editorial - Thilo Komma

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editorial - Thilo Komma
EDITORIAL
NR. 1 / 2012
Liebe Leserinnen
und Leser,
Vorsicht, ein Mädchen-Heft! 108 Seiten über ehrgeizige und sympathische junge Frauen, die wissen, wie man ein Ass schlägt. Absolventen der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl haben
sie besucht — in Hannover, Rotterdam, Addis Abeba oder Melbourne. Warum sie? In keiner anderen
Disziplin sind Girls aus Germany derzeit so gut wie im Tennis. Pardon, Damentennis! Spätestens
seit Julia Görges im vergangenen Jahr den Porsche Grand-Prix gewonnen hat, ist das deutsche
Tennis aus seinem Steffigrafgedächtnisschlaf erwacht und begeistert wieder ein großes Publikum.
40.000 Magazine wurden gedruckt und werden kostenlos über die mehr als 1800 Vereine des
badischen Tennisverbands und des Württembergischen Tennisbunds an die Talente von morgen
verteilt. Den beiden Präsidenten Hans-Wolfgang Kende (rechts oben) und Ulrich Lange
(unten) sei Dank — und auch der Porsche AG für ihre Unterstützung. Einige der jungen Journalisten
hielten während der Recherchen zum ersten Mal in ihrem Leben einen Schläger in der Hand, andere sind seit Jahren aktive Spieler. Alle fasziniert von den Stories einer Sportart, von der wir alles
zu wissen glaubten. Zwei Kollegen nahmen den Titel des Heftes wörtlich, wurden Väter und bekamen: ein Mädchen.
Ihre »GirlsOpen«-Redaktion
Julia Görges, Sabine Lisicki, Andrea Petkovic und
Angelique Kerber zu treffen, erfordert Geduld. Zu
knapp ist das Zeitbudget der vier, die jede Woche in
einem anderen Land der Welt ihrem Beruf nachgehen.
Autorin Anna Hunger, 31, traf in Hannover eine zu
Späßen aufgelegte Görges und eine fast schüchterne
Lisicki, Wochen später traf sie in Stuttgart eine aufgeweckte Petkovic und eine Adrenalin-geputschte Kerber. Für ihre Titelgeschichte (ab S. 18) sprach Hunger
mit Trainern, Managern und Eltern der Shootingstars,
die dem Tennissport in Deutschland neues Leben
eingehaucht haben. »Alle vier sind trotz ihres Erfolgs
herrlich normal geblieben«, sagt Hunger. »Ich glaube,
dass sie ihre größten Erfolge noch vor sich haben.«
In Äthiopien, dem abgehängten Armutsland an der Ostküste
Afrikas, genießt Tennis noch immer den Ruch des Elitensports.
Tariku Tesfaye, 33, zeigt, dass es auch anders geht. Er holt Kinder
mit Tennis aus der Armut. Tesfaye selbst ist dafür das beste Beispiel.
Vom mittellosen Balljungen hat er sich zum berühmten Nationalspieler hochgespielt. Reporter Markus Wanzeck, 32, und Fotograf
Rainer Kwiotek, 50, trafen in Addis Abeba junge Mädchen wie Meron
Getu (ihre Geschichte ab S. 76), die ihren Tennistraum noch wahrmachen wollen. Ihre Chancen stehen gut. Selbst wenn der Sprung in den
Profizirkus nicht klappen sollte, winken immer noch College-Stipendien und gutbezahlte Trainerstellen. »So schnell wird die erste äthiopische Tennisspielerin nicht Wimbledon gewinnen,« glaubt Wanzeck,
»aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis der afrikanische Kontinent im
Profitennis erste Achtungserfolge vorweisen kann.«
3
INHALT
107
»Ich hätte gern den Aufschlag von
Julia Görges. Sie sieht dabei viel besser
aus als ich.« — Alexander Waske
70
46
NR. 1 / 2012
92
76
40 / CENTER COURT
Erhebt Euch
Junge Zuschauer sollen mehr Pepp ins
Turnier bringen.
18
46 / Die Unschlagbare
Esther Vergeer sitzt im Rollstuhl und
schlägt sie alle.
52 / Erfolgreich
extrovertiert
Vier »German
Frolleins«
wollen auf der
Weltrangliste
die Nummer 1
werden:
Trotzdem mögen sie sich.
18 / TITEL
Die Fantastischen Vier
28 / »Jetzt geht’s erst
richtig los!«
Was Julia Görges, Sabine Lisicki,
Angelique Kerber und Andrea Petkovic
gemeinsam haben und was sie trennt.
Doppelinterview mit Barbara Rittner
und Patrick Kühnen.
26 / Interview:
5 Fragen an Steffi Graf
32 / NEBENPLATZ
Ein Tag im Leben von
Annika Beck
Eine Legende spricht über ihre
Nachfolgerinnen.
Es kann verdammt hart sein, ein
Tennis-Talent zu sein.
4
GO SPE ZIAL / G IR L S O P E N
38 / Das Profilos
Mit einer Wildcard an einem großen
Turnier teilnehmen.
44 / Rittners Talentschuppen
Gut spielen allein genügt nicht.
Man muss auch psychisch stark sein.
Schon ein wenig schrill diese Bethanie
Mattek-Sands.
17 / OFF COURT
Stachs Hotshots
103 / Zwei ziemlich süße
Ladies
61 / Kolumne von
Angelique Kerber
Ein alter Tennishase gibt seine Geheimnisse preis.
Was Anna Kournikova und Clara Ritter
(Schokolade) verbindet.
Der Tennisstar plaudert einmal
ganz privat.
54 / »Lieber Polohemd
als Corsage«
64 / HISTORIE
»Wir sind noch nicht am Ziel«
76 / Meron, das Mädchen
aus dem Slum
Star-Designer Michael Michalsky
über Tennismode.
Die Tennislegende Billie Jean King über
Gleichberechtigung im Profisport.
In Äthiopien wurde ein Traum zur
Wirklichkeit.
62 / Gibt es ein weibliches
Sieger-Gen?
70 / Golden Girls des Ostens
104 / »Es fehlt der Biss«
Tennisfunktionär Ulrich Lange blickt
in die Zukunft.
86 / Internat
107 / Umfrage:
Miss Advantage
Wie lebt es sich im einzigen Tennisinternat Deutschlands?
Auf was die männlichen Stars
neidisch sind.
Mentalcoach Holger Fischer sagt jein.
94 / »Ich wollte ein
anderes Leben«
Interview mit Anke Huber über ihre
Zeit danach.
Tennis im »Arbeiter- und Bauernstaat«.
Die Stars von einst kennt heute kaum
noch jemand.
SONSTIGES
03 / Editorial
16 / Portfolio
106 / Impressum
5
PORTFOLIO
Center Court /
1982
STEFFI GRAF &
TRACY AUSTIN
Die 13-jährige Steffi Graf reicht ihrer Kontrahentin Tracy Austin die Hand. Es ist die erste
Runde beim Porsche Grand Prix von 1982
— und eine ganz besondere für die deutsche
Tennisheldin. Das Spiel, das sie später verliert, ist ihr Debüt bei einem Profi-Turnier. Ihre
Gegnerin, damals Seriensiegerin in Filderstadt, gibt sich unbeeindruckt: »In Amerika
haben wir hunderte Spielerinnen wie sie.«
6
GO SPE ZIAL / G I R L S O P E N
7
2007
VENUS WILLIAMS
Venus Williams macht im Wimbledon-Finale
von 2007 den Becker-Hecht. Ein Plagiat, das
sich auszahlt: In einem einseitigen Match
gewinnt sie gegen die Französin Marion
Bartoli am Ende 6:4 und 6:1. Es ist ihr vierter
von insgesamt fünf Endspielsiegen bei dem
prestigeträchtigsten Turnier der Welt.
8
GO SPE ZIAL / G I R L S O P E N
9
1978
Titel /
VI E R FÜR BLIN DT EX T
CHRIS EVERT
Als Chris Evert 1978 gegen Pam Shriver die
US Open gewinnt, reicht im Spitzentennis
noch ein Holzracket aus. Paul Zimmer ist
20 Jahre alt, als er dieses Foto aufnimmt —
ein angehender Medizinstudent, der sein
Hobby auslebt. Erst Mitte der 80er Jahre
wird er zum Berufsfotografen.
1983
MARTINA NAVRATILOVA
Martina Navratilova sagt, dass nie ein besseres Foto
von ihr aufgenommen wurde. Es ist eine packende
Studie ihres athletischen Stils — die Muskeln bersten
vor Spannung. Im Wimbledon-Halbfinale von 1983
deklassiert sie die heute weitgehend unbekannte
Südafrikanerin Yvonne Vermaak mit 6:1 und 6:1. Am
Ende gewinnt sie das Turnier.
10
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
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VI E R FÜR BLIN DT EX T
Titel /
2006
MARIA SHARAPOVA
Nach einem 6:4, 6:4 über Justine
Henin-Hardenne ist Maria Sharapova die
strahlende Siegerin der US Open 2006.
Ausgiebig lässt sie sich feiern, den Pokal
fest umschlungen, gesäumt von Fotografen aus aller Welt, die um den besten
Schnappschuss konkurrieren. Ehre, wem
Ehre gebührt.
12
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
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JENNIFER CAPRIATI
Jennifer Capriati ballt die Faust und schreit sich die
Anspannung aus dem Leib, die sich nach einem
nervenzerreißenden Finale bei den French Open
2001 aufgestaut hat. Mit einem 12:10 im dritten Satz
hat sie die Belgierin Kim Clijsters niedergerungen —
der Schlussakt in einem der spannendsten Endspiele
in der Geschichte des Pariser Grand-Slam-Turniers.
14
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
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PORTFOLIO
DURCH IHN WERDEN
Sportler zu Ikonen:
Paul Zimmer ist der
wichtigste Chronist
im TENNISzirkus
Text PHILPP WURM
SELTENER
MOMENT
Der Mann hinter der Kamera
wird selbst
zum Objekt —
Paul Zimmer
mit Venus
Williams
Text Philipp Wurm
> Mehr als 2,5 Millionen Fotos hat
Paul Zimmer in den vergangenen 34 Jahren von Tennisspielern gemacht, so viele
wie kaum ein anderer Fotograf auf der
Welt, da kann es schon einmal vorkommen, dass man ein wenig durcheinander
kommt. Der Tisch in seiner Wohnküche
im Stuttgarter Einfamilienhaus sieht aus
wie ein Erdbebengebiet. Gewaltige Berge
von Dias liegen dort, herausgerupft aus
Klarsichtfolien, dazwischen Fotos in allen
erdenklichen Formaten. Am Tischrand
befinden sich mehrere Speicherplatten,
mit Terrabytes voller Bilddateien beladen,
verkabelt mit zwei Laptops.
Zimmer, 54, verheiratet und Vater
von zwei Kindern, beugt sich über den
Tisch wie ein Zoologe über eine wertvolle
Insektensammlung. In der Hand hält er
eine Lupe, er nuschelt leise, man vernimmt bloß Satzfetzen, ihr Inhalt ist meist
euphorisch, »das war der Wahnsinn«
oder »das ist super«. Ein Glück, dass Paul
Zimmer eine Kamera und kiloschwere
Objektiven um die schmale Schulter, ein
gutes Erinnerungsvermögen besitzt.
16
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Off Court /
KOLU MNE
Vor seinem geistigen Auge hat er in den
Wochen zuvor schon eine Vorauswahl
treffen können, ehe er sich daran machte,
seine Fotobestände zu durchforsten
und nach Glanzstücken zu suchen. Alles
andere wäre Sisyphos-Arbeit geworden,
die ein ganzes Recherche-Team in Atem
gehalten hätte.
Zimmer ist so lange dabei im Tennisgeschäft, dass er selbst ein Mythos ist.
Superstars kamen und gingen, ob auf dem
Rasen von Wimbledon oder der Asche
von Roland Garros, aber einer ist geblieben: dieser emsige Schwabe, der gerade
einmal 20 Jahre alt war, als er 1978 sein
erstes Grand-Slam-Turnier fotografierte.
Zimmer war in dieser Anfangszeit ein
Medizinstudent, der Sportfotografie als
eine Art anspruchsvolles Hobby betrieb.
Wenn er zu Turnieren jettete, bezahlte
er auch schon mal die Flugkosten aus
eigener Tasche. Seine Bilder erschienen in
Fachblättern wie der »Tennisrevue«.
Damals reiste er auch häufig in die deutsche Provinz zu Nachwuchsturnieren.
Dort traf er auf zwei Talente, für die der
freundliche Fotograf so vertraut wurde
wie ein guter Onkel. Ihre späteren Bilderbuchkarrieren sollten sein Leben verän-
dern. »Ich habe den beiden meine Karriere
zu verdanken«, sagt Zimmer heute. Er
meint: Boris Becker und Steffi Graf.
Als der 17-jährige Becker 1985 in Wimbledon sensationell ins Viertelfinale einzog,
erhielt der daheim gebliebene Zimmer
einen Anruf des »Bunte«-Verlegers
Hubert Burda: er sei doch dieser junge
Fotograf, der Boris so hervorragend kenne,
ob er nicht einen Exklusivvertrag unterschreiben und auf der Stelle nach London
fliegen wolle. Zimmer sagte zu.
Er war auf einmal gefragt wie nie. Ob auf
dem Platz oder abseits, Zimmer wurde
zu Beckers Hoffotograf. Seine Bilder
wurden großflächig und in Millionauflage
gedruckt. Kaum einem anderen Journalisten schenkte Becker, der neu geborene
Volksheld, so viel Vertrauen.
Zimmer brach sein Medizinstudium ab. Als
wenige Jahre später auch noch Steffi Graf
von einem Triumph zum nächsten eilte,
stieg Zimmer endgültig zum Platzhirsch
unter den Tennisfotografen auf. Er wurde
gebucht von Magazinen aus der ganzen
Welt, von Sponsoren, von Tennisverbänden.
Wenn Zimmer über Graf spricht, klingt
er vertraut wie ein enger Verwandter. In
einer Pause von der mühseligen Sichtung
seines Archivs erzählt er von regelmäßigen Telefonaten in den vergangenen
Jahren, von der Vielfalt ihrer Persönlichkeit und davon, dass sie schon als junge
Spielerin mehr war als nur eine hochkonzentrierte Leistungssportlerin.
Steffi Grafs Interesse für Mode und Fotografie ist ein Resultat dieser Freundschaft.
Zimmer, selbst ein Kunstsammler, dessen
Haus ein kleines Museum voller Gemälde
und Skulpturen ist, hat ihren Sinn für
Ästhetik geschärft, als sie noch über die
Courts hetzte.
Überhaupt die Damen: Sie schätzen
Zimmer, weil er sie auf seinen Bildern zu
Ikonen erhebt. Zimmer fängt am liebsten
die Momente ein, in denen sie unbesiegbar
wirken, als Virtuosinnen eines perfekt abgestimmten Spiels aus Willenskraft, Kondition und Technik. Und wenn er sie jenseits
des Wettkampfs ablichtet, als umjubelte
Celebrities, achtet er ihre Würde. Ein
kompromittierendes Paparazzi-Foto, das
die Stars niedergeschlagen, übernächtigt
oder sonstwie unpässlich zeigt, wird man
in Zimmers Archiv nicht finden. Zimmer ist
ein Chronist der Lichtseiten.
1
ANDREA PETKOVIC
beim Seitenwechsel ihre zwei Trinkflaschen exakt so pedantisch neben ihrem
Stuhl auf dem Boden ausrichtet wie
Rafael Nadal?
2
Die gesammelten Weisheiten
eines Tennis-Aficionados
Wussten
sie schon, dass ...
JULIA GÖRGES
ein großer Biathlon-Fan ist (sie bewundert
Norwegens Superstar Ole Einar Björndalen), aber aus Zeitgründen einen Geburtstagsgutschein zum »Biathlon-Schnupperkurs« noch nicht einlösen konnte?
3
STACHS
HOTshots
SABINE LISICKI
7
SERENA WILLIAMS
schon seit Jahren unter einer ausgeprägten Rasenallergie leidet, kurioserweise aber auf dem Grün von Wimbledon ihre größten Erfolge feierte?
schon mal ein Hochzeitskleid für Kim
Clijsters entwerfen sollte, der »Auftrag«
dann aber storniert werden musste,
da die Eheschließung mit Tennisprofi
Lleyton Hewitt platzte?
4
8
ANGELIQUE KERBER
die beste Freundin der ehemaligen
Nummer 1, Caroline Wozniacki ist? 2010
waren Angie und Caro gemeinsam
Schnorcheln auf Mauritius, vergangenes Jahr war Kerber eingeladen auf
Wozniackis Party zu Ihrem 21.Geburtstag in Monte Carlo.
5
SAMANTHA STOSUR
am Abend vor ihren Matches von ihrem
Coach diverse Zettel mit taktischen
Anweisungen bekommt, deren Inhalt
er am nächsten Morgen vor der Partie
»abfragt« ?
9
an ihrem 19. Geburtstag von einem
Freund ein selbst komponiertes Lied geschenkt bekam, das wochenlang in den
Radiocharts von Minsk zu hören war?
6
10
LI NA
häufig in München trainiert und sich
danach gerne mal Weißwürste und ein
Weißbier gönnt?
KIM CLIJSTERS
gerne Bitter-Schokolade nascht und
aus diesem Grund eine belgische Schokoladenfirma Ihr zu Ehren schon ein
»Tennis-Schokoladenset« mit einer
Schokoballdose und kleinen Schokotennisbällen auf den Markt brachte?
12
PETRA KVITOVA
zur Vorbereitung auf eine neue Saison
ein knallhartes Outdoor-FitnessProgramm in den heimischen TatraBergen absolviert — mit Mountainbiking und nicht ungefährlichen
Klettertouren?
MARIA SHARAPOVA
im Alter von 4 Jahren von einem guten
Freund ihres Vaters ihren ersten Tennisschläger geschenkt bekam — es war
das Kinderracket seines Sohnes Jewgeni Kafelnikov (späterer French OpenSieger und Weltranglisten-Erster)?
VIKTORIA AZARENKA
11
CAROLINE WOZNIACKI
als Kind eine tolle Schwimmerin war und
sich erst mit 11 Jahren entschied sich ausschließlich dem Tennissport zu widmen ?
Matthias Stach, 59, von »Eurosport«, ist Experte des internationalen
Damentennis und gilt als bester TennisKommentator in Deutschland. Eurosport
überträgt den Porsche Grand Prix
in diesem Jahr vom 23.- 29. April live.
17
DIE
FANTAST ISCHEN
03
VIER
VI
V ier
E R FÜR
G ewinnt
BLIN DT EX T
Dreizehn Jahre nach dem Rücktritt von Steffi Graf
gibt eine deutsche Girlband den Ton im internationalen Damentennis an: Julia Görges, Andrea Petkovic,
Sabine Lisicki und Angelique Kerber stehen 2012
unter den Top Zwanzig in der Weltrangliste. Wer von
den Vieren schafft den Sprung ganz an die Spitze?
Titel /
JULIA GÖRGES, 23
»Gorgeous
Görges« — »die
Hinreißende« aus
Bad Oldesloe und
Gewinnerin des
Porsche Tennis
Grand Prix 2011.
Text Anna Hunger
FOTO Thomas Kienzle
ANGELIQUE
KERBER, 24
01
ANDREA
PETKOVIC, 24
Schlau und frech.
»Petko«, die Nummer
eins der deutschen
Tennisdamen.
18
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Seit einem
halben Jahr
auf der
Überholspur,
jetzt schon
die Nummer Zwei in
Deutschland.
SABINE LISICKI, 22
Das Erfolgstalent aus der Kaderschmiede von Trainer-Legende
Nick Bollettierie.
04
02
19
Titel /
VI
V ier
E R FÜR
G ewinnt
BLIN DT EX T
>Julia Görges, 23, trainiert in einem
fliederfarbenen Kapuzenpulli und
einer dieser bunten Radlerhosen, die
man in den Achtzigern getragen hat. Die
Tennishalle sieht aus wie ein begrünter
Flughafenhangar, es ist ungewöhnlich
kalt, aber nach Schweiß riecht es überraschend nicht. Trainer Sascha Nensel spielt
ihr die Bälle zu. Er sei einer des besten
Tennistrainer in Deutschland, sagen seine
Kollegen. Ein strenger Typ, sympathisch
erst auf den zweiten Blick, Ex-Sparringspartner von Steffi Graf und Duzfreund
von Andre Agassi. Kürzlich erst habe er
die beiden besucht, sagt er, zum Barbecue
in Las Vegas.
Görges peitscht die Bälle übers Netz. Rückhand, zack! Vorhand, wumm! Ihr dunkler
Pferdeschwanz hüpft aufgeregt, wenn sie
aufschlägt. Der tägliche Drill in Hannover
in der Tennisbase. Seit 2008 trainiert Julia
Görges hier im Stützpunkt regelmäßig,
weil sie eines der großen Talente ist im
deutschen Profitennis. In den letzten Monaten aber hat sich vieles verändert. Sie
ist nicht mehr dieselbe Julia Görges, eine
Hochbegabte, eine Miss Irgendwer. Sie ist
jetzt ein Versprechen, ein großes. Sie hat
vor einem Jahr in Stuttgart den Porsche
Grand-Prix gewonnen und das deutsche
Tennis aus seinem Steffi Graf-Schlaf
gerissen, in dem es seit mehr als einem
Jahrzehnt dahindämmert. Julia Görges
drischt im Sekundenrhythmus auf die
Bälle ein, so als wollte sie sagen »Ich will,
ich kann noch viel mehr«. Görges ist jetzt,
ein Jahr nach ihrem größten Triumph, die
Nummer 17 in der Welt – schon. Aber nur
noch die Nummer vier in Deutschland.
Julia Görges gut gelaunt bei einer
Trainingspause in Hannover.
Tennis war »Jules« Hobby, jetzt
ist es ihr Beruf. »Und den versuche ich perfekt zu meistern«,
sagt sie.
20
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
So verrückt, so brutal ist das manchmal im Profisport, wenn alles auf
einmal passiert, ohne dass man genau
erklären könnte, warum gerade jetzt.
Drei andere smarte Ladies taten es ihr in
den vergangenen Monaten nach: Andrea
Petkovic, die extrovertierte Kumpeline;
Sabine Lisicki, die Fighterin mit dem
Mörder-Aufschlag und Angelique Kerber,
die Tiefenentspannte mit dem genialen
Touch. Und Julia Görges natürlich, die seit
Stuttgart den Spitzname »Gorgeous
Görges« trägt, die zauberhafte Julia.
Zusammen sind sie die Fantastischen Vier,
die perfekte Besetzung für eine hitverdächtige Girlgroup: die Slice Girls aus Germany! Sie sehen blendend aus, sie strahlen, fluchen und tanzen auf dem Platz,
JULIA
GÖRGES
2005 2012
wird Julia als
17-Jährige zum
ersten Mal auf
der Weltrangliste
geführt, 2010
gewinnt sie in
Bad Gastein ihr
erstes Turnier.
erreicht Julia
bei den Australian Open das
Achtelfinale
und wird in
Dubai Zweite;
Weltrangliste:
Platz 17.
2011: Julia gewinnt sensationell
den Porsche Grand Prix in Stuttgart.
Mein Spiel: Taktik oder
Temperament?
Selbstverständlich beides!
Ein freier Tag in meiner Lieblingsstadt.
Hamburg und ich schaue mir ein
Musical an.
WelcheN SCHRIFTSTELLER
zuletzt gelesen?
Charlotte Link, sie schreibt sehr
spannend.
Am Abend vor dem Match:
Herrenbesuch im Hotel?
Kein Herrenbesuch. Wenn es jemanden gäbe, wäre er schon da.
Wer hing lebensgroSS in
Ihrem Kinderzimmer?
Martina Hingis.
Ihre letzte Notlüge?
Ich kann mich ehrlich gesagt nicht
daran erinnern, je gelogen zu haben.
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Ich fühle mich sehr glücklich, ich
vermisse nichts.
sie mögen sich. Noch sind sie nicht die
besten der Welt, noch haben sie zu viele
Hochs und Tiefs und die eine oder andere
Weißrussin oder Tschechin vor sich. Aber
sie wecken Erinnerungen an die Zeiten,
als weiße Lacoste-Zopfmusterpullover
Hochkonjunktur hatten und man mit
Boris Becker noch Wimbledon und nicht
die Besenkammer verband. Vier Musketierinnen, wenn es das Wort überhaupt
gibt, die die gleichen Tugenden mitbringen wie die Jungs um d’Artagnan im Paris
des 19. Jahrhunderts, um einen großen
Kampf zu liefern: Haltung, Mut und Empathie. Die Tenniswelt beneidet uns mal
wieder um soviel Charakter und Erfolg
made in Germany. »Irgendwann hat es
klick gemacht«, sagt Görges. »Da haben
wir gemerkt, dass wir sie gemeinsam alle
fertigmachen können.« Eine für alle, alle
für eine!
Wer sind die Vier? Wie ticken Sie? Wo
wollen Sie noch hin? Wer von den Vieren
hat das Zeug zur Nummer 1, gar zum
Weltstar?
Julia Görges kommt aus Bad Oldesloe,
eine Kleinstadt zwischen Hamburg und
Lübeck. Die größte Attraktion am Ortsrand ist das größte Moor von SchleswigHolstein. Hier kennen sie alle: Fußgänger,
Radfahrer, Postboten, der Bürgermeister
sowieso, in einem Friseursalon liegt ein
übergroßer Tennisball mit Julia GörgesSignatur aus. Wenn sie mal zuhause
sei, komme sie ab und zu noch zum
Haareschneiden vorbei, sagt die Friseurin
stolz und meint damit eigentlich, dass
Julia Görges trotz ihres rasanten Aufstiegs »ganz normal« geblieben ist. Die
»Jule«, wie Ihre Freundinnen sie nennen,
mag Casting-Shows im Fernsehen, saftige Steaks und den sagenhaften Roger
Federer. Er ist längst eine Ikone, vielleicht
der Beste Allerzeiten. Julia Görges möchte
auch die Beste sein, die sie sein kann. Es
ist kurz nach eins. Ihr Management hat
einen Pressetag organisiert, das heißt: sie
gibt den ganzen Nachmittag Interviews.
Auf dem Tisch steht eine Aloe Vera, Julia
Görges hat sich nach dem Training umgezogen, um den Hals eine Kette mit dem
Schriftzug eines ihrer Sponsoren. Vor
Julia war Heidi Klum das Werbegesicht
dieses Süßigkeitenherstellers, allein das
verdeutlicht Ihren Aufstieg. Im Halbstundentakt returniert sie die ewig gleichen
Fragen.
21
Titel /
V ier G ewinnt
»Sabine Lisicki ist
eine verdammt
harte Arbeiterin.
Dieses Mädchen hat
einfach die Gene
eines Champions.«
(Trainerlegende
Nick Bollettieri über
Sabine Lisicki)
Ein sanftes Lächeln, das trügt: Die
»Boom Boom Bine« hat den schnellsten Aufschlag der Damen-Tour.
210 Stundenkilometer geballte Kraft.
22
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
»Was isst Julia Görges nach einem
harten Trainingstag am liebsten?«,
fragt ein Reporter. »Nudeln mit Butter«. Sie lacht gut gelaunt. Ob sie einen
Freund habe? »Einen Freund?«, greift
sie die Frage auf, wie ein Politiker, um
Zeit zu gewinnen. »Leider keine Zeit
für eine Beziehung!« Das wird sie an
diesem Tag noch dreimal sagen. Sie
wird dreimal erklären, dass ihre
Vorhand ihre größte Waffe ist,
dass sie den Druck kaum spürt,
der auf ihr lastet, weil sie sich
den abgewöhnt hat und, dass sie
an ihrer Konstanz arbeiten muss.
»Konstanz über die ganze Saison
ist das wichtigste am Tennis.«
Görges’ Eltern, der Vater ist Versicherungsmakler, die Mutter Hausfrau,
nehmen Julia mit fünf Jahren zum ersten
Mal auf den Tennisplatz des THC BlauWeiß mit, ein zierliches Mädchen mit
Krauselocken und einem Tennisschläger, der ihr bis zum Bauchnabel reichte.
Mit zehn startet sie bei den Jungs, weil
die Mädchen keine Konkurrenz mehr für
sie sind. Mit 12 Jahren besiegt sie die 17
Jahre ältere Spitzenspielerin der ersten
Mannschaft mühelos in zwei Sätzen.
Im Urlaub auf Sylt bucht die Familie ein
Haus mit Tennisplatz auf dem Grundstück. 2005 wird sie Norddeutsche Meisterin, 2006 steigt sie in die Profi-Tour
ein. Als Bundestrainerin Barbara Rittner
sie das erste Mal in die Nationalmannschaft beruft, steht sie auf Platz 425 der
Weltrangliste. »Früher saß ich immer
vor dem Fernseher und habe die Stars
bewundert, die auf den großen Plätzen
der Welt spielten«, erinnert sich Julia
Görges im Gespräch mit »Girls Open«.
»Irgendwann habe ich beschlossen: Da
willst du auch hin.« Ende August 2007
spielt sie ihr erstes Grand Slam-Turnier:
die US Open in New York, die größte
Tennisbühne der Welt. 2010 gewinnt sie
in Bad Gastein ihr erstes Turnier bei den
Profis. »Das war der Befreiungsschlag,
den sie brauchte«, sagt Coach Nensel
heute. Der Bürgermeister bat zum Eintrag ins Goldene Buch.
Ein Jahr später dann also Stuttgart. Als
sich Julia Görges nach dem Matchball
in ihrem hellblauem Tennisdress in die
rote Asche wirft, darf man das, zugegeben ein bisschen pathetisch, als das
Geburterlebnis des neuen deutschen
Damentennis begreifen. Seitdem fährt
einander an die Spitze und reißen sich
nicht die Haare aus? Tun sie nicht, weil
sie sich wirklich mögen und zu clever sind
für einen banalen Zickenkrieg, bei dem
es nur Verliererinnen gibt. Stattdessen
twittern sie sich und der Öffentlichkeit
Grußbotschaften im besten Enid BlytonDuktus zu:
SABINE
LISICKI
2011:
Ihr größter
Erfolg: Lisicki
erreicht als
erste deutsche Spielerin
seit Steffi
Graf das Halbfinale von
Wimbledon.
2008 2012
kann sich Lisicki
endgültig auf der
WTA-Profitour
etablieren, sie qualifiziert sich für die
Australian Open,
ihr erstes Grand
Slam-Turnier.
Sabine Lisicki
erreicht das
Achtelfinale in
Australien und
steht auf Rang
13 in der Welt.
Görges einen silbernen Porsche 911
Cabrio mit 408 PS und spielt in einer
anderen Liga. »Es war der Wahnsinn.
Während des ganzen Spiels hatte ich
Gänsehaut«, erzählt Julia Görges an
diesem Nachmittag in Hannover. Und
dann ist sie nicht mehr zu stoppen, so
als wäre es erst gestern gewesen. »Du
stehst da, bist eh schon fertig und dann
kommt der nächste Schlag, den du genau
so spielen musst, und dann der nächste
und der nächste und wieder der nächste, du hast das Gefühl, es wird niemals
aufhören, und irgendwann schlägst du
den letzten Ball rein und weißt, jetzt hast
du sie. Man muss die Gegnerin im Kopf
brechen, bevor sie dich bricht.« Julia hat
jetzt glänzende Augen.
Die Bild-Zeitung will wissen, ob es bei
vier Mädels in der Kabine nicht auch mal
Zoff gebe, fragt der Redakteur. «Klar«,
sagt Görges, »bei so vielen Weibern gibt
es schon mal Knatsch, aber es ist nie
was Tragisches.« Vier gutaussehende
Frauen wollen miteinander und gegen-
Julia Goerges @sabinelisicki das war ja
wohl mega oder?;-)
AndreaPetkovic@sabinelisicki Olle!!!
Was für ein geiles Match... ich liebe deinen
Kampfgeist! Nächstes Mal holst du sie dir
:)
AndreaPetkovic@angeliquekerber:
Woooooooohoooooooooooooooooo!!!!!
Glückwunsch du Süßknopf, hab dir 'ne
Sms geschrieben- lesen! :)))
Angelique Kerber @andreapetkovic
geillllll habe ich gelesen ;-) hab dir auch
geantwortet ...lesen !!!!
Auf dem Court nicht kleinkariert: Angelique Kerber,
die »Geheimwaffe« der vier
deutschen Tennisdamen.
Anna-Lena Groenefeld @andreapetkovic @juliagoerges @AngeliqueKerber @sabinelisicki: I love you girls!
In der Teeküche der Trainingsbase
Hannover steht Sabine Lisicki, 22,
und brät Nudeln mit Hühnchen. Sie ist
überraschend groß, die langen blonden
Haare zu einem Dutt geknotet. »Sie räumt
sogar die Spülmaschine aus«, erzählen
sie hier im Trainingszentrum und ziehen
die Luft durch die Zähne, als sei das schon
Beweis genug für Ihren Charakter. 2008
gelingt Sabine Lisicki die Qualifikation
für die Australian Open. »Ich will einmal
die Nummer eins der Welt werden«,
sagt sie damals. 2009 gewinnt sie das
Millionen-Turnier in Charlston, besiegt
nacheinander Caroline Wozniacki, Venus
Williams und Marion Bartoli. Die Presse
ist außer sich, doch eine böse Verletzung
am Sprunggelenk wirft sie weit zurück.
Die Karriere ist in Gefahr. Aber Lisicki ist
eine Kämpferin. Sie weint vor Zorn, wenn
sie verliert, sie geißelt sich beim Training
und knibbelt vor einem Aufschlag so sehr
an ihrem Schläger herum, dass die Saiten
eigentlich schon ganz ausgefranst sein
müssten. Der große Tag kommt am 30.
Juni 2011: Lisicki steht als erste Deutsche
seit Steffi Graf im Halbfinale des berühmtesten Tennisturniers der Welt: Wimble-
don, die Kleidung weiß, der Rasen heilig.
Sie verliert, aber danach sagt sie: »Ich
habe immer gewusst, dass ich zurückkomme. Heute bin ich stärker denn je.«
2011 klettert sie von Weltranglistenposition 218 auf Platz 15. Einer ist besonders
beeindruckt. »Sie ist eine verdammt
harte Arbeiterin«, sagt Trainer-Guru Nick
Bollettieri über sie, der sie lange trainiert
hat. »Dieses Mädchen hat die Gene eines
Champions.«
Nach ihrem Auftritt in Wimbledon nennt
sie die BBC »Boom Boom Bine« oder »Mrs
Dampfhammer«, weil sie mit 210 km/h
den härtesten Aufschlag aller Frauen hat.
Sie sei eine »Rampensau, die am liebsten
vor voller Arena spielt, erzählt Sabine
wenige Tage später im »Sportstudio«. Die
blonden Haare wallen über die Schultern,
die Augenbrauen gezupft, die Lider grau
schattiert, sie trägt lange Ohrringe und
einen schwarzen Blazer. Hinter Moderator Wolf-Dieter Poschmann wird ein Foto
eingespielt: Lisicki auf der WimbledonParty in bodenlanger roter Robe. »Wow«,
ANGELIQUE
KERBER
2007 2012
steht Angelique Kerber bei
den French Open
in Paris das erste
Mal im Hauptfeld
eines GrandSlam-Turniers.
Kerber
gewinnt das
Turnier in Paris
und kommt in
Auckland, Hobart
und Indian Wells
ins Halbfinale.
Ihr Lohn:
Rang 14 auf der
Weltrangliste.
Februar 2012:
Angie mit Siegerpokal in Paris.
23
Titel /
V ier G ewinnt
sagt Poschmann und lächelt beseelt.
Bei YouTube hat einer unter das Video
geschrieben: »Sabine hat den süßesten
Hintern von allen.« An diesem Nachmittag in Hannover spricht sie wenig, kocht
schnell und verschwindet mit ihrem
Teller. Wenn noch Fragen offen sind,
solle man ihren Manager kontaktieren.
Der heißt Olivier van Lindonk, sitzt in
Florida und hat die Kürzel »IMG« in seiner Email-Adresse. IMG, die größte und
wichtigste Vermarktungsagentur der
Welt. Ihre Klienten: Roger Federer, Tiger
Woods, Giselle Bündchen und – Sabine
Lisicki. Was soll noch kommen? Der Manager sagt: »Das war erst der Anfang.«
Andrea Petkovic, 24, treibt den
größten Aufwand, möglichst greifbar
zu sein für ihre Fans. »Hi Guys, it´s me
again«, sagt sie in einem der vielen Videoblogs, die sie für ihre Fans aufnimmt
und auf ihre Website stellt. »I know
you missed me«. Sie strahlt, schwenkt
mit der Kamera auf Doppelspielerin
Anna-Lena Grönefeld im hautengen
schwarzen Dress, die macht einen
Knicks und formt die Finger zu einem
V. V für Victory! Dann sieht man beide
über die Players-Party beim Turnier in
Dubai flanieren, entlang am leckeren
orientalischen Buffet. Es ist ein Goodie
für die Fans, nur eine Kleinigkeit, aber
diese Publikumsnähe macht »Petko«
zu einer der beliebtesten Sportlerinnen
Deutschlands. Als Jugendliche war sie
Fan von Serena Williams, weil sie den
»Rock´n´Roll« auf den Tennisplatz
zurückbrachte, erzählt Petkovic, ihr
Pressesprecher ist im Nebenjob Rockmusiker. Um ihre Andersartigkeit zu
beschreiben, erzählen Journalisten
immer wieder, das sie ein Praktikum
bei Roland Koch gemacht hat und nach
ihrem ersten Sieg beim Fed-Cup von
SPD-Chef Sigmar Gabriel umarmt wurde.
Sie kann es selbst nicht mehr hören. Sie
weiß, wie man einen Genitiv verwendet,
es gibt wohl keine Spielerin, die das Wort
»hammerhart« sympathischer ausspricht. Petkovic ist die Nummer eins im
deutschen Team, extrovertiert bis unter
die Haarspitzen. All eyes on Andrea — sie
ist der Star.
Ihre Leben ist wie ein Roadmovie,
sagt Andrea Petkovic im Gespräch. Ihre
Familie ist aus dem ehemaligen Jugo24
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
ANDREA
PETKOVIC
2007 2012
ist das Jahr
der Premieren
für Andrea:
Petkovic wird
das erste Mal für
das deutsche
Fed Cup-Team
nominiert und in
Paris spielt sie
Ihr erstes Grand
Slam-Turnier.
Den Saisonstart musste
Petko wegen
einer schweren
Rückenverletzung absagen,
Ihr Comeback
gibt sie im April
beim Porsche
Grand Prix.
2011: Sie
gewinnt Straßburg, erreicht
Finals in Brisbane und
Peking und
bei drei GrandSlams das
Viertelfinale.
Weltrangliste:
Platz 10.
slawien eingewandert, als sie ein paar
Monate alt war. Die Petkovics geben sich
bescheiden, der Vater ein Tennistrainer,
der lieber »die Vorhand von Hausfrauen
verbessert als sich dem Profi-Bla-Bla
auf einem Grand-Slam auszusetzen«.
Andrea wird von Adidas ausgerüstet seit
sie 15 ist. Damals bekam sie 5000 Euro
für den Karriere-Start, Vater Zolan hat
das nicht vergessen und alle Millionenofferten der Konkurrenz abgelehnt.
Er war ihr Coach, ist ihre Stütze und
Seelenpartner und nicht zuletzt der
liebenswerte Papa. Als Petkovic in New
York 2011 trotz Verletzung unbedingt
spielen will, sitzt er geknickt auf der Tribüne und sagt zu einem Reporter: »Geht
denn die Welt unter, wenn sie mal nicht
dabei ist?« Für Andrea Petkovic wäre sie
untergegangen, sie ist eine Getriebene.
Sie schläft nicht, wenn sie verliert, sie
tanzt auf dem Platz, wenn sie gewinnt.
Der Petko-Dance, auch der inzwischen
weltberühmt.
»Das Messen mit dem Gegner, das Streben nach unerreichbarer Perfektion, die
von vielen unterschätzte mentale Herausforderung, die Erlösung nach einem
verwandelten Matchball — all das gibt
meinem Leben den Kick, den es braucht,
um interessant, abwechslungsreich und
vor allem lebenswert zu bleiben.«
So schreibt Petkovic auf Ihrer Homepage.
Hat je ein Sportstar seit Ali reflektierter,
poetischer über die Qualen und Entsagungen seines Alltags geschrieben, über
das was ihn antreibt, was ihn ausmacht?
Die Flucht, der Ausbruch aus dem
täglichen Drill ist bei Petkovic subkutan immer mitgedacht. Sie wäre doch
so gerne ein Rockstar geworden. Der
muss nicht Viertel vor acht aufstehen
und nach stundenlangen Fitness- und
Balleinheiten nach einer Massage
um halb elf wieder ins Bett.
»Wir machen keine Wellness,
wir machen Profisport. Der
ist hart«, sagt Alexander
Waske, bei dem sie zuletzt
trainiert hat. Waske sitzt im
Auto und telefoniert über
die Freisprechanlage. Er ist
Mitbegründer der SchüttlerWaske-Tennis-University
bei Frankfurt, ein ehemaliger
Davis-Cup-Spieler, getrieben vom
missionarischen Eifer seine Akademie
zur Besten der Welt zu machen. Und mit
ihr seine Vorzeige-Schülerinnen: Andrea
Petkovic und Angelique Kerber, die
Vierte im Bunde. Er selbst hatte eigentlich zu wenig Talent für die große Profikarriere, dafür hatte er einen Spirit wie
kein Zweiter. Das ganze private Leben
unterliegt dem jährlichen Turnierplan,
fordert er. Die Geburtstage der Eltern,
Weihnachten, Ostern oder wenn die
beste Freundin heiratet, das alles zähle
erst mal nicht. »Priorität eins bis neun ist
Tennis«, sagt Waske. »Profispielerinnen
müssen bereit sein, sich Ihrer beruflichen
Agenda zu unterwerfen.« Er spricht von
Leistungsgrenzen, die überreizt werden
müssen, von haufenweise Bananen und
Müsliriegeln in Damen-Handtaschen und
davon, wie wichtig es sei, im Training
psychischen Druck aushalten zu können.
Das sieht dann so aus, dass er etwa An-
gelique Kerber im Training immer wieder
anbrüllt: »Du schaffst das nicht, du bist
zu schlecht, bleib doch zuhause«. Man
müsse die Spielerinnen auf die Extremsituationen vorbereiten, alles ausblenden
zu können, den Lärm der Zuschauer, die
Mätzchen der Gegnerin. »In den Tunnel
kommen«, nennt es Waske. Der Tunnel
ist das Einmaleins der Champions.
»Ich habe jede Sekunde meines
Trainings gehasst, aber ich sagte zu
mir, hör' nicht auf, kämpfe jetzt, schwitze jetzt, damit du für den Rest deines
Lebens wie ein Champion leben kannst.«
- Muhammad Ali. Das Vermächtnis
des Allergrößten steht an der Tür zum
Frühstücksraum in der Tennisbase in
Hannover. Dort sitzt Sascha Nensel, der
Trainer von Julia Görges. An der Wand
eine lange Tafel mit einem zwei Kilo-Glas
Nutella, dutzenden Marmeladengläsern
und eine durch jahrelange Praxis erfahrene Erkenntnis: »Ab Weltranglistenplatz
50 wird man zum Unternehmen«, sagt
Nensel. Zum Team gehören Mentalcoach
und Tennistrainer, Physiotherapeuten
und Ernährungsexperten, sie alle scheuchen und kneten und nötigen die jungen
Frauen zur großen Karriere, zu den
großen Triumphen, die in Paris, London,
New York oder Melbourne möglich sind.
Wahrscheinlich sind sie eher nicht. Es sei
einfach gelogen, wenn immer behauptet
wird, diese jungen Frauen hätten doch
keinen Druck. »Der ist immens«, sagt
Nensel. »Wenn Julia 99 Bälle ins Feld
schlägt und einer geht daneben, ist das
für sie nicht akzeptabel«, sagt er. »Aber
fehlerlos geht es eben nicht. Wir sind ja
alle nur Menschen.«
»Das Messen mit dem
Gegner, das Streben
nach Perfektion, die
Erlösung nach einem
verwandelten Matchball gibt meinem
Leben den Kick, den
es braucht, um interessant und lebenswert
zu bleiben.«
(Andrea Petkovic)
Beim Fed-Cup Anfang Februar in
Stuttgart weint Julia Görges in ein
TV-Mikrophon des SWR. Sie hat gerade
gegen die Nummer zwei der Welt verloren, Petra Kvitova, immerhin amtierende
Wimbledonsiegerin. 8:10 im entschei-
»Profis müssen bereit
sein, sich zu quälen«, sagt ihr Trainer.
Aber zwischendurch
braucht´s auch mal
eine Pause. Andrea
entspannt mit Musik.
25
Titel /
Die Gräfin und
ihre Nachfolgerin: Steffi Graf
und Julia Görges
nach einem
Show-Match.
INTERVIEW Jörg Allmeroth
FÜNF
Fragen an
Steffi Graf
»DIE
MÄDCHEN
haben
alles,was
man
braucht!«
1
Frau Graf, das deutsche Damentennis erlebt seit Ihrem Rücktritt
vor 13 Jahren eine neue Blütezeit.
Wie erleben Sie den Aufschwung
von Andrea Petkovic und Co.?
Natürlich mit großer Freude. Es ist toll,
dass sich gleich eine ganze Generation
von erfrischenden und talentierten
jungen Spielerinnen so gut entwickelt
und bis in die Weltspitze durchgespielt
hat. Und damit steigt zum Glück auch
in Deutschland wieder das Interesse
fürs Tennis. Ich bin begeistert!
2 Andrea Petkovic haben Sie bei
einem Treffen in Las Vegas persönlich kennengelernt, mit Julia Görges haben Sie einen Schaukampf
in Halle gespielt. Ihr Eindruck?
Beide arbeiten hart an ihrer Karriere,
beide verfügen auch über das nötige
Selbstbewußtsein, das du in der
Spitze brauchst. Jetzt wird es wichtig
26
GO SPE ZIAL / 4 0:LOV E
sein, sich das Tennisjahr sehr genau
einzuteilen und nicht zu überdrehen, im
Drang, noch weiter nach vorne zu kommen. Alle vier Mädchen haben alles, was
man für eine große Karriere braucht.
3 Lisicki und Kerber schafften es,
viele Jahre nach Ihnen, wieder in
ein Grand Slam-Halbfinale. Halten
Sie einen Sieg einer deutschen
Spielerin bei einem der großen
Major-Turniere für realistisch?
Warum nicht? Wenn Sie weiter so an
sich arbeiten, bin ich davon überzeugt,
dass das möglich ist. Sabine gelang es
im letzten Jahr in der Weltrangliste von
Platz 218 bis auf Platz 15 zu springen.
Das war absolut bemerkenswert und
sagt alles über Ihre Einstellung aus. Das
gleiche gilt auch für Angelique Kerbers
unglaublichen Lauf bei den US Open
2011. Ich bin sehr optimistisch.
Wie eng sind Sie am deutschen
Damentennis noch dran?
Dank Barbara Rittner, meiner alten
Freundin, bin ich bestens informiert.
Wir telefonieren regelmässig über die
neuesten Entwicklungen. Schön ist,
dass sich die Spielerinnen auch untereinander so gut verstehen und als Team
auftreten. Das ist im Profigeschäft
nicht selbstverständlich.
4
5 Wie oft spielen sie selbst noch
Tennis?
Nicht mehr jeden Tag, aber André
und ich spielen immer mal wieder
auf Schaukämpfe zugunsten unserer
Stiftungen. Außerdem halten mich
meine Kinder fit. Dass ich nur faul auf
der Couch herumliege, das werden sie
bei uns nicht erleben.
denden Satz. Das tut mehr weh als jeder
Drill im Training. »Ich habe gut gespielt,
ich hab alles gegeben, aber man möchte
eben gewinnen.« Sie wischt sich die
Tränen aus dem Gesicht und die Fernsehkameras halten unerbittlich drauf. Es ist
der vielleicht bitterste Tag im deutschen
Damentennis in diesem Jahr. Auch Sabine
Lisicki verliert ihr Spiel knapp in drei Sätzen. Die Nachrichtenagenturen werden
schreiben: »Lisicki bei Pressekonferenz
unter Tränen zusammengebrochen.«
Deutschland weint und Doppelspielerin
Grönefeld twittert:
Anna-Lena Groenefeld @andreapetkovic @juliagoerges @AngeliqueKerber @sabinelisicki We might be 2:0
down, but we have the f*'#$"*ing best
team in the world!
Das verdammt nochmal beste Team
der Welt!
Eine für alle, alle für eine. Angelique
Kerber, 24, steht auf dem azurblauen
Platz. Sie wird als einzige an diesem
Wochenende ein Spiel für Deutschland
gewinnen, auch wenn das an der Niederlage nichts mehr ändert. Die ruhige Blondine mit dem geflochtenen Zopf spielt in
ihrer Lieblingsfarbe Orange und sie ist ein
bisschen stinkig, weil sie gestern nur zuschauen durfte. Ihre Wut hat sie für sich
behalten, aber im Spiel ist sie eindeutig
zu spüren. Sie ist mindestens so ehrgeizig
wie die anderen, vielleicht posaunt sie
es nicht so heraus. Im Eigenmarketing
könnte sie etwas forscher sein, heißt
es aus ihrem Umfeld. Aber das muss sie
jetzt auch nicht mehr. 2012 ist bisher Ihr
Jahr: Nach dem Fed-Cup gewinnt sie das
Turnier in Paris, erreicht in Indian Wells
das Halbfinale, klettert bis auf Platz 14
in der Weltrangliste. Was für ein Unterschied zum letzten Jahr, als sie zehnmal
in der ersten Runde verlor. »Ich habe es
viel zu ruhig angehen lassen«, versucht
Angie Ihr Missgeschick von 2011 zu erklären. »Das war mein Fehler, aus dem ich
gelernt habe.« Im Spätsommer erreicht
sie bei den US Open das Halbfinale, die
vielleicht größte Sensation in der letzten
Saison. In der Spielerbox applaudiert
Alexander Waske, der darauf aufpasst,
dass die Rückschläge nicht mehr näher
kommen. Als Kerber in Paris ausgerech-
»Für die Profis muss
Tennis an erster Stelle
stehen. Geburtstage
der Eltern, Weihnachten, Ostern, oder wenn
die beste Freundin
heiratet sind allerhöchstens zehnte Priorität.«
(Alexander Waske)
»Eine für Alle, Alle für eine«.
Die deutschen Tennis-Damen Sabine
Lisicki,Julia Görges, Andrea Petkovic und
Anna-Lena Grönefeld (von links nach
rechts) sind eine verschworene Truppe
nach dem Musketier-Prinzip.
net von Martina Navratilova den unhandlichen Silberpokal überreicht bekommt,
kann man ihre Unbeholfenheit in solchen
Situationen noch sehen. Das wird bald
anders sein. »Bei Angie ist der Knoten
endlich geplatzt«, sagt Bundestrainerin
Barbara Rittner. Per Facebook postet
Angelique Kerber am Abend: »Ich könnte
euch alle umarmen!!!« Dazu setzt sie ein
Foto der letzten vier deutschen Damen
unter den Top 30 auf der Weltrangliste auf
ihre Facebook-Seite. Unter dem Bild steht:
»Highest Ranked Germans 1988: 1 Steffi
Graf, 10 Claudia Kohde-Kilsch, 16 Sylvia
Hanika, 21 Bettina Bunge.« Darunter posted sie selbst: »Highest Ranked Germans
2012: 10 Andrea Petkovic, 13 Sabine Lisicki, 14 Angelique Kerber, 17 Julia Görges.«
Im Februar 2012 stehen alle vier German
Frolleins, wie sie auf der Tour gerufen
werden, in den Top-20 der Welt. Alle vier
wollen aber noch viel weiter nach oben.
Nach ganz oben. Den Satz: »Ich will die
Nummer 1 werden«, haben alle schon mal
so oder ähnlich gesagt oder gedacht.
Zurück in der Tennisbase Hannover, es kurz vor vier Uhr nachmittags.
Wann sie sich denn für den Playboy
ausziehe, will der BILD-Reporter am
Ende seines Interviews gewohnt subtil
wissen. Julia Görges beugt sich über
den Tisch, schaut dem Mann kokett
in die Augen, flirtet ein bisschen, es
gefällt ihr. Weil sie nicht zum fünften
Mal über Konstanz und ihren Aufschlag
sprechen muss und weil der Kerl bei
seiner Playboy-Frage so schön verwegen kuckt. »Das habe ich nicht vor«,
sagt sie langsam mit damenhaftem
Augenaufschlag und lächelt zum
letzten Mal an diesem Tag strahlend
für ein Foto. »Ich möchte lieber als
Sportlerin wahrgenommen werden. Mit
meinem Aussehen gewinne ich ja keine
Matches«, sagt sie und streckt ihm ihre
Hand zur Verabschiedung entgegen.
Der türkise Lack an ihren Fingernägeln
bröckelt gewaltig, der Nagellackentferner sei ihr ausgegangen, sagt sie
entschuldigend.
27
Titel /
S PI TZE NG E SPRÄC H
Die Bundestrainer Barbara Rittner und Patrik Kühnen über
das neue Fräuleinwunder und die Frage, warum die Herren
im deutschen Profitennis das schwache Geschlecht sind:
»Jetzt geht’s
erst
richtig los!«
Text Agnes Fazekas
Foto Lukas Coch
>Frau Rittner, Herr Kühnen, auf
unseren Wunsch hin, werden Sie
beide gleich gegeneinander ein Match
spielen. Was denken Sie, wie wird es
ausgehen?
Kühnen: Unentschieden.
Rittner: Ich werde aufgeben, weil ich
meistens nach zehn Minuten einen Muskel-faserriss habe. Wobei, wenn wir einen
Satz bis drei spielen, könnte ich durchhalten. In den letzten Jahren bin ich eher zum
Fußballer und Jogger geworden.
Kühnen: Ich spiele immer noch super
gern, aber auch nicht mehr so oft. Wir
werden beide versuchen, unverletzt vom
Platz zu kommen.
Rittner: Und hinterher was Kühles trinken.
Herr Kühnen, welchen Schlag Ihrer
Bundestrainer-Kollegin fürchten Sie
am meisten?
Kühnen: Nimmst du deinen Hund mit auf
den Platz, Barbara?
Rittner: Seine Rückhand hab ich stark in
Erinnerung.
Frau Rittner, 1973 besiegte mit
Billie Jean King im legendären
»Kampf der Geschlechter« gegen
Bobby Riggs zum ersten Mal eine Frau
einen Mann auf dem Tennisplatz. Es
ist also alles möglich...
Kühnen: Und in den 90ern hat Karsten
Braasch gegen die Williams-Schwestern
gespielt! Er hat davor eine Runde Golf
gespielt, eine geraucht — und gewonnen.
Auf YouTube gibt es unzählige weitere Inszenierungen des Geschlechterkampfs zu sehen. Es ist eine
Binsenweisheit: Männer sind Frauen
athletisch überlegen. Wieso also
immer noch diese Faszination, das
auszuspielen?
Rittner: Das liegt in der Natur der Sache,
aber im Prinzip ist es völliger Quatsch.
Man kann es einfach nicht vergleichen. Selbst wenn der Mann auf einem
größeren Feld spielt als die Frau, hinkt
der Vergleich. Oder nehmen Sie den 100
m-Lauf — selbst wenn Frau einhundert
Meter bergab läuft, wird sie trotzdem nie
so schnell sein wie ein Mann.
Sie haben während Ihrer 15-jährigen
Profikarriere selbst viel mit Männern
trainiert. Warum?
28
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Rittner: Und natürlich hab ich dabei von
x-Männern den Hintern versohlt bekommen. Da kommt jeder Regionalligaspieler
in Frage und das war auch gut so. Heute
habe ich meinen Co-Trainer Dirk Dier als
Sparringspartner dabei und immer wenn
die Mädels einen Höhenflug kriegen,
dann sag ich zu ihm: »Komm Dirk, einen
Satz mal richtig!« Und dann ist es ganz
schnell gegessen. Die Mädels wollen das
ja auch.
Kühnen: Ich habe früher ab und zu mit
Steffi Graf trainiert und das war super.
Rhythmus, Frequenz, Intensität — sensationell.
Also Herr Kühnen, lassen Sie uns
über die neuen Erfolge im deutschen
Damentennis reden. Sind Sie beeindruckt?
Kühnen: Auf alle Fälle. Mir gefällt sehr,
wie sich die deutschen Damen präsentieren: unheimlich positiv, engagiert,
kämpferisch. Alle haben ein klares Ziel
vor Augen und das spürt der Fan.
Rittner: Die haben im Moment alle so einen unbedingten Willen. Sie sind schwer
zufriedenzustellen, selbst wenn sie was
»Mir gefällt,
wie sich die
deutschen Damen
präsentieren:
positiv, engagiert,
kämpferisch.
Alle haben ein
klares Ziel vor
Augen. Ehrgeiz,
Erfolg, Selbstvertrauen, das ist
die Leiter
des Sieges.«
(Kühnen)
Tolles erreicht haben. Die Petko sagt
dann: »Jetzt geht’s erst richtig los!« Und
dann ziehen sie sich gegenseitig hoch.
Kühnen: Das merkt man. Ich finde
das fantastisch. Die Damen haben es
geschafft, ihre großen Erfolge bei den
großen Turnieren einzufahren. Dadurch
bekommen sie ein unbändiges Selbstvertrauen, dass sie wissen lässt: Ich kann
nicht nur mithalten, ich gehöre dahin, in
die Weltspitze. Ehrgeiz, Erfolg, Selbstvertrauen, das ist die Leiter des Sieges.
Woran liegt es dann, dass die Herren
Profis diese Leiter nicht hinaufsteigen?
Kühnen: Unsere Damen waren auf den
größten Tennisbühnen der Welt, den
Grand Slam-Turnieren, erfolgreicher und
sind deshalb auch medial viel stärker im
Fokus. Man darf aber nicht vergessen,
dass auch die deutschen Herren im
vergangenen Jahr sehr gute Ergebnisse
erzielt haben. Philipp Petzschner hat
bei den US Open seinen zweiten Grand
Slam-Doppeltitel gewonnen, Philipp
Kohlschreiber hat in Halle die Gerry
Weber-Open gewonnen und Florian
Mayer hat in Bukarest seinen ersten
ATP-Titel geholt. Kurz darauf hat er beim
Masters-Turnier in Shanghai sogar Nadal
geschlagen.
Alles schön und gut, aber von der
Weltspitze sind die Herren meilenweit entfernt. Es entsteht in der
öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck, dass Kohlschreiber & Co. der
Mumm fehlt, ihr großes Potential
auch nutzen zu können. Ist das auch
Ihr Eindruck, Frau Rittner?
Rittner: Ich kann die Frage wahrscheinlich seriös gar nicht beantworten, weil
ich da zu weit weg bin. Aber gefühlt sind
die Mädels für mich noch erfolgshungriger, noch konsequenter in der Art und
Weise, wie sie an sich arbeiten. Die haben einen eigenen Physio, einen eigenen
Mentaltrainer, ganz bewusst reizen die
alles aus. Die geben sich nie zu früh mit
dem Erreichten zufrieden.
Kühnen: Der Fokus für die Herren muss
sein, bei den Grand Slams die zweite Woche zu erreichen. Da fehlt die Konstanz,
da gebe ich ihnen recht. Die Dichte bei
den Herren ist so stark, dass an einem
guten Tag die Nummer 89 der Weltrang29
Titel /
S PI TZE NG E SPRÄC H
»Gefühlt sind die
Mädels noch
erfolgshungriger
als die Herren,
in der Art und
Weise, wie sie an
sich arbeiten.«
(Rittner)
Patrik
kühnen
1988 2003
war das erfolgreichste Jahr seiner
aktiven Karriere:
Kühnen erreicht
das Viertelfinale
in Wimbledon
und gewinnt mit
Deutschland den
Davis-Cup. Bestes
Ranking: Rang 43.
30
übernahm
Kühnen als
Teamchef
das deutsche
Daviscup-Team;
seit 1993 hat
Deutschland
den Daviscup
nicht mehr
gewonnen.
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
liste die Nummer drei schlagen kann. Das
gibt es bei den Frauen so nicht.
Wie reagieren die Herren, wenn
Ihnen die Damen aufgrund Ihrer
Erfolge den Rang ablaufen?
Kühnen: Die Erfolge der Ladies stacheln
die Jungs natürlich an. Barbaras Erfolg
hat ja nicht nur was mit dem Training
zu tun. Auch neben dem Platz hat sie
viele Jahre hart dafür gearbeitet, dass
das deutsche Damentennis heute so gut
da steht. Sie war geduldig und hat viel
in Bewegung gebracht. Das trägt jetzt
Früchte und man spürt, dass daraus eine
Begeisterung und Motivation entstanden
ist, die natürlich auch die Herren mitbekommen.
Frau Rittner, wir hören, dass es nur
deswegen keinen Zickenkrieg unter
Ihren Top-Ladies gibt, weil Sie mit Ihrer Autorität rechtzeitig dazwischen
funken. Wie stellen Sie das an, dass
kein Neid aufkommt?
Rittner: Weil das tolle Mädchen sind,
die respektvoll miteinander umgehen.
Sie kennen sich seit Jahren, sind alle
etwa gleich alt, kennen Ihre Stärken
und Schwächen, deshalb muss keine der
anderen etwas vormachen. Dafür sind sie
zu vernünftig und reflektiert. Und wenn
eine großen Erfolg hat, dann beflügelt
das die anderen nach dem Motto: »Geil,
ich bin die nächste die das schaffen
kann!« Daraus resultiert also vielmehr
gegenseitige Motivation statt Neid. Und
wenn wirklich mal die Stimmung kippen
sollte, dann habe ich ein gutes Gespür
dafür entwickelt, direkt einzugreifen und
die Temperamente abzukühlen.
Wie eng arbeiten Sie beide als Bundestrainer zusammen?
Kühnen: Wir tauschen uns aus, arbeiten
aber unabhängig voneinander. Grundsätzlich sind die deutschen Damen und
Herren aber schon näher zusammengerückt. Bei den Grand Slam-Turnieren
schauen Jungs, was die Mädels so
machen und man spielt auch mal Mixed
zusammen. Das Gemeinschaftsgefühl ist
zuletzt viel stärker geworden.
Frau Rittner, Sie sind die erste Frau
in der Chef-Position des deutschen
Fed-Cup-Teams. Was an sich schon
ein Anachronismus ist. Wurde Ihnen
anfangs signalisiert, man traue Ihnen den Job als Frau gar nicht zu?
Rittner: Nee, gar nicht. Da war von
Anfang an viel Neugierde von beiden
Seiten dabei und ich habe den Standpunkt vertreten, dass ich mich gut
hineinversetzen kann in die Frauen, weil
ich das eben alles von Spielerseite selbst
mitgemacht habe und vielleicht auch
noch einen Ticken näher dran bin als ein
männlicher Teamchef. Von Frau zu Frau
einsteht eine größere Nähe.
Herr Kühnen, würden Sie sich
zutrauen das Fed-Cup-Team zu
trainieren?
Kühnen: Das würde ich mir auch zutrauen! Aber ich muss sagen, dass Barbara das
so gut macht, dass sie da konkurrenzlos
ist.
Rittner: Aber es wäre mal interessant
das Team zu tauschen!
Also bitte, tauschen sie doch mal für
eine Saison!
Rittner: Ich glaube, dass das wirklich ein
großer Unterschied ist, auch zwischenmenschlich. Wie Jungs mit einer Sache
umgehen und Mädels. Frauen tendieren
dazu, sportliche Entscheidungen sehr
persönlich zu nehmen. Ich denke, Jungs
haken Dinge schneller ab und gehen ein
bisschen oberflächlicher damit um.
Wie sich die Zeiten ändern. In den
80er und 90er Jahren haben sich die
Herren über das Damentennis gerne
lustig gemacht. Boris Becker hat ja
mal gesagt, er spiele Tennis, Steffi
Graf Damentennis. Ist der Machismo
im Profitennis endgültig passe?
Rittner: Den habe ich so nie wahrgenommen. Hat Boris das wirklich gesagt?
Naja, er hat ja viel gesagt...
Kühnen: Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich weiß, dass beide füreinander
sehr viel Respekt hatten. Wenn man
schaut, wie sich das Damentennis in den
letzten Jahren entwickelt hat, dann sieht
man, dass hinsichtlich der Vermarktung
und Außendarstellung der Spielerinnen
einiges getan wurde. Die WTA setzt die
Spielerinnen immer wieder neu in Szene.
Damit soll Interesse generiert werden
und man sieht, dass das funktioniert.
Hierzulande gibt es viel mehr Damen- als
Herrentennis im Fernsehen zu sehen.
Ende letzten Jahres inszenierte die
Spielerinnen-Vereinigung WTA die
besten acht Damen zum Saisonfinale in sexy Kleidern und auf High
Heels. Ist das nicht ein sehr männlicher Blick auf den Sport?
Kühnen: Das mag sein, aber das ist auch
eine Frage des Zeitgeistes. Entscheidend
ist vielmehr, dass die deutschen Spielerinnen sich in den letzten Monaten kontinuierlich verbessert haben und sehr
erfolgreich spielen. Ohne den Erfolg gäbe
es kein öffentliches Interesse. Und dass
man dann verschiedene Möglichkeiten
nutzt, um den Fans die Spielerinnen
näherzubringen, ist doch klar. Solche
Inszenierungen und der Blick hinter die
Kulissen erzeugen Emotionen und das
ist mitentscheidend für die Popularität
der Damen und das Interesse am Tennis
insgesamt.
Wie sehr hat sich das Damentennis
seit dem Rücktritt von Steffi Graf
weiterentwickelt?
Rittner: Am meisten hat sich der
Aufschlag verändert. Das liegt an der
körperlichen Fitness. Die Frauen sind
durchtrainierter, machen mehr Krafttraining. Die haben wirklich was rausgeholt,
wo man zu meiner Zeit noch sagen
konnte: Da ist gegenüber den Herren
noch Luft. Auch die Trainingslehre hat
sich enorm verbessert.
Kühnen: Durch die Williams-Schwestern ist eine neue Denke reingekommen. Als ich letztes Jahr in Wimbledon
Sabine Lisicki gegen Li Na gesehen habe,
hat mich das wirklich stark beeindruckt.
Die Sabine serviert mit fast 200 km/h. Es
gibt inzwischen Damen wie sie, die mit
ihren Aufschlägen an die Geschwindigkeiten der Herren rankommen. Da hat
sich unheimlich viel getan in den letzten
Jahren.
Rittner: Eigentlich hat Martina
Navratilova noch früher diese Denke
angestoßen. Sie war die erste, die eine
Faust gemacht hat, die hatte Adern am
Arm und da haben alle gesagt: »Boah,
wie benimmt denn die sich?!« Das war
alles nicht damenhaft. Und dann kamen
die Williams-Schwestern, das war dann
nochmal `ne andere Nummer.
Kühnen: Das war eine Revolution. Die
haben körperlich ganz neue Voraussetzungen mitgebracht und da mussten
sich die anderen natürlich überlegen,
wie sie dagegen halten. Das hat viele
Trainer dazu gebracht umzudenken.
Wo sind die größten Unterschiede im
Spiel heute noch sichtbar?
Rittner: Frauen spielen schnell und
gerade, die Männer mit viel mehr Spin
und Winkel.
Das Stöhnen bleibt aber eine echte
Domäne der Damen. Frau Rittner, Sie
haben sich für ein Verbot ausgesprochen. Warum?
Rittner: Ich finde, die Stöhnerei muss
nicht sein, jedenfalls nicht über eine
gewisse Lautstärke.
Ist es nicht auch Zeichen einer enormen Kampfbereitschaft, nach dem
Motto: Ich gebe jetzt alles!
Rittner: Erst mal ist es eine dumme
Angewohnheit. Es gibt sicher Situationen, in denen man anfängt zu stöhnen,
weil es anstrengend ist und weil es die
Atmung unterstützt, das kenne ich von
mir selbst. Aber es gibt ja Mädels, die
schlagen sich mit drei Stundenkilometern ein und dann: »Aaaaahhh!« und
»Uuuuuuhhh!«. Das hat die Sharapova
sehr stark auf die Bühne gebracht und
ich find‘s furchtbar. Ich kenne viele, die
sagen: »Ich gucke kein Tennis mehr,
weil da ist immer die eine Russin und
die schreit immer so und da mach ich
entweder den Ton aus oder schalte um.«
In dem Moment, wo es Zuschauer kostet,
müssen wir was unternehmen…
Das Match zwischen Kühnen und Rittner
endete — mit einem Unentschieden. Obwohl es das im Tennis bekanntlich nicht
gibt. Nach über einer Stunde Spielzeit
und annähernd 40 Grad auf einem
Nebenplatz der Australian Open Anfang
Februar in Melbourne beschlossen die
beiden ranghöchsten deutschen Tennistrainer den Tie-Break des ersten Satzes
mit einem Kaltgetränk an der Hotelbar zu
beenden. Beide Kontrahenten haben sich
auf ein Rückspiel verständigt, um letztgültig das stärkere Tennis-Geschlecht zu
ermitteln. Verletzt wurde niemand, auch
nicht Barbara Rittner.
BARBARA
RITTNER
1993 2005
erreichte
sie mit Position
24 die höchste
Platzierung ihrer
Profikarriere;
Rittner gewann
zwei WTATurniere und
gehörte 15 Jahre
lang zu den besten deutschen
Spielerinnen.
übernahm
Rittner als
erste Frau das
Amt des Fed
Cup-Teamchefs;
Deutschland
hat seit 1994
die inoffizielle
MannschaftsWeltmeisterschaft nicht
mehr gewonnen.
»Ich finde, die
Stöhnerei muss
nicht sein. Das ist
eine dumme
Angewohnheit Ich
find´s furchtbar!«
(Rittner)
31
Nebenplatz
Titel /
VI ELREN
TA
FÜR
T BLIN DT EX T
EIN TAG
IM LEBEN
VON
ANNIKA
BECK
Nach oben
Seit drei Jahren arbeiten Annika
und ihr Trainer Robert Orlik für
das gemeinsame Ziel: Stetig klettern in der Weltrangliste.
Text
David Krenz
Foto
Jürgen Hasenkopf
>Ängstlich steht Annika am Beckenrand, klammert den
Blick an die Eltern, sie fürchtet das tiefe Wasser. »Mach es, wenn
du wirklich willst«, bedeutet ihr Vater. Da dreht Annika sich um,
greift die Hand des Schwimmlehrers, führt ihn zum Startblock
­­— und zieht die 25 Meter ohne Hilfe durch. Stolz nimmt sie ihr
Seepferdchen entgegen. Da ist Annika dreieinhalb Jahre alt.
Johannes Beck, der Vater, erzählt diese Geschichte, fragt man
ihn, woher die Tochter ihre Disziplin habe. »Annika war immer
sehr zielstrebig«, sagt er, »wir mussten sie nie treiben.«
14 Jahre nach der Mutprobe im Stadtbad, ein Morgen in der
Kerpener Tennisakademie. Noch zehn Minuten bis Trainingsbeginn, Annika Beck rinnt bereits der Schweiß von der Stirn. Drahtig und doch zierlich ist sie, kaum 1,70 groß. Wieder einmal ist
sie früher aufgestanden als ihre Mitstreiter, eine Sonderschicht
schieben: Fußstellung und Armbewegungen präzisieren, eher
Feinjustierung als Fehlerkorrektur.
»Annika hat kaum Schwächen, bei ihr stimmt das Gesamtpaket«, sagt Robert Orlik, ihr Trainer seit 2009. Er schätzt ihre
Athletik: »Diese unglaublichen Beine, verdankt sie der sportlichen Kindheit.«
32
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Hockey, Ballett, Leichtathletik — hat sie alles gemacht. Eine Zeitlang parallel, »ich wollte nie das eine für das andere aufgeben«,
sagt sie. Manchmal holt sie ihre Violine hervor, spielt Bach und
Portnoff, wie früher im Unterricht. David Garrett bewundert
sie dafür, »wie viel der rausholt aus der Geige.« Weil sie selbst
richtig gut werden wollte in einer Sache, legte sie sich mit 14
fest, Tennis. »Ich habe immer die Herausforderung gesucht,
beim eins-zu-eins finde ich sie.«
Ihre Duelle entscheidet sie meist für sich. Nach etlichen Erfolgen bei den Junioren gewann sie 2010 ihr erstes ITF-Turnier. Im
vergangenen Jahr belegte sie Platz eins auf der DTB-Bestenliste
der Spielerinnen unter 18. »Eins der größten deutschen Talente«, sagt Barbara Rittner über sie.
Wenn Annika abends im Bett liegt und den Krimi beiseite
legt, kreisen die letzten Gedanken des Tages oft um das große
Ziel: Zu den besten fünf der Welt gehören. Wenn am Morgen
darauf um 7 Uhr der Wecker schrillt, beginnt sie wieder, dafür
zu schuften. Aus dem Pyjama schlüpft sie in die Jogginghose,
eine Runde durch den Wald, das Elternhaus liegt am Bonner
Stadtrand. Zum Frühstück: Käse, Milch, Vollkornbrot. Nutella ist
33
Nebenplatz
Titel /
VI ELREN
TA
FÜR
T BLIN DT EX T
12:13
BLINDTEXT
Igniamcon veriusciliulla faccum
ipis Ecilis nulla
faccum autausciliulla faccum ipis
autascilis nulla
faccum ipis
HEFT IN DER HAND
Annika gilt als äußerst
intelligente Spielerin.
Das Abitur schaffte
sie mit 17 Jahren,
Notenschnitt: 1,4.
tabu. Lust auf Süßes, sagt sie, »ordne ich meinem Ziel unter.«
Sechs Stunden mindestens pro Tag verbringt sie in der Tennishalle, oft mehr, so wie heute. Auf dem Nebenfeld spielen Mitschüler
Fußball. Eines der Mädchen kreischt, als sie neben den Ball tritt.
Der Junge aus ihrem Team bewirft sie mit seiner Kappe, was abermaliges Kreischen nach sich zieht.
Die Neckereien ereignen sich abseits von Annikas Aufmerksamkeit. Sie streicht sich eine Strähne hinter das linke Ohr und
retourniert den nächsten Ball. Drei Trainingspartner hat sie in den
vergangenen anderthalb Stunden verschlissen, müde wirkt sie
nicht. Trainer Orlik meckert trotzdem. »Du stehst zu weit hinten!«,
mahnt er. »Wenn du den Ball erst so tief triffst, hat dein Schlag
kein Gewicht.«
Annika weiß um ihre Schwächen. »Ich muss ein druckvolleres
Spiel entwickeln, brauche mehr Drang nach vorn«, sagt sie später.
»Mir fällt das schwer, aber ich merke: Nur so mache ich Punkte."
Entspricht nicht ihrem Naturell, in die Offensive zu gehen. »Auf
dem Platz bin ich eher ruhig, ich habe jedenfalls noch nie meinen
Schläger geschmissen«, sagt sie. Überhaupt sei sie »keine, die
auftrumpft«. Sie erzählt das über einem Teller gebratener Nudeln,
Mittagspause beim Chinesen nahe der Trainingshalle. Immer
34
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
TEMPO MACHEN
Zur morgendlichen Laufrunde
muss sie niemand zwingenSelbstdisziplin ist eine wesentliche Stärke der 18-Jährigen.
SCHLÄGERTEST
Jeder Schläger wird genau auf
Annika eingestellt.
35
Nebenplatz /
TA L EN T
SPIELPAUSE
NUR GUCKEN
Kopf- statt Beinarbeit: Eine
Partie Karten gilt in der
Trainingsgruppe als festes
Mittagsritual.
18:26
wieder sieht sie zum Nachbartisch, an dem ihre Trainingskameraden über einem Kartenspiel hocken, Stiche raten. Ein harmloses
Vergnügen, ihre Vorstellung von Spaß.
15:45
36
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
GEfRAGT
»Eines der größten deutschen
Talente«, sagt
Barbara Rittner
über Annika Beck.
Mit ihren Freundinnen geht sie Klamotten kaufen, ins Kino.
Wilde Partys sind ihre Sache nicht. »In einem Club bin ich noch
nie gewesen«, sagt sie, »und ich glaube nicht, dass mir etwas
entgeht.« Ihre Grenzen lotet Annika auf dem Tennisplatz aus.
Entscheidungen trifft sie nüchtern. Ihr Gymnasium wählte sie
damals selbst, die Liebfrauenschule in Bonn, weil dort nur Mädchen lernen. »Mädchen führen immer ordentlich Heft, erklärt sie.
»War dadurch einfacher für mich, den Stoff nachzuholen.« Die
Schulzeit wurde von einem straffen Trainings- und Turnierplan
begleitet. Ohne die Doppelbelastung wäre ihr wohl auch langweilig geworden; in der zehnten Klasse bat sie den Lehrer, eine Stufe
überspringen zu dürfen. Mit 17 hielt sie ihr Abiturzeugnis in den
Händen, Notenschnitt: 1,4.
Auf die Frage nach einem Freund antwortet sie erwartungsgemäß; »dafür habe ich keine Zeit.« Dabei röten sich ihre Wangen
und man ist erleichtert, dass so etwas wie jugendliche Scham
durch die Professionalität schimmert.
Enge Beziehungen pflegt sie zu anderen: Während viele Teenager sich abnabeln vom Elternhaus, mit ihren »Alten« möglichst
wenig zu tun haben wollen, wachsen die Becks weiter zusammen.
Annikas Ambitionen haben aus ihnen ein Familienunternehmen
gemacht. Mutter Petra chauffiert die Tochter zum Training und
zurück, 200 Kilometer jeden Tag. »Und der Papa ist Zeugwart«, sagt
Johannes Beck. Vor Turnieren zieht er sich nächtelang in den Keller
zurück, Schläger bespannen. Wenn Annika mit dem Tenniszirkus
auf Reisen geht, buchen die Eltern vom heimischen PC aus Annikas
Flüge, Hotelbetten und das Restaurant für die Mittagspause.
Dem im Spitzensport gängigen Bild von den übereifrigen Eltern
entsprechen die Becks nicht. Wenn Bekannte dem Werdegang der
Tochter Bewunderung zollen, relativiert der Vater und erklärt, dass
Annikas persönliches Glück nicht vom Tennis abhänge. »Annika soll
jetzt erst einmal ihren Weg gehen. In ein paar Jahren schauen wir
noch einmal«, sagt er dann.
Scheint, als habe sich nicht allzu viel geändert seit dem Tag der
Seepferdchen-Prüfung. Den Sprung ins kalte Wasser muss Annika
allein wagen, die Eltern wachen vom Beckenrand darüber, dass sie
nicht untergeht.
Ab und zu sprechen sie am Abendbrottisch über Alternativen zur
Tennislaufbahn. Illusionen macht sich keiner, der Vater hat kalkuliert: »Vom Tennis leben können nur die besten 100, alle anderen
zahlen drauf.«
Seine Frau und er lehren Chemie an der Universität Bonn. Manchmal
nehmen sie die Tochter mit in den Hörsaal oder zeigen ihr das Labor.
»Wir haben versucht, unsere Annika heranzuführen, aber sie beißt
nicht richtig an. Sie fragt immer nur, was wir da für komische Sachen
machen«, sagt Johannes Beck amüsiert.
Irgendwann wolle sie studieren, meint Annika. Physik vielleicht oder Politik. Momentan aber sei der Sport ihr Leben.
Nach zwei Tagen trainingsfrei lodere es in ihr, »dann will ich wieder
was machen, aktiv werden, auf dem Platz stehen.«
Sie strahlt, als sie das sagt, es ist das Strahlen einer hoffnungsvollen,
glücklichen Jugendlichen. Und was das ist, eine glückliche Jugend,
hat Annika längst entschieden für sich.
An freien Tagen geht Annika mit
ihren Freundinnen ins Kino oder
Klamotten kaufen. Zeit für einen
festen Freund bleibt nicht.
DAS IST
ANNIKA BECK
Tennisakademie
Das Tennisspielen begann die gebürtige Gießenerin
mit 4 Jahren. Auf eine Ausbildung an Tennisschulen in
den USA oder Spanien verzichtete sie, weil die Familie
gemeinsam entschied: Abitur ist wichtiger. Sie spielt
für den RTHC Leverkusen, trainiert mit 20 anderen Talenten in der Tennisakademie von Eduard Davydenko
und Robert Orlik.
Nerventraining
Da sie öfters das Lampenfieber plagt, arbeitet sie mit
einem Mentaltrainer zusammen. Was ihr hilft vor dem
Spiel: fünf Minuten in eine stille Ecke hocken, auf die
eigenen Stärken besinnen — dazu Musik auf die Ohren.
Auf der Playlist: Kate Perry, Lady Gaga, Rihanna.
Skype-Schalte
Im Turnieralltag unverzichtbar ist die allabendliche
Laptop-Konferenz mit den Eltern. Wie lief das Match
heute, was steht morgen auf dem Programm? Und
immer muss auch ihr Chihuahua »Patch« vor die WebKamera am anderen Ende. »Schade, dass der nicht
sprechen kann« sagt Annika.
37
Nebenplatz
Titel /
VIIELRDCARD
W
FÜR BLIN DT EX T
DAS
GROSSE LOS
Mit einer Wildcard zu den Profis — das ist
der Traum vieler junger Spielerinnen.
Für Julia Kimmelmann wurde er Wirklichkeit
Text David Weyand
>Im April 2010 erlebt Julia Kimmelmann die erste große Beförderung
ihrer noch jungen Karriere. Da ist sie 16
Jahre alt. Sie erinnert sich noch genau,
wie sie auf dem Centre-Court in Stuttgart die ersten Bälle schlagen darf, erst
Vorhand, dann Rückhand, ihr erstes
Aufschlagsspiel, ein As ist auch dabei.
67 Minuten steht sie auf dem Platz,
sie genießt jede einzelne davon. Nach
jedem Punktgewinn applaudieren die
rund einhundert Zuschauer, wildfremde
Menschen rufen ihren Namen, wedeln
mit Schildern auf denen »Julia« steht.
Obwohl sie den meisten unbekannt sein
müsste, strecken sich viele nach dem
Match über die Absperrung, um ein Autogramm zu ergattern. »Das war Wahnsinn,
echt irre«, erinnert sich die 18-Jährige
heute und schüttelt den Kopf. Dass sie,
das unbekannte Nachwuchstalent aus
Leverkusen, überhaupt beim Porsche
Grand Prix teilnehmen durfte, verdankte
sie einer Wildcard.
Im Auftaktspiel siegt sie souverän
gegen die viel erfahrenere deutsche
Profikollegin Julia Schruff. Und auch das
folgende Spiel gegen die junge Tschechin
Pochabova gewinnt die groß gewachsene
Julia durch ihr aggressives und offensives
Spiel, bei dem sie immer wieder ans Netz
stürmt. Erst in der dritten Begegnung,
der letzten Hürde vor der Hauptrunde,
scheitert Julia. Nicht allein an ihrer Gegnerin: Seit längerem laboriert sie an einer
Rückenverletzung, nach drei intensiven
Spielen fehlt die Kraft zum endgültigen
Durchbruch. Dennoch strahlt ihr kindliches Gesicht, wenn sie von ihrer ersten
Wildcard bei einem der großen Turniere
erzählt: »Zum ersten Mal hab’ ich mich
gefühlt wie eine richtige Profispielerin.«
WIE GEBANNT
Julia Kimmelmann
beim Porsche Grand
Prix in Stuttgart.
38
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Wildcards gibt es bei allen TennisTurnieren, auch in anderen Sportarten
wie Golf oder Radsport. Junge Talente,
Lokalmatadoren oder ehemalige Champions, die sich sportlich nicht qualifizieren konnten, bekommen einen Platz im
Feld, obwohl ihre Ranglistenplatzierung
dafür nicht ausreichen würde. Etwa auch
Justine Henin. Nach langer Verletzungspause und furiosem Come-back erhielt
die ehemalige Weltranglisten-Erste aus
Belgien für das Turnier in Stuttgart 2010
eine Wildcard — und gewann. Es war das
erste Mal in der Geschichte des Turniers,
dass eine Spielerin mit »Freilos« am Ende
ganz oben stand. Wer eines bekommt,
darüber entscheidet die Turnierleitung
nach Rücksprache mit DTB, Landesverbänden und Bundestrainern. Die Anzahl
variiert je nach Größe des Hauptfeldes:
In Stuttgart treten 32 Spielerinnen an,
bis zu vier erhalten eine Wildcard für
die Hauptrunde, vier gibt es auch für die
Qualifikation. Junge Talente wie Julia Kimmelmann bekommen so die Möglichkeit,
sich an ein höheres Niveau heranzuspielen und Erfahrungen zu sammeln. »Das
kann einen enormen Motivationsschub
auslösen«, sagt ihr Trainer Robert Orlik.
Seit Julia sechs ist, spielt sie Tennis.
2009 ihr erster großer Erfolg: Deutsche
U-16 Hallenmeisterin. Dass sie auf dem
richtigen Weg ist, zeigt die regelmäßige
Berufung ins Junior Fed Cup-Team. Cheftrainerin Barbara Rittner entscheidet in
Absprache mit den Stützpunkt-Trainern,
wer eine Wildcard für Stuttgart bekommt.
Im Frühjahr 2010 gewinnt Julia die Deutschen U-18 Hallenmeisterschaften im
Einzel und Doppel. Rittner schickt ihr eine
SMS, gratuliert und teilt ihr mit, dass sie
sich mit dieser Leistung eine Wildcard für
das Turnier bei den Großen verdient habe.
Es ist ihre große Chance, darauf hat sie all
die Jahre hingearbeitet. Endlich kann sie
zeigen, dass sie eine der besten Nachwuchsspielerinnen des Landes ist. Die
Nach Rückenproblemen musste sie
pausieren, doch Trainer Orlik ist
sich sicher: »Julia kommt zurück.«
unzähligen Trainingsstunden auf dem
Platz, die Qualen, der Muskelkater, die
Zweifel sind einer unbändigen Euphorie
gewichen. »Ich hab’ mich unglaublich
gefreut, dass ich da spielen durfte. Die
folgenden zwei Nächte konnte ich nicht
mehr schlafen«, erinnert sich Julia.
Mit ihrem Einzug in die 3. Runde der
Qualifikation — als einzige Deutsche
— beweist Julia, dass ihre Nominierung
gerechtfertigt ist. Ärgerlich nur, dass
Rückenschmerzen sie just in dem
Moment behindern, als sie den Sprung
in das Hauptfeld vor Augen hat. Wegen
chronischer Sehnenschmerzen in der
rechten Hand, deren Ursache nie ganz
geklärt werden konnten, schlägt sie
ihre Rückhand seit ein paar Jahren nur
noch mit links statt beidhändig. Nur ganz
wenige Frauen — früher etwa Steffi Graf
— benutzen diese technisch viel schwierigere Schlagvariante heute noch. Die
Umstellung warf sie um Monate zurück,
Angst um ihre Tenniskarriere hatte sie
dennoch nicht. »Im Training schonte
ich die rechte Hand und retournierte
mit links viele hundert Bälle extra, bis
die einhändige Rückhand saß«, sagt sie
unbekümmert. Nach dem Ausscheiden in
Stuttgart musste sie wegen der Rückenprobleme drei Monate pausieren. Doch
Trainer Orlik ist sich sicher: »Sie ist eine
Kämpfernatur, die sich von Verletzungen
nicht unterkriegen lässt. Sie kommt
wieder.«
Und er hat Recht. Nach ihrer Genesung
kämpft sich Julia in der zweiten Jahreshälfte 2010 an alte Erfolge heran. Und
bekommt 2011 zum zweiten Mal eine
Wildcard für Stuttgart. »Dafür hab’ ich
alles gegeben, ich wollte da wieder hin!«,
sagt sie. Zwar verliert sie gegen Anna
Chakvetadze, eine ehemalige Top-TenSpielerin, ist aber zufrieden mit ihrer
Leistung: »Spielerisch konnte ich absolut
mithalten, nur Kraft und Ausdauer reichten noch nicht für das oberste Level«.
Schon im Mai und Juni steht sie jeweils
im Halbfinale der 10.000-Dollar-Turniere
in Bukarest und Madrid, im November in
Stockholm. In der Weltrangliste klettert
sie auf Platz 607. Persönliche Bestleistung. Und dass, obwohl nebenbei noch
der Schulabschluss ansteht. Für die ehrgeizige Julia Kimmelmann auch das kein
Problem: Sie baut ein Einser-Abitur.
39
VI ENS
FA
R FÜR BLIN DT EX T
Das Stimmungsprojekt:
Sabine Lisicki mit jungen Fans beim
Turnier in Stuttgart.
»Go,
Lissi, Go!«
Center Court
Titel /
01
VI ENC
FA
R LUB
FÜR BLIN DT EX T
Center Court /
Das kann LAUTER werden:
Organisierte
FanCLUBS
sollen dem
biederen Tennispublikum
einheizen
02
03
01 Schnyder auf dem
Schläger: Die beste
Schweizerin Patty
Schnyder mit ihren Fans.
02 Samantha Stosur mit
Aussie-Fans.
03 Serena Williams (USA)
streichelt die Stars-andStripes-Flagge.
04 In Stuttgart ist Tennis
eine ganz große Nummer.
05 Caroline Wozniacki
(Dänemark) lässt
sich feiern: »Let's go«.
04
42
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
05
Text David Krenz
FOTO Paul Zimmer
> Im Fußballstadion herrscht nicht nur auf dem Rasen
Rivalität. Die Fans beider Teams duellieren sich darin, wer
lauter singen, schreien, tosen kann. Die unterlegene Kurve
wird mit Spott überhäuft: »Ihr seid nur ein Tennispublikum!«
Wahrlich, die Freunde des Tennissports sind nicht für
Ekstase berüchtigt. Statt bunter Fahnen schwenken die Besucher Champagnergläser hin und her, meint man. Im geistigen Ohr klingt eher vornehmer Applaus als Schlachtgesang.
Um mit dem biederen Bild zu brechen, wird der Nachwuchs
mobilisiert. Beim Porsche Tennis Grand Prix läuft seit 2006
das Fan-Projekt »Players Cheer-up«. Die Jugendabteilungen
der regionalen Tennisvereine können sich dafür bewerben,
bekommen vor Turnierbeginn eine Spielerin zugelost, die es
nach Leibeskräften zu unterstützen gilt. Jeder Spielerin ihr
Fanclub, lautet die Devise.
Organisierte Ovationen — klingt ein wenig nach den
inszenierten Jubelparaden in Nordkorea. Doch die jungen
Fans freut es. »Wir haben die Arena gerockt«, sagt Matthias
Althöfer, 17 Jahre alt und Einpeitscher der Fangruppe vom
Tennisclub Winnenden. Im vergangenen Jahr hatte ihnen
das Losglück Sabine Lisicki beschert. Eine Deutsche, wie
praktisch: Die Devotionalien der letzten Fußball-WM wurden
hervorgekramt, Matthias stülpte die schwarz-rot-goldene
Afro-Perücke über.
Während der Matches schmetterten sie: »Marmor, Stein und
Eisen bricht, aber unsere Lissi nicht«, oder schlicht: »Go, Lissi, Go!«. Als einer aus der Gruppe lautstark eine Schiedsrichterentscheidung angezweifelt hatte, habe die Lisicki sogar in
ihre Richtung gegrinst. »War ziemlich cool«, sagt Matthias.
Nicht alle bewiesen ein Herz für die Ungestümen. Stefan
Böning, Jugendleiter beim TC Winnenden und damals als Betreuer dabei, berichtet von Zuschauerbeschwerden, »vor allem
von geschniegelten älteren Herrschaften mit Krawatte um den
Hals.« Einige hätten sich »kopfschüttelnd einen anderen Platz
gesucht«, sagt er.
Man weise die Besucher auf den entsprechenden Plätzen darauf
hin, dass sie neben einer Fangruppe sitzen, heißt es bei der
Turnier-Organisation.
Beim Württembergischen Tennis-Bund freue man sich zwar
über die »bunt geschmückten Exoten«, wie Pressesprecher
Alexander Adam versichert. Er fügt jedoch an: »Es darf nicht
ausufern.«
Negativbeispiel sei die Daviscup-Begegnung in Bamberg
gewesen, als sich einige Basketballfans unter das Publikum
gemischt und permanent gejohlt hätten. Man müsse sich den
Gepflogenheiten des Sports anpassen. »Es kann gern gejubelt
werden«, sagt Adam, »aber Jubeln geht auch im Sitzen."
Offenbar möchte man auch die Leute von hohem Rang nicht verschrecken. »Es ist nun einmal so: Die Gäste auf der Ehrentribüne
haben einen hohen Preis bezahlt, erwarten ein Exklusiverlebnis
und die entsprechende Atmosphäre«, sagt Adam. Es sei allerdings nicht abzusehen, dass das angestammte Publikum vom
jungen Feiervolk verdrängt würde. Allein schon wegen der Eintrittspreise. 70 Euro kostet das Ticket für eine Viertelfinalpartie.
Dabei haben die Fan-Aktionen das Potential, die Jugend für
Tennis zu begeistern. Auch beim Mercedes-Cup soll diesmal ein
»Cheer-up« laufen, »es kann nicht sein, dass es immer nur ruhig
zugeht«, sagt Turnierdirektor Erwin Weindorfer. Am Hamburger
Rothenbaum wurde 2011 zu sämtlichen Spielen auf den Nebenplätzen freier Eintritt gewährt.
Tennis soll zum Erlebnis für jedermann werden. Die Faszination
erschließt sich einem Neuling leichter, wenn die Kulisse stimmt.
Von den Abertausenden, die sich 2006 von der Euphorie des
WM-Sommermärchens anstecken ließen, konnte vielleicht nicht
jeder die Abseitsregel aufsagen, zum Feiern war die auch nicht
vonnöten.
Scheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass auch im Tennis der
Funke überspringt. Manche Leute seien zwar arg »schlaftablettig« gewesen, erzählt Matthias, »aber andere haben mit uns
applaudiert und gesungen, die konnten wir mitreißen.« Und
Betreuer Stefan Böning sagt, er sei jahrelang nur neutraler Tennisbeobachter gewesen, »aber die Cheer-up-Geschichte hat den
richtigen Kick gebracht, plötzlich habe ich mitgefiebert.« Mit den
gegnerischen Fans habe man sich lautstarke »Battles« geliefert.
Eindrücke wie aus dem Fußballstadion. Doch während dort
die eingefleischten Anhänger fürchten, von den Auswüchsen
der Kommerzialisierung und vom gut betuchten Klatschpublikum verdrängt zu werden, scheint es beim Tennis umgekehrt
zu sein.
Den richtigen Umgang mit dem unbekannten Wesen »Fan«
müssen die Tennisveranstalter offenbar noch lernen: In der
Porsche-Arena tönte während jeder Spielunterbrechung Musik
aus den Boxen. »Von unseren Gesängen war da nicht mehr viel
zu hören«, sagt Böning.
43
Nebenplatz /
JU NGE KARRIE RE
01 Händchenhalten
als Dehnübung vor
dem Training.
Rittner mit breitem Grinsen eine geniale
Rückhand. Sonst sagt sie nicht viel. Hände lässig in den Hosentaschen, tauscht
sie sich in gedämpftem Ton mit Orlik aus.
Ihre Analysen wird sie später mit den
jeweiligen Heimtrainern besprechen.
02 Auf dem Platz
ist dann jede ganz
allein.
03
01
02
Text Agnes Fazekas
Foto Antonia Zennaro
Einmal im Jahr
lädt die Bundestrainerin den
besten Nachwuchs zum
Vorspielen ein.
Wir waren dabei.
Rittners
TalentSchuppen
44
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Die Chefin:
Büschl Open, im Münchner Norden.
Klingt niedlich, ist aber das wichtigste
Nachwuchsturnier in Deutschland,
Gesamtpreisgeld: 50.000 Dollar. Heute
entscheidet sich hier noch viel mehr:
Bundestrainerin Barbara Rittner will
vier Talente testen, ob sie für eine ProfiKarriere taugen. Haben sie genug Biss
und Persönlichkeit? Bevor das Turnier
startet, schaut sich Rittner darum Annika, Carina, Christina und Sina genau an.
Barbara Rittner hat 15 Jahre Profitennis
gespielt, sie ist vier Jahre jünger als
Steffi Graf und wirkt wie eine, die gern
ihr Auto repariert und trotzdem Geschäftsfrau sein kann. Markante Züge,
offene grüne Augen, Kapuzensweater
in Flieder. Dazu eine raue Stimme, die sie
heraus schnoddert wie auf einem Fischkutter. Immer mit dabei ist ihr Hündchen
Sophie.
Die vier Mädchen:
Die jungen Frauen sind die Besten ihrer
Jahrgänge: 1992 bis 1995.
Annika Beck, 18, aus Bonn, hat eine
Klasse übersprungen, startet beim
Turnier im Hauptfeld, sie ist klein,
dunkelhaarig, gilt als zäh. Trägt lange
Locken und Glitzerohrringe. Gefürchteter Aufschlag. Will unbedingt unter die
Top 5 der Weltrangliste.
Carina Witthöft, 16, aus der Nähe von
Hamburg, muss sich für das Turnier erst
noch qualifizieren. Groß, blond, athle-
tischer Körper. Ihre bunten Kinesiotapes
an Schulter und Knie sehen aus wie
Kriegsbemalung.
Christina Shakovets, 17, genannt »Shako« aus Lörrach, kurze blonde Haare, Tatoo, spielt im Turnier mit einer Wildcard.
Sina Haas, 19, Mannheim, ein Bänderriss
legte sie für Monate lahm, sie spielt mit
einer Wildcard.
Die Kriterien:
Wie erkennt man, wer Talent hat? »Da
ist ganz viel Bauchgefühl dabei«, sagt
die Bundestrainerin. Sie beurteilt, wie
willensstark die Mädels sind, ob sie sich
quälen können und ob das von Innen
kommt. Bei vielen stehen die Eltern am
Rand, und man merkt, die Kinder tun
das nur für die. »Ich lass sie auch mal
Fußballspielen, um zu sehen, wer gerne
beißt. Ich erlebe sie in extremen Situationen. Nach ein paar Tagen Lehrgang
weißt du alles über sie!«
Die Eltern:
Gaby Witthöft muss hinter der Scheibe
zuschauen. Sie ist nicht nur Carinas
Mutter, sie ist auch ihre Trainerin.
Rittner möchte keine Heimtrainer bei
ihren Lehrgängen dabei haben, sie will
den Mädchen nahekommen, ohne dass
sich die Kompetenzen vermischen. Eine
Ausnahme macht Rittner für ihren alten
Freund Robert Orlik, er ist Trainer von
Annika, der ihr assistiert.
»Als sie jünger waren, war die Konkur-
renz unter ihnen viel härter. Jede hat für
ihren Verein gespielt. Heute herrscht
dagegen eine sehr nette Stimmung«, erzählt Gaby Witthöft. »Ich habe übrigens
keine Profikarriere für Carina geplant,
als sie vier war«, fügt sie hinzu, als
müsse sie sich verteidigen.
Das Training:
Trainer Orlik scheucht die vier erstmal
zum Aufwärmen mit einer Frisbeescheibe durch die Halle. Orlik öffnet die
Blechdosen mit den Bällen. Carina soll
gegen Annika, Sina gegen Christina
spielen. Die große blonde Carina mit dem
athletischen Körperbau gegen die die
kleine Dunkle mit der Disziplin. »Was‘n
Brett!«, ruft Rittner begeistert. Sina und
Christina spielen auf der anderen Seite.
»Du bist so ein Zocker, Shako, ich wusste, dass du den spielst«, kommentiert
Das Abendessen:
Mädelsrunde zum Abendessen im
Vereinsheim: Alle haben sich herausgeputzt. Sie gehen den Spielplan durch.
Rittner sagt zu Christina: »Du hast doch
schon gegen die gespielt, gib mal Tipps.«
Christina in Komikerlaune: »Kenn ich wie
meine Westentasche.« Überlegt: »Linkshänderin«, überlegt weiter: »Die hat'n
Schuss.« Vor Rittner muss man kein Blatt
vor den Mund nehmen, heute Abend
gibt sie die reife Freundin und guckt sich
geduldig Fotos auf den iPhones ihrer
Schützlinge an. Am Tisch sitzen vier ganz
normale Mädels, die gespannt zuhören,
als Rittner von den Großen erzählt.
Wenn Petko immer zu spät kommt und
sie dafür 50 Euro Strafe bezahlen muss.
Und wenn die Görges immer den iPodStöpsel im Ohr hat und Rittner ihr den
manchmal rausreißen muss, um zu ihr
durchzudringen.
Das Turnier:
Am nächsten Tag ergattert Carina Witthöft bei der Quali den letzten Platz im
Hauptfeld. Im Achtelfinale fliegt sie raus.
Annika schafft es bis ins Viertelfinale —
ein Riesenerfolg. Alle vier Spielerinnen
fahren mit dem Gefühl Nachhause,
wieder einen Schritt nach oben gemacht
zu haben — auch wenn der Weg bis in die
Weltrangliste noch weit ist.
04
03 Annika Beck
im Gespräch mit
Barbara Rittner (r.).
04 Rittner erzählt
den Mädels von
Görges und Co.
45
Center Court
Titel /
VI E RLST
ROL
FÜR
UHBLIN
LT E NDT
NIEX
S T
Seit 13 Jahren führt sie die
Weltrangliste im Rollstuhltennis an, seit 9 Jahren hat
sie kein einziges Spiel verloren, 444 Siege in Folge.
Die Niederländerin Esther
Vergeer ist die dominanteste Profisportlerin der Welt.
Was macht sie so gut?
Die
Unschlagbare
Text Julius Schophoff
Foto Lukas Coch
46
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Die 31jährige Esther
Vergeer ist eine absolute
Ausnahmespielerin ...
... selbst ihr Rollstuhl
signalisiert, dass niemand
anders so schnelle Bälle
schlägt .
47
Center Court
Titel /
VI E RLST
ROL
FÜR
UHBLIN
LT E NDT
NIEX
S T
Gegen Esther zu verlieren
ist keine Schande: Nach
17 Minuten steht es 6:0.
Besprechung am Spielfeldrand mit ihrem Vater.
48
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
>Rollstuhl-Damentennis muss deprimierend sein. Ohne Satzverlust zieht die
Niederländerin Aniek van Koot ins Endspiel der Australian Open 2012 ein, und
dann das: 0:6, 0:6. Und das Schlimmste
daran: Das ist ein Erfolg. Denn damit hat
sie alles erreicht, was in ihrem Sport derzeit möglich ist. Sie ist die Nummer zwei.
Die Nummer eins heißt seit 13 Jahren ununterbrochen Esther Vergeer. Die 31-jährige Niederländerin hat seit neun Jahren
kein einziges Spiel verloren, das Endspiel
von Melbourne war ihr 444. Sieg in Folge.
Von einer anderen Liga zu sprechen, träfe
es nicht. Schon eher von einem anderen
Stern. »She owns her sport!« schreibt
die New York Times. Der britische Observer fragt: »Ist sie die größte Sportlerin
der Welt?«
Ein Jahr zuvor, bei den Australian
Open 2011, stand die Australierin Daniela Di Toro im Finale, 0:6, 0:6. Nach dem vorangegangenen Finale der US Open 2010,
0:6, 0:6, wurde Di Toro gefragt, wie gut
diese Vergeer denn nun ist. »Oh bitte«,
sagte sie und rollte mit den Augen, als ob
sich die Frage verbiete, »besser kann man
nicht spielen!« Sie muss es wissen: In der
Ära vor Vergeer war sie die Nummer eins,
und sie war auch die letzte, die die Niederländerin geschlagen hat. Nur scheint
sie sich daran kaum zu erinnern: »Es fühlt
sich, als sei es ein ganzes Leben her.«
Es war das Erstrundenmatch der Australian Open 2003 und Esther Vergeer
sträubt sich noch heute, wenn sie daran
denkt. Mitte Dezember 2011 rollt sie in
die Players Lounge des Topsportcentrum
Rotterdam, wo die niederländische Meisterschaften steigen. Beim Handschlag ist
man froh, dass sie nicht ernst macht: Ihre
Handteller sind riesig, die Oberarme haben
das Kaliber der Williams-Schwestern.
Sie hat freundliche, wache Augen und
lacht viel, aber auf ihre letzte Niederlage
angesprochen, wird sie schlagartigernst:
"Ich war nicht vorbereitet« sagt sie,
»ich flog vom holländischen Winter in
australischen Sommer, war nicht daran
gewöhnt, draußen zu spielen, bei Wind
und Sonne. Ich hätte früher hinfliegen
müssen!« Sie verlor glatt in zwei Sätzen.
Und sie hasst es, zu verlieren. »Es war
meine eigene Schuld! Aber seitdem weiß
ich: Ich muss mich auf jedes einzelne Spiel
perfekt vorbereiten.« Die letzten 444 Mal
hat es geklappt.
Doch Vergeer geht es nicht um ihre
Siegesserie. Die genauen Zahlen ihrer
Rekorde kennt sie nicht, und wenn man
ihr vorliest, dass sie einmal 250 Sätze in
Folge gewann oder dass sie in vier aufeinanderfolgenden Grand Slam Finals kein
einziges Spiel abgab, lässt sie sich erstaunt
die Statistiken zeigen und sagt: »Wow!
Nicht schlecht, oder?« 113 internationale
Turniere in Serie hat sie gewonnen, davon
zwei Mal die Paralympics, im September
2012 will sie die dritte Goldmedaille in
London. Aber eigentlich, sagt sie, gibt es
nur eines, was sie wirklich motiviert: »Ich
will mich verbessern!«
Schlechte Nachrichten für die Konkurrenz. Der bleibt oft nichts als Bewunderung: »Egal, welchen Sport Esther
gewählt hätte«, sagt Di Toro, »sie wäre
überall herausragend! Sie ist eine der wenigen, die für den Rollstuhlsport geboren
sind.« Das stimmt, auf tragische Weise.
Esther Mary Vergeer kommt am 18.
Juli 1981 mit einem Geburtsfehler zur Welt. Zunächst bemerkt das
niemand, doch als sie mit sechs Jahren
für die Seepferdchen-Prüfung schwimmen übt, bekommt sie plötzlich starke
Kopfschmerzen. Sie steigt aus dem
Becken, um sich auszuruhen — und wird
ohnmächtig. Im Krankenhaus fließen
große Mengen Blut aus ihrem Kopf ab,
nach sechs Wochen wird sie entlassen.
Erst zwei Jahre später, nach drei weiteren
Zusammenbrüchen, finden die Ärzte die
Ursache: An ihrem Rückenmark haben
sich Blutgefäße zu einem Aderknäuel
verknotet; wenn sie unter Druck geraten,
platzen sie. Es ist eine Zeitbombe. Und
es gibt zwei Möglichkeiten: Zu warten,
bis sie wieder explodiert — oder sie zu
entschärfen. Familie Vergeer entscheidet
sich für die Operation. Als sie aus der Narkose erwacht und man ihr routinemäßig
Stecknadeln in die Fußsohlen piekst, regt
sich keine Zehe. Esther Vergeer ist acht
Jahre alt und unterhalb des dritten Lendenwirbels, Höhe Bauchnabel, gelähmt.
Duschen, Anziehen, ein Glas aus dem
Schrank holen, nichts ist mehr so wie
früher. Während die anderen Verstecken
spielen, wird sie angestarrt und ausgefragt. Nur beim Sport guckt sie niemand
schief an. Schnell wird man auf ihr Talent
aufmerksam, ihren Ehrgeiz, ihren Willen.
Als sie elf ist, klopft der Rollstuhl-Basketball-Verein an, schon bald spielt sie in
der Nationalmannschaft. Mit 16 Jahren
gewinnt sie als jüngstes Teammitglied die
Europameisterschaft 1997. Doch sie mag
es nicht, von Mitspielerinnen abhängig zu
sein. Mit 17 gibt sie das Basketballspielen
auf und fliegt zu ihrem ersten großen
Tennis-Turnier, den US Open 1998 in
San Diego. Sie erreicht als ungesetzte
Außenseiterin das Finale gegen die Nummer eins, Daniela Di Toro. Und gewinnt.
Kurz darauf siegt sie auch beim Tennis
Masters, so wie seitdem jedes Jahr, 14
Mal in Folge.
49
Center Court
Titel /
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FÜR
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Abschlusstraining vor dem Halbfinale, Centre Court in Rotterdam: Vergeer
fährt Achten entlang der Grundlinie,
nach fast jeder Rückhand bringt sie sich
mit einer schnellen Rückwärtsdrehung
wieder in Position. Die Bälle, die sonst
Rocktaschen ausbeulen, klemmen bei ihr
zwischen den Speichen. Die Regeln des
Spiels sind dieselben, mit einer Ausnahme: Der Ball darf zweimal aufkommen,
nur der erste muss im Feld landen. Ihr
Trainingspartner ist ein kräftiger Kerl mit
Glatze, die Beine taub seit einer misslungenen OP am offenen Rücken. Vier
Mal in der Woche trainieren die beiden,
manchmal zählen sie Punkte. Es ist
knapp, aber er gewinnt öfter. Der einzige
Grund, warum sie das erträgt: Er ist die
Nummer eins der Männer-Weltrangliste,
Maikel Scheffers.
Vergeers heutige Gegnerin sitzt unterdessen in der Players Lounge und wartet
auf einen freien Trainingsplatz. Sharon
Walraven, Nummer 8 der Welt, vor 18
Jahren beim Eislaufen gestürzt, ist mit
41 Jahren die Seniorin der Tour. Sie weiß,
wie es ist, gegen Vergeer zu gewinnen:
Sie schlug sie im Paralympics-Finale von
Peking 2008 — im Doppel, dort ist sie die
Nummer eins. Der letzte Einzelsieg ist
schon zwölf Jahre her, und das, obwohl
sie bei fast jedem Turnier aufeinander
treffen.
»Natürlich ist es hart, gegen Esther zu
spielen«, sagt sie, »aber es gibt immer
eine Chance!« Heute will sie sie mit einer
anderen Taktik überraschen. Welche das
ist, will sie vor dem Spiel nicht verraten.
Rund ein Zehntel der 2400 Plätze auf
dem Centre Court der Rotterdammer
Sporthalle sind besetzt, als die beiden Kontrahentinnen aufs Feld rollen.
Vergeer im engen pinkfarbenen Shirt
und weißen Tennisröckchen; Walraven
in grauem Schlabber-Shirt und langer
schwarzer Jogginghose. Nach 17 Minuten
ist der erste Satz gelaufen. 6:0 Vergeer.
Sie hat den besseren Aufschlag und den
besseren Return, sie ist wendiger und
schneller, schlägt härter und platzierter,
ihre Rückhand ist stärker, ihre Vorhand
auch. Doch nichts davon kommt zur
Sprache, wenn man nach ihrem größten
Vorteil fragt.
»Es ist ihre mentale Stärke«, sagt
Nationaltrainer Marc Kalkman, »die
Fähigkeit, sich zu fokussieren. Da ist sie
50
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
ESTHER
VERGEER
1989 2012
Im Alter von
acht Jahren
wurde Esther
Vergeer an der
Wirbelsäule operiert, seitdem ist
sie querschnittgelähmt.
1996
Die 5-fache
ParalympicsGewinnerin ist
seit 13 Jahren die
Nummer 1; nach
den Spielen in
London will sie im
Sommer ihre
Karriere beenden.
bestreitet
Vergeer, eine erfolgreiche RollstuhlBasketballerin, ihr
erstes internationales Tennisturnier.
allen anderen weit voraus.« Nicht nur
den Kolleginnen im Rollstuhl. Star-Coach
Sven Groeneveld, der in den Neunzigern
Legenden wie Monica Seles und Arantxa
Sánchez Vicario trainierte und Caroline Wozniacki in die Weltspitze führte,
trainiert heute auch Esther Vergeer – um
von ihr zu lernen: »Ich möchte herausfinden, was sie so gut macht. Und es,
wenn möglich, den anderen beibringen.«
Vergeer selbst sagt: »Tennis wird im
Kopf gespielt.« Einige ihrer Konkurrentinnen, sagt sie, sind physisch und
spielerisch genau so stark wie sie, im
Training spielen sie auf Augenhöhe.
»Aber wenn das Spiel beginnt und
Punkte gezählt werden, verlieren sie den
Faden, ihren Fokus, ihren Plan. Ich weiß
auch nicht, warum.«
Was sie meint, zeigt sich im zweiten
Satz von Rotterdam. Ihre Gegnerin Walraven wird stärker, führt in fast jedem
Spiel, im dritten sogar 40:0, drei Break-
points. Doch die folgenden fünf Punkte
macht Vergeer, es steht 3:0. Je wichtiger
der Ball, desto besser spielt sie ihn; je
bedeutender das Spiel, desto stärker wird
sie.
Im Finale von Peking 2008 lag sie im
entscheidenden dritten Satz 4:5 zurück.
Matchball für ihr Gegnerin Korie Holmes.
Für einen Moment begann sie, nachzudenken: Was, wenn ich verliere? Was
werden meine Eltern sagen? Die Medien?
Wird meine Gegnerin weinen? Werde ich
weinen? Und plötzlich fiel ihr auf, dass
sie noch nicht verloren hatte. Sie musste
noch aufschlagen. Der einzige Gedanke,
den sie dann noch zuließ, war: Der Ball
muss im Feld landen und er muss auf ihre
Rückhand gehen. Genau das tat er, der
Return flog ins Netz und wenige Minuten
später gewann sie Gold im Tiebreak.
Das Halbfinale von Rotterdam ist weniger dramatisch, nach 44 Minuten ist
es vorbei, 6:0, 6:2. Eine Viertelstunde
nach dem Spiel hat die unterlegene
Walraven die Jacke schon übergezogen und rollt Richtung Ausgang.
Sie ist kurz angebunden, murmelt
etwas von dem Versuch, auf die
Füße zu spielen, aber dazu sei
sie gar nicht gekommen. »Heute
gab es keine Taktik gegen Esther!«,
sagt sie und dampft ab. Vergeer wird
währenddessen von einer Traube aus
Trainern, Kolleginnen und Freunden
umringt, ein kleiner Junge holt sich ein
Autogramm auf sein Turnierheft.
Esther Vergeer ist der einzige Star im
Rollstuhltennis. Die Sponsoren stürzen
sich auf sie, die Unschlagbare: Adidas,
Mercedes, die Unternehmensberatung
Ernst & Young. Im Oktober 2010 fotografierte sie der US-Sport-Sender ESPN für
sein Magazin »The Body Issue« — nackt.
Ihr Bild schaffte es aufs Titelblatt, das
Presseecho hallte um die halbe Welt.
Vergeer zieht alle Aufmerksamkeit auf
sich; für die anderen bleibt nicht viel
übrig. Trotzdem scheint sie beliebt zu
sein. »Ich mag Esther sehr«, sagt Gegnerin Walraven. »Es gibt keinen Neid im
Team«, sagt Nationaltrainer Kalkman.
Es könnte daran liegen, dass Vergeer
trotz allen Superlativen so normal geblieben ist.
Am Abend lädt sie zu sich nach
Hause, in ihre Heimatstadt Woerden
Von ihrem Küchenfenster
im zehnten Stock in Woerden schaut sie über einen
großen See.
Duschen,
Anziehen, ein
Glas aus dem
Schrank
holen, nichts
ist mehr so
wie früher.
20 Kilometer westlich von Utrecht. Eine
Wand im Flur ist übersäht mit kleinen,
gerahmten Fotos: ihre Eltern, ihr Bruder,
mit Freunden beim Ski-Urlaub. Auf
keinem einzigen sieht man sie mit einem
Tennisschläger. Das Pokalzimmer sucht
man vergeblich; die Goldmedaillen der
Paralympics liegen in einem Karton unterm Bett im Haus ihrer Eltern. Im Wohnzimmer sitzt ihr Freund im Jogginganzug
auf der Couch und sieht fern. Der 33-Jährige ist Physiotherapeut in der Nationalmannschaft, seit drei Jahren sind sie ein
Paar, vor einem Jahr ist er zu ihr gezogen.
Gegenüber, im Kinderzimmer, schläft
zwei Wochen im Monat seine vierjährige
Tochter. »Unser Teilzeit-Kind«, sagt sie,
»mit ihr kann ich schon mal üben.« Sie
wünscht sich eigene Kinder; dass es auf
natürlichem Wege klappt, ist so wahrscheinlich wie bei jedem anderen.
Ihr Selbstbewusstsein spürt man in
jeder Sekunde. Selbst als sie die
Geschichte der missglückten Operation
erzählt, bleibt sie so souverän wie auf
Centre Court.
Ob sie heute glücklich ist? Der Return
kommt schnell und präzise: »Sehr glücklich!« Es mag seltsam klingen, aber die
querschnittsgelähmte Vergeer ist manchmal dankbar für ihr Schicksal. »Sonst
wäre ich vielleicht eine ganz gewöhnliche
Dreißigjährige.«
Sie sitzt in der Küche, durch das Panoramafenster blickt sie über einen großen
See. Als die neue Siedlung vor vier Jahren
fertig wurde, wusste sie gleich, dass sie
hierher ziehen wollte. Nicht in einen der
vielen ebenerdigen Bungalows, sondern
in das einzige Hochhaus. Anfangs hatte
sie auf eine Wohnung im neunten Stock
geboten, doch als der Käufer der obersten
Etage, der zehnten, nicht zahlen konnte,
schlug sie sofort zu. Sie liebt die Aussicht,
sagt sie. Und das Gefühl, niemanden über
sich zu haben.
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52
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Bislang hatte Mattek-Sands, häufig
als »Rockstar des Tenniszirkus«, als
Paradiesvogel oder als die »Lady Gaga
des Tennissports« bezeichnet, die Blicke
eher aufgrund ihres ausgefallenen
Kleidungsstils neben, aber vor allem auch
auf dem Platz auf sich gezogen. Im Finale
von Melbourne trug sie ein tennisballfarbenes Oberteil, einen schwarzen Rock,
schwarze Kniestrümpfe. Beim Oberteil fehlte der rechte Ärmel, damit das
großformatige Tattoo auf der Innenseite
des Arms zu sehen ist. Was nie fehlt: Ihr
Markenzeichen, die »eyeblacks«. Kleine
schwarze Aufkleber unter den Augen, die
ihr das Bedrohliche eines Footballspieler
verleihen. Gemessen an an den Outfits,
die Mattek-Sands in ihrer Karriere bereits
getragen hat, war der Melbourne-Dress
beinahe zurückhaltend.
Im vergangenen Jahr spazierte sie mit
einem neongelben, mit halben Tennisbällen besetzten Kleid von Lady Gagas Designer Alex Noble über den roten Teppich
>Sie sprang fünf mal hintereinander
in die Luft, die Knie fast bis an die Brust
gezogen, bevor sie ihrem Mixed-Partner,
dem Rumänen Horia Tecau, in die Arme
fiel. Bethanie Mattek-Sands hatte soeben
die Australian Open 2012 gewonnen.
Kaum jemand hat das wahrgenommen,
es war schließlich »nur« das Mixed-Finale, das einige Stunden später, nach der
Tennis-Schlacht zwischen Rafael Nadal
und Novak Djokovic, bereits vergessen
war. Für Mattek-Sands, im vergangenen
Jahr kurzzeitig unter den Top-30 der Einzel-Weltrangliste, ist es der bis dato größte Erfolg ihrer Karriere. Ihr Name wird
auf der Trophäe verewigt und steht in
den Statistik-Büchern. Die exzentrischste
Spielerin des Tenniszirkus hat nun auch
sportlich ihre Spuren hinterlassen.
Bethanie
Mattek-Sands,
27, ist die
auffälligste
Spielerin auf
der internationalen TennisTour. An ihrem
knallharten
Aufschlag liegt
das eher nicht
Text Bastian Henrichs
Foto Red Bulletin GmbH/dpa
Auffallen um jeden Preis. Auf einer
Wimbledon-Party trägt Bethanie Mattek Sands
ein Outfit von Lady Gaga-Designer Alex Nobles.
Seitdem hat sie einen neuen Spitznamen.
Sie ist wandelbar, offen für alles und
bereit die modischen Grenzen auf dem
Tennisplatz auszutesten. Sie liebt
Tennis, das Spiel. Was sie nicht mag,
ist der manchmal langweilige Einheitsbrei drumherum, dass man nicht fluchen darf und eben langweilige weiße
Tennisklamotten tragen muss. Wo sie
kann, lebt sie ihre Extravaganz aus —
und sie will noch schriller werden. Mit
Designer Noble hat sie bereits über einen
Dress gesprochen, mit dem sie auf dem
Platz für Furore sorgen will. Sie hat sich
inspirieren lassen von ihrem Lieblingssportler: Box-Champion Manny Pacquiao.
Ein Turnier in einem Box-Outfit zu spielen,
das sei doch mal eine Überlegung wert.
Dass sie nicht nur die Aufmerksamkeit des Tenniszirkus ausnutzt, dass
auch der Privatmensch Mattek-Sands eher
extrovertiert ist, zeigt ein Blick auf ihre
Homepage. Dort stellt sich die 26-Jährige
in aller Ausführlichkeit selbst dar. Mit
Videos, Privatfotos und Texten. Sie führt
ihren Truck vor, dessen Motorhaube auf
Stirnhöhe liegt, und freut sich wenn
Männer staunen, weil sie das Riesenauto
fahren kann. Hinten auf der Ladefläche hat
sich ihre Dogge breit gemacht. Mal trägt
sie die Haare blond, mal fuchsrot oder
schwarz. Auf den Fotos gibt sie mal die
Diva, mal den Punk. »Schon als ich klein
war, interessierte ich mich für Fashion.
Das ist meine Persönlichkeit. Auch wenn
ich nicht Tennis spielen würde, wäre ich
genau so«, sagt sie.
Muster auf. »Ich gehe da raus und bin einfach ich«, sagt die US-Amerikanerin. »Ich
habe gerne Spaß, beim Tennis wie auch im
Privatleben. Manche werden das lieben,
andere nicht, so ist das eben.«
der Pre-Season-Veranstaltung
von Wimbledon. Daher wohl der
Spitzname. Weitere modische Höhepunkte: 2005 bei den US-Open trug sie
einen gestreiften Cowboy-Hut. Sie musste
dafür eine Strafe zahlen. In Wimbledon
spielte sie mal in einer Art Fußball-Dress,
mit hochgezogenen Kniestrümpfen. 2007
trug sie ein knappes Kostüm in Gold, dazu
ein breites goldenes Stirnband. Ein anderes
Mal lief sie in einem Kleid mit Leoparden-
Der Punk des Frauen-Tennis: Mit dem
stets sichtbaren Tattoo am Schlagarm, den
Eyeblacks und Kniestrümpfen inszeniert sich
Bethanie Mattek Sands gerne lautstark — ohne
etwas sagen zu müssen.
Erfolgreich
extrovertiert
L A DY G AG A
Center Court /
53
Off Court /
MODE
Der Mode-Designer
Michael Michalsky
hat die Tennismode mal ganz
genau unter die
Lupe genommen
»Lieber
PolOhemd als
Corsage«
Text Sara Mously
Michael Michalsky in seinem Atelier
in Berlin Mitte: Er mag es lässig.
54
GO SPE ZIAL
Foto Kathrin Harms
>Schriller, knapper, bunter: Die Outfits im Damentennis werden
immer extravaganter. Muss das sein? Wann lenken die modischen Eskapaden vom eigentlichem Thema ab: dem Sport?
Und wo ist das gute, alte Weiß geblieben?
Wir haben Michael Michalsky, 45 gefragt. Der »Mode-Papst«
(Vogue), der unter anderem die Schauspielerinnen Sibel Kekilli
und Jessica Schwarz einkleidet, zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Designern. Unter dem Label »Michalsky« entwirft er
Abendroben, T-Shirts und Business-Kostüme. Weil er »Kleidung
für echte Menschen« machen will, überrascht er den Modezirkus gern mit ungewöhnlich gewöhnlichen Models: über
Sechzigjährige waren schon dabei und ein junger Mann mit
Beinprothese.
Tennis und Michalsky verbindet eine lange Tradition: Als kleiner
Junge liebte er es, sich Spiele am Hamburger Rothenbaum
anzugucken. Später leitete er jahrelang die Designabteilung von
Adidas, wo er eng mit Steffi Graf zusammenarbeitete. Mit uns
wirft er einen Blick ins Fotoalbum und verrät, warum sich nicht
jeder Laufsteg-Look für den Platz eignet.
Kritischer Blick Auch die Williams-Sisters
bekommen bei Michalsky ihr Fett weg.
55
Off Court /
MODE
Michalsky im Gespräch mit unserer Autorin.
»Tennis«, sagt er, »hat etwas Edles.«
1930er: Alice Marble
Michalsky: Dass Alice Marble Hosen trägt, passt in ihre Zeit,
ins Golden Age of Hollywood. In den Dreißigern trug auch
Marlene Dietrich zum ersten Mal Hosen, die sie übrigens nicht
erfunden, sondern sich bei der Berliner Schauspielerin Anita
Berber abgeguckt hat.
Im Tennis haben sie damals außerdem begonnen, die Kleidung
auf die Bewegungen anzupassen. Ob eine Spielerin lieber
Hose oder Rock tragen sollte, kann ich generell nicht sagen,
das kommt ganz auf die Person an. Marble sieht in den kurzen
Hosen jedenfalls sensationell edel aus. Und mit den Baseballmützen wirken die Spielerinnen sehr amerikanisch. Wenn man
sich die Tennisschläger wegdenkt, könnte man das Foto glatt
für eine Filmszene aus » A League of Their Own« halten.
Der französische
Tennis-Star
Suzanne Lenglen
schocktierte die
Öffentlichkeit in den
1920er Jahren mit
dem Anblick ihrer
nackten Arme.
1920er: Suzanne Lenglen
Michalsky: Suzanne Lenglen war der erste Superstar im Tennis.
Grundsätzlich zeigte man in der Zwanzigern ja nicht viel nackte
Haut, deshalb die Strumpfhosen. Dass sie ein ärmelloses Kleid
trug, war da sehr modern. Es sieht fast aus wie von Coco Chanel.
Ganz klassisch sind dagegen die Schuhe: Einfache Plimsolls,
wahrscheinlich aus Leinen. Aber darin spielte die Frau hervorragenden Tennis. Mein Urteil: Sehr schön. Ich persönlich finde es
ästhetisch, wenn Tenniskleidung hauptsächlich weiß ist.
Es sieht cooler aus. Früher war Weiß ja gang und gäbe. Die
einzigen Zusatzfarben waren lange Grün, wegen des Rasens,
und das klassische Blau. In Wimbledon müssen noch immer
90 Prozent der Sportkleidung weiß sein. Das finde ich sehr gut.
56
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Auch die erfolgreiche US-Amerikanerin Alice Marble sorgte
für Empörung: Als eine der ersten
Damen erschien sie in den 1930er
Jahren in Shorts auf dem Platz.
57
Off Court /
MODE
Steffi Graf
bevor....
2000er: Williams-Sisters
1990er: Steffi Graf
Chris Evert, eine
der erfolgreichsten
Tennisspielerinnen
aller Zeiten. Michalskys Urteil: »Sexy und
weiblich«.
Michalsky: Ich bin ein absoluter Fan von Steffi Graf. Sie ist
nicht nur die beste Tennisspielerin aller Zeiten; ich schätze sie
auch sehr als Menschen. In meiner Zeit bei Adidas habe ich von
1996 bis zum Ende ihrer Karriere eng mit ihr zusammengearbeitet. Wir haben damals gemeinsam eine Steffi-Graf-Kollektion
entwickelt. Wir trafen uns auch privat, gingen zusammen auf
Kunstausstellungen. Sie interessiert sich für Mode und Fotografie und hat einen exzellenten Musikgeschmack. Das wissen
viele nicht, die sie nur als Tenis-Hero sehen.
Auf dem Bild [oben rechts] sieht man, das auch mal versucht
wurde, mit ihr eine Fashion-Nummer zu machen. Aber in dem
Look [unten links] fühlte sie sich sehr viel wohler. Das war eher
ihr Stil, er drückt Sport und Schnelligkeit aus.
Es ist ein sehr schönes Kleid, ungefähr aus der Zeit des Relaunchs der Marke. Das Outfit passt modetechnisch perfekt
in die 90er. Damals waren Helmut Lang und Jil Sander die
wichtigsten Labels, es ging um Sachlichkeit, Minimalismus war
einfach das coolste, was man tragen konnte.
Michalsky: Vielleicht finden es viele junge Menschen cool,
wenn die Williams-Schwestern aussehen, als würden sie zur
Fancy Dress Party gehen. Aber Ich finde die modischen Exzesse, die Tennis inzwischen angenommen hat, nicht gut. Es ist
ja nicht Rugby oder Turniertanz, sondern ein alter, edler Sport.
Aber natürlich wird so etwas auch ganz bewusst eingesetzt.
Die Williams-Sisters haben eine besondere Geschichte. Tennis ist ein weißer Sport. Ein bisschen Country Club, ziemlich
elitär und Leuten aus einfachen Schichten nicht zugänglich.
Erfolgreiche Schwarze hat man sonst beim American Football
gesehen oder beim Basketball.
1970er: Chris Evert
Back to the Roots:
Schwester Serena
präsentiert sich auf dem
Court mit Dreadlocks
und Jamaica-Farben.
Michalsky: Chris Evert war der erste Tennis-Superstar der
gut vermarktbar war. Sie sah sehr gut aus, und toll angezogen
war sie auch. Bis auf die Rüschen. Normalerweise trug sie nicht
so ein Girlie-Girlie-Zeugs. Vielleicht meinte sie das ironisch, es
muss eine Anspielung, ein Statement zu einem bestimmten
Anlass gewesen sein, denn so ist sie nie wieder aufgetreten.
Normalerweise trug sie cleane, amerikanische Outfits wie auf
dem rechten Bild. Das ist ein koordiniertes Outfit, das Blumendetail kommt auf beiden Kleidungsstücken vor. Sehr Seventies,
aber gut gemacht. Schließlich sind die Siebziger auch die Zeit
der Women’s Liberation. Frauen werden selbstbestimmter. Auch
Chris Evert wollte zeigen: Ich bin mehr als nur eine Kampfmaschine, ich bin auch sexy und weiblich. Durch ihre Leistung
konnte sie sich das ja auch erlauben. Für mich drückt das Selbstbewusstsein aus: sie ist ein absoluter Top-Athlet und trotzdem
in Touch mit ihrer femininen Seite.
Viele Muskeln, viel Haut: Venus Williams
im provokanten Corsagen-Outfit.
... und nachdem Sponsor Adidas in
den 1990er Jahren den »DreiStreifen-Look« wieder einführte.
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GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Und dann kommen die Williams-Schwestern: farbig, aus einem
Ghetto in Los Angeles. Mit ihrer Kleidung wollen sie ausdrücken, dass sie es geschafft haben. Als wollten sie sagen: »Ätsch,
wir sind unsere eigene Maschine, machen unseren eigenen
Film.« Allein dadurch, dass sie aus dem Ghetto auf die Nummer
Eins gekommen sind, haben sie jede Regel gebrochen. Ihre
Mode ist ein Anti-Statement, sie drückt aus, dass die sie sich
niemandem unterwerfen. Und man muss sagen, dass das sehr
gut funktioniert hat. Es wäre peinlich gewesen, wenn sie nicht
gut Tennis gespielt hätten. Aber sie haben die Leute jahrelang
vom Platz geprügelt.
Venus Williams
Serena Williams
Michalsky: Wie viele erfolgreiche Athleten hat auch Venus ihre
eigene Signature-Kollektion. Ich kann mir vorstellen, dass sie
stark in den Designprozess involviert war. Und dass sie gesagt
hat, »Ich möchte, dass es aussieht wie ein Negligé oder wie ein
Cocktailkleid, und was ihr da macht, ist mir alles zu boring.« Ich
finde das Outfit zwar gut gemacht und interessant, aber mir
persönlich gefällt es nicht. Das ist mir zu wild.
Michalsky: Das gefällt mir besser. Mit den Farben und ihren
Dreadlocks bezieht sich Serena auf jamaikanische Kultur und
damit auf ihre schwarzen Wurzeln. Das ist besser gelungen, als
das Negligé-Outfit, weil es noch nach Sport aussieht. Zwar nicht
nach Tennis, sondern eher nach Fußball, Volleyball oder Handball. Das hier [rechts] könnte auch ein Running Top sein. Aber
man sieht wenigstens den athletischen Hintergrund.
59
VI E R FÜR BLIN DT EX T
MODE
KOLU MNE
Heute:
Bethanie Mattek-Sands
Michalsky: Wo ist die überhaupt auf der Weltrangliste? Ist sie
überhaupt in der Top 100? Weiß man nicht. Das hier [Mitte]
geht ja noch. Ich vermute, dass das Bilder vom Anfang waren,
als es mit ihrer Karriere noch nach oben ging. Aber was soll
dieses Kriegs-Make-Up? Das verstehe ich nicht.
Und hier [links] sieht sie alles andere als authentisch aus.
Man sieht, so tickt sie nicht privat, es ist eine reine Marketingveranstaltung. Wahrscheinlich hat sie sich überlegt: »Ich
fliege bei jeder Vorrunde der French Open 'raus, und jetzt ist
Lady Gaga grade hip, also stelle ich mich so auf den Platz.«
Das Ergebnis: Keiner redet mehr über ihre Leistung, sondern
nur noch darüber, wie blöd es aussieht, dass sie eine Trainingsanzugjacke trägt, auf der halbe Tennisbälle kleben. Die
Warm-Up-Jacke ist dafür da, sich einzuspielen. Keine Ahnung,
wie sie das mit dem Ding machen will. Wahrscheinlich spielt
sie deshalb so schlecht und bewegt sich wie Beppo der Clown
[rechts]. Der Schuss geht komplett nach hinten los.
Michalsky sinniert über das Tennisdress
der Zukunft. Er wünscht sich viel Weiß
und funktionale Materialien.
Das Outfit der Zukunft?
Michalsky: Grundsätzlich gehören zum Outfit des 21. Jahrhunderts High-Tech-Materialien: Polyester und Netzstoffe,
die den Körper kühlen, und speziell behandelte Stoffe, die
Schweiß schneller nach außen leiten. Man kann heute auch
Elastizität gezielt einsetzen, damit Muskeln nicht ermüden.
Noch immer wird unterschätzt, was für ein harter Performance-Sport Tennis ist. Man sieht ja, wie viele Spieler wegen
gesundheitlicher Schäden aufhören müssen.
Ansonsten kommt es darauf an, für wen das Outfit ist. Ist es
eine Kollektion für viele unterschiedliche Spielerinnen? Oder
die Personality-Kollektion für eine Top-Athletin? Zu jeder
Persönlichkeit passt ein anderer Look. Dazu kommt die Frage,
zu welcher Marke das Stück gehören soll. Adidas ist nicht Nike,
und Nike nicht Puma. Jedes Label hat seine eigene DNA.
Modisch gesehen finde ich es wichtig, Zitate aus der Historie
aufzugreifen. Das mache ich ja sowieso gerne, und zum Tennis
passt es doppelt gut. Tennis ist besetzt mit Attributen wie stylish, cool, ästhetisch. Das Outfit muss gar nicht komplett weiß
sein. Schwarz geht auch sehr gut, oder man kombiniert beides,
das hat man in den Neunzigerjahren viel gemacht. Sehr edel
sieht einen schwarzer Tennisrock aus. Dazu ein weißes Polohemd, dessen Kragen vielleicht ein schwarzes Tipping hat. Ein
Polohemd finde ich jedenfalls immer besser als eine Corsage.
Bethanie Mattek-Sands liebt
es schrill. Hier in einer Jacke von
Lady-Gaga-Designer Alex Noble.
60
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Turbulente
Zeiten—
Mein Weg
vom
Big Apple
zum
EiFfelturm
KOLUMNE
VON
ANGELIQUE
KERBER
Center Court
Titel /
> Ich bin mittlerweile schon einige Jahre auf der Tour
unterwegs, und es ist stets ein Wechselbad der Gefühle.
Euphorie und Enttäuschung liegen oftmals nur wenige
Punkte auseinander— mein persönlicher sportlicher Werdegang 2011 war ein Paradebeispiel. Nach einem für mich
enttäuschenden Start ins Jahr 2011, folgte im Herbst der
bis dato größte Erfolg meiner Karriere mit dem Erreichen
des Halbfinals bei den US Open. Seitdem ist vieles leichter
geworden und ich bin unendlich dankbar dafür, in diesen
Tagen die Sonnenseite meines Sportlerdaseins zu erleben.
Mein erster WTA Titel in Paris war für mich ein weiterer
Höhepunkt auf einem Weg, der für mich in New York am
Big Apple begann und den ich hoffe, in den kommenden
Wochen beständig weiterzuverfolgen. Es ist nicht selbstverständlich, für all die Entbehrungen, die das Profileben
mit sich bringt, ständig entlohnt zu werden. Es ist aber eine
umso größere Genugtuung, wenn sich all die schmerzhaften
Konditionseinheiten und Tage an denen man morgens früh
mit Muskelkater aufwacht, dann letztendlich mit einem Sieg
auszahlen.
Doch es bleibt nur wenig Zeit für Verschnaufpausen und
Regeneration. Der Tenniszirkus tourt durch alle Klima- und
Zeitzonen, kennt keine Jahreszeiten und ist bis auf wenige
Wochen am Ende des Jahres immer auf Achse. In welchem
rasanten Tempo das geschieht, lässt sich am besten anhand
meiner abenteuerlichen Odyssee von Paris nach Doha
zeigen. Nach verwandeltem Matchball im Finale von Paris
gegen Marion Bartoli, dauerte es keine Stunde bis ich im
Taxi auf dem Weg zum Flughafen saß, um noch die letzte
Nachtmaschine nach Doha zu erwischen. Unmittelbar am
Tag nach meiner Ankunft, war dann schon wieder Showtime in der ersten Runde auf dem Centre Court.
Ich fühle mich ungemein privilegiert, meinen Sport als
Beruf ausüben zu dürfen, und damit auch meine Rechnungen zahlen zu können. Es macht mir derzeit so viel Spaß
wie nie zuvor, und ich hätte nichts dagegen, wenn es mir
gelingt den positiven Aufwärtstrend der letzten Wochen
fortzusetzen. Die Halbwertszeit vergangener Erfolge ist
aber nur sehr kurz, im Tennis wahrscheinlich noch extremer
als in anderen Sportarten. Wir befinden uns im olympischen
Jahr, und ich werde weiter hart für meine Ziele arbeiten
müssen, um an die vergangenen Erfolge anzuknüpfen.
Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder
ungemein über die positive Resonanz und Unterstützung
meiner Fans weltweit gefreut. Es ist ein unglaubliches
Gefühl und ich kann es nicht oft genug betonen und mich
dafür bedanken. Die Atmosphäre beim Fed Cup in Stuttgart
war einzigartig und pures Gänsehautfeeling. Ich kann nur
hoffen, dass es so weitergeht und ich in der Zukunft noch
viele Chancen bekommen werde, vor einer so unglaublichen
Kulisse zu spielen. Wenn es nach mir geht, war das erst der
Anfang…
Mit sportlichem Gruß, Eure Angelique
61
Off Court
Titel /
VISYCHOLOG
P
E R FÜR BLIN
IE DT EX T
Gibt es
ein weibliches
Sieger-gen?
Text Torben Dietrich
FOTO Paul Zimmer
Große Leistung
und großer
Ehrgeiz: Jede
einzelne Faser
von Andrea
Petkovic scheint
wütend, wenn
sie einen Fehler
macht.
Mentalcoach Holger Fischer, 48,
aus Balingen gilt als »WunderDoc« im deutschen Hochleistungssport. Auch dank ihm schaffte
Andrea Petkovic den Sprung an
die Weltspitze.
62
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
> Herr Fischer, es muss Gründe dafür geben, weshalb unsere TennisDamen so erfolgreich sind und die
Jungs nicht. Gibt es ein weibliches
»Sieger-Gen« im Hochleistungssport, speziell im Tennis?
Ich möchte jetzt nicht polemisch
klingen, aber im Damentennis kann
man eine Top-20-Spielerin fast schon
produzieren. Nehmen Sie die vielen
Russinnen und Athletinnen aus den
ehemaligen Ostblockstaaten, die in der
Weltrangliste oben stehen. Trainingsmethoden und Auslese sind dort viel
härter als bei uns. Dazu kommt, dass die
Arbeit mit Frauen generell einfacher ist.
Frauen kann man leichter dazu motivieren, noch härter, noch intensiver zu
trainieren als Männer.
Wieso?
Frauen sind aufgeschlossener als Männer, gerade im Profisport. Jungs muss
man meist erst mal mit guten Argumenten überzeugen und dann hoffen,
dass sie verstanden werden. Wenn
Frauen dagegen ein Vertrauensverhältnis zum Trainer aufgebaut haben, sind sie
in der Regel leistungswilliger als Männer.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen können Frauen tatsächlich
nicht den gleichen Erfolg haben wie
Männer, sonst würden wir nicht über
eine Frauenquote in Führungspositionen diskutieren. Bei den Grand
Slam-Turnieren im Tennis bekommen Frauen das gleiche Preisgeld
wie Männer. Können ehrgeizige junge Frauen im Profisport ihren Traum
vom Erfolg viel eher erfüllen als in
Politik und Gesellschaft?
Im Sport war vor 30 bis 50 Jahren die
Rolle der Frau noch eine ganz andere als
heute. Sie kam im bezahlten Profibereich
so gut wie nicht vor. Dieser Prozess hat
erst mit der Professionalisierung und
Kommerzialisierung im letzten Jahrzehnt
so richtig eingesetzt. Dementsprechend
groß kann manchmal auch der Ehrgeiz
sein, der Wunsch nach Anerkennung, der
Traum vom Ruhm und großen Geld. Das
kann ich mir für andere gesellschaftliche
Bereiche genauso vorstellen, es kommt
eben immer auf die jeweilige individuelle
Persönlichkeit an. Eine Angela Merkel
strahlt für mich dieselbe große Leistungsbereitschaft aus wie eine Steffi
Graf.
Gibt es bei Sportlerinnen in Extremsituationen andere mentale, psychische Abläufe als bei Männern?
Ja, allein durch die engere Vernetzung
der beiden Hirnhälften ist die emotionale
Komponente bei Frauen sehr viel präsenter und gewichtiger als bei Männern.
Es kommt vor, dass Tennisspielerinnen
nach einem verlorenen Match weinen,
bei den Herren sieht man das so gut wie
gar nicht.
Frauen sind emotionaler, das ist
nicht neu.
Auffallend ist aber, dass es im Weltklassebereich bei den Frauen deutlich
mehr Verletzte gibt als bei den Männern,
was auch auf die stärkere Emotionalität zurückgeführt werden kann, wenn
man den ganzheitlichen Ansatz sieht.
Viele Spielerinnen unterdrücken ihre
Gefühle, das wiederum kann auch nicht
der richtige Weg sein. Abgesehen von
Maria Scharapova halten sich die meisten
osteuropäischen Spielerinnen nicht lange
in der Weltspitze. Das ist auch eine Folge
des emotionalen Ungleichgewichts.
Wie entwickeln Sie Sieger-Mentalitäten bei jungen Talenten wie einer
Andrea Petkovic?
Es gibt eine Menge Dinge, mit denen sich
junge Frauen heute im Kopf blockieren.
Auf dem Platz ist ein ganz wesentlicher
Punkt der Erfolgsdruck, mit dem gerade
viele Frauen Probleme haben. Du bist
hoher Favorit und musst unbedingt
gewinnen. Es hilft weiter, wenn man
ganz bei sich selbst ist und sich nicht nur
über dieses eine Match, sich nicht nur
als Tennisprofi identifiziert. Eine weiter
entwickelte, gefestigte Persönlichkeit
wird auch souveräner spielen.
kann das zur Blockade in einer extremen
Situation beitragen.
Das heißt, es hilft gar nichts, wenn
ich nur die Vorhand passabel übers
Netz bringe oder einen wuchtigen
Aufschlag habe.
Jedes ungelöste Problem, egal ob im
körperlichen oder mentalen Bereich,
das irgendwie weggedrückt wird, sucht
sich sein Ventil. Das kann sich indirekt
leistungsmindernd auswirken oder
aber als Druck auf das Skelett legen, auf
Knochen, Knöchel, Bänder. Dann kommt
es im Match zu Verletzungen bei Bewegungen, die eigentlich schon hunderttausendmal trainiert wurden.
Letzte Frage: Wird Andrea Petkovic
dank Ihnen in naher Zukunft einen
Grand Slam gewinnen?
Wenn sie sich weiter so entwickelt wie
in den letzten Jahren, wird ein Erfolg bei
einem Grand Slam-Turnier die logische
Folge sein. Wenn sie weiterhin sie selbst
bleibt. Denn ihr Weg ist noch nicht zu
Ende und das Potenzial ist definitiv vorhanden. Vielleicht in diesem, vielleicht
aber auch erst im nächsten Jahr. Warten
wir’s ab.
Eine Andrea Petkovic haben Sie mit
einem solchen Persönlichkeitstraining in die Weltspitze geführt. Was
genau macht eine souveräne Persönlichkeit aus?
Nur Wille und Talent reichen nicht aus,
um sich im Hochleistungssport dauerhaft an der Spitze zu halten. So viele
Faktoren mehr spielen da eine Rolle. Zum
Beispiel Glaubenssätze, eigene oder von
den Eltern übernommene, Partnerschaft,
das familiäre und soziale Umfeld, die
Ehre, und vor allem der Umgang mit Geld
und der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Weil viele den Boden unter den Füßen verlieren?
Oder auch genau anders herum. Ich kenne Tennisspieler, die mehr oder weniger
bewusst im Viertel- oder Halbfinale
verlieren, weil sie mit der geballten Öffentlichkeit im Falle eines Turniersieges
nicht umgehen könnten. Hieß einer der
Glaubenssätze in der Kindheit beispielsweise, im Leben nicht aufzufallen, so
»Psychoglatze« wird Holger
Fischer genannt. Seine Eingriffe
ins Seelenleben von Profisportlern verhelfen oft zu mehr
Ausgeglichenheit und Erfolg.
63
BÜ RG E RRECH T E
»
Wir
sind
noch
nicht
am
Ziel
«
64
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Historie /
1973
BILLIE JEAN KING &
BOBBY RIGGS
Ja, sie ist stark. Im
legendären »Battle
of the sexes«
besiegte Billie Jean
King den 55-jährigen
Bobby Riggs (links)
glatt in drei Sätzen
6:4 6:3 6:3. Freunde
blieben sie trotzdem.
65
Historie /
Als Wimbledon-Rekordsiegerin kämpfte
Billie Jean zunächst
gegen überforderte
Gegnerinnen, später
für Gleichheit zwischen
Mann und Frau. In
diesem Kampf ist der
letzte Ball noch nicht
geschlagen.
66
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
67
Historie /
BÜ RG E RRECH T E
Billie Jean King, 68,
ist mehr als nur eine
der erfolgreichsten
Tennisspielerin aller
Zeiten. Viel mehr war
sie eine mit einem
Racket bewaffnete
Bürgerrechtlerin.
King trat öffentlich
für die Gleichberechtigung von Männern
und Frauen im Profisport ein. 1970
gründete sie die Profiorganisation für
Tennisspielerinnen
WTA, um für die
Frauen gleiche Preisgelder einzufordern
wie bei den Herren.
Im sogenannten
»Kampf der Geschlechter« schlug
sie 1973 den ehemaligen Wimbledonsieger Bobby Riggs und
wurde dadurch zur
Ikone der internationalen Frauenrechtsbewegung. GirlsOpen
sprach mit Billie Jean
King exklusiv über
die Kämpfe von
früher und was sie
heute wert sind.
68
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Text Torben Dietrich
Frau King, wir behaupten mal, Sie
sind eine unverbesserliche Weltverbesserin!
Sagen wir so: schon seit meiner frühesten
Kindheit wollte ich etwas in der Welt
bewegen. Das ist mir auch ein bisschen
gelungen.
Das ist ziemlich groß gedacht für ein
kleines Mädchen. Was genau wollten
Sie bewegen und was hatte das mit
Tennis zu tun?
Mit zwölf Jahren wusste ich, dass Tennis
für mich das Mittel zum Zweck sein
würde. Tennis war und ist meine größte
Leidenschaft. Allerdings begriff ich auch,
dass niemand Dir zuhört, solange Du nicht
die Nummer eins bist. Also machte ich
mich daran, die beste Tennisspielerin der
Welt zu werden.
Der Beginn des professionellen Damentennis und die Bürgerrechtsbewegung in den USA fielen zeitlich zusammen. Sie erkannten das frühzeitig.
Das Timing war optimal für mich. Die
Geburt des professionellen Damentennis,
wie wir es heute kennen, und meine Tenniskarriere begannen zu einer sehr interessanten und intensiven Zeit in unserem
Land. Die Watergate-Affäre spitzte sich
zu, wir versuchten Vietnam hinter uns zu
lassen, die Frauenbewegung erreichte in
den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt.
Meine neue Popularität katapultierte mich
in diesem gesellschaftlichen Themenmix
an die vorderste Front der Diskussion um
die Gleichstellung von Mann und Frau.
Und dann kam 1973 der berühmte
»Kampf der Geschlechter« gegen
Bobby Riggs. Zum ersten Mal in der
Geschichte des professionellen Sports
besiegte eine Frau einen Mann und
Millionen schauten an den Fernsehgeräten zu. Dieses eine Spiel machte
Sie über Nacht zu einer weltweiten
Ikone des Feminismus. War Ihnen das
bewusst?
In dem kulturellen Klima von 1973 kam
meinem Match gegen Bobby eine große
Bedeutung zu, das wusste ich. Im selben
Jahr wurde das wegweisende Gleichberechtigungsgesetz, genannt »Title IX«,
vom Kongress verabschiedet. Es forderte
Zugang und gleiche Bedingungen für
junge Männer und Frauen in Colleges,
Universitäten, Sportklubs und Schulen in
ganz Amerika. Ich hatte große Bedenken,
dass das alles um 50 Jahre zurückgeworfen
würde, wenn ich gegen Bobby verliere:
Frauenrechte, Damentennis, die Akzeptanz
des Gleichberechtigungsgesetzes. Doch
im Falle eines Sieges hätten wir eine Basis
und genug Selbstvertrauen, um gesellschaftlich vorwegzumarschieren. Und
das taten wir dann auch.
BILLIE JEAN
KING
1983 2006
gewann King
mit 39 Jahren (!)
das letzte ihrer
insgesamt
67 Turniere
(davon 12 Grand
Slams) — sie ist
damit bis heute
die älteste
Siegerin der
Profiära.
Welche sportliche Bedeutung hatte
der Sieg über Bobby Riggs?
Das Match gegen Bobby war athletisch
nicht so herausfordernd wie meine Grand
Slam-Erfolge. Es hat immer eine unglaubliche Kraft, wenn man Dinge zum ersten
Mal tut. Ich war nicht die erste, die gegen
einen Mann angetreten war. Ich war aber
die erste, die einen Mann besiegt hatte. Die
Tatsache, dass dieser Sieg eine globale mediale Bühne hatte, war von sehr großem
Nutzen für meine Sache.
Und zwar?
Dieses Match gab mir und dem weiblichen
Sport eine der größten Plattformen in der
Geschichte des Sports. Wie so oft wird
Frauensport nur dann anerkannt, wenn
wir uns auf den Schauplätzen der Männer
beweisen. Ich musste dieses Match einfach
gewinnen, weil soviel daran hing: Die
Zukunft des professionellen Damentennis
und nicht zuletzt die weltweite Frauenrechtsbewegung brauchte meinen Sieg als
Motivationsschub.
Wie hat Bobby Riggs persönlich nach
seiner Niederlage reagiert?
Nach dem Match sprang Bobby über das
Netz. Wir standen dicht neben einander,
hielten uns in den Armen und er sagte mir,
dass er mich unterschätzt hatte. Ich habe
Bobby immer sehr respektiert und weiß,
dass ich ihn deshalb auch geschlagen habe.
Er war ein ehemaliger Nummer Eins-Spieler, den ich sehr bewunderte.
Vor dem Spiel ließ er keine Gelegenheit aus zu betonen, dass das Damentennis dem der Männer hoffnungslos
unterlegen sei. Gehörte das zur PRMaschinerie?
Ja. Aber danach entwickelte sich zwischen
uns eine lange und sehr enge Freundschaft. Wir sprachen uns sogar noch am
Tag bevor er starb. Er war ein besonderer
Wie sieht die Gleichberechtigung im
Sport heute aus, fast 40 Jahre nach
Ihrem Kampf der Geschlechter?
Es ist noch ein sehr langer Weg. Es gibt
beispielsweise noch einen enormen Unterschied im Umfang der Sportberichterstattung was Frauen und Männer angeht.
Aber bevor wir nichts daran ändern, dass
neunzig Prozent der Medien von Männern
kontrolliert werden, wird unser Kampf
immer schwierig sein. Nichtsdestotrotz ist
es den Kampf wert.
sucht man heute vergebens. Man hat
den Eindruck, es passt nicht mehr in
den Zeitgeist der Social Media?
Ich glaube fest daran, dass jede Generation auf den Schultern der vorherigen
steht. Ich stand auf den Schultern etwa
von Althea Gibson oder Alice Marble.
Chris Evert und Martina standen auf
den Schultern meiner Generation. In den
letzten Jahren haben wir Spielerinnen
wie Venus Williams erlebt, die unser
Anliegen weiter tragen. Zum Beispiel war
Venus 2007 sehr hilfreich bei den Diskussionen in Wimbledon, gleiches Preisgeld
für Männer und Frauen einzuführen.
Ihre Bemühungen dort veranlassten die
French Open nur zwei Wochen später
nachzuziehen.
Selbstbewusste Sportlerinnen wie
Sie oder Martina Navratilova, die
auch zu gesellschaftlichen Dingen
Ihre Meinung öffentlich vertreten,
Ist Ihr Kampf um Gleichberechtigung im modernen Profisport heute
gewonnen?
Wir sind in den letzten vierzig Jahren
Mann, der in meinem Leben und in meiner Karriere eine große Rolle spielte. Das
letzte, was er zu mir sagte, war: »Billie,
wir haben wirklich etwas bewegt, oder?«
So spricht nur ein großer Gentleman.
wurde die
Tennisanlage der
US Open in »Billie
Jean King National
Tennis Center«
umbenannt — die
Tennisspielerin
und Bürgerrechtlerin King
gilt als eine der
100 wichtigsten
Amerikaner des
20.Jahrhunderts.
weitergekommen, aber noch nicht am Ziel.
Mädchen und Jungen sollten Frauen auch
als Vorbilder sehen und Mainstream-Medien sollten professionellen Damensport als
etwas begreifen, das sie vermarkten können, als etwas von Wert. Der Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart liefert dafür ein
wichtiges Beispiel, wie das Damentennis
gewachsen ist. Dieses Turnier bewirkt viel
für unseren Sport und ich bin dankbar für
die kontinuierliche Unterstützung, die das
Damentennis dadurch erfährt.
In Deutschland gibt es seit Jahren die
Debatte über Sinn und Unsinn einer
Quotenregelung, die mehr Frauen
zu Führungspositionen in Politik
und Wirtschaft verhelfen soll. Was
denken Sie über die gesetzlich verankerte Frauenquote?
Ich finde es unglücklich, wenn erst
Gesetze für Chancengleichheit sorgen
müssen. Die Geschlechtergleichberechtigung sollte eine Grundvoraussetzung in
jeder Gesellschaft sein. Aber wenn dieses
Ziel kaum erreichbar erscheint, ist es oft
notwendig, das Schiff auf den richtigen
Kurs zu bringen. Ganz ähnlich, wie wir in
den USA es mit »Title IX« gemacht haben.
Erst wenn nichts vorangeht, ist der Weg
über das Gesetz der Richtige.
69
Historie /
DDR -T E N N IS
GOLDEN GIRLS
DES OSTENS
Text Janet Schönfeld
Foto Kathrin Harms und Lukas Coch
Tennis in der
DDR? Doch, das
gab es. Unsere
Autorin traf
ehemalige Spitzenspielerinnen
des »Arbeiterund Bauernstaates« und war
erstaunt: Eine
spielt heute noch
bei den Weltmeisterschaften in der
Altersklasse Ü 80
Im Sportpark Magdeburg
das älteste Mitglied:
Die 85-jährige Jutta Apel
kann vom Tennis nicht
lassen.
70
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Rekordgewinnerin
Hella Riede zieht
immer noch gern die
Tennisschuhe an.
71
Jutta Apel kann nicht mehr so flitzen wie früher. Muss sie auch
nicht. Die Altersklasse, in der sie heute spielt, 85 plus, gibt es
bei den Damen gar nicht mehr und wenn, Jutta Apel hätte gar
keine Gegenerin. Bei den Weltmeisterschaften der Senioren im
vergangenen Oktober in der Türkei war sie die älteste Teilnehmerin. »Ein Jahr geht noch«. Das sagt sie schon seit Jahren. Im
Wohnzimmer kramt sie aus einer gepolsterten Schatulle eine
Medaille heraus: »Deutscher Mannschaftsmeister 1952« steht
auf der Rückseite.
Am häufigsten gab es Kristallvasen, Besteckkästen oder Böhmisches Glas. Tennis
war verschrien als »Bonzensport«
Rückblende: Jutta Apel steht mit ihren Mannschaftskollegen
auf einem Tennisplatz in Hamburg und lächelt in die Kamera
des Fotografen. Sie ist 25 Jahre alt und hat gerade erst vor zwei
Jahren mit Tennisspielen angefangen. Jetzt steht sie als Siegerin
auf dem Platz. Als Anerkennung erhält sie nach ihrer Rückkehr in
die DDR von den Sportfunktionären des »Arbeiter- und Bauernstaates« noch eine leere, rote Geldbörse und einen Urlaubsgutschein für eine Woche in einem Ferienheim, zwanzig Kilometer
von ihrem Wohnort Magdeburg entfernt.
Viele Auszeichnungen — wenig
Geld. Beim DDRTennis stand der
sportliche
Wettkampf im
Vordergrund.
> Sie wirkt wie ein Mädchen. Der blonde Pony. Die hellwachen Augen. Ihre verspielt-ironische Art. Ihr loses Mundwerk.
Auf der Treppe zu ihrer Wohnung in Magdeburg (SachsenAnhalt) sagt das Mädchen, man solle schon mal vorgehen, sie
brauche länger. Meniskus, Arthrose. Ein Treppenlift, ach was,
der komme ihr nicht ins Haus, der wäre ja noch viel langsamer
als sie. Und an ihren Knien dürfe niemand mehr herumschnibbeln. Mit fünfundachtzig, wo kämen wir denn da hin.
72
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Jutta Apel, das spät entdeckte Talent, war im Magdeburger
Tennisclub »Preussen 99« groß geworden. Zwei Plätze, zwei
Umkleideräume, ein Plumpsklo, kein fließendes Wasser. In einer
Bretterbude, die als Vereinsheim diente, trafen sich in den 30er
Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Eltern fast täglich mit Tennisfreunden zum Essen, und wenn das Bier ausging, wurde die
kleine Jutta zu den Fußballern um die Ecke geschickt, Nachschub
zu besorgen. Einen Schläger bekommt sie nicht in die Hand. »Ich
hätte den Sport auch nie gemocht, wenn man mich als Kind
jeden Tag zum Training geschickt hätte«, sagt sie heute.
Damen und Herren spielten damals noch gemeinsam in einer
Mannschaft. Und wenn man verlor, hatten immer die Frauen
Schuld, »selbst wenn sie besser waren. Dann zankte man sich
und die Frauen heulten.« Jutta dachte sich: »Das willst du nicht,
das ist kein Sport für Mädchen.«
Anfang der vierziger Jahre, Jutta ist fünfzehn und es herrscht
Krieg, steht sie am Zaun und feuert die jungen Kerls an, die für
das Turnier extra Urlaub von der Front bekamen. Nach dem Spiel
mussten sie zurück in den Krieg. Viele kamen nie wieder.
Jutta Apel heiratet, wird Lehrerin und im Alter von 24 Jahren, wo
manche mit dem Sport schon wieder aufhören, fängt sie damit
an. Die Schläger sind mit Naturdarmsaiten bespannt, die bei
Nässe daumendick aufquillen. Die seltenen Tennisbälle der Marke
»Kobold« werden wie Augäpfel gehütet und geschlagen bis kein
Härchen Filz mehr an ihnen ist. »Nackte Mäuse« nennt Jutta Apel
die Kugeln, die sie über das Netz schlägt als wären es Zementklumpen. Tennis gilt in der DDR als »Bonzensport«, öffentlich gefördert wird er nicht, obwohl der Vorsitzende des Staatsrates der
DDR, Walter Ulbricht, gedichtet hatte: »Jeder Mann an jedem Ort –
einmal in der Woche Sport.« Die Konkurrenz im eigenen Land ist
übersichtlich, Jutta Apel ist schnell ganz oben angekommen.
In dieser Zeit finden auch Eva Johannes und Hella Riede als Ballmädchen zum Tennis. Sie lernen mit geschnitzten Holzbrettchen
oder ausrangierten Schlägern aus Kriegszeiten die sonderbaren
Eigenschaften der »Kobolde« auszutarieren.
Die Mädchen spielten und spielten, Jutta mittlerweile schon bei
den Senioren, Eva und Hella als Nummer eins und zwei der DDR.
Manchmal als Konkurrentinnen, manchmal als unschlagbares
Doppel. Sie wurden die erfolgreichsten Tennisspielerinnen, die
An ihren über 200
Medaillen und Pokalen
kann Jutta Apel sich auch
heute noch erfreuen.
73
Historie /
DDR -T E N N IS
Wimbledon blieb immer nur eine müde
Hoffnung. »Traurig zwar, aber das war
eben so«, sagt Hella Riede heute. »Immerhin sind wir mehr gereist als andere in
der DDR.«
OBEN Manches verlernt
man nie: Eva Johannes
im Seniorenstift in ihrer
Heimatstadt Dresden.
UNTEN Als Siegprämie
ein Teddy und Pralinen:
Eva Johannes (links).
74
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
das kleinere Deutschland je hatte. Wie viele Titel und Medaillen
sie nach Hause trugen, haben sie heute längst vergessen. Die
weißen Sportkleider nähten sie sich selbst – nach Vorlagen
aus dem West-Fernsehen. Ein kleines grünes Krokodil oder ein
Adidas-Aufnäher darauf und fertig war die improvisierte sozialistische Tennisrobe.
Die DDR-Oberen stuften Tennis ab Mitte der Sechziger als BSportart ein. Aufwand und prestigeträchtiger Nutzen standen
für das System in keinem Verhältnis mehr. Zu viel Geld hätte
investiert werden müssen und die Chancen, im internationalen
Medaillenspiegel weit oben zu stehen, waren gleich Null.
Seit dieser Zeit fehlte es an allen Ecken und Enden an Geld und
schließlich auch an Tennishallen. In den Wintermonaten gab es
also kein Training, stattdessen schippten die Vereine auf ihren
Plätzen Schnee, wässerten das Ganze zum Schlittschuh laufen
und verkauften Glühwein und Bratwurst. So kamen ein paar
Mark in die Kassen, man war beieinander, man war Familie. Und
man hinkte trainingsmäßig der BRD hinterher. Manchmal spannten sie im Winter auch unter einem Vordach ein Volleyballnetz
oder übten Aufschläge an Boxsäcken. Hella Riede musste Korken
sammeln, um den holprigen Boden ihrer Halle auszubessern.
Trotz der vielen, auch internationalen Siege: Geldpreise gibt es
nie. Eva Johannes trägt als Siegprämie einmal einen Kosmetikkoffer, einen Teddybär und eine Schachtel Asbach Schnapspralinen davon. Hella Riede freut sich über ein tschechisches
Transistorradio. Am häufigsten aber gibt es Kristallvasen,
Besteckkästen oder Böhmisches Glas. »Tennis war mein Leben«,
erinnert sich Eva Johannes, »mit den Missständen in unserem
Sport fand man sich irgendwann ab.« Manchmal hatten sie ja
auch was davon: Bekamen ohne Wartezeit eine Neubauwohnung oder konnten sporttaschenweise Fleisch und Obst vom
Training mit nach Hause schleppen.
An Flucht oder daran, einfach von einer Auslandsreise nicht
mehr heim zu fahren, dachten sie dennoch nicht. Als 1961 die
Mauer gebaut wurde und Eva und Jutta gerade in Stuttgart auf
einem Turnier spielten, wurden sie gefragt: »Warum bleibt ihr
nicht hier?« Wollten sie nicht. Sie hatten ihre Männer zu Hause,
ihre Freunde, ihr Leben.
Sie spielten in Polen, Bulgarien, der Tschechoslowakei oder beim
berühmtesten internationalen Turnier der DDR in Zinnowitz an
der Ostsee. Auch mal auf Kuba. Wimbledon blieb dagegen immer
nur eine müde Hoffnung. »Traurig zwar, aber das war eben so«,
sagt Hella Riede heute, »immerhin sind wir mehr gereist als
manch anderer in der DDR.«
Inzwischen hatten nun auch die Sportfunktionäre die beiden
Gold-Schätze bemerkt. Eva und Hella bekamen Dunlop-Schläger
und Bälle aus dem Westen, damit sie bei Turnieren im sozialistischen Ausland nicht alt aussahen.
»Nach jedem Spiel tischte die gastgebende Mannschaft Kaffee
und Kuchen auf und wir Frauen haben den Abwasch gemacht«,
erinnert sich Jutta Apel, »heute verschwinden die Spielerinnen
nach dem Spiel und gucken nur nach ihrer Rangliste. Da ist ein
ganz anderer Druck dahinter.«
Jutta Apel spielt auch heute noch Tennis. Hella Riede trifft sich
noch regelmäßig mit der alten Garde zum Doppelkopf und –
wenn das Rheuma nicht beißt – spielt sie noch bei den Senioren.
Eva Johannes lebt seit ihrer Parkinsonerkrankung in einem Seniorenstift in Dresden. Alle drei kennt heute kaum noch jemand
außerhalb der Tenniswelt.
Offensiv am Netz,
nach wie vor eine der
Lieblingspositionen
von Hella Riede.
75
Center Court /
EN TWIC KLUNG SHI L F E
Es klingt wie ein Märchen und es ist ein Märchen:
Es war einmal ein armes, kleines Kind in Äthiopien,
das von einem besseren Leben träumte . . .
Text Markus Wanzeck
MERON GETU
»Tennis ist alles
für mich«, sagt sie.
»Tennis ist mein
Leben.«
76
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Foto Rainer Kwiotek
Meron,
das
MAdchen
aus dem
Slum
77
Center Court /
VI E R FÜR BLIN DT EX T
>Um ein Haar hätte sie den Breakball vergeben, wäre das
Spiel des Lebens ohne jene Wendung geblieben, die sie zu dem
machte, was sie heute ist. Meron, wenn sie daran zurückdenkt,
lacht. Sie taucht in Gedanken zurück in ihre Kindheit wie in eine
ferne, fremde Welt.
KONZENTRATION (oben) Tenniscoach Stev Kleine brachte neue
Rackets nach Addis Abeba – und neue
Koordinationsübungen.
FREUDE (unten) Arbeit und Vergnügen gehören für Tariku Tesfaye
zusammen.
BRACHLAND Jenseits der Trainingsplätze fehlt den Jugendlichen
eine Perspektive. Viele enden in der
Kleinkriminalität oder Prostitution.
78
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Zwei junge Männer kamen, 2002, sonniger Nachmittag,
den holprigen Pfad zwischen den Wellblechhütten des Viertels
herunter gelaufen. Die Kinder hielten im Spielen inne. Blickten
die Besucher an, die sich als Desta und Tariku vorstellten. Brüder, bestens gelaunt. Hey, fragten die beiden in die Runde, habt
ihr Lust, Tennis zu spielen?
Was ist das, Tennis?, fragte Merons Freundin aus der Nachbarhütte, Dinknesh, mit großen Augen zurück.
Tariku und Desta blickten sich an. Zeigten auf die grellgelben
Filzbälle in ihren Händen. Sie lotsten die Kinder zum Greek Club.
Der Olympiacos Greek Club! Was für ein Abenteuer! Der Club, unerreichbar und doch in direkter Nachbarschaft der Slumsiedlung
gelegen: Amüsiergehege der Mächtigen von Addis Abeba und
der reichen Ausländer, die in der äthiopischen Hauptstadt leben.
Tariku und Desta Tesfaye, Tennistrainer des Clubs, hatten
eine verwegene Idee. Eine Tennisausbildung für arme Kinder.
Kostenlos. Frühmorgens, noch ehe die Kleinen zur Schule
gehen. Bevor die zahlenden Clubmitglieder die drei Sandplätze
in Beschlag nahmen.
Auf dem vornehmen Clubgelände drängten sich hunderte Kinder, Eltern, Schaulustige in zerschlissenen Kleidern. Staunende
Blicke. Neugier. Dinknesh war gekommen, zu sehen, was Tennis
ist. Merons kleiner Bruder Robel war da. All die Nachbarskinder.
Nur Meron fehlte.
Die Siebenjährige hatte zuhause vor dem Spiegel gesessen, vertieft in das Flechten ihrer Haare. Abends erstattete aufgekratzt
ihr Bruder Bericht. Er sei für das Tennisprojekt im Greek Club
ausgewählt worden!
Am nächsten Tag lief Meron hinauf zum Clubgelände, aufgeregt
den Schritten ihrer Mutter folgend. Die Mutter sprach bei Tariku
vor, hoffend, das Leben ihrer Tochter möge nicht im tristen
Staub der Slums von Addis versanden wie das ihrige, das ihres
Mannes, das der Nachbarn und Verwandten. Meron durfte vorspielen. Und sie nutzte den Breakball.
Heute, zehn Jahre später, haben Erfolge und Erfahrung Meron Getu zu einer selbstbewussten jungen Frau gemacht. Verbindlicher Händedruck, fließendes Englisch. »Anfangs redete
mir Tariku ständig ins Gewissen«, erinnert sie sich. »Du musst
mehr essen, Meron, damit du groß und stark wirst.« Groß? Hat
nur halbwegs geklappt, 1,55 Meter misst Meron heute.
Stark? Die 16-jährige ist die talentierteste Tennisspielerin ihres
Landes und eine der besten auf dem afrikanischen Kontinent.
Mit 13 gewann sie erstmals den Hilton Mercedes Cup in Addis
Abeba in der Damenwertung. Sechsmal schon nahm sie an den
Junioren-Ostafrikameisterschaften des Tennisweltverbandes
ITF teil – jedesmal brachte sie eine Goldmedaille zurück. Zusammen mit dem ein Jahr jüngeren Yonas Gebre, talentiertester
männlicher Spieler des Tennisprojekts, reiste sie im Dezember
2008 zur Junioren-Weltmeisterschaft nach Florida.
Ein Wunder? Verwunderlich ist es schon, wie der traditionelle
Sport der Gutgestellten in den Slumvierteln von Addis Abeba
Fuß fassen konnte. In einem Land, das zu den ärmsten der Erde
gehört, Jahreseinkommen 380 US-Dollar pro Kopf, Platz 157 von
169 auf dem globalen Human Development Index, die Hälfte
der Menschen unterernährt. Zu verstehen nur, wenn man weiß,
wie den Tesfaye-Brüdern selbst der Aufstieg aus der Armut
gelang: mit einem Racket in der Hand.
»Ich war vielleicht zehn, da begannen Desta und ich, in einem
benachbarten Tennisclub als Balljungen zu arbeiten«, erzählt
Tariku Tesfaye, ein 33-Jähriger mit wachen Augen und etwas
abstehenden Ohren, die oft von Lachfalten Besuch bekommen.
Jeden Nachmittag, nach der Schule, waren er und sein Bruder
den Bällen hinterher gerannt. Abend um Abend brachten sie ein
paar Groschen Trinkgeld nach Hause, mit dem sie ihre Eltern
unterstützten. Die Clubmitglieder entfachten das Tennisfieber
der beiden, indem sie ihnen ihre alten Schläger schenkten.
Manchmal durften sie einspringen, wenn einer der Spieler von
seinem Trainingspartner versetzt wurde. Es kam der Tag, da
konnte es keiner im Club mehr mit ihnen auf dem Platz aufnehmen, und irgendwann wurden auch jenseits des Clubs die Gegner knapp. Die Tesfaye-Brüder hatten den Tellerwäschertraum
in der Tennisvariante wahrgemacht. Von Balljungen waren sie
zu Nationalspielern aufgestiegen.
Desta vertrat Äthiopien bei den Afrikanischen Juniorenmeisterschaften. Tariku spielte im Jahr 2000 für sein Land im
Daviscup. Der Erfolg auf dem Court machte sie nicht reich;
Addis Abeba
SCHULE
TDEKT
Äthopien
Vor zehn Jahren begannen Tariku und Desta Tesfaye in der
äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, Kindern aus mittellosen Familien kostenlos Tennisstunden zu geben. Heute ist
die Tennisschule auf ueber 60 Teilnehmer angewachsen,
einige sind bereits international erfolgreich.
Unter dem Namen »Tariku and Desta Kids' Education through
Tennis Development Ethiopia« (TDKET) ist das Projekt in
Äthiopien als offizielle NGO anerkannt. Seit 2008 lädt die
Tennisakademie Rhein-Neckar jedes Jahr einige TDKETJugendliche zu Trainingscamps nach Deutschland ein. Durch
die Unterstützung der Kindernothilfe und der Manfred
Lautenschläger Stiftung verfügt TDKET seit 2011 über zwei
eigene Trainingsplätze.
Internetseite des Projekts: www.tdket.org
79
HANDSCHLAG
Äthiopiens Laufstar
Haile Gebrselassie
unterstützt die
Tennisschule der
Tariku-Brueder:
»Warum sollte unser
Land keine Tennisnation werden?«
80
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
81
EN TWIC KLUNG SHI L F E
Meron glaubt, die Wendung in ihrem Leben
sei eine göttliche
Fügung. »Die Wendung
zum Guten war Gottes
Wille«, sagt sie und
bittet den Reporter:
»Schreiben Sie das auf.«
Reichtum winkt erst in den oberen Regionen der Weltrangliste.
Aber er sicherte ihnen doch ein gutes Auskommen und öffnete
viele Türen. Nun gehörten sie wirklich dazu, im Greek Club. Die
Tesfaye-Brüder waren weiter gekommen, als sie jemals gedacht
hatten: bis in die High Society von Addis Abeba.
Als der sportliche Zenith, nach Jahren des steten Aufstiegs,
überschritten war, suchten sie nach einem Abgang mit Anstand. Einem Weg, diesen Aufstieg nicht zu einer kuriosen,
kleinen Fußnote der Tennisgeschichte werden zu lassen. Nach
einer Idee, und sei sie noch so verwegen. Sie wollten, dass
andere Kinder ihre Geschichte wiederholen.
Heute, zehn Jahre später, ist das Projekt als TDKET bekannt,
sperrige Kurzform für das noch sperrigere »Tariku and Desta
Kids’ Education through Tennis Development Ethiopia«. Der
Name soll zeigen: Neben dem Sport geht es auch um Schulbildung und Persönlichkeitsentwicklung. Wer sich als schlechter
Teamplayer erweist, wer in der Schule keine Leistung bringt
oder gar auf die Idee kommt, den Unterricht für das Training zu
schwänzen, ist raus aus dem Projekt.
Samstagnachmittag am Guenet Hotel, in einem Stadtteil,
den sie Mexico nennen. Die Luft ist schwer von Abgasen, die
überladene Lastwagen auf der ansteigenden Hauptstraße vor
dem Hotel in dunklen Wolken in die Luft stoßen. Vom Staub der
unbefestigten Nebenstraßen Mexicos. Vom Staub, den Dutzende Kinderbeine auf den zwei roten hoteleigenen Tennisplätzen aufgewirbelt haben. »And... hulet... and... hulet...«, schallt es
monoton über den roten Sand: »Eins... zwei...« Tariku Tesfaye
steht mit einem Ballkorb am Netz. Schlägt Kindern, gerade so
groß, dass sie übers Netz sehen können, im Sekundenrhythmus
Bälle zu. »Eins«: Weit ausholen! »Zwei«: Schlagen, Vorhand! Die
Tennisanlage ist an den Kopfseiten von rostigem Maschendraht
begrenzt. An der einen Längsseite steht eine Baracke, in der die
Kinder Englischunterricht bekommen.
Weil der Greek Club nur frühmorgens seine Plätze für die
Jugendlichen öffnete, pachtete Tariku 2011 zwei herunterge-
82
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
kommene Plätze am Guenet-Hotel, am anderen Ende der Stadt,
richtete die Plätze her und wiederholte, was schon einmal funktionierte: Er zog mit einem grellgelben Ball in der Hand durchs
Viertel. Sein Bruder Desta lebte da bereits seit vier Jahren als
Tennisgastarbeiter in Saudi-Arabien, wo er eine gutbezahlte
Stelle als Trainer antrat und damit das Projekt aus der Ferne
unterstützte.
»And... hulet... Okay... Dankeschön für heute!« Tariku ruft
die Sieben-, Acht-, Neunjährigen zu sich ans Netz, klatscht sie
der Reihe nach ab, zwinkert ihnen zu. Sie, gut fünfzig Jungen
und Mädchen, sind die zweite Generation des Tennisprojekts.
Viele trainieren jeden Tag. Manche zweimal täglich. Alle wollen
sie werden wie Meron, die gerade mit einem Schlauch über den
staubigen Platz geht. Jeden Nachmittag dasselbe Ritual. Mal
führt Meron den Schlauch. Mal Dinknesh, Merons Nachbarsfreundin von einst, die inzwischen sehr gut weiß, was Tennis
ist. Für sie besteht es meist aus Zwei-Satz-Siegen. Nur gegen
Meron verliert sie regelmäßig.
»Tennis ist alles für mich. Es ist mein Leben.« Es klingt kein
bisschen pathetisch aus Merons Mund. Eher wie eine nüchterne
Analyse: Eine ganz und gar unwahrscheinliche Wendung hat
sie vor zehn Jahren aus ihrem Alltag gerissen, seitdem ist ihr Leben ohne Tennis schlicht nicht mehr denkbar, Punkt. Dafür sei
sie ihrem Trainer Tariku grenzenlos dankbar. »Er hat mir eine
Richtung gegeben.« Ist die wichtigste Person in ihrem Leben.
Wobei, nein, sagt Meron, niemand stehe über Gott.
Jeden Morgen auf dem Weg zur Andinet International School,
die Klasse 11b besucht sie dort, steigt sie um kurz vor acht
aus einem der klapprigen Minibusse, die sie auf Zuruf und für
ein paar Cent vom Straßenrand auflesen. Dreht den Rücken
zum Verkehr, blickt über eine staubige Geröllhalde hinauf zur
Salite Mihiret, einer orthodoxen Kirche mit einer größeren und
mehreren kleineren Kuppeln. Schließt die Augen. Senkt den
Kopf. Bekreuzigt sich. Die Wendung zum Guten sei Gottes Wille
gewesen, sagt Meron. »I want you to write that down« – ich
möchte, dass du das aufschreibst.
Außer zum Schlafen verbringt Meron kaum noch Zeit zuhause. Tennistraining, Schule, wieder Training, Hausaufgaben.
Dann die Englisch-Tutorien, die TDKET regelmäßig organisiert.
Oft noch ein gemeinsames Abendessen mit den Teamkollegen.
Die Wochenenden verbringt sie großteils auf dem Trainingsoder einem Turniercourt.
Gefragt, ob ihr ein solch rastloses Leben manchmal zu viel wird:
kein Zögern. »Überhaupt nicht! Faul und nutzlos herumzuhängen – das wäre schlimm.« Meron hat kaum Zeit für Freundschaften, und womöglich, ahnt sie, ist das gar nicht schlecht.
Viele ihrer früheren Freunde sind, arbeits- und hoffnungslos,
in die Kleinkriminalität abgedriftet. Die Jungs rotten sich in
Banden zusammen. Die Mädchen schlagen Kapital aus ihrem
Körper.
Prostitution, die Perspektive der Perspektivlosen, ist allgegenwärtig in Addis Abeba. In den kühlen Abendstunden steht
an jeder Straßenlaterne in den Ausgehvierteln ein leicht bekleidetes Mädchen.
ZUHAUSE ZU GAST (oben)
Merons Terminplan ist so voll, dass
sie die elterliche Wohnung fast nur
noch zum Schlafen betritt.
BALL IM BLICK (unten) Seit einem
Jahr verfügt die Tennisschule über
zwei eigene Sandplätze.
PLAN B Falls es mit dem Profitennis
nichts wird, möchte Meron studieren.
Derzeit besucht sie die Klasse 11b der
Andinet International.
83
Center Court /
TRAININGSERFOLG Teilnahme an
der Junioren-WM, Goldmedaillen
bei den Ostafrika-Meisterschaften
— Meron Getu ist die beste Tennisspielerin Äthiopiens.
VON DEN GROSSEN LERNEN Die
TDKET-Kinder der »zweiten Generation« beobachten ein Finalspiel von
Yohannes Gebre, dem talentiertesten
Spieler der »ersten Generation«.
84
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Ein Zögern, als Meron auf ihre Familie zu sprechen kommt. Was
die Eltern machen, während sie zwischen Schule und Tennisplatz pendelt?
»Hmm... Sie haben einen Laden. Verkaufen Zeug.«
Was für Zeug?
»Kaffee und so. Glaub ich... Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich
war noch nie in dem Laden.«
Es ist nicht so, dass ihr ihre Eltern nicht viel bedeuten würden.
Die Ohrringe, die sie von ihrer Mutter als Kleinkind bekam, hat
Meron in all den Jahren nur dreimal, und nur für Minuten, abgenommen. Aber sie haben ihre Tochter ein Stück weit verloren.
Ans Tennis. An eine große Hoffnung. »Mein Traum ist, Weltranglistenerste zu werden und mein Land stolz zu machen«,
sagt Meron. Und schickt dem Traum noch eine zweite Zukunft
hinterher, die planbarer ist: »Ich möchte einen guten Schulabschluss machen, um Wirtschaftswissenschaften studieren zu
können.« Mit ihrem Tennistalent plus guten Noten hätte sie
beste Aussichten auf ein College-Stipendium in den USA. Selbst
Plan C, ein Job als Tennislehrerin, klingt noch verheißungsvoll.
Desta Tesfaye verdient in Saudi-Arabien mehrere tausend
US-Dollar im Monat. Sein Bruder Tariku hätte eine ebenfalls
lukrative Stelle in China antreten können, wenn seine großen
TDKET-Pläne ihn nicht in der Heimat halten würden. Und
selbst in Äthiopien, beim Greek Club etwa, verdienen Tennistrainer weit überdurchschnittlich.
»Noch Fragen?« Wenn nicht, sagt Meron, ginge sie nun gern
auf den Platz, um zu trainieren. Kommendes Wochenende steht
ein Turnier an, bei dem sie sich in den Wochen zuvor bereits ins
Finale gekämpft hat. Mal wieder.
Gut 5000 Kilometer von Addis Abeba entfernt, auf einem
anderen Kontinent, liegt an der Tennisakademie Rhein-Neckar
in der Nähe von Heidelberg eine Skizze auf dem Schreibtisch,
die mit »VISION« überschrieben ist. Es sind Pläne von einem
Tenniscenter mit Umkleiden, Duschen, Lernräumen, umringt
von neun Sandplätzen. Seit 2008 fördert die badische Tennisakademie das TDKET-Projekt, mit der Einladung von talentierten Jugendlichen zu Trainingscamps in Deutschland. Mit
Ausrüstung. Oder eben mit Know How für ein an deutschen
Standards gemessen spartanisches, für äthiopische Verhältnisse stattliches Tenniscenter in Addis Abeba. Erste Geldgeber
sind bereits gefunden.
Die Tennisanlage, sollte sie Wirklichkeit werden, könnte einmal
den Kristallisationskern eines neuen Nationalsports symbolisieren. Das ist der Traum, den hier inzwischen nicht mehr nur
Tariku Tesfaye und sein Bruder Desta hegen. Haile Gebrselassie, vielfacher Marathon-Weltrekordbrecher und äthiopischer
Natio-nalheld, hatte die Tenniskinder einst im Greek Club
spielen gesehen. Sie weckten bei ihm Erinnerungen an eine
andere Pioniertat, die das Land veränderte: »Vor den olympischen Marathonsiegen von Abebe Bikila war Äthiopien in der
Sportwelt nichtexistent. Danach kam ich, kamen viele andere,
wir wurden zur Läufternation. Warum sollte eine solche Entwicklung im Tennis nicht möglich sein?« Wohlhabende Kinder,
sagt Gebrselassie, schwitzen nicht gern. Das sehe er an seinem
eigenen Nachwuchs. »Für sportliche Spitzenleistungen muss
DENKSPORT Mehrmals pro Woche kommt ein
Englischlehrer in die Baracke am Trainingsplatz,
um die Tenniskids zu unterrichten.
man sich quälen können. Und diese Bereitschaft ist nichts, was
man sich kaufen und einfach mit einer Spritze injizieren kann.«
Auch Stev Kleine, ein junger Trainer an der badischen
Tennisakademie, ist begeistert von dem Trainingseifer der
Tenniskids. Im Januar 2012 ist er zu seinem zweiten Besuch in
Addis Abeba. Im Gepäck: hochwertige Tennisschläger und
T-Shirts in Kindergrößen, die er einem Sporthersteller als
Spenden abgeschwatzt hat. Das Gesicht gerötet von der Sonne,
die 2400 Meter über dem Meer ihre Kraft nicht durch Wärme
verrät, steht er an mehreren Tagen auf den Plätzen und schlägt
unablässig die Bälle übers Netz. Mitgebracht hat er den
Tennistalenten auch Konditions- und Koordinationsübungen.
Seilhüpfen.
Zwei gegen eins.
Kleinfeldduelle mit blitzschnellen Ballwechseln.
»Common!« — »Don’t stop!« — »You can do it!«. Kleine feuert
sie an, in rauem Ton. Muntert sie kumpelhaft auf, er kann auch
Zuckerbrot. So viel Motivation und Disziplin wünscht er sich
bei deutschen Jugendlichen. Als sich die Abenddämmerung
über die beiden Plätze legt, das Rot des Sandes und das Gelb
der Bälle schluckt, nimmt sich Stev Kleine die Oberschenkelmuskulatur vor. Die Spielerinnen und Spieler müssen sich an
der Längslinie aufreihen und im Entenrennen gegeneinander
antreten: in der Hocke watschelnd zur anderen Seite des Spielfeldes und, Kehrtwende, zurück. Ein Durchgang. Dann noch
einer und noch einer.
Merons Gesicht ist schmerzverzerrt. Sie wird einen höllischen Muskelkater bekommen, das ist ihr schon jetzt klar. Vor
dem anstehenden Turnierfinale ist ihr trotzdem nicht bange.
Denn sie weiß, ihre Finalgegnerin wird mit dem gleichen Handicap antreten — Dinkenesh watschelt nur wenige Meter neben
ihr. Just, als Dinkenesh innehält und aufgeben will, peitscht ein
»Common, you can do it!« durch die Dämmerung.
85
Nebenplatz /
VI ENRNIS
TE
FÜR
& BLIN
SCH UL
DTEEX T
Text Philipp Wurm
Foto Lukas Coch
Hart, härter,
Tennisinternat
Im Tennisinternat von Hannover sind die Tage streng getaktet. Wer in die Weltspitze will, darf keine Zeit verlieren – nicht
an Partys, nicht an Jungs. Der Trainingsplatz ist der Mittelpunkt des Lebens
86
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Wenn die 16-jährige Sonja
Larsen im Bio-Unterricht
die Tafel wischt, steckt ihr
schon ein hartes Frühtraining in den Knochen.
Rot lackierte Fingernägel
und ein präzise bespannter Schläger: Die Mädchen
im Tennisinternat von
Hannover sind Perfektionistinnen.
87
Nebenplatz /
TE N NIS & SCH UL E
>Vorhin ist Sonja Larsen die Grundlinie entlang gesprintet wie eine
Gazelle und hat dabei Bälle ins Feld
geschlagen, deren Wucht einschüchternd war. Jetzt sitzt die 16-Jährige in
ihrem Internatszimmer und wirft einen
verlegenen Blick zu Boden, wo Sporttaschen und anderes Equipment wie
Treibgut liegen. Nein, Sonja fällt auf die
Frage des Reporters, ob sie noch etwas
anderes außer Tennis interessiert, wirklich nichts ein.
Für ihre Einseitigkeit muss sie sich
kaum schämen. Die Anforderungen im
Tennisinternat des niedersächsischen
Tennisverbands (NTV) in Hannover
lassen kaum andere Hobbys zu. Sonja,
brünett, große Augen, steckt ein Tag
in den Knochen, wie er andere, weniger zielstrebige Teenager zermürben
würde: Frühtraining um 7.30 Uhr, dann
Unterricht in der Oberstufe einer benachbarten Gesamtschule, nachmittags
88
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
wieder Training, mehrere Stunden am
Stück, anschließend ein paar Hausaufgaben. Gleich wird sie das Licht ausknipsen – gegen 22 Uhr, zu einem Zeitpunkt,
den andere Mädchen nutzen, um mit
ihrem Freund zu skypen. Sonja sagt, sie
habe keine Zeit für Jungs. Zu streng ist
ihr Leben durchgetaktet.
Wenn sie ein letztes Mal abends durch
die Internatsgänge schlurft, ermüdet
und bleiern, hängen dort Poster wie
Mahnmale, sie zeigen Venus Williams
oder Roger Federer, deren Triumphe sie
im Fernsehen verfolgt hat. In ein paar
Jahren will sie auch Spitzenprofi sein,
es ist der vage Umriss eines großen
Traums, der sie durch die entbehrungsreichen Wochen, Monate und Jahre im
Internat trägt.
Sonja ist deutsche Jugendmeisterin
im Doppel. Im Einzel ist sie bei den Jugendmeisterschaften vergangenes Jahr
Selbstdisziplin
ist die wichtigste
Lektion. Wenn um
22 Uhr das Licht
ausgeknipst wird,
steckt den Mädchen ein Tag in den
Knochen, dessen
Intensität andere
Teenager zermürben würde
im Viertelfinale ausgeschieden, obwohl
sie auf Eins gesetzt war. Sonja wiegelt ab,
sagt rückblickend, so etwas könne passieren, schließlich habe sie gegen Antonia
Lottner verloren, die spätere Siegerin.
Trotz Drill auf dem Tennisplatz und langen Turnierreisen bringt Sonja respektable Schulnoten.
Unermüdlich feilt Katharina (18) an ihrer Technik.
Schon jetzt zählt sie zur
deutschen Elite.
Seit 2006 wohnt sie schon im Internat — so lange wie nur wenige von den
15 Jungen und Mädchen, die gegen eine
Monatsgebühr zwischen 1500 und 2000
Euro so brilliant werden wollen, dass sie
später einmal in die Top 100 vorstoßen.
Ihre Eltern sind meist wohlhabend, Ärzte
oder Manager, andernfalls ließe sich diese
Art der Karriereförderung kaum finanzieren. Einige Spieler zählen bereits jetzt
zur deutschen Tennis-Elite. Die 17-jährige
Katharina Lehnert etwa kam 2011 bei
den deutschen Tennismeisterschaften
der Damen in Biberach an der Riß unter
die letzten Acht.
Das Zuhause dieser Jugendlichen ist
eine Parallelwelt, deren Inventar nur
einen Zweck erfüllt: die »Leistungsoptimierung«, wie es im Sportlerjargon
heißt. Über die Tennisplätze, die an das
Internatsgebäude angrenzen, hallt das
Geräusch aufditschender Bälle. »Hepp,
hepp«, hört man einen Trainer rufen,
»mehr Tempo!« Manchmal werden sie
auch lyrisch: »Du latschst über den Platz
wie ein Storch mit steifen Beinen«. Vier
Trainer, ein Konditionstrainer, eine Psychologin und ein Mentor — der Ex-Profi
Nicolas Kiefer — betreuen die Jugendlichen. Das Lernziel heißt »internationales Spitzentennis«, wie Geschäftsführer
Eckhard Mittelstaedt sagt. Regelmäßig
kommen zudem Spieler, die den Zöglingen wie Inkarnationen ihrer Träume
erscheinen, Stars wie Julia Görges oder
Sabine Lisicki. Das Areal ist nämlich
zugleich der »Bundesstützpunkt Nord«
des DTB — ein Trainingscamp, dessen
Klosterstrenge auch etablierten Profis
die nötige Konzentration verspricht. Sie
89
Nebenplatz /
TE N NIS & SCH UL E
02
01 Anastasia Rosnowska ist mit 12 Jahren
die Jüngste im Internat. Es gibt nur zwei
Dinge, die sie auf ihrem Zimmer macht:
Hausaufgaben und Schlafen.
01
02 Nicolas Kiefer ist Mentor der Internatszöglinge. Er war schon dort, wovon seine
Schülerinnen träumen: in den Top Ten.
quartieren sich dort zur Vorbereitung auf
große Turniere ein.
Die Hausordnung besteht in erster
Linie aus Warnhinweisen: kein Alkohol,
keine Zigaretten, kein Sex. Auf dem
Kühlschrank in der Küche klebt eine
Tabelle, die vor Süßigkeiten warnt, etwa
Marsriegeln (enthalten 13 Zuckerwürfel!). An der Tür zum Speiseraum das
nächste asketische Mantra, festgehalten
auf einem Zettel: »Du brauchst ein Ziel
vor Augen! Dieses erreichst du nur mir
Ehrgeiz, Disziplin, harter Arbeit und dem
Glauben an dich selbst.«
Das Internat wurde 2004 eröffnet – zu
einer Zeit, die eine Läuterungsphase für
das deutsche Tennis war. Der DTB sah
ein, dass Spieler anderer Nationen besser
ausgebildet waren, agiler in der Bewegung, ausgereifter in der Schlagtechnik.
Eine Kaderschmiede in Hannover sollte
dieses Defizit aufwiegen. Im bayrischen
Oberhaching wurde 2009 ein weiteres
90
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Tennisinternat gegründet. In Hannover
haben bislang etwa 60 Jungen und
Mädchen geackert und geschwitzt. Der
Sprung in die Top 100 ist bislang noch
niemandem gelungen. Vielleicht sind
manche der Abgänger aus den vergangenen Jahren noch zu jung, um schon
jetzt durchzustarten.
Eckhard Mittelstaedt, der Geschäftsführer mit ernster Miene,
der die Effizienz des täglichen Schliffs
überwacht, erklärt in seinem Arbeitszimmer: »Die Konkurrenz aus
anderen Ländern ist gewaltig. Dort ist
der Leistungsgedanke noch stärker
ausgeprägt.« Er erzählt von russischen
Talenten, die schon mit zwölf Jahren
die Schule beenden, um ihr Spiel zu perfektionieren.
Mittelstaedt möchte, dass seine Schüler
das Abitur machen. Er will keine
Jungspieler, die bloß Avatare erfolgs-
TENNISINTERNAT
AUFNAHMEKRITERIEN
03
Günstig ist die Mitgliedschaft in den Bundeskadern A, B, C, D/C oder in den Landeskadern
D2, D3 und D4. Das Internat ist offen für
Spielerinnen und Spieler aus allen Bundesländern. Die Schüler sind in der Regel
zwischen 14 und 18 Jahre alt, für besondere
Talente gibt es aber auch Ausnahmen.
Kosten
Die Kosten liegen zwischen 1500 und 2000
Euro monatlich, werden mit den Eltern aber
individuell abgesprochen.
Unterbringung
13 Appartements im Obergeschoss des
Internats. Manche Mädchen teilen sich die
Zimmer, manche wohnen allein.
03 Frühstück im Tennisdress — ganz normaler Alltag. Danach geht’s gleich auf den
Tennisplatz.
versessener Trainerstäbe sind. Sie sollen
mündig sein und noch studieren können,
falls sie scheitern. Scheitern heißt: nicht
erfolgreich genug zu werden, um von
Preis- und Sponsorengeld leben zu
können.
Morgens fährt ein Bus die Schüler in
die Carl-Friedrich-Gauß-Schule, einer
»Eliteschule des Sports«, deren Lehrer
daran gewöhnt sind, Schüler zu unterrichten, die nicht Anwalt oder Lehrer
werden wollen, sondern Spitzensportler.
Dort brüten nicht nur Tennistalente
über Differentialrechnung, Drama
oder Demokratietheorie, sondern auch
Nachwuchsfußballer aus dem Internat
von Hannover 96 sowie Jungsportler, die
im Olympiastützpunkt der Landeshauptstadt leben. In den Kursräumen mischen
sie sich unter ganz gewöhnliche Schüler.
Sonja Larsen sitzt im Labor für Biologie, einem ihrer Leistungsfächer, auf
ihrem Pult liegen Mäppchen und mehrere Arbeitsblätter ausgebreitet. Gerade
hat die Lehrerin den Elftklässlern eine
kurze Pause gegeben. Ganz normal sei
es, Klausuren zu bestehen und zugleich
zum Tennis-Jetset zu gehören, sagt sie
lapidar. Sonja ist manchmal tagelang mit
ihren Trainern unterwegs und spielt auf
Turnieren in Japan, Mexiko oder Frankreich um Punkte in der Juniorenweltrangliste. Die Schulleitung toleriert die Trips.
Trotz dieser Weltreisen sind ihre Noten
solide. Dass sie manchmal die ersten
beiden Unterrichtsstunden verpasst, weil
sie zum Frühtraining muss, schmälert
ihre Leistungen ebenso wenig.
Wer auf dem Tennisplatz brennt, ist
offenbar auch in der Schule motiviert.
Manchmal helfen auch Selbstansprachen. »Auch bei viel Training gut in der
Schule sein«, dieses Gebot hat Anastasia
Rosnowska, mit 12 Jahren die jüngste
Internatsbewohnerin, auf ein Blatt
geschrieben, das an die Wand über ihrem
Bett drapiert ist, neben neun weiteren
Verhaltensregeln.
Anastasia, schmal und lang wie eine
Zypresse, arbeitet daran, eine Familientradition fortzusetzen. Ihre Eltern waren
Basketballprofis, nun will sie auch Leistungssportlerin werden. Sie wirkt noch
so kindlich, dass man nicht genau weiß,
ob ihr bewusst ist, was diese Entscheidung bedeutet. An den Wochenenden
fährt sie zu ihrer Mutter, die in einer
Kleinstadt in der Nähe von Hannover
wohnt. Im Internat ist Elzbieta Zabek,
eine Sozialpädagogin mit polnischem
Akzent, ihre Ersatzmama. Die muss sie
sich jedoch mit den anderen Jungen und
Mädchen teilen.
Elzbeita, »Ela« genannt, wohnt in einem
kleinen Appartement im Erdgeschoss
und ist die Leiterin des Internats. Sie
tischt die Mahlzeiten auf, morgens ein
Frühstücksbüffet, abends Spaghetti mit
Tomatensoße oder Gemüsesuppe. Sie
merkt, wenn jemand kränkelt. Sie schaut
nach, ob die Betten gemacht sind. Wer im
Tennisinternat lebt, wird also nicht nur
gefordert, sondern auch umsorgt.
In den älteren Bewohnern weckt dieses
enge Korsett manchmal die Sehnsucht
nach einem Ausbruch, einem Exzess. Im
Sommer 2010 haben zwei Schüler, 17
und 19 Jahre alt, beim Feiern in der Stadt
ein Mädchen abgeschleppt. Sie schliefen
mit ihr, nahmen den Dreier mit ihrer
Handykamera auf und zeigten den Dreh
anderen Bewohnern. Bild titelte:»SexSpiele auf dem Internat«. Eckhard
Mittelstaedt beschwichtigte gegenüber
der Boulevardzeitung, es sei keine Vergewaltigung gewesen. Die Jungen wurden
dennoch suspendiert. Verstoß gegen die
Hausordnung.
91
Off Court /
TE N NIS DIG ITAL
Hersteller Nintendo bringt 1985
sein Entertainment System (NES)
heraus und veröffentlicht »Tennis«.
Schiedsrichter ist ein italienischer
Klempner namens Mario, vom Hochstuhl spuckt er Sprechblasen, gefüllt
mit »FAULT!« oder »OUT!«, auf die
Spielfiguren. Trotzdem erinnert die
Grafik bereits an Tennisübertragungen im Fernsehen: Der Court
wird von unten nach oben dargestellt, der Stil prägt das Genre.
Digitale
DUELLe
1991: SUPER NES / »Super Tennis«
Nicht nur auf Grand und Rasen liefern sich Kontrahenten erbitterte Ballwechsel — auch als Video-Spiel
ist Tennis beliebt. Eine kleine Geschichte des
Schlagabtauschs vor dem Monitor.
nissport: Einfach loslegen ist nicht.
Dort muss erst ein Platz gemietet
werden und zumindest ein Grundkurs ist nötig, damit überhaupt ein
vernünftiger Ballwechsel zustande
kommt.
Als unkomplizierter Spaß unter
Freunden taugen die immer
komplexeren Spiele jedenfalls nicht
mehr. Viele Titel integrieren einen
Solomodus, in denen man neu erschaffene Charaktere behutsam an
die Weltspitze heranführen muss.
Doch, wie jeder weiß; Karrierestreben macht einsam. Man zockt allein.
2006: NINTENDO / »Wii Sports«
Text David Krenz
> Mensch, warum hockst du
dauernd vor dieser Kiste?
Immer wieder werden passionierte Video-Spieler mit
dieser Frage konfrontiert.
Dann schwärmen sie von den
fantastischen Welten, in die sie
eintauchen. Und von der Chance, einmal ein Elf, ein Ork oder
Lionel Messi zu sein. Oder Maria
Sharapova.
Wir schreiben das Jahr 1958, das
Zentrum für Atomforschung von
Brookhaven auf Long Island plant
einen Tag der Offenen Tür. Einer
der Forscher, William Higinbotham,
möchte den Besuchern mehr bieten
als Schaubilder und Texttafeln.
Er knöpft sich den Oszilloskopen
vor, ein Analogcomputer, der die
Flugbahn von Raketen anzeigt, programmiert ihn um. Ein vertikaler
Lichtbalken in der Monitormitte
dient als Tennisnetz, ein flirrender
Lichtpunkt als Ball. Per Drehknopf
lässt sich sein Aufprallwinkel
92
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
ECHT SCHARF Die Spielfigur von Maria Sharapova
ähnelt ihrem realen Vorbild
bis in die Haarspitzen.
steuern. Name des Simpelspiels:
»Tennis For Two«.
Vor dem monströsen Gerät mit
dem mickrigen Display bildet sich
eine Menschentraube, alle wollen
Hand anlegen. Sie sind Pioniere. Die
ersten Videospieler der Welt.
Das Potential erkennt damals
keiner. Higinbotham wendet sich
alsbald wieder seinen Teilchenbeschleunigern zu.
In den Siebzigern nimmt die
Evolution des elektronischen
Spiels Fahrt auf; angestoßen von
einem Tennisball. Auch wenn der
eher ein Pixelklumpen ist und
unter Missachtung tatsächlicher
Tennisregeln den Bildschirmrand
als Bande nutzt. »Avoid missing
ball for high score«, mit diesem Satz
erschöpft sich die Anleitung von
»PONG!«, dem ersten populären
Spiel. Auf der ganzen Welt verfüttern Teenager ihr Taschengeld an
die Arkadeautomaten.
1985: NiNTENDO / »Tennis«
> In den Achtzigern ziehen die
Videospiele aus der Spielhalle in die
Kinderzimmer um. Der japanische
> Im Jahr 1991 und etliche Epigonen später erscheint Super Tennis
für die Nachfolgekonsole Super NES.
Der Titel zeigt bis dahin ungekannten Realismus. Figuren knallen
wütend ihren Schläger auf. den
Boden, reichen sich nach dem Match
die Hände. Die japanische Version
lässt gar prominente Gesichter
blicken, die aufgrund fehlender
Lizenzen allerdings Andre Wagasi,
Boris Obekka oder Pete Sample
heißen.
In den folgenden Jahren versuchen die Entwickler, sich der
Wirklichkeit weiter anzunähern.
3-D-Modelle real existierender
Spieler gehören zum Standard. Aber
auch die Bedienung wird komplexer.
Bis man sämtliche Schlagvarianten
beherrscht, vergehen Stunden.
Durch die Zählweise »Spiel-SatzSieg« steht erst nach langem Hin
und Her ein Gewinner fest.
Für die virtuelle Variante gilt nun
Gleiches wie für den echten Ten-
> Dann aber kommt Schwung
in die Bude. 2006 erscheint das
System Wii und mit ihr das Spiel Wii
Sports. Statt per Tastendruck lässt
sich das Geschehen auf dem Schirm
durch ruckartige Bewegungen steuern. Der Spieler ahmt den Tennisschlag mit dem Arm nach, die Figur
setzt ihn um. Ein frisches Konzept,
dass selbst videospielferne Kreise
vor die Konsole lockt. Wii Sports
wird mit knapp 80 Millionen Kopien
das meistverkaufte Videospiel aller
Zeiten.
Das Teilnehmerfeld setzt sich aus
Vertretern des Feiervolks zusammen, dem Sieger winkt Schampus
und ein Jutebeutel. Keiner hat jemals
auf einem echten Court gestanden,
doch egal: Tennis und Videospiele —
beides cool, solange sich keiner zu
ernst nimmt dabei.
2012: EA SPORTS / »Grand Slam
Tennis 2«
> Die jüngste Generation der
Tennisspiele hat dieses Prinzip
verinnerlicht. Zwar protzt »Grand
Slam Tennis 2« mit dem Feature
»Pro KI«, welches »die Spielstile
und das Verhalten der größten Stars
des Tennissports bis hin zu ihren
einzigartigen Schlägen simuliert«.
Doch der Hersteller weiß: Auch
wenn die 3-D-Modelle von Ana
Ivanovic oder Maria Sharapova
hübsch anzuschauen sind, seinen
Sexappeal bezieht ein Tennisspiel
aus anderen Features.
Was zählt, ist der Spielspaß; und
der stellt sich schnell ein: Schon im
ersten Match gelingen Slices und
gar ein Hechtsprung, kaum ein Ball
landet im Netz. Was Hardcoregamer
sowie Tennisexperten als unrealistisch abtun mögen, ermöglicht
Laien überhaupt den Zugang. Die
will offenbar auch der Konkurrenztitel Virtua Tennis 4 erreichen: Im
Party-Modus kann man mit dem
Schläger Fußbälle ins Tor schießen
oder Suppenteller zerdeppern.
Tennis kann also durchaus auch als
Videospiel begeistern — es sollte nur
nicht allzu viel mit dem echten Sport
gemein haben.
Nicht nur der Mainstream haut
sich den digitalen Filzball um die
Ohren: 2007 gründen ein paar
Hipster den Tennisclub Berliin, zwei
»i« in Anlehnung an das Spielgerät. Mit Klebeband, Beamern und
einer Leinwand verwandeln sie die
Tanzflächen angesagter Nachtclubs
in eine temporäre Tennisarena.
93
Off Court /
Was macht eigentlich . . .
»Ich
wollte
ein
anderes
Leben«
Interview mit Anke Huber
über die Zeit danach
Text Doris Henkel
ANKE HUBER, 37
Profi von 1989 bis 2001
Preisgeld: US$ 4,768,292
Bester Weltranglistenplatz: 4
Größter Erfolg:
Australian Open-Finalistin 1996
Heute: Stell. Turnierdirektorin
»Porsche Grand Prix«, lebt mit
dem Fußball-Manager Roger
Wittmann und zwei Kindern in
Ludwigshafen
94
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Foto Lukas Coch und Heinz Heiss
> Als Magdalena Neuner Ende letzten Jahres mit nur 25 Jahren ihren
Rücktritt ankündigte, war die Verwunderung groß. Bei Ihnen auch?
Ich kann sie gut verstehen, weil ich
auch relativ früh, mit knapp 27 Jahren,
aufgehört habe. Irgendwann will man
ein normales Leben führen, weil man
genug hat von der Reiserei, dem Druck,
der Beobachtung. Es wird aber vielleicht
mal eine Phase in ihrem Leben geben, in
der sie den Schritt bereuen wird.
War es eine Kurzschlusshandlung
oder haben Sie lange darüber nachgedacht? Oh, das hat lange gedauert.
Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um mich
zu dem Entschluss durchzuringen. Und
dann habe ich noch mal knapp ein Jahr
95
Was macht eigentlich . . .
weitergespielt, obwohl die Entscheidung
aufzuhören für mich persönlich längst
gefallen war. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich von meinem ersten
Leben verabschiedet hatte.
Gab es einen bestimmten Auslöser
für den Rücktritt? Ich hatte damals einige Verletzungen in kurzen Abständen,
das nagt an einem. Am schlimmsten aber
war, dass ich kein wirkliches Zuhause
mehr hatte. Ich wollte einfach nicht mehr
in den nächsten Flieger steigen. Ich hab
gemerkt, wie sehr ich meine Freunde
vermisse und dass ich sie verlieren
werde, wenn das noch Jahre so weitergeht. Ich wollte ganz einfach ein anderes
Leben.
Haben Sie die Entscheidung ganz
allein getroffen? Ich hab mit meinem
Manager geredet, mit meinen Eltern, aber
am Ende muss man da natürlich alleine
durch. Am Anfangs habe ich mir erst
mal wenig Gedanken gemacht wie es
weitergeht, ich war einfach froh, dass es
vorbei war. Aber nach einer Weile kommt
zwangsläufig die Frage: Was kommt
jetzt? Du kannst ja nicht gar nichts tun
für den Rest des Lebens.
Wie waren die ersten Tage nach dem
Rücktritt? Ich war damals mit einem
australischen Tennisspieler zusammen.
Ich war drei Monate mit ihm in Australien
und habe ihn zu seinen Turnieren begleitet. Deshalb ist die Beziehung auch gescheitert, weil ich dieses Leben aus dem
Koffer einfach nicht mehr wollte. Ich bin
nach Hause geflogen und habe die Fuße
hochgelegt. Endlich. Es war herrlich.
Und dann? War ich drei, vier Monate
an einem Fleck. Das kannte ich gar nicht
mehr. Ich hab erst mal meine Wohnung
schön eingerichtet, habe mir ein Zuhause
gebastelt und die Zeit genossen, die ich
jetzt für mich hatte.
Wie haben Ihre langjährigen Freunde
reagiert? Das war schwierig. Meine
alten Freunde waren in Heidelberg und
ich lebte damals in Salzburg. Natürlich
kannte ich auch dort Leute, mit denen ich
dann viel unterwegs war. Ich habe alles
nachgeholt, was ich in den Jahren davor
nicht machen konnte: Ausgehen, Kino,
im Kaffeehaus sitzen. Der Kontakt zu
meinen engsten Freunden hat sich erst
96
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
»Deshalb ist die Beziehung auch gescheitert, weil ich dieses Leben aus dem
Koffer einfach nicht mehr wollte. Ich
bin nach Hause geflogen und habe die
Füße hochgelegt.«
wieder aufgefrischt, als ich nach Deutschland zurückgezogen bin.
Und wann kamen die ersten Zukunftspläne? Gleich nachdem ich
aufgehört hatte, kam das Angebot, FedCup-Teamchefin zu werden. Das hab ich
abgelehnt, weil ich nicht da weitermachen
wollte, wo ich gerade aufgehört hatte.
Etwas später hatte der Turnierdirektor in
Filderstadt die Idee, dass ich ihn unterstützen könnte. Das konnte ich mir gut
vorstellen. In Filderstadt hatte ich zweimal
gewonnen, das würde mir Spaß machen.
Es war ja nur für zwei Wochen im Jahr
geplant.
Konnten Sie den Job von Anfang an?
Mit der Zeit sind die Aufgaben gewachsen. Meine Devise ist: Wenn ich was nicht
weiß, kann ich es mir erklären lassen.
Natürlich wäre es gelogen, wenn ich
behaupten würde, dass ich alles kann.
Es ist kein Ganzjahres-Job, aber ich kann
viel von zuhause arbeiten und es deshalb
gut mit den Kindern einrichten. Ich bin
auch wieder bei Turnieren unterwegs, um
Spielerinnen für den Porsche Grand Prix
zu verpflichten. Das Reisen macht heute
wieder Spaß.
Hat Ihnen irgendwann Ihr altes Leben
gefehlt? Klar fehlt da was. Man hat ja
ein Leben lang was getan, was einem
Spaß gemacht hat, was toll war. Und
natürlich gibt´s da Tage, an denen man
denkt: Mensch, vielleicht hab ich zu früh
aufgehört.
Welche Tage waren das? Vor allem die
Tage, an denen man allein war. Und wenn
die Grand-Slams im Fernsehen liefen.
Da packt einen schon ein wehmütiges
Gefühl.
Ein Jahr nach dem Rücktritt lernten
Sie Ihren Mann, den Fußballmanager
Roger Wittmann kennen. Mittlerweile haben Sie, genau wie Steffi Graf,
Off Court /
zwei Kinder und eine eigene Familie.
Zufall? Bei mir ja. Es war nicht so geplant
nach dem Motto: Ich höre auf und gründe
sofort eine Familie. Es hat sich so ergeben. Da ist Steffi auch privat zielstrebiger
gewesen.
Welches Talent muss ein Sportstar haben, damit er nach einer erfolgreichen
Karriere auch ein erfolgreiches Leben
danach hinbekommt? Ist Steffi Graf
auch in dieser Hinsicht mehr Vorbild
als ein jetsettender Boris Becker? Natürlich ist Steffi auch da ein Vorbild. Sie ist
nach ihrer Karriere genauso professionell
geblieben wie früher. Sie ist trotz ihres
Riesenerfolges sehr normal und am Boden
geblieben. Ich glaube das ist auch der
Schlüssel das Leben nach der Karriere ordentlich meistern zu können: Respektvoll
mit seinen Mitmenschen umgehen und so
normal wie möglich bleiben.
Die Entwicklung im deutschen Frauentennis sehen Sie vermutlich mit großer Freude. Natürlich. Ist doch schön,
dass endlich was passiert, oder? Ich
glaube, dass Sabine Lisicki, wenn sie sich
nicht wieder verletzt, unter die Top Ten
kommen kann. Und dass Andrea Petkovic
in den Top Ten noch zwei, drei Plätze weiter nach vorn kommen kann, wenn sie Ihr
Spiel stabilisiert.
Sie selbst waren sehr zurückhaltend,
eine Andrea Petkovic gibt heute gerne
mal die Rampensau: sie ist frech und
tanzt auf dem Court. Macht Sie es richtig? Heutzutage können die Spielerinnen
ganz anders mit den Medien umgehen.
Nach einer Petkovic wird ja geradezu
gesucht, die Leute wollen, dass jemand ´ne
Show macht. Ich find´s toll. Dadurch, dass
Steffi so zurückhaltend war, musste ich
das auch sein, obwohl ich vielleicht vom
Typ her anders bin. Wenn ich mich in die
Öffentlichkeit gedrängt und dann schlechter gespielt hätte, wäre das sicher negativ
rüber gekommen.
BARBARA SCHETT, 36
Profi von 1992 bis 2005
Preisgeld: US$ $3,109,510
Bester Weltranglistenplatz: 7
Größte Erfolge: Turniersieg in Klagenfurt 2000, Viertelfinale US Open 1999
Heute: TV-Moderatorin (Eurosport),
lebt mit Ihrem Ehemann, dem
australischen Ex-Profi Joshua Eagle
in Australien und Innsbruck
97
Off Court /
Was macht eigentlich . . .
MARTINA HINGIS, 31
Profi von 1994 bis 2007
Preisgeld: US$ $20,130,657
Bester Weltranglistenplatz: 1
(insgesamt 209 Wochen; mit 16 Jahren
jüngste Nummer 1 aller Zeiten)
Größte Erfolge: 5 Grand Slam Siege
(Wimbledon, US Open & 3x Australien), 43 Turniersiege
Heute: Lebt Hingis in Zürich und Paris,
verheiratet mit dem französischen
Springreiter Thibault Hutin
CLAUDIA KOHDE-KILSCH, 48
Profi von 1980 bis 1994
Preisgeld: US$ 2,035,385
Bester Weltranglistenplatz: 4
Größter Erfolg: Wimbledon-Sieg 1987
im Doppel (mit Helena Sukova)
Heute: Immobilienmaklerin in Saarbrücken, hat 2011 Privatinsolvenz
angemeldet
98
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
99
Was macht eigentlich . . .
RENATA KOCHTA, 38
EVA PFAFF, 58
Profi von 1989 bis 1996
Profi von 1980 bis 1993
Preisgeld: ca. $100.000
Bester Weltranglistenplatz: 301
Größter Erfolg: Europameisterin 1992
Heute: Die selbstständige EventManagerin lebt mit Tochter Tamina
Karolina in München.
100
Off Court /
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Preisgeld: US$ 767,709
Bester Weltranglistenplatz: 17
Größte Erfolge: Sieg in Nashville
& Viertelfinale Australian
Open 1982
Heute: Sport-Psychologin in
Königstein/Taunus
101
Was macht eigentlich . . .
Huber, Schett, Hingis &
Co.— Vom sogenannten
Leben danach
Text Markus Wanzeck
> Ein eisiger Februarmorgen, ein
schicker Vorort von Paris. Martina
Hingis, 31, blickt etwas verdutzt drein, als
Fotograf Heinz Heiss mit seinem VW-Bus
vor ihr steht. Mit dem Ding also möchte er
sie zu ihrem Gestüt chauffieren, wo das
Shooting stattfinden soll. 70 Kilometer ist
der Hof entfernt, eine Dreiviertelstunde
Fahrt. Mit ihrem Auto. Wenn sie fährt.
Aber mit dem VW-Bus?
»Wie viel PS hat der?«, fragte der Weltstar aus der Schweiz skeptisch.
Naja, so hundert vielleicht, sagt Heiss.
»Dann nehmen wir mal besser mein
Auto. Damit sind wir schneller.« Eine
ehemalige Weltranglisten-Erste eben.
Mercedes M-Klasse, getunt, 360 PS. Heiss
nimmt als Beifahrer Platz und klammert
102
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Titel /
SEITENWECHSEL
sich an seiner Fotoausrüstung fest.
Hingis, erinnert er sich lebhaft, fuhr im
»Pariser Stil«. Heißt: Überholen, selbst
da, wo es eher nicht möglich ist. Immer
Höchstgeschwindigkeit plus X. »Sind
Sie tatsächlich fünfhundert Kilometer
gefahren«, fragt Hingis ihren Begleiter
während eines Überholmanövers, »nur
wegen eines einzigen Fotos von mir?«
Ist er. Fünfhundert hin, im richtigen
Moment den Auslöser gedrückt, fünfhundert zurück. In den Tagen zuvor hatte
Heiss bereits einige hundert Kilometer
mehr abgespult, um ehemalige TennisStars in ihrem Leben nach der Profikarriere zu besuchen.
Eva Pfaff, 51, trifft der Fotograf zu Beginn seiner Bilderreise unweit ihres
Wohnortes Königstein im Taunus. Im
Tenniszentrum des FTC Palmengarten in
Frankfurt/Main gibt die heutige DiplomPsychologin regelmäßig Coachings für
Führungskräfte und Leistungssportler.
Der Tennisprofi Eva Pfaff hätte die Psychologin Eva Pfaff gut brauchen können:
»Ich wäre gegen namhafte Gegnerinnen
vor Nervosität nicht so in die Knie gesackt wie bei meinen ersten Duellen mit
Martina Navratilova.« Eine tolle Karriere
hatte die Doppel-Spezialistin trotzdem.
Renata Kochta, 38, empfängt Heinz Heiss
in einem farbenfrohen Souterrain-Büro
in München, dem Sitz ihrer auf Mode
und Events spezialisierten PR-Agentur
»Kochta International«. In der SchickiMicki-Szene der Stadt genießt sie den
Ruf einer Society-Lady und Party-Löwin.
Ausdauer hat sie ja. Sie ist froh einen
Neustart weitab ihrer ersten Karriere
gewagt zu haben. Einziger Wermutstropfen: Sie hat den Spaß am Tennis verloren.
»Der Ehrgeiz auf dem Platz ist noch der
gleiche – nur treffe ich nicht mehr dahin,
wo ich will.« Da lässt sie es lieber ganz
und geht joggen.
Am nächsten Morgen wacht Heinz Heiss
in Saarlouis auf, 380 Kilometer nordwestlich von München. Hier arbeitet
Claudia Kohde-Kilsch, 48, als Immobilienmaklerin. »Hauptberuflich«, wie sie
betont. Denn sie ist eine Frau mit vielen
Talenten: Diplom-Journalistin, Veranstalterin von Tennis-Camps, Liedtexterin.
Zuletzt hatte Sie beruflich auch viel Pech
und musste Insolvenz anmelden. Aber als
ehemalige Weltranglisten-Vierte weiß
sie zu kämpfen und hat längst neue Ziele
vor Augen: »Mein Traum wäre es, einen
Song für meinen lieben Freund Udo
Jürgens texten zu dürfen.«
Einige Tage darauf, vor der Porsche-Arena in Stuttgart. Anke Huber, 37, wartet
schon, der VW-Bus von Heinz Heiss
musste nochmal vollgetankt werden.
Es sind noch ein paar Wochen hin bis
zum »Porsche Grand Prix«, den sie als
stellvertretende Turnierdirektorin seit
einigen Jahren mitorganisiert. Huber ist
unruhig, fragt, wie lange sie posieren
müsse, eigentlich hätte sie gar keine Zeit,
denn drinnen in der Halle liefern sich ihre
Nachfolgerinnen gerade einen hitzigen
Schlagabtausch: Es ist Fed-Cup-Zeit,
Deutschland gegen Tschechien. Huber
sagt: »Ich bin nicht mehr Profi, heute bin
ich Fan.«
HEINZ HEISS, 49.
Für seine Porträts von
Intelektuellen und
Künstlern bekam der
Stuttgarter 2007 den
Hansel-Mieth-Preis.
LUKAS COCH, 31. Der
Kölner Weltenbummler
ist bekannt für seine
Reportagen aus Lateinamerika und Australien.
ZWEI
ZIEMLICH
SÜSSE
LADIES
ANNA KOURNIKOVA Der Ruf, der
Anna Kournikova hinterhereilte, als sie
noch über die Centre Courts stolzierte,
war zweifelhaft: hübsch sei sie ja, die
strahlend blonde Russin, aber ein Match
gewinnt sie so selten wie England bei der
Fußballweltmeisterschaft das Elfmeterschießen. Das hat sich schon so sehr
herumgesprochen, dass es in der amerikanischen Pokervariante »Texas Hold'em
Poker« ein Loser-Blatt gibt, das nach ihr
benannt ist. Wer eine Ass-König-Kombination gezogen hat, hält eine astreine
»Anna Kournikova« in der Hand. Dazu
sagt man den Spruch: »Sieht gut aus,
gewinnt aber selten.« Dabei hat Kourniko-
va im Einzel von
338 WTA-Spielen
209 gewonnen, im Doppel eroberte sie gleich zwei
Grand-Slam-Titel, und im Laufe
ihrer Karriere hat sie sich Preisgeld in
Höhe von 3,6 Millionen Dollar erkämpft.
Kann ja sein, dass Konkurrentinnen wie
Martina Hingis oder Jennifer Capriati
häufiger siegreich waren, besonders in
Finalspielen. Kann auch sein, dass Kournikova, die globale Hochglanzikone,
durch Werbeeinnahmen letztlich mehr
Vermögen angehäuft hat als durch
Turnierprämien. Den Verstand sollte
man sich deshalb aber nicht vernebeln
lassen – so hinreißend Anna Kournikova auch aussehen mag. Wer eine
solche Bilanz vorweist, hat immer noch
eine respektable Karriere hingelegt.
Aber so ist das eben: Von der schönsten Spielerin wurde auch erwartet,
dass sie die allerbeste sei.
RITTER SPORT Es klingt ja auch
wirklich romantisch: dass die Rittersport-Schokolade, die immer so gesund,
leicht und smart daherkommt, ihre
Existenz dem Tennis zu verdanken
habe – einem Sport, der man ähnliche
Eigenschaften zuschreibt. Clara Ritter,
die Gründerin des schwäbischen Unternehmens, soll die Süßigkeit in den
30er Jahren erfunden haben, damit die
Spieler während des Seitenwechsels
etwas zum Knabbern hatten.
Man könnte gewissermaßen
von einem Vorläufermodell
von Boris Beckers berühmter
Pausenbanane sprechen. Und
tatsächlich spricht für die Rittersport-Schokolade als Proviant auf dem Tenniscourt, dass
sie in jede Gesäßtasche passt.
Doch die Geschichte ist eine
Ente, auch wenn sie, so hört
man in der Pressestelle des RittersportKonzerns, auf Schautafeln im Kölner
Schokoladenmuseum so erzählt wird. In
Wirklichkeit war es der eher grobschlächtige Fußball, der Clara Ritter auf die Idee
brachte, eine Schokolade einzuführen,
die »quadratisch, praktisch, gut« ist. Auf
einem Fußballplatz, der sich in der Nähe
des Unternehmens in Waldenbuch bei
Stuttgart erstreckte, beobachtete die
Patriarchin, wie die Zuschauer in der
Halbzeitpause immer laut fluchten. Die
damals handelsüblichen Schokoladentafeln, die aus ihren Jackettaschen ragten
und viel zu länglich ausfielen, waren
mal wieder zerbrochen und zerbröselt.
Die neue Blockschokolade, die sie auf
den Markt brachte, war kompakter und
fester. Seither sichtet man sie hin und
wieder auch auf Tennisplätzen. Zucker
wirkt euphorisierend.
103
Center Court /
VE R BAN DSPOLIT I K
Text Thilo Komma-Pöllath
FOTO Christoph Püschner (l.)
»Es
fehlt
der
Biss«
Ulrich Lange, Präsident des WTB,
einer der mächtigsten Männer im
deutschen Tennis
104
GO SPE ZIAL / GI R L S O P E N
Der graumelierte Gentleman
ist einer der mächtigsten
Männer im deutschen Tennis:
Ulrich Lange, 69, langjähriger
Präsident des Württembergischen Tennis-Bundes und
damit Chef des zweitgrößten
Landesverbandes im DTB.
Zuletzt hat der Reutlinger sich
im Präsidenten-Wahlkampf
im November 2011 für einen
Neuanfang und gegen den amtierenden Inhaber Georg von
Waldenfels ausgesprochen.
GIRLS OPEN traf Lange am
Rande des Fed-Cups in
Stuttgart zum Gespräch über
den anstehenden Strukturwandel im deutschen Tennis
>Herr Lange, geben Sie uns angesichts der Erfolge der deutschen Damen recht, dass das deutsche Tennis
lange nicht mehr so attraktiv war
wie heute? Wenn ich eine Girlie-Band
zusammenstellen müsste, dann würde
ich optisch, charakterlich und intellektuell genau unsere vier Mädels nehmen:
Petkovic, Lisicki, Görges und Kerber. Die
sind alle sehr nett, zicken nicht rum und
total dankbar, was man für sie getan hat.
Besser geht’s nicht.
»Tennis soll wieder cool werden«,
sagt der neue DTB-Präsident KarlGeorg Altenburg, den Sie unterstützt
haben. Wie soll das gehen? Die letzten
fünf, sechs Jahre sind wir dahingesiecht,
jetzt herrscht wieder Aufbruch-Stimmung. Dieser Neuanfang war wichtig. Ich
habe sein Organigramm gesehen, wer
für was zuständig ist. Mit Altenburg ist
jetzt Zug drin, mit ihm sind wir auf dem
richtigen Weg. Ich weiß nicht, was er
mit cool meint, ich habe immer gesagt:
Tennis muss sympathisch sein. Darunter
verstehe ich, dass die jungen Menschen
eine sportliche Heimat in den Vereinen
finden. Tennis muss geselliger werden.
Da gehört Beach-Tennis dazu, vielleicht
mal eine Tennisparty am Abend. Wir
müssen neue Konzepte entwickeln, die
das gesellschaftliche Erlebnis Tennis
wieder neu erfinden.
Ist Vereinsmeierei nicht old School
angesichts der neuen Medien, in
denen sich Kinder und Jugendliche
heute austoben? Ich glaube schon, dass
Tennisvereine immer noch trendy und im
Zeitgeist sind. Es gibt da rührige Vereinsvorstände, die ein irrsinniges Vereinsleben aufziehen. Einer dieser typischen
Vereine im WTB ist der TC Pliezhausen.
In Pliezhausen, zwischen Tübingen und
Stuttgart, wohnen keine 5000 Menschen, aber der Tennisclub hat knapp
500 Mitglieder. Da ist permanent was los.
Das letzte Mal hat die erste Mannschaft,
alles Jungs übrigens, bei einem großen
Abendessen die Seniorengruppe bekocht. Es muss ein fantastischer Abend
gewesen sein. Oder nehmen sie den TC
Doggenburg. Die haben ihren BridgeAbend, die haben ihren Boule-Abend,
die haben ihren Skat-Abend, die haben
ihre Turniere, es geht weiter über Tennis
hinaus.
Muss auch der Sport selbst reformiert werden? Ich wäre dafür, aber
da laufe ich gegen Wände. Ich könnte
mir vorstellen, den Sport noch mehr zu
verkürzen. Das man sagt, der Satz geht
nur noch bis fünf. Das sind aber meine
ganz persönlichen Vorstellungen gegen
die es viele Widerstände bei den Gralshütern gibt.
Der DTB und seine Landesverbände haben seit Boris Becker und
Steffi Graf einen enormen Mitgliederschwund zu verzeichnen. Von
ehemals 2,4 Millionen registrierten
Tennisspielern sind in Deutschland
noch 1,6 Millionen geblieben. Gut ein
Drittel weniger. Ist dank der jüngsten Erfolge von Petko & Co. eine
Kehrtwende in Sicht? Die Erfolge sind
im Moment noch zu kurzfristig, als dass
sie sich in dieser Form schon auswirken
konnten. Was man mit Sicherheit sagen
kann ist, dass Tennis wieder in aller
Munde ist, auch in Medien. Das ist jahrelang wegen fehlender Vorbilder nicht der
Fall gewesen ist.
Sie hoffen aber, dass die Zahlen bald
wieder deutlich steigen könnten? Ich
möchte doch mal mit einer Mär aufräumen. Die großen Entwicklungen in den
Tennisvereinen sind in den 70er Jahren
passiert, da wurden auch die meisten
Klubs gegründet. Später haben Becker
und Graf dazu beigetragen, dass Tennis in den Medien einen ganz anderen
Stellenwert bekommt. Zur Mitgliederentwicklung haben die beiden nicht
beigetragen. Ich kann ihnen das an Hand
der Zahlen belegen: Den Höchststand an
Mitgliedern hatten wir im DTB 1987/88,
also auf dem Höhepunkt des deutschen
Tenniswunders. Aber auch da schon
stagnierend. Der Württembergische
Tennis-Bund hatte damals 240.000
Mitglieder, heute liegen wir bei rund
190.000. Während der DTB einen Rückgang von 33 Prozent zu verkraften hatte,
sind es bei uns nur rund 20 Prozent. Mir
tut jeder Einzelne weh, der austritt, aber
im Verhältnis zu den anderen Landesverbänden sind wir der Einäugige unter den
Blinden.
01 Cool und sympathisch soll
Tennis wieder werden, sagt Präsident Ulrich Lange. Er denkt an
Beach-Tennis mit Julia Görges…
02 …oder Tennis in der Schule.
Der WTB hat 600 Tennis-Sets
mit Schlägern und Bällen an den
Schulen verteilen lassen…
03 …damit die Jüngsten wieder
Spaß am »aufregendsten Spiel
der Welt« bekommen. Ob's hilft?
01
02
03
Werden Sie versuchen, Petkovic und
die anderen als Testimonial für die
Nachwuchsarbeit zu gewinnen?
105
VE R BAN DSPOLIT I K
Wenn sie die jungen
Leute heute etwas härter anfassen, dann
wird sofort gejammert.
Boris Becker hat
mal den Ausdruck geprägt: »Man muss
Gras fressen können«.
einfach verwöhnter ist. Die Kinder haben
alles, es geht ihnen gut, sie haben es gar
nicht nötig. Wenn Sie mal die letzten Jahre Revue passieren lassen, dann werden
sie feststellen, dass die erfolgreichen
Spielerinnen im Tennis hauptsächlich
aus Osteuropa oder Dritte Welt-Länder
kommen. Warum? Weil sie im Sport die
einzige Chance sehen, sich aus diesem
sozialen Umfeld zu lösen. Mann kann
nicht alle über einen Kamm scheren, aber
es ist häufig so, dass kaum einer mehr
malochen will.
Das wird man mit Sicherheit versuchen.
Ob das funktionieren wird, da bin ich
skeptisch. Die haben einen so vollgepackten Spielplan, dass sie dafür kaum
Zeit haben werden. Viel wichtiger ist
sowieso, dass die jungen Menschen in unseren Clubs wieder Vorbilder haben und
gerade eine Andrea Petkovic oder Sabine
Lisicki taugen ideal für diese Rolle. Das Interessante ist, dass wir im Nachwuchsbereich bei den Kindern keinerlei Probleme
haben, aber bei den 25- bis 40-Jährigen
gibt es seit Jahren keine Entwicklung. Das
ist in allen Sportarten so.
Die Siegerin der »Australian Open«,
Viktoria Azarenka, kommt, als
wollte sie Ihre These bestätigen,
aus Weißrussland. Versagt da nicht
die moderne Trainingslehre? Fragen
Sie mal die Trainer! Wenn sie die jungen
Leute heute etwas härter anfassen, dann
wird sofort gejammert. Boris Becker hat
mal den Ausdruck geprägt: »man muss
Gras fressen können«. Denen fehlt der
Biss. Daraus resultieren später die vielen
Verletzungen, weil sie körperlich nicht
alles tun, um diesen Anstrengungen gewachsen zu sein. Und viele vergeuden ihr
Talent, wenn sie in jungen Jahren schon
gut gestellt sind. Wenn manche auf der
Tour 200.00 Euro im Jahr machen, fragen
sie sich, warum soll ich noch mehr tun?
Woran machen Sie das fest, dass die
jungen Talente vor der Stufe zum
Hochleistungssport abspringen? Das
ist ein gesellschaftliches Problem. Gehen
Sie zwanzig, dreißig Jahre zurück. Sie
sind in einer Stadt geboren, haben eine
Schule besucht, anschließend sind sie auf
die Universität oder haben eine Lehre
gemacht. Sie sind eigentlich sesshaft
gewesen. Heute wird von den jungen
Menschen verlangt, dass sie sehr mobil
sind. Unsere Jugendlichen spielen in den
Vereinen sehr häufig Tennis bis zum Abitur oder bis sie zu einer Berufsausbildung
kommen, und dann verwässert sich das.
Und das zweite ist: viele wollen sich nicht
mehr quälen.
Das alte Lied also: Uns geht es zu gut.
Die Bereitschaft, sich heute für den Sport
zu quälen, ist erheblich geringer als früher. Natürlich spielen die neuen Medien
eine große Rolle, weil viele Kinder heute
ihre Zeit vor dem Handy oder Laptop
verbringen. Zu meiner Zeit war es eben
noch so, dass man nach der Schule raus
ist und hat Sport getrieben. Es gab keine
andere Abwechslung. Der zweite Punkt
ist der, dass unsere Generation heute
106
GO SPE ZIAL / GIR L S O P E N
Nachwuchsförderung muss also erzieherisch viel früher beginnen. Sie
haben sich vorgenommen, Tennis als
Schulfach zu etablieren. Was Tennis in
der Schule angeht, sind wir in Deutschland federführend. 2005 haben wir uns
im Präsidium hingesetzt und überlegt,
wie können wir unseren Sport in den
Schulen propagieren. Das Problem war, es
gab kein Geld für Unterrichtsmaterialien
und Ausrüstung. Da habe ich spontan
gesagt, das ändern wir. Wir haben eine
Kleinfeld-Tennisaktion gestartet und bis
heute an 600 Schulen Tennis-Sets verteilt mit Schlägern, Bällen und Broschüren. Wir sorgen für die Ausbildung der
Lehrer und eine enge Verzahnung von
Club und Schule. Langjährige Vereinsspieler, die schon aus dem Beruf sind aber
noch fit genug, gehen in die Schulen und
zeigen den Kindern, was Tennis überhaupt ist.
Und was ist Tennis?
Das aufregendste Spiel der Welt.
GirlsOpen
Herausgeber
Dr. Ulrich Bausch
Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl
an der VHS Reutlingen GmbH
Chefredaktion
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Art Direktion
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Fotoredaktion
Barbara Bylek (Zeitenspiegel Reportagen
Reinhardt & Partner)
Schlussredaktion Mathias Becker
Titelillustration Matthias Schardt/
kombinatrotweiss
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Fazekas, Doris Henkel,Bastian Henrichs,
Anna Hunger, Angelique Kerber, Johan
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Schnohr, Janet Schönfeld, Julius Schophoff,
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Weyand, Philipp Wurm
Verlagsanschrift
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