Lebensmittelbedingte Infektionen durch Campylobacter

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Lebensmittelbedingte Infektionen durch Campylobacter
Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 2002 · 45:497–506
DOI 10.1007/s00103-002-0418-z
Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken
M. Kist · Universitätsklinikum Freiburg i.Br.
Lebensmittelbedingte
Infektionen
durch Campylobacter
Zusammenfassung
Die akute Campylobacterinfektion verläuft
als selbstlimitierende Enteritis.Bakteriämie,
Endokarditis, Meningitis, Pankreatitis, septischer Abort und neonatale Sepsis sind
selten.Die wichtigste postinfektöse Komplikation ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS).
Die unkomplizierte Enteritis wird symptomatisch behandelt.Patienten mit schweren
Verläufen oder Immunsuppression erhalten
Antibiotika.Resistenzentwicklung gegen
Chinolone, seltener gegen Makrolide, ist zu
berücksichtigen.Ende 2001 war Campylobacter in Deutschland mit 52.256 Meldungen hinter den Salmonellosen (74.671) und
vor den Rotaviren (45.759) der zweithäufigste darmpathogene Erreger.Die fehlende
Vermehrung in der Umwelt kompensiert
Campylobacter durch eine weite Verbreitung
in der Natur und den massiven Befall zahlreicher Wirte.Geflügelfleisch, Rohmilch und
Oberflächenwasser sind wichtige alimentäre
Risikofaktoren für den Menschen.Die Kontrolle der Campylobacterinfektionen wird
erschwert durch eine schnelle Ausbreitung
in Schlachtgeflügel während Haltung,Transport und Schlachtprozess.Pasteurisierung
der Milch ist eine effektive Intervention,
während die Kühlung von Lebensmitteln das
Überleben von Campylobacter verlängert.
Ansätze zur Prävention einer humanen
Infektion sind die Quarantänehaltung des
Schlachtgeflügels,Verzicht auf das so genannte „Ausdünnen“ der Bestände, Dekontamination der Transportkäfige, das Vorziehen
der Schlachtung nicht infizierter Bestände,
höchstmögliche Brühtemperaturen der
Schlachtkörper, Abkühlung der Körper im
Kühlbad, Zusatz antimikrobieller Substanzen
zum Prozesswasser und möglicherweise zukünftig eine dekontaminierende Schlussbehandlung.Forschungsbedarf besteht bei der
Aufklärung der Pathogenese von Enteritis
und GBS.Die zunehmende Resistenzentwicklung gegen antimikrobielle Substanzen
erfordert ein interdisziplinäres Überwachungs- und Interventionsprogramm.
Schlüsselwörter
Thermophile Campylobacter ·
Lebensmittelinfektionen ·
Antibiotikaresistenz ·
Guillain-Barré-Syndrom
D
ie Campylobacterinfektion ist eine
Anthropozoonose mit weltweiter Verbreitung. Kürzlich wurden in einem
Kommentar [1] drei „Rätsel“, die mit diesem Bakterium verbunden sind, angesprochen. Es handelt sich dabei um folgende Fragen:
◗ Warum sind Campylobacterinfektionen so häufig?
◗ Woher kommt die auffallende Saisonalität dieser Erkrankungen?
◗ Warum bleibt die Inzidenz der
Campylobacterinfektionen konstant
hoch, während gleichzeitig die der
Salmonellosen zurückgeht?
Tatsächlich sind darmpathogene Campylobacter seit ihrer Entdeckung im Jahr
1886 durch Theodor Escherich [2] und,
nachdem sie über viele Jahrzehnte in
Vergessenheit geraten waren, erst mit
der Entwicklung neuer, effektiver Isolierungsnährböden in ihrer Bedeutung erkannt worden [3]. Sie gelten heute als
weltweit häufigste bakterielle Ursache
der infektiösen Enteritis. Nach amerikanischen Befunden wird diese zu etwa
80% über Lebensmittel übertragen [4].
Neben der Enteritis, der typischen Manifestation der Campylobacteriose,
kommen auch durch Campylobacter
verursachte extraintestinale Erkrankungen vor. Hierzu zählen vor allem Bakteriämie, Endokarditis, Meningitis, Pankreatitis, septischer Abort und die neonatale Sepsis [5]. Bei den postinfektiösen Komplikationen spielt neben der Arthritis und dem Reiter Syndrom das
Guillain-Barré-Syndrom die wichtigste
Rolle [6].
Für die eingangs genannten „Rätsel“ schlägt der Autor folgende Lösungen vor:
© Springer-Verlag 2002
Prof. Dr. Manfred Kist
Konsiliarlaboratorium für Campylobacter/
Aeromonas, Abteilung für Mikrobiologie
und Hygiene, Universitätsklinikum Freiburg,
Hermann Herder-Straße 11,
79104 Freiburg i.Br.,
E-Mail: kistman@ukl.uni-freiburg.de
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DOI 10.1007/s00103-002-0418-z
M. Kist
Food-borne Campylobacter infections
Abstract
Enteritis as the characteristic clinical manifestation of Campylobacter infections is rarely complicated by bacteraemia, endocarditis,
meningitis, pankreatitis, and septic abortion.
The most serious sequelum is the GuillainBarré syndrome (GBS).Uncomplicated enteritis needs symptomatic treatment only.
Severely ill or immunocompromised patients
need antimicrobial therapy.In Germany
enteropathogenic Campylobacter with
52.256 cases ranked second behind salmonellosis (74.671) in 2001.Campylobacter cannot multiply in the environment.However,
this characteristic is compensated by a wide
distribution in nature and rapid multiplication in a variety of hosts.Humans are infected mainly over poultry, unpasteurized milk,
and untreated drinking water.Control of
Campylobacteriosis is difficult due to rapid
spread in poultry, during transport, slaughter
and processing.Milk pasteurization is an
effective intervention, but cool storage of
food rather prolongs survival of Campylobacter.Containtment holding of poultry, no
intermittend “thinning out”of animals,
transport in disinfected crates, slaughtering
of Campylobacter-free flocks before Campylobacter-contaminated animals, high
temperature scalding, chilling in water, use
of decontaminating agents during processing, and probably most effective, decontamination of the final product, are proposed
as intervention measures.Besides an interdisciplinary programme for monitoring and
controling resistance development, further
research should predominately focus on
pathogenesis of enteritis and GBS.
Keywords
Thermophilic Campylobacter ·
Food-borne infections ·
Antimicrobial resistance ·
Guillain-Barré Syndrome
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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken
1. Die allgemeine Häufigkeit von
Campylobacterinfektionen ist bedingt durch die weite speziesübergreifende Verbreitung des Bakteriums in der Tierwelt, vor allem auch
bei Nutztieren, und das nahezu ubiquitäre Vorkommen in der Umwelt.
2. Die ausgeprägte Saisonalität der
Campylobacteriose wird durch die
saisonalen Schwankungen der Erregerdichte im Intestinum von
Schlachtieren und synchron dazu in
der Umwelt verursacht.
3. Die im Vergleich zur Salmonellose
konstant hohe Inzidenz der Campylobacterinfektionen wird bedingt
durch die geringere Effizienz küchenhygienischer Maßnahmen zur
Vermeidung menschlicher Infektionen.
Die folgende Übersicht wird sich insbesondere mit den Fragen lebensmittelbedingter Campylobacteriosen, deren klinischen Manifestationen sowie mit den
Möglichkeiten der Intervention im Bereich der Lebensmittelproduktion beschäftigen.
Inzidenz, Prävalenz, Trends
In den letzten Jahren hat die Anzahl der
gemeldeten Campylobacterinfektionen
in einigen Industrieländern die Zahl der
gemeldeten Salmonellosen überschritten. So betrug 1998 die jährliche Campylobacterinzidenz in England/Wales
etwa 58.000 Fälle, bei lediglich 20.000
gemeldeten Salmonellosen. Dabei
schwankten die mittleren Inzidenzraten
ortsabhängig zwischen 54 Fällen (London) und 140 Fällen pro 100.000 Einwohner (Südwest-England). Die höchste
Inzidenz wurde bei Knaben unter einem
Jahr (214/100.000) beobachtet. Eine
zweite Häufung fand sich in der Altersgruppe 25–34 Jahre (140/100.000) [7]. In
den USA wurden für 1997 etwa 2,5 Millionen durch Lebensmittel übertragene
Campylobacteriosen, aber nur 1,4 Millionen Salmonellosen berechnet [4]. Für
das Jahr 2000 betrugen mit einer erweiterten Stichprobe die errechneten Inzidenzraten pro 100.000 Einwohner 15,7
bei Campylobacter- und 14,4 bei Salmonelleninfektionen [8].Auch prospektive
Sentinelstudien in Schweden [9] und in
den Niederlanden [10] zeigen, dass die
Campylobacterinfektionen mit einer
mittleren Nachweishäufigkeit von 10%
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bzw. 13% die ersten Plätze weit vor den
Salmonellosen (4% bzw. 7%) belegen.
Für Deutschland sind verbindliche
Meldezahlen für Campylobacter erst seit
2001 mit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) verfügbar. Mit
Stand vom 2.1.2002 waren insgesamt
52.256 Campylobacterinfektionen gemeldet. Damit belegt Campylobacter
hinter den Salmonellosen (74.671) und
vor den Rotaviren (45.759) im Gegensatz
zu den bisher genannten Ländern in
Deutschland lediglich den zweiten Rang
unter den meldepflichtigen darmpathogenen Erregern [11].
„Campylobacter sind
in Deutschland die
zweithäufigsten bakteriellen
Enteritiserreger.“
Während die Meldezahlen für Campylobacter in den 90er-Jahren in England
und Wales einen stetigen Aufwärtstrend
mit einem nur geringen Rückgang zwischen 1998 und 1999 zeigten, sind die Inzidenzraten in den USA seit 1995 eher
leicht rückläufig. Für Deutschland können Trends noch nicht ermittelt werden,
da bisher gesicherte Vergleichsdaten
fehlen.
Klinik und Therapie
Die akute unkomplizierte Enterokolitis
ist die weitaus häufigste klinische Verlaufsform der Campylobacterinfektion
(Details bei [5]). Sie ist gekennzeichnet
durch ein Prodromalstadium mit Kopfund Rückenschmerzen, Myalgien und
subfebrilen Temperaturen, die dann mit
zunehmenden Unterbauchkrämpfen in
eine akute Durchfallskrankheit mit bis
zu 20 wässrigen Stuhlgängen pro 24
Stunden übergeht. Dabei werden in bis
zu einem Drittel der Fälle auch wässrigblutige Stühle ausgeschieden. Der Beginn der Durchfallsattacke ist oft von einer Fieberzacke begleitet, die über ein
bis zwei Tage anhalten kann. Nach
durchschnittlich fünf bis sieben Krankheitstagen tritt klinische Spontanheilung ein, mit einer anschließenden
asymptomatischen Ausscheidungsphase von etwa drei weiteren Wochen. Bei
immunsupprimierten Patienten kommt
es nicht selten zu einer Langzeitausscheidung. Neben der klinisch manifesten Campylobacterenterits kann die
Campylobacterinfektion speziell in Entwicklungsländern auch symptomarme
bis inapparente Verläufe zeigen [12].
Akute Komplikationen der Campylobacterenteritis sind schwer verlaufende Kolitiden, wie sie auch bei Shigellosen und Salmonellosen beobachtet
werden. In sehr seltenen Fällen kann es
zur Entwicklung eines toxischen Megakolons kommen. Pseudoappendizitis sowie eine begleitende Pankreatitis und
Cholezystitis kommen ebenso vor wie in
Einzelfällen eine transiente Transaminasenerhöhung. Die Häufigkeit einer passageren Bakteriämie wird wahrscheinlich unterschätzt. Bei einer Studie in
Großbritannien wurde sie bei 1,5 von
1000 Fällen nachgewiesen. Eine diesbezügliche Häufung zeigt sich bei über 65jährigen und bei immunsupprimierten
Patienten [13]. Bisher wurden darmpathogene Campylobacter selten als Ursache des fieberhaften Aborts beschrieben. Kürzlich wurde jedoch ein solcher
Fall mit letalem Ausgang bei der Mutter
mitgeteilt [14].
war dort bei Schlachtgeflügelisolaten
aber nicht nachweisbar (1998: 11%, 1999:
8,2%, 2000: 4,5%) [17]. Im Gegensatz dazu betrug in Belgien die Fluorchinolonresistenz bei Broilerisolaten 1998 bereits
44,2% [18]. Resistenzen gegen Makrolide
kommen seltener vor. Sie finden sich in
der Regel häufiger bei C.-coli-Isolaten
als bei C. jejuni. So betrug in Spanien die
Makrolidresistenz bei C. coli 34,5%, in
England und Wales 21,8%, in Belgien bei
Broilern 34,8% und bei Isolaten vom
Schwein sogar 67,2%. In einer kürzlich
erschienenen Übersicht berichten Engberg et al. über Erythromycinresistenzquoten bei menschlichen Isolaten von
0% bis 11% für C. jejuni und von 0% bis
68,4% für C. coli. Die höchsten Quoten
für Chinolonresistenz fanden sich in
Taiwan (56,9%), in Thailand (84%) und
in Spanien (75–88%). In Thailand wurden auch schon Isolate mit Multiresistenzen gegen Chinolone, Makrolide,
Ampicillin, Tetrazykline und Clindamycin beobachtet [19].
Pathogenese der Enteritis
„Bei Campylobacter wird eine
zunehmende Resistenzentwicklung gegen Chinolone
beobachtet.“
Die Behandlung einer unkomplizierten
Campylobacterenteritis beschränkt sich
auf symptomatische Maßnahmen und
besteht in erster Linie in ausreichender
Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.
Bei protrahierten oder rezidivierenden
fieberhaften Verläufen sowie bei immunsupprimierten Patienten ist eine antimikrobielle Chemotherapie für fünf
bis sieben Tage angezeigt. Mittel der ersten Wahl ist Erythromycinstearat (2x
500 mg/d).Alternative Chemotherapeutika sind Fluorchinolone (2 × 250 mg/d),
Amoxillin (3 × 500–1000 mg/d) oder Tetrazyclin (3 × 250 mg/d).
Bei der Auswahl der Therapeutika
ist auch die zunehmende Resistenzentwicklung besonders gegen Chinolone
aber auch, vor allem bei C. coli, gegen
Makrolide zu berücksichtigen.Die Resistenz gegen Fluorchinolone lag 1997/98 in
Spanien bei 75% [15], in England und
Wales dagegen nur bei 10,7% [16]. In
Nordirland wurde zwischen 1998 und
2000 bei menschlichen Isolaten ein Resistenzanstieg von 9 auf 17,4% beobachtet. Eine entsprechende Entwicklung
Die Gesamtsequenzierung des Campylobacter-jejuni-NCTC11168-Genoms
(1600–1700 kb) [20] hat zu ersten Fortschritten im Verständnis der Pathogenitätsfaktoren des Erregers geführt. Es
zeigte sich zunächst, dass das Genom
keine Homologien zu bekannten „klassischen“ Virulenzfaktoren anderer darmpathogener Erreger wie z. B. choleraähnlichen Toxinen, Adhäsinen, Invasinen
oder Typ-III-Sekretionssystemen trägt.
Dennoch scheinen nach bisher vorliegenden Befunden für die Pathogenese
Faktoren wie die chemotaktisch gesteuerte Motilität, die Fähigkeit zur Adhäsion und Invasion, die Bildung von Toxinen, die Variabilität der Oberflächenantigene sowie die Verarbeitung von Umgebungsstressfaktoren, eine Rolle zu
spielen.Weiterhin wurden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines mikrobiellen
Typ-III- und ein Typ-IV-Sekretionssystems gefunden. Eine ausführliche
Übersicht zur Pathogenese der Enteritis
und weiterführende Literatur findet sich
bei [21].
Motilität ist für die Bakterien eine
unabdingbare Voraussetzung, um den
viskösen Darmschleim zu durchdringen,
in Kontakt zur Darmschleimhaut zu gelangen und in Kolonkrypten vorzudringen [22]. Die monopolare Geißel des spi-
ralförmigen Bakteriums besteht aus den
nicht umscheideten Flagellin-Untereinheiten A und B, die durch die Gene flaA
und flaB kodiert werden [23]. Beide Flagelline sind hochgradig variabel. Geißellose Mutanten konnten im Maustiermodell nicht kolonisieren [24]. Die Motilität
unterliegt wahrscheinlich einer chemotaktischen Regulation, wobei Muzine, LSerin und L-Fucose eine positive und
Gallensäuren eine negative Chemotaxis
bewirken [25].DieAdhärenz des Erregers
an das Darmepithel sowie die Fähigkeit
zur Zellinvasion sind weitere Eigenschaften,die mit der Pathogenität von Campylobacter-jejuni-Stämmen korreliert werden. Die ersten Adhäsine, die identifiziert
wurden, waren mit der Geißel assoziiert
[24]. Als weitere Adhäsine wurden die
Proteine PEB1 und CadF identifiziert,
wobei Letzteres eine Bindung an die Interzellularsubstanz Fibronektin vermittelt [26, 27]. Defektmutanten können
frisch geschlüpfte Küken nicht mehr besiedeln.
Die Invasivität von Campylobacterjejuni-Stämmen in der Zellkultur erfordert wahrscheinlich die mikrobielle Denovo-Synthese mehrerer invasionsassoziierter Proteine sowie eine wirtszelleigene Signaltransduktion [28]. Unter den
Invasionsproteinen scheint dabei dem
CiaB-Protein eine Schlüsselfunktion zuzukommen. Von Letzterem wird diskutiert, ob es zu einem mikrobiellen TypIII-Sekretionssystem gehört, das möglicherweise den Geißelapparat als Sekretionshilfe benutzt. Ein weiteres potenzielles, invasionsassoziiertes und plasmidkodiertes
Typ-IV-Sekretionssystem
wurde kürzlich beschrieben [29]. Die
Aufnahme des Erregers in enterale
Wirtszellen erfolgt vermutlich über einen Mikrotubulus-abhängigen Mechanismus [30]. Bei Campylobacter jejuni
sind in der Vergangenheit eine ganze
Reihe von putativen Toxinen beschrieben worden [31]. Allerdings konnte bisher mit Ausnahme des so genannten Cytolethal-Distending-Toxin (CDT) keines
molekulargenetisch charakterisiert werden [32]. Das CDT wird durch das
cdtABC-Gen kodiert und ist wahrscheinlich als Komplex aus drei Untereinheiten toxisch aktiv [33]. Man vermutet, dass die toxische Wirkung auf einer
Blockade des Zellzyklus in der G2-Phase beruht; unter anderem wird die Zellreifung von Kryptenzellen zu funktionstüchtigen Villus-Epithelzellen inhibiert.
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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken
Campylobacter jejuni kann vermutlich auch auf wechselnde Umgebungstemperaturen reagieren (Geflügeldarm
(42°C), Menschen (37°C) oder Umwelt
(<20°C)). Hierzu bedient es sich Temperaturregulationsproteine und Hitzeschockproteine. Verschiedene Regulationsproteine (GroESL, DnaJ, Dank, ClpB)
wurden bei Campylobacter jejuni bereits
nachgewiesen. DnaJ-Defektmutanten
können den Kükendarm nicht mehr kolonisieren [34].
Die äußere Membran besteht bei
Campylobacter jejuni wie bei anderen
gramnegativen Bakterien aus Lipopolysacchariden (LPS). Allerdings werden
im Regelfall nur Lipooligosaccharide
(LOS) und seltener komplette LPS gefunden [35]. Die LOS sind genetisch
hochgradig variabel, was z. B. die Serotypisierung auf der Basis hitzestabiler OAntigene außerordentlich erschwert
[36]. Schließlich sind sowohl die Oberflächenpolysaccharide als auch die Geißel von Campylobacter jejuni auffällig
sialynisiert. Dies verleiht ihnen eine
hochgradige Ähnlichkeit zu Gangliosiden tierischer Nervenzellen, was eine
Rolle bei der Pathogenese des GuillainBarré-Syndroms zu spielen scheint.
Folgekrankheiten der Enteritis
Folgekrankheiten der Campylobacterinfektion sind die reaktive Arthritis und
das Guillain-Barré-Syndrom. Die reaktive Arthritis wird in weniger als 1% der
Enteritis-Fälle etwa ein bis zwei Wochen
nach Krankheitsbeginn beobachtet. Betroffen sind vor allem HLA-B27-positive Patienten, besonders häufig sind die
Kniegelenke involviert [37]. Die reaktive Arthritis geht nicht selten mit einer
Konjunktivitis, in etwa 20% mit einem
kompletten Reitersyndrom einher [38].
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
ist zwar eine seltene Folgekrankheit der
Campylobacterenteritis, wegen des potenziell lebensbedrohlichen Verlaufs
und der möglichen Spätfolgen hat es jedoch die größte medizinische Bedeutung. Das GBS ist gekennzeichnet durch
eine symmetrisch aufsteigende Paralyse, häufig begleitet von sensorischen
Ausfällen. Die oberen Extremitäten und
die Hirnnerven sind in wechselnder Intensität betroffen, wobei sich relativ
kurzfristig eine respiratorische Insuffizienz mit Beatmungspflicht entwickeln
kann.
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Vier charakteristische Verläufe des
GBS werden unterschieden (Übersicht
bei [39]):
1. die akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie
(AIDP) mit multifokalen axonalen Läsionen und Degenerationen der Myelinscheiden, Areflexie und distal oder
proximal betonten Paralysen mit
wechselnden Sensibilitätsstörungen,
2. die akute motorische axonale Neuropathie (AMAN) mit ausschließlich
motorischen Ausfällen,
3. die akute motorische und sensorische axonale Neuropathie (AMSAN)
mit großer Ähnlichkeit zur AMANVerlaufsform, jedoch mit sensibler
Beteiligung, und schließlich
4. das Miller-Fisher-Syndrom (MFS)
mit den drei Kardinalsymptomen
„Ophthalmoplegie, zerebelläre Ataxie
und Areflexie“.
Dem GBS gehen in 32–75% der Fälle fieberhafte Infektionen voraus (Übersicht
bei [40]).Etwa ein Drittel der vorangehenden Infektionen werden wohl durch
Campylobacter verursacht.In den Niederlanden wurden in einer Fallkontrollstudie
Campylobacter, Cytomegalie-Virus, Epstein-Barr-Virus und Mycoplasma pneumoniae in jeweils 32,13,10 und 5% der Fälle als Ursache für die Infektionen,die dem
GBS vorangingen, ermittelt [41].
„Als seltene Komplikationen
einer Campylobacterenteritis
können das Guillain-BarréSyndrom sowie reaktive
Arthritiden auftreten.“
Die Häufigkeit mit der das GB-Syndrom
nach einer Campylobacterenteritis auftritt, liegt generell bei 1:1058 bzw. nach einer Infektion mit einem Campylobacterstamm des Serovars PEN O:19 bei 1:158
[40].In einer eigenen prospektiven Studie
wurden unter 945 Campylobacterfällen
allein zwei Fälle von GBS,ein Fall von MFS
und ein Fall von isolierter Fazialisparese
beobachtet. Die Erkrankungen traten innerhalb von zwei Wochen nach Beginn
der akuten Diarrhöe auf [42]. Eine Zusammenfassung der GBS-Fälle, die weltweit zwischen 1982 und 1991 auftraten und
die einen gesicherten Zusammenhang
mit einer Campylobacterinfektion zeigen,
findet sich bei Mishu und Blaser [43].
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Ein Zusammenhang zwischen dem
Auftreten des GBS und einer vorangehenden Infektion mit Campylobacterstämmen des Serovars PEN O:19 wurde
erstmals 1993 in Japan beobachtet [44].
Eine entsprechende Korrelation konnte
jedoch in einer englischen Fallkontrollstudie nicht bestätigt werden [45]. In
Afrika fand sich ein vergleichbarer Zusammenhang, allerdings nach Infektion
mit dem Serovar PEN O:41 [46]. Untersuchungen in den Niederlanden und Belgien ergaben dagegen ein eher heterogenes Stammspektrum mit einer geringen,
nicht signifikanten Häufung der Serovare PEN O:2 und O:4 [47]. Schon früh war
aufgefallen, dass bei einem beträchtlichen Anteil von Patienten, die an einer
Campylobacter-assoziierten GBS erkrankten,Antikörper nachgewiesen werden konnten, die mit sog.„Gangliosiden“
reagieren. Ganglioside gehören zur Proteinfamilie der Sialinsäure-substituierten Glycospingolipide, die besonders im
Nervengewebe und dort vor allem in den
axonalen Myelinscheiden angereichert
sind.Am häufigsten werden bei GBS-Patienten Antikörper gegen das Gangliosid
GM1 gefunden (Übersicht bei [39]). Allerdings finden sich nur bei etwa der
Hälfte dieser Patienten auch Hinweise
auf eine durchgemachte Campylobacterinfektion [48]. Neben Anti-GM1-Antikörpern finden sich auch solche gegen
GM1b und GM1a sowie gegen N-acetylgalactosaminyl-GD1a [49, 50]. Im Gegensatz zur eher vieldeutigen Immunreaktion beim GBS besteht beim MFS anscheinend ein hochsignifikanter Zusammenhang mit dem Nachweis von Antikörpern gegen das Gangliosid GQ1b [51]. Die
äußere Membran von C. jejuni enthält
sowohl LOS als auch LPS [52], die im Gegensatz zu vielen anderen Bakterienarten teilweise mit Sialinsäureresten substituiert sind [53]. Sialinsubstituierte LOS
von Campylobacter besitzen eine sehr
weitgehende strukturelle Ähnlichkeit zu
den sialynisierten Gangliosiden, was ein
auffälliges Mimikry zwischen beiden
Molekülen bedingt [54] und als wesentlicher Faktor der Pathogenese des Campylobacter-assoziierten axonal betonten
Form des GBS angesehen wird [55].
Quellen und Übertragungswege
C. jejuni und C. coli sind in der Natur nahezu ubiquitär verbreitet. Sie kolonisieren als enterale Kommensalen ein brei-
tes Spektrum von Wild- und Haustieren
wie freilebende Vögel und Säugetiere
aber auch Nutztiere, vor allem Geflügel
und mit geringerer Prävalenz Milchrinder und Schweine. Haushunde und Katzen sind ebenfalls betroffen. Das Wachstumsoptimum der thermophilen Campylobacterarten liegt zwischen 42 und
43°C und ist damit optimal an die Körpertemperatur von Vögeln adaptiert
[56]. Während in der Summe C. jejuni
dominiert, kommt bei Schweinen überwiegend C. coli vor.
„Die Campylobacteriose des
Menschen ist vor allem eine
nahrungsmittelbedingte
Infektion.“
Neben berufsbedingten Infektionsquellen, die insbesondere Milchbauern,
Arbeiter in der Geflügelhaltung und
-schlachtung sowie Mitarbeiter in
Schlachthöfen betreffen, sind infizierte,
kontaminierte Tiere und Tierprodukte,
vor allem Rohmilch und Geflügelfleisch,
aber auch kontaminierte Oberflächenwasser die häufigsten Ursachen für das
Auftreten sporadischer Campylobacterinfektion des Menschen [5]. Wasser,
Milch und Geflügel sind auch die Hauptursachen für campylobacterbedingte
Krankheitsausbrüche [57].
Geflügel
Die Bedeutung von Geflügel als Ursache
der menschlichen Campylobacterinfektion ist ausführlich bei [58] referiert und
mit zahlreichen Zitaten belegt. Geflügelund Geflügelfleisch sind häufig mit
Campylobacter, überwiegend mit C. jejuni kolonisiert bzw. kontaminiert. In
den 90er-Jahren betrug die Kontaminationsrate bei frischem Hähnchenfleisch
in England und Wales, den Niederlanden und den USA zwischen 80–90%, in
Schweden, Finnland und Norwegen
wurden durchweg geringere Prävalenzen gefunden [58]. Bei einer kürzlich
publizierten US-amerikanischen Untersuchung von Schlachtfleisch waren
70,7% des verkaufsfertigen Hähnchenfleisches kontaminiert, während bei
Truthahnfleisch in 14%, bei Schweinefleisch in 1,7% und bei Rindfleisch in
0,5% der Proben Campylobacter nachgewiesen wurden [59]. In Frankreich
waren 17,5% der Geflügelfleischproben
aus dem Supermarkt Campylobacterpositiv, bei einer gleichzeitigen fäkalen
Trägerrate bei den lebenden Tieren von
43,2% [60]. In Deutschland wurden bei
Untersuchungen von Geflügelschlachtkörpern Kontaminationsraten von 33%
bzw. 46% ermittelt [61, 62]. Eine große
Zweijahresstudie in Dänemark ergab eine Campylobacterdurchseuchung des
Geflügels unmittelbar vor der Schlachtung von 42,5% mit einem saisonalen
Gipfel im Juli, August und September
[63]. Für die jeweilige Keimbelastung
der verkaufsfertigen Schlachtkörper
werden unterschiedliche Werte angegeben: Während für englische Schlachthähnchen Koloniezahlen zwischen 106
(ausgenommene Tiere) und 107 (nicht
ausgenommene Tiere) und für amerikanische Produkte Koloniezahlen von 104 –
105 angegeben werden [58], fanden niederländische Untersucher in Frischgeflügel 10 – 5500 und in Gefriergeflügel
meist weniger als zehn Campylobacter
pro Schlachtkörper [64]. Der Anteil
menschlicher Campylobacterinfektionen, der auf kontaminiertes Geflügelfleisch zurückzuführen ist, ist nach wie
vor nicht definiert. Zwar wurde die kausale Rolle dieses alimentären Risikofaktors anhand von Ausbrüchen [65, 66, 67]
sowie in Fallkontrollstudien [58] gesichert, gerade Letztere ergaben jedoch
auch Hinweise auf andere signifikante
Risikofaktoren wie Genuss von Rohmilch, Grillwürsten oder unbehandeltem Oberflächenwasser sowie Kontakt
zu Hunden und Katzen.Weitere Hinweise in beide Richtungen ergeben sich aus
der vergleichenden Typisierung von Isolaten aus Geflügel und Mensch. Neben
Isolaten mit identischen Merkmalen
fanden sich in beiden Gruppen auch eine große Anzahl nicht identischer Stämme [68, 69].
Die vertikale Übertragung scheint
bei Campylobacter praktisch keine Rolle zu spielen, denn Küken sind in der
ersten Lebenswoche nur sehr selten kolonisiert [70]. Die meisten Herden werden im Alter zwischen drei und sechs
Wochen mit Campylobacter besiedelt.
Wahrscheinliche Risikofaktoren sind
dabei das Tränkewasser, seltener Futtermittel, Einschleppung durch Personal
aus anderen Bereichen des landwirtschaftlichen Betriebs sowie Nagetiere,
Insekten und Wildvögel [58]. Eine kürzlich durchgeführte Längsschnittstudie
an 100 englischen Broilerherden zeigte,
dass nach vier Wochen 40% und nach
sieben Wochen über 90% der Herden infiziert waren. Als Hauptrisikofaktoren
wurden dabei reparaturbedürftige Stallungen, unzureichende Desinfektion der
Tränken sowie die nicht sachgerechte
Benutzung der Desinfektionsmatten zur
Stiefeldesinfektion identifiziert [71].
Auch das „Ausdünnen“ der Bestände
durch Entnahme schlachtreifer Tierchargen scheint eine deutlichen Zunahme in der Durchseuchung zu bedingen
[72]. Kürzlich durchgeführte Durchseuchungsstudien an US-amerikanischen
und französischen Broilerbeständen ergaben, dass 87,5%, bzw. 79,2 und 42,7%
der Herden infiziert waren, wobei in der
französischen Studie die höchsten Prävalenzen im Sommer und Herbst gefunden wurden [60, 73, 74]. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass gerade ökologisch gehaltene Broilerbestände besonders häufig Campylobacterkontaminationen tragen. Untersuchungen zeigten, dass Bestände aus konventioneller Käfighaltung mit 36,7% am
seltensten, Bestände in ökologischer
Freilandhaltung dagegen zu 100%, d. h.
am häufigsten infiziert waren. Herden in
extensiver Bodenhaltung nahmen mit
49,2% eine Mittelstellung ein [75].
Stressfaktoren wie Futterentzug vor der
Schlachtung, Einfangen und Transport
sowie Kreuzinfektionen durch kontaminierte Transportkäfige führen dann zur
Infektion weiterer Tiere sowie zur Erhöhung der individuellen Campylobacterkontamination [58, 76]. Der Schlachtvorgang und die Verarbeitung der Schlachtkörper trägt ebenfalls zur Campylobacterverbreitung bei: So erfolgt eine Übertragung durch das Brühbad (besonders
bei reduzierten Temperaturen um 50°C),
auch kommt es beim Rupfen und insbesondere bei der Eviszeration nochmals
zu einer massiven Kontamination der
Haut. Schließlich begünstigt das Abkühlen des Schlachtkörpers mittels Luft
noch mehr als das Abkühlen in Wasser
die Keimverbreitung [58]. Newell et al.
konnten durch Stammtypisierung (flatyping) zeigen, dass ursprünglich fäkale
Campylobacterisolate am Endprodukt
als Kontaminanten nachweisbar waren.
Auch überlebten bestimmte Typen die
Maßnahmen zur intraprozessualen
Keimreduktion besser als andere und
konnten somit sowohl den Schlachthof
als auch nachfolgende Schlachtchargen
infizieren. In einigen Fällen konnte eine
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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken
Infektion primär negativer Schlachtchargen durch kontaminierte Transportkäfige nachgewiesen werden [77].
Insgesamt erscheint es außerordentlich
schwierig, sowohl die primäre Infektion
der Bestände als auch Kreuzkontaminationen mit Campylobacter während des
Schlachtprozesses zu vermeiden, bzw.
den Bakterieneintrag durch keimreduzierende Maßnahmen, wie Chlorieren
des Prozesswassers, die Behandlung der
Schlachtkörper mit organischen Säuren
oder Tri-Natriumphosphat wirksam zu
eliminieren [58]. Corry [58] schlägt deshalb als wirksamste lebensmittelhygienische Intervention eine Schlussbestrahlung des fertigen Produkts vor. Alternativ kann aus diesen Befunden allerdings auch abgeleitet werden, dass alles
Mögliche getan werden muss, um die
primäre Infektion der Bestände zu minimieren, das Infektionsrisiko beim
Transport durch einwandfreie Transportkäfige und kurze Verweilzeiten zu
reduzieren und grundsätzlich campylobacterfreie Bestände vor infizierten Beständen zu schlachten. In Island ist es
zudem gelungen, die Inzidenz der humanen Campylobacteriosen ganz entscheidend dadurch zu senken, dass infizierte Chargen tiefgefroren und erst
nach einer Wartezeit für den Handel
freigegeben wurden [78].
und 1990 auftraten, eine durchschnittliche Erkrankungsrate von 45% ermittelt,
wobei überwiegend Kleinkinder (70%)
betroffen waren [87]. Interessanterweise
scheinen ältere Individuen oder gewohnheitsmäßige Rohmilchtrinker ein deutlich geringeres Risiko zu haben, symptomatisch an einer milchbedingten Campylobacterinfektion zu erkranken, was
für eine „stille Feiung“ durch chronischen Rohmilchverzehr spricht [88]. Ein
schützender Effekt ist auch bei täglichem
Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren zu beobachten [89]. In eine vergleichbare Richtung weist eine Fallkontrollstudie über fünf Jahre in Süddeutschland: Hier ist das Rohmilch-assozierte Campylobactererkrankungsrisiko in städtischen Bereichen durchweg
höher als in ländlichen Gebieten, in denen gewohnheitsmäßiger Rohmilchgenuss viel weiter verbreitet ist [42]. Insgesamt ist Rohmilch ein bedeutender Risikofaktor sowohl für sporadische Infektionen als auch für Ausbrüche. Die wichtigsten Interventionsmaßnahmen sind
wahrscheinlich Verbesserungen der
Melkhygiene. Noch wirksamer ist aber
wohl die Vermeidung von Rohmilch, die
sich offensichtlich auch im Bereich der
Infektionen durch enterohämorrhagische E. coli zu bewähren scheint.
Wasser
Milch
In Rohmilchsammelproben wurden
Campylobacter mit einer Häufigkeit zwischen 1,4% und 9,2% nachgewiesen [79,
80, 81]. Mit wenigen Ausnahmen ist die
Kontamination der Milch fäkalen Ursprungs, in Einzelfällen kann beim Tier
allerdings auch eine Mastitis vorliegen
[82]. Rohmilch konnte in Fallkontrollstudien als Risikofaktor identifiziert [42, 83]
und als Ursache von zahlreichen Ausbrüchen nachgewiesen werden. Kürzlich gelang dieser Nachweis auch durch molekulargenetische Typisierung der Campylobacterisolate [84]. Bereits 1983 wurde
über einen der ersten großen Ausbrüche
in der Schweiz anlässlich eines Volkslaufs
berichtet, bei dem über 500 Personen
nach Genuss eines Rohmilchgetränks erkrankten [85]. In einer Studie wurde die
infektiöse Dosis in Milch mit 500 KBE
(koloniebildende Einheiten) bestimmt
[86]. In den USA wurden bei der Analyse von 20 milchbedingten Ausbrüchen
mit 458 Erkrankten, die zwischen 1981
502 |
Das Vorkommen von Campylobacter
spp. in Wasser,Abwasser und in der Umwelt wurde kürzlich von Jones ausführlich referiert und mit zahlreichen Zitaten belegt [90]. Aufgrund der nahezu
ubiquitären Verbreitung von Campylobacter in der Tierwelt ist ein Eintrag vor
allem in Oberflächenwasser zwingend
zu erwarten. So findet sich Campylobacter in Wasserläufen vor allem unterhalb
des Einzugsbereichs landwirtschaftlicher Betriebe oder Weideflächen. In
Flüssen und Seen sind die Erreger in der
kühlen Jahreszeit regelmäßig in hohen
Keimzahlen, bei höheren Temperaturen
und verstärkter UV-Einstrahlung in geringeren Keimzahlen nachweisbar. Besonders hohe Belastungen treten in
Zierteichen und anderen Wasserflächen
in Parks auf, die häufig stark durch Wassergeflügel frequentiert sind [90]. Thermotolerante Campylobacter können in
ruhigem Wasser über 60 Tage kultiviert
werden, und ein weiteres Überleben in
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der „viable but not culturable form“ ist
nicht auszuschließen [91].
Die Rolle von in der Regel unbehandeltem Trinkwasser als Ursache
sporadischer Campylobacterinfektionen ist in verschiedenen Fallkontrollstudien belegt worden [89]. In zwei
Übersichtsarbeiten wurde zudem über
insgesamt 16 wasserbedingte Campylobacterioseausbrüche zwischen 1978
und 1997 berichtet [92, 93]. Meist waren
Einzelwasserversorgungen betroffen.
Bei einer Untersuchung einer großen
kommunalen französischen Wasserversorgung waren keine thermophilen
Campylobacter nachweisbar [94]. Prinzipiell ist jedoch auch die Kontamination von Trinkwasserströmen mit Campylobacter nicht ausgeschlossen, wie
kürzlich nachgewiesen werden konnte.
„Die Rolle von unbehandeltem
Trinkwasser als Ursache
sporadischer Campylobacterinfektionen ist belegt.“
In diesem Fall wurde durch vergleichende Typisierung ein Milchviehbetrieb im Wasserschutzgebiet als Kontaminationsquelle identifiziert [95].
Campylobacter kommt außer in Trinkwasser auch in Badegewässern vor. So
wurde der Erreger bei Untersuchungen
in England sowohl in Süßwasserbadeseen als auch im Meerwasser in Strandnähe sowie an feuchten und trockenen
Sandstränden nachgewiesen [96]. Abwässer insbesondere aus dem Einzugsbereich landwirtschaftlicher Betriebe
enthalten Campylobacter spp. nahezu
regelmäßig. Bei der mechanisch-biologischen Klärung und durch die Klärschlammfaulung werden Reduktionen
der Keimzahl bis zu 99% erreicht, dennoch wird noch eine erhebliche Bakterienlast in die Vorfluter abgegeben [90].
Weitere epidemiologische
Risikofaktoren
Reisen
Campylobacter gilt als häufigster Erreger
der Reisediarrhoe. So zeigte z. B. die Untersuchung österreichischer Touristen,
die mit Diarrhoe aus Südeuropa oder
Asien zurückkehrten, dass diese überwiegend mit Campylobacter infiziert waren [97]. Wie in Fallkontrollstudien in
Süddeutschland, Norwegen und der
Schweiz übereinstimmend nachgewiesen wurde, sind Durchfallerkrankungen,
die zwei bis drei Wochen nach Reisen in
südliche Länder auftreten, signifikant
mit dem Vorliegen von Campylobacterinfektionen korreliert [42, 98, 99].
Haustiere
Über menschliche Campylobacterinfektionen, die wahrscheinlich über den
Kontakt mit erkrankten jungen Hunden
und Katzen erworben wurden, ist immer
wieder berichtet worden [100, 101].
Kürzlich konnte erstmals durch einen
molekulargenetischen Vergleich der Isolate bei Mensch und Tier die Übertragung einer septisch verlaufenen Campylobacteriose von einem Hundewelpen
auf ein drei Monate altes Baby bewiesen
werden [102].
AIDS
In einer prospektiven Studie wurde C. jejuni als häufigster Durchfallerreger bei
AIDS-Patienten mit einer CD4-Zahl
<50/µl und chronischer Diarrhoe nachgewiesen [103].
Übertragung von Mensch zu Mensch
Nach den bisherigen epidemiologischen
Befunden spielt die Übertragung von
Mensch zu Mensch eine geringe Rolle,
obwohl eine solche auch vereinzelt beobachtet wurden [104].
Labordiagnostik
Die Labordiagnostik der enteralen
Campylobacterinfektion ist bei Nachamkin [105] und bei Kist et al. [106]
ausführlich dargestellt und wird deswegen hier nur verkürzt referiert. Zur Isolierung von thermophilen Campylobacter im akuten Stadium der Enteritis wird
die Direktkultur von Stuhlproben auf
Spezialnährböden empfohlen. Hierfür
sind bluthaltige Medien mit Antibiotikazusätzen wie auch blutfreie Nährböden
wie z. B. der Aktivkohle-CefoperazonDesoxycholat-Agar (CCDA) oder eine
Kombination beider bestens geeignet.
Die Kulturen werden bei 37°C in mikroaerober Atmosphäre (5–7% O2) für 44
Stunden inkubiert. Mit der Filtrationsmethode, die auf der extremen Motilität
von Campylobacter basiert, welche das
Bakterium schneller als andere Darmbakterien einen 0,65-µm-Cellulosefilter
passieren lässt, können bei Verwendung
antibiotikafreier Blutagar-Nährböden
seltene Campylobacter spp. wie C. upsaliensis isoliert werden, allerdings mit einer im Vergleich zur Direktkultur deutlich geringeren Sensitivität. Flüssige Anreicherungskulturen (nicht indiziert im
akuten Krankheitsstadium) sind hilfreich, wenn geringe Keimzahlen ausgeschieden werden. Sie sind somit in allen
GBS-Fällen, bei denen 20 Tage nach Beginn der Diarrhöe um 31% höhere Isolierungsraten als in der Direktkultur erreicht wurden, angezeigt. Bei speziellen
Fragestellungen, wie bei der Untersuchung kulturell negativer Stühle von
GBS-Patienten, können auch Nukleinsäure-Amplifikations-Tests eingesetzt
werden [107].
Identifizierung, Differenzierung und
molekulare Typisierungsmethoden
Die Gattungen Campylobacter und Arcobacter aus der Familie der Campylobacteriaceae sind nahe verwandt mit Flexispira spp., Helicobacter spp. und Wolinella spp.und gehören zur rRNA-Superfamilie VI oder der Epsilon-Subdivision der
Alpha-Protobakterien [108].Die Identifizierung der thermophilen Campylobacter spp. erfolgt mit biochemischen Methoden, nötigenfalls ergänzt durch die
speziesspezifische PCR (Polymerasekettenreaktion) und die GanzzellfettsäurenGaschromatographie [109]. Die serologische Typisierung der thermophilen
Campylobacter spp. ist bis heute problematisch geblieben,weil geeignete Antiseren nur mit großem Aufwand hergestellt
werden können und die praktische Anwendbarkeit durch die Phasenvariabilität
der LOS-Antigene stark beeinträchtigt
wird [20].Molekulare Typisierungssysteme, vor allem die PCR-RFLP (Restriktionsfragment-Längen-Polymorphismus)
des flaA-Gens und die PFGE (PulsedField-Gel-Elektrophorese) sind deshalb
zunehmend wichtig geworden.Die wichtigsten molekularen Typisierungstechniken wurden kürzlich in der Übersicht
dargestellt und bewertet [110].
Perspektiven
Eingangs wurden die Fragen gestellt:
Warum sind Campylobacteriosen so
häufig? Was bedingt die ausgeprägte Sai-
sonalität der Infektion? Warum gehen
die menschlichen Salmonellosen stärker
zurück als die Campylobacterinfektionen? Fasst man die epidemiologischen
Befunde zusammen, so erscheint Campylobacter als „Hans Dampf in allen
Gassen“, d. h. seine sehr weite Verbreitung bei Wild- und Haustieren sowie in
der Umwelt sichert den Bestand der Art.
Der Selektionsnachteil einer fehlenden
Vermehrungsmöglichkeit in der Umwelt
wird durch eine massive Vermehrung in
zahlreichen Wirten ausgeglichen, die ihrerseits große Keimzahlen in die Umwelt
freisetzen, bzw. als kontaminierte Lebensmittel zum Verzehr kommen. Die
Saisonalität der Bakterienlast bei Tieren
und der Umwelt geht einher mit einer
entsprechenden Kinetik menschlicher
Infektionen, wobei nicht klar ist, ob die
Temperatur und UV-abhängige Überlebensfähigkeit des Erregers in der Umwelt die Durchseuchung der tierischen
Wirte moduliert oder umgekehrt, ob
sich ein wechselnder Befall tierischer
Wirte in der Umweltbelastung reflektiert. Die im Vergleich zur Salmonellose
geringeren Erfolge bei der Kontrolle der
Campylobacterinfektionen haben eine
Reihe von wahrscheinlichen Gründen:
Nutztierbestände, vor allem Schlachtgeflügel, sind, begünstigt durch eine
schnelle horizontale Ausbreitung der Erreger, sehr häufig mit thermophilen
Campylobacter spp. infiziert, wobei die
infizierten Tiere zumindest zeitweise
hohe Keimzahlen ausscheiden.Während
des Transports und des Schlachtprozesses kommt es einerseits zu einer nur geringen Reduktion der ursprünglichen
Bakterienlast und andererseits zu einer
weiteren Verbreitung durch Kreuzkontamination. Eine sekundäre Vermehrung auf den Fertigprodukten findet
nach bisherigen Befunden zwar nicht
statt, dem wirkt jedoch eine niedrige minimale Infektionsdosis entgegen. Ähnliches gilt auch für das Infektionsvehikel
Milch, die in der Regel sekundär fäkal
verunreinigt werden kann. Es ist bisher
ungeklärt, ob durch eine weitere Verbesserung der Melkhygiene diese eher geringfügigen Verunreinigungen vermeidbar sind. Allerdings kann durch die Pasteurisierung wirksam Abhilfe geschaffen werden. Küchenhygienische Maßnahmen, wie Kühlung, die z. B. die sekundäre Vermehrung von Salmonellen
wirksam verhindern, bewirken bei
Campylobacter eher längere Überle-
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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken
bensraten. Weiterhin hat sich gezeigt,
dass Campylobacter auf Arbeitsflächen
langfristig überleben und der einfachen
Behandlung mit Wasser und Detergenzien widerstehen können [111]. Schließlich spielt die Verbreitung über das ubiquitäre Lebensmittel Wasser bei Campylobacter eine größere Rolle als bei Salmonellen.
Sinnvolle Ansätze zur Prävention der
humanen Campylobacterinfektion sind
nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand
eine möglichst weitgehende Quarantänehaltung der Schlachtgeflügelbestände,
um einen Infektionseintrag zu vermeiden
oder zumindest zeitlich zu verzögern.
Hinzu kommen das Vermeiden des „Ausdünnens“ der Bestände, wirksame Dekontaminationen der Transportkäfige,
das Vorziehen der Schlachtung nicht infizierter Bestände, höchstmögliche Brühtemperaturen, Abkühlung der Schlachtkörper im Kühlbad, Zusatz antimikrobieller Substanzen zum Prozesswasser und
zukünftig eine dekontaminierende
Schlussbehandlung der Endprodukte.
Weiterhin ist die Vermeidung von Rohmilch und von unbehandeltem Oberflächenwasser als Trinkwasser eine wichtige
Interventionsmaßnahme. Eine Impfung
gegen Campylobacter wäre sinnvoll,
scheitert vorerst jedoch an der antigenetischen Vielfalt der Erreger und an den
nicht bekannten Auswirkungen insbesondere hinsichtlich einer Begünstigung
der Folgekrankheit GBS [112]. Dringender Forschungsbedarf besteht, auch im
Hinblick auf die Entwicklung einer wirksamen Impfung, bezüglich der weiteren
Aufklärung der Virulenzfaktoren des Erregers,der Pathogenese von Enteritis und
GBS sowie der Analyse der Immunantwort, die offenbar zumindest vorübergehend vor einer symptomatischen Reinfektion schützen kann [113]. Im Bereich
der Diagnostik sind sensitivere Nachweisverfahren erforderlich,besonders zur
Abklärung des Verdachtes auf das Vorliegen eines Campylobacter bedingten GBS.
Dies schließt auch die Entwicklung verlässlicher serologischer Verfahren ein.Die
zunehmende Resistenzentwicklung gegen antimikrobielle Substanzen sollte
schließlich Anlass für ein Überwachungsund Interventionsprogramm sein, das
bundesweit und in europäischer Vernetzung interdisziplinär von der Humanund der Veterinärmedizin getragen wird.
504 |
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