Eisgraue Eleganz der Zukunft
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Eisgraue Eleganz der Zukunft
Eisgraue Eleganz der Zukunft Fotog r a f ie Gi n a Fol ly Mit seinem im April eröffneten Ausstellungshaus tritt das Kunstmuseum Basel nicht nur in eine erweiterte architektonische Ära, sondern auch in neue Dimensionen des Präsentierens und Sehens. Ein Streifzug durch Architektur, Sammlung und künftige Potenziale. Virtuell konnte man ja schon Monate zuvor darin flanieren: hinauf und hinab über die grosse Treppe, hinein in die Säle, Kabinette und das grosszügige Foyer. Jetzt ist der Eingang und die unterirdische Passage, die vom Hauptbau in das neue Gebäude führt, offen. Der architektonische Monolith am Kopf der Wettsteinbrücke hat sein Inneres freigegeben. Von aussen ist er ein Solitär, der die Anmutung eines Tresors hat: blockhaft, geschlossen, mit stählernen Rolltoren und gefalteten Metallstoren an den Fenstern. Auch das feine Relief aus Backsteinmauerwerk, das den gesamten Bau überzieht, ändert Te x t M a r i a B e c k er an diesem Eindruck nichts. Unverrückbar steht er da, genau gegenüber seinem Pendant, dem Hauptbau des Museums von 1936. Offene Arkaden wie an diesem gibt es am Neubau nicht. Der Tresor gibt nach aussen nicht preis, was er hütet. «Kunstwerke brauchen Schutz», sagt Direktor Mendes Bürgi, unter dessen Leitung das neue Haus geplant und realisiert wurde. 2010 war die Entscheidung für den Entwurf der beiden jungen Basler Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein gefallen. Im Vorfeld hatte Maja Oeri, die wichtigste Mäzenin der Stadt, mit der Schenkung des sogenannten Burghofareals gegenüber dem Hauptbau, die Initialzündung für die Ausschreibung des Wettbewerbs gegeben, an dem von Zaha Hadid bis Jean Nouvel die internationale Elite der Architekturbüros teilnahm. 100 Millionen Franken kostete das Projekt, das hälftig vom Kanton Basel Stadt und von Oeris Laurenz-Stiftung getragen wurde. Alle Arbeiten liefen – trotz teilweise halsbrecherisch engem Zeitrahmen – perfekt wie ein gekonnter Hochseilakt. Zeitweise war die mehrspurige Dufourstrasse durch eine kryptaartige Tiefenarchitektur unterhöhlt und musste mit riesigen Säulen gestützt werden. Der Hauptbau wurde Anfang 2015 geschlossen, um die notwendige Erdbebensicherung vorzunehmen. Das kunstsinnige Basel musste für ein ganzes Jahr auf sein wunderbares Sammlungshaus verzichten. Das ging nicht ohne Protest und Diskussionen. Letztlich gaben aber die Ratio der Logistik und vor allem die Sicherheit der Kunstwerke den Ausschlag. Auch brauchte das Publikum auf die meisten Highlights der Sammlung ja nicht zu verzichten. Diese waren im Museum für Gegenwartskunst, im Schaulager und im Museum für Kulturen in ungewohnter Kombination und neuem Licht zu sehen. Da korrespondierten die Altmeister mit den Artefakten fremder Völker und die klassische Moderne von Cézanne bis Schlemmer zeigte in den etwas dumpfen Räumen des Kunstmuseums Basel | Gegenwart, vormals Museum für Gegenwartskunst, das sie an Strahlkraft nicht verliert, wenn man sie auslagert. Doch diese Präsentationen waren Ausweichquartiere. Die Notwendigkeit der Situation zwang zum Entwickeln von Ideen, und zwar in kürzester Zeit. Der geniale Coup, der die temporäre Schliessung des Hauses mehr als wett machte, Ku n s t mu s e u m B a s e l | Ne u b au Einblick 103 fand in Madrid statt. Der Prado zögerte nicht, Spaniens grössten Künstler der Moderne erstmals in seine heiligen Hallen zwischen Tizian, Velázquez, Rubens und Tintoretto aufzunehmen. Die zehn Einblick Bilder von Picasso in der Gallería Central waren eine Sensation für die Medien und machten die Schau zum Zentrum der Stadt. Im Museo Reina Sofia, das der Moderne gewidmet ist, waren 170 Werke des Kunstmuseums ausgestellt, eine essenzielle Präsentation der Sammlung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. So resultierte aus der Schliessung des Hauptgebäudes rückblickend ein enormer Gewinn für das Kunstmuseum, ein Synergieeffekt, wie man ihn sich besser nicht wünschen konnte. Vielleicht sei an dieser Stelle ein Vergleich erlaubt. Der Prado ist ein königliches Museum, ein Sammlungshaus für die Kunstschätze von grossen Fürsten. Seine Herrschaftsarchitektur ist an den Höfen und Raumfolgen von Schlössern orientiert. Blickt man auf den Grundriss des Hauptbaus in Basel, so gibt es da durchaus Analogien. Auch da gibt es die klassische Abfolge von grossen und kleinen Höfen, die Enfilades der Säle, die geschlossenen Aussenfronten und vor allem: die breitlagernde Gebäudestruktur. Die Dimensionen sind erheblich kleiner als beim Prado, doch auch das Kunstmuseum von 1936, entworfen von dem Basler Architekten Rudolf Christ und dem Deutschen Paul Bonatz, ist eine klassische Herrschaftsarchitektur. Und wie ein Renaissancepalazzo lädt sie das Volk grosszügig mit Arkaden, Hof und breiter Schautreppe zum Kunstgenuss ein. Allerdings hat kein Fürst die öffentliche Kunstsammlung von Basel zusammengetragen, sondern ein Bürgersmann. Das Kunst- und Raritätenkabinett des Juristen Basilius Amerbach aus dem 16. Jahrhundert war der Beginn der Sammlung und der Ausgangspunkt zur ältesten öffentlichen Kunstsammlung Europas und einer der wichtigsten Sammlungen weltweit. Tritt man jetzt nach der Öffnung der Tore in die sanierten Räume des Hauptbaus, so ist eigentlich alles äusserlich so geblieben, wie es war. Da sind die Altmeister und die Grossen des 19. Jahrhunderts und der frühen Moderne: Holbein, Böcklin, Hodler, Monet, Cézanne, Picasso. Die Basler haben ihr schönes Museum wieder. Doch etwas ist schon anders. Hie und da wird man durch Werke überrascht, die man bisher selten oder nie gesehen hat. War das schon mal da? Wie kommt es, dass man es bisher nicht bemerkt hatte? ob en : S a m m lu ngs pr ä s ent at ion Ku n s t mu s e u m B a s e l | Haupt b au , 1. O b er ge s c ho s s , m it Werk en d e s B a s ler Me i s t er s 15. J h ., d e s S a l z bu r ger Me i s t er s , 15. J h ., d e s Me i s t er s von S c h lo s s L ic ht en s t e i n , d e s Au gs bu r ger Me i s t er s 15. J h . u nt en : S a m m lu ngs pr ä s ent at ion Ku n s t mu s e u m B a s e l | Haupt b au , 1. O b er ge s c ho s s , m it Werk en von A r nold B ö c k l i n 10 5 Alle diese Werke gehören auch dem Kunstmuseum. Doch sie waren im Depot, vielleicht jahrzehntelang. Jetzt dürfen sie ans Licht. Einer der Gründe für den Neubau des Kunstmuseums war es, dass die Sammlung mehr Platz braucht. Die rund 4 000 Gemälde, Skulpturen, Installationen und Papierarbeiten konnten bisher nur zu einem kleinen Teil gezeigt werden. Für die Wechselausstellungen musste jeweils ein Teil der Sammlung umgeräumt werden oder temporär verschwinden. So ist das neue Haus vor allem ein Ausstellungshaus. Mit Sculpture on the Move – schon der Titel zeigt an, dass diese Kunst noch in Bewegung ist – fand nicht nur die Einweihung des Hauses, sondern die Eröffnung der ersten grossen Schau statt. Mendes Bürgi, der Direktor und Dirigent des Neubauprojekts, gibt damit seine Abschiedsvorstellung. In seiner Ära wurde die Sammlung des Museums entschieden in Richtung Gegenwartskunst geöffnet. Was schon durch den Schwerpunkt amerikanischer Kunst nach 1945 vorgegeben war – ein gezielter Gegenschwung zum klassischen Ideal Böcklins in der Ankaufspolitik des Hauses – weist jetzt noch deutlicher in die Zukunft, in das Potenzial der Kunst von morgen. Veränderung schafft kreatives Potenzial. Das gilt für alle Institutionen, die grösser werden und ihre Identität, ihre Ausstrahlung, ihr Selbstverständnis neu erfinden müssen. Für das Kunstmuseum Basel heisst es nun, die neuen Dimensionen zu etablieren. Man steht erst am Anfang, die physische Realität des Neubaus zu begreifen. Das neue Haus fordert. Hier sollen grosse Werke in Szene gesetzt werden. Die Kunst schafft ihre eigenen Räume, sowieso. Ihre Aura verlangt Klarheit und Zurücknahme der Architektur. «Der Raum ist immer etwas Reales: Selbst wenn er abstrakt sein will wie ein White Cube, so tritt er doch in Beziehung zur Kunst. (…) Wesentlich ist, dass die Architektur als physisch gebauter Raum glaubhaft ist.» Christoph Gantenbein beschreibt die Intention des neuen Hauses als Ort für die Kunst, der klare, feste Formen vorgibt und dessen Sprache eher zurückhaltend ist. Sichtbare Anleihen an Details des Hauptbaus stehen für die Kontinuität der Basler Tradition. Die raue Eleganz von Beton, Stahl und LED-Licht zeigen die Sprache von heute. So ist auch das Licht- und Schattenspiel des LED-Frieses, der die kubische Fassade als einziges Zierelement auflockert, ein Motiv der Bewegung, l i n k s: Ku n s t mu s e u m B a s e l | Haupt b au ob en : Ku n s t mu s e u m B a s e l | Ne u b au Einblick 10 7 Im Innern des Neubaus wird man von kühler Eleganz umfangen: Grauer Marmor, wandhohe Verkleidungen mit mattem Stahl, weisses Licht, harte Kanten. Alles ist hyperperfekt und von eherner Kälte. Das Anthrazit hebt den Neubau bewusst von dem gelblich-grauen Stein im Innern des Hauptbaus ab. Passiert man das in die Zukunft weist: Flackernd wandert die Schrift über den Bau und wird – aus der Ferne gesehen – zum reinen Ornament. Es ist die Zeichensprache, die für das digitale Zeitalter steht. den Durchgang unter der Dufourstrasse, der selbst ein weitläufiger Eventraum ist und als Foyer dient, tritt man in die neue Ära des Museums ein. Hier gibt es kein breitlagerndes Vestibül und keine Ausblicke in ruhige Hofarkaden. Die begrenzten Masse des Grundstücks gaben vor, dass die Raumanlage vor allem in die Höhe wachsen Ku n s t mu s e u m B a s e l | Ne u b au Einblick 10 9 muss. Mit dynamischer Vehemenz schraubt sich die Schautreppe vom Erdgeschoss zu den Plattformen der Ausstellungsräume in den oberen Geschossen. Wie im Hauptbau ist sie architektonischer Blickfang und das wichtigste skulpturale Bauelement im Innern. Rund 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche stehen zur Verfügung. Die Räume können – anders als die moderaten Säle des Hauptbaus – auch monumentale Kunstwerke aufnehmen. Riesenspielzeuge von Jeff Koons und tonnenschwere Stahlträger von Richard Serra sind hier kein Problem. Schon die Masse der Anlieferungszone im Erdgeschoss zeigen, dass man dies selbstverständlich bei der Planung im Auge hatte. Das Aufregende an den Potenzialen der Zukunft ist, dass sie offen sind. Der Neubau des Basler Kunstmuseums soll Schatzhaus und Showroom für neue Formen des Präsentierens sein. Wohin wird es gehen? Wird hier vielleicht auch die globalisierte Kunst aus fremden Ländern Eingang finden? Oder bleibt es bei der Tradition der Klassik, zu der auch die heroischen Abstrakten der Amerikaner und die Pop Art samt ihren Ausläufern längst gehören? Auf jeden Fall wird die Kunst weiterhin in puristischer Strenge inszeniert werden. Verkaufsstrategische Eventkultur ist nicht die Mission des Hauses. Die eisgraue Eleganz des Neubaus steht dafür, dass man selbstverständlich davon ausgeht, was man dem Anspruch der Basler Kulturtradition schuldig ist. Lieux de naissance des participants qui ont déménagé à Genève Einblick Swiss Art Awards 14 — 19 juin 2016 swissartawards.ch Vernissage Lun, 13 juin / 19 — 22h Halle 4, Messe Basel 111 Søren Grammel im kunstreichen Spagat Fotog r a f ie F lor i a n K a lot ay Te x t Fe l i S c h i nd ler Feli S chind ler : Herr Grammel, Sie sind in Burgwedel geboren. Einem Schweizer müssen Sie erklären, wo das liegt und wie man an diesem gemütlich klingenden Ort auf den Geschmack der Kunst kommt. S øre n Gr am mel : (lacht) Ein Bonbonglas hat mich zur Kunst gebracht. Burgwedel ist ein kleines Städtchen und liegt zehn Autominuten von Hannover entfernt. Wir zogen aber schon früh in die Stadt, wo ich mit meinem Vater, einem engagierten Kunstpädagogen, oft Museen besuchte, unter anderem die Kestnergesellschaft. Beim Eingang des Museums sass damals der Künstler Umbo – so dadamässig mit Glatze und schwarzem Anzug – und jobbte als Empfangsherr. Er offerierte aus einem grossen Bonbonglas Süssigkeiten. Das war toll. Erst viel später erfuhr ich, dass er ein wichtiger Künstler war. Darum nahm ich das Museum früh als Ort wahr, wo man etwas machen kann. Sie sind von Beruf Kurator. Frei nach Beuys könnte man sagen: Jedermann ist doch heute Kurator und besorgt Fashionshows oder Lifestyle-Events. Kurator ist in der Tat kein geschützter Titel. Ich habe aber nach meinem Universitätsabschluss der Kulturwissenschaften in Hildesheim am Goldsmiths College London «Creative Curating» studiert. Ich arbeitete für verschiedene Kunsträume der Contemporary Art – zuletzt in den Kunstvereinen Graz und Köln. Grundsätzlich bin ich aber schon der Meinung, dass Kuratieren, genauso wie Kunst, nicht an ein Tätigkeitsfeld gebunden ist. Auch ein Webmaster kann Künstler sein. Wichtig: Man macht etwas anders, bringt überraschend Neues hervor. Umgekehrt sagt man auch: God is a curator. Sind Kuratoren Königsmacher? Ich hoffe nicht. Kuratoren besitzen schon eine gewisse Macht. Und das bereitet mir eher Unwohlsein. Wenn ich selber eine Ausstellung vorbereite, überlege ich sehr genau, warum ich jemanden zeige. Ich versuche Gründe zu finden, die dem Markt, dem Populistischen und dem Mainstream zuwiderlaufen. Zum Beispiel mit dem Düsseldorfer Künstler Reinhard Mucha? Ein Bonbonglas in der Kestnergesellschaft Hannover verführte ihn einst zur Kunst: Der 44-jährige Kurator Søren Grammel leitet seit zwei Jahren das Kunstmuseum Basel | Gegenwart. Er erzählt, wie er als kleiner Junge auf den Geschmack der Kunst kam und wie er sich heute gegen Mainstream und Hypes behauptet. Dabei gehören für den blonden Norddeutschen subversiver Humor und ein zeitgemässer, reflektierter Umgang mit Kunst zu den wichtigsten Ingredienzien seiner Ausstellungsphilosophie. Der kunstreiche Spagat eines Mannes zwischen Vergangenheit und Zukunft. S øren Gr a m me l Einblick 113 Mucha hat eine ganz eigene Formensprache und ist eine Schlüsselfigur für den Postminimalismus. Inhaltlich ist er subversiv, indem er etwa Werbematerial anforderte und die ihm zugesandten Briefumschläge ungeöffnet in Vitrinen stapelte. Damit verweigert sich der Künstler und unterläuft gleichzeitig die kapitalistische Forderung an den Bürger, stets zu arbeiten, Geld zu verdienen und es wieder auszugeben. Heute müssen wir uns fast im Sekundentakt mit ungeöffneten Mails gegen Konsumzwang wehren. Mucha, ein Visionär also? Absolut. Er antizipierte in den 80er-Jahren mit analogen Mitteln einen Konflikt des digitalen Zeitalters – und das alles mit einem wunderbar trockenen Humor. Die Technizität verändert sich, die Inhalte bleiben die gleichen. Das sagte schon Adorno. Konzeptuelle Kunst besitzt oft den Ruf, humorlos zu sein. Mit Muchas oder mit Eric Hattans Videobildern von einer Entsorgungsstelle beweisen Sie das Gegenteil. Wie wichtig ist Ihnen Humor in der Kunst? Ich finde Humor immer wichtig. In der Philosophie, in der Wissenschaft, in der Kunst. Er untergräbt Autoritätsgebote und umgeht Hierarchien. Das heisst nicht, dass man ständig lacht. Aber Humor gepaart mit ernster Verbindlichkeit, dieser Widerspruch fasziniert mich. Seit zwei Jahren leiten Sie das Kunstmuseum Basel | Gegenwart. Sind Sie neben dem prächtigen Neubau nun zum Aschenputtel-Dasein verdammt? Überhaupt nicht. Das Kunstmuseum Basel | Gegenwart besitzt unten am Rhein eine schöne Lage, ist ein tolles Haus und darf sich weltweit als eines der ersten Museen für Gegenwartskunst rühmen. Maja Sacher-Stehlin, die Gründerin Ihres Hauses, sagte einmal, zeitgenössische Kunst helfe, die Probleme des Lebens zu bewältigen und verleihe Kraft über die Gegenwart hinaus. Teilen Sie diese Meinung? Ein schöner Satz. Er vereint Idealismus, also die Wirklichkeit wie sie sein könnte, mit Pragmatismus, der Wirklichkeit, die sich am Faktischen orientiert. Beuys hat diese beiden Aspekte auch miteinander verbunden. Einblick Von Beuys haben Sie eine tolle Dauerausstellung gestemmt. Aber er könnte Ihr Grossvater sein. Was hat das mit Gegenwart zu tun? Natürlich könnte man sagen, Gegenwartskunst bedeute Kunst der letzten 20 Jahre. Man guckt sozusagen auf das, was jetzt gerade passiert. Damit beschäftigen sich aber die Kunsthallen. Für mich ist Gegenwartskunst im Museum nicht auf eine zeitliche Kategorie beschränkt. Sie muss in der Vergangenheit und in der Zukunft eingebunden sein. Man fragt: Welche Türen wurden geöffnet, wie kann man diesen Raum verstehen und wo sind Räume, die sich neu auftun? Sie zeigen unter anderem die berühmte Performance, in der Beuys einem toten Hasen die Bilder erklärt. Kommt Ihnen als Kurator diese Rolle auch manchmal zu, nämlich, dass Sie dem begriffsstutzigen Besucher konzeptuelle Kunst erklären müssen? Das ist ein Missverständnis. Beuys schaut nicht auf den Hasen herab. Im Gegenteil. Er schaut zu ihm hinauf. Er kann von ihm etwas lernen, von Tieren überhaupt. Sensorien, wie sie Tiere besitzen und die dem produktiven, rationalen Menschen abhanden gekommen sind, machen Erfahrungen erst möglich. Gleichwohl ist es ein toter Hase… Es geht um die Botschaft. Beuys gibt zu verstehen: Ich guck mir mal die Kunst lieber mit dem toten Hasen an als mit dem Publikum. Er, der Hase, hat Zeit. Kunst braucht Zeit. In unserer Gesellschaft ist es nicht selbstverständlich, allzu viel Zeit für Kunst zu investieren. Fakt ist: Man muss das aber, damit es spannend wird. Trotzdem, wie gewinnt man das Publikum für die sogenannt schwierige Kunst? Man muss den Menschen etwas zutrauen. Aber man darf ihnen auch nicht vorgaukeln, dass Kunst Unterhaltung ist. Bedenklich finde ich, wenn die Leute das Museum betreten, «verkopft» rufen und gleich wieder rausmarschieren. Dann suchen sie den schnellen Hype und können keine Erfahrungen mehr machen, weil sie durch Fernsehen und soziale Netzwerke den langen Atem verloren haben. Ein Kunstwerk ist nie sperrig. Wir sind es. 115 Franz Meyer, der langjährige Direktor des Basler Kunstmuseums, hatte bei den Ankäufen amerikanischer Minimal Art offenbar auch seine liebe Mühe. Der Widerstand in der Kunstkommission veranlasste ihn gar, einige Kunstwerke privat zu kaufen und sie als anonyme Deposita auszustellen. Könnten Sie sich ähnliches auch vorstellen? (Lacht laut) Dafür fehlt mir schlicht das Geld. Man muss aber sagen, dass Franz Meyer den Mut hatte, Dinge zu kaufen, die noch nicht zum Kanon gehörten. Früherkennung und Weitsicht sind absolut zentral. Die muss man haben, damit Kunst nicht nur präsentiert, sondern auch für die Sammlung erworben werden kann. Zurück zu Beuys: Er hat mit Feuerstätte II der Basler Museumsgeschichte eine weitere Anekdote angefügt … Ja genau. Er betrieb diese wunderbare Mischung aus Ernsthaftigkeit und Selbstironie, indem er 1978 auf Initiative von Jacques Herzog und Pierre de Meuron am Fasnachtsumzug einer Clique mitmarschierte und eigenhändig gegen den Ankauf seines Werks protestierte. Der prominente Basler Kolumnist -minu schrieb damals über die Filzkostüme: «sieht billig aus und ist doch teuer. Echt baslerisch. Uns hets gfalle». Mögen Sie als Auswärtiger dieses typisch Baslerische? Ich bin erst seit zwei Jahren hier und masse mir nicht an, ich hätte die Stadt verstanden. Ich weiss nur, dass die Leute in Basel auf sehr hohem Niveau bereit sind, sich auf Kunst einzulassen. Das Schaulager, die Fondation Beyeler, die Kunsthalle, das Museum Tinguely, die Art Basel und die Liste bewegen sich national und international in der obersten Liga. Was hat sich in jüngster Zeit weltweit in der Kunst am meisten verändert? Die Kunst ist nicht mehr nur eurozentrisch und angloamerikanisch fokussiert. Ränder und Peripherien werden immer wichtiger. Es gibt eine kritische Sicht auf den Kunstbetrieb. Das finde ich positiv. ... immerhin hat sich auch der Frauenanteil markant erhöht. Weshalb sind die Künstlerinnen in Ihren bisherigen Ausstellungen so spärlich in Erscheinung getreten? Einblick Da muss ich Ihnen widersprechen. In der Schau «Von Bildern. Strategien der Aneignung» waren die Frauen gar in der Überzahl. (Denkpause) In den übrigen Wechselausstellungen war der Anteil ausgeglichen. Trotzdem: Bei den Einzelausstellungen haben Sie recht. Aber der Ausgleich kommt. Die Belgierin JoëIle Tuerlinckx und die Schwedin Klara Lidén stehen definitiv auf dem Programm. Wie sehen Sie die Kunst von Morgen? Wo sehen Sie sich selbst? Das kann ich nicht sagen. Alles ist doch im steten Fluss. Ich selbst folge den täglichen Überraschungen und bin glücklich, wenn sich die Leute dereinst für die Dinge interessieren, die ich gezeigt habe. Daran werde ich messen, ob das, was ich jetzt tue, Zukunft hatte. Kunstmuseum Basel | Gegenwart: - Reinhard Mucha bis 16.10.2016 - Joseph Beuys, Dauerausstellung - Sculpture on the Move 1946–2016 (Gegenwart und Neubau, Kurator: Bernhard Mendes Bürgi) bis 18.09.2016 www.kunstmuseumbasel.ch 117