune existieren, sondern Gefühle wie Angst und Furcht, Mitleid und Erbarmen uns ständig begleiten o Tragödie setzt voraus, dass wir keine vergnügliche Existenz haben, dass wir die Last des Daseins ständig spüren o Entlastung von diesen Emotionen → Vergnügen Tragödie nimmt sich dieser unglücklichen menschlichen Grundstimmung an und steigert sie auf der Bühne bis zum Unerträglichen, bis zum Ausbruch, zur Erleichterung (katharsis) katharsis ist der Grund für das Vergnügen an den Tragödien 4. DIE ARISTOTELISCHE THEORIE UND DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES Aristoteles kannte die Antigone Antigone auf dem Weg zu einer „hellenischen Heiligen“ die Figuren des Dramas sind Exempel für die Anforderungen, die Aristoteles an tragische Figuren stellt: einerseits von menschlicher Größe, andererseits ein eigener Beitrag zum ruinösen Ende Kreon: verantwortlich für seinen Staat, ist sich bewusst über die Anforderungen der Macht Antigone: v.a. moralisch-religiöser Charakter; Geschwistertreue; weigert sich, den menschlichen Hass zu teilen; gibt für ihren Standpunkt ihr Leben auf aber beide haben auch Fehler im aristotelischen Sinn Kreon: beklemmendes Pochen auf sein Recht; in Ansätzen rachsüchtig; Unfreundlichkeit gegen seine Nichten; fast aggressives Misstrauen; unerbittlich; ungezähmter Zorn -4- Antigone: kann sich mit dem Schicksal nicht versöhnen; hegt gegen Kreon eine unüberwindliche Antipathie; Leidenschaftlichkeit und Unbeugsamkeit („dein eigenes wildes Wollen, das nur sich selbst kennt, hat dich vernichtet“); Stolz; Härte entscheidenden tragischen Momente finden sich in einem Dialog zwischen Antigone und dem Chor: Sophokles führt den Zuschauern das schreckliche Schicksal Antigones vor und lässt diese ihr Schicksal ausgiebig bejammern Antigone kennt zwei tragische Figuren: Kreon und Antigone, beide stoßen hier als tragische Helden zusammen 5. LESSINGS TRAUERSPIEL) ARISTOTELISCHE TRAGÖDIENTHEORIE (BÜRGERLICHES bevor Schiller seine neue, radikale Dramentheorie entwickelt, kommt es in Deutschland zu einer Renaissance von Aristoteles durch Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) zu Lessings Lebzeiten war in Deutschland kein überragendes kulturelles Leben, der Rest Europas hatte seine Blütezeiten gehabt (England → Shakespeare; Italien, Spanien, Frankreich) in der Zeit Lessings kommt viel Neues, aber dennoch ist Lessing noch nicht Teil der Klassik, er ist ein „Schwellenautor“ Lessing ist auf der Suche nach dem Wesen einer guten Tragödie und findet bei Aristoteles die Antwort → genaue und scharfsinnige Analyse der aristotelischen Tragödientheorie Lessing sieht im Mitleid die zentrale Emotion des Dramas Tragödie hat auch hier einen erzieherischen Auftrag, der mitleidige Mensch ist das Ziel tragische Figur auf der Bühne kann gar nicht unglücklich genug und gleichzeitig moralisch vollkommen sein, denn je moralisch besser sie ist und je unglücklicher sie ist, desto mehr Mitleid löst sie aus und desto höher die moralische Besserung beim Publikum Lessings Theorie verändert sich, am Anfang steht die Hamburgische Dramaturgie Lessing sieht in den Stücken der frz. Klassik keine Tragödien im aristotelischen Sinn mehr Lessings Tragödie ist eine aristotelische: Tragödie muss Mitleid und Furcht erregen (nicht Schrecken, das sei eine plötzliche, überraschende Furcht); Furcht bezieht sich auf den Zuschauer, der wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Helden (der kein perfekter Mensch sein darf) Furcht empfindet, dass sich ihm etwas ähnliches ereignet Mitleid und tragische Furcht hängen unlöslich zusammen: nach Lessing können wir kein Mitleid haben, wo wir keine Furcht empfinden ( → es geht Lessing hier um das große tragische Gefühl des Mitleids, nicht um alltägliche, mitleidige Regungen) Furcht ist eine notwendige Zutat für das Mitleid, allerdings können wir sehr wohl Furcht ohne Mitleid empfinden → Lessings Schluss: o die tragische Furcht um uns reinigt unser Mitleid o die Furcht um uns reinigt sich selbst -5- Reinigung ist für Lessing: Verwandlung der beiden Aspekte, Verwandlung in tugendhafte Fertigkeiten Tugend bei Aristoteles: die angemessene Mitte zwischen zwei falschen Verhaltenssphären (Bsp. Tapferkeit zwischen Tollkühnheit und Feigheit) Lessings Tugendbegriff ist ähnlich, für ihn wirkt die Reinigung der Tragödie auf unsere Grundempfindungen des Mitleids und der Furcht ein → Ziel ist ein Mittelweg zwischen zu viel Mitleid und Furcht und zu wenig Lessings Reinigung ist kein moralistisches, kein moralisierendes Konzept ästhetischer Effekt des Theaters: etwas geschieht mit unseren Gefühlen, Empfindungen, Emotionen Unterschied zu Aristoteles: Lessing erwartet von der Reinigung eine bleibende Wirkung auf den Zuschauer, für Aristoteles genügte es, wenn der Zuschauer im Theater so empfand 6. ZUR VORGESCHICHTE DER TRAGÖDIENTHEORIE SCHILLERS 6.1 VON PSEUDO-LONGINUS BIS E. BURKE UND D. HUME mit Schillers „Die Räuber“ kommt etwas neues auf die deutschen Bühnen Schillers neue Tragödientheorie kommt ab 1792 („Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen“; „Über die tragische Kunst“) neues Kennwort: das Erhabene (nach Kant) → Wechsel weg von der Reinigung Ausgangspunkt des Erhabenen als ästhetischer Kategorie: eine unvollständige Schrift aus dem 10. Jhd., der sog. Pseudo-Longinus Verfasser greift den aristotelischen Gedanken heraus, dass der Zweck poetischen Schaffens Vergnügen sei, Dichtung und Rede solle im Leser /Hörer Entrückung, Hingerissenheit hervorrufen dies kann nicht durch die Einhaltung von Regeln oder die Anwendung technischer Mittel erreicht werden, sondern nur dadurch, dass sich im Werk ein gewaltiger Charakter, eine große Persönlichkeit, eine hohe Seele ausdrücke → nur so gewinne ein Werk Erhabenheit Erhabenheit gelingt dem Redner, wenn er plötzlich mit einem Schlag seine gesammelte Kraft zur Wirkung bringt und seine Zuhörer entrückt fünf Faktoren führen zu Erhabenheit einer Rede o angeboren: Fähigkeit zu kräftiger und reifer Gedankenwelt Fähigkeit zu Pathos o Können, auch durch Schulung: Gestaltmoment Gedanken- Diktionsgestaltung o Hauptfaktor: großgeartete Natur → das Erhabene ist Widerhall großer Gesinnung wichtig für das Fortwirken dieser Erhabenheitsidee: Erhabenes findet sich auch in der Natur keineswegs selbstverständlich ist die Zusammengehörigkeit von Erhabensein und Erheben Erhabenes bei Longinus und im Verständnis seiner aufklärerischen Rezipienten: erhaben ist das Außerordentliche, das Überraschende, das Wunderbare im Textverlauf Edmund Burke tut den nächsten Schritt: „A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful“ -6- Grundschema: erhabene Ideen kann es nur geben, wie es Dinge, Zustände, Verhältnisse in der Welt gibt, die in uns, wenn sie auf uns treffen, etwas erhabenes auslösen Ursprung des Erhabenen: etwas muss zuvor irgendwie schreckenerregend sein, wenn es Qual oder Gefahr bedeutet bedeutet gleichzeitig: Schrecken darf nicht übermäßig sein, sonst bleibt nichts übrig → Wohlgefallen muss ausgelöst werden o dieses ist nicht von reiner Freude, sondern es ist Schmerz in ihm, es hat Schrecken im Hintergrund o Unterschied zwischen reiner Freude und erhabenem Wohlgefallen o jede erfreuliche Empfindung ist in Wahrheit das Ende von Schmerz (→ antike Theorie) Burke begründet einen Erhabenheitsbegriff, der ein wesentliches Element für den Tragödienbegriff enthält: Verbindung des neuen Begriffs mit der katharsis der aristotelischen Theorie → innere Beziehung Erhabene könne, wenn Wirkung sehr stark sei, erschrecktes Erstaunen auslösen, sogar Horror; bei geringerer Stärke Bewunderung, Ehrfurcht, Achtung auslösen Ursachen: tiefe Dunkelheit, schwarze Finsternis, Düsternis in Bauwerken, helle Weite, absolute Ruhe, Einsamkeit, große Pein, gewisse Tierlaute… Lessing plante eine Übersetzung des Buches Kant wird davon beeinflusst ein Punkt deutet bereits auf Schiller hin: Erhabenheit ist eine Art Mischgefühl, es ist Wohlgefallen auf der Basis von Schrecken; möglich ist auch, das PeinvollSchreckliche nur vorzustellen → Möglichkeit eines gedichteten und dargestellten Schrecklichen David Hume: Vergnügen an der Tragödie geht nicht vom Darstellungsgehalt aus, sondern vom Gestaltmoment aus Frage nach dem Vergnügen der Tragödie bei der Darstellung von Schrecken: Paradoxon → je mehr die Zuschauer weinen und seufzen müssen, desto mehr Vergnügen und Gefallen empfinden sie zwei Voraussetzungen: o Moment der Gestaltschönheit (Bsp. Ciceros Reden: schreckender Inhalt, schöne Darbietungsform) o tragisches Gefühl eine Art Mischgefühl: im Gehalt peinvoll, das ästhetische Vergnügen kann nur vom Gestaltmoment kommen allgemeines Gesetz: von Schönheitsmomenten ausgelöste Empfindungen haben die Macht, vom Gehaltlichen ausgelöste Empfindungen des Schmerzes, des Mitleids, der Empörung umzuwandeln → aus beiden Empfindungen bildet sich ein Mischgefühl, in dem die Schönheitsempfindungen überwiegen 6.2 KANTS THEORIE DES ERHABENEN aus Kants Theorie wird die Tragödientheorie Schillers hervorgehen der Begriff des Erhabenen erfährt durch Kant eine philosophische Analyse und Bestimmung (Kritik der Urteilskraf, 1790); bereits 1764 jedoch erscheinen schon die „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ äußere Dinge können Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses auslösen, sie wirken auf die Gefühle ein; Gefühle variieren von Subjekt zu -7- Subjekt; man kann allerdings Typen von menschlichen Gefühlsvarianten unterscheiden angenehm finden und sich dabei glücklich fühlen wird ein Mensch sich nur dann, wenn die Empfindung eine Neigung befriedigt, die ihm eigen ist (Neigungen hat jeder viele) Kant unterscheidet drei Arten von Gefühlen: o grobe, dem grobe Empfindungen behagen (Essen, Trinken…) o feinere, dem etwa hohe Verstandes-Einsichten helle Freude bereiten o ganz und gar sinnliches Gefühl von feiner Art diese dritte Art tritt in zwei Ausprägungen auf: o Gefühl für das Erhabene o Gefühl für das Schöne Unterschied: wird das Gefühl für das Erhabene erregt, so ist die angenehme Empfindung Wohlgefallen, aber mit Grausen bei Erregung des Gefühls für das Schöne → fröhlich und lächelnd Unterscheidung innerhalb des Erhabenen: schreckhaft Erhabenes, edles, prächtiges; groß und einfältig muss das Erhabene immer sein (große Höhe, Tiefe…; einfältig und edel wie die Pyramiden oder der Petersdom) Trauerspiel unterscheidet sich vom Lustspiel darin: im ersteren wird das Gefühl für das Erhabene, im zweiten für das Schöne erregt → Trauerspiel zeigt großmütige Aufopferung, kühne Entschlossenheit, geprüfte Treue; Liebe ist schwermütig; das Unglück anderer berührt die Zuschauer und er wird sanft gerührt und fühlt die Würde der eigenen Natur Unterscheidung innerhalb des ästhetisch positiven zwischen dem Schönen und dem Erhabenen Kant beginnt mit den Gemeinsamkeiten o eigentümliche Art des Gefallens, die von schönen ebenso wie erhabenen Gegenständen ausgelöst wird o es gefallen uns auch Angenehmes und Gutes, weil sie unserem Begehrungsvermögen behagen (wir hätten sie gerne, sie sind etwas von dem was wir wollen) o das Ästhetisch-Positive gefällt uns auch ohne Interesse (ohne Begehrungsvermögen) o das Schöne und das Erhabene sind ästhetischen Charakters, also Sache der Sinnlichkeit, des Gefühls, der Empfindungen; allerdings nicht in dem Sinn von Sinneseindrücken (ist blau…) o merkwürdiges Modalmoment: wann immer wir etwas als schön oder erhaben empfinden, ist es etwas konkretes und singuläres seit Longinos werden Dingen, Verhältnissen, Vorgängen in der Natur Erhabenheit zugesprochen: Strömen, Lichter am Himmel etc. Kant wehrt sich gegen diese Verwendung von Erhabenheit: für ihn sind einzelne Gegenstände nicht erhaben, man könne allenfalls sagen, dass sie zur Darstellung einer Erhabenheit tauglich seien, die im Gemüt angetroffen werden kann; wirklich Erhabenes seien gewissen Ideen der Vernunft diese Ideen der Vernunft werden in unzulänglichen Darstellungen zum Ausdruck gebracht, da sie prinzipiell nicht sinnlich ermessen werden können Erhabenes in der Natur wird wegen seiner Größe als erhaben empfunden, Größe ist eine unbestimmte Größe: etwas ist erhaben weil es übergroß ist Erhabenes in der Natur führt stets die Idee des Unendlichen mit sich -8- drei Dinge lassen zusammen die Erhabenheit der Natur empfinden und urteilen o Unermesslichkeit der Natur o unsere Beschränktheit und Unzulänglichkeit im vergeblichen Versuch, auf diese Unermesslichkeit zu reagieren o Fähigkeit unserer Vernunft zu Ideen, die einen übersinnlichen Maßstab liefern, gegen den alles in der Natur, nur noch als klein empfunden werden kann nicht nur Größe sondern auch Macht führt zu Erhabenheit → in der Natur: Gewitter, Vulkane, Orkane… erhaben wird etwas deshalb genannt, weil es in uns eine Unüberwindbarkeit aufruft, die uns dank unserer Vernunft eigen ist unser erhabenes Geistesvermögen, welches sich in der Begegnung mit etwas Erhabenem entdeckt, ist in uns bloß angelegt und muss entwickelt werden Gefühl des Erhabenen ist kein einfaches Gefühl das Natur-Erhabene ist das ursprüngliche, beim Kunst-Erhabenen vermischt sich Erhabenes mit menschlichen Zwecken Trauerspiel als Darstellung des Erhabenen (nicht die einzige künstlerische Darstellung) künstlerische Darstellung soll schön sein, da das Erhabene sonst schrecklich sei im Trauerspiel wird etwas dargestellt, was keineswegs schön sei, aber seine Darstellung (in Reimen…) soll schön sein (Forderung nach Gestaltschönheit) 7. SCHILLERS TRAGÖDIENTHEORIE Schiller greift nicht auf Aristoteles sondern auf den Erhabenheitsbegriff von Kant zurück vier Aufsätze: Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen. Über die tragische Kunst. Über das Erhabene. Über das Pathetische. Schiller beginnt mit der Überlegung, dass der Zweck der Künste das Vergnügen sein, das sie gewähren die schönen Künste haben des selben Zweck wie die Natur Zweck der Künste ist nicht die Sittlichkeit an sich, sondern ihr Einfluss auf die Sittlichkeit die Lust am Schönen, Erhabenen stärkt die menschlichen moralischen Gefühle Tragödien wollen den Zuschauern ihr eigenes Vernunftvermögen zu Bewusstseinbringen; nur weil die Menschen dieses Vernunftvermögen haben, können sie die Qual und den Schrecken überwinden und so die Gesamtlage des Gefühls zu einem Vergnügen verwandeln Grund des Vergnügens an der Tragödie: wird nicht in der Tragödie selbst bewusst gemacht, er ist der Grund für das Vergnügen wenn der Dichter einem tragischen Helden Leiden auferlegt, so muss er dafür sorgen, dass der Zuschauer dieses Leiden als erhaben empfindet Dramatiker Schiller folgt seiner Theorie nicht -9- SCHILLERS THEORIE VOM ERHABENEN ALT, Peter-André: Schiller. Band II. München 2000. 1. DAS ABENTEUER EINER NEUEN PHILOSOPHIE. IMPULSE DURCH DIE KANT-STUDIEN Schiller übernimmt von Kant die Überzeugung, dass das Wesen des Schönen prinzipiell frei von Zwecken ist Kant leitet damit auch eine Abkehr von der antiken Literaturtheorie aristotelischer Prägung ein, die noch in der Aufklärung die beherrschende war Formel des Schönen als Form der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ wesentlich: Urteil über das Schöne bleibt subjektiv, das teleologische (zweckmäßige) Urteil jedoch objektiv Bestimmung der Kunst: besonderer Doppelcharakter liegt darin, dass ihre Werke zwar allein subjektiv wahrnehmbar sind, zugleich aber durch die von ihnen ausgehende Wirkung den Anspruch auf verbindliche Allgemeinheit erheben „Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird.“ Urteil über schöne Kunst wird von interesselosem Wohlgefallen begleitet, das zwar das Produkt einer freien Wahrnehmung ist, aber keine moralische Wertigkeit für sich in Anspruch nehmen darf Freiheit kann nicht durch Kunst erreicht werden, sondern nur durch Handeln 2. VERGNÜGEN AN TRAGISCHEN GEGENSTÄNDEN. VERSUCH FORM (1792-1793) EINER THEORIE DER Tragödie der Weimarer Klassik steht unter verschiedenen Einflüssen → bedeutsam v.a. erneute Ausrichtung am klassizistischen Drama Frankreichs, Abkehr vom Realismus des bürgerlichen Trauerspiels Schillers Theorie ist der Versuch, die Zweckmäßigkeit der tragischen Kunst aus der Idee ihrer Wirkung (= der Demonstration unveräußerlicher Freiheit) zu begründen Theorie bleibt getragen durch eine strikte Unterscheidung der Gattungen Schriften stehen in Kontakt mit der Bühnenpraxis verstehbar sind sie auch als wirkungspsychologisch ausgerichtete Beiträge zur Lösung literarisch-technischer Problemkonstellationen 5 Essays: Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792) Über die tragische Kunst (1792) Vom Erhabenen (1793) Über das Pathetische (Teil der Schrift Vom Erhabenen, eigenständig 1801) Über das Erhabene (veröffentlicht 1801, entstanden früher) alle Texte umspielen die Doppelformel vom „Pathetischerhabenen“ Idee der tragischen Wirkung: das Leid (pathos) des Helden wird zum Ernstfall für die Erprobung seiner sittlichen Freiheit, die in der Erhabenheit seiner Gesinnung ihren unmittelbaren Ausdruck findet Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen o Frage nach den Ursachen der erfreulichen Wirkung bei der Zurschaustellung von Unglück - 10 - o Zweck aller menschl. Handlungen ist es eigentlich, Leid von sich fern zu halten, die Inszenierung von leidenden Menschen also eigentlich zweckwidrig (hier setzt Aristoteles seine kathartische Wirkung an) o tragische Wirkung wird beherrscht durch das eigentümliche Gegenspiel von Zweckwidrigkeit der Leidensdarstellung und Zweckmäßigkeit der moralischen Erbauung o für Schiller bleibt die Tragödie zweckmäßig, weil sie dem Zuschauer vorführen kann, dass der Mensch auch im Leiden unbeirrt an seinen ethischen Maßstäben festzuhalten weiß o Wirkung der Rührung beim Zuschauer ist der entscheidende Akt der Überführung von Mitgefühl in Freiheitsbewusstsein, der das angesichts einer tragischen Konfliktlage empfundene körperlich-seelische Unbehagen ins Bedürfnis nach moralischer Aktivität umschlage lässt o moralische Zweckmäßigkeit der Tragödie: wenn sie den Widerstand des Helden gegen das über ihn verhängte Leid mit erhabenen Zügen ausstattet Begriff des Erhabenen soll die Ebene der moralischen Freiheit beschreiben helfen, die durch das Schicksal des Tragödienhelden beleuchtet wird bewegte Begriffsgeschichte: Pseudo-Longinus erörtert ihn unter Bezug auf Rhetorik und Naturästhetik, Erhaben ist ein besonderer Stil, bildreich, getragen, will die Leidenschaften der Zuhörer mobilisieren; als erhaben gelten auch Reizen einer Gebirgslandschaft, die Weite des Himmels etc. Doppelung des Begriffs bestimmt auch die frühneuzeitliche Wirkungsgeschichte im 18. Jhd. wird das Erhabene zum Komplementärbegriff des Schönen, bezeichnet die Erscheinungen der Natur, die im Gemüt des Menschen wechselvolle Empfindungen freisetzen das Erhabene wird dem neben dem Schönen zur zweiten Kategorie der modernen Ästhetik o Schillers Ansatz: löst den Begriff des Erhabenen von seiner rhetorischen und naturästhetischen Bedeutung und überträgt ihn auf menschliche Geisteshaltungen o erhaben ist die Gemütsverfassung des moralisch überlegenen Menschen, der den äußeren Gefahren des Lebens im Zeichen sittlicher Überlegenheit trotzt → das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl der Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen; andererseits aber aus dem Gefühl unserer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und sich das geistig unterwirft, was unsere sinnlichen Kräfte beherrscht o lustvolle Unterhaltung durch die Tragödie entspringt dem Vergnügen am erhabenen Charakter eines auch in höchster Not moralisch unabhängigem Helden, durch dessen selbstbestimmte Gesinnung die physische Zweckwidrigkeit des Leidens die Züge einer moralisch zweckmäßigen Demonstration gewinnt o diese Schrift krankt etwas daran, dass sie den Gedanken der Autonomie eines Kunstwerkes preisgibt → Zweckmäßigkeit der Tragödie bleibt an die moralische Botschaft, die sie übermittelt gebunden Über die tragische Kunst o argumentiert nicht mehr wirkungspoetisch (im Sinne einer Ableitung der Form aus ihrem Zweckbegriff), sondern wirkungsästhetisch, also im Rahmen einer Theorie der Rezeption dramatischer Kunstwerke und der aus - 11 - o o o o o o o o ihr zu gewinnenden Einsichten in den emotionalen Haushalt des Zuschauers in der Tragödie werden sinnliche Empfindung und moralisches Bewusstsein angesprochen zentrale Definition der Gattung scheint Aristoteles Tragödiensatz zu folgen, verzichtet aber auf eine Erwähnung der strukturellen Elemente der Dramenform und beleuchtet nur die ideale Wirkung: „Tragödie wäre demnach dichterische Nachahmung einer zusammenhängenden Reihe von Begebenheiten (einer vollständigen Handlung), welche uns Menschen in einem Zustand des Leidens zeigt, und zur Absicht hat, unser Mitleid zu erregen.“ nähere Charakterisierung der Formidee beginnt mit einer Analyse des Mitleidsgefühls zunächst (vgl. Lessing) empfindsame Anteilnahme am traurigen Schicksal anderer Menschen, zugleich eine moralische Fähigkeit Schiller weitet den Begriff aus: befähigt zum Mitleid ist nur der, der über das Vermögen verfügt, den im tragischen Unglücksfall eines Bühnenhelden veranschaulichten Verlust der persönlichen Freiheit hinreichend abzuschätzen Mitleidsempfindung hat neben der sinnlichen auch eine moralischvernünftige Komponente wirkungsästhetische Erfüllung: wenn Mitleid in die Aktivierung eines Tätigkeitstriebes umschlägt Idealbild: die Wahrnehmung des Leids des Protagonisten löst nicht nur Sympathie, sondern auch geistige Widerstandskräfte aus Ziel der Tragödie: sinnliche Anregung des Publikums Held muss (vgl. Aristoteles) eine mittlere Figur sein → spricht den Zuschauer v.a. deshalb an, weil er im Zeichen moralischer Überlegenheit in ein Unglück gerät idealer Held: schmerzfähig und prinzipientreu, gelangt durch seine moralische Konsequenz in eine Notlage, erfährt deren ganzes Ausmaß praktische Folgen: Figurenpsychologie, Problem des szenischen Aufbaus, Frage der angemessenen Dosierung des Mitleids Tragödie zeigt ihre Wirkung nicht nur wegen des Stoffes, sondern auch durch das dramaturgische Arrangement ihres Materials 3. DRAMATURGIE (1793) DER SITTLICHEN SELBSTSTÄNDIGKEIT. PATHOS UND ERHABENES bisher nicht überzeugend gelöst ist das Problem der systematisch gegliederten Beschreibung des Kunstschönen Begriffe Erhabenes und Pathos bedingen sich und bleiben funktional aufeinander angewiesen Dramatiker muss ein hohes Maß an Leidenserfahrung veranschaulichen, seinen Helden mit jener erhabenen Widerstandskraft ausstatten, die es ihm erlaubt, auch in höchster Not seine sittliche Freiheit zu wahren Grundgesetze der tragischen Kunst: Darstellung der leidenden Natur verbunden mit der Darstellung des moralischen Widerstandes gegen das Leiden Pathos bei Schiller: heftige Wucht einer sinnlich erfahrbaren Bedrohung, die das Individuum an die ungesicherten Grenzen seiner Freiheit führt - 12 - zwei Modelle des Erhabenen: o Fassung: passiver Widerstand o Handlung: zwingt dem Leid ein sittliches Gesetz auf im moralischen Zusammenhang: Unglück verursacht durch konsequente Pflichterfüllung ästhetischer Zusammenhang: Leid wird hervorgerufen durch eine Pflichtverletzung eines sonst untadligen Helden von Interesse v.a. zweites Muster, schärft die Notwendigkeit eines sittlichen Gesetzes und mobilisiert die Einbildungskraft des Zuschauers Grundfrage: inwiefern kann die Tragödie die Idee der moralischen Freiheit des Menschen darstellen? o Demonstration von sinnlicher Leidenserfahrung und übersinnlicher (vernünftiger) Widerstandskraft o Beglaubigung der Möglichkeit sittlicher Freiheit durch den Nachweis ihrer Resistenz gegen äußeren und inneren Druck Bestimmung des Kunstschönen abhängig von der Unterscheidung zwischen moralischem und ästhetischem Interesse o wird Leidensdramaturgie von moralischen Urteilskriterien gelenkt, bietet es sich an, einen Helden zu zeigen, der aufgrund seiner sittlichen Konsequenz ins Unglück gerät o ästhetisches Interesse: sonst untadeliger Held, der durch eine Pflichtvergessenheit ins Leid gerät und sich dagegen wehrt Erhabenes v.a. in dem Zusammenhang, wo der zur Selbstbestimmung befähigte Mensch gerade nicht aus folgerichtiger Vernunft, sondern inkonsequent gehandelt hat, unter den Auswirkungen leidet, zugleich aber Widerstand gegen die ihn beherrschenden Zwänge ausübt Kunst leistet die Darstellung von moralischer Freiheit, nicht von moralischer Wirklichkeit → mit der Unterscheidung von Freiheit und Moralität setzt sich Schiller von Kant ab erhabene Wirkung der Tragödie bezeichnet nicht nur die unter den Bedingungen des Leidens gegebene Möglichkeit der sittlichen Autonomie, sondern zugleich die besondere Funktion des künstlerischen Mediums, das Freiheit ich ihrer konkreten Erscheinung vor Augen führt Über das Erhabene o prägnante Bestimmung des Erhabenen, hier gegen das Wesen des Schönen abgegrenzt o entscheidende Differenz: Verhältnis zwischen Sinnlichkeit und Vernunft; beim Schönen harmonisch, beim Erhabenen durch eine deutliche Gegensatzspannung geprägt o Möglichkeit der Vermittlung: auch das Erhabene müsse im Programm der ästhetischen Erziehung des Menschen als dem Schönen komplementäres Element seinen Platz haben o Funktion des Erhabenen in der Tragödie: führt dem Publikum modellhaft die auch unter den Bedingungen physischen Leids gegebene Möglichkeit sittlicher Freiheit vor Augen und hilft die nötige Widerstandskraft gegenüber äußeren Notfällen entwickeln (an der fiktiven Leidensgeschichte des Helden lernt der Zuschauer Techniken der Immunisierung gegen Schicksalsschläge kennen, übt Strategien des vernunftautonomen Widerstandes ein - 13 - Begriffe Pathos und Erhabenes heute in der Bedeutung des 18. Jhd. untergegangen Pathos eigentlich eine wirkungsästhetische Anforderung der Rhetorik bei Schiller ist es der Ausdruck des leidenden Menschen Kants Lehre vom Erhabenen ein Sammelbecken antiker, französischer, englischer und deutscher Strömungen und die Quelle für Schiller Schiller überträgt die Lehre vom Erhabenen auf die dramatische Kunst notwendige Einheit: das Pathetische ist ohne das Erhabene nicht darstellungswürdig, das Erhabene bedarf der pathetischen Darstellung um zu erscheinen Pathos ist Leiden, jede Situation, die einen leidenden Menschen zeigt, ist pathetisch für Schiller ein Mittel, um ein höheres Vermögen im Menschen aufzuzeigen, es geht v.a. um die geistige Bewältigung des Leidens, erst in der Selbstbehauptung eines leidenden Menschen zeigt sich die Größe und Würde Erhabenes ist ein Objekt, wenn bei dessen Vorstellung unsere sinnliche Natur ihre Schranken spürt, unsere vernünftige Natur ihre Überlegenheit als Sinnenwesen schrecken wir angesichts des Übermächtigen zusammen, als Vernunftwesen erfahren wir, dass wir noch unter einem anderen Gesetz als dem der Natur stehen Erhaben ist jeder Gegenstand und jede Situation, die dazu beiträgt, uns eine Ahnung von unserer Geistnatur, unserem unabhängigen moralischen Selbst zu vermitteln ästhetisch kann nur sein, wenn das Pathetische als Ausdruck des leidenden Menschen auf das Erhabene als den Ausdruck des moralischen Selbst verweist Vergnügen an tragischen Gegenständen beruht darauf, dass eine Bewältigung des Leidens möglich ist Tragödiendefinition: dichterische Nachahmung einer zusammenhängenden Reihe von Begebenheiten (vollständige Handlung), welche uns Menschen in einem Zustand des Leidens zeigt und zur Absicht hat, unser Mitleid zu erregen Nachahmung in der Tragödie anders als in der Epik oder Lyrik, ist hier vollkommen gegenwärtig, man wird unmittelbar mit dem Geschehen konfrontiert erzählt eine vollständige Handlung, zeigt nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Motivation, mehrere Ereignisse und Begebenheiten müssen verschlungen sein (vgl. Lessings Begriff der „inneren Wahrscheinlichkeit“) Schiller ist bestrebt, die Tragik nicht im Charakter des Helden (wie Goethe oder Shakespeare) zu begründen, sondern im Zwang der Umstände: Schicksal widerfährt dem Helden als etwas Äußeres oder Unbegreifliches, zu dem er durch sein Handeln zwar beigetragen hat, das aber seinem Willen nicht mehr unterworfen ist und dem er dennoch zu widerstehen versucht → Publikum leidet mit Dramatiker nicht an die historische Wahrheit gebunden, er ahmt eine Handlung poetisch nach größte Schwierigkeit dramatischer Kunst: rechtes Maß bei der Darstellung des Leids → zuviel stößt ab, zuwenig lässt uns kalt Tragödie soll Mitleid erregen: Schillers Mitleidsbegriff zielt auf eine höhere Anlage im Menschen, mit der uns die Tragödie vertraut machen soll Das Pathetische dient der Darstellung des Übersinnlichen im Menschen, es ist ästhetisch nur gerechtfertigt, indem es diesen Zweck erfüllt - 14 - EINIGE DEFINITIONEN: BÜRGERLICHES TRAUERSPIEL Gattung der dt. Aufklärung Menschen bürgerl. Standes Aufhebung der Ständeklausel Entstehung eine Folge bürgerl. Emanzipation trag. Perspektiven nicht mehr die Fallhöhe, sondern durch die Infragestellung und den Verlust bürgerlicher Werte wie Tugend, Sittlichkeit, Würde… v.a. Lessing liefert die theoretischen Grundlagen Miss Sara Sampson, Emilia Galotti → ersten bedeutenden Trauerspiele Grundthematik: Konfrontation des Bürgerlichen mit der Adelswillkür; Widerspruch zwischen Gewissensfreiheit und moralisch-sittlicher und sozialer Ordnung strenger dramatischer Aufbau (5 Akte), aber Prosa, keine Verse auch im Sturm und Drang kennt man die Themen des b. T. Lessing und Schiller führen den Konflikt hin zur sittlichen Selbstentscheidung, der Sturm und Dran stellt die soziale Anklage und die Auflehnung des Individuums gegen die Gesellschaft in den Vordergrung (Die Kindermörderinnen) b. T. leitet die Humanisierung der Lit. ein, Rezipienten v.a. bürgerliche, aufgeklärte Menschen keine Negierung oder Bekämpfung ständischer Ordnung DREI EINHEITEN Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung Grundforderungen des Dramas in der normativen Poetik (v.a. frz. Klassik) Einheit des Orts: Unverrückbarkeit des Schauplatzes einer dramat. Handlung, kein Szenenwechsel Einheit der Zeit: Kongruenz von Spielzeit und gespielter Zeit Einheit der Handlung: Geschlossenheit und Konzentration einer dramat. Handlung (keine Nebenhandlungen) Einheit der Handlung unbestritten, Einheit des Orts und der Zeit diskussionswürdig OFFENE FORM kein streng gesetzmäßiger Aufbau im Sturm und Drang, der Romantik Stilform: Parataxe, lockere Aneinanderreihungen von Einzelaussagen Betonung der Einzelszene gegenüber dem Akt GESCHLOSSENE FORM streng gesetzmäßiger, symmetrischer Aufbau - 15 - gehobene Sprache, einheitliche Thematik, wenige Hauptgestalten, übersichtliche Handlung Einteilung in 5 oder 3 Akte, Gruppierung um den 2. oder 3. Akt als Mittelachse - 16 -