Begriffe aus der Lebensversicherung (<1MB)

Transcription

Begriffe aus der Lebensversicherung (<1MB)
55
Begriffe aus der Lebensversicherung
Swiss Life
sind. Diese Differenzen sind auf die unterschiedliche Betrachtungsweise zurückzuführen.
Differenzen zwischen Hausarzt und
Versicherungsarzt gründen nicht auf
einer anderen Philosophie oder auf
kommerziellen Hintergründen. Vielmehr ist die Betrachtungsweise eine
andere. Die Gründe für die unterschiedlichen Blickwinkel, die verwendeten Begriffe und die gewählten
Vorgehensweisen werden dargestellt.
Aus diesen Einblicken sollte ein besseres gegenseitiges Verständnis resultieren, aber auch Toleranz für die
«lästigen» Anfragen des Versicherungsmediziners.
Der klinisch tätige Arzt beurteilt einen
einzelnen Patienten mit dem er eine
individuell aufgebaute Beziehung hat.
Seine Diagnosen und Arbeitshypothesen können laufend den Veränderungen und neuen Untersuchungsresultaten angepasst werden. Geht es dem
Patienten gut, so entschwindet er oft
aus dem Blickfeld des Arztes. Als Arzt
tendiert man dazu, dies als Hinweis auf
einen günstigen Verlauf zu interpretieren. Neue Entwicklungen bei der
Behandlung können jederzeit berücksichtigt werden.
Erschwerung und Zuschläge
In der Versicherungsmedizin gelten die
gleichen Grundlagen wie in der klinischen oder naturwissenschaftlichen
Medizin. Aber der praktisch tätige Arzt
erlebt es immer wieder, dass er sich für
einen Patienten zur Wehr setzen muss,
weil die Versicherung aus seiner Sicht
ungerechte Zuschläge erheben, Klauseln den Geltungsbereich einschränken
und völlig abwegige Beurteilungen am
grünen Tisch der Versicherung erfolgt
Der Versicherungsarzt muss sich zu
einem bestimmten Zeitpunkt festlegen,
wie er die Situation einschätzt und was
er zur Prognose meint. Das gilt verbindlich für die ganze Versicherungsdauer,
die oft 20 und mehr Jahre beträgt. Da
muss das ganze Spektrum der möglichen künftigen Veränderungen in der
Medizin und im Verhalten des Kunden
enthalten sein.
Dr. med. W. Forster
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
56
Die Bildung von Risikogruppen ist eine
spezifische Angelegenheit der Versicherungen. Personen mit ähnlichen
Risiken oder Erkrankungen werden in
Gruppen zusammengefasst und darin
gleich beurteilt.
naue Rechengrundlagen. Der Vergleich
erfolgt mit den gesunden, unauffälligen
Versicherten, die sich von der Normalbevölkerung erst noch unterscheiden (Beruf, ökonomische Lage, Sozialstatus, u.a.m.).
Dieses Vorgehen ist zwar in der ärztlichen Praxis unbewusst auch täglich
präsent, aber es ist kein Arbeitsinstrument und es wird nicht «gerechnet».
Konkret bedeutet dies, dass der Hausarzt die Prognose seiner individuellen
Patienten auch mit der Gruppe der gleichen Diagnosen vergleicht. Wenn er
seinem Patienten eine gute Prognose
stellt, bezieht er sich dabei immer auf
die vergleichbaren Diagnosen und nicht
auf die Gesunden. So hat eben Herr
Muster einen sehr guten Verlauf nach
seinem Herzeingriff und alles ist wieder
in Ordnung. Aber in die Gruppe der normalen oder gesunden Patienten passt
er trotzdem nicht.
Die Berechnung der Übersterblichkeit
hat auch mit diesen Gruppenbildungen
zu tun. Die Sterblichkeit in einer Bevölkerung ist aus statistischen Daten einfach zu erheben. Voraussetzung ist eine
genügend grosse Zahl in einem homogenen geografischen Raum bei stabilen
Umgebungsbedingungen (allein diese
Abgrenzung ist schon schwierig und
wir sprechen nur von den einfachsten
Rahmenbedingungen!).
In der Versicherungsmedizin werden
Gruppen mit gleichen oder ähnlichen
Risikoprofilen oder Diagnosen beobachtet und daraus Daten gewonnen.
Eine grosse Zahl und eine längere
Verlaufsbeobachtung ermöglichen ge-
Dennoch lassen sich aus Tabellen für
Alterskategorien und getrennt nach
Geschlecht verlässliche Zahlen erarbeiten (z.B. Sterbetafeln des Bundesamtes
für Sozialversicherung). Die Übersterblichkeit berechnet sich nun aus der erwarteten Zahl der Todesfälle und den in
einer bestimmten Gruppe effektiv erfolgten Todesfällen. Dies wird in mathematischen Formeln oder für den täglichen Gebrauch in Prozenten angegeben.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
57
Sterbewahrscheinlichkeit nach Alter 1988 – 1993 und 1998 – 2003
1988 –1993:
Männer
Frauen
1998 – 2003:
Männer
Frauen
Sterbewahrscheinlichkeit
1,00000 %
0,10000 %
0,01000 %
0,00100 %
0,00010 %
0,00001 %
Alter
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
Sterbewahrscheinlichkeit Männer Schweiz
Alter
Zahl Gestorbene
Sterbewahrscheinlichkeit
20
0094
0,0009 %
30
0089
0,0009 %
40
0141
0,0014%
50
0334
0,0035 %
60
0813
0,0090 %
70
1846
0,0238 %
80
3549
0,0689 %
Bundesamt für Statistik 1998/2003, publ. 2005
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
58
Zum Beispiel sterben auf Grund der
Sterbewahrscheinlichkeit von 52-jährigen Männern 4 auf tausend. Wenn
nun in der Gruppe der gleichaltrigen
Diabetiker 8 sterben, so entspricht das
einer doppelten Sterblichkeit, also eine
Übersterblichkeit von 100%.
Zuschläge
Die Umsetzung der Übersterblichkeit
wird von den Versicherungen so gestaltet, dass die Mehraufwendungen für
das höhere Risiko durch Prämienzuschläge gedeckt werden.
Die normale Prämie wird durch einen
Zuschlag erhöht, der in der Gruppe eine
ausgeglichene Rechnung bewirken soll.
Periodische Überprüfungen anhand
des effektiven Schadenverlaufes führen
zu Anpassungen der Zuschläge. Darin
können dann auch Veränderungen der
medizinischen Gegebenheiten (neue
Behandlungen, bessere Prognosen) berücksichtigt werden.
Es muss aber berücksichtigt werden,
dass die Effekte der neuen Behandlungen nicht sofort umgesetzt werden,
weil ein Beobachtungszeitraum benötigt wird, um Statistiken zu erhalten.
Erschwerungen
Zuschläge sind eine Form von Erschwerungen in der Versicherungsmedizin.
Erschwert wird der Zugang zu einer normalen Versicherungsdeckung. Weitere
Formen von Erschwerungen sind:
• Ablehnung: Die Versicherung verweigert den Abschluss ganz, weil
das Risiko nicht vertretbar scheint
(Beispiel: progrediente Niereninsuffizienz bei Diabetes mellitus).
• Rückstellung: Der Zeitpunkt für den
Abschluss ist ungünstig und der
Kunde wird für eine bestimmte Zeit
vertröstet. (Beispiel: bevorstehende
Operation mit noch nicht bekannter
Histologie).
• Laufzeitbeschränkung: In bestimmten Situationen ist eine Versicherung
zwar denkbar, aber die gewünschte
Dauer ist nicht risikogerecht
(Beispiel: Familiäre Muskeldystrophie).
• Ausschlussklausel/Vorbehalt:
umschriebene Einschränkungen
der Versicherungsdeckung, die bei
der Versicherung von Leistungen
bei Erwerbsunfähigkeit eingesetzt
werden.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
59
Es liegt auf der Hand, dass all diese
Erschwerungen bei den Kunden und
Ärzten wenig Begeisterung auslösen.
Der Antragsteller fühlt sich gesund und
findet sich in seiner Meinung vom
Hausarzt bestätigt, erhält dann aber
einen für ihn nicht verständlichen
Bescheid.
In der Schweiz werden rund 95% der
Versicherungen zu normalen Bedingungen abgeschlossen, zirka 4% mit
Erschwerungen und etwa 1% werden
aus medizinischen Gründen abgelehnt
(leichte Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften und nach
Art der Versicherung) Interessanterweise sind diese Zahlen über die letzten
Jahre konstant.
Höhe der Zuschläge
Die Höhe der Zuschläge basiert auf der
Übersterblichkeit und auf den von den
Rückversicherungen zur Verfügung gestellten Guidelines und Berechnungen.
Die Quoten beginnen bei 25% und gehen bis 400%. Zuschläge von 25% und
50% werden manchmal nicht erhoben,
weil sie zu gering oder der Aufwand zu
gross ist (abhängig von der Art und der
Höhe der Versicherung). Zuschläge im
obersten Bereich müssen gut überlegt
sein, da solche Risiken meist gar nicht
korrekt versichert werden können.
Was für die Versicherung ein kleiner
oder mässiger Zuschlag ist, scheint
dem Kunden eine Ungeheuerlichkeit.
Bei vielen Versicherungsarten übertragen sich die Zuschläge direkt auf die
Prämien, also 100% Zuschlag gleich
doppelte Prämie. Dass das viel ist,
steht ausser Frage, aber es entspricht
den medizinischen und statistischen
Grundlagen.
Lohnt sich das?
Aus Sicht des Kunden stehen individuelle Überlegungen im Vordergrund.
Braucht der Kunde den Versicherungsabschluss für eine Kreditabsicherung
bei der Bank, so ist ein Zuschlag allemal
besser als eine Ablehnung. Geht es um
eine Sparversicherung, so kann die
hohe Prämie ein unüberwindbares Hindernis sein. Und für die Versicherung?
Wo doch nur rund 4% der Anträge
erschwert angenommen werden. Da
nimmt man Zusatzuntersuchungen,
Arztrückfragen und unerfreuliche Auseinandersetzungen in Kauf.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
60
In der Tat ist der finanzielle Aufwand erheblich und in Diskussionen wurde
schon erwogen, alle diese Prüfungen
fallen zu lassen. Das Ersparte würde
dann die Zuschläge decken. Diese
Rechnung geht aber leider so nicht auf.
Ohne Prüfung würden die ungünstigen
Fälle rasch zunehmen und die
Rechnung der Versicherer aus dem vermeintlichen Gleichgewicht bringen
(sog. Antiselektion). Dies analog zu
den Kontrollen im öffentlichen Verkehr,
die eine präventive Wirkung haben.
Ohne Kontrollen würden alle bald zu
Schwarzfahrern.
Beispiel I
Max Muster 54-jährig
Diagnose
• Symptome: typische Angina pectoris
neu seit 2 Wochen, nicht sicher stabil.
• Befunde: Ruhe-EKG normal,
Ergometrie pathologisch, Hypertonie
(150/95), Hypercholesterinaemie,
Nikotinabusus (20 Cig/20 J = 20 Py).
• Labor: Cholesterin 7,2, TG 1,9,
HDL 0,9, Blutzucker 5,2, Hb A1c: 5,1.
Familienanamnese negativ.
Beurteilung
• medizinisch: Frisch aufgetretene
Angina pectoris, formal path.
Belastungs-EKG, 3 relevante
Risikofaktoren.
• Lebensversicherung: aktuell Risiko
nicht kalkulierbar, Rückstellung
bis nach Abklärung und/oder
Behandlung.
Beispiel II
Max Muster 54-jährig
Behandlung
• Angiografie, 2 umschriebene
Stenosen, 2 Stents.
• Kontrollen nach 3, 6 und 12 Monaten:
Verlauf günstig, keine Beschwerden
mehr, gute Belastbarkeit bei Ergometrie, mässige sport-liche Aktivität
(pro Woche 1-mal Wandern, 1-mal
Golf).
• Nikotinabstinenz, Blutdruck unter
Therapie: 125/80, Cholesterin:
4,1, HDL 1,0, TG 1,8.
• Therapie: ASS, Statin, ACE-Hemmer,
Betablocker.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
61
Beurteilung
• medizinisch: optimaler Verlauf,
«gesund», gute Prognose.
• Versicherung: Zuschlag 50% auf
Todesfallleistungen (leichte Form der
Koronarsklerose, guter Verlauf,
Risikofaktoren kontrolliert)
Verlauf
Nach 2 Jahren hat Max Muster wieder
zu rauchen begonnen, zwar bloss 10
Zigaretten wegen der Belastungen im
Geschäft und die Wanderungen am
Sonntag fallen oft aus. Die Medikamenten-Compliance ist tadellos, Herr
Muster klinisch unverändert bezüglich
Symptome und Befunde.
Medizinisch
Ein leichtes Zögern wegen der Zigaretten ist sicher angebracht, sonst aber
alles in Ordnung.
• Versicherung: Deutliche Verschlechterung wegen des Rauchens,
Zuschlag jetzt mindestens 100%.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung