Document 6540166

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Document 6540166
DVSG-Bundeskongress 2013, 10.-11.10.2013, Münster
‚Soziale Arbeit im Gesundheitswesen –
Netzwerke stärken - Kooperationen leben‘
Wirkmächtigkeit
Im Kontrast zu psychologischen Konzepten (z.B. Selbstwirksamkeitserwartung, Bandura 1995), die Agency individualisieren und
gesellschaftliche Handlungsanforderungen normativ reproduzieren, beschreibt ‚relationale Agency‘ (Raithelhuber 2008) die
Herstellung von Wirkmächtigkeit durch Zuschreibungen von Intention, Wissen und Verantwortlichkeit in sozialer Interaktion und
Narration.
Vielfältige
Formen
von Agency
Interaktive
Produktion
von Agency
Sina Motzek, Sozialarbeiterin (M.A.),
Doktorandin Soziologie
sinamotzek@gmx.de
In den Erzählungen wurden komplexe Bilder der Herstellung und Verhinderung von Wirkmächtigkeit rekonstruiert.
Diese spiegeln nicht immer die objektiv wahrgenommene Schwere der Symptome wieder.
1. Externe Prozesse als Krankheitsursachen
Agency als
subjektive
Realität
Reflexion
sozialer
Wirklichkeit
vgl. Helfferich, 2012: 14ff.
Forschungsfragen
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Wie schreiben die Frauen sich selbst und anderen
Personen, Institutionen und Instrumenten
Wirkmächtigkeit zu?
Wie steht dies im Verhältnis zu
Handlungsorientierungen, die in
mehrdimensionalen Erfahrungsräumen entwickelt
wurden (Geschlecht, sozioökonomische Position,
Religion, Kultur…)?
Wie spiegelt sich das in Gesundheitshandeln und
der Nutzung professioneller Hilfe?
Sample
8 Frauen zwischen 37 und 61 Jahre ● Geboren in der
Türkei ● migriert nach Deutschland ● Soziale
Beziehungen in der Türkei und in Deutschland ●
Depressive Beschwerden
»Dann natürlich äh:: gesundheitlich (.) kam einiges dazu (2) U:nd (1) ja: (.) ich hab immer noch zu schaffen mit meiner Gesundheit
ich bin (.) ja man kann sagen schon (1) seit=n paar Jahren (2) in einer chronischen Depression (4) In der Zeit (.) is auch meine Ehe (2)
°ja° (.) kaputt gegangen (.) Wechseljahre Arbeitslosigkeit Krankheit (.) kam halt alles ((atmet ein)) (1) zusammen sag ich ma (.) Und
das hat mich schon (3) °ja° (.) umgehaun« (Simirna Yılmaz, 52 J.)
Parallel zu ihrer Orientierung an Leistung und Selbstdisziplinierung im Kontext von Erwerbsarbeit, stellt Simirna Yilmaz
Gesundheit als etwas dar, womit sie „zu schaffen“ hat. Gemeinsam mit Lebensereignissen, wie Trennung, Wechseljahre
und Arbeitslosigkeit konstruiert sie Krankheit als etwas unkontrolliert über sie und ihr Handeln Hereinbrechendes.
2. Kampf mit eigenmächtigen Gefühlszuständen
»In meinen Kopf kommen Sachen (.) Das Weinen von meiner kleinen Schwester (2) Sie war erst neun Jahre alt (.) ihr (.) dass ihr
Unrecht getan wurde (.) dass mir Unrecht getan wurde dass meiner Mutter Unrecht getan wurde dass den anderen getan- das ist
alles in meinem Gehirn drin Das alles kommt so und dreht sich vom Anfang bis zum Ende dreht sich dreht sich dreht sich dreht
sich (.) ich möchte mich selbst führen es geht nicht« (Nereden Nereye Kader, 61 J.)
»Manchmal wenn Zustände kommen die nicht auszuhalten sind die sich nicht auflösen° (.) Also dann kann ich nicht gut denken also
genau in Details (.) in dem Moment sagst du es soll aufhören« (Emine Tatlı, 49 J.)
In beiden Textstellen werden emotionale Zustände als unbeeinflussbar durch eigenes Handeln dargestellt, aber die die
Intention zu selbstbestimmten Handeln, trotz wiederkehrender emotional-kognitiven Hindernissen aufrechterhalten.
Analyse narrativer Agency-Konstruktionen (Lucius-Hoene 2012)
1. Ebene der Erzählsätze
2. Ebene der Interviewinteraktion
3. Evaluative Ebene
Agentivierungen durch Prädikate und
semantische Rollen
Sprecherrollen und Herstellung von
Geltungsanspruch
Narrative Agency durch Geschichtenversion &
Moral
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Aktions-, Prozess-, Status- und
Qualitätsprädikate
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AG (Agens, Handelnder)
CAG (Contraagens, Partner)
EXP (Experiens, Erfahrender)
PAT (Patiens, Betroffener)
CAU (Causativ, Ursache)
IN (Instrument)
Zuschreibungen von Intentionalität,
Richtung, Wissen, Verantwortlichkeit an
Personen, Naturkräfte, Objekte, soziale
Bewegungen, Institutionen…?
• Umgang mit Gesprächsrollen, z.B.
• Verbindung der Feinanalyse mit
Hinterfragen
biographischen, kulturellen, strukturellen
• Positionierung des_der Interviewer_in
und situativen Handlungsbedingungen und
• Sicherheits- oder Vagheitsformulierungen,
Orientierungen
Generalisierungen…
• Erzählen als Aushandlung des Erlebten, z.B.
• Einfordern von Reaktionen, z.B. Bestätigung
emotionale Entlastung, Befriedigung oder
• Herstellung von Akzeptanz, Deutungshoheit,
Ermächtigung
Kritik
• Positionierung, z.B. durch
Schuldzuweisungen, Humor, Ironie oder
reflektierende Einordnungen
Methodisches Vorgehen
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

Biographisch-orientierte, narrative Interviews
Mehrsprachige Interviewführung, Transkription,
Übersetzung und Auswertung
Herausarbeiten von Orientierungsrahmen in
komparativer Analyse mit dokumentarische
Methode (Nohl 2012) und Agency-Analyse (LuciusHoene 2012)
(Kollektive) Handlungsorientierungen?
Herstellung von Agency durch Zuschreibungen von Wissen,
Intention, Richtung und Verantwortlichkeit?
3. Eigenes und professionelles Wissen und Handeln
»Ich hab wahrscheinlich das immer unterdrückt (.) und an
dem Tag kam=es raus […] Und=äh (1) ich war so wie- im
Nachhinein wa- (.) äh: nach dem Geschrei: dann war ich so
wie (.) äh besoffen sozusagen [I.: °Hmhm°] Ich- ich konnte
mich nich kontrollieren=ich konnte (.) äh nich reden (1) Äh
das- das äh ma- äh (.) und äh sogar im Kra- Krankenhaus
dachtn=die äh: hat sie was getrunken oder so ne? Weil die
wissen ja nich was passiert ist=und=so (.) Die wollten
unbedingt dass ich im Krankenhaus
bleibe=ich=hab=gesacht Nein ich möchte nicht weil die
Wirkung hat na- äh nachgelassen (.) von den- von den
Tabletten=dann war=es wieder normal (.) bei mir«
Quellen
Bandura, A. (1995): Self-Efficacy in Changing Societies. Cambridge: University
Press.
Helfferich, C. (2012): Einleitung: Von roten Heringen, Graben und Brücken –
Versuch einer Kartierung von Agency-Konzepten. In: Bethmann,
S./Helfferich, C./Hoffmann, H./Niermann, D. (Hrsg.): Agency – Qualitative
Rekonstruktionen und gesellschaftstheoretische Bezuge von
Handlungsmächtigkeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, 9-39.
Hoffmann, H. (2012): Macht – Wahn – Sinn. In: Bethmann, S./Helfferich,
C./Hoffmann, H./Niermann, D. (Hrsg.): Agency – Qualitative
Rekonstruktionen und gesellschaftstheoretische Bezuge von
Handlungsmächtigkeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, 181-209.
Lucius-Hoene, G. (2012): 'Und dann haben wir's operiert': Ebenen der
Textanalyse narrativer Agency-Konstruktionen. In: Bethmann, S./Helfferich,
C./Hoffmann, H./Niermann, D. (Hrsg.): Agency – Qualitative
Rekonstruktionen und gesellschaftstheoretische Bezuge von
Handlungsmächtigkeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, 40-70.
Nohl, A.-M. (2012). Interview und dokumentarische Methode – Anleitungen
für die Forschungspraxis. Wiesbaden: VS.
Raithelhuber, E. (2008): Von Akteuren und agency – eine sozialtheoretische
Einordnung der structure/agency-Debatte. In: Homfeldt, H. G. / Schröer, W./
Schweppe, C. (Hrsg.): Vom Adressaten zum Akteur – Soziale Arbeit und
Agency, Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich, 17 – 45.
Riemann, G. (1987): Das Fremdwerden der eigenen Biographie. Narrative
Interviews mit psychiatrischen Patienten. München: Wilhelm Fink.
(Ayşe Mutlu, 44 J.)
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Kontrolle über Emotionen
Kontrollverlust durch
eigenmächtiges „es“
Nicht-Wissen von
Professionellen
Instrumente ‚Geschrei‘,
‚Alkohol‘ & ‚Tabletten‘
Wiedererlangung von
Kontrolle durch Wissen
Es bedarf einer Auseinandersetzung mit biographisch gewachsenen Handlungsorientierungen in Therapie
und Beratung.
Maßstäbe von Handlungsmacht müssen vor dem Hintergrund mehrdimensionaler Zugehörigkeiten reflektiert
werden (z.B. im Rahmen von Migrationserfahrungen und/oder religiöser Zugehörigkeit).
Auch negativ bewertete Handlungen (z.B. Suizid, Non-Compliance) können Agency im Sinne von
Wirkmächtigkeit wiederspiegeln.
Qualitativ-rekonstruktive Adressat_innenforschung (Riemann 1987, Hoffmann 2012) kann für eine
dialogische Problem- und Zieldefinition nutzbar gemacht werden.