Zukunft der Mobilität 2020
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Zukunft der Mobilität 2020
Automotive Langfassung Zukunft der Mobilität 2020 Die Automobilindustrie im Umbruch? Inhalt 1 Zusammenfassung . ........................................................................................................................................... 2 Zukunft der Mobilität 2020 – eine Industrie im Umbruch............................................................................................... 2 2 Einleitung ............................................................................................................................................... 7 3 Mega- und Konsumenten-Trends – die Treiber der Mobilitäts-Märkte von morgen .................................11 3.1 Mega-Trends – das globale Rahmenwerk der Mobilitäts-Industrie . ...........................................11 3.1.1 Mega-Trend Neo-Ökologie ...............................................................................................11 3.1.2 Mega-Trend Individualisierung .......................................................................................14 3.1.3 Mega-Trend Mobilität ...................................................................................................... 16 3.2 Die relevantesten Konsum- und Gesellschafts-Trends, welche die Mobilitäts-Typen bis ins Jahr 2020 prägen ..................................................................................................................19 4 Mobilitäts-Typen 2020 ...................................................................................................................................... 31 4.1 Mobilitäts-Typen auf den Triade-Märkten 2020 ............................................................................. 31 4.1.1 Greenovator – Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) verändert den Mobilitäts-Konsum ................................................................................. 31 4.1.2 Family Cruiser: Die neue Vielfalt der Gemeinschafts-Mobilität .................................. 34 4.1.3 Silver Driver: Die neue Freiheit der grauen Erlebnisgeneration . ............................... 37 4.1.4 High-frequency Commuter: Zeitgeplagte Alltagspendler............................................ 39 4.1.5 Global Jet Setter: Hoher Mobilitäts-Aufwand, hoher Servicebedarf ......................... 42 4.1.6 Sensation Seeker: Die Spaßgesellschaft auf vier Rädern lebt weiter......................... 43 4.1.7 Low End User: Auto-Mobilität wird zum Rechenexempel .......................................... 45 Autoren: Marc Winterhoff Carsten Kahner Dr. Christopher Ulrich Philipp Sayler Eike Wenzel 4.2 Mobilitäts-Typen in den Emerging Markets 2020 . ....................................................................... 49 4.2.1 Basic: Die Mobilitäts-Einsteiger....................................................................................... 50 4.2.2 Smart Basic: Die mobilisierte globale Mittelschicht...................................................... 52 4.2.3 Premium: Die Elite-Mobilität für die Emerging Markets ............................................. 55 4.3 Abschätzung der Marktverteilung................................................................................................... 56 5 Geschäftsmodelle für die Individual-Mobilität in 2020 ................................................................................ 58 5.1 Warum Geschäftsmodelle von heute morgen nicht mehr funktionieren................................... 58 5.2 Lösungsszenarien in anderen Industrien ...................................................................................... 59 5.3 Lösungsansätze in der Automobilindustrie .................................................................................. 61 5.4 Geschäftsmodelle 2020 . .................................................................................................................. 62 5.4.1 Product Focussed Manufacturer (PFM) – “It’s a car business”.................................... 64 5.4.2 Service Focussed Manufacturer (SFM) – “Mobility – individual and convenient”.... 65 5.4.3 Basic Mobility Provider (BMP) – “Mobility – nothing more”....................................... 66 5.4.4 Mobility Service Provider (MSP) – “Don’t care, we do!”.............................................. 67 5.5 Größenverteilung der Marktvolumina der Geschäftsmodelle..................................................... 68 6 Die Agenda für die Automobilindustrie.......................................................................................................... 70 Interviewte Experten ............................................................................................................................................. 72 Autoren und Kontakte ............................................................................................................................................. 73 Zukunft der Mobilität 2020 1. Zusammenfassung Zukunft der Mobilität 2020 – eine Industrie im Umbruch Die Automobilindustrie befindet sich inmitten einer in dieser Ausprägung noch nie da gewesenen Krise – eine gesamte Industrie verharrt in Paralyse, uneinig darüber, ob der Boden der Krise bereits erreicht sei oder der Markt weiter talwärts rutscht. Die auf breiter Front eingeleiteten umfassenden Restrukturierungsmaßnahmen werden helfen die Kostenstrukturen kurzund mittelfristig zu optimieren, aber wird dadurch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gesichert – wird der Automobilmarkt zum Zustand vor der Krise zurückkehren oder werden neue Geschäftsmodelle die Zukunft der Mobilität verändern? Bislang prophezeit die Automobilindustrie sich selbst nach überstandener Krise eine vollständige Erholung des Markts. Zwar hat die Branche ihre Absatzzahlen für 2009 gegenüber den Prognosen von Oktober 2008 um gut 8 Millionen Fahrzeuge nach unten korrigiert, allerdings damit gerechnet, dass die Finanzkrise 2010 überstanden ist und die alten Wachstumsraten zurückkehren. Als Hauptreiber werden die Nachfrage in den BRIC-Staaten sowie die zunehmende Durchdringung des Marktes mit Hybrid- und Elektroantrieben angeführt. Allerdings wird dabei übersehen, dass die Finanzkrise zwar Verstärker, aber keinesfalls Auslöser des massiven Absatzeinbruchs ist. Die grundlegende Veränderung der Kundennachfrage hat ihren Ursprung in den bis zum unmittelbaren Ausbruch der Krise stetig steigenden Ölpreisen und in der CO2-Diskussion – beides hinreichend bekannte und global wirkende Entwicklungen, die allerdings bis dahin in der Aufmerksamkeit der Automobilindustrie eher ein Schattendasein geführt haben. Diese Faktoren haben das Kundenverhalten innerhalb eines “automobilhistorischen Wimpernschlags” unumkehrbar verändert und führten insgesamt zu einer deutlichen Marktabschwächung sowie erheblichen Segmentverschiebungen von großen, luxuriösen hin zu kleineren, verbrauchseffizienten Fahrzeugen. Selbst ein krisenbedingt am Boden liegender Ölpreis bei unter 50 US$ bringt keine Entspannung mit sich, da eine dauerhafte Notierung unter 150 US$ – so die einhellige Expertenmeinung – wohl unrealistisch ist. Zukunft der Mobilität 2020 Für Arthur D. Little drängen sich daher eine Reihe grundlegender Fragen auf: Was sind die langfristigen Trends, die den Markt über konjunkturelle Schwankungen hinaus beeinflussen? Wie wirken sich diese quantitativ und qualitativ auf den Automobilmarkt der Zukunft aus? Gibt es vor diesem Hintergrund überhaupt noch Wachstumspotential im PKW-Markt oder muss sich die gesamte Branche künftig auf Marktstagnation oder gar anhaltende Absatzrückgänge einstellen? Was würde dies für die Automobilindustrie bedeuten und mit welchen Strategien können die heutigen Automobilhersteller darauf reagieren? Die Dynamik des Kundenverhaltens hat die Automobilindustrie und Experten gleichermaßen überrascht. Um an diesem Punkt die strategisch richtigen Weichen zu stellen, ist es notwendig die langfristig wirkenden Trends zu erkennen, deren Auswirkung auf die Kundennachfrage richtig zu antizipieren und rechtzeitig notwendige Kurskorrekturen einzuleiten. Vor diesem Hintergrund hat Arthur D. Little in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsinstitut die globale Studie “Zukunft der Mobilität 2020” erstellt, in der langfristige Trends untersucht und sich daraus ergebende Mobilitäts-Typen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen abgeleitet werden. Basierend auf diesen, teilweise grundlegend neuen Mobilitäts-Bedürfnissen werden Auswirkungen auf den Automobilmarkt und die Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilindustrie untersucht und mögliche Strategien für die Marktteilnehmer aufgezeigt. Mega-Trends als Rahmenbedingungen für die Mobilität von morgen Welches sind die Treiber der Veränderungen der MobilitätsBedürfnisse, und wo liegen ihre Ursachen? Arthur D. Little hat sich zur Analyse eines in der Zukunftsforschung angewendeten Treibermodells bedient, welches Trends zunächst anhand der Wirkdauer auf das Gesellschafts- und Marktumfeld klassifiziert. Als Mega-Trends werden in diesem Zusammenhang globale Faktoren bezeichnet, die für einen Zeitraum von 30 bis 50 Jahren die Rahmenbedingungen für alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft darstellen. Drei Mega-Trends sind hierbei für das Thema Mobilität als besonders relevant identifiziert worden: Neo-Ökologie, initial entstanden durch die Umweltbewegungen der 80er Jahren, wird heute als gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen (“Corporate Social Responsibility”). Der bis zur Finanzkrise stark angestiegene Ölpreis und die CO2-Diskussion haben diesen Mega-Trend nochmals enorm beschleunigt. Für nahezu alle Industrien gilt heute, dass Produkte, welche an diesem Trend vorbeientwickelt worden sind, kaum noch vermarktbar sind. Der Mega-Trend Individualisierung beschreibt das Loslösen des Konsumenten aus Massenbewegungen. Zunehmend werden traditionelle Lebensmodelle verlassen und durch alle Gesellschaftsschichten hindurch genießt es der Kunde nicht-konform zu sein. So kann beispielsweise ein erfolgreicher Unternehmer einen Kleinstwagen fahren und verzichtet damit auf Statussymbolik, während ein Student hingegen zur biederen Familienkarosse greift. Der Kunde erwartet zunehmend auf sein persönliches Lebensgefühl angepasste MobilitätsLösungen, hinsichtlich individualisierbarer Fahrzeugkonzepte aber auch in Bezug auf das Ausgestalten modularer und individueller Mobilitäts-Konzepte jenseits des Automobils. Der Faktor Mobilität, als dritter Wirkfaktor, beschreibt den starken quantitativen Zuwachs von Mobilität. In den 60er und 70er Jahren hat sich in den Triade-Märkten der individuelle Mobilitäts-Radius signifikant erweitert, die BRIC-Märkte (Brasilien, Russland, Indien, China) folgten mit einiger Verzögerung. Limitierungen oder schädliche Auswirkungen von Mobilität, wie Verkehrsaufkommen und CO2-Emission, wurden jedoch erst viel später gesellschaftlich reflektiert. Fahrzeugkonzepte für sich alleine sind nur noch zu einem Teil in der Lage, den gestiegenen Mobilitäts-Bedarf abzudecken – entscheidend wird in diesem Zusammenhang die optimale Einbindung der fahrzeuggebundenen Mobilität in andere Mobilitäts-Formen sein. In dem Umfeld der in der Studie identifizierten Mega-, Gesellschafts- und Konsumenten-Trends formieren sich bis 2020 neue Konsumententypen von Mobilität, sogenannte MobilitätsTypen. Als Ergänzung zu klassischen Werkzeugen der Markt- und Trend-Forschung, wie dem Modellieren von Kundentypen anhand von Sigmamilieus, dienen die Mobilitäts-Typen zur Verbesserung des Verständnisses des Kunden, insbesondere hinsichtlich der Mobilitäts-Anforderungen von morgen. Das jeweilige MobilitätsBedürfnis wird anhand der Lebensstile im Kontext ihres soziologischen Umfeldes veranschaulicht. Für die Triade-Märkte wurden die Mobilitäts-Typen Greenovator, Family Cruiser, Silver Driver, High-frequency Commuter, Global Jet Setter, Sensation Seeker und Low-End User identifiziert. Für die BRIC-Märkte sind aufgrund des noch vergleichsweise jungen Automobilmarktes 3 Zukunft der Mobilität 2020 P Abbildung 1: Trends und resultierende Mobilitäts-Typen 2020 Mega-Trends (20 bis 30 Jahre) Gesellschafts- und KonsumentenTrends (5 bis 10 Jahre) Feminisierung Mobilitäts-Typen 2020 Greenovator Simplify Deep Support Silberne Revolution Familie 2.0 Globalisierung Multigraphie Neo-Ökologie Neo-Cities Vernetzung Cheap Chic Mobilität Greenomics Family Cruiser Silver Driver High-frequency Commuter Global Jet Setter Low-End User New Luxury BRIC Märkte Individualisierung Triade-Märkte Downaging Basic Smart Basic Premium Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” die Mobilitäts-Typen weniger feingliedrig in Form der Segmente Basic, Smart Basic und Premium dargestellt worden (vgl. Abbildung 1). Der wohl dominanteste Mobilitäts-Typ für die Triade-Märkte wird der Greenovator sein. 2020 steht er in den Triade-Märkten bereits für knapp 30 Prozent des gesamten Automobilmarktes. Der Greenovator verbindet Umweltbewusstsein und einen nachhaltigen Lebensstil mit Lebensqualität. Zurückhaltung in Konsum und Luxus stellt für ihn einen wesentlichen Teil seines Kultur- und Lebensverständnisses dar – mit entsprechenden Konsequenzen für seinen Mobilitäts-Konsum. Für den Greenovator sind vorwiegend intelligente und nachhaltige Fahrzeugkonzepte von Interesse. Er definiert sich gegenüber seinem soziologischen Umfeld nicht zuletzt durch den Gebrauch nachhaltiger Produkte und interpretiert somit Fahrzeug-Prestige für sich neu. Ganz im Gegensatz dazu steht beispielsweise der Premium-Kunde der BRIC-Märkte. Für diesen Kundentyp ist das klassische Verständnis von Statussymbolik, transportiert durch luxuriöse und vorwiegend westliche Fahrzeuge, weiterhin vorrangig vor Aspekten wie Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz. Für die Automobilindustrie wird dies auch zukünftig ein Kundensegment mir attraktiven Margen darstellen, hinsichtlich erzielbarer Absatzzahlen bleibt es in der Gesamtbetrachtung allerdings ein vergleichsweise kleines Marktsegment. 4 Das Portfolio von morgen: Neben dem Produkt mehr Dienstleistungen und Mobilität Die Analyse der Mobilitäts-Typen zeigt, dass sich die Bedürfnisprofile der Kunden verschieben: Nachhaltigkeit, Individualität, optimierte Kostenposition treten für die meisten Kundengruppen in den Vordergrund, während Luxus, Motorleistung etc. nur noch für ein kleineres Kundensegment wichtige Bewertungskriterien sind (vgl. Abbildung 2). In der Fahrzeugentwicklung stehen die Automobilhersteller damit vor der konkreten Herausforderung, ihre Innovationskapazitäten richtig zu balancieren. Es müssen enorm teure Entwicklungsleistungen hin zu nachhaltigen Fahrzeugkonzepten geschultert werden, gleichzeitig erwartet der Kunde von den Herstellern ein Produktportfolio, welches den schrumpfenden Konsumentenbudgets hinsichtlich Anschaffungsund Betriebskosten gerecht wird. In Folge stürzen sich derzeit alle Hersteller auf diesen umkämpften Volumenmarkt und kannibalisieren durch den Preiskampf ihre eigenen Gewinne. Die Ambivalenz aus steigenden Entwicklungs- und Fertigungskosten und rückläufigem bzw. stagnierendem Marktvolumen gefährdet, gerade in einem derart hart umkämpften Markt, die Rentabilität der bestehenden Geschäftsmodelle. Zukunft der Mobilität 2020 neu Abbildung 2: Veränderte Anforderungen der Mobilitäts-Typen 2020 1 Mobilität Global wachsender Mobilitäts-Bedarf Geringere verfügbare Mittel der Kunden für Mobilität oder verlagerte Budgetprioritäten Weiterhin Nachfrage nach individualisierten Mobilitätslösungen 3 Produkt Hoher Fokus des Kunden auf Aspekte wie – Downsizing – Individualisierbarkeit – Investitions- und Betriebskosten – Produktinnovation – “Environmental Correctness” Auswahl Fahrzeugbesitz 2 Wachsende Nachfrage nach flexibilisierbaren Besitzmodellen zur Reduzierung der Investitionskosten, fixen Kosten und Betriebskosten Abnehmende Bedeutung des Fahrzeugs als Statussymbol. Nutzung zunehmend wichtiger als Besitz Wesentliche Auswirkungen Dienstleistung auf die Kundenbedürfnisse Nachfrage nach umfassenden Service- und 2020 4 Supportangeboten zum Fahrzeug und darüber hinaus Steigende Nachfrage nach Dienstleistungen, welche Mobilität und angrenzende Bereiche in geeigneter Weise bündeln, z. B. Medienintegration, Connectivity etc. Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” Dass es Auswege aus einem Marktumfeld mit Margenverfall und dicht gedrängtem Wettbewerb geben kann, zeigt ein Rückblick auf die IT-Industrie Mitte der 90er Jahre. Stagnation und Überangebot trieben Hardwarehersteller wie IBM, Compaq oder Hewlett-Packard in ruinöse Preiskämpfe und führten zu drastischem Margenverfall. Das vorherrschende Geschäftsmodell des reinen Produktherstellers war in Frage gestellt und die Marktteilnehmer entwickelten unterschiedliche Geschäftsmodellinnovationen als Lösungsstrategien. Während sich Dell weiterhin als reiner Hardwarehersteller, aber mit revolutionierten Vertriebsund Produktionsprozessen positionierte, wendete IBM sich demgegenüber sukzessive vollständig von der Produktherstellung ab und erfand sich als Dienstleistungsunternehmen neu. Apple ergänzte sein auf Premiumcomputern basierendes Geschäftsmodell um weitere Produktbereiche, wie der Sparte MP3 Player (iPod) und zuletzt Smartphones (iPhone), vor allem aber um servicebasierte Umsatzträger wie iTunes. Die Umsetzung eines Multi-Revenue-Geschäftsmodells ist heute ebenso sehr gut in der Mobiltelefonindustrie zu beobachten. Apple, als neuer Wettbewerber in dieser Industrie, zeigte der Konkurrenz wie über ein Produkt mehrere Umsatzströme aus Applikationen, Medien und Services generiert werden können. Selbst der bis dato vollständig produktorientierte Marktführer Nokia, jüngst mit deutlichen Umsatzeinbußen, versucht mittlerweile diesem Beispiel zu folgen und verfügt heute über ein vergleichbares Internetportal, um am attraktiven Servicegeschäft teilhaben zu können. Zeigen sich bereits ähnliche Trends in den Automobilmärkten? Ein Blick auf den japanischen Automobilmarkt zeigt, dass dort gerade die jüngeren Kundensegmente sich vom Konzept, ein Auto selbst zu besitzen, abwenden. Fahrzeuge verlieren zusehends ihre Rolle als Statussymbol gegenüber Smartphones, Netbooks etc. Diesem Trend folgend geht die Fahrzeugindustrie neue Wege, um Mobilität zu vermarkten und neue Umsatzströme zu generieren. Die Nutzung von Car-Sharing hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht und auch OEM wie Toyota oder Mazda starten in diesem Zusammenhang Pilotprojekte, die staatlich stark gefördert werden. Für Toyota spielt das Geschäftsfeld M2MKommunikation/Telematik eine wachsende Bedeutung als Basis für neue Services rund um die Themengebiete Sicherheit, Komfort (Navigation, Media-on-demand, Connectivity) und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus investiert Toyota in den Bereich Robotik, um damit völlig neue Produktkonzepte für Kurzstreckenmobilität innerhalb der Stadt oder in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln anbieten zu können. Die Studie “Zukunft der Mobilität 2020” zeigt akuten Handlungsbedarf. Der Kunde will zukünftig weniger Geld in Mobilität 5 Zukunft der Mobilität 2020 investieren, zudem sinkt seine Bereitschaft sich lange an ein Produkt zu binden. Trotzdem steigen seine Anforderungen an Mobilität, Nachhaltigkeit und Innovation. In diesem Spannungsfeld wird es nur für wenige Marktteilnehmer möglich sein, im Volumenmarkt rein über produktbezogene Umsatzströme die notwendigen Margen zu erzielen. Die Automobilindustrie der Zukunft steht vor der Herausforderung, das etablierte Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen und neue innovative Wege zur Erfüllung der MobilitätsBedürfnisse der Zukunft zu finden. Arthur D. Little hat vor diesem Hintergrund ein Marktmodell für Entwicklungsoptionen der zukünftigen Automobilindustrie entwickelt, das durch vier idealtypische Geschäftsmodelle für Automobilhersteller oder aber neue Marktteilnehmer aufgespannt wird. Als Bewertungsfaktoren sind zwei Achsen relevant: die Servicetiefe und der Grad der Abhängigkeit des Mobilitäts-Angebots von einem bestimmten Produkt (vgl. Abbildung 3). In dieser Matrix beschreibt beispielsweise das Geschäftsmodell des Basic Mobility Providers (BMP) ein Konzept, bei dem es zu einer vollständigen Entkoppelung von Mobilität und Automobilbesitz für den einzelnen Kunden kommt. Hier bedeutet Mobilität nicht mehr zwangsläufig Auto-Mobilität und das Fahrzeug steht nicht im Vordergrund der Leistung, vielmehr zählt ausschließlich die effiziente und kostengünstige Fortbewegung. Der Basic Mobility Provider richtet sein Geschäftsmodell vornehmlich auf das Ermöglichen von Mobilität als Dienstleistung aus und vollzieht somit einen revolutionären Wandel gegenüber den heute bestehenden Geschäftsmodellen der OEM. Weitere Geschäftsmodelle zeigen genau in die entgegensetzte Richtung. Der Product Focused Mobility Provider (PFM) ist dem heutigen Geschäftsmodell der Automobilhersteller am nächsten und adressiert mit einem technologisch herausragenden Produkt vor allem die Kundengruppen, denen das Produkt, welches Mobilität bereitstellt, weiterhin wichtig ist. Zumeist werden hier technologisch versierte und im Automobilmarkt gut informierte Kunden angesprochen. Durch die Transformation zu neuen Geschäftsmodellen können die OEM Chancen wahrnehmen und Bedrohungen durch neue Marktteilnehmer abwenden – vorausgesetzt, sie entschließen sich zu einem schnellen und konsequenten Handeln. Der Weg dorthin ist aber zweifelsohne aufwändig. Neben der Definition des jeweils geeigneten Geschäftsmodells sind die Anpassung des Produktportfolios, die Neuausrichtung der Wertschöpfungskette und der Aufbau von Kooperationsnetzwerken die wesentlichen Herausforderungen, denen sich die Automobilhersteller stellen müssen. Abbildung 3: Marktmodell Mobilität Idealtypische Geschäftsmodelle Bindung von Produkt und Mobilität Product Focused Manufacturer Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Voll integrierte MobilitätsDienstleistungen Servicetiefe Fahrzeugbasierte Dienstleistungen Service Focused Manufacturer Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 6 Basic Mobility Provider Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Mobility Service Provider Zukunft der Mobilität 2020 2. Einleitung Mobilität ist ein Grundbedürfnis unseres Lebens und Grundvoraussetzung unseres Wirtschaftens gleichermaßen. Nichts prägt unser Leben in der global beschleunigten Gesellschaft so tiefgreifend wie Mobilität. Mobil zu sein wird von uns mit Lebensqualität gleichgesetzt, auf Einschnitte und Einschränkungen darin reagieren wir entsprechend sensibel. Die möglichst einfache, schnelle und komfortable Überwindung von Distanzen erscheint uns mittlerweile als etwas Selbstverständliches, die nahezu uneingeschränkte Verfügbarkeit von Mobilität haben wir als Bestandteil unseres Alltags verinnerlicht. In einer immer stärker vernetzten Welt nimmt nicht nur die Bedeutung von Mobilität zu, ebenso steigt unser quantitativer Mobilitäts-Bedarf unaufhörlich. So prognostiziert das Institut für Mobilitäts-Forschung ifmo für Deutschland eine Zunahme der Verkehrsleistung bis 2025 um knapp 12 Prozent gegenüber einem Vergleichswert aus 2003 bei einer nahezu konstanten Bevölkerungszahl. Noch deutlicher ist eine Zunahme der Mobilitätsleistung in den Emerging Markets zu beobachten. Für China wird beispielsweise von einer Steigerung der PKW-Dichte von heute 30 pro tausend Einwohner auf 150 in 2020 ausgegangen. Scheinbar im Widerspruch zum steigenden Mobilitäts-Bedarf steht die aktuelle Entwicklung auf den Automobilmärkten. Dort ist der Absatz seit Mitte 2008 massiv eingebrochen, vorsichtige Prognosen erwarten eine Erholung erst in den ersten Quartalen 2010 oder sogar später. Allerdings zeigt sich der gesamte Automobilmarkt derzeit hochgradig volatil, so dass die Halbwertszeiten der Prognosen entsprechend kurz sind (vgl. Abbildung 4). Beim Blick auf aktuelle Marktprognosen fällt jedoch v.a. auf, dass alte Wachstumsraten nach dem überwundenen konjunkturellen Effekt der Finanzkrise fortgeschrieben werden. Dies würde implizit bedeuten, dass der Absatzeinbruch allein der Finanzkrise zugeschrieben werden kann und nach der Krise keine Ausläufer mehr auf die Märkte wirken. In den BRICMärkten stand allerdings eine riesige Konsumentengruppe vor dem Eintritt in das Low-Entry Automobilsegment, für die plötzlich nach Eintreten von Massenarbeitslosigkeit und ohne nennenswerte Rücklagen ein Automobilkauf in weite Ferne gerückt ist. Gegen die Annahme zurückkehrender Wachstumsraten spricht außerdem, dass insbesondere die Absatzzahlen in den Triade-Märkten schon Anfang 2007 ein anderes Bild gezeichnet haben. Getrieben durch die Diskussion um die CO2-Belastung und steigenden Kraftstoffpreise wurde das Wachstum deutlich gebremst, gleichzeitig kam es zu einer Abbildung 4: Globale Absatzentwicklung auf dem PKW-Markt Absatzentwicklung in der Automobilindustrie Millionen Fahrzeuge p. a. Weltweit verkaufte PKW Stückzahlen 70 65 60 Finanzkrise CO2-Diskussion Produktkrise Strukturkrise A 55 B 50 45 40 2004 Wachstum Abschwung 2005 2006 2007 2008 Untersättigung Normalisierung 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Vollständige Erholung des PKW-Marktes, globale Wachstumsraten identisch zu vor der Krise Zweistellige Wachstumsraten in den BRICMärkten kompensieren abflachendes Wachstum in den Triade-Märkten Ersatzinvestitionen getrieben durch angepasste Produktportfolien Wachstum nur noch in den BRIC-Märkten Rückläufige Nachfrage in Triade Zunehmende Verweigerung der Kunden gegenüber Fahrzeugbesitz Steigende Nachfrage nach neuen Mobilitäts-Lösungen … in der automobilen Zukunft erscheinen alte Wachstumsraten unwahrscheinlich Quelle: Global Insight, Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 7 Zukunft der Mobilität 2020 signifikanten Verschiebung hin zu kleineren Fahrzeugen mit geringen Verbrauchswerten. In 2013 wird die Kleinwagen- und Kompaktklasse bezogen auf die Absatzzahlen für ca. 65 Prozent des Gesamtmarktes stehen (2003: 48 Prozent). Dieses Segment ist somit im Begriff der entscheidende Markt und gleichzeitig die Achillessehne für die Zukunft der Automobilindustrie zu werden. Können die hier prognostizierten Wachstumsraten nicht erzielt werden, sind sie durch andere Segmente kaum kompensierbar. Während die Verkaufszahlen kleiner und verbrauchseffizienter Fahrzeuge durch Downsizen in den Triade-Märkten und Neukunden im Einstiegssegment in den BRIC-Märkten profitieren und vergleichsweise gute Wachstumsraten zeigen, wird oftmals übersehen, dass in den Triade-Märkten aus diesem Segment heraus auch eine signifikante Abwanderung von Kunden hin zu anderen, nicht fahrzeuggebundenen Formen der Mobilität stattfindet. In einigen Fällen können oder wollen sich Kunden fahrzeuggebundene Mobilität aufgrund von Mittelknappheit oder veränderten Budgetprioritäten nicht mehr leisten. Oftmals fühlt sich der Kunde aber auch durch das Angebot der Automobilkonzerne nicht ausreichend angesprochen. Die Mobilitäts-Bedürfnisse der Kunden unterliegen derzeit einem Veränderungsprozess, in dem die Anforderungen an Mobilität und der Stellenwert des Fahrzeugs völlig neu definiert werden. Von nachhaltigen Antrieben, geringen Anschaffungskosten, flexiblen Besitzmodellen und umfassenden Dienstleistungen stellt der Kunde Ansprüche, die durch die heutigen Geschäftsmodelle und Produktportfolien der OEM nicht vollständig bedient werden können. Die Schere zwischen Marktangebot und Mobilitäts-Bedürfnis droht bis 2020 noch weiter auseinander zugehen – Wachstumsraten wie vor der Krise erscheinen vor diesem Hintergrund wenig realistisch. Kernziel der Studie ist es deswegen, die Treiber, welche diese teilweise grundlegende Verschiebung in den MobilitätsBedürfnissen verursacht haben, zu identifizieren und deren weitere Auswirkung auf die Mobilitäts-Märkte von morgen zu analysieren. Welche globalen Veränderungen und welche gesellschaftlichen Trends beeinflussen den Kunden und damit die Mobilität von morgen? Welche Kundentypen formen sich in diesem Umfeld bis 2020, und was sind ihre MobilitätsBedürfnisse? 8 Die Studie verfolgt folgende Ziele: nn Beschreiben der wesentlichen langfristigen Einflüsse auf das Konsumverhalten, abgeleitet aus globalen Mega-Trends, Konsum- und Gesellschafts-Trends nn Entwurf von Konsumentengruppierungen (Mobilitäts-Typen), die über bestehende Milieu-Modelle hinaus gültig sind und ein verbessertes Verständnis für zukünftige Kundengruppen liefern nn Ableiten von idealtypischen Geschäftsmodellen und Handlungsimplikationen für Fahrzeughersteller und MobilitätsAnbieter, um die Chancen aus den veränderten Randbedingungen nutzen zu können Folgende Fragen sollen in der Studie beantwortet werden: nn Wie werden wir mittel- und langfristig Mobilität konsumieren? nn Wie gestalten sich die Mobilitäts-Anforderungen der Zukunft und welche Mobilitäts-Konzepte ergeben sich daraus? nn Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für die Automobilindustrie? nn Welche Handlungsoptionen gibt es für die heutigen Marktteilnehmer? Welche Strategien und Geschäftsmodelle lassen sich daraus ableiten? Das Vorgehen innerhalb der Studie Zukunft der Mobilität 2020 ist vierstufig. Die global wirkenden Mega- und KonsumentenTrends werden im Rahmen einer hypothesenbasierten Analyse des Marktumfelds 2020 in Kapitel 3 untersucht. Im Kapitel 4 werden die daraus resultierenden Mobilitäts-Typen in ihrem soziologischem Umfeld beschrieben. Mögliche Geschäftsmodelle für die Automobilhersteller, mit denen die veränderten Mobilitätsbedürfnisse adressiert werden können, sind im Kapitel 5 dargestellt, die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen folgen in Kapitel 6 (vgl. Abbildung 5 nächste Seite). Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 5: Vorgehensweise der Studie Konsumentensicht Mega-Tends Branchensicht Kapitel 3 Marktanalyse Kapitel 4 Gesellschafts-/ KonsumentenTrends Kapitel 5 Mobilitäts-Typen Kapitel 6 Geschäftsmodelle Zielkunden Triade BRIC Expertenperspektive Marktangebot Werktschöpfungsarchitektur Wertschöpfungsnetzwerk Handlungsempfehlungen Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” Ausblick Kapitel 3: Mega-, Gesellschafts- und Konsumenten-Trends Mega-Trends beschreiben Veränderungen, die sich im Zeitraum von mindestens 30 bis 50 Jahren in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft mit Nachdruck manifestieren. In vielerlei Hinsicht wirken sie sich auf Konsumentenverhalten aus und damit auch auf die Zukunft der Automobilindustrie. Es ließen sich auch Konsequenzen von Mega-Trends wie Gesundheit, Alterung, Connectivity, Globalisierung, Female Empowerment auf das Thema Mobilität aufzeigen. Allerdings soll in erster Linie ein Modell der aus unserer Sicht wichtigsten Veränderungsparameter entworfen werden, die auf die nahe automobile Zukunft wirken. Mega-Trends haben einen mittelbaren Einfluss auf Konsumenten und Märkte. Sie bestimmen die großen Zukunftsthemen und die damit verbundenen Herausforderungen in der Welt von morgen – eine Analyse des künftigen MobilitätsKonsums muss diesen strukturellen Randbedingungen Rechnung tragen. Konsum- und Gesellschafts-Trends beeinflussen dagegen unmittelbar die Konsumentenbedürfnisse. Im Rahmen der Studie wurden dieRelevanten unter ihnen identifiziert, die mindestens bis ins Jahr 2020 die Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten maßgeblich bestimmen werden. Auch wenn Konsumenten-Trends regional sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können, gibt es einige Konsumenten-Trends, die nach einer Latenzzeit den gesamten globalen Konsumentenmarkt erfassen können. Um die “Mobilitäts-Typen 2020” in der Tiefe und der Vielfalt ihrer Dimensionen schließlich beschreiben zu können, wurde zusätzlich ein Branchenscanning anhand von Marktanalysen und Experteninterviews durchgeführt, das als unverzichtbares Hintergrundwissen über aktuelle Entwicklungen der weltweiten Automobilmärkte dient. Besonders wichtig war es hierbei, die Ergebnisse durch Einschätzungen von TrendPionieren, Insidern und Nonkonformisten der Automobilbranche zusammenzuführen. Ausblick Kapitel 4: Mobilitäts-Typen Mit Hilfe der Trends und Mega-Trends wurden die wichtigsten Zukunftsbedarfe beschrieben, welche die Konsumenten in den nächsten Jahren bis 2020 artikulieren werden. Trends wie Multigrafie, Individualisierung, Cheap-Chic oder New Luxury zeigen sehr anschaulich, dass wir das Zeitalter der nachfragegetriebenen Massenmärkte hinter uns gelassen 9 Zukunft der Mobilität 2020 haben. Klassische Marktforschung, aber auch die MilieuAnsätze (Sinus, Sigma) basieren jedoch darauf, dass sich Zielgruppen und Konsumentenbedürfnisse eindimensional und gegenwartsverhaftet bestimmen lassen. Tatsächlich müssen Zielgruppen und Konsumenten von morgen aber situativer, individueller und zukunftsoffener betrachtet werden. Die “Mobilitäts-Typen 2020” sind die Antwort auf die veränderten Anforderungen der Kunden, die sich aus den genannten Trends entwickeln werden. Sie bilden eine neuartige Möglichkeit der Kundensegmentierung, die über die heutigen Milieu-Modelle hinaus gültig sein wird und ein noch besseres Verständnis der zukünftigen Kundengruppen liefern. Ausblick Kapitel 5: Geschäftsmodelle Aus unserer Trend-Analyse und den neuen Mobilitäts-Typen ergeben sich Handlungsimplikationen für die Automobilhersteller. Fest steht: Es sind Anforderungen, die über eine inkrementelle Anpassung des Produktportfolios weit hinausgehen. Es ist eine grundlegende Transformation der gewachsenen Geschäftsmodelle notwendig, um den zukünftigen Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Dazu entstehen zusätzlich aus den (Mega-)Trends resultierend neue Bedürfnisse, die von den bisherigen Geschäftsmodellen der OEM nicht mehr abgedeckt werden können. Dies zusammen genommen führt zu einem signifikanten Anstieg der Komplexität in den Kunden-OEM-Beziehungen, die es schon zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich macht, weit über die Grenzen bestehender Modelle hinaus zu denken. Ausblick Kapitel 6: Die Agenda für die Automobilindustrie Während in den vorangegangenen Kapiteln die Handlungsmotivation und mögliche Zielszenarien beschrieben worden sind, gibt Kapitel 6 einen Ausblick auf die entscheidenden Handlungsfelder und Meilensteine für die Teilnehmer des Automobilmarktes 2020. 10 Zukunft der Mobilität 2020 3. Mega- und Konsumententrends – die Treiber der Mobilitätsmärkte von morgen 3.1 Mega-Trends – das globale Rahmenwerk der Mobilitäts-Industrie 3.1.1 Mega-Trend Neo-Ökologie Unter den veränderten Voraussetzungen von Globalisierung, Klimawandel, Verknappung bzw. Verteuerung von Rohstoffen verändern sich die Prioritäten von Wirtschaft und Gesellschaft. Verstärktes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten führt zusätzlich dazu, dass Wachstum künftig aus einem neuen Mix von Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlichem Engagement generiert wird. Nachhaltigkeit und Umweltaspekte werden immer öfter zum entscheidenden Kaufkriterium. Umweltschutz, Ressourcenschonung, Corporate Social Responsibility – der Mega-Trend Neo-Ökologie verschiebt die Grundkoordinaten unseres Wirtschaftssystems und wird zur wichtigen Ergänzung der klassischen Kapitalmarktorientierung. Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) ist das Konsumparadigma der nächsten Jahre. Neo-Ökologie ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern Auswirkung eines substanziellen Wandels, der unsere Märkte in den nächsten Jahren einer radikalen Transformation unterwirft. Wesentliche Merkmale des Mega-Trends sind: nn Öko-Ökonomie: Soziale und ökologische Fragen haben sich in den vergangenen Jahren ökonomisiert und eine eigene wirtschaftliche Dynamik entwickelt. Neo-Ökologie wird nicht mehr als Ökonomiehemmender Faktor wahrgenommen, für einige Industrien, wie beispielsweise erneuerbare Energien, ist Neo-Ökologie sogar der zentrale Treiber nn Prinzip Verantwortung: Der Konsument beginnt Verantwortung für die Auswirkungen zu empfinden, die mit der Herstellung oder Nutzung von Produkten verbunden sind. Dies umfasst nicht nur Umweltaspekte, sondern auch faire Arbeitsbedingungen, Korruptionsbekämpfung, Bildungschancen, Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten werden in zunehmendem Maße Teil der ökonomischen Kalkulation. nn Ethischer Konsum: Konsum findet dadurch unter völlig veränderten Voraussetzungen statt. Wer diese Zeichen der Zeit nicht erkennt, entwickelt an den Bedürfnissen der Kunden vorbei. Neben den in der Öffentlichkeit breit diskutierten Risiken eröffnen sich durch die neue Lage jedoch auch große Chancen und neue Märkte. So boomt beispielsweise der Bio-Markt, die High-Tech-Industrie profitiert massiv vom grünen Wandel der Märkte und das Konsumentengewissen avanciert zum neuen Wachstumsmotor, insbesondere in den Triade-Märkten. Bis ins Jahr 2015, so die Schätzung des Natural Marketing Instituts, wird sich diese Zahl noch einmal verdoppeln. Bis 2015 werden also – allein in den USA – 850 Milliarden US$ erwartet und ein Weltmarktvolumen von 1,6 Billiarden US$ geschätzt. Die Märkte der Zukunft sind grün Die Sicherung der Mobilität von Personen und Gütern hängt längst nicht mehr nur von ökonomischen Faktoren ab. Letztlich ist schwer zu identifizieren, ob Ökologie-Trends oder Ressourcenverknappung bzw. -verteuerung das weit reichende Umdenken verursacht haben. Sicher ist jedoch, dass der Konsument von morgen erwartet, dass die zunehmende Mobilität auf eine ökologisch tragfähige Basis gestellt wird. Die Ökologisierung betrifft aber keineswegs nur die Industrien, die im direkten Zusammenhang mit Mobilität stehen. Im Bereich der Energieerzeugung treibt das Erneuerbare Energien Gesetz Technologien rund um Windkraft, Photovoltaik und Brennstoffzellen voran und beschert den Unternehmen teilweise Wachstumsraten von deutlich über 20 Prozent. Diese teilweise noch sehr kleinen Industriesegmente werden 2016 nach Schätzungen des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Clean Edge ein Weltmarktvolumen von mehr als 226 Milliarden US$ erreichen, und damit beispielsweise das Produktionsvolumen der Halbleiterindustrie übertreffen. Umwelttechnologien als Industriesegment werden sich in Deutschland bereits 2020 auf Augenhöhe mit Industrien wie Fahrzeug- oder Maschinenbau befinden. Unter den Umwelttechnologien wachsen wiederum vor allem die Bereiche Energieerzeugung, Energieeffizienz und Mobilität besonders stark, wie eine Untersuchung des BMU von 2007 zeigt (vgl. Abbildung 6). 11 Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 6: Wachstumsmarkt Umwelttechnologien – Der Boom hält an Umsatzwachstum für Umwelttechnologien in Deutschland in Prozent 2005 - 2006 2007 - 2009 35 30 30 27 29 25 20 20 21 22 13 15 17 15 11 12 11 10 5 0 Umweltfreundliche Energieerzeugung Nachhaltige Mobilität Energieeffizienz Kreislaufwirtschaft Nachhaltige Wasserwirtschaft Rohstoff- und Materialeinsatz Quelle: BMU, 2007 Wie Neo-Ökologie die Automobilindustrie verändert Verbrennungsmotoren auf Basis konventioneller Treibstoffe sind im großen Stile mittelfristig noch nicht substituierbar. Auch wenn die Anstrengungen, welche in den Forschungs- und Entwicklungslaboren betrieben werden, derzeit sehr groß sind, fehlen den meisten Alternativkonzepten nach Expertenmeinung zur Produktionsreife für große Stückzahlen noch einige Jahre. Dabei ist nicht immer die technologische Machbarkeit oder die Zuverlässigkeit die entscheidende Barriere, die noch nicht vollständig überwunden ist. Oftmals sind die Fertigungskosten schlichtweg zu hoch, als dass nach heutigen Standards geeignete Fahrzeugkonzepte zu konkurrenzfähigen Preisen angeboten werden könnten. Die Markttreiber und das Kundenverständnis haben allerdings die Entwicklungsgeschwindigkeit der F&E-Labore überholt. Laut einer internationalen Umfrage in den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland sowie in den Wachstumsmärkten China und Indien sprechen die Kunden dem konventionellen Verbrennungsmotor die Zukunftsfähigkeit ab. Hybridmotoren haben länderübergreifend große Imagevorsprünge gegenüber 12 Benzin- und Dieselfahrzeugen – gerade in den aufstrebenden Ländern China und Indien. Über 41 Prozent der Neuwagenkäufer in diesen Ländern sind überzeugt, dass dem Hybridantrieb die Zukunft gehört. Gleichzeitig geben in Indien zwei Drittel der Neuwagenkäufer (63 Prozent) an, dass die Umweltverträglichkeit beim Autokauf eine sehr wichtige Rolle spielt, in China und Deutschland gilt das immerhin für ein Drittel der Befragten (vgl. Abbildung 7 nächste Seite). Mobilität 2020: Der Siegeszug alternativer Antriebstechnologien Im Jahr 2007 wurden weltweit über 500.000 Hybridautos verkauft – ein Plus von 37 Prozent gegenüber 2006 (HybridCars. com/R. L. Polk, Hybrid Market Dashboard, Februar 2007 und Februar 2008). Deutlich verschärfte Emissionsgrenzen, strengere Kraftstoffvorschriften in vielen Ländern sowie stark gestiegene Kraftstoffpreise sind aber nur äußere Faktoren für den Erfolg von Hybrid-Fahrzeugen. Die Attraktivität dieser Autos resultiert vor allem aus ihrem sauberen Image bei den Kunden. Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 7: Umweltverträglichkeit hat beim Autokauf hohe Bedeutung Wichtigkeit von Umweltverträglichkeit beim Autokauf – nach Ländern Frage: Wie wichtig ist Ihnen Umweltverträglichkeit beim Autokauf? Gesamt (N=3.644,gewichtet) Indien (N=518) 56,0% 34,5% Deutschland (N=505) 57,2% 32,1% Frankreich (N=522) 25,7% USA (N=1.065) 27,0% Großbritannien (N=500) 2,0% 0,7% 34,6% 62,7% China (N=534) 14,4% 52,1% 23,4% 52,6% sehr wichtig wichtig weniger wichtig 8,8% 0,7% 9,9% 0,8% 10,3% 61,3% 18,4% 2,8% 11,5% 52,3% 33,4% unwichtig 2,7% 6,4% 5,6% keine Angabe Quelle: Puls, 2007 Wie groß der Hybrid-Markt in Zukunft sein wird, ist momentan noch schwer abzuschätzen. Seit der Einführung der ersten Hybrid-Autos hat niemand das schnelle Wachstum der Verkaufszahlen vorhergesagt. Dennoch wagen Analysten mittlerweile hochfliegende Prognosen: B&D Forecast schätzt den globalen Markt im Jahr 2010 auf rund 2,4 Millionen Fahrzeuge. Aufgrund der stark wachsenden Modellpalette prognostiziert B&D Forecast für das Jahr 2025 einen Hybridanteil von 74 Prozent in Japan, 73 Prozent in den USA und 44 Prozent in Europa – in Großbritannien sogar von ca. 70 Prozent, weil hier der Diesel keine starke Lobby besitzt und steuerlich nicht subventioniert wird (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Europa holt beim Absatz von Hybridautos auf Absatz von Voll- und Mildhybridautos1) in Millionen 5 Prognose 4 3 2 USA Europa Japan Deutschland 1 0 2004 2008 2010 2015 2020 Quelle: B&D Forecast; 1) ab 2006 Prognose 13 Zukunft der Mobilität 2020 Neo-Ökologische Metropolen: London ist globaler Primus Der Siegeszug ökologischer Konzepte wird auch von staatlicher Seite vorangetrieben. Neben idealistischen Gründen ist dies allerdings auch ganz praktisch getrieben von der Notwendigkeit, im Zuge einer fortschreitenden Urbanisierung die Emissionsund Verkehrsbelastung in den Großstädten regulieren zu können. Immer mehr Metropolen setzen auf den NeoÖkologie-Trend und versuchen, ein ökologisch kompatibles Stadtleben umzusetzen. Der Öko-Pionier schlechthin unter den europäischen Städten ist London, kein grüner Trend geht an der britischen Metropole vorbei. Inzwischen gibt es für die Londoner LOHAS sogar ökologisch saubere Taxi-Hotlines. Das “Ecocab”-Taxiunternehmen “Atlas” chauffiert seine Kunden im hybridbetriebenen Toyota Prius durch die Stadt (www.atlas. uk.com). Und wer alleine unterwegs ist, kann sich ein Mini-Taxi der “Green Tomato Cars” ordern. Deren Fahrzeuge verursachen nur halb so viel CO2-Ausstoß wie die klassischen Taxen. Obwohl “Green Tomato Cars” für 50 Prozent seiner CO2-Emissionen in “Carbon Credits” beim Umweltprojekt “Climate Care” einzahlt, ist der Fahrpreis nicht höher als der der schwarzen Konkurrenten (www.greentomatocars.com). Geliehene Auto-Mobilität Die Stadt London versucht die Bewohner und Besucher der Stadt mehr und mehr dazu zu bewegen, ohne ihr eigenes Fahrzeug in den Innenstadtbereich zu fahren oder aber wenigstens einen signifikanten monetären Entschädigungsbeitrag zu leisten. Während die beschriebenen Taxi-Angebote Alternativen im höherpreisigen Segment zur Sicherstellung individueller Mobilität bereitstellen, gibt es in vielen europäischen Städten dazu mittlerweile Alternativen zu niedrigen Kosten. Der Wunsch kostengünstig individuell mobil zu sein ist der wesentliche Treiber für die außerordentlichen Wachstumsraten, die CarSharing-Angebote derzeit erfahren. Projekte und Unternehmen wie Cambio Car-Sharing, Stattauto und BD Car-Sharing bieten geliehene und geteilte Mobilität. Einen Schritt weiter geht das Pilotprojekt Flinkster von der DB Rent GmbH. Angelehnt an das erfolgreiche Konzept von “Call a Bike”, dem flexiblen Fahrradverleih der DB Rent, können Kleinfahrzeuge auch außerhalb von Verleihstationen über eine Key-Card geliehen 14 werden. Das Beenden des Mietverhältnisses ist dabei nicht viel komplizierter als aus einem Taxi auszusteigen, allerdings zu einem Bruchteil der Kosten. 3.1.2 Mega-Trend Individualisierung In modernen Gesellschaften sinkt die Abhängigkeit des Einzelnen von traditionellen Bindungen. Pflichtkultur wird ersetzt durch Multioptionalität, also eine neue Vielfalt an Möglichkeiten, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Dank des breiten Wohlstandszuwachses seit den 60er Jahren eröffnen sich für die Menschen neue Gestaltungsspielräume, Freiheiten und Wahlmöglichkeiten. Auf den Märkten manifestiert sich Individualisierung durch gehobene Ansprüche seitens der Konsumenten sowie Produktdiversifizierung und -personalisierung seitens der Anbieter. In dem Maße, in dem sich traditionelle Bindungen lockern, entstehen mehr individuelle Entscheidungsspielräume. Das gilt für den Bereich der privaten Lebensführung, der Berufswahl, des Wohnorts und des Konsums. Jeder kann sein Leben in eigener Regie, nach eigenen Wünschen gestalten. Aus dem Rückgang von soziokulturellen Normen resultieren zunehmende Produktdiversifizierungen und stärkerer Lifestyle-Konsum. Aus der Pluralisierung der Konsummuster und Lebensverhältnisse resultiert schließlich auch eine Vervielfältigung der MobilitätsBedürfnisse und -anforderungen. Wie Individualisierung das Mobilitäts-Verhalten beeinflusst Der Mega-Trend Individualisierung beeinflusst in vielerlei Hinsicht die Mobilitäts-Bedürfnisse und -anforderungen. Individualisierung ermöglicht Flexibilisierung, die zunehmende Flexibilität erfordert aber auch höhere räumliche Mobilität. Das führt in der Konsequenz zu einer Multi-Mobilität: Der MobilitätsGrad jedes Einzelnen, der sich aus Bewegungsradius und Wegezahl zusammensetzt, steigt. Mobilität und Flexibilität stehen hier partiell allerdings im Widerspruch. Ab einem bestimmten Maße wird das Verhaftet-Sein in Mobilität, also beispielsweise auch das tägliche Pendeln, als Belastung empfunden. Zukunft der Mobilität 2020 Massenhafte Individualisierung auf den Konsummärkten Als Folge der Individualisierung nimmt auf den Konsummärkten die Produktvielfalt zu, gleichzeitig die Produktdiversifizierung ab. Anders gesagt: Es gibt immer mehr, aber auch immer mehr vom Gleichen. Eine der ersten Branchen, die auf dem Mega-Trend Individualisierung mit Mass-Customization-Angeboten reagierten, ist die Fashion-Industrie. Maßgeschneiderte Mode, von den Turnschuhen bis zu Businessanzügen, kann im Internet individualisiert oder “customized” werden. Individuell entworfene Parfüme, personenspezifisch dosierte Medikamente, sogar eigene Müslivariationen lassen sich online-basiert konfigurieren. Spezielle Produktions- und Fertigungsmethoden greifen diesen Trend auf und ermöglichen so die Realisierung völlig neuer Geschäftsmodelle. Der Wertschöpfungsprozess, Produktlogistik und Kostenstrukturen verlagern sich. Während Fertigungskosten erheblich steigen reduzieren sich beispielsweise Lagerkosten – und nicht zuletzt wertschätzt der Kunde die Individualisierung und ist bereit Mehrkosten, zumindest bis zu einem bestimmten Maß, zu tragen. Doch diese massenhafte Individualisierung wird in erster Linie ein kleines Zusatzgeschäft für Handel und Industrie sein. Auto-Mobilität bleibt Individualisierungs-Symbol Auto-Mobilität ist auf den Triade-Märkten (Europa, USA, Japan) seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Schlüsselsymbol für Individualisierung und Individualität geworden: 46 Prozent der Deutschen geben an, dass sie sich nur mit dem Auto frei und unabhängig fühlen. Unter den Führerscheinbesitzern, die regelmäßig das Fahrzeug nutzen, sind es sogar 65 Prozent. Und immerhin 8 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 69 Jahren sagen ganz klar, dass sie mit ihrem Auto auffallen und sich von anderen abheben wollen (Communication Networks 11.0). Reichtum. Individualität wird hier vor allem durch den Besitz von Status- und Prestige-Luxus kommuniziert. PKW-Mobilität funktioniert in China noch ungebrochen als IndividualisierungsMetapher – als Zeichen für die Befreiung von traditionellen Bezügen und steht für die Anschlussfähigkeit des eigenen Lebensentwurfs am westlichen Lifestyle. Aber auch in Zukunft, und nicht nur in den Schwellenländern, werden sich Anbieter aller Branchen auf das ungebrochene Bedürfnis der Kunden nach Individualität und Selbstbestimmung einstellen müssen, wenn sie sich mit ihren Produkten erfolgreich am Markt behaupten wollen. Letztlich geht es dabei nicht (mehr nur) um die Befriedigung eines kompromisslosen Individualismus. Vielmehr müssen Unternehmen auf die verschiedenen situativen Ansprüche, Lebensstile und Biografien von Verbrauchern die passenden Antworten finden. Diese bestimmen die Konsummuster künftig stärker als die klassischen soziodemografischen Merkmale wie Alter, Einkommen, Bildungsstand etc. Der Mega-Trend Individualisierung zeigt seine Wirkung am deutlichsten in der Produktgestaltung. Die heutige Volkswagen AG etwa ging 1938 mit dem Käfer als ersten und zunächst einzigen PKW an den Markt. Heute produziert die Marke VW allein im PKW-Bereich weltweit insgesamt 19 Modelle, bei denen der Kunde noch einmal zwischen verschiedenen Modellund Ausstattungsvarianten wählen kann, die er bei Bedarf wiederum noch einmal ganz individuell konfigurieren kann. Dies führte zu einer sprunghaften Zunahme der Komplexität in der Produktionslogistik sowie zu der Notwendigkeit, ausgeklügelte Variantenmanagementsysteme einzuführen. Die Vielzahl der Ausstattungsvarianten nimmt in den oberen Fahrzeugsegmenten hier nochmal zu, jedoch selbst für untere Segmente kommt die Automobilindustrie nicht an der MassCustomization vorbei. Für Rolls-Royce ist China hinter den USA und Großbritannien mittlerweile der größte Markt. In Chinas wachsender Oberschicht (es gibt inzwischen 345.000 US$-Millionäre) ist PKW-Mobilität noch ein deutliches Zeichen für Luxus und 15 Zukunft der Mobilität 2020 3.1.3 Mega-Trend Mobilität Gesellschaften im 21. Jahrhundert sind mehr denn je durch einen erhöhten Mobilitäts-Bedarf gekennzeichnet, Mobilität und Beschleunigung sind die Matrix moderner und fortschrittsorientierter Gesellschaften. Angesichts der Herausforderungen, die sich aus dem Mega-Trend Neo-Ökologie ergeben, muss man sich allerdings schon heute intensiv um die Entwicklung nachhaltiger Mobilitäts-Konzepte bemühen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Globalisierung bedingt Mobilisierung. Ein Rückgang von Globalisierungseffekten ist derzeit genauso wenig in Sicht wie eine Abnahme der Bedeutung von Mobilität. Dabei ist globale Mobilität ebenso relevant wie Mobilität im wörtlichen Sinne von alltäglichen Wegzeiten, häufigeren Umzügen und Reisen – beruflich wie privat. Obwohl schon jetzt mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben, sind die meisten weiterhin auf das Auto angewiesen. Folglich wächst der Verkehr. Die Gründe für dieses Wachstum sind unterschiedlich. Der Personenverkehr nimmt vor allem dort zu, wo Wohnen und Arbeiten nicht an einem Ort stattfinden. Berufliche Mobilität dehnt sich immer weiter aus und wird zum Normalfall. Auch Freizeit und Urlaub sind heute mit mehr Mobilität verbunden als früher. Im globalen Maßstab hat zwar der Flugverkehr längst eine Schlüsselstellung eingenommen, gleichwohl wird das Auto bis ins Jahr 2020 mit Abstand der wichtigste Verkehrsträger bleiben. Zwei Drittel aller Personen, die mindestens einmal am Tag das Haus verlassen, nehmen das Auto. Der PKW übernimmt rund 80 Prozent der Verkehrsleistung im Personenverkehr und bleibt damit unangefochten das Verkehrsmittel Nummer eins (vgl. Abbildung 9). Dass Auto-Mobilität also der zentrale Treiber des Mega-Trends Mobilität ist und bleibt, zeigt auch der Blick auf den Kraftfahrzeugbestand in Deutschland, der sich in den letzten 50 Jahren verzehnfacht hat: PKW machen 84 Prozent der Kraftfahrzeuge aus und der PKW-Bestand ist seit Mitte der 50er-Jahre weit überproportional gestiegen – um nahezu das 27 fache. Inzwischen verfügen in Deutschland über drei Viertel aller über 18 Jährigen über einen PKW, haben also einen Führerschein und einen PKW im Haushalt. Weltweit steigt die PKW-Dichte weiter an, insbesondere in den BRIC-Märkten (vgl. Abbildung 10 nächste Seite). Europaweit zeigen die Prognosen ein massives Verkehrswachstum innerhalb der nächsten Jahre: In den 27 EU-Ländern wird die Zahl der PKW bis 2020 um 70 Millionen Fahrzeuge zunehmen, die Zahl der LKW um 1,5 Millionen. Abbildung 9: Mobilitäts-Bedarf steigt weiter – Das Auto bleibt die Nummer eins Modalsplit EU 27 in Milliarden Personenkilometer 1,1% 2,0% 6.000 5.000 4.971 5.053 5.160 5.278 5.378 5.468 5.535 5.566 5.646 5.653 5.747 4.000 PKW 3.000 Moped/ Mofa Bus 2.000 Zug 1.000 0 U-Bahn 1996 1997 1998 Quelle: ERF European Road Statistic 2008 16 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Zukunft der Mobilität 2020 Niveau stagniert oder leicht zurückgeht, bleibt abzuwarten. Mindestens ebenso entscheidend ist jedoch die Frage, welchem Subsegment innerhalb des Automobilmarkts sich der Kunde zuwendet, um seinen Bedarf nach Mobilität zu befriedigen. Hier zeigen die Debatte um den Klimawandel und steigende Kraftstoffpreise bereits ihre Wirkung. Zwar wurden in den USA und Europa 2007 so viele SUVs verkauft wie noch nie, 2008 allerdings sind die Verkäufe bei den großen Benzinschluckern regelrecht eingebrochen. Mittelfristig wird der Absatz nach aktuellen Prognosen von Global Insight zwar auch in Europa und den USA wieder anziehen, allerdings mit einer deutlichen Verschiebung innerhalb der Segmente: Während Full-Size-SUVs deutlich an Marktanteil verlieren, wächst der Anteil kleiner und kompakter SUVs – zweifellos eine Folge der insgesamt steigenden Kraftstoffpreise und der Diskussion um den von uns verursachten CO2-Ausstoß. Die herausragende Bedeutung des Automobils als Transportmittel hat in den Triade-Märkten in der Vergangenheit komfortable Wachstumszahlen hervorgebracht. Insbesondere in Deutschland hat der Automobilmarkt nach der Wiedervereinigung noch einmal einen nachhaltigen Schub erfahren. Allerdings sind schon in den letzten Jahren die Werte des Fahrzeugbestands nicht mehr signifikant gewachsen. Für die PKW-Dichte, also die Anzahl an PKW pro Einwohner, wird derzeit nur noch ein Wachstum von 0,6 Prozent in der Periode zwischen 2008 bis 2025 erwartet. Der Neuabsatz von Fahrzeugen basiert heute also in Deutschland, im übrigen sehr ähnlich wie in den weiteren Triade-Ländern, zu einem überwiegenden Teil auf Ersatzinvestitionen. In der konsolidierten Betrachtung der Triade-Märkte prognostiziert Global Insight sogar ein Null-Wachstum bzgl. der Fahr-zeugdichte. In den BRIC-Ländern hingegen, ein vor allem durch Neuinvestitionen getriebener Markt, wird sich die Fahrzeugdichte bis 2012 mehr als verdoppeln, aufgrund steigender Bevölkerungszahlen und – aller Voraussicht nach – auch trotz der Finanzkrise (vgl. Abbildung 11 nächste Seite). Viele Autofahrer rüsten ihre PKW-Mobilität ab, setzen auf geringeren Verbrauch und sauberes Image. Andere aber denken gar nicht ans Downsizing. Gerade weil das Auto nach wie vor die Patentlösung für die individuellen Mobilitäts-Anforderungen ist und gerade weil das Auto nach dem Hauskauf die zweitteuerste Anschaffung im Leben der meisten Menschen ist, werden wir nur unter Schmerzen vollständig von dem epochalen Konzept der PKW-Mobilität abrücken. Das Bedürfnis nach Mobilität ist weiterhin ungebrochen, das Auto bleibt zukünftig im Mobilitäts-Mix unstrittig die Nummer 1. Ob der globale Gesamtmarkt dabei wächst, auf hohem Abbildung 10: Des Deutschen liebstes Kind Bestand von Kraftfahrzeugen in Deutschland nach Fahrzeugklassen Fahrzeugbestand in Millionen Durchschnittliche 5-Jahreswachstumsrate in Prozent Sonstige Kfz LKW Busse Krafträder PKW 5-Jahres-CAGR 60 50 40 25 20 15 30 10 20 5 10 0 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2007 Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt, 2007 17 Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 11: Weltweit steigende PKW-Dichte PKW pro 1.000 Einwohner Fahrzeugdichte in Fzg/ 1.000 Bewohner Fahrzeugdichte BRIC Fahrzeugdichte Triade +0% 470 +139% 463 463 462 460 458 460 33 30 20 27 22 17 14 10 0 2004 2006 2008 2010 2012 Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” Die Instanz Fahrzeug ist nahezu unumstößlich, zu sehr ist das Mobilitäts-Verhalten zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach wie vor mit dem Bedürfnis nach individueller Fortbewegung verknüpft. Mobilitäts-Konzepte, die auf eine Zukunft ohne Autos setzen, gehen zweifelsohne an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Nach wie vor ist die Mehrzahl der Deutschen der Meinung, dass nur das Auto ihnen die nötige Mobilität und Freiheit bietet. Drei Viertel derer, die einen Führerschein haben und einen PKW regelmäßig nutzen (mindestens einmal pro Woche), können sich ein Leben ohne Auto gar nicht vorstellen und sind ausgesprochen gern damit unterwegs. Bis heute ist das Auto Gegenstand von Wünschen und Sehnsüchten: 65 Prozent der deutschen Führerscheinbesitzer fühlen sich mit dem Auto frei und unabhängig. Dagegen betrachten lediglich 58 Prozent das Auto “nur” als Gebrauchsgegenstand. Frauen stimmen dieser rationalen Sicht stärker zu als Männer. Genauso betrachten Frauen ein “kleines, innovatives Auto” häufiger als “intelligentere Alternative zu den großen Autos” als Männer dies tun (59 vs. 36 Prozent). Auto-Mobilität ist nach wie vor auch Gegenstand von Männerphantasien: Für immerhin 41 Prozent von ihnen ist das Auto “Ausdruck eines Lebensgefühls”, bei den Frauen teilen lediglich 28 Prozent diese Meinung. 18 Hingegen würde, wenn die Fahrpreise billiger wären, nur rund ein Viertel der Befragten öfter öffentliche Verkehrsmittel nutzen (vgl. Abbildung 12 nächste Seite). Die zuletzt angebotenen Mobilitäts-Konzepte haben schon begonnen, die Gesellschaften in mobile Klassengesellschaften auseinander zu dividieren: Ein Teil zeigte sich unbeeindruckt von steigenden Kraftstoffkosten und Betriebskosten der Fahrzeuge, die Kaufentscheidung dieses Kundensegments bleibt von den Verbrauchswerten der Fahrzeuge unbeeinflusst. Wer sich nach wie vor einen SUV leisten kann, der wird auch die notwendigen Reserven für den Kraftstoff aufbringen können. Andere Kundensegmente waren jedoch gezwungen, ihre Aufwendungen für Mobilität deutlich zu reduzieren. Neben der Verschiebung innerhalb der Produktsegmente war dies beispielsweise auch in den USA durch die deutliche Zunahme der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs deutlich geworden. Seit Mitte der 90er Jahre steigt dort die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nahezu ununterbrochen, doch nie war der Anstieg höher als in den vergangen zwei Jahren. Für das erste Quartal 2008 meldete der landesweite Betreiberverband fast 2,7 Mrd. Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – rund 88 Mio. Fahrten mehr (plus 3,4 Prozent) als im Vorjahreszeitraum. Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 12: Autofahren bedeutet Autonomie Einstellung zum Auto (Zustimmung: voll und ganz/überwiegend) 77% Ein Leben ohne Auto könnte ich mir gar nicht vorstellen 76% Nur das Auto gewährt mir die nötige Mobilität 74% Ich fahre gern Auto 65% Mit dem Auto fühle ich mich frei und unabhängig 62% Dort wo ich wohne, bin ich auf das Auto angewiesen, um irgendwo hin zu kommen 58% Ein Auto ist für mich nur ein Gebrauchsgegenstand 46% Für mich ist heutzutage ein kleines, innovatives Auto die intelligentere Alternative zu den großen Autos 35% Das Auto ist für mich Ausdruck eines Lebensgefühls 35% Wegen der hohen Benzinpreise fahre ich heute weniger Auto als früher Man sollte das Autofahren weitgehend einschränken, die Umwelt wird schon genug belastet Ich würde öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, wenn die Fahrpreise nicht so teuer wären 27% 25% Quelle: Communication Networks 11.0, 2008 (Basis: Führerscheinbesitzer, PKW-Nutzung mind. einmal wöchentlich) Durchschnitt Männer Frauen Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob fahrzeuggebundene Mobilität, einst als Privileg der Besserverdienenden entstanden und mittlerweile zumindest in den Triade-Märkten ein Art Grundgut geworden, auch zukünftig wieder ein Produkt für gut situierte Haushalte sein wird? Gesellschafts-Trends in ihren wichtigsten Aspekten und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Automobilidustrie zusammengefasst. Viele Trends werden ihre Wirkungen in der Branche indirekt zeigen, und nicht von jedem Trend sind kurzfristige und durchschlagende Wirkungen zu erwarten. Mobilität wird in einer globalisierten und von Individualisierung geprägten Welt weiter zunehmen. In modernen Gesellschaften wird Mobilität mehr denn je zu einem zentralen Grundbedürfnis im Leben aller Menschen und zur Voraussetzung für sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt. Trotz sich wandelnder Voraussetzungen im Zuge des Mega-Trends Neo-Ökologie wird Mobilität auch in Zukunft weltweit Ausdruck von Freiheit, Wohlstand und Individualität bleiben. In den folgenden neun Konsum- und Gesellschafts-Trends bündeln sich Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse, welche die Menschen in den nächsten 10 bis 20 Jahren antreiben werden. Konsumenten denken hierbei nicht in Genregrenzen, vielmehr lassen sie sich von ihren Wünschen leiten und versuchen, Defizite in ihrem Leben zu beseitigen. Tatsächlich sind die westlichen Gesellschaften gerade dabei, die Wohlstandsgesellschaft der letzten Generationen zu verlassen zugunsten eines aktiveren Konsumumfelds, welches das individuelle Lebensgefühl in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, dass wir uns von den angebotsgetriebenen Massenmärkten verabschieden und uns künftig noch stärker an den Bedürfnissen der individuellen Konsumenten orientieren müssen. 3.2 Die relevantesten Konsum- und GesellschaftsTrends, die die Mobilitäts-Typen bis ins Jahr 2020 prägen Als Gesellschafts-Trends bezeichnen wir all die Veränderungsprozesse, die soziales Handeln, Einstellungen und Realitätsdeutungen des Einzelnen und die Wünschen und Bedürfnisse der Menschen in der Zukunft signifikant beeinflussen werden. In dieser Studie werden die für das Thema Mobilität relevanten Für die westlichen Gesellschaften gilt grundsätzlich, dass die Phase der naiven Mobilitäts-Begeisterung vorüber ist. Mobil zu sein wird auch im 21. Jahrhundert eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, Wohlstand und Selbstverwirklichung bleiben. Das Auto allerdings verliert als Ausdruck 19 Zukunft der Mobilität 2020 dessen, was man erreicht hat, als Symbol für Freiheit und grenzenlose Fortbewegung an Bedeutung – und das nicht erst seit der CO2-Debatte des Jahres 2007. Um diesen Wandel zu begreifen, ist es wichtig, sich die Bedeutung des Autos in der Wohlstandswelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen. Auto-Mobilität war Teil eines Ensembles resp. eines Wohlstandsquadrats, das sich aus vier Elementen zusammensetzt: Mobilität (Auto), Medien (Fernsehen), Einkauf (Supermarkt) und Vorratshaltung (Kühlschrank). Dieses Quadrat organisierte im 20. Jahrhundert das Leben in der bürgerlichen Familie, in der Gesellschaft insgesamt und im Massenkonsum. Über das Fernsehen erreichten die Lebensstilund Konsumangebote die “Endverbraucher”. Die nutzten den Luxus der Massen-Mobilität zum Vorrats- oder Lusteinkauf im Supermarkt, in der Innenstadt oder auf der grünen Wiese: eine geschlossene bürgerliche Welt im Wohlstandsquadrat (vgl. Abbildung 13). Es langweilt uns, nur mehr den Wocheneinkauf zu machen, wir wollen unterwegs etwas erleben und genießen. Wir versammeln uns auch nicht mehr passiv vor dem Fernsehen, sondern genießen die Zeitsouveränität als aktive Internetnutzer. Von diesem mitunter sehr begrenzten, aber vertrauten Quadrat beginnen wir uns zu verabschieden: Wir nutzen Medien anders, wir konsumieren und genießen anders und wir sind gerade dabei, unser Mobilitäts-Verhalten zu verändern. In den Triade-Märkten befinden wir uns unmittelbar im Transformationsprozess von einer Wohlstands- zu einer Wohlfühlgesellschaft. Das Wohlstandsquadrat bricht auf: Lebensentwürfe werden immer individueller. In der Welt von morgen sind wir in immer kürzeren Abständen gezwungen, Änderungen an unserem Lebensentwurf vorzunehmen. Veränderungen und Brüche in der Biografie werden in den nächsten Jahren zum Normalfall. Statt von “Biografien” sollten wir für die Zukunft von “Multigrafien” ausgehen: Lebensverläufe, die sich mit hoher Komplexität und Geschwindigkeit vollziehen. Tatsächlich haben sich in allen Kulturen in den vergangenen zehn Jahren massive Veränderungen in Konsum und Lebensgewohnheiten ergeben. Diese Veränderungen, die natürlich vor allem das Resultat der zuvor erläuterten soziokulturellen MegaTrends sind, tangieren ganz entscheidend den Umgang und die Nutzung von (Auto)-Mobilität. Die folgenden KonsumentenTrends spielen dabei eine wichtige Rolle (vgl. Abbildung 14 nächste Seite). 1. Multigrafie: Die Zeit der 3-phasigen Lebensplanung ist zu Ende. In Zukunft unterliegen Lebensverläufe mehreren Lern-, mehreren Partnerschafts- und mehreren Familienphasen. Abbildung 13: Von der Wohlstands- in die Wohlfühlgesellschaft Gestern Auto Mobilität 2020 Fernseher Info-/ Entertainment Bürgerliche Familie Wohlstand Massenkonsum Kühlschrank Vorratshaltung Patchwork-Society Lebensqualität Mass-Sophistication Supermarkt Einkauf Quelle: www.zukunftsinstitut.de; 1) Bioladen, Buchladen, Wochenmarkt, Erlebnis-Mall 20 Konvergentes Web Communities Prosumer-Medien Mobilitäts-Mix Nachhaltige Küche Gesunder Genuss Convenience Third Places1) Kommunikation Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 14: Konsumenten-Trends als mittelfristiges Rahmenwerk für zukünftige Kundenbedürfnisse Konsumenten-Trends Multigrafie Downaging Familie 2.0 Implikationen für die (Auto-)Mobilität Lebensentwürfe vollziehen sich immer fragmentierter – Bedürfnisse werden situativer. „Lebensabschnitts-Produkte“ werden wichtiger als Zielgruppenstrategien (Alter, soziale Schicht etc.) Konsumenten fühlen sich wesentlich jünger als ihr tatsächliches biologisches Alter, keine Ghetto-Produkte, sondern Erlebnisprodukte für den „zweiten Aufbruch“ Netzwerk-, Patchwork- und Fragmentfamilien haben einen hohen und hochdifferenzierten Mobilitäts-Bedarf, der nicht nur über den Family Van, SUV oder Kombi bedient werden kann Neo-Cities Auto-Mobilität, die sich den Anforderungen der grünen Zukunftsstädte (zero-emission-cities) anpasst Greenomics Auto-Mobilität, die einem gesunden und gleichzeitig genussorientierten Lebensstil gerecht wird. Mobilitäts-Lösungen, die ökologisch korrekt sind, aber auch für den Verbraucher nachhaltig wirken. New Luxury Produkte, welche die eigene Lebensqualität steigern. Tendenzielle Abkehr von Status- und Prestigedenken Simplify Vereinfachung, Zeitersparnis, Einfachheit, Unsichtbarkeit von technologischen Prozessen Deep Support Unterstützungsdienstleistungen, die sich individuell den Bedürfnissen des einzelnen anpassen. Infrastrukturen an Mikro-Dienstleistungen, welches das Leben zwischen Zuhause und Arbeitsplatz organisieren. Cheap Chic Bezahlbare, „clevere“ Produkte, die trotzdem den Wunsch nach Exklusivität, Design und Luxus befriedigen Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” So wie es nicht mehr den einen Lebensarbeitsplatz gibt, gibt es auch nicht mehr den einen biografischen Entwurf, der sich irgendwann am Ende der Jugend als künftiger Lebensentwurf verdichtet oder dem Einzelnen oktroyiert wird. Wir erleben künftig eine Vielzahl von Familien- und Partnerschaftsphasen. Wir lernen aber auch nicht mehr nur in der Jugend. Auch Bildung wird von uns in Form des lebenslangen Lernens in vielen Lebenszyklen gefordert. Vom “flexiblen Menschen” zum Lebensabschnittskonsumenten Immer weniger Zeit, ständig wechselnde Anforderungen im Beruf, hohe Fluktuation auf dem Feld des privaten Lebensglücks – all das führt dazu, dass wir auch unseren Konsum immer stärker auf kurzfristige Ziele, Wünsche und Lebensabschnittsbefindlichkeiten einstellen. Der situative Konsum gewinnt an Bedeutung – wir sind zu Lebensabschnittskonsumenten geworden. Für möglichst jeden privaten oder beruflichen Situationswechsel brauchen wir neue Produkte und Dienstleistungen. Die Deutsche Bahn hat diesen Gesellschafts-Trend bereits in ihrem MobilitätsService für Kids berücksichtigt. Da Patchworkfamilien und in Trennung lebende Eltern zum normalen und mehrheitlichen Erscheinungsbild in unserer Gesellschaft gehören, spielt sich das Familienleben schon für Kinder selten an nur einem einzigen Wohnort ab. Eltern hingegen haben immer weniger Zeit, ihren Nachwuchs auf langen Reisen zum Ex-Partner oder auch zu den Großeltern zu begleiten. “Kids on Tour” heißt der Service, der allein reisende Kinder sicher ans Ziel bringt. Für eine Pauschale von 25 Euro zuzüglich zur Fahrkarte können Eltern Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren beruhigt alleine reisen lassen. Die Sprösslinge werden während der Fahrt in einem Extra-Abteil mit Spielmöglichkeiten betreut. Der Service ist gerade für getrennt lebende Eltern ideal, weil die “Kids on Tour”-Verbindungen zwischen deutschen Großstädten auch am Nachmittag nach der Schule und an Wochenenden angeboten werden. Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Der Gesellschaftstrend Multigrafie deutet darauf hin, dass die Fahrzeugtypen-Diversifizierung in der Automobilbrache noch nicht abgeschlossen ist, aber konkreter vor dem Hintergrund aktueller Trends neu konzeptionalisiert werden muss. Mit der weiteren Diversifizierung müssen vor allem die situativen Bedürfnisse der Konsumenten abgebildet werden. nn Im Zeitalter der Multigrafie steigen die Mobilitätsanforderungen der Menschen. Diese lassen sich nicht mehr nur über einzelne, wenn auch spezialisierte Produkte befriedigen, sondern erfordern vielfältige Mobilitätsservices. 21 Zukunft der Mobilität 2020 2. Downaging: Wir werden gesamtgesellschaftlich immer älter, fühlen uns dabei aber immer jünger. Alterung muss vor diesem Hintergrund völlig neu begriffen werden. Aufbrüche und Umbrüche gehören zum dritten Lebensabschnitt dazu – es sind Zeichen eines veränderten Lebensstils. In Deutschland ist es zudem mittlerweile die Regel sich jünger zu fühlen. Die längere Lebenszeit gibt Senioren mehr Möglichkeiten für einen individuellen Lebensentwurf. In Japan beispielsweise, dem Land mit der weltweit höchsten Lebenserwartung, ist die seit Jahren steigende Zahl der Ehescheidungen in keiner Altersgruppe so auffällig wie bei den Personen im Rentenalter. In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: Die Zahl der 60 bis 65-Jährigen und selbst die der über 75-Jährigen, die sich zur Trennung entschließen, ist heute doppelt so hoch wie vor zehn Jahren (vgl. Abbildung 15). Abbildung 15: Menschen fühlen sich jünger, als sie sind Zwischen 60 und 70 Jahren alt zu sein, ist das neue „mittlere Alter“ Ja - stimme zu 40% 48% Nein - stimme nicht zu 43% 45% 59% 75% ben über 60-Jährige in Deutschland 5.000 Euro mehr für den Neuwagen aus und bezahlen im Schnitt fast 900 Euro mehr für Sonderausstattungen als jüngere Käufer. Über 30 Prozent der über 60-Jährigen fahren dabei ein Premiumklasse-Fahrzeug. Laut Verbraucheranalyse 2008 planen 4,4 Millionen Deutsche über 60 in den nächsten ein bis zwei Jahren ein Auto zu kaufen und 2015 werden über ein Drittel der Kunden über 60 Jahre alt sein. Senioren sind somit hinsichtlich Marktvolumen und Kaufkraft zu einer äußerst wichtigen Kundengruppe geworden. Als Kunden verfügen sie über viel Erfahrung mit unterschiedlichen Modellen und Marken und haben genaue Vorstellungen bezüglich des Produkts. Es stehen wieder Sportlichkeit, aber auch Komfort im Vordergrund, entscheidend ist zudem, dass das Fahrzeug ihren Bedürfnissen genau entspricht. Ausreichend Flexibilität in der Sitz- und Lenkradverstellung, komfortabler Einstieg, aber auch elektronische Assistenzsysteme zur Kompensation von geringerem Reaktionsvermögen. Biedere Limousinen können Senioren allerdings kaum noch begeistern. Zwar werden viele Senioren Wert auf ein komfortables Gesamtkonzept legen, aber der äußere Eindruck des Fahrzeugs muss ihrem Lebensgefühl entsprechen (vgl. Abbildung 16). Abbildung 16: Wie Best Ager Sportlichkeit und Komfort von Autos bewerten Frage: Bewerten Sie Sportlichkeit und Komfort als ein „sehr wichtiges“ Kaufargument? 70% 60% 52% 57% 55% 41% 25% Nordam erika Europa AsienPazifischer Raum Andere Sportlichkeit 60% 50% Globaler Deutschland Durchschnitt Quelle: ACNielsen, 2006 Die neuen Alten verhalten sich immer jünger. Die ältere Generation hat sich zu einer aktiven Erlebnisgeneration entwickelt. Mobilität ist dabei für sie mehr als noch vor einigen Jahren ein elementarer Bestandteil ihres Lebensgefühls geworden. 40% 30% 20% 10% 0% 18 - 50 51 - 55 56 - 60 Quelle: FHDW Center of Automotive, 2006 Downaging betrifft deswegen insbesondere auch den Automobilmarkt. Laut ACI Trend-Monitor (Automotive Consumer Insights) des Marktforschungsinstituts Puls ge22 Komfort 61 - 65 66 - 70 über 70 Jahre Zukunft der Mobilität 2020 Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Die jungen Alten sind eine Konsumentenmacht, die bis 2020 noch stärker in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Downaging beschreibt einen Mentalitätswandel, in dessen Verlauf die Gesellschaft und die Einzelnen in zunehmendem Maße altern, sie dabei jedoch aktiv neue Konsumbedürfnisse ausprägen. nn Ein wichtiger Aspekt des Downaging-Trends ist, dass die neuen Alten die klassische Ruhestandsmentalität ablehnen. Sie sind erlebnisorientiert und genießen neu gewonnene Freiheiten. Sie nutzen ihre Unabhängigkeit, um noch einmal zu neuen Ufern aufzubrechen. Der immer weiter verbreitete „Zweite Aufbruch“ älterer Menschen sorgt für eine steigende Mobilitäts-Nachfrage älterer Menschen. 3. Familie 2.0: Lange Zeit galt Familie in unserer Gesellschaft als Ausgeburt von Unterdrückung, Langeweile und Neurose. Jüngere Generationen setzen wieder stärker auf die Familie – jedoch unter substanziell anderen Voraussetzungen (vgl. Abbildung 17). Familie 2.0 steht für eine neue Form des Zusammenlebens, das weit über die Gemeinschaft von Vater-Mutter-Kind hinausgeht. Moderne Familienkonzepte erfahren derzeit eine Renaissance, offenkundig ist dabei allerdings, dass das familiäre Zusammenleben ganz neue Formen annimmt, die einer traditionellbürgerlichen Vorstellung immer weniger ähneln. Durch die Individualisierungswünsche entwickelt sich Familie immer mehr zu einem netzwerkähnlichen Konstrukt (vgl. Abbildung 18). Familienfreundlichkeit wird neuerdings auch als KonsumentenTrend in der Automobilbranche identifiziert: Die Bedeutung des Aspekts eines Autos belegt die neueste Aral-Studie zum Thema “Trends beim Autokauf”. Vor zwei Jahren noch interessierten sich 30 Prozent mehr Frauen als Männer für die Familienfreundlichkeit eines Autos. Männer dagegen machten ihre Entscheidung stärker vom Image und Prestige einer Marke oder eines Fahrzeugs abhängig. Heute stufen beide Geschlechter dieses Thema als ähnlich wichtig ein und machen es zu einem wichtigen Kaufkriterium. Die hierbei führende Marke beider Geschlechter ist Volkswagen, die erhebliche Zuwächse verzeichnen kann und bei 18 Prozent der Frauen sowie 21 Prozent der Männer ganz oben auf der Wunschliste steht (vgl. Aral, Trends beim Autokauf 2007). Abbildung 18: Netzwerk-Familie – Hohe Komplexität, hohe Mobilitäts-Nachfrage Abbildung 17: Familienleben in Deutschland Unter 18-jährige Kinder nach Elternschaftsverhältnis in % Vater und Mutter, verheiratet 66% Vater und Mutter, nicht verheiratet Netzwerk-Familie 6% Mutter oder Vater ohne Partner im Haushalt 17% Mutter oder Vater, mit neuem Partner im Haushalt, verheiratet 8% Mutter oder Vater, mit neuem Partner im Haushalt, nicht verheiratet 1% Adoptiv-, Pflege-, Enkelkind 2% Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2006 Organigramm einer Netzwerk-Familie Tante/Onkel/ Geschwister/ Schwager/ Schwägerin Allein erziehende Väter/Mütter Großeltern Großeltern aus 1. Ehe Nachbarn Freunde ohne Kind Quelle: Zukunftsinstitut 23 Zukunft der Mobilität 2020 Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Flexiblere Mobilitäts-Konzepte sind gefragt. In dem Maße, wie sich Familie immer stärker zu einer multilokalen Netzwerk-Konstruktion verändert, ist Mobilität eine Kernanforderung für das Familienleben bis über das Jahr 2020 hinaus. nn Tatsächlich sollte über diesen Trend jedoch nicht nur im Sinne neuer Family-Van-Konzepte nachgedacht werden. Mobilität wird angesichts dieser flexibilisierten Familienund Lifestyle-Konzepte zu einer komplexeren Fragestellung. Zusätzliche Variablen kommen ins Spiel: Wie kann ich Zeit sparen beim Unterwegssein, hilft dabei überhaupt ein Auto allein oder muss ich über alternative MobilitätsKonzepte nachdenken, die helfen, Komplexität zu reduzieren. 4. Neo-Citys: Grüne Metropolen, Null-Emissions-Städte sind die Urbanitätsentwürfe der Zukunft. Fahrzeugkonzepte müssen darin eine neue Positionierung finden – nachhaltiger, smarter, näher an den Bedürfnissen des Einzelnen. Weltweit erhalten Initiativen wie das Global Ecovillage Network (www.ecovillage.org, www.gen-europe.org), das Ecocity Project (www.ecocityprojects.net) oder Cittaslow (www.cittaslow.net) immer größeren Zuspruch. Die Öko-Kampagne “Future London – Footprints of a Generation” fördert und fordert den Green Lifestyle in der Metropole. Neben ökologischen Fakten und mahnenden Szenarien zum umweltschonenden Verhalten weist ein “Ecological City Guide” den Londonern die Wege zu Läden mit ökologischen Lebensmitteln und Modelabels, Fair-TradeProdukten usw. Der gesundheitsbewusste und nachhaltigkeitsorientierte Lebensstil der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) ist längst dabei, sich auf die Entwicklung von Städten, Standorten und Regionen auszuwirken. Die ökologische Bauweise boomt. In vielen Ländern der Welt entstehen komplette Öko-, Solar- und Niedrigenergiesiedlungen. Mehr als 340 solcher “nachhaltigen” Siedlungen gibt es inzwischen in Europa, über 170 davon alleine in Deutschland. 24 Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Zu beantworten ist in den nächsten Jahren die Frage, wie Mobilität noch angesichts veränderter Anforderungen durch die CO2-Debatte funktionieren kann. Der Trend zu den Neo-Citys impliziert, dass über städtische MobilitätsKonzepte neu nachgedacht wird. In vielen Metropolen wird dies bereits durch die Einführung von Umweltzonen forciert. nn Mega-Citys müssen als ein Resultat des Wandels „von der Wohlstands- in die Wohlfühlgesellschaft“ interpretiert werden. Für die automobile Kultur hat diese Veränderung drastische Konsequenzen. Die Aufgabe wird hier für die OEM darin liegen, zusätzlich zum bisherigen Angebot alternative Mobilitätskonzepte anzubieten, die PKWMobilität in hohem Maße substituieren. 5. Greenomics: Der grüne Wandel unserer Konsumkultur Längst ist die LOHAS-Kultur zu einem Lifestyle avanciert, der die Kraft und Dynamik besitzt Branchen zu verändern. LOHAS, die pragmatischen und weltoffenen Ökos, geistern mittlerweile täglich durch die Medien. CO2-Debatte, Klimaveränderung, die Zukunft des Planeten, die Zukunft unserer Umwelt, alles das sind Themen, die mittelfristig ausnahmslos aktiv oder passiv jeden Autokäufer beschäftigen werden. Das Phänomen der LOHAS, des Lifestyle of Health and Sustainability, wurde vom Zukunftsinstitut im Jahr 2003 zur Beschreibung eines neuen Öko-Trends und Bewusstseinswandels in den westlichen Gesellschaften eingeführt. Der Begriff geht auf Forschungen des Natural Marketing Institutes in den USA zurück. Die LOHAS leben den Lebensstil des Sowohl-als-auch: Genuss UND Gesundheit sind wichtig, Verantwortung (für sich selbst, für die Umwelt, für die Mitwelt) UND Vergnügen erscheinen erstrebenswert. LOHAS sind keine isolierte Zielgruppe – sie verkörpern einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wertewandel, der schon jetzt rund ein Drittel der Menschen auf den Triade-Märkten erfasst hat und unter den Bedingungen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit bis 2020 noch stärker in den Vordergrund rücken wird (vgl. Abbildung 19 nächste Seite). Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 19: Was die LOHAS auszeichnet Was die LOHAS wollen und was sie ablehnen Qualität statt Discount Authentizität statt Spaßgesellschaft LOHAS Spiritualität statt Glauben Dabei setzt sich immer stärker die Einsicht durch, dass darin auch große Chancen liegen: Die High-Tech-Industrie profitiert bereits massiv vom grünen Wandel der Märkte, die Nachfrage nach erneuerbaren Energien und modernen Umwelttechnologien steigt. Das Konsumieren mit gutem Gewissen wird zum Wachstumsmotor – gerade auch auf den Mobilitäts-Märkten. Zahlreiche Beispiele zeigen auf, wie Nachhaltigkeit und der Konsumstil der LOHAS die Märkte bereits verändert hat: nn Klimaneutrales Leasing: Firma X-Leasing bietet CO2-neutrale Leasing-Verträge für Sportwagen wie den Porsche Cayenne an. Gegen Aufpreis, so das Versprechen von X-Leasing, wird das während der Vertragslaufzeit anfallende CO2 durch neu gepflanzte Bäume und Wälder kompensiert (www. co2-neutral-leasen.de). Dabei kooperiert X-Leasing mit dem Verein “PRIMAKLIMA-weltweit” dessen Angebote zertifiziert sind. Mit dem Angebot schafft X-Leasing die Möglichkeit, Autos weiterhin als Ausdrucksmittel für Individualität, Status und Lebensfreude zu nutzen, zugleich aber dem Ziel der CO2-Reduktion näher zu kommen. nn Food: In der Lebensmittelbranche und im Handel hat sich der LOHAS-Trend zuerst abgezeichnet. Whole Foods Market gehört in den USA zu den Pionieren, ebenso wie Alnatura und Basic in Deutschland. Die “Naturfabrik” eröffnet 2008 in Mannheim das erste Bio-Center Deutschlands. Das Großprojekt basiert auf vier Säulen: Bio-Supermarkt, Vollwert- oder Bio-Gastronomie, trendige Naturtextilien sowie umweltorientierte Dienstleister wie Alternativstrom-Anbieter, Öko-Bau, Partizipation statt Repräsentation Ankunft statt Steigerung Werte statt Ironie Quelle: Zukunftsinstitut 2007 Nachhaltigkeit: Ethik und Verantwortung avancieren bis 2020 zu einem zentralen Kaufargument Die Relevanz des Themas Nachhaltigkeit wächst stetig. Auf allen Ebenen werden die Ansprüche an Produkte vor diesem Hintergrund neu skaliert, ein Trend ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bundespräsident Horst Köhler weist auf dem ersten deutschen Verbrauchertrag 2007 in Anspielung auf die Nachhaltigkeitsbilanz darauf hin, dass jedes Produkt heutzutage ein “zweites Preisschild” trage. In den kommenden Jahren werden sich immer mehr Branchen und Unternehmen auf den wachsenden Nachhaltigkeitsanspruch der Menschen einstellen müssen, auch auf solchen Märkten, bei denen entsprechende Maßstäbe bislang kaum oder gar nicht angelegt wurden. “Machen Sie nachhaltiges Wirtschaften zur Chefsache! Die soziale Marktwirtschaft hat spätestens im 21. Jahrhundert eine ökologische Dimension. Werben Sie mit Ihrem Engagement! Schließen auch Sie sich dem Global Compact der Vereinten Nationen und der Privatwirtschaft an, der Mindeststandards für ein soziales und umweltgerechtes Wirtschaften festgelegt hat. Erkennen Sie die Chancen von Selbstverpflichtungen.” Bundespräsident Horst Köhler, 2007 Öko-Bank usw. (www.natur-fabrik.de). nn Mode: Die Zahl der Geschäfte, die fair und ökologisch hergestellte Kleidung ins Programm nehmen, wächst. Laut Organic Exchange lag der Einzelhandelsumsatz mit Produkten aus Bio-Baumwolle im Jahr 2006 bei rund einer Milliarde US$ und wird sich 2007 auf geschätzte 1,9 Milliarden US$ nahezu verdoppeln. Im Jahr 2008 wird der weltweite Umsatz mit Öko-Mode schätzungsweise 2,6 Milliarden US$ betragen. Mittelfristig wird der Anteil der Öko-Mode am Gesamtmarkt auf bis zu 10 Prozent wachsen. EthicalFashion wird immer beliebter. Die Zahl der Labels, die auf “Organic-Cotton” setzen, steigt permanent, weltweit sind es inzwischen weit über 1.200 Unternehmen. Ob Nike, Sam’s Club/Wal-Mart, Coop, C&A, Otto, American Apparel, H&M, 25 Zukunft der Mobilität 2020 IKEA, Marks & Spencer oder Woolworth – “öko” wird “chic”. Und natürlich hat mittlerweile fast jede große Jeans-Marke eine Organic-Cotton-Line. Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Die zukünftigen Mobilitäts-Konsumenten, vor allem jedoch die LOHAS-Konsumenten, fassen Auto-Mobilität nicht mehr als Privileg und Statussymbol auf. nn LOHAS sind, was die Alltagsbewältigung angeht, nachhaltige Pragmatiker: Mobilität von Zuhause zum Arbeitsplatz und zum Einkauf muss funktionieren und sollte im Idealfall zeiteffektiv sein. Mit anderen Worten: Mobilität muss sich eindeutig übergeordneten Bedürfnissen unterordnen: Eigenzeit, Bequemlichkeit, Erleben, Genuss. nn erster Gewinner auf den Pleasure-Markets. Während StatusLuxus-Marken von Rolls Royce über Jaguar bis Cadillac mit einschlägigen Problemen zu kämpfen haben, fokussiert der bayerische Autobauer den “New Luxury” Trend. Ausdruck dieser Fokussierung ist die Positionierung als “PremiumAnbieter individueller Mobilität”, neue Markenwerte und ein erlebnisorientiertes Markenleitbild “Freude am Fahren” (vgl. Abbildung 20). Abbildung 20: Die neue Erlebnisqualität der Pleasure-Markets Spaßgesellschaft der 90er Jahre Erlebnis Automobilität hat hier im Wortsinne „Vehikelfunktion“, sie ist eine Ermöglichungsdienstleistung – für die Erfüllung immaterieller Wünsche und Ziele. Je mehr sich eine Marke als Dienstleister des Glücks positionieren kann, umso stärker wird sie die glücksüchtigen Konsumenten von morgen anziehen. Autos verkörperten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumindest in den westlichen Kulturen wie kaum ein anderes Phänomen den Wunsch nach einem besseren Leben, Wohlstand und das Bedürfnis, sich von der Masse der anderen zu unterscheiden. Soziale Differenzierung und Unterscheidungsgewinne wurden gerne über den Kauf des richtigen Autos erzielt. Die Wahl des Autos zeugte bei den Deutschen für ein gewachsenes Bewusstsein für die kleinen Unterschiede – Auto-Mobilität war die Auffahrt zu Status-Luxus und Prestige-Denken. Aber es war auch schnell ein Zeichen für Spießigkeit und dem Verhaftet-Sein an materiellen Dingen. Anfang des 21. Jahrhunderts, als sich in den USA und in Europa die LOHAS-Bewegung formierte, geriet der Status-Luxus in eine Krise. BMW war ein 26 Zerstreuung rezeptiv, passiv Selbstbezug aktiv gestaltend Pleasure-Markets Erfahrung 6. New Luxury: Lebensqualität statt Status-Luxus Neuer Luxus heißt: Eigenzeit, Zeitsouveränität, etwas hochgradig Immaterielles also. Natürlich werden wir auch in Zukunft bei Luxus über das Schöne, Edle und Exklusive reden. Die Bedürfnisse der Konsumenten bewegen sich jedoch weg vom Prestige-Denken. Sinnersatz durch Attraktion Dauer, Kommunikation, Selbsterfahrung Quelle: Ernst & Young 2007 Insbesondere die Lifestyle-Avantgarde der LOHAS definiert Luxus auf der Grundlage neuer Prämissen. Insgesamt vier Punkte sind es, die dafür sprechen, dass wir vor einer grundlegend neuen Situation auf den Märkten des Genusses und des Luxus-Konsums stehen: nn Luxus (und der Kauf von Luxus-Produkten) wird, bedingt durch die Mega-Trends Gesundheit und Wellness, stärker denn je auf den individuellen Lebensentwurf, auf individuelle Befindlichkeiten und den eigenen Körper bezogen. Luxus koppelt sich tendenziell ab von sozialer Differenzierung, “Klassen-Denken” und Prestige. nn Luxus wird von den Menschen der Zukunft nicht mehr mit Prestige-Käufen und Status-Denken identifiziert, sondern mit immateriellen Werten wie Lebensqualität und individuellem Wohlergehen. Zukunft der Mobilität 2020 nn Genuss ist in den letzten Jahren zu einer demokratischen Leitvokabel aufgestiegen. Genießen und Wohlfühlen sind für viele Menschen wichtiger als Macht und Einfluss. nn Genuss verknüpft sich bei modernen Zielgruppen mit Begriffen wie Ethik, Authentizität und Gesundheit. Das verlangt nach neuen hybriden Produkt-Konzepten und Geschäftsideen. nn Puristische Design- und Ladenkonzepte boomen: Die japanisches Design-Kette Muji, die schlichtes Design in alle Welt exportiert, expandiert von Jahr zu Jahr und legt bei Umsatz und Gewinn kontinuierlich zu. nn Marken-Multis wie Procter & Gamble, Nestlé, Unilever oder Philips fahren heute “Strategies of Simplification” und reduzieren ihr Markenportfolio radikal – um weit mehr als die Hälfte. nn Auch die Forderung, dass aus High-Tech künftig High-Touch werden müsse, gehört zum Simplify-Trend. Technik wird erst dann zum geliebten Kultobjekt, wenn sie vom Nutzer nicht mehr als Technik wahrgenommen wird und ihr perfektes Funktionieren zusätzlichen Lebensgenuss liefert. Der iPod von Apple ist das bekannteste Beispiel, wie man aus HighTech ein Lifestyle Produkt geschaffen hat. Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Die Lust am Besonderen, am Exklusiven, am Überfluss und auch an der Verschwendung wird auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine tragende Rolle im Konsum spielen, und damit auch auf den Mobilitäts-Märkten von morgen. nn Neuer Luxus bedeutet allerdings bis 2020 vor allem, „Infrastrukturen des Genusses“ bereit zu stellen. Möglichst große Autonomie, Zeitsouveränität und Bewegungsfreiheit beschreibt den Luxus der Zukunft. Ohne Zweifel sind diese Bedürfnisse bereits im alten Bedürfnis nach grenzenloser (Auto-)Mobilität enthalten. In den nächsten Jahren wird es für die OEM darauf ankommen, diese Wunschwelten weiter in den Konsumenten anzusprechen – trotz Ressourcenengpass und Klimawandel. 7. Simplify. Reduce to the Max! Vereinfachung, Downshifting – das sind Trend-Begriffe, die den hochaktuellen Wunsch nach purem, einfachem Leben stimulieren. Komplexitätsreduktion und die Lust am Einfachen sind ein Konsumthema mit Zukunft. Die moderne Konsumgesellschaft hat ihr Versprechen des Güter-Reichtums zwar weitgehend eingelöst. Doch die vielen Güter sind nicht “umsonst”, wie immer mehr Menschen nun feststellen. Die materiellen Dinge treten in Konkurrenz zu den immateriellen Ressourcen, der materielle Besitz scheint zur Minderung der Lebensqualität zu werden. Gebrauchsanweisungen, die noch darauf warten, studiert zu werden; abonnierte Wochenzeitungen, die noch gelesen werden müssten; das neue Mobiltelefon, mit dessen vielen Funktionen man sich vertraut machen müsste; die Adressdatenbank, die auf dem neuen Computer neu geordnet werden müsste; der Haushalt, die Sportbetätigungen, die kulturelle Bildung, die Familie, die Arbeit: alles schreit nach Zeit, die nicht mehr vorhanden ist. Das erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle oftmals auf Simplizität beruhen, zeigen folgende Beispiele: Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn Simplifying als Konsum-Trend kommt über viele Ebenen auf die Autobauer zu: Im Design als Lifestyle-Statement gegen den Ausstattungs-Überfrachtung, in der Kommunikation mit dem Händler, in der Gestaltung von zusätzlichen Servicedienstleistungen. nn Simplifying wird bis 2020 und noch darüber hinaus ein zentrales Bedürfnis der Menschen des 21. Jahrhunderts aufgreifen: Die Entlastung von unnötigem Ballast und die Erlösung von Zeitverschwendung. nn Im Kontakt und für die Bedürfnisse des Kunden ist Einfachheit zukünftig das oberste Gebot auf allen Ebenen und an allen Schnittstellen. 8. Deep-Support: Die neue Unterstützungs-Ökonomie Das Ökonomiesegment Support stellt das Individuum in den Mittelpunkt. Für die Automobilisten wird dieser Konsum-Trend völlig neue Geschäftsfelder eröffnen. Service ist schon fast zu einer Floskel verkommen, in den seltensten Fällen ist sie ernst gemeint. Oftmals werden die Kunden im Problemfall mit dem Produkt alleine gelassen, Servicehotlines sind oft keine Hilfe und verderben im Gegenteil nachhaltig den Spaß und die Lust des Kunden am Produkt. Da die Komplexität des Alltags unaufhörlich zunimmt, wird es zukünftig darauf ankommen, dem Kunden ganzheitliche Angebote über den 27 Zukunft der Mobilität 2020 Produktlebenszyklus zu machen. Simplify ist eine wichtige Kompenente von zukunftsfähigen Konzepten, Deep-Support bezeichnet die geeignete und nicht minder wichtige Ergänzung. Konsumenten von morgen werden vor dem Hintergrund ihres komplexen Umfelds nicht nur nach aktivem Produktsupport verlangen, zusätzlich werden alle Service und Dienstleistungen hochwillkommen sein, die eine einfache Vernetzung zu anderen Produkten oder nahtlose Einbettung in den Lebensalltag ermöglichen. In Zukunft werden die Marken zu den Gewinnern gehören, die ein tiefes Verständnis davon entwickeln, welches die Bedürfnisse der unterschiedlichen Kundengruppen sind, aber auch was die großen Lebensknappheiten sind (vgl. Abbildung 21). Abbildung 21: Zeitmanagement und Alltags-Outsourcing Support in allen Lebenslagen Rechnungen Versicherungen Darlehen Investments Mieten Agentur für Finanz-Dienstleistungen Agentur für Gesundheit und Fitness Steuer Medical Care Gesundheitsnahrung Anti-Aging Personal Fitness ihrer Kunden: Mobilität, Finanzen, Bildung, Gesundheit. Sie nehmen den Kunden nicht nur Recherchearbeit ab, sondern “lotsen” sie durch Kaufentscheidungen, Serviceprobleme und Gesundheitsprozesse. Kunden dieser “Meta-Dienstleistungen” werden zunächst in erster Linie wohlhabende Haushalte und Familien sein, in denen beide Partner arbeiten. Durch die Möglichkeiten des Internets kann dieser Ansatz aber mehr und mehr auch auf ganz normale Mittelstandshaushalte transferiert werden. Der dargestellte Ansatz von Zuboff repräsentiert die nächste Stufe der Service-Kultur, in der Zeit und Aufmerksamkeit die begrenzten Ressourcen sind – und mehr und mehr Menschen bereit sind, für mehr Zeitsouveränität auch zu bezahlen. Innovative Unternehmen setzen den Deep-Support-Trend schon heute erfolgreich um. So macht Lufthansa beispielsweise seinen Firstclass- und Vielfliegerkunden das Leben richtig angenehm. Persönliche Assistenten helfen einem ganz individuell beim Einchecken, man kann in separaten Tagesbetten ausruhen oder ein Bad nehmen, in Büroräumen arbeiten, und Lufthansa-Chauffeure bringen einen dann schließlich mit dem im Oberklassefahrzeug zum Flieger (vgl. Abbildung 22). Abbildung 22: Service-Zukunft bedeutet: Fundamental neues Zeitverständnis, neues Zeitempfinden Industrie-Ära Service-Ära Kundenwünsche Kinder als Alltagskulisse Bewusster Time-Slot für die Kinder Mehr Zeit schaffen, höhere Beziehungsqualität Beziehung Teil des Alltags, der bewältigt werden muss Bewusster Time-Slot für den Partner Höhere Beziehungsqualität Arbeit Exklusive Sphäre des Mannes Dominiert Leben und Alltag von Frau und Mann AlltagsOutsourcing Konsum Beseitigung von Mangel Lifestyle und Erlebnis Neue individuelle Produkte mehr Lebensqualität Haushalt Exklusive Sphäre der (Haus-)Frau Verhandlungsbasis und Konfliktfeld zwischen Frau und Mann AlltagsOutsourcing Haushaltsleistungen Kindererziehung Pflege Karriere-Coaching Agentur für Work-LifeBalance Transport Agentur für Mobilität Reisen Familie Umzüge Weiterbildung Quelle: Shoshana Zuboff, James Maxmin: The Support Economy, 2002 Luxus in Zukunft ist vor allem “Aufmerksamkeits-Luxus”. Wir suchen nach Helfern, nach “Agenten”, die uns helfen, die Komplexität des Alltagslebens zu managen. Aber auch nach guten Freunden, die uns verlässliche Tipps in Lebensfragen geben. Welche Schulen sind für unsere Kinder die Besseren? Wie sollen wir mit einer bestimmten chronischen Krankheit umgehen? Die amerikanische Management-Beraterin Shoshana Zuboff hat daraus das “Deep-Support”-Konzept entwickelt. In diesem Konzept entstehen in Zukunft so genannte “Föderationen”. Diese Föderationen kümmern sich um “Aufmerksamkeitsbündel” 28 Quelle: Zukunftsinstitut 2006 Zukunft der Mobilität 2020 nn nn nn nn Auto-Mobilität wird vom Kunden der Zukunft mehr als Dienstleistung wahrgenommen denn als glamouröse Produktwelt. Deep-Support bedeutet: dem Kunden über den Produktsupport hinaus ein nachhaltiges und passgenaues Angebot für seine Mobilitäts-Bedürfnisse zu bieten, ihm Unterwegssein noch bequemer und selbstverständlicher zu machen. Dazu gehört auch, dass die Hersteller nicht nur Fahrzeuge verkaufen, sondern vielmehr „Ankommensgarantien“ geben. Hersteller werden sich in Zukunft auch als „Serviceagentur für individuelles Mobilitäts-Management“ positionieren und zusätzlichen Mehrwert schaffen durch zusätzliche Assistenz, z. B. hinsichtlich der Planung von Mobilität oder Auslandsreise-Beratung für Familien. Der Konsum-Trend Deep-Support steht vor einer großen Karriere, zunächst auf den Triade Märkten, bis 2020 aber auch auf anderen regionalen Märkten. Deep-Support zwingt die OEM dazu, eine Zukunft zu fokussieren, in der der Kunde zum Mobilitäts-Konsumenten wird und in der die Marke und deren Händler zum Lebensbegleiter werden. 9. Cheap-Chic: Preis UND Premium Der Preis-Trend bleibt uns auch in den nächsten Jahren erhalten. Allerdings ist “Geiz nicht mehr geil”, was die Konsumenten von morgen fordern ist Premium und Preis, es muss nicht nur “cheap”, sondern auch “chic” sein. Was dabei als neuer KonsumTrend entsteht, ist eine “Renaissance der Mitte” – smarter, näher am Kunden, phantasievoller als die graue Mitte der 90er Jahre. Nachdem 2007 für die Automobilindustrie ein erfolgreiches Jahr gewesen ist, war 2008 durch massive Absatzeinbrüche gekennzeichnet und 2009 wird für einige OEM und Zulieferer zur Nagelprobe werden. Der Markt ist durch massive Überkapazitäten geprägt, die OEM reagieren mit Rabattschlachten und sind gezwungen ihre eigenen Gewinne zu vereiteln (vgl. Abbildung 23). Auch in den nächsten Jahren werden die Autokäufer weiter ihre Rabatte einfordern – nachdem teilweise aberwitzige Rabatte beim Autokauf schon zur Selbstverständlichkeit geworden sind, Abbildung 23: Die Schnäppchenmentalität ist ungebrochen Die durchschnittlichen Rabatte 2007 und 2008 in Prozent 18 16 14 12 10 M är z 07 A pr il 07 M ai 07 Ju ni 07 Ju li 07 A ug .0 7 Se pt .0 7 O kt .0 7 N ov .0 7 D ez .0 7 Ja n. 08 Fe b. 08 M är z 08 Konsequenzen für die Automobilindustrie: Quelle: Center for Automotive Research; Horizont 14/2008 fordert der Kunde jetzt eine Aufwertung von niederpreisigen Produkten durch Premium-Leistungen, Premium-Design und Premium-Komponenten. Sie fordern Cheap-Chic, Premium und Preis. In anderen Branchen hat der Trend längst Einzug gehalten. Die verlässliche Größe “Konsument” hat begonnen, sich einer eindimensional-marktforscherischen Klassifizierung zu entziehen. Denn es gibt ihn schlichtweg nicht mehr: den Konsumenten, der Luxus- oder Discountwaren, online oder stationär, Marken oder No-Names einkauft. Stattdessen beginnt ein Empowerment des Verbrauchers, der sich durch Individualisierung, Globalisierung und Internetrecherche zum neuen Kunden-Souverän entwickelt. Entweder-oder ist für ihn nicht länger aktuell. Menschen konsumieren ambivalent und hybride: Heute Aldi, morgen Feinkost (vgl. Abbildung 24 nächste Seite). Mitte 2007 erklärte die Metro-Group die “Geiz ist geil” Ära für beendet. Die Zeiten der Riesenrabatte sind in anderen Branchen bereits vorbei. In der Lebensmittelbranche mit den in den vergangenen Jahren dynamisch gewachsenen Discount-Marken Aldi und Lidl geht nicht mehr alles über den Preis. Auch in der Automobilindustrie setzt sich der Cheap-ChicTrend langsam durch. Immer häufiger überraschen Hersteller mit smarten Kleinwagen, die auch mit schickem Design und intelligenter Ausstattung punkten. Citroen C1, Ford KA, Lancia 29 Zukunft der Mobilität 2020 Trends und Mega-Trends – die zentralen branchenspezifischen Learnings: Wie sich anhand Trends und Mega-Trends die zukünftigen Konsumbedürfnisse der Menschen beschreiben lassen Abbildung 24: Auf dem Weg in die Neue Mitte nn Automotive findet bis 2020 die folgende zentrale Herausforderung vor: Kundenseitiger Mobilitäts-Wunsch und Mobilitätsnotwendigkeit im Beruf (Stichwort Globalisierung) führen zu dem Paradox, dass der Mobilitäts-Bedarf noch weiter steigen wird (Mega-Trend Mobilität), während einer schrankenlosen (und preisgünstigen) Mobilität durch die Debatte um den Klimawandel (Mega-Trend Neo-Ökologie) klare Grenzen gesetzt werden. nn Die von uns analysierten Trends und Mega-Trends zeigen aber auch, dass sich Konsum und Konsum von Mobilität in den nächsten Jahren noch mit einer Vielzahl anderer Bedürfnisse von Kundenseite auseinandersetzen muss: Jeder der von uns entwickelten (Mega-)Trends führt deshalb zu jeweils neuen Bedürfniskonstellationen und Kundenwünschen, die künftig mit Vorrang angesprochen werden sollten. Starflyer Luxusmarkt Muji Design-LowBudget-Hotels Die Neue Mitte Doc Morris H&M + Designer Discountmarkt Conbinis Quelle: Zukunftsinstitut, 2006 Ypsilon, Opel Corsa sind Beispiele, wie Cheap-Chic in einem lange Zeit “designfernen” Segment funktionieren kann. Nicht zuletzt zeigt der Erfolg von Retromodellen alter erfolgreicher Kleinwagen wie dem Mini oder Fiat 500, dass es neue Kombinationen und Auswege aus der Markt-Spreizung zwischen Premium und Discount gibt. Konsequenzen für die Automobilindustrie: nn „Preis und Premium“ klingt nach Quadratur des Kreises. Angesichts der Marktsituation ist davon auszugehen, dass schon in den nächsten fünf Jahren und auf nahezu allen Märkten der Cheap-Chic-Trend an Bedeutung hinzugewinnen wird. Wenn Mobilität bis 2020 für viele zum Luxusgut avanciert, wird der Wunsch nach Cheap-Chic die Kaufentscheidungen vieler Menschen beeinflussen. nn Cheap-Chic stellt maximale Anforderungen an die Hersteller. Gerade in den Emerging Markets ist indes auch davon auszugehen, dass PKW-Innovationen, die Cheap-Chic folgen, vor allem die neu entstehenden globalen Mittelschichten erreichen werden. Dort wird es bis 2020 Millionen neue Weltbürger geben, die ihren beginnenden sozialen Wohlstand in günstigen, aber ästhetisch ansprechenden Fahrzeugen repräsentiert sehen wollen. 30 Zukunft der Mobilität 2020 4. Mobilitätstypen 2020 Mit Hilfe der Konsumenten-Trends und Mega-Trends wurden die wichtigsten Zukunftsbedarfe beschrieben, welche die Konsumenten in den nächsten Jahren bis 2020 artikulieren werden. Trends wie Multigrafie, Individualisierung, Cheap-Chic oder Neuer Luxus zeigen auch sehr anschaulich, dass wir das Zeitalter der nachfragegetriebenen Massenmärkte hinter uns gelassen haben. Klassische Marktforschung, aber auch die Milieu-Ansätze (Sinus, Sigma) beharren darauf, dass sich Zielgruppen und Konsumentenbedürfnisse eindimensional und gegenwartsverhaftet bestimmen lassen. Tatsächlich müssen Zielgruppen und Konsumenten von morgen aber situativer, individueller und zukunftsoffener gedacht werden. Es kann nicht mehr von starren und tendenziell unumkehrbaren Lebensentwürfen ausgegangen werden. Die Gesellschafts- und Konsumenten-Trends haben auch gezeigt, dass Bedürfnisse und Konsumentscheidungen nicht mehr grundsätzlich nach festgelegten, generalisierbaren und zeitlich unabhängigen Mustern entstehen. Aus diesem Grund haben wir im Folgenden die zukünftigen Anforderungen der Kunden, die sich aus den genannten Trends entwickeln werden, in sogenannten “MobilitätsTypen” zusammengefasst und beschrieben. Diese neuartige Kundengruppierung der “Mobilitäts-Typen 2020” bildet damit eine neuartige Möglichkeit der Kundensegmentierung, die über die heutigen Milieu-Modelle (Sinus, Sigma) hinaus gültig sein wird und ein noch besseres Verständnis für zukünftige Kundengruppen liefert. Generell muss dabei in zwei grundsätzlich unterschiedliche Gruppen von Mobilitäts-Typen unterschieden werden, der Mobilitäts-Typen für die Triade-Märkte (USA, Europa und Japan) und der Mobilitäts-Typen der dynamisch und rasant wachsenden BRIC-Märkte (vgl. Abbildung 25). 4.1 Mobilitäts-Typen auf den Triade-Märkten 2020 4.1.1 Greenovator – Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) verändert den Mobilitäts-Konsum Kurzbeschreibung: nn Mobilitäts-Konsum wird bei den Greenovators unmittelbar mit Lebensqualität, Ressourcenschonung und Umweltschutz verknüpft. nn Greenovators sind der Kern einer neuen Mobilitäts-Avantgarde, für die Nachhaltigkeit von Produkten zum PrestigeFaktor und entscheidenden Kaufargument wird. ok Abbildung 25: Mobilitäts-Typen in den Triade-Märkten 1. Greenovator Mobilität wird sehr eng mit Ressourcenschonung und Umweltschutz verknüpft. Sie sind über die Konsequenzen, Kosten etc. von Mobilität bestens informiert und suchen nach innovativen Lösungen 2. Family Cruiser Familien werden immer fragmentierter, das führt zu einem wachsenden Mobilitäts-Grad. Moderne familiäre Lebensmuster zeichnen sich durch einen deutlich wachsenden Mobilitäts-Aufwand aus 3. Silver Driver Sie konsumieren gern, sind mobil, vielseitig interessiert und sehr aktiv in ihrem Freizeitleben. Hohe Ausgabenbereitschaft, moderne Konsumgewohnheiten, Sinn für Lebensqualität und Genuss 4. High-frequency Commuter Hochgradig mobile Menschen, deren Mobilitäts-Nachfrage sich mehrheitlich auf den Regionalbereich bezieht. Agglomerationspendler, die in erster Linie in Ballungsräumen flexibel und mobil sein müssen 5. Global Jet Setter Menschen die sich täglich/wöchentlich/regelmäßig zwischen und in den Global Cities bewegen. Der Wertewandel ist unübersehbar: gezielte Suche nach Exklusivität im Premium-Segment 6. Sensation Seeker Mobilität wird stark mit Attributen wie Freiheit, Fun und Lifestyle besetzt, Mobilität ist weiterhin mit Status und Prestige verbunden. "Freude am Fahren" wird ein Element modernen Lifestyles bleiben 7. Low End User Diese Gruppe ist auf Mobilität angewiesen und wird den damit verbundenen Aufwand tendenziell downgraden. Suchen nach den preisgünstigsten Angeboten, welche notwendige Mobilität sicherzustellen Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 31 Zukunft der Mobilität 2020 nn Die Greenovators reflektieren die negativen Folgen von Mobilität und sind bereit, ihren Mobilitäts-Grad zu reduzieren. nn Mobilität wird von den Greenovators ökologisch inszeniert: Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeitsorientierung im Mobilitäts-Konsum sind wichtige Signaturen ihres Lebensstils. nn Greenovators suchen nach umwelt- und sozialverträglichen, “gesunden” Alternativen und ganzheitlich ökologischen Mobilitäts-Konzepten. Greenovators: Lebensqualität plus Umweltschutz Nach Schätzungen des Zukunftsinstituts werden 2020 in Nordamerika, Westeuropa und Japan über 30 Prozent der Bevölkerung diesem Mobilitäts-Typ zuzuordnen sein. Sie wollen auf die angenehmen Dinge des Lebens nicht verzichten – das gilt auch für ihre Mobilität. Wie kaum eine andere Zielgruppe sind Greenovators über die Konsequenzen von Mobilität informiert und sorgen sich um die weltweiten Folgen steigender Mobilität. Greenovators ziehen hieraus jedoch nicht den Schluss, dass wir vor einer unabwendbaren Klimakatastrophe stehen, sondern sie suchen nach zukunftsfähigen Lösungen, um den negativen Auswirkungen entgegenzuwirken. Greenovators werden zweifellos zur Vorhut derer gehören, die in den nächsten Jahren die neuen “grünen” Autos kaufen (vgl. Abbildung 26): Bei den Greenovators handelt es sich keineswegs um eine gesellschaftliche Randerscheinung ideologieverbrämter Ökos, denen es um Konsumverzicht und Absage an die Gesellschaft geht. Greenovators sind ein Mobilitäts-Typus, der sich unmittelbar aus dem Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) entwickelt. Dieser grüne Lebensstil zieht einen weitreichenden Wandel der gesamten Konsumkultur und eben auch des Mobilitäts-Verhaltens nach sich. Die Ansprüche und Bedürfnisse nach Gesundheit, Genuss, Lebensqualität, Ökologie und Nachhaltigkeit, die den Lifestyle of Health and Sustainability kennzeichnen, werden künftig auch die Automobilbranche vor neue Herausforderungen stellen. Abbildung 26: Hohe Kaufbereitschaft für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben Umsatzwachstum für Umwelttechnologien in Deutschland in Prozent Kaufwahrscheinlichkeit Elektroauto: ganz bestimmt, sehr/eher wahrscheinlich 80 Kaufwahrscheinlichkeit Hybridfahrzeug: ganz bestimmt, sehr/eher wahrscheinlich 73 70 60 50 40 54 54 46 46 47 44 47 43 40 36 29 30 27 37 29 30 26 28 20 10 0 Gesamt Quelle: BMU, 2007 32 China Frankreich Schweiz Österreich Deutschland Japan Großbritannien USA Zukunft der Mobilität 2020 Vereinen, was bislang als unvereinbar galt – Greenovators sind pragmatische Idealisten Greenovators bringen traditionelle Widersprüche in Einklang: Selbstverwirklichung und Gemeinsinn, Gesundheit und Genuss, Spaß am Leben und finanzielle Unabhängigkeit, naturnahes Wohnen und urbaner Lebensstil, Freude am Fahren und saubere Öko-Bilanz, ästhetisch wertvolles und umweltfreundliches Design etc. Die Greenovators sind immer auf der Suche nach gesunden, sozial- und umweltverträglichen Lösungen, die ihrem Wunsch nach mehr Lebensqualität entsprechen. Doch Lebensqualität wird von ihnen vor allem mit einer intakten Umwelt in Verbindung gebracht. An diesem Anspruch müssen sich auch künftige Mobilitäts- und Verkehrslösungen messen lassen. Greenovators favorisieren Fahrzeuge mit alternativen Antrieben und fliegen klimaneutral. Sie organisieren Fahrgemeinschaften, ohne dabei auf allzu viel Individualität zu verzichten. Greenovators leben am liebsten in grüner Idylle, ohne auf die Vorzüge des Urbanen zu verzichten. Sie entscheiden sich gezielt für Wohnund Arbeitsorte, die ihrem Anspruch nach einem gesunden und nachhaltigen Leben entsprechen. Im Mobilitäts-Mix der Greenovators wird sich der Modalsplit sehr deutlich zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel verschieben, aber auch die verstärkte Nutzung von Fahrrädern und Car-Sharing ist für sie eine Mobilitäts-Option. “Es wird global eine Renaissance des öffentlichen Nahverkehrs geben. Wir haben einen ganz starken Trend zu körperlichen Bewegungsformen, wir werden mehr laufen und fahrradfahren, gerade in den urbanen Gebieten Europas. Wir werden in den Innenstädten eher auf Autos verzichten und/oder im Nahbereich wird ein neuer Fahrzeugtyp entstehen: Die Plug-In-Hybrids oder Elektroautos. Da wird es eine Spaltung im Fahrverhalten geben: Entweder ein Langstreckenauto oder ein ökologisches Kurzstreckenauto oder man hat eben beides.” Matthias Horx Insbesondere die professionelle Weiterentwicklung des Car-Sharing hat große Erfolgschancen bei den Greenovators, prognostizieren Experten, wie Prof. Dr. Andreas Knie, MobilitätsExperte vom Wissenschaftszentrum in Berlin: “Wir beobachten in den USA einen massiv boomenden Car-Sharing Markt. Dort wird der Club-Gedanke des Car-Sharing, der sich in Deutschland bisher kaum durchgesetzt hat, immer populärer. In den USA sind junge Menschen inzwischen sehr besorgt um die Umwelt und das verändert ihr Mobilitäts-Verhalten. Das Car-Sharing hat sich dort rasant entwickelt. In diesem “Nutzen statt Besitzen”-Markt werden wir aber auch in Deutschland und Europa insgesamt eine deutliche Wachstumsentwicklung erleben.” Prof. Dr. Andreas Knie Zwischen Pragmatismus und Green Glamour: Öko wird chic Im Mobilitäts-Typ der Greenovators ist Auto-Mobilität an sich längst kein Statusmerkmal mehr. Das bedeutet aber auch, dass Mobilität hier stärker als bei anderen Mobilitäts-Typen mit anderen Konsumbereichen konkurriert, etwa Gesundheit, Ernährung, Bildung und Kultur. Nicht erst, wenn die Kosten steigen sind Greenovators bereit, die Zahl der Wege und den Mobilitäts-Grad zu reduzieren. Vor allem wenn der MobilitätsAufwand zu Lasten der Lebensqualität geht, hinterfragen sie ihr Mobilitäts-Management und verzichten eher auf die Nutzung des Autos zugunsten des “Langsamverkehrs” oder stressfreier Fortbewegungsformen. Denn wirklich genießen bedeutet: Langsamkeit entdecken, weniger mobil sein. Für die Greenovators kommt es künftig nicht mehr darauf an, dass man überall hinfahren kann, sondern ob es sich lohnt, dort anzukommen. Zugleich übernehmen viele Greenovators eine klare Vorausdenker/ Vorreiter-Funktion auf den Mobilitäts-Märkten. Ökologisch korrekt zu handeln, wird in Zukunft Teil eines globalen Nachhaltigkeits-Trends. Noch einmal Andreas Knie: 33 Zukunft der Mobilität 2020 “Man sollte den Prius nicht überschätzen, aber man sieht an seinem Erfolg, dass es einen enormen Bedarf gibt, sich in seinem Mobilitäts-Verhalten umweltgerecht zu inszenieren.” Prof. Dr. Andreas Knie Mobilität wird also ökologisch inszeniert. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeitsorientierung werden auch zum Lifestyle und gerade im Mobilitäts-Konsum. Der ökosoziale Mehrwert wird zum Prestige-Faktor und Kaufargument Mit der Diskussion über die Klimaerwärmung rücken Energieeffizienz, Verbrauchsreduzierung, CO2-Bilanz zunehmend in den Relevanzbereich der umweltbewussten MobilitätsKonsumenten. Dass alternative Antriebe in der Gunst der Greenovators ganz weit oben rangieren, resultiert vor allem aus ihrem sauberen Image. Was zählt, sind das gute Gewissen und Verantwortungsbewusstsein: Greenovators kaufen Fahrzeuge mit alternativer Antriebstechnologie nicht vorrangig aufgrund gestiegener Kraftstoffpreise. Für sie ist die Schonung der Umwelt der wichtigste Anschaffungsgrund. Der sozioökologische Mehrwert von Produkten und Services bekommt als Kaufargument in Zukunft immer größere Bedeutung. So werden alternative Antriebe zur Verbrauchsreduzierung selbst für Premium-Kunden interessant, die üblicherweise nicht so sehr auf den Geldbeutel achten müssen. Und zugleich sind es die Greenovators, die mit ihrem Konsumverhalten dafür sorgen, dass künftig auch kleine, unscheinbar aussehende, aber umweltfreundliche Fahrzeuge einen immer höheren PrestigeWert bekommen. Konsumieren mit gutem Gewissen: Mehrkosten werden akzeptiert Entscheidend ist, dass diese Zielgruppe künftig immer stärker bereit sein wird, für Produkte mit einer sauberen Ökobilanz mehr zu zahlen. Dazu zählen auch umweltfreundliche MobilitätsLösungen, wie Mobilitäts-Experte Knie erläutert: 34 “Es gibt mittlerweile einen wachsenden Anteil entsprechend sensibilisierter Konsumenten und eine größere Menge an Menschen, die bereit ist, etwas mehr Geld für umweltfreundliche, nachhaltige Produkte auszugeben. Obwohl die Kaufkraft generell eher sinken wird, gibt es ausgewiesene und relevante Segmente, die, um ein besonders umweltfreundliches Auto zu haben, auch das entsprechende Geld ausgeben.” Prof. Dr. Andreas Knie Die Ansprüche, die Greenovators an Mobilitäts-Produkte und -services stellen, werden damit komplexer. Greenovators wollen ganzheitliche ökologische Mobilitäts-Konzepte, die auf das persönliche Wohlbefinden und das Wohl der Gesellschaft ausgerichtet sind. 4.1.2 Family Cruiser: Die neue Vielfalt der Gemeinschafts-Mobilität Kurzbeschreibung nn Veränderte Familienwelten prägen diesen Mobilitäts-Typ: Patchwork-Familien, neue familiäre Netzwerke und dezentralisierte Familienmodelle sind der soziodemografische Hintergrund der Family Cruiser. nn Der Trend Familie 2.0 rückt individualisierte Mobilität mehr denn je in den Mittelpunkt, Mobilität ist nicht mehr das Privileg des Familienernährers, sondern aller Familienmitglieder. nn Mobilität ist gleichbedeutend mit der Aufrechterhaltung enger persönlicher Beziehungen; für viele Family Cruiser ist Mobilität daher ein hoher Wert und bedeutet nichts Geringeres als mit den wichtigsten Bezugspersonen in Kontakt zu sein. nn Family Cruiser praktizieren vermehrt “interfamiliäres Car-Sharing”, die pragmatische Nutzung des Autos hat den Charakter des Staffelstabs. nn Family Cruiser tendieren künftig zu noch stärkerer Modularität in der Fahrzeugnutzung. Zukunft der Mobilität 2020 Familienleben vollzieht sich immer fragmentarischer und findet unter Zeitnot statt. Gerade moderne Lebensstile zeichnen sich künftig durch einen deutlich wachsenden Mobilitäts-Aufwand aus. Family Cruiser organisieren Freizeit und Familie in einer Art, die an die Logistik eines Paketdienstes und touristische Animation zugleich erinnert – ständig werden wir zu einem Erlebnis “transportiert”. Die Neudefinition des Familienbegriffs als “Netzwerk von Vielen” zieht auch neue Mobilitäts-Anforderungen, Verkehrsmittelnutzung und Fahrzeugfunktionen nach sich. Das Ende der ottonormalen Familien-Idylle im Grünen Family Cruiser werden es den Fahrzeugherstellern künftig nicht einfach machen, denn sie sind anspruchsvoll und fordern neue Lösungen für neue Bedürfnisse. Diese entstehen auf der Grundlage ihres urban orientierten Lifestyles, der hohe Beweglichkeit erfordert. Vor allem die jungen Starter-Familien entscheiden sich dafür, mit ihren Kindern in den urbanen Zentren zu wohnen. Family Cruiser möchten auch nach der Familiengründung nicht auf ihr lieb gewordenes Großstadtleben verzichten. Mobilität bedeutet für sie deshalb auch immer stärker: Eine Gegenwelt, Kontrasterfahrungen machen, raus ins Grüne, Freiheit, Freizeit, frische Luft. Bedürfnisse, die auch in Zukunft besonders gut mit dem Auto zu befriedigen sein werden. Zweifellos wird es auch weiterhin Familien geben, die bewusst aufs das Land ziehen. Dass aber im ländlichen Raum selbst die Erfüllung einfachster Bedürfnisse wie Einkaufen oder die Kinder in die Schule zu bringen tagtäglich mit langen Wegen, hohen Kosten und negativer Ökobilanz verbunden ist, schreckt viele ab. Familienmobilität wird künftig einem strengen Zeit- und KostenNutzen-Kalkül unterworfen werden: Mobilität muss reibungslos funktionieren, darf keine wertvolle Familienzeit verschlingen und soll Ressourcen schonen – so die Ansprüche der Family Cruiser. Die schrumpfenden Kernfamilien entwickeln sich zu größeren, netzwerkartigen Gebilden. Netzwerkfamilien sind neue, komplexe soziale Funktionssysteme, die dezentral über eine Vielfalt von Orten organisiert sind, wobei mitunter erhebliche Distanzen überwunden werden müssen. Ihr Zusammenschluss beruht auf freier Wahl und weniger auf Verwandtschaftsgraden, so dass auch Ex-Partner und nichtverwandte Freunde und Bekannte Teil der Familie werden. Mit dieser markanten Ausweitung familiärer Strukturen erweitert sich auch der Mobilitäts-Ggrad vieler Familien. Zeichneten sich Familienbanden früher durch zeitliche und räumliche Koinzidenz aus, werden sie in Zukunft stärker räumlich auseinander driften. Das verleiht der Mobilität zur Aufrechterhaltung von Beziehungen einen besonderen Wert, die auch durch zunehmende Online-Kommunikation nicht adäquat ersetzt werden kann. Hinzu kommt: Jedes Familienmitglied trifft immer häufiger individuelle Lebens- und Konsumentscheidungen, was die Alltagskomplexität zunehmend erhöht. Die 10-jährige Tochter darf sich einen Traum erfüllen und privaten Gesangsunterricht nehmen, der allerdings dreimal pro Woche im Nachbarort stattfindet, die Mutter hat Segeln als ihr neues Hobby entdeckt usw. Family-Cruising 2020, das heißt erweiterte Mobilität, und diese Familienmobilität wird zudem intensiv mobile Kommunikationsdienste nachfragen, so auch die Einschätzung von Dr. Christine Zach, Geschäftsführerin der Akademie des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touringclubs (ÖAMTC): “Fahrzeuge müssen vermehrt kluge Kommunikationsund Informationsfeatures beinhalten, die beispielsweise die gesamten Mobiltelefonfunktionen auf einem brauchbaren Display darstellen und steuerbar machen. Idealerweise sollte das Auto den Parkplatz selbst finden und so zu einem flexiblen und funktionalen Gerät für urbane Gebiete werden.” Dr. Christine Zach Männliche Family Cruiser: Von Macho-Vätern zu mobilen Everyday-Managern Die patriarchale, bürgerliche Kleinfamilie stand in den meisten westlichen Gesellschaften bis in die 80er Jahre für einen zentralen Lebens- und Mobilitäts-Entwurf. Auch die PatchworkFamilien, die sich in den 80er und 90er Jahren verstärkt heraus bildeten, waren noch durch klassisch bürgerliche Werte geprägt (Familienernährer, Hausfrauenrolle, Alleinverdienermodell). In den neuen Familiennetzwerken werden Männer ihre Rolle als Brotverdiener künftig Stück für Stück aufgeben und einen stärker aktiven, partnerschaftlichen und fürsorglichen Part im 35 Zukunft der Mobilität 2020 Familienleben übernehmen. Das sich wandelnde Rollenverständnis hat die Gestaltung der Fahrzeug-Typen bereits verändert und wird dies auch weiterhin tun. Die klassischen Rollenverteilungen und Abhängigkeiten, die in traditionellen Familienstrukturen herrschten – der Mann als Familien-Versorger besaß die uneingeschränkte Hoheit über das Auto – lösten sich bereits Ende der 80er Jahre zugunsten gleichberechtigter und liberaler Lebensformen auf. Die Family Cruiser treiben diesen “automobilen Wertewandel” weiter voran. Interfamiliäres Car-Sharing: Das Auto als Staffelstab Dass das Eigentumsverhalten gegenüber dem Auto langsam, aber sicher zurückgeht, ist ein langfristig zu beobachtender Trend – abzulesen etwa am zunehmenden Leasing und CarSharing. Das setzt sich weiter fort und wir werden künftig auch sehr viel mehr “interfamiliäres Car-Sharing” erleben als heute. Für die Family Cruiser ist das Fahrzeug ein familiärer Staffelstab, der je nach Tageszeit und Wochentag immer wieder von anderen Personen des Familiennetzes übernommen wird. Neben der “Kernfamilie” und ihrer volljährigen Kinder, sind es insbesondere Eltern, Geschwister und Freunde bzw. temporäre Erziehungspersonen (Tagesmütter etc.), die an der gemeinsamen Mobilität partizipieren. Die Netzwerkstruktur erlaubt es den Family Cruisern, noch stärker nach ihren individuellen Bedürfnissen zu handeln und ein mobiles Leben außerhalb familiärer Anforderungen zu realisieren. Die Family Cruiser und ihr Netzwerk stellen damit vielfältige und hohe Ansprüche an Support-Funktionen von Fahrzeugen und Mobilitäts-Dienstleistern: Vom Fahrradtransport über die unkomplizierte Nutzung durch Dritte bis hin zum Hol- und Bringservice für die Kinder. Um die zahlreichen Bedürfnisse der Family Cruiser zu befriedigen, wird es künftig statt eines SUV oder Familienbusses eine hohe Nachfrage nach multifunktionalen und modularen Fahrzeugmodellen geben. Family-Cruising avanciert deshalb zu einem “Markt im Markt” – mit einer hohen Nachfrage nach vielfältigen MobilitätsLösungen: 36 “Die Menschen werden sagen: Für die Stadt habe ich hauptsächlich diesen Bedarf, das Fahrzeug kaufe ich mir. Für Überlandreisen, Familienurlaube oder den Cabrio-Fun am Wochenende wünsche ich mir einen Zugang zu den entsprechenden Fahrzeugen – da muss nicht immer alles im eigenen Besitz sein.” Dr. Christine Zach Family Cruising 2020: Elternmodule, Kindermodule und Einkaufsmodule Auch 2020 werden Familien nur selten mit einem Auto auskommen, geschweige denn vollständig aufs Auto verzichten können. Statt großräumiger Familienfahrzeuge setzen viele Family Cruiser dann aber auf situationsadäquate Mobilität: kleine, sparsame und den Alltagsbedürfnissen entsprechende Autos. Family Cruiser legen besonderen Wert auf multifunktionale Nutzbarkeit. Dabei kommt es künftig jedoch weniger auf pure Größe oder Volumen an, als auf situationsintelligente, kontextbezogene Zweckdienlichkeit: Auch wenn es einstweilen noch nicht praktikabel erscheint, wäre die (ökonomisch) sinnvollste Lösung ein wirklicher Paradigmenwechsel hin zum vollmodularisierten “Plug-andDrive-Fahrzeug”, so wie es sich Dr. Peter Maskus, ChefEntwickler des Stromlinienfahrzeugs Acabion, für die Zukunft bis 2020 vorstellt: “Wenn man in Zukunft in den Familienurlaub fährt, ist ein ganzer Pulk wie eine kleine Eisenbahn unterwegs: ein Elternmodul, ein Kindermodul und ein Kofferraummodul. Die Module kann ich für den Urlaub dazumieten, ansonsten bin ich effizient mit meiner kleinen Einheit unterwegs.” Dr. Peter Maskus Zukunft der Mobilität 2020 Family Cruiser machen vor allem eines deutlich: Die Ansprüche, die der Gesellschafts-Trend “Familie 2.0” an Mobilität stellt, sind mitunter so vielfältig wie ihre Mitglieder. Die Bedürfnisse werden individueller, gleichzeitig entstehen durch die neuen Familienformen auch neue Bedürfnisse in der Gemeinschaftsmobilität. Das Mobilitäts-Verhalten der Family Cruiser erklärt sich aus der Bedürfnisexplosion heraus, die sich durch die Vereinbarungswünsche von Karriere, Partnerschaften, Kindererziehung und individueller Persönlichkeitsentwicklung für alle Beteiligten ergeben. 4.1.3 Silver Driver: Die neue Freiheit der grauen Erlebnisgeneration Kurzbeschreibung: nn Silver Driver sind die neuen Alten des zweiten Aufbruchs (vgl. Downaging) mit hoher Freizeitorientierung und vielfach, zumindest noch temporärer, beruflicher Betätigung. nn Silver Driver bevorzugen einen neuen Mix aus Erlebnisorientierung und Sicherheit – uneingeschränkte Mobilität mit Netz und doppeltem Boden, Freiheit, Spaß und Sportlichkeit. nn Autos müssen Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, zugleich aber auch dem Wunsch nach Sicherheit, Komfort und Kontrolle gerecht werden. nn Silver Driver gehören zu den Menschen zwischen 50 und 70 Jahren, die sich selbst in der Mitte des Lebens sehen, das sie in vollen Zügen genießen möchten und einen Mentalitätswandel vollziehen: Von den sich aufopfernden Eltern und Großeltern zum so genannten “SKI-ing – “Spending the Kids’ Inheritance” (d. h. Konsum auf Kosten des eigentlichen Erbes der Kinder). Lebensgefühl der Silver Driver: “Spending the Kids’ Inheritance” Silver Driver sind eine neue Generation älterer Menschen, die als Zielgruppe auf den Mobilitäts-Märkten der Zukunft immer wichtiger werden. Die Silver Driver konsumieren gern, sind mobil, vielseitig interessiert und ausgesprochen aktiv in ihrem Freizeitleben. Silver Driver sind nicht nur gut situiert, sie sind vor allem auch bereit, ihr Geld auszugeben, anstatt es zu sparen. Frei nach dem Motto “Wer spart, hungert bloß für die Erben” kurbeln sie den Konsum an – gerade auf den Mobilitäts-Märkten. “SKI-ing” ist in Großbritannien eine mittlerweile geläufige Abkürzung für “Spending the Kids’ Inheritance”, was so viel heißt wie: Wir geben das Erbe unserer Kinder aus – und haben Spaß dabei. In den letzten Jahren steigen die Marktanteile der Best-Ager-Haushalte an den Konsumausgaben kontinuierlich. In Deutschland entfallen von der Gesamtkaufkraft in Höhe von 1,4 Billionen Euro inzwischen allein 17 Prozent auf die Gruppe der 50- bis 59-Jährigen (239 Milliarden Euro) und ganze 29 Prozent auf die Gruppe 60plus (405 Milliarden Euro). Die Silver Driver gehören definitiv zu dieser Konsumentengruppe, die von einem nie da gewesenen Wohlstand der Generation 50plus profitiert. Sie haben im Leben noch viel vor, richten den Blick nach vorn und wollen die besten Jahre aktiv genießen – Mobilität ist hierfür eine Grundvoraussetzung. Die enorme Kaufkraft, die hohe Mobilitäts-Bereitschaft und moderne Konsumgewohnheiten machen die Silver Driver zu einem in Zukunft gesellschaftlich einflussreichen und lukrativen Mobilitäts-Typen. Aktiver Alltag kurbelt den Mobilitäts-Bedarf an Weil ältere Menschen deutlich mehr Zeit zum Verreisen haben und gern Neues entdecken, sind Silver Driver international viel unterwegs. Steigende Mobilitätsansprüche älterer Menschen schlagen sich aber nicht mehr nur auf dem Tourismus-Markt wider. Vor allem Mobilität im Nahbereich wird von Älteren immer stärker nachgefragt. Die Gründe sind zahlreich: Silver Driver gestalten ihr Leben vielfältiger denn je; Arbeiten bis ins hohe Alter wird zur Normalität; ihre Freizeit ist vermehrt durch Bildungsaktivitäten, gesellschaftliches Engagement und kulturelle Events geprägt. Wenngleich der Mobilitäts-Typ der Silver Driver sehr stark auf Selbstverwirklichung zielt, übernehmen viele Frauen und Männer über 50 zusätzlich noch klassische familiäre Aufgaben bei der Erziehung und Betreuung ihrer Enkel, Nichten und Neffen. All das sorgt für eine noch nie da gewesene Mobilitäts-Nachfrage älterer Menschen. 37 Zukunft der Mobilität 2020 Silberne Auto-Mobilität: Passgenaues Vehikel für den dritten Lebensabschnitt Viele Tatsachen sprechen dafür, dass das Auto bis ins Jahr 2020 eine noch wichtigere Funktion für die Mobilitäts-Anforderungen der Silver Driver einnehmen wird als heute: Künftig haben mehr Ältere als je zuvor einen Führerschein – insbesondere mehr ältere Frauen. Für die Automobilbranche werden Silver Driver also schon allein quantitativ immer relevanter. Und speziell selbstbewusste ältere Frauen avancieren zu einer immer interessanteren Käufergruppe. In Deutschland beispielsweise wird die Zahl weiblicher Führerscheinbesitzer zwischen 50 und 70 Jahren in den nächsten 10 Jahren von 6,8 Millionen auf 9,2 Millionen wachsen (vgl. Communication Networks 12.0). Damit sind immer öfter die Voraussetzungen gegeben, individuell unterwegs zu sein. Und das Auto garantiert den Silver Drivern die Unabhängigkeit und Sicherheit, sich auch im Alter noch einmal zu neuen Ufern aufzumachen. Prof. Knie weist auf das veränderte Konsumbewusstsein der “neuen Alten” in der Zukunft hin: es der flexiblen Nutzung je nach Situation und Ort entgegenkommt. Die Folge: Silver Driver werden auch in Zukunft verstärkt Angebote nachfragen, die öffentliche Verkehrsmittel auf langen Entfernungen mit individueller Auto-Mobilität in Städten intelligent und unkompliziert kombinieren. Silver Driver: Deep-Support statt Distinktion Körperliche Einschränkungen nehmen weiterhin mit dem Alter zu, so dass das die Bedürfnisse nach Sicherheit und Convenience im Straßenverkehr bei vielen Silver Drivern noch höher ist als bei jungen Menschen. Ein Marketing-Experte eines großen deutschen Automobilherstellers sieht sehr wohl die erlebnislustigen Senioren als Zielgruppe, aber speziell auch diejenigen, die den Wunsch nach Unabhängigkeit und Mobilität mit einem hohen Convenience-Bedürfnis verbinden. Wörtlich erklärt er: “Einen zu starken Eingriff in die Autonomie des Fahrers akzeptieren die Kunden nicht. Deswegen werden wir die Idee, dass das Auto ganz alleine “Der demografische Wandel wird die Affinität zum fährt, erst sehr weit in der Zukunft realisiert sehen. Auto noch weiter erhöhen. Im Moment verbinden wir Aber ein Stauassistent ist eine Convenience, die das Alter viel zu stark mit Einschränkungen. Die durch Fahrerassistenzsysteme geleistet werden kann. gibt es zweifellos, und je stärker erste Einschränkun- Gerade ältere Menschen schätzen dieses Mehr an gen für den Einzelnen spürbar werden, desto eher Komfort.” sucht man nach sicherer automobiler Fortbewegung. Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Grundsätzlich aber werden die zukünftigen Alten Automobilkonzerns mit automobilen Fortbewegungsmitteln so selbstverständlich alt geworden sein, dass sie auch im Alter Silver Driver sind weniger interessiert an “Technik, die noch eine enorm hohe Nachfrage erzeugen.” begeistert” als an verlässlicher und unkomplizierter Funktionalität. Prof. Dr. Andreas Knie Neu an den Silver Drivern ist, dass sie individuelle Mobilität künftig stärker nachfragen als die alten Generationen vor ihnen. Der Mobilitäts-Mix der Silver Driver ist dabei so vielfältig wie ihre Alltagsbedürfnisse. Während für viele das eigene Auto unverzichtbar ist, ist für andere der dauerhafte Besitz unökonomisch. Viele Silver Driver werden daher eher auf individuelle Formen des Car-Sharing oder auf professionelle Verleiher setzen, weil 38 Sie probieren gerne Neues aus, wollen aber letztlich die Kontrolle nicht aus der Hand geben. Innovative Produkte und Services müssen sich in erster Linie leicht erschließen und in puncto Mobilität einen praktischen Nutzen liefern. Es geht den Silver Drivern um die Reduktion von Komplexität im Alltag statt um Status, Prestige und Distinktion. Der Wunsch nach Deep-Support führt dazu, dass ältere Konsumenten gern bereit sind, für hohe Qualität von Produkten und besonderen Service mehr zu zahlen. Zukunft der Mobilität 2020 Es wäre aber völlig falsch, die Lösung in speziellen SeniorenProdukten zu suchen, so Christine Zach vom ÖAMTC: nn Der Mobilitäts-Typ wird bis 2020 auch immer stärker von Frauen gelebt. “Ich bin überzeugt, dass altersspezifische Modelle keine Chance haben werden, ebenso wenige solche, die als ‚besonders für Ältere geeignet’ vermarktet werden. Das wird als Stigmatisierung empfunden und entspricht nicht dem Trend. Es geht viel mehr darum, unterschiedliche Typen zu betrachten, eine Vielfalt an Sichtweisen, die man bedienen sollte. Das Alter spielt da gar nicht die übergeordnete Rolle. Einfache Bedienbarkeit etwa wünschen sich Ältere und Jüngere gleichermaßen. Das leichte Einsteigen ins SUV finden ja auch junge Menschen vorteilhaft.” nn Der PKW ist das dominierende Verkehrsmittel. nn Wenngleich die berufsbedingte Mobilität in der Regel vom Arbeitgeber finanziert wird (sofern es sich nicht um Selbständige handelt), sorgt der wachsende Kostendruck dafür, dass Mobilitäts-Konsum auch bei den High-frequency Commutern immer stärker einem Kosten-Nutzen-Kalkül ausgesetzt ist. nn Der Einsatz von Informations- und Telekommunikationstechnologien dient künftig zur teilweisen Substitution von räumlicher Mobilität. Dr. Christine Zach Die wirklichen Kundenbedürfnisse werden in Zukunft auch auf den Mobilitäts-Märkten immer weniger dem biologischen Altersunterschied unterliegen. Der Wunsch nach Sportlichkeit und dynamischem Fahrspaß etwa ist längst nicht mehr nur ein Kriterium für junge Männer, sondern wird auch für Silver Driver künftig immer wichtiger. Die Wünsche und Bedürfnisse der Silver Driver sind prototypisch dafür, dass es nicht die sinkende körperliche Leistungsfähigkeit älterer Kunden ist, die MobilitätsAnbieter vor die größte Herausforderung stellt, sondern veränderte Konsumgewohnheiten und moderne Ansprüche älterer Menschen! 4.1.4 High-frequency Commuter: Zeitgeplagte Alltagspendler Kurzbeschreibung: nn High-frequency Commuter sind vor allem hochgradig mobile Jobnomaden. Tägliches Pendeln ist ein Erfordernis ihres modernen Berufsalltags. nn High-frequency Commuter suchen nach bequemen, effizienten und flexiblen Mobilitäts-Lösungen innerhalb von Ballungsräumen und zur Überwindung von Stadt-LandDistanzen. Hochfrequente Mobilität wird bis 2020 weiterhin ein Zeichen für Wachstum und gute Geschäfte sein. Unterwegs sein heißt im Geschäft sein, heißt am globalen Wohlstand teilhaben. Die High-frequency Commuter sind hochgradig mobile Jobnomaden, die permanent auf dem Weg zu Kunden, Geschäftspartnern und temporären Projekten sind. Durch das veränderte Geschlechterverhältnis in der modernen Arbeitswelt wird es zukünftig jedoch auch einen hohen Anteil an weiblichen Pendlern geben. Mobilität bedeutet für den High-frequency Commuter vor allem Stadt-Land-Distanzen unkompliziert zu überwinden oder als Agglomerationspendler in den Ballungsräumen flexibel mobil zu sein. Deswegen sind die High-frequency Commuter im hohen Maße darauf bedacht, ihr Mobilitäts-Budget intelligent zu organisieren bzw. zu reduzieren oder zu kompensieren. Entsprechend hoch ist ihre Nachfrage nach Service-, Informations- und Technik-Lösungen, die Mobilität insgesamt stressfreier machen oder teilweise ersetzen. Arbeit “to go”: Vom festen Arbeitsplatz zum mobilen Business-Hub Auf dem Höhepunkt des Industriezeitalters war es normal, dass Berufstätige ihren Arbeitsplatz in direkter Nähe zum Wohnort hatten. Berufsbedingte Mobilität war oft gleichbedeutend mit einem Umzug, von dem dann automatisch die ganze Familie betroffen war. Bis vor wenigen Jahren war Pendlermobilität auf einzelne Berufsgruppen beschränkt bzw. nur von kurzer Dauer oder allenfalls in Führungspositionen üblich. 39 Zukunft der Mobilität 2020 Inzwischen legen aber immer mehr Berufstätige beachtliche Strecken zur Arbeit zurück. In Deutschland beispielsweise arbeiten rund 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten weit entfernt von ihrem eigentlichen Wohnort, nach Prognosen des Zukunftsinstituts wird der Anteil der Pendler bis 2015 nochmals auf 46 Prozent steigen. Die Veränderung des Arbeitslebens in den letzten Jahrzehnten wird auch in Zukunft starke Auswirkungen auf das Mobilitäts-Verhalten haben. Im Wissenszeitalter sind Firmenstandorte viel weniger an eine bestimmte, feste Örtlichkeit geknüpft, Kunden tun sich für Highfrequency Commuter manchmal am anderen Ende der Welt auf. Da Kommunikation, Face-to-Face-Informationsaustausch und Kundenbeziehungen in der Zukunft die treibenden Kräfte der Geschäftswelt sein werden, wird auch das MobilitätsAufkommen weiter steigen. Dem Wandel vom Arbeitsplatz zu vernetzten Arbeitsräumen folgend, werden die High-frequency Commuter das einfache Pendeln zwischen zwei Stationen immer häufiger durch multiple Mobilität ersetzen. Was früher der “Arbeitsplatz” war, wird künftig zum mobilen Arbeits-Hub, in dem sich Warte- und Fahrzeiten durch Laptop und Breitbandanbindung flexibel als Arbeitszeit nutzen lassen (vgl. Abbildung 27). Female Drive: High-frequency Commuting wird immer mehr zur Frauensache Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf die Gruppe der Highfrequency Commuter ist die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen. In den kommenden Jahren ist mit einem starken Zuwachs weiblicher High-frequency Commuter zu rechnen, da sich in den Industrieländern die Beschäftigungsquoten und Arbeitsmuster beider Geschlechter angleichen werden. Untersuchungen unter Berufspendlern haben ergeben, dass mit steigendem Haushaltseinkommen auch längere Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Kauf genommen werden. Dies begünstigt wiederum die Nutzung eines PKW als Verkehrsmittel Nummer eins. Mehr noch: Die steigende Zahl gut verdienender Frauen wird künftig die Anzahl weiblicher Pendlerinnen weiter nach oben verschieben. Hinzu kommt, dass die Zahl der Frauen mit Führerschein wie auch die Zahl der auf Frauen zugelassen Autos beständig wächst. Durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen wird bei High-frequency Commuter-Paaren das “Finden” einer gut bezahlten Arbeitsstelle beider Partner an einem Ort zu einem komplizierten logistischen Problem. Berufliche Mobilität wird Abbildung 27: Moderne Arbeitsnomaden Anteil der Pendler an Vollzeitbeschäftigten (Deutschland) in Prozent 60 Geringqualifizierte Qualifizierte Hochqualifizierte Gesamt 50 40 30 20 10 0 1995 1997 1999 Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2008; Prognose: Zukunftsinstitut 40 2001 2003 2005 2015 Zukunft der Mobilität 2020 immer öfter unausweichlich. Wenn darüber hinaus Kinder im Haushalt sind, wird zusätzlich die Betreuungssituation zum entscheidenden Standortfaktor und rückt damit in den Mittelpunkt des Mobilitäts-Konzepts der High-frequency Commuter. Steigende Treibstoffkosten und die Umweltdiskussion werden auch für Nutzer von Firmenwagen an Bedeutung gewinnen. Unternehmen werden künftig aus ökonomischen wie ökologischen Überlegungen heraus verstärkt versuchen ihre Nachhaltigkeits-Bilanz zu optimieren. Mobilitäts-Druck und Zeitmangel treiben die Nachfrage nach effizienten Mobilitäts-Lösungen an Die “letzte Meile” – Der Weg ins Herz der Highfrequency Commuter Mit der starken Zersiedlung des urbanen Raums und der Ausbildung von breiten Speckgürteln rund um die Großstädte verlängern sich die individuellen Wegstrecken und das Mobilitäts-Aufkommen nimmt weiter zu. Dies gilt nicht nur für Menschen, die beruflich unterwegs sind, sondern wirkt sich auch auf Familienbesuche, Shopping- und Freizeitaktivitäten der Bewohner des suburbanen Raums aus. Mobilität ist für die High-frequency Commuter kein Ausdruck von Freiheit und Emanzipation, sondern wird zur alltäglichen Verpflichtung, die den beruflichen Tagesablauf bestimmt und sich (tendenziell) negativ auf das Privatleben auswirkt. Zeitmangel (und nicht Geldmangel) ist die größte Lebensknappheit. Zu den High-frequency Commuters zählt auch die wachsende Anzahl an Projekt- und Wissensarbeitern, für die Mobilität eine Grundvoraussetzung ihres geschäftlichen Erfolgs ist. Auf ihre Flexibilitätsansprüche werden in Zukunft auch Mobilitäts-Anbieter wie die Bahn mit den entsprechenden Angeboten und Geschäftsmodellen antworten und in starke Konkurrenz zum bevorzugten Transportmittel, dem PKW, treten. Gerade vor dem Hintergrund des Mega-Trends Neo-Ökologie steigt die Attraktivität alternativer MobilitätsLösungen durch den öffentlichen Verkehr. Carl-Ernst Müller, Experte für Nachhaltigkeitsmanagement, weist auf diesen Wandlungsprozess hin: Auch bis in das Jahr 2020 bleibt der PKW das bevorzugte Fortbewegungsmittel der High-frequency Commuter. Sie wählen ihre Motorisierung allerdings nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten aus und nicht aus einer “Autoideologie” heraus. Durch die multiplen Mobilitäts-Anforderungen durch Arbeit, Freizeit und Familienleben erhöht sich der Wunsch nach Komplexitäts- und Stressreduktion noch weiter. Alternativen zur individuellen Auto-Mobilität zu finden, ist für die High-frequency Commuter nicht einfach. Dennoch lassen sie sich von einem Verkehrsmittelwechsel überzeugen, wenn sich dadurch auf Wege verzichten oder Zeit einsparen ließe. Andreas Knie prognostiziert für 2020 ein “Greening” des Mobilitäts-Verhaltens in den Ballungsräumen, das auch die High-frequency Commuter beeinflussen wird: “In den Ballungsräumen wird das Verkehrsmittel benutzt, das einfach am pragmatischsten zur Verfügung steht. Aber Pragmatismus hin oder her, was auf keinen Fall mehr geht, sind Angebote, die offenkundig die Umwelt schädigen.” Prof. Dr. Andreas Knie “Das Auto wird seine Rolle als Schlüsselelement der Fortbewegung für die Pendler nicht verlieren, aber innovative Angebote der Bahn können die Vormachtstellung des PKW schwächen. Denkbar wäre etwa eine ‚My-Cities-Card’, die es möglich macht, in mehreren Städten den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen und sich dort dann frei bewegen zu können. Oder so etwas wie eine ‚BahnCard 100 Weekend’ bzw. eine ‚BahnCard 100 Work’, die zwar landesweit, aber nur zu bestimmten Zeiten gültig wären.” Carl-Ernst Müller Renaissance der Rückbank: HFC entdecken Fahrgemeinschaften und Car-Sharing Die Bedürfnisse des High-frequency Commuter verlangen nach netzwerkartigen Konzepten, die mehrere MobilitätsDienstleistungen intelligent kombinieren. Mit Hilfe moderner digitaler Vernetzungsmöglichkeiten werden sich die High-frequency Commuter spontaner und kurzfristiger in 41 Zukunft der Mobilität 2020 Fahrgemeinschaften organisieren bzw. eine hohe Affinität gegenüber Car-Sharing- und kurzzeitigen Mietwagenangeboten entwickeln. Das Auto wird für den High-frequency Commuter deshalb tendenziell künftig eine komplementäre Rolle einnehmen, die an den Schwachstellen des öffentlichen Verkehrs ansetzt. Diesem wird vor allem in den Regionen mit einer großen Bevölkerungsdichte eine noch zentralere Funktion für den Pendlerverkehr zukommen. 4.1.5 Global Jet Setter: Hoher Mobilitäts-Aufwand, hoher Servicebedarf Kurzbeschreibung: nn Global Jet Setter sind permanent unterwegs, leben und arbeiten an vielen Orten parallel und erobern die Welt als ihre gegebene Lebens- und Arbeitswelt. nn Für die Global Jet Setter ist Multi-Mobilität eine elementare Voraussetzung für ihr Work-Life-Management und ihre berufliche Selbstverwirklichung. nn Global Jet Setter werden bis 2020 die Nachfrage nach intelligenten Mobilitäts-Dienstleistungen deutlich steigern und professionelles Mobilitäts-Management nachfragen. nn Global Jet Setter werden immer mehr Lebensqualität, Komfort und Luxus beim Unterwegssein fordern. Global Jet Setter sind Menschen, die regelmäßig, nicht selten mehrmals pro Woche, zwischen den Metropolen der Welt unterwegs sind. Permanentes Unterwegssein ist für die Global Jet Setter keine Ausnahmesituation, es ist der Normalfall. So selbstverständlich wie andere Menschen morgens für den Weg zur Arbeit ins Auto oder die U-Bahn steigen, springen die Global Jet Setter in den Flieger. Für die Vorort-Mobilität kommen aber auch sie nicht ohne PKW-Lösungen aus. Die Existenz der Global Jet Setter spielt sich längst nicht mehr nur an einem mehr oder weniger festen Wohn- und Arbeitsort ab, sondern an vielen Orten parallel. Sie verbringen mehr Zeit unterwegs und an verschiedenen Orten der Welt als die meisten anderen Menschen. Wie kein anderer Mobilitäts-Typ ist das 42 Leben der Global Jet Setter von einer nahezu unbegrenzten Multi-Mobilität gekennzeichnet Kinder der Globalisierung: Think global, act global, be global Es ist vor allem die neue Business-Elite, die diesen Mobilitäts-Typ vorantreibt. Dieses Mobilitäts-Muster findet man jedoch nicht nur bei den 20- bis 30-jährigen Weltbürgern, sondern bei HighPotentials jeden Alters. Selbst “Silverpreneure” hält der hohe Mobilitäts-Aufwand nicht davon ab, den Ruhestand immer weiter proaktiv hinauszuzögern. Die Steigerungslogik der globalisierten Wirtschaft überträgt sich eins zu eins auf das Mobilitäts-Verhalten der Global Jet Setter: Was ihr Leben besonders kennzeichnet, ist ein Höchstmaß an Flexibilität, Vernetzung, Internationalität und Individualität. Global Jet Setter kennen grundsätzlich keine Grenzen. Sie agieren in einem weltumspannenden Handlungsraum, der Globus ist ihr Arbeitsplatz, die Welt ihr Zuhause. Mobilität ist für Global Jet Setter die Basis eines professionellen Work-Life-Managements und Voraussetzung, um ihre Selbstverwirklichung und internationale Karriere voranzutreiben. Sie streben nach Selbstbestätigung und gesellschaftlichem Ansehen. Sie sind kosmopolitische Weltbürger und kreative Wissensarbeiter, die mit spielerischer Freude und sportlichem Wettbewerbsgedanken auf ihre persönlichen Ziele und den Erfolg ihrer Unternehmen hinarbeiten. Die Multi-Mobilität der Global Jet Setter prägt indes nicht nur ihr Berufsleben. Sie überträgt sich auch in die Freizeit: Zum Shopping von Berlin nach London, Wochenendtrip nach Johannesburg, fürs Familienfest von New York nach Shanghai, zum Golfen nach Dubai – in globaler Ausdehnung jederzeit unterwegs zu sein ist integraler Bestandteil des Lebensstils der Global Jet Setter. Mobilitäts-Management der Global Jet Setter: DeepSupport für mehr Eigenzeit und Mobile Comfort Für die Global Jet Setter ist das Flugzeug zweifellos Verkehrsmittel Nummer eins auf Business- und Privatreisen. Obwohl sie sich exklusive Autos durchaus leisten könnten, stellt sich die Besitz-Frage: Für sie macht es immer weniger Sinn, ein teures Auto in der Garage stehen zu haben. Für die Vor-OrtFlexibilität können aber auch sie nicht auf (gemietete) AutoMobilität verzichten. Vor allem werden sie die Nachfrage nach Zukunft der Mobilität 2020 intelligenten Mobilitäts-Dienstleistungen ankurbeln, die Reiseund Vor-Ort-Flexibilität garantieren. 4.1.6 Sensation Seeker: Die Spaßgesellschaft auf vier Rädern lebt weiter Global Jet Setter legen auch bezüglich Mobilität hohen Wert auf Exklusivität und Premium-Angebote. Bei der Wahl von Verkehrsmitteln und Mobilitäts-Produkten geht es ihnen aber künftig nicht mehr nur um Repräsentanz und Distinktion. Mit steigender Anzahl an Berufsmobilisten entwickeln sich neue Ansprüche an Reisekomfort, Ausstattung von Fahrzeugen – vor allem aber an die Synchronisierung des mobilen Alltags. Das Leben im Dazwischen wird bei den neuen Nomaden in den nächsten Jahren deshalb eine noch nie da gewesene Nachfrage nach Convenience und Wohlfühlatmosphäre hervorrufen. Mobilitäts-Dienstleister werden ihre strategischen Kompetenzen als Mobilitäts-Manager weiter ausbauen müssen, um die Unterwegs-Bedürfnisse der Global Jet Setter zu befriedigen. Effiziente Alltagsorganisation, die Zeitautonomie und die Konzentration auf das Wesentliche ermöglicht, wird von ihnen als wahrer Luxus verstanden. Die Suche nach “Simplification” wird damit zu einer zentralen Anforderung der Global Jet Setter: Wenn das Leben eine derart hohe Komplexität erreicht, sehnen sich Menschen nach Vereinfachung wo immer möglich. Kurzbeschreibung: Von High-Tech zu High-Touch: Digital Life Assistance und Third Places für die Global Jet Setter Das permanente Unterwegssein erhöht bei den Global Jet Settern auch den Wunsch, irgendwo anzukommen, sich zu Hause zu fühlen und Ruhe zu finden. Insbesondere für die Global Jet Setter müssen Verkehrsmittel die Ansprüche nach einem Third Place erfüllen: Orte, an denen man sich wohl fühlt und produktiv sein kann, an denen man Praktisches mit Angenehmen verbindet. Leute treffen, Kontakte pflegen, Ideen ausbrüten, lernen, kreativ sein – all das wird für Global Jet Setter auf ihren Reisen immer wichtiger. Verkehrsmittel (egal welche, egal wo) müssen daher die Funktionen eines persönlichen Arbeitsplatzes ebenso erfüllen wie den Wunsch nach Privatheit, Vertrautheit und Intimität. nn Sensation Seeker sind zahlungsbereite “Gernfahrer”, für die Autos emotionale Erlebnisgegenstände sind, die sie unmittelbar mit Genuss, Individualität und Freiheit verbinden. nn Sensation Seeker lassen sich nur sehr beschränkt auf Alternativen zum Auto ein, trotzdem wird auch ihr MobilitätsVerhalten künftig vom Mega-Trend Neo-Ökologie beeinflusst werden. nn Autos sind Ausdruck eines Lebensgefühls, werden zu “Third Places” und zu Rückzugsorten, auch für Frauen und die ganze Familie. nn Autos haben einen hohen Freizeitwert, sind Garant für Lebensqualität und Selbstverwirklichung. Die “Freude am Fahren” wird auch langfristig kein NostalgieGefühl, sondern ist für viele Konsumenten weiterhin ein Element eines modernen Lebensstils. Auch 2020 wird es zahlungsbereite “Gernfahrer” geben, für die Autos ultimative Erlebnisgegenstände sind. Autofahren wird auch in Zukunft von den Sensation Seekern mit Attributen wie Freiheit, Spaß und Genuss verbunden. Sensation Seeker: Experience matters! Autofahren ist für die Sensation Seeker alles andere als eine austauschbare Art der Fortbewegung, es ist eine hochemotionale Angelegenheit. Trend-Forscher Matthias Horx weist ausdrücklich auf diesen Zusammenhang hin: “Wir müssen natürlich die Fahrleistung und den Kultureffekt von Autos unterscheiden. Autos sind eben keineswegs nur Fortbewegungsmittel, sondern es sind Fetische, Traummaschinen, Cocoons, fahrende Wohnzimmer, nomadische Wohlfühlsysteme, in die man sich zurückziehen und in denen man sich verwöhnen lassen kann. Gerade für Männer sind sie nach wie vor massive Statussymbole. 43 Zukunft der Mobilität 2020 Und insofern muss man diese beiden sich überschneidenden Funktionen auseinander halten. Die kulturellen und emotionalen Faktoren verschwinden in Zukunft nicht.” Matthias Horx Autos haben für die Sensation Seeker eine wichtige symbolische Bedeutung und sind häufig Bestandteil des eigenen Identitätsund Statusmanagements. Für den Typus des Sensation Seeker bleibt das Auto ein Mythos der Moderne und ein Lebensgefühl. Auf der Basis dieses Lebensgefühls werden auch bis 2020 signifikante Umsätze generiert. Johannes Reifenrath, Leiter Marketing PKW, Portfolio- und Produktstrategie bei MercedesBenz Cars, weist auf die Langlebigkeit des automobilen Lebensgefühls hin: “Wir bauen seit rund 120 Jahren Automobile für Menschen, die dafür – nach dem Kauf eines Hauses – den größten Batzen Geld in ihrem Leben ausgeben. Viele davon sagen sich: ‚Das ist meins, das will ich. Das ist mein persönliches Mobilitäts-Versprechen und das ist mir sehr viel Geld wert.’ Dieser Wunsch wird auch in Zukunft bestehen.” Johannes Reifenrath Automobile Erlebnisse werden auch für Frauen immer interessanter Dieser Mobilitäts-Typ wird künftig keine reine Männer-Domäne mehr sein, sondern bestimmt das Mobilitäts-Verhalten ganzer Familien und wird insbesondere immer öfter bei Frauen anzutreffen sein. Auch Frauen entwickeln in puncto AutoMobilität ein immer stärkeres Markenbewusstsein, begeistern sich für technische Innovationen und Design, das über praktische Funktionalität hinausgeht – allesamt zentrale Charakteristika der Sensation Seeker. Die Verkaufserfolge von Roadstern und Family-Cabriolets bei Frauen haben das in jüngster Zeit bereits deutlich gezeigt. 44 Sensation Seeker lassen sich aber keineswegs auf die Nutzung bestimmter Fahrzeugklassen reduzieren. Im Gegenteil: Das hohe Individualitätsbedürfnis der Sensation Seeker erhöht ihren Wunsch, die wachsende Vielfalt von neuen Modellen und Fahrzeugkonzepten auszuprobieren und zu “erfahren”. Damit steigt die Wechselbereitschaft ebenso wie die Neigung, Autos nutzen statt besitzen zu wollen. Old School Mobility: No Restrictions, Please! Nicht “freie Fahrt für freie Bürger”, sondern “möglichst viel Mobilität für Individualisten”, so lässt sich das Bedürfnis der Sensation Seeker am besten beschreiben. Das Auto ist für sie eine so elementare Wohlstandserfahrung, auf die sie unter keinen Umständen verzichten wollen. Auch wenn Mobilität immer teurer wird und die Preissteigerungen beim Kraftstoff weitergehen, die häufigere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommt für Sensation Seeker kaum in Frage. Bis zu einem gewissen Grad verhalten sie sich resistent gegenüber Trends wie Neo-Ökologie, Nachhaltigkeit, der Moralisierung des Konsums etc. Versuche, das Autofahren zu beschränken (hohe Steuern, Fahrverbote, Maut, Congestion Charge etc.) werden von den Sensation Seekern als Angriff auf die persönliche Freiheit verstanden. Gegenüber anderen Mobilitäts-Typen wie den Greenovators wirken die Sensation Seeker daher mitunter anachronistisch. Aber Sensation Seeker sind keineswegs Ignoranten. Auch sie erkennen und respektieren zunehmend die Notwendigkeit einer immer stärker auf Ressourcenschonung und Umweltschutz ausgerichteten Welt. Sie spüren den sozialen Druck und werden kompromissbereiter. Sie setzen jedoch die Prioritäten anders: Sie geben in ihrem Mobilitäts-Typ einer hedonistischen automobilen Erlebniskultur den Vorrang gegenüber Kostenargumenten und moralischen Fragestellungen. Sie gönnen sich diese Freiheit – als Ausgleich zu alltäglichen Belastungen wie hohem Arbeitspensum oder einfach nur als Hobby und Leidenschaft. Für viele ist ein hoher Mobilitäts-Grad z. B. von Berufs wegen gar nicht vermeidbar und dann soll das permanente Unterwegssein wenigstens Spaß und maximalem Komfort bringen. Vor allem aber haben Autos für die Sensation Seeker auch in Zukunft einen enormen Freizeitwert, werden als Garant für Lebensqualität und Selbstverwirklichung verstanden. Zukunft der Mobilität 2020 Von Status-Mobilität zu Smart Mobility: Autos als Third Places und Mobile Cocoons “Enjoy Driving” wird also für nicht wenige Menschen nach wie vor mit Power, Speed, exklusivem Design und “klassischem” Luxus verknüpft sein. Zugleich ist jedoch der Einfluss des MegaTrends Neo-Ökologie auch dort unübersehbar, wo Mobilität weiterhin mit Status und Prestige verbunden ist. Während die einen weiter gezielt nach Exklusivität im Premium-Segment suchen, verändert sich die Nachfrage der Sensation Seeker auch in anderen Preissegmenten. Die Maßstäbe dessen, was Begeisterung, Freude und Zufriedenheit bei Kunden auslöst, werden sich verschieben. In der Konzernzentrale eines deutschen Automobilherstellers wird der Paradigmenwechsel bereits sorgfältig registriert. Ein Experte für Marketing weist auf Folgendes hin: “Was den Spaß angeht, müssen wir uns wahrscheinlich neue Formen suchen, weil sich die ‚klassischen Freuden’ wie hochgerüstete PS-Boliden und Höchstgeschwindigkeitsfahren etc. im Jahr 2020 nicht mehr umsetzen lassen. Dann wird sich jedoch viel darum drehen, ob das Fahrzeug sehr dynamisch im Alltagsverkehr ist, ob ich damit zügig wenden, schnell einparken kann, eine gute Beschleunigung im Stadtverkehr habe, um mich auf dichten Straßen schnell einfädeln zu können. Begeisterung ist künftig weniger eine Frage von Endgeschwindigkeit und Fahrverhalten bei der Höchstgeschwindigkeit.” Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns Um die Wünsche und Bedürfnisse der Sensation Seeker zu erfüllen, sollten Fahrzeugkonzepte Autos künftig immer stärker als Third Places denken: als Refugien zwischen Arbeitsplatz und Zuhause, an denen man sich gerne aufhält, sich wohl fühlt, das Leben genießt, seine Zeit aber auch sinnvoll verbringen kann. Autos sind für Sensation Seeker Ausdruck eines Lebensgefühls. Das heißt aber auch, dass sie weiterhin sinnlich erfahrbar sein und soziale Funktionen erfüllen müssen – als Verlängerung des Büros und des Wohnzimmers samt multimedialer Vernetzung und inklusive maximaler Sicherheit. 4.1.7 Low End User: Auto-Mobilität wird zum Rechenexempel Kurzbeschreibung: nn Steigende Kosten werden für den Low End User zur zentralen Herausforderung, hohe Benzinpreise drohen zur sozialen Falle zu werden. nn In puncto individueller Mobilität sind dem Low End User künftig klare Grenzen gesetzt, sie konkurriert mit anderen Konsumbereichen. nn Low End User schränkt seinen Mobilitäts-Grad zunehmend ein. nn In dem Maße, wie individuelle Mobilität zum Luxus-Gut wird, wird die Suche nach finanzierbaren Mobilitäts-Lösungen zum zentralen Thema. Limitierte freie Budgets für Mobilität sind für viele Kunden die harte Realität, welche die Mobilitäts-Märkte bis 2020 maßgeblich umkrempeln wird. In Zukunft wird sich ein nicht unerheblicher Teil westlicher Wohlstandsgesellschaften individuelle Mobilität im heutigen Umfang nicht mehr leisten können. Steigende Kraftstoffpreise machen Mobilität immer teurer. Hinzu kommen steigende finanzielle Belastungen durch Steuern und Abgaben auf Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß. Immer mehr Großstädte werden sich an Projekten wie der “Congestion Charge” orientieren und ähnliches umsetzen. Das sind die Grundkoordinaten, die das künftige Mobilitäts-Verhalten des Low End Users bestimmen werden. Einem unliebsamen Mobilitäts-Verzicht auf der einen Seite steht eine wachsende Nachfrage nach effizienten, kostengünstigen MobilitätsLösungen auf der anderen Seite gegenüber. Kostenexplosion verändert Mobilitäts-Konsum Bislang war der Einfluss des Kraftstoffpreises auf das MobilitätsVerhalten nicht besonders groß. So lange es irgendwie ging, verteilten die Menschen ihren Konsum zugunsten des Verkehrs 45 Zukunft der Mobilität 2020 um. Setzt sich die gegenwärtige Kostenexplosion jedoch fort, wird sich das ändern: Viele Menschen werden ihr Verhalten nicht länger anpassen können. Es ist die Kundengruppe der Low End User, die künftig mit aller Vehemenz die ökonomischen Grenzen individueller Mobilität per Auto kennen lernen werden. Johannes Reifenrath, Mercedes-Benz Cars, weist auf den nach wie vor bestehenden Zusammenhang zwischen Freiheit und AutoMobilität hin: “Wenn man sich kritisch die Entwicklung autobezogener Steuern und Abgaben, der Kraftstoff-, Fahrzeug-, Park- und Versicherungskosten sowie des Verkehrs und seiner Regeln in den vergangenen 20 Jahren ansieht, dann müsste man sich fragen: Wieso machen Menschen das - immer mehr Geld für mehr Einschränkungen und immer weniger automobile Freiheit? Das ist fast widersinnig und zeigt doch nur, wie groß der Wunsch des Menschen nach der Freiheit ist, die ihm das Auto bietet.” Johannes Reifenrath In vielen Industrieländern spreizt sich der Markt immer weiter auf: Während sich Premium-Fahrzeuge auch weiterhin einer wachsenden Nachfrage erfreuen, verlieren die klassischen Mittelklassefahrzeuge. Der Grund ist klar: Die Kosten für Anschaffung, Unterhalt und Nutzung von Autos sind in den letzten Jahren rapide angestiegen – weitaus stärker als die Lebenshaltungskosten insgesamt. In Deutschland etwa ist Autofahren seit dem Jahr 2000 um 20 Prozent teurer geworden. Total Costs of Ownership werden weiter steigen und das frei verfügbare Einkommen vieler Haushalte so sehr einschränken, dass an den Kauf teurer Neu-Fahrzeuge kaum zu denken ist (vgl. Abbildung 28). Wie in Deutschland steigen auch in den USA schon seit Jahren das Durchschnittsalter und die Haltedauer von PKW. Das hat nur bedingt mit der verbesserten Qualität der Fahrzeuge zu tun, sondern resultiert vor allem aus der Kaufzurückhaltung der Kunden. Der Low End User wird künftig immer mehr gebrauchte Autos kaufen und diese immer länger fahren. In Deutschland will jeder zweite PKW-Fahrer im Alter zwischen 18 und 69 Jahren seinen jetzigen Wagen länger fahren als frühere Autos oder tut das bereits; die Hälfte (48 Prozent) gibt dafür finanzielle Gründe an (vgl. Motor Presse Stuttgart, Car Communication Panel 2007). Abbildung 28: Die Kosten für Auto-Mobilität steigen rapide Autokostenindex Deutschland (2000 = 100) 180 160 Gesamtindex Kraftstoffe Reparaturen 140 Kfz-Steuer 120 100 80 60 40 1990 1992 1994 Quelle: BMVBS, Verkehr in Zahlen 2007/2008; VDA, 2008 46 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 Zukunft der Mobilität 2020 Ohne Kostensenkung bleiben negative Folgen nicht aus – für Kunden und Hersteller Wenn technologische Fortschritte und Business-Innovationen keine deutlichen Effizienzsteigerungen ermöglichen, wird Auto-Mobilität zu einem knappen Gut oder gar zum Luxus. Vieles deutet darauf hin, dass erstmals in der mehr als fünfzigjährigen Geschichte der MassenAuto-Mobilität ein Teil der Gesellschaft seinen Mobilitäts-Konsum einschränken müssen wird. Den aufkommenden Konflikt, der sich negativ auf die Geschäftsentwicklung auswirken könnte, erkennen inzwischen auch die Automobilhersteller. Reifenrath dazu: “Die Menschen spüren jetzt, dass ihr Wunsch nach individueller Mobilität und stark steigende Mobilitätskosten in krassem Gegensatz stehen. Für Viele, ob in Schwellenländern oder in Industriestaaten in der Krise, könnte individuelle Mobilität etwas werden, was man eigentlich nicht mehr bezahlen kann. Mobilität droht, etwas für Reiche zu werden. Die, die es sich zunehmend nicht mehr leisten können, werden extrem hohe Hoffnungen und auch Forderungen an die Industrie stellen, dieses Problem zu lösen.” Johannes Reifenrath Insbesondere in dünn besiedelten, einkommensschwachen Gegenden Amerikas und Europas könnte der hohe Benzinpreis zur sozialen Falle werden. Lange Arbeitswege lassen sich in ländlichen Gegenden, wo Jobs ohnehin rar sind, nicht vermeiden. Zugleich “fressen” diese bei hohen Kraftstoffpreisen einen so großen Teil des Einkommens, dass zum Leben immer weniger übrig bleibt. Die Low End User werden die sozial und räumlich Abgehängten sein, für die sich selbst der Weg zur Arbeit eines Tages nicht mehr lohnen könnte. Es sei denn, die Automobilindustrie erkennt dies als Chance, denkt um und entwickelt günstigere, energiesparende Autos. Diese Erkenntnis setzt sich in der Branche immer weiter durch – selbst bei Premium-Herstellern wie Daimler: “Dabei wird es ab 2020 für alle Autohersteller mit Technologien, die wir heute kennen, immer schwieriger, die dann bestehenden Rahmenbedingungen zu erfüllen. Ganz neue Technologien, Materialien, Fertigungen, Infrastrukturen und Kraftstoffe müssen her, welche langwierig und aufwändig entwickelt werden müssen. Die Kosten für individuelle Mobilität werden sehr viel höher sein. Die Hoffnung, dass Autofahren noch einmal günstiger werden könnte, wird wohl ein Wunsch bleiben.” Johannes Reifenrath Mobilität konkurriert mit anderen Konsumbereichen Was Jahrzehnte als selbstverständlich galt, PKW-Nutzung für kürzere Wege in Städten und Arbeitswege, Ausflüge, Wochenend-Trips etc., wird künftig als immer größerer Kostenfaktor in der persönlichen Haushaltsrechnung kalkuliert. Der Low End User wird aber nicht nur in einkommensschwachen Haushalten anzutreffen sein. Auch Besserverdienende werden immer öfter ihren Mobilitäts-Konsum einschränken, um ihren Lebensstandard in anderen Bereichen zu sichern. Über alle Altersund Einkommensgruppen hinweg werden künftig immer mehr Menschen ihre Mobilitäts-Kosten aufrechnen und sich fragen, was sie sich anstelle dessen leisten könnten. Mobilität tritt gerade in der Mittelschicht mit anderen Bedürfnissen in Konkurrenz: Wohnen, Betreuung von Kindern, Gesundheit, Altersvorsorge, Bildung und Kultur, Fashion, Consumer Electronics etc. Verlustangst, Downsizing und die Suche nach Alternativen Zwar wird auch der Low End User nicht gänzlich aus seinen Autos aussteigen und sich die gewonnenen Wohlstandserfahrungen vollständig nehmen lassen. Allerdings werden die nahezu grenzenlosen Freiheiten individueller Mobilität deutlich zurückgehen. Der Low End User sucht nach den preisgünstigsten Angeboten, um notwendige Mobilität sicherzustellen. Übermotorisierte, Kraftstoffschluckende Autos werden durch sparsamere ersetzt – Billig-Importe aus Korea, Osteuropa, Indien und China. Selbst 47 Zukunft der Mobilität 2020 in den USA werden verbesserte Verbrauchsstandards zum Erfolgsfaktor, weil sie auch den Kundenwünschen des Low End Users entsprechen. Die Wahl der Fahrzeugklasse und Fahrzeugfunktionen wird mehr denn je unter praktisch-funktionalen Gesichtspunkten entschieden. Während in den USA der Zweit- und Drittwagenbesitz heute noch in vielen Gegenden und auch in weniger wohlhabenden Familien die Regel ist, wird diese Notwendigkeit des Zweit- und Drittwagenbesitzes künftig deutlich überdacht werden. Auch in Westeuropa haben wir eine Zeit erlebt, in der selbst die weniger gut Verdienenden sich nicht notwendige, aber “Nice-to-have-Upgrades” bei Autos geleistet haben. Es spricht Vieles dafür, dass diese Haushalte künftig eher Richtung LowCost-Cars statt auf “Comfort-Plus-Pakete” schauen und auch das Car-Sharing für den Low End User zunehmend attraktiver wird. Der Mobilitäts-Aufwand, insbesondere die Zahl der Autofahrten pro Tag, wird deutlich reduziert. Berufspendler nutzen verstärkt öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrgemeinschaften. Für kürzere Wege schwingt man sich wieder häufiger aufs Fahrrad oder geht zu Fuß. Auf der Suche nach Cheap-Chic: Die Nachfrage nach Low-Cost-Cars steigt Auch 2020 wird es nicht so sein, dass sich nur die Oberschicht ein Auto leisten kann, während die Unterschicht nur noch Rad fährt und zu Fuß geht. Aber das für einen Autokauf zur Verfügung stehende Budget wird kleiner. Mobilitäts-Forscher Knie spricht von den Grenzen der Finanzierbarkeit: “In einigen Jahren wird in Deutschland der Peak der Zahlungsfähigkeit erreicht sein. Wir gehen davon aus, dass – obwohl der Drang, ein Automobil besitzen zu wollen, weiterhin groß ist – die Zahlungsfähigkeit aufgrund konkurrierender anderer Ausgaben z. B. für private Altersvorsorge etc., für den Kauf teurer Autos begrenzt sein wird.” Prof. Dr. Andreas Knie 48 Es ist gerade der Low End User, der mit seinem Kaufverhalten dafür sorgen wird, dass Ultra-Low-Cost-Cars aus Asien oder Osteuropa in ein paar Jahren auch nach Westeuropa und Nordamerika kommen werden. Die wachsende Preissensibilität dieses Mobilitäts-Typen schafft den Markt dafür. Dr. Kurt Möser, Mobilitäts-Forscher an der Universität Karlsruhe, erklärt, wie die gegenwärtige und künftige Upmarket-Strategie aussehen wird: “Bei den Importwellen der letzten Jahre sieht man einen klaren Trend: Die Japaner wurden anfangs ‚runtergebürstet’, da sie mit ziemlich einfachen Fahrzeugen in den Markt eingestiegen sind. Dann wurden sie zuverlässig und haben einen größeren Marktanteil erobert, sind aber auch teuer geworden. Bei den Koreanern zeigte sich die gleiche Entwicklung: Markteinstieg von unten, Entwicklung eines Marktsegments, Verteuerung, Verbesserung des Images. Jetzt sind wir kurz davor, dass der dritte Einsteiger kommt, der zunächst auch erstmal schlecht geredet wird: Chinesische Autos bieten keine Sicherheit, schneiden in Crashtests furchtbar ab, sind billig und haben keine Chancen auf dem deutschen Markt. Aber sie werden sich einen Marktanteil erobern und dann upmarket gehen. Und irgendwann werden sie sich zur Überraschung vieler etabliert haben. Ich bin sicher, wir werden hier die dritte Entwicklungsstufe erleben.” Dr. Kurt Möser Der Mobilitäts-Typ des Low End Users hat uns schneller erreicht als Viele glauben wollten. Noch bis vor kurzem hat kaum jemand erwartet, dass Dacia für sein Modell Logan in Deutschland überhaupt Käufer finden würde. Tatsächlich aber wurden allein 2007 davon 17.000 Fahrzeuge verkauft, 2008 werden es deutlich über 20.000 sein. In Deutschland geben inzwischen immerhin schon 12 Prozent der PKW-Fahrern unter 70 Jahren an, “sehr großes” oder “großes” Vertrauen in Qualität und Sicherheit von Billig-Autos wie den Dacia Logan zu haben (vgl. Motor Presse Zukunft der Mobilität 2020 Stuttgart, Car Communication Panel 2007). Angesichts dieses Käuferpotentials wundert es nicht, dass auch Tata für seinen Nano bereits eine Europaversion angekündigt hat, die bereits 2010 auf den Markt kommen könnte. Bis 2020 wird der Low End User auf den Triade-Märkten zu einer desillusionierenden Realität, die indes auch eine große Chance offenbart: Innovationen nicht im Sinne von immer-schneller-immer-teurer, sondern neue smarte Produkte für einen neuen Massenmarkt. 4.2 Mobilitäts-Typen in den Emerging Markets 2020 Natürlich kann nicht von einheitlichen Emerging Markets gesprochen werden, da sowohl zwischen, als auch innerhalb der einzelnen Märkte große Unterschiede bestehen. Auch ein Marketing-Experte eines deutschen Automobilkonzerns, der nicht namentlich genannt werden möchte, hat das im Rahmen unserer Expertenbefragung ebenfalls betont: “Es hat sich in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel vollzogen und die Emerging Markets haben deutlich stärker an individueller Mobilität zugelegt. Auch dort hat das Auto Einzug in die ‚breite Masse’ gehalten. Doch die Segmentierungen in diesen Märkten sind sehr unterschiedlich: In Indien gibt es zu 90 Prozent nur Klein- und Kleinstwagen, während es in China und Russland doch schon viele Autos hochpreisiger Segmente gibt. Eines der ganz wichtigen Themen in der Zukunft ist es, die Spreizung zwischen den Ansprüchen der Triade-Märkte und der Emerging Markets hinzubekommen.” Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns Trotz nach wie vor bestehender Unterschiede in der Wohlstandsniveaus zwischen der entwickelten westlichen Welt und den aufstrebenden BRIC-Staaten, lässt sich eine universelle “Logik der Wünsche” feststellen, da sich die Basis der Konsumbedürfnisse weltweit in ähnlicher Form, wenn auch zeitlich verschieden entwickeln. Für den Automobilmarkt im Jahr 2020 gehen wir in den Emerging Markets von einer dreigliedrigen Typologie aus, die die grundsätzlichen Wünsche und Bedürfnisse dortiger Kunden abbildet (vgl. Abbildung 29): Abbildung 29: Mobilitäts-Typen in den BRIC-Märkten 1. Basic Mobilitäts-Einsteiger, die mit dem Fahrzeugbesitz ihren sozialen Aufstieg dokumentieren. Die Newcomer unter den Fahrzeugbesitzern erweitern durch das Fahrzeug zudem ihren Mobilitäts- und Aktionsradius 2. Smart Basic Die Smart Basics suchen nach erweiterten Mobilitäts-Optionen in Anlehnung an westliche Standards, um ihr soziales Fortkommen zu dokumentieren. Smart Basics rekrutieren sich vorwiegend aus dem Basic Segment Die Smart Basics treiben die Individualisierung des Konsums auf den Emerging Markets voran 3. Premium Premium Kunden etablieren sich als neue Wohlstandselite in den Emerging Markets, die sich zu selbstbewussten Kunden des klassischen Premium-Segments entwickeln Sie verstehen Luxus als Privileg und Ausdruck der eigenen Wertschätzung 4. Andere Die Mobilitäts-Typen der Triade-Märkte sind typischerweise in den BRIC Märkten von untergeordneter Bedeutung – sie sind unter „Andere“ subsumiert Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 49 Zukunft der Mobilität 2020 In den Emerging Economies war die Mehrheit der Menschen bislang noch durch einen stark begrenzten Mobilitäts-Grad gekennzeichnet. Nun, da sie beginnen, am Wohlstand der globalisierten Welt teilzuhaben, stehen viele der Schwellenländer kurz davor, den Sprung in die moderne Mobilitäts-Gesellschaft zu machen. Für die Menschen in den Ländern verbindet sich mit Mobilität nicht in erster Linie ein Statussymbol, sondern das Versprechen eines wirtschaftlichen Aufstiegs und Grundlage neuer individueller Freiheit. Den meisten geht es jedoch darum, motorisierte Fortbewegung überhaupt erst, egal in welcher Form und Qualität, zu erreichen. Der Versuch, ihren speziellen Ansprüchen an Mobilität gerecht zu werden, wird zu einem entscheidenden Innovationstreiber für die Automobilindustrie in den kommenden Jahren. 4.2.1 Basic: Mobilitäts-Einsteiger Kurzbeschreibung: nn Mit den Basic-Kunden kommen bis 2020 Milliarden von globalen Konsumenten in den Genuss individueller Mobilität. nn Mit einer PKW-Ausstattung haben sie nicht nur ein Zeichen ihres beginnenden sozialen Aufstiegs zur Hand. Die Basic Kunden erweitern damit ihren Aktionsradius. nn Mobilität wird für die Basic Kunden zu einem Kennzeichnen von Modernität und Anschluss an die Weltgesellschaft. nn Die Basic-Kunden werden sich künftig nicht mehr mit Fahrzeugen der letzten oder vorletzten Generation zufrieden geben. Hohe Umsätze werden dort erzielt werden, wo moderne, energieeffiziente und günstige Fahrzeuge für Einsteiger angeboten werden, die mit einer hohen Transportund Nutzerfunktionalität ausgestattet sind. nn Sie werden jedoch auch weiterhin Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellen und sich überlegen, ob sie schon bereit sind, für individualisierte Mobilitäts-Lösungen oder ob sie innovativen Massen-Mobilitäts-Ansätzen den Vorzug geben sollen. Die Basic Kunden kommen aus der aufstrebenden Mittelschicht der Emerging Markets. Sie lassen sich über die Höhe des Einkommens, aber nicht länderübergreifend definieren. In Russland können sich die mittleren Schichten etwa ab einem 50 monatlichen Einkommen von rund 1.000 US$ ein eigenes Auto leisten, im Jahr 2010 werden es 45 Millionen russische Haushalte sein. In Indien hingegen liegt das jährliche Pro-KopfEinkommen bei gerade einmal 700 US$ und erst 8 von 1.000 Indern besitzen ein Auto. Die Bedürfnisse, die Basic Kunden an Mobilität stellen, sind jedoch sehr ähnlich. Bei ihrem Mobilitäts-Konsum geht es in erster Linie um die Beseitigung eines Mangels an Autonomie und die Erschließung eines größeren Bewegungsradius. Leben und Arbeiten der Basic Kunden hat bislang im familiären Nahbereich und in den lokalen Communities stattgefunden. Die Überwindung größerer Distanzen erfolgte zumeist mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. Gütertransportern. Für viele wird das erste Auto allerdings nicht die erste Form der autonomen motorisierten Fortbewegung sein. Sie steigen vom Zweirad auf das Auto um, da sie vor allem ihr Bedürfnis nach mehr Stauraum und einer stärkeren Unabhängigkeit von den Witterungsbedingungen erfüllen wollen: In Indien, wo Zweiräder mit einem Anteil von 75 Prozent bislang noch wichtigstes Verkehrsmittel sind, setzt derzeit die 250 bis 300 Millionen Menschen starke Mittelschicht zu jenem Mobilitäts-Sprung an, den die Deutschen Mitte der 50er Jahre gemacht haben, als es in der Bundesrepublik erstmals mehr zugelassene Autos als motorisierte Zweiräder gab. Der Nachfolger des Tata Nano wird zum globalen Modell T 2.0 Wie Fords historisches Vorbild zeichnen sich die Fahrzeuge für die Basic Kunden durch einfache Handhabung und Reparatur sowie den Verzicht auf technische Extras aus. Damit erschließen sie einen völlig neuen Markt. Welches enorme Absatzpotential in den Emerging Markets liegt, zeigt die Einschätzung von Ratan Tata, Chairman der Tata Group, zur Einführung des Tata Nano: “The way I see it, this vehicle will cannibalise some of the lower-end car market and some of the higherend motorcycle and scooter market. It will eat into both of those markets but it will also create a market of its own. It will expand the market by creating a niche that did not previously exist. It may well can- Zukunft der Mobilität 2020 nibalise some of the higher-end car market, but to a small extent, and probably only when people look to buy a second or third car.” Ratan Tata (Januar 2008) Fahrzeuge für die Basic Kunden müssen sich mit maximaler Funktionalität für private und gewerbliche Belange nutzen lassen, um den Transport von Personen und Gütern zu gewährleisten. Die so genannten “rural vehicles”, die z. B. in Chinas ländlichen Gebieten trotz des immensen Kraftstoffverbrauchs und der extrem niedrigen Geschwindigkeit diese Aufgabe bislang erfüllten, werden aufgrund der steigenden Ressourcenknappheit zunehmend durch modernere Kleinstfahrzeuge ersetzt. Die Grenzen des Machbaren erhöhen den Innovationsdruck Die sich abzeichnende Massenmobilisierung insbesondere in Indien und China bringt aber auch unübersehbare Probleme mit sich. In vielen Städten steigt die ohnehin schon hohe Luftverschmutzung, die zu erwartenden Folgen für den Klimaschutz und die überlasteten Straßen sind verheerend. So besteht die Gefahr, dass das automobile System auch an seinem eigenen Erfolg scheitern könnte, wenn der negativen Entwicklung nicht rechtzeitig entgegengearbeitet wird. Dr. Martin Einhorn, Leiter der Marktforschung bei Porsche, sieht für die Zukunft deshalb auch Folgendes möglich: “In Städten wie Mumbai oder Shanghai wird es die starke Notwendigkeit geben, individuelle Automobilität irgendwann relativ deutlich zu beschränken oder zu kanalisieren. Man wird dem Bedürfnis, Auto-Mobilität zu besitzen, nicht unbegrenzt nachgeben können. Insofern ist nicht auszuschließen, dass sich schon bald ein öffentliches Massentransportsystem für die mobile Unterschicht entwickelt.” Die Ursache ist schon heute klar: Die Explosion der PKWNutzung bringt individualisierte Mobilität an ihre Grenzen. Für Horx kommen jedoch auch die zukünftigen Lösungen aus den massenmobilen Tigerstaaten: “Wir werden in Asien gewissermaßen eine nachgeholte Eskalation der Autoevolution Europas und Amerikas erleben. Dort wird es eine gigantische Explosion in der PKW-Nutzung geben, wodurch es zu einem schnellen Kollaps des klassischen automobilen Systems kommen kann. Deshalb werden wahrscheinlich auch von Asien aus relativ schnell smarte, alternative Autosysteme entstehen, weil man dort natürlich noch ganz andere Bevölkerungsmassen zu mobilisieren hat.” Matthias Horx Aber auch die Entwicklung innovativer Antriebssysteme wird durch den Mobilitäts-Sprung der Basic Kunden in Zukunft massiv vorangetrieben. Wie schnell der Wechsel von konventionellen zu elektrischen Antrieben erfolgen kann, sobald die kritischen Rahmenbedingungen erfüllt sind, zeigt die Entwicklung des Elektrozweiradmarktes in China (vgl. Abbildung 30 nächste Seite). Automobilhersteller, die auf den Massenmärkten der Zukunft Erfolg haben wollen, müssen extrem sparsame und kostengünstige Fahrzeuge mit alternativen Antrieben anbieten. Der Evolutionsdruck, der auf dem System ‚Automobil’ liegt, wird durch die Bevölkerungsmassen in Asien noch einmal verschärft. Die modernen Technologien werden sich unter Umständen in den Millionenstädten Asiens viel massiver durchsetzen. Vieles spricht dafür, dass zum Beispiel Elektroautos in großen Mengen eher in asiatischen Megacities wie Kalkutta als in London und Berlin fahren werden. Dr. Martin Einhorn 51 Zukunft der Mobilität 2020 neu Abbildung 30: Verkauf motorisierter Fahrzeuge in China in Millionen 16 14 Gasoline-powered two-wheelers (G2W) Electric two-wheelers (E2W) 12 Passenger vehicles 10 8 6 4 2 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 Quelle: J. Weinert et al., The future of electric two-wheelers and electric vehicles in China (2008) 4.2.2 Smart Basic: Die mobilisierte globale Mittelschicht Kurzbeschreibung: nn Die Smart Basic Kunden suchen nach neuen MobilitätsOptionen, die ihren sozialen Aufstieg widerspiegeln. nn Sie steigern die Nachfrage nach Komfort-Ausstattungen bei Fahrzeugen auf den Emerging Markets. nn Smart Basics treiben die Individualisierung des Konsums auf den Emerging Markets voran. nn Smart Basics sind nicht nur an sozialem Aufstieg westlicher Prägung und der Manifestation ihres ökonomischen Status interessiert, sie fordern zunehmend auch eine deutliche Umweltorientierung und soziale Verantwortung von Unternehmen ein. Nachdem die globale Mittelschicht bis 2015 eine grundlegende Mobilitäts-Versorgung erreicht haben wird, erweitern sich die Mobilitäts-Ansprüche vieler Konsumenten in den schnell wachsenden Volkswirtschaften. Mit ihrem wirtschaftlichen Aufstieg gewinnen vor allem Komfortaspekte für Smart Basic Kunden an Bedeutung. Ihr Konsumverhalten trägt 52 wesentlich zur Pluralisierung der Märkte bei und sorgt dafür, dass die zentrale Bedeutung der Triade als Leitmarkt für die Automobilbranche weiter zurückgeht. Die beschleunigten Veränderungen der Konsumbedürfnisse in den Emerging Economies machen sich auch darin bemerkbar, dass sich eine wachsende Umweltorientierung schneller einstellt, als es auf den Triade-Märkten der Fall war. Besondere Relevanz hat dies bei den Bewohnern der Megacities in Asien und Lateinamerika. Sie sind am unmittelbarsten von den verkehrsbedingten Umweltbelastungen betroffen. Mit dem Wohlstand steigen die Ansprüche Bei den Smart Basic Kunden handelt es sich in erster Linie um besser verdienende und gebildete, anspruchsvollere Kunden. Sie haben in ihrem Leben bereits Basis-Mobilität in Form von ersten Kleinstfahrzeugen oder qualitativ hochwertigen Zweirädern erlebt und möchten nun im nächst höheren Segment einsteigen. Durch ihren ökonomischen Erfolg denken sie daran, ihre Wünsche jenseits von pragmatischer Funktionalität zu erfüllen, wie uns ein Vertriebsspezialist eines deutschen Autokonzerns erklärt: Zukunft der Mobilität 2020 “Es gibt einen konstanten Zufluss von Menschen, die vom Moped her in den Automobilmarkt kommen. Es gibt aber auch viele, die ihr erstes oder zweites Auto schon haben und die dann mit steigenden Wohlstand sagen: Ich möchte ein größeres, ich möchte ein moderneres Fahrzeug, ich möchte ein Auto mit mehr Features haben.” Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns Die Konsumbedürfnisse, die sich auf den westlichen Märkten über ein halbes Jahrhundert entwickelt haben, werden sich bei den Smart Basic Kunden um ein Vielfaches schneller einstellen. Ihre Wünsche sind dank globaler Medienöffentlichkeit schnell gewachsen und ihre Leitbilder orientieren sich am westlichen Lifestyle. Was das für die Entwicklung auf den Automobilmärkten bedeutet, erklärt er folgendermaßen: Akzeptanz und Prestige eines Anbieters entscheiden. Technische Features, die in westlichen Kleinwagen längst Standard sind, weil sie der Sicherheit dienen, lösen unter Indern und Chinesen Begeisterung aus. “Westlichkeit” wird von den Smart Basic Kunden noch lange als Symbol für den eigenen Aufstieg verstanden und nachgefragt. Neo-Ökologie und Nachhaltigkeitsdenken prägen den Mobilitäts-Konsum Der größer werdende Wunsch nach Mobilität der Smart Basic Kunden konfrontiert sie aber auch zwangsläufig immer öfter mit der Ressourcen- und Umweltproblematik. Nicht zuletzt von staatlicher Seite werden Gesetze erlassen, die den ungezügelten Mobilitäts-Konsum einschränken. Johannes Reifenrath, Mercedes-Benz Cars, geht davon aus, dass Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit auch in den Emerging Markets ganz schnell weit oben auf der Agenda der Konsumenten stehen wird: “Es wäre falsch zu glauben, dass aufstrebende Industriestaaten kaum Umweltbewusstsein hätten. “Die Haltedauern sind in diesen Märkten oft schon In China und Indien beispielsweise gibt es bei den sehr kurz. Nehmen Sie zum Beispiel Russland, dort Regierungen klare CO2-Pläne, die sich zunehmend liegt sie sogar unter drei Jahren. Da steigen die Kon- an strengen Vorschriften etablierter Industriesumenten im günstigen und erschwinglichen Lada staaten orientieren. Heute verkaufen wir 20 Prozent ein. Wenn sie zu mehr Kaufkraft kommen, steigen sie der S-Klasse in China als 12-Zylinder, und diesen meistens in einen Koreaner um und dann versuchen Kunden ist Status heute noch viel wichtiger als Versie möglichst bald einen Westeuropäer zu fahren, um brauch und CO2. Trotzdem ist klar: Auch dort wird zu zeigen: ‚Ich habe es geschafft’.” in Zukunft Status wichtig sein, aber bitte mit voller Verantwortung für die Umwelt’.” Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns Der Konsum der Smart Basic Kunden ist vor allem durch das Nachholbedürfnis nach westlichem Lifestyle und Markenglamour geprägt. In dieser Phase ihrer Konsumentwicklung werden die heimischen Automobilhersteller mit ihren meist nur gering ausdifferenzierten Modelpaletten dem Mobilitäts-Typ der Smart Basics nicht mehr gerecht. Westliche Automarken haben aus Sicht der Smart Basics das bessere Image und schönere Design. Oftmals sind es nur kleine Details, die über Johannes Reifenrath Inzwischen gehen auch die Regierungen schnell wachsender Volkswirtschaften verstärkt dazu über, durch strengere Vorschriften und Steuergesetze den Energieverbrauch zu kontrollieren und den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren. Die staatliche Regulierung zum Umwelt- und Klimaschutz wird also künftig massiv steigen. 53 Zukunft der Mobilität 2020 Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite beginnt schon heute in Ländern wie China auch in den Medien eine öffentliche Debatte über die Möglichkeiten und Notwendigkeit von Energieeinsparung und Emissionskontrollen, die ihre Wirkung zeigt. Megacities sind die Vorreiter beim Umweltschutz: Shanghai etwa hat jüngst einen Entwicklungsplan vorgelegt, nachdem die Stadt langfristig zur “Eco-City” umgebaut werden soll. Der Mega-Trend Neo-Ökologie zeigt sich also auch immer stärker in Schwellenländern. Davon werden selbstverständlich auch die OEM betroffen sein, die sich in den nächsten Jahren auch auf den Emerging Markets verstärkt mit Fragen von Schadstoffbegrenzung, verbrauchsabhängiger Besteuerung und der Limitierung des Kraftstoffverbrauchs auseinandersetzen müssen. Wer hier die zu erwartenden strengen Standards nicht erfüllt, muss künftig mit Verboten bei Produktion und Verkauf rechnen. Trotz des wachsenden Mobilitäts-Bedürfnisses setzt sich bei den Smart Basics zunehmend die Erkenntnis durch, dass AutoMobilität nicht uneingeschränkt zu Lasten der Umwelt und Lebensqualität gehen darf. “In Indien kann man z. B. sehen, dass das Ökologiebewusstsein sehr stark ausgeprägt ist. Das speist sich aus zwei Quellen: Einmal weiß man, dass das Wirtschaftswachstum des Landes nur dann weiter geht, wenn man Energiesicherheit hat. Deshalb möchte man möglichst wenig Energie durch Auto-Mobilität verbrauchen und daher ist die Forderung der Kunden wie auch der Regierung nach verbrauchsarmen Produkten sehr hoch. Andererseits existiert aus religiöser und kultureller Tradition heraus eine starke Naturverbundenheit und die Menschen erwarten dort, dass man etwas für das Land und die Umwelt tut. “ Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns 54 Die Sensibilisierung für Umweltthemen entwickelt sich vor allem aus der Mittelschicht heraus, wenn diese verstärkt am Wohlstand partizipiert und sich mehr um Lebensqualität als ums “Überleben” Gedanken machen kann. Deshalb sind es eher die Smart Basic Kunden, die die Entwicklung vorantreiben; wer es sich leisten kann, eine S-Klasse zu fahren, wird hingegen wiederum eher nach westlichem Status greifen, auch wenn der nicht “clean & green” ist. Gesetzliche Reglementierungen und zu erwartende öffentliche Kampagnen werden bei den Smart Basic Kunden auf ein ohnehin geschärftes Bewusstsein für den eigenen Beitrag zum Umweltschutz treffen. Nirgendwo sonst ist der gefühlte ökologische Druck größer als in den Metropolen und Megacities der aufstrebenden Länder. Durch steigendes Bildungsniveau, digitale Vernetzung und wahrgenommene Umweltbelastungen wird auch die postmaterielle Wertediskussion und das Greenovator-Denken für die Smart Basic Kunden schneller eine Rolle spielen, als das in den TriadeMärkten der Fall war. Auch hier handelt es sich um eine beschleunigte Entwicklung im Zeitraffer, die die Smart Basics schneller vollziehen werden, als dies in der Vergangenheit auf den TriadeMärkten der Fall war. Unser Vertriebsexperte stützt diese These: “Man muss einfach sagen, dass gerade die Menschen, die in Indien ein Auto kaufen, eine sehr gute Ausbildung haben. Durch internationales Studium und globale Orientierung, Internet, Satellitenfernsehen wissen sie natürlich, was in der Welt geschieht. Da ist das Anspruchsniveau extrem hoch. Es sind junge, gut ausgebildete, sehr anspruchsvolle Kunden, die sagen, ich will keine Dritte-Welt-Technik. Ich will meinem Land nicht schaden, ich will etwas für mein Land tun. Und wenn du als Hersteller hier Autos verkaufen willst, dann musst du das liefern, was wir wollen und du darfst unser Land nicht schädigen.” Marketing und Vertriebsexperte eines führenden Automobilkonzerns Zukunft der Mobilität 2020 Die gute ökonomische Situation erlaubt es den Smart Basics, sich nicht nur Mobilitäts-Wünsche jenseits von Pragmatik zu erfüllen, sondern gestattet auch eine initiale Hinwendung zu weniger materiellen Wünschen. Am Typus der Smart Basic Kunden zeigt sich: “Grünes Denken” ist schon jetzt nicht mehr das Privileg westlicher Wohlstandsgesellschaften, sondern wird mittelfristig auch in die globale Mittelschicht Einzug halten. 4.2.3 Premium: Die Elite-Mobilität für die Emerging Markets Kurzbeschreibung: nn Premium-Kunden etablieren sich als eine neue Wohlstandselite in den Emerging Economies, die sich zu selbstbewussten Kunden des klassischen Premium-Segments entwickeln. nn Premium-Kunden begreifen Luxus als Auszeichnung und Ausdruck der eigenen Wertschätzung. nn Premium-Kunden sind die Konsumenten der Zukunft auf hochpreisigen globalen Prestige-Märkten. nn Die Premium-Kunden werden klassischen Status-Luxus in Zukunft jedoch nicht mehr nur als “gnädiges Geschenk” aus der entwickelten Welt auffassen. Sie werden versuchen, den Wunsch nach Exklusivität mit eigenen Werten, regionalen Traditionen und kulturellem Erbe in Einklang zu bringen. Die Premium-Kunden rekrutieren sich aus der Wohlstandselite der Emerging Markets. Sie sind extrem konsumfreudig, markenaffin und qualitätsbewusst. Ihr Luxus-Konsum ist demonstrativ ein Zeichen ihres gesellschaftlichen Aufstiegs und Ausdruck ihres Wunsches, an der westlich geprägten Wohlstandskultur teilzuhaben. Neben der klassischen ProtzSymbolik des “Größer-Schneller-Teurer” spielen aber zunehmend auch moderatere Formen des Understatement-Luxus eine Rolle. Hohe Zahlungsbereitschaft für Distinktion und Exklusivität Der Konsum von Luxus ist immer auch ein Versuch der Differenzierung, Ausdruck von Individualität und symbolisiert eine Abkehr vom Alltäglichen. Luxus liefert den PremiumKunden Distinktionsgewinne. Während in den Industrienationen spätestens seit den 90er Jahren postmaterielle Werte eine zentrale Position einnehmen, spielen für die Premium-Kunden Status- und Prestige-Features eine wichtige Rolle. Andreas Knie beurteilt die Entwicklung auf den Emerging Markets folgendermaßen: “Das, was wir bis in die 70er Jahre von den TriadeMärkten als klassischen Status-Luxus kennen, wird in China in den nächsten Jahren große Bedeutung erlangen. Dort erleben wir genau das, was wir in Europa und den USA schon kennen, zeitversetzt später.” Prof. Dr. Andreas Knie Bis 2020 werden sich große Anteile des klassischen LuxusMarktes – von Edelaccessoires bis zum Premiumauto – in viele Zentren der Emerging Markets verlagern. Aber auch wenn es hier um Status-Luxus geht, der Zeitraffereffekt in den nachholenden Gesellschaften gilt auch für die Überwindung einer rein materiellen und statusbewussten Lebensstilorientierung. Bei den Premium-Kunden handelt es sich ebenso um die “alten” Business- und Staatseliten wie auch um die “neuen Reichen”, die mit frischem Geld auch frischen Wind in den globalen LuxusMarkt bringen. Je mehr Menschen der globalen Mittelschicht sich in den Emerging Markets künftig ihre indivi-duelle AutoMobilität leisten können, desto stärker wird der Drang der Premium-Kunden nach statusorientierter Abgrenzung. Suche nach Authentizität: Erwachendes Selbstbewusstsein steigert den Wunsch nach regionalen LuxusProdukten Nach der zunächst starren Orientierung gen Westen wird sich schon in den nächsten zehn Jahren vor allem in China und Indien ein neues, emanzipiertes Selbstverständnis der ehemaligen “Dritte-Welt-Länder” herausbilden. Und das heißt: Die Premium-Kunden werden sich in Zukunft nicht mehr nur an westlichem Markenglanz orientieren, sondern vermehrt Produkte nachfragen, die ihre eigene Identität und Herkunft widerspiegeln. Obwohl die Luxus-Marken der “alten Welt” einstweilen einen enormen Imagevorsprung haben, ist in naher Zukunft mit neuen Premiummarken globaler Herkunft zu rechnen. 55 Zukunft der Mobilität 2020 Ausnahmeunternehmer wie Ratan Tata stehen schon heute für eine neue “globale Vision” und eine neue Marken- und Unternehmenskultur, die den verblassenden amerikanischen Traum ablöst. Sie können künftig auch bei den Premium-Kunden ein entsprechendes Image und die Ausstrahlung von Luxus entwickeln, die vormals nur “westlichen Marken” vorbehalten war. Auf einer oberflächlichen Ebene hat die Fusion des klassischen Luxus mit der Ökonomie der Emerging Markets ohnehin längst begonnen. Für Dr. Kurt Möser ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass der westeuropäische Markt künftig Luxus aus den BRIC-Staaten importieren wird: 4.3 Abschätzung der Marktverteilung “Man beobachtet ja gerade, dass ausgerechnet Tata zur Zeit Luxus-Marken kauft. Es kann sein, dass traditionelle Luxus-Marken, die das feine britische Image haben, in Zukunft auch als ‚Inder’ zu uns kommen.” Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass der einzelne Kunde nicht einem Mobilitäts-Typen alleine zugeordnet werden muss. Sehr wohl ist es denkbar, zur Gestaltung des Arbeitsalltags ein High-frequency Commuter zu sein, am Wochenende jedoch zusätzlich noch alle Eigenschaften eines Spaßfahrers, also eines Sensation Seekers, zu erfüllen. Die Verteilung bezieht sich also auf den absoluten Mobilitäts-Konsum und ergibt als solche Dr. Kurt Möser Die Aufteilung des Mobilitäts-Marktes in Mobilitäts-Typen stellt eine wichtige Eingangsgröße für die Auslegung zukünftiger Geschäftsmodelle dar. Einige Mobilitäts-Typen werden das Massensegment von morgen darstellen, andere bleiben Marktnischen. Wie attraktiv die Kundensegmente hinsichtlich erzielbarer Margen sein können, hängt natürlich von einer Reihe von Faktoren ab, wie den dort angebotenen Produkten und Dienstleistungen sowie den Kostenstrukturen. Im Rahmen dieser Studie wird darauf nicht eingegangen werden. konsolidiert 100 Prozent (vgl. Abbildung 31). In den Triade-Märkten wird erwartet, dass die Mobilitäts-Typen Greenovator, High-frequency Commuter und Silver Driver zusammen gut 75 Prozent des Marktes stellen. Zusammen mit den Family Cruisern und den Low End Usern ergibt sich Abbildung 31: Verteilung des Mobilitäts-Konsums auf Mobilitäts-Typen Triade-Märkte Sensation Seeker BRIC-Märkte Global Jet Setter 4% Low-End User 8% 2% Greenovator Premium 4% Andere 5% 27 % Family Cruiser 11 % HighFrequency Commuter 24 % Triade: NAFTA, EU & industrialisiertes Ostasien Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020“ 56 Silverdriver 24 % Smart Basic Basic 43 % 48 % BRIC: Brasilien, Russland, Indien, China Zukunft der Mobilität 2020 sogar eine Marktabdeckung von knapp 95 Prozent. Typische Nischenmärkte werden durch die Sensation Seeker und die Global Jet Setter präsentiert. Der Greenovator stellt 2020 sicherlich einen der dominantesten Mobilitäts-Typen dar. Wie bereits beschrieben entsteht er aus der Konsumentenbewegung LOHAS, welche in den westlichen Märkten in 2020 entsprechend der Prognosen des Zukunftsinstituts bereits über ein Drittel ausmachen wird. Der Automobilmarkt wird diese Entwicklung zwar nicht vollständig, aber trotzdem zu einem großen Teil widerspiegeln. Die Silver Driver hingegen sind die Senioren von morgen. Bedingt durch die demographische Entwicklung wird jeder dritte Automobilkäufer in Mitteleuropa über 60 Jahre alt sein – jedoch nicht jeder seniore Kunde ist deswegen im Umkehrschluss ein Silver Driver. Die High-frequency Commuter stellen das Äquivalent des heutigen Pendler dar. Aufgrund der zunehmenden Urbanisierung in den Megacities und der Verbesserung der Infrastruktur im Nahverkehrsbereich ist deren Anteil am Gesamtmarkt hierbei leicht rückläufig. Gesellschaftlich und familienpolitisch hat sich in den reiferen Märkten viel getan – und an einigen Schlüsselthemen der modernen Gesellschaft, wie beispielsweise der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wird auch weiterhin fieberhaft gearbeitet werden. Familien zu gründen wird wieder attraktiver werden und mit weniger Verzicht und Entbehrung verbunden sein. Dies macht das Familiy Cruiser Segment zu einem wahren Wachstumsmarkt. Die Low End User stehen für den Teil der Gesellschaft, die nur so wenig wie möglich für Individualmobilität ausgeben. Zu denen, die tatsächlich nicht mehr ausgeben können, müssen noch die addiert werden, die nicht mehr ausgeben wollen – beispielsweise Kunden, die motiviert durch die LOHAS Bewegung Individualmobilität soweit als möglich reduzieren wollen, dabei aber kaum Ansprüche an Technik und Design stellen, wie es die Greenovator typischerweise tun. Zweitkäufer hingegen sind eher dem Smart Basic Segment zugeordnet. Kurz gesagt: der Basic Kunde von heute ist der Smart Basic Kunde von morgen. Wird die durchschnittliche Dauer, die ein Fahrzeug in der Hand des Erstbesitzers bleibt, und die prognostizierte Anzahl der Neukunden in Betracht gezogen, ergibt sich ein beinahe ausgeglichenes Verhältnis zwischen Basic und Smart Basic Kunden. Die Aufteilung des BRIC-Marktes hingegen ist etwas weniger feingliedrig. Noch vor einigen Jahren gab es dort im Verhältnis zu den Bevölkerungszahlen nur einen sehr geringen Absatzmarkt. Seit etwa 5 bis 10 Jahren steigt der Automobilbestand rasant, wobei viele Kunden naturgemäß Erstkäufer sind. Der Einstieg in den Automobilmarkt erfolgt über das Basic Segment, 57 Zukunft der Mobilität 2020 5. Geschäftsmodelle für die IndividualMobilität in 2020 5.1 Warum Geschäftsmodelle von heute morgen nicht mehr funktionieren Die Geschäftsmodelle der Automobilkonzerne stecken im wahrsten Sinne des Wortes in der Klemme. Das Geschäft aus dem Neuwagenverkauf, bislang der größte Teil der Umsätze der Automobilkonzerne, ist schwer angeschlagen und wird sich 2009 voraussichtlich nicht nachhaltig erholen. Dies scheint im Widerspruch zu dem in Kapitel 3 aufgezeigten stark steigenden Mobilitäts-Bedarf zu stehen. Die rückläufigen Absätze der Automobilindustrie stellen allerdings den Indikator für die Zahlungsbereitschaft der Kunden für Individualmobilität dar, sie lassen jedoch keinen Rückschluss über den quantitativen Konsum von Mobilität zu. Der Kunde sucht zwar derzeit nach kostengünstigen Alternativen, “verlängert” die Lebenszeit seines alten Gebrauchtwagens, setzt in seiner Kaufentscheidung auf verbrauchseffiziente Kleinfahrzeuge und nimmt zunehmend Car-Sharing-Angebote wahr, ohne dabei aber tatsächlich weniger Mobilität zu konsumieren. Kurz gesagt: Die Zahlungsbereitschaft für Individualmobilität hat in den gesättigten Märkten ihr Maximum trotz steigendem Mobilitäts-Bedarf sehr wahrscheinlich überschritten – der Kunde wird zukünftig einen geringeren Teil seines Einkommens in ein eigenes Fahrzeug investieren. Diese Entwicklung stellt einen Bruch zu dem dar, was in den Automobilmärkten in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war: die Zahlungsbereitschaft stieg scheinbar unaufhörlich und war neben der Erschließung neuer Märkte ein wesentlicher Wachstumsmotor der Automobilindustrie. Nur darüber konnten die Vielfalt an Innovationen und die damit verbundenen hohen Investitionen finanziert werden. In einem ausgeglichenen Gleichgewicht aus Zahlungsbereitschaft und Investitionsbedarf blieb genügend Spielraum für attraktive Margen für die Fahrzeughersteller. Neben der aktuell zu beobachtenden stagnierenden Zahlungsbereitschaft steigt gleichzeitig die Kostenseite in den Gewinnund Verlustrechnungen der Automobilkonzerne stetig an. Die Unternehmen haben bedingt durch die anhaltende Nachfrage aus Asien zuletzt empfindliche Steigerungen in den Rohstoffkosten hinnehmen müssen, die Personalkosten sind zumindest entsprechend der Inflationsquote gestiegen. Die enormen Aufwendungen, die derzeit für die Entwicklung von alternativen Antrieben aufgebracht werden müssen, schlagen zusätzlich bei den Material- und Personalkosten zu Buche. In den nächsten Jahren ist zudem eine überdurchschnittliche Investitionsquote zu erwarten, da die sukzessive Umstellung auf alternative Antriebe und neue Fahrzeugkonzepte mit neuen Zulieferbeziehungen, neuen Fertigungstechnologien und Produktionsanlagen und in Konsequenz mit schlechterer Gesamteffizienz in der Ramp-up Phase verbunden sein wird (vgl. Abbildung 32). Abbildung 32: Profitklemme in der Automobilindustrie Kostenstruktur Automobilproduktion in den Triade-Märkten Index 100 = UPE 120 100 Mittelfristig steigende Materialkosten Personalkostenanstieg entsprechend Inflation in WE, stärkerer Anstieg in EE und BRIC Mittels Restrukturierung und Kosteneinsparungen können Steigerungen in den Gemeinkosten (v. a. Personalkosten) kompensiert werden Rabatthöhe korreliert mit Zahlbereitschaft der Kunden, welche tendenziell abnimmt oder stagniert Rabatt 5-15% Î ~5% ~20% 80 Î 60 Projektmarge des Unternehmens heute ~25% 40 Ò 20 Margenreduktion Rückläufige bis hin zu negativen Renditen auf Fahrzeugprojekte mit bisherigen Geschäftsmodellen ~55% 5-20% Zusätzlich Entwicklungsund Herstellungskosten pro Fahrzeug für alternative Antriebe variieren je nach Fahrzeug- und Antriebskonzept 0 FertigungsFertigungseinzelkosten einzelkosten FertigungsFertigungsgemeinkosten gem einkosten Zielrendite Zielrendite UPE UPE Händlermarge Händlerm arge Kostenstruktur heute Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 58 ZahlungsZusätzlicheKosten HK ZahlungsZusätzliche bereitschaft Kunden Antriebe bereitschaft Kunden alternative alternativer Antriebe Zukünftige Zusatzbelastung Tendenz: Ò Position nimmt zu Ô Position nimmt ab Zukunft der Mobilität 2020 Selbst wenn sich die Absatzzahlen wieder auf dem Vorjahresniveau einpendeln oder sogar moderat wachsen, werden die Gewinne der Automobilkonzerne sukzessive schwinden. Die Automobilbranche ist, bildlich gesprochen, in der Vergangenheit durch Wachstum vor den steigenden Kosten geflohen. Ist Wachstum zukünftig nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt möglich, ist die Rentabilität Einzelner in der Branche in Frage gestellt. Welche Handlungsoptionen hat die Automobilindustrie an dieser Stelle? Derzeit werden alle Hebel gezogen, um die Konzernergebnisse durch Reduktion der Kosten zu verbessern, oder zumindest krisenbedingte Verluste zu reduzieren. Benchmarks mit anderen Industrien zeigen allerdings, dass die Automobilindustrie hier oftmals Vorreiter und Innovator für effiziente Maßnahmen zur Kostenreduktion ist. Die vergleichsweise geringen Verbesserungspotentiale auf der Kostenseite sind allenfalls geeignet, der Industrie mittelfristig etwas Luft zu verschaffen. Langfristig können sich die Automobilhersteller nur über geeignete Marktstrategien aus der Krise befreien, welche dem geänderten Kundenverhalten und Mobilitäts-Bedarf gerecht wird. Die Wege aus der Branchenkrise heraus sind hierbei individuell. Je nach strategischer Positionierung und Ausrichtung ergeben sich für jeden Hersteller grundsätzlich unterschiedliche Handlungsoptionen. 5.2 Lösungsszenarien in anderen Industrien IT-Industrie Dass es Auswege aus einem Marktumfeld mit Margenverfall und dicht gedrängtem Wettbewerb geben kann, zeigt ein Rückblick auf die IT-Industrie Mitte der 90er Jahre. Damals profitierten in der IT-Branche vor allem die Monopolisten in den Bereichen Betriebssysteme und Prozessoren, während ein Marktüberangebot die eigentlichen Hardware-Hersteller wie IBM, Compaq oder Hewlett Packard in ruinöse Preiskämpfe trieb und letztlich zu drastischem Margenverfall führte. Heute arbeiten die Hersteller mit deutlich diversifizierten Geschäftsmodellen, und die meisten von ihnen können heute erfolgreiche Bilanzen vorweisen (vgl. Abbildung 33). Dell hat sich weiterhin als reiner Hardware-Hersteller, allerdings mit revolutionierten Vertriebs- und Produktionsprozessen positioniert. Durch Umsetzung einer 1-to-1-Marktstrategie hat es der Computer-Hersteller geschafft ein direktes Vertriebsmodell aufzubauen, welches es erlaubte, bei geringem Umlaufvermögen sehr kostengünstig zu produzieren und die Produkte ohne Zwischenhändler auf den Markt zu bringen. In einem vertikalen Netzwerk wurden strategische Kernkompetenzen, wie beispielsweise Support-Funktionen oder die Fertigung von Monitoren, durch Zulieferer oder Drittanbieter abgedeckt. Das Unternehmen Dell konnte somit seine Kapazitäten auf das Orchestrieren des Vertriebs- und Produktionsprozesses konzentrieren. Abbildung 33: Geschäftsmodelle in der IT-Industrie Geschäftsmodelle in der PC-Hardware-Industrie Bindung an das Produkt Servicetiefe Schlanke Vertriebsstruktur, ausschließlich über Online-Shops Individualisierte Produkte Order to delivery Æ minimale Bestände Services über Drittanbieter Technikaffiner Kundenstamm mit geringem Servicebedarf Premium/Design Geschäft online oder über Apple Stores Hardware und Software/Inhalt durch Geschäftsmodell eng verbunden (iTunes Store ínkl. Media, Spiele, Applikationen, …) Global agierender voll integrierter IT-Service-Dienstleister Serviceangebot zu großen Teilen hardware-unabhängig Fokussierung auf Geschäftskunden mit hohem Servicebedarf Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 59 Zukunft der Mobilität 2020 Außerdem stellte erstmals ein Hardware-Hersteller Ansprüche an das Produkt-Design und rechtfertigte damit seinen Anspruch als Premium-Hersteller. Als erster Computer-Hersteller hat Apple das Angebot um eine Reihe von Onlinediensten erweitert (iTunes, Apple Movie Trailers, iWork etc.). Die Hardware, sei es das iPhone oder der iMac, ist Enabler und Zugangsvoraussetzung für die Online-Dienste gleichermaßen. Dadurch ist es Apple gelungen, ein Multi-Revenue Geschäftsmodell aufzubauen, in dem zusätzlich zum eigentlichen Produktverkauf Umsätze über den Produktlebens-Zyklus generiert werden. IBM hingegen erweiterte die strategischen Kernkompetenzen um die Bereiche Software-Entwicklung und IT-Dienstleistungen, nachdem das Unternehmen in den 90er Jahren seine Marktführerschaft in der Hardwareherstellung an Mitbewerber verloren hatte. Der Beratungsbereich wurde vor allem aufgrund der veränderten Bedürfnisse von Großkunden, die zunehmend Unterstützung bei der Installation und dem Betrieb von Servern benötigten, teilweise durch Akquisitionen massiv ausgebaut. Während IBM weite Bereiche der Hardware-Sparte sukzessive an Unternehmen wie Lenovo oder Hitachi verkauft hatte, hat sich der weitere Entwicklungsfokus auf “Mobile Web Services”Geräte verschoben. Neben der IT-Beratung und der SoftwareEntwicklung hat IBM zudem mit dem Global Finance Bereich einen der größten IT-Finanzdienstleister aufgebaut. Heute ist IBM, ehemals entstanden als Hersteller von Maschinen zur Lochkartenauswertung, ein hochprofitabler, voll integrierter globaler IT-Servicedienstleister. Markt Mobilfunktelefone Die Umsetzung eines Multi-Revenue Modells ist heute ebenso sehr gut in der Mobilfunkindustrie zu beobachten. Wiederum zeigt Apple als neuer Wettbewerber in dieser Industrie, wie über ein Produkt mehrere Umsatzströme aus Applikationen, Medien und Services generiert werden können. Das Software-Geschäft des Technologiekonzerns entpuppt sich hierbei zu einer wahren Goldgrube. Alleine im ersten Monat der Einführung der zweiten iPhone-Generation wurden über den iTunes Apps Store von den Nutzern über 60 Millionen Programme für das Lifestyle Mobiltelefon heruntergeladen. Pro Tag wird für Apple auf diesem Weg ein Umsatz von knapp einer Million US$ generiert (vgl. Abbildung 34). Einen ganz anderen Weg aus dem dicht gedrängten Wettbewerberumfeld fand Apple Computers, die 1976 ebenso als reiner Computerhersteller gegründet wurden. Mitte der 90er Jahre geriet Apple durch die Preiskämpfe in eine tiefe Krise und stand kurz vor einer feindlichen Übernahme. Erst durch die Entwicklung eines völlig neuen Betriebssystems konnten sich die Systeme von den Wettbewerbsprodukten absetzen. Products Abbildung 34: Multi-Revenue Geschäftsmodelle im Markt Mobilfunktelefone Mobile Hardware Stationäre Hardware ? 2000 2004 Services Apple iTunes 2008 2012 Music Standard Gerät ? 2000 2004 Nokia Ovi Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 2012 N-Gage Video Gegenseitige Abhängigkeit von Hardware und Software bzw. Media-Inhalt Exklusiver Kundenzugang ermöglicht hohe Rendite 2008 Nokia Maps Nokia Music Gateway Applications Updates 60 Smart Phone Nokia Life Tools 2000 2004 2008 2012 Rückläufige Umsätze mit Mobiltelefonen Nokia als Marktführer passt das Angebotsportfolio zugunsten Services und Inhalten an Zukunft der Mobilität 2020 Diesem Beispiel folgt derzeit der bis dato vollständig produktorientierte Marktführer Nokia, jüngst mit deutlichen Umsatzeinbußen. Durch die Einführung der Nokia Online-Plattform Ovi stehen dem Kunden mittlerweile eine Vielzahl von Medien und Navigationskarten für die technologisch sehr aufwändigen Smartphones der neusten Generation zur Verfügung. Der technisch unspektakuläre Datendienst “Nokia Life Tools” hingegen zielt vor allem auf Kunden aus den Emerging Markets ab, die über einfache SMS-Nachrichten demnächst indischen Landwirten, Schülern und Studenten schnellen Zugriff auf zeitkritische Informationen bieten. Im Februar 2008 wurde zudem das Apps-Store Äquivalent Juniper vorgestellt, auf dem Applikationen für die Symbian-Plattform der Nokia-Mobiltelefone angeboten werden. Die Neuausrichtung des Konzerns folgt also, ähnlich wie Apple, dem Motto “Inhalt statt Hardware”. 5.3 Lösungsansätze in der Automobilindustrie Beispiele aus anderen Industrien zeigen, dass die Umstellung von Geschäftsmodellen in einem stagnierenden Gesamtmarkt der aus wirtschaftlicher Sicht richtige Weg sein kann, um über zusätzliche Umsatzströme weiter wachsen zu können und einem engen Wettbewerberumfeld zu entfliehen. Voraussetzung ist natürlich, dass durch das Zusatzangebot oder das veränderte Angebot Produkte und Dienstleistungen entstehen, für die es eine tatsächliche Marktnachfrage gibt. Global steigender Mobilitäts-Bedarf und rückläufige Absatzzahlen in der Automobilindustrie zeigen, dass es einen signifikanten Bedarf an Individualmobilität gibt, der derzeit nicht oder mit unzureichenden Konzepten bedient wird. Hinzu kommt die Vielzahl von wechselwilligen Kunden, die heute bereitgestellte Mobilitäts-Konzepte zwar nutzen, allerdings nur in Ermangelung der für sie geeigneten Alternative. Die Automobilindustrie, aber auch andere Industrien haben erkannt, dass sich das gesellschaftliche Verständnis von Mobilität im Umbruch befindet und eine enorme Bedarfslücke gerade dabei ist zu entstehen. Folgende Beispiele zeigen Ansätze und Pilotprojekte, in denen innovative Formen von Individualmobilität bereitgestellt werden. DB Rent Ein sehr fortschrittliches Mietwagenkonzept wird seit Januar 2009 als Pilotprojekt von der DB-Rent angeboten. Zum Niedrigpreis sollen Kleinwagen bei “Flinkster”, so der Name des Projekts, vermietet werden – für 1,50 EUR pro Stunde und einer Kilometerpauschale von 25 Cent. Angelehnt an das Call-a-Bike Konzept, welches mit großem Erfolg in vielen großen deutschen Städten kostengünstig Mietfahrräder zur Verfügung stellt, können die Mietwagen nach Nutzung an einem beliebigen Ort stehen gelassen werden. Eine Reservierung ist vor der Fahrt nicht nötig. Wer sich bei der Bahn anmeldet erhält eine Chipkarte, mit der sich das Fahrzeug öffnen lässt. Die DB Rent adressiert mit diesem Angebot v. a. die Kundengruppen, die sich eine Basismobilität ohne Fixkosten und ohne Kauf eines eigenen Fahrzeugs erhalten wollen. Aber auch Kunden, die spontan auf Mobilität zugreifen wollen, die zu Besuch in einer fremden Stadt sind, oder die in seltenen Fällen im Jahr Bedarf an einem Zweitwagen haben. “How do you make this world a better place in 2020?” Ein neuartiges und vielbeachtetes Konzept zur Bereitstellung von individueller Mobilität wurde vom Ex-SAP Vorstand Shai Agassi im Projekt “Better Place” aufgesetzt. Initiiert durch die von Klaus Schwab auf dem Weltwirtschaftsforum 2005 in Davos gestellte Frage (wie oben zitiert) setzte der Israeli Agassi ein ehrgeiziges Projekt auf, um 2020 Individualmobilität ohne Abhängigkeit von Erdöl vermarkten zu können. Das Konzept sieht vor, dass der Kunde ein Elektrofahrzeug selber kauft oder finanziert, die Batterie jedoch Eigentum des Projekts “Better Place” beibt. Der Akkumulator wird an Ladestationen zuhause oder am Arbeitsplatz mit Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien aufgeladen. Die Fahrzeuge erzeugen so eine Reichweite von 160 km. Für längere Strecken wird der Akkumulator an Wechselstationen vollautomatisch getauscht. Der Kunde bezahlt nicht für die Menge des aufgenommenen Stroms, sondern für die Zahl der gefahrenen Kilometer. Die Rentabilität des Projekts “Better Place” steigt also bei sinkenden Energiekosten pro gefahrenem Kilometer. Die Fahrzeughersteller haben deswegen zusammen mit den Energielieferanten ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, möglichst energieeffiziente Fahrzeuge herzustellen. 61 Zukunft der Mobilität 2020 Das Konzept eignet sich vor allem für urbane Gebiete, in denen Kunden täglich weniger als 100 km Strecke zurücklegen. Bislang werden Pilotprojekte in Israel und Dänemark gestartet, weitere in den USA und Australien sind in Planung. Markt-Trends in Japan und die Antwort der japanischen Automobilindustrie Seit Jahren ist in Japan ein Trend zur fallenden Bedeutung des Fahrzeugbesitzes zu erkennen, den die Japaner “Kuruma Banare” nennen, was übersetzt etwa Demotorisierung heisst. Fahrzeuge verlieren zusehends ihre Rolle als Statussymbol gegenüber Smartphones, Netbooks etc. Diesem Trend folgend geht die Fahrzeugindustrie neue Wege, um Mobilität zu vermarkten und neue Umsatzströme zu generieren. Die Nutzung von Car-Sharing hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht und auch OEMs’ wie Toyota oder Mazda starten in diesem Zusammenhang Pilotprojekte, die staatlich stark gefördert werden. Für Toyota spielt das Geschäftsfeld M2MKommunikation/Telematik eine wachsende Bedeutung als Basis für neue Services während des Fahrzeugbesitzzyklus und damit Umsatzströme rund um die Themengebiete Sicherheit, Komfort (Navigation, Media-on-demand, Connectivity) und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus investiert Toyota in den Bereich Robotik, um damit völlig neue Produktkonzepte für Kurzstreckenmobilität innerhalb der Stadt oder in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln anbieten zu können. Vor dem Hintergrund des aktuellen Marktdrucks gehen manche japanischen Hersteller sogar noch weiter. So diskutieren die Strategen bei Nissan, ob sich der Konzern nicht auf Entwicklung, Design und Marketing konzentrieren und die Fertigung an Auftragsfertiger in Billiglohnländern vergeben sollte. 5.4 Geschäftsmodelle 2020 Neuartige und innovative Projekte können im kleinen Rahmen schon sehr zeitnah Individualmobilität bereit stellen, eine großflächige Substitution von bisherigen Konzepten kann aus diesen Projekten heraus nicht geleistet werden. Die größten Wettbewerber werden die Automobilhersteller mittelfristig weiterhin in ihren eigenen Reihen finden. Trotzdem zeichnen sich hier Mobilitäts-Konzepte ab, die auf großes mediales Interesse 62 stoßen und wohl Nischen im Mobilitäts-Markt finden werden. Die Umsetzer eines groß angelegten Veränderungsprozesses in der Automobilindustrie werden allerdings die OEM selber sein müssen, nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Nur von ihnen kann die Kraft und die Reichweite ausgehen, die Märkte im großen Umfang zu bedienen. Neuartige Geschäftsmodelle hierzu betreffen Milliardenkonzerne und zu einem Teil deren Zulieferer. Die dargestellten Beispiele können deswegen durchaus Inspiration für neue Geschäftsmodelle sein, die Implikationen für ein Branchenschwergewicht sind jedoch grundlegend anderer Natur und Dimension als innerhalb eines Pilotprojekts. In diesem Kapitel sind einige idealtypische Geschäftsmodelle dargestellt, welche einerseits eine Diversifizierung gegenüber dem Wettbewerb bedeuten können, andererseits geeignet sind, die Mobilitäts-Bedürfnisse der Kunden 2020 besser bedienen können als dies heutige Geschäftsmodelle leisten. Die zukünftigen Mobilitäts-Nutzer, mit denen wir bis 2020 rechnen müssen, beginnen ihren Konsum von Mobilität grundlegend umzustellen. Wie wir gezeigt haben, sind es Trends und Mega-Trends, die diese Veränderungen bei den Menschen steuern. Sie verändern Mobilitäts-Verhalten und führen zu neuen Ausprägungen von Mobilitäts-Nutzung. Die Mobilitäts-Typen, so wie sie von uns in Kapitel 4 entworfen wurden, antizipieren die Mobilitäts- bzw. die Auto-MobilitätsKultur bis 2020. Aus diesen Veränderungen resultieren wichtige Anforderungen, mit denen sich die OEM heute auseinandersetzen müssen, um den beschleunigten Wandel auf den Fahrzeugmärkten der nächsten Jahre eigeninitiativ gestalten zu können. Aus unserer Trend-Analyse und den neuen Mobilitäts-Typen ergeben sich Handlungsimplikationen für die Automobilhersteller. Fest steht: Es sind Anforderungen, die über eine inkrementelle Anpassung des Produktportfolios weit hinaus gehen. Es ist eine grundlegende Transformation der gewachsenen Geschäftsmodelle notwendig, um den zukünftigen Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Mit Sicherheit lässt sich schon heute prognostizieren, dass sich kundenseitige Ansprüche in den bisher relevanten Handlungsfeldern nicht reduzieren werden. Dazu entstehen zusätzlich aus den (Mega-)Trends resultierend neue Bedürfnisse, die von den bisherigen Geschäftsmodellen der OEM nicht mehr abgedeckt Zukunft der Mobilität 2020 werden können. Dies zusammen genommen führt zu einem signifikanten Anstieg der Komplexität in den Kunden-OEMBeziehungen, die es schon zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich macht, weit über die Grenzen bestehender Modelle hinaus zu denken. Wir befinden uns – angestoßen vor allem durch den Megatrend Neo-Ökologie – an einer historischen Zäsur, die neues Handeln verlangt. In einer Beschreibung der Angebotsseite eignet sich die Darstellung in einem Marktmodell für Mobilität, welches durch die Achsen fahrzeugbezogener Servicetiefe und Bindung zwischen Produkt und Mobilität aufgespannt wird (vgl. Abbildung 35). Die erste Achse Bindung von Produkt und Mobilität stellt dar, wie zwingend die Bereitstellung von Mobilität an ein bestimmtes Produkt gebunden ist. Der Besitz eines Fahrzeugs würde in dieser Darstellung am linken Ende der Achse eingeordnet werden, da Mobilität ausschließlich oder zumindest zum größten Teil über den eigenen Verkehrsträger bereitgestellt wird. Diese Form der Mobilität wird auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen, da das Fahrzeug für viele Kunden weiterhin ein Teil des persönlichen und intimen Lebensraumes darstellt, den sie ungern mit Fremden teilen wollen. Zudem ist Statussymbolik nur über ein eigenes Fahrzeug darstellbar. Die zweite Achse Servicetiefe beschreibt den Umfang der Dienstleistungen, die das Basisangebot an Mobilität durch weitere Mobilitäts-, Convenience- und Lifestyle-Services in geeigneter Form erweitern. Diese Services können dabei Leistungen umfassen, die in unmittelbarem Zusammenhang zur eigentlichen Mobilität stehen und diese unterstützen, erleichtern oder beschleunigen. Oder aber die Services fokussieren auf angrenzende Bereiche, die an die eigentliche fahrzeuggebundene Mobilität andocken, wie beispielsweise virtuelles Einkaufen während der Mobilitäts-Zeit und Lieferung an den jeweils nächsten Aufenthaltsort des Kunden. Vor dem Hintergrund von wirkungsstarken Trends wie Deep-Support und Cheap-Chic muss davon ausgegangen werden, dass der Bedarf an ServiceKonzepten jenseits der puren Basismobilität bis 2020 signifikant ansteigen wird. Im Premium- und Luxus-Segment werden sogar neue Mobilitäts- und Lifestyle-Bedürfnisse entstehen, die den Traum hoch individueller Mobilität weiterträumen, trotz der fundamental neuen Herausforderungen, die durch den MegaTrend Neo-Ökologie entstehen. Abbildung 35: Marktmodell Mobilität Idealtypische Geschäftsmodelle Bindung von Produkt und Mobilität Product Focused Manufacturer Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Voll integrierte MobilitätsDienstleistungen Servicetiefe Fahrzeugbasierte Dienstleistungen Service Focused Manufacturer Basic Mobility Provider Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Mobility Service Provider Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 63 Zukunft der Mobilität 2020 Geschäftsmodelle: Vier Idealausprägungen für die Mobilitäts-Typen 2020 Im Folgenden sind vier zentrale, idealtypische Geschäftsmodelle dargestellt, welche die Veränderungen im Markt- und Kundenumfeld reflektieren. Sie stellen nach unserer Überzeugung bis 2020 idealtypische Ausprägungsformen innerhalb der Matrix der Geschäftsmodelle dar. Für OEM kann es durchaus auch sinnvoll sein, sich als Mischformen zu positionieren. 5.4.1 Product Focussed Manufacturer (PFM) – “It’s a car business” Der Product Focussed Manufacturer (PFM) basiert auf einem Geschäftsmodell mit der größten inhaltlichen und strukturellen Nähe zu den Automobilherstellern von heute (vgl. Abbildung 36). Seine Kernkompetenz ist die Produkt- und Fertigungstechnologie, mit der er den Bedarf nach technologischer Exzellenz bedient. Die Technologieführerschaft ist hierbei typischerweise in allen Bereichen von Motorleistung zu Leichtbaukonzepten erkennbar. Die besondere Fertigungskompetenz des PFM als weiteres Abgrenzungsmerkmal gegenüber anderen Geschäftsmodellen ist wiederum Voraussetzung für kostengünstige und gleichzeitig qualitativ hochwertige Produkte. Die Technologieexzellenz spricht somit eine Reihe von MobilitätsTypen an, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Produkten. So finden sich unter den Kunden nach wie vor die klassischen Technologieenthusiasten und Komfortliebhaber wieder, die bereit sind, sich hochpreisige Produkte zu kaufen (Sensation Seeker, Silver Driver). Aber auch der Greenovator ist ein erklärter Anhänger von innovativen und nachhaltigen Technologien. Der Low-End User interessiert sich wiederum für die Entry-Level Modelle. Da beim Product Focussed Manufacturer der Ergebnisbeitrag primär durch den Verkauf von Produkten und nicht über Services erzielt wird, werden sich in Zukunft vor allem Premiumanbieter in der Nische oder wenige Volumenhersteller mit führender Marktposition mit ausreichenden Margen und optimalen Kostenpositionen mit diesem Geschäftsmodell behaupten können. Beispielhaft für diese Positionierung könnte Porsche für den Premiumbereich oder Tata für den Low-End Bereich stehen, sofern die extreme Preispositionierung des Nano wirklich profitabel erreicht werden kann. Meilensteine auf dem Weg zum PFM Der PFM entspricht am ehesten den bestehenden Geschäftsmodellen, allenfalls ist er weniger diversifiziert als die Abbildung 36: Kerneigenschaften „Product Focussed Manufacturer“ Mobilitäts-Typen und Anforderungen Low-End User Mobilität Individualität Silver Driver Sensation Seeker Mobilität Nachhaltigkeit Individualität Mobilität Nachhaltigkeit Individualität Marktangebot Greenovator Mobilität Nachhaltigkeit Individualität Nachhaltigkeit Hoher Wert auf Bereitstellung individueller Mobilität Eigenes Fahrzeug steht im Fokus des Mobilitäts-Bedürfnisses Klare Ausdifferenzierung zwischen Volumen und Premium Produktangebot Serviceangebot Verkaufsmodell Premium: umfangreiches Produktportfolio, High-Tech, alternative Antriebe, höchste Produktqualität Low-cost: fokussiertes Produktangebot, einfache Technologien, Basisqualität zu geringsten Kosten Alle Services über den Fahrzeuglebenszyklus, z. B. Wartung, Service & Teile, Rücknahme, Verwertung Einfache bis integrierte Finanzdienstleistungen, z. B. Fahrzeug-, Serviceleasing, Versicherung Premium: umfangreiche Leasingangebote Low-cost: Kauf/-Finanzierung zu geringen Kosten Service Produkt Wertschöpfungsarchitektur Forschung & Entwicklung Einkauf Produktion Marketing & Vertrieb After Sales Schnittstelle Service / Produkt Entwicklung/ Spezifikation Interne Kernkompetenzen Einkauf Infrastruktur/ Netzwerk Steuerung über Kooperationen Marketing & Vertrieb Durchführung Kein Fokus/ Zukauf auf dem Markt Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 64 Wertschöpfungsnetzwerk Hersteller Finanzdienstleister Serviceanbieter Fahrzeug Bank/Finanzierer Autovermietung Energielieferant Flotten-/Leasingmanager Wartungsdienstleister Versicherer Convenience-Anbieter Mobilitäts-Service-Anbieter Zukunft der Mobilität 2020 heutigen OEM, die bereits heute schon Finanzdienstleister und Automobilhersteller gleichermaßen sind. Die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zum PFM sind: nn Definition von Nischenmärkten, entsprechende Konzentration des Produktportfolios nn Konzentration der Wertschöpfungskette auf die Kernkompetenz der Fahrzeugproduktion und Fahrzeugentwicklung nn Aufbau eines vertikalen Netzwerks duch –– Outsourcing von Bereichen der Wertschöpfungskette außerhalb der Kernkompetenz –– Aufbau eines geeigneten Kooperationsnetzwerkes 5.4.2 Service Focussed Manufacturer (SFM) – “Mobility – individual and convenient” Der Service Focussed Manufacturer (SFM) stellt Mobilität ebenso wie der Product Focussed Manufacturer (PFM) über eine hohe Bindung zum Kernprodukt Automobil bereit (vgl. Abbildung 37). Ein wichtiges Unterscheidungskriterium des SFM zum PFM ist seine zurückgenommene, moderate Technologiedominanz. Der SFM konzentriert seine Ressourcen auf das Reproduzieren bestehender Technologie in der zweiten Generation mit geringem eigenen produktorientierten Innovationsanteil. Fertigungsbereiche, die außerhalb seiner strategischen Kompetenz liegen, werden ausgelagert, so dass er in der Wertschöpfungskette vornehmlich die Funktion des Systemintegrators einnimmt. Der SFM erweitert sein Leistungsportfolio jedoch um ein umfangreiches Serviceangebot rund um das Kernprodukt Fahrzeug als auch um Dienstleistungen in angrenzenden Bereichen. Das Fahrzeug ist die Plattform und “Enabler” für die Services, die über den Besitzzyklus aktiv an den Kunden vermarktet werden. Der SFM stellt die komfortable und zentrale Schnittstelle für alle das Produkt betreffende Fragen und Services für den Kunden dar (“One-stop-shopping”). Das Geschäftsmodell adressiert vor allem die Kunden, die zwar weiterhin Individualmobilität über ein bestimmtes Produkt beziehen wollen, darüber hinaus aber auch noch nach einem umfassenden Serviceportfolio verlangen. Die Produktindividualität einerseits und Servicetiefe andererseits führen zu einem gehobenen Preisniveau, das für diejenigen Mobilitäts-Typen interessant ist, die besonders viel Zeit im Fahrzeug verbringen oder sich neben der eigentlichen Streckenzeit nicht mit dem Thema Mobilität auseinandersetzen wollen. Prädestinierte Kundengruppen sind somit Global Jet Setter, Family Cruiser oder der High-frequency Commuter. Abbildung 37: Kerneigenschaften „Service Focussed Manufacturer“ Mobilitäts-Typen und Anforderungen Marktangebot Family Cruiser High-frequency Commuter Global Jet Setter Mobilität Mobilität Mobilität Individualität Nachhaltigkeit Individualität Nachhaltigkeit Individualität Nachhaltigkeit Produktbezogene Mobilitäts-Lösungen Hohe Serviceanforderungen – Simplify, Deep Support, Luxus Hohe Serviceverfügbarkeit und Service-Qualität Produktangebot Produktportfolio auf low-end und top-end Markt fokussiert Erfüllung notwendiger Basis-Anforderungen Mittel zur Erfüllung von Mobilitäts-Anforderungen Serviceangebot Voll-Service-Pakete, Car Sharing, Limousinenservice Re-Marketing Fahrzeug, inkl. Versicherung, Service, FDL Groß- & Flottenkundenbetreuung Verkaufsmodell Vermietung (Kurz-/Langzeit) Leasing, Kilometer-Leasing, Flexleasing von Fahrzeugen Service Produkt Wertschöpfungsarchitektur Forschung & Entwicklung Einkauf Produktion Marketing & Vertrieb Wertschöpfungsnetzwerk After Sales Fahrzeug Schnittstelle Service / Produkt Entwicklung/ Spezifikation Interne Kernkompetenzen Einkauf Infrastruktur/ Netzwerk Steuerung über Kooperationen Marketing & Vertrieb Hersteller Durchführung Kein Fokus/ Zukauf auf dem Markt Energielieferant Finanzdienstleister Serviceanbieter Bank/Finanzierer Autovermietung Flotten-/Leasingmanager Wartungsdienstleister Versicherer Convenience-Anbieter Mobilitäts-Service-Anbieter Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 65 Zukunft der Mobilität 2020 Der Service Focussed Manufacturer beschreitet damit den Weg, den z. B. Apple in der Computer-Industrie gegangen ist: Alleinstellung durch Design und Individualität, umfassende Services und damit Umsatz über den gesamten Kundenlebenszyklus, aber sehr geringe eigene Wertschöpfungstiefe. Erfolgskritisch sind dabei die enge Integration von Hardware und Software, um dem Kunden einerseits eine möglichst einfache Handhabung zu ermöglichen, andererseits aber auch Wechselhürden durch immer stärker werdende Bindung an das System Apple aufzubauen. Meilensteine auf dem Weg zum SFM Auf dem Weg zum SFM müssen v. a. die Wertschöpfungskette neu angeordnet und geeignete Kooperationsbeziehungen eingegangen werden: nn Definition geeigneter Serviceleistungen nn Definition eines Marketing-Konzepts: Nutzen der Fahrzeugmarke oder Aufbau einer neuen Marke/Submarke nn Neudefinition der Wertschöpfungskette, partielles Outsourcing von Entwicklungskompetenz, abwickeln von F&E Inhalten in Zusammenarbeit mit strategischen Partnern Aufbau eines Kooperationsnetzwerkes zur Sicherstellung von Qualität, Verfügbarkeit und geeigneter Preisstruktur der Services nn nn Definition einer Steuerstruktur zur Koordination des gleichberechtigten Kooperationsmodells 5.4.3 Basic Mobility Provider (BMP) – “Mobility – nothing more” Der Basic Mobility Provider (BMP) entkoppelt die Mobilität vom Fahrzeugbesitz, um die Anforderungen seiner Kunden optimal erfüllen zu können (vgl. Abbildung 38). Mobilität bedeutet nicht mehr zwangsläufig Auto-Mobilität, sondern es zählt ausschließlich die effiziente und kostengünstige Fortbewegung. Ein Fahrzeug stellt lediglich einen Baustein eines ganzheitlichen Mobilitäts-Konzepts dar, welches sich der Kunde individuell konfigurieren kann. Der Auto-Mobilitäts-Anteil wird über ein Standardfahrzeug angeboten, während andere MobilitätsBausteine auch über öffentliche und nicht-individuelle Transportmittel abgewickelt werden. Das Standardfahrzeug steht nach technologischen Bewertungskriterien (Antriebstechnologie, Komfort, Sicherheitstechnik) hinter den Fahrzeugen anderer OEM zurück und ist primär an Praktikabilität und Kosteneffizienz ausgerichtet. Da der Umkreis, in dem der Kunde auf Individualmobilität zurückgreift, gering ist und vorwiegend Kunden im urbanen Umfeld angesprochen werden, eignen sich z. B. auch Elektroantriebe sehr gut als Antriebskonzepte. Der Basic Mobility Provider vermittelt Mobilität, ohne dabei Fahrzeuge selber herstellen zu müssen. Zusammen mit dem Abbildung 38: Kerneigenschaften „Basic Mobility Provider“ Mobilitäts-Typen und Anforderungen Marktangebot Low-End User Mobilität 0 Individualität Nachhaltigkeit Auf das wesentliche reduzierte Mobilität unter Optimierung von Fixkosten und Nachhaltigkeit Verzicht auf Besitz eines Fahrzeugs Produktangebot Einfaches, solides Transportmittel zu geringsten Anschaffung- & Serviceangebot Basisversicherung und günstige Finanz-Dienstleistungen Bündelung der kostengünstigsten Mobilitäts-Angebote Verkaufsmodell Minimale Servicegebühr (z. B. Flatrate oder Pay-per-Use) Günstigstes Mobilitäts-Servicepaket durch Bündelung Vertrieb & Abwicklung über Internet und Callcenter Unterhaltskosten Service Produkt Wertschöpfungsarchitektur Forschung & Entwicklung Einkauf Produktion Marketing & Vertrieb After Sales Schnittstelle Service / Produkt Entwicklung/ Spezifikation Interne Kernkompetenzen Einkauf Infrastruktur/ Netzwerk Steuerung über Kooperationen Marketing & Vertrieb Durchführung Kein Fokus/ Zukauf auf dem Markt Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 66 Wertschöpfungsnetzwerk Hersteller Finanzdienstleister Serviceanbieter Fahrzeug Bank/Finanzierer Autovermietung Energielieferant Flotten-/Leasingmanager Wartungsdienstleister Versicherer Convenience-Anbieter Mobilitäts-Service-Anbieter Zukunft der Mobilität 2020 Mobility Service Provider (MSP) vollzieht der Basic Mobility Provider deswegen den nachhaltigsten und signifikantesten Wandel gegenüber bestehenden Geschäftsmodellen der OEM. Ein derartiges Konzept spricht unterschiedliche Kundengruppen an. Durch “Shared Mobility” finanziert der Kunde tatsächlich weniger als ein Fahrzeug. Je nach Nutzung werden für ihn durch den Pay-per-Use-Ansatz im Vergleich zu einer vollständigen Fahrzeugfinanzierung deutlich weniger Kosten entstehen. Zudem ist die Kostenstruktur für den Kunden flexibel, d. h. er kann durch Verzicht auf Mobilität seine monatlichen Ausgaben direkt reduzieren, wenn ihn persönliche Randbedingungen dazu zwingen oder motivieren. In erster Linie angesprochen wird deswegen der Low-End User. Typische Vertreter dieses Geschäftsmodells sind Car-Sharing Anbieter wie Zip-Car, DB Car-Sharing oder Mobility in der Schweiz, die in den vergangenen Jahren stark ansteigende Nutzerzahlen verzeichnen können. Das Konzept Car-Sharing wandelt sich dabei durch neue Nutzungskonzepte wie Car2go von Daimler oder Flinkster von DB Car-Sharing vom Nischenangebot für “Weltverbesserer” zu einer attraktiven und einfach zu nutzenden Alternative für urbane Mobilität. Im Geschäftsmodell des Basic Mobility Providers hat auch das Car-Abo Angebot von Sixt seinen Ursprung, bei dem der Nutzer ein Recht auf ein Fahrzeug einer bestimmten Klasse erwirbt und an jeder Sixt Station weltweit ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt bekommt. Meilensteine auf dem Weg zum BMP Es ist keine zwingende Voraussetzung, dass der BMP 2020 sich aus den OEM von heute entwickelt. Allerdings erscheint zumindest die Einbindung eines OEM in ein BMP Kooperationsmodell wahrscheinlich: nn Definition/Analyse des Marktpotentials hinsichtlich Mobilitäts-Leistung, lokale Verteilung und Belastungsspitzen nn Aufbau eines geeigneten Kooperationsmodells aus Fahrzeughersteller, Abwicklungsspezialist, Fuhrpark-Koordinator, ggf. Energiekonzern nn Aufbau einer geeigneten Infrastruktur zur Fahrzeugwartung, Fahrzeugvorhaltung (Parkplätze, Exchange-Points) nn Aufbau einer webbasierten Plattform für die Kunden zur Reservierung und Planung, ggf. Integration zusätzlicher Services 5.4.4 Mobility Service Provider (MSP) – “Don’t care, we do!” Der Mobility Service Provider (MSP) löst gleich dem Basic Mobility Provider (BMP) die Bindung von Fahrzeug und Mobilität vollständig auf (vgl. Abbildung 39). Allerdings positioniert er sich zusätzlich durch die Etablierung eines vielfältigen und sehr Abbildung 39: Kerneigenschaften „Mobility Service Provider“ Mobilitäts-Typen und Anforderungen Marktangebot Greenovator High-frequency Commuter Global Jet Setter Mobilität Mobilität Mobilität 0 0 Individualität Nachhaltigkeit Individualität 0 Individualität Nachhaltigkeit Produktangebot Kein Produkt im Angebot, Fokus auf Services Serviceangebot Optimierter Mobilitäts-Mix, Bündelung Mobilitäts-Angebote Weltweit lückenlose Mobilität (Auto, Flug, Bahn, etc.) 24/7 Mobilitäts-Ratgeber/-Manager Nachhaltigkeit Hoher Wert auf Management der individuellen Mobilität Mobilitäts-Bedürfnis wird durch beliebige Mobilitäts-Art erfüllt Klarer Fokus auf effiziente Premium Mobilität Verkaufsmodell Servicegebühr für Mobilitäts-Mixoptimierung Mobilitäts-Management durch monatliche Flatrate oder Servicegebühren pro Transaktion Kostenpflichtige Callcenter Service Produkt Wertschöpfungsarchitektur Forschung & Entwicklung Einkauf Produktion Marketing & Vertrieb Wertschöpfungsnetzwerk After Sales Schnittstelle Service / Produkt Entwicklung/ Spezifikation Interne Kernkompetenzen Einkauf Infrastruktur/ Netzwerk Steuerung über Kooperationen Marketing & Vertrieb Durchführung Kein Fokus/ Zukauf auf dem Markt Hersteller Finanzdienstleister Serviceanbieter Fahrzeug Bank/Finanzierer Autovermietung Energielieferant Flotten-/Leasingmanager Wartungsdienstleister Versicherer Convenience-Anbieter Mobilitäts-Service-Anbieter Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 67 Zukunft der Mobilität 2020 umfangreichen Mobilitäts-Service-Portfolios. Die Kernkompetenz des MSP ist das erfolgreiche Beherrschen und Steuern von komplexen Kundenbeziehung durch die Einbindung eines Kooperationsnetzwerks. Je mehr hierbei aus einer Hand kommt, umso komfortabler für den Kunden. Ähnlich dem Service Focussed Manufacturer (SFM) bietet der MSP eine Reihe von Services an, die über den Fahrzeugbezug hinaus gehen und dabei die gesamte Mobilität als integrierten Bestandteil des Alltags verstehen (Online Kommerz, Parkservices etc.). Faktisch werden dem Kunden alle Fragestellungen rund um das Thema Mobilität abgenommen, entsprechend des Deep Support Gedanken auch darüber hinaus. Durch das Geschäftsmodell werden Kunden adressiert, für die trotz ausreichender Mittel der Besitz eines Fahrzeugs nicht notwendig, teilweise sogar eher hinderlich erscheint. Komfort, Luxus und Markenstatus kann über erweiterte Services transportiert werden. Der eigentliche Produktverkauf ist nicht mehr Kern seines Geschäftsmodells, sondern er löst die Mobilitätprobleme seiner Kunden und liefert damit vor allem nachhaltige Convenience: Mehr Zeit, mehr Eigenzeit, mehr Lebensqualität. Die Marke des MSP steigt zu einem globalen und vertikal organisierten Super-Brand und Lifestyle-Provider auf. Da ähnlich dem BMP die Fahrzeuge auf eine Vielzahl von Nutzern verteilt werden, ist das Konzept vergleichsweise effizient und vor diesem Hintergrund durchaus nachhaltig, aber keineswegs asketisch. Somit fühlt sich auch der erfolgreiche Greenovator mit einem hohen und globalen Mobilitäts-Bedarf angesprochen. Meilensteine auf dem Weg zum MSP Der MSP ist kein Fahrzeughersteller nach dem heutigen Verständnis, sondern ein Orchestrator von Mobilität und Services. Er kann nur durch den Zusammenschluss von global agierenden spezialisierten Unternehmen entstehen, die Mobilität und Service für den Kunden bündeln. Heutige OEM sind in einer solchen Konstellation gleichberechtigte Partner: nn Analyse Marktpotential nn Definition globaler Mobilitäts-Zentren mit erhöhtem Servicebedarf 68 nn Definition eines Serviceportfolio nn Aufbau eines Kooperationsnetzwerkes aus beispielsweise Flottenverwalter, global agierende Autovermietung, TravelServices, diverse Servicedienstleister nn Aufbau eines globalen Customer-Centers mit lokalen Vertretungen 5.5 Größenverteilung der Marktvolumina der Geschäftsmodelle Welche Marktanteile können durch die verschiedenen Geschäftsmodelle adressiert werden, und welche Mobilitäts-Typen werden durch welches Geschäftsmodell besonders angesprochen? Wir haben die im Laufe der Studie abgeleiteten Rahmenbedingungen, soweit wie möglich, in qualitative Aussagen überführt und auf Basis dessen ein Marktmodell erstellt, welches ein grundsätzliches Bild über die Marktaufteilung 2020 geben soll. Auch wenn an dieser Stelle diskrete Werte angegeben sind, bleibt das Marktmodell natürlich eine auf Abschätzungen beruhende Projektion. Die Verteilung unterscheidet sich abhängig von den Märkten deutlich, v. a. bedingt durch die sehr unterschiedliche Historie der Industrie. Für die Triade genauso wie für die BRIC-Märkte gilt allerdings gleichermaßen, dass wir keine blitzartige Revolution innerhalb der Geschäftsmodelle erwarten. Die Automobilindustrie, so wie sie sich heute gestaltet, ist zum größten Teil dem Product Focussed Manufacturer zuzuordnen. Aus diesem Geschäftsmodell heraus werden sich die beschriebenen neuen Geschäftsmodelle herausbilden. Gerade in den Triade-Märkten spielt hierbei der Service Focussed Manufacturer eine besondere Rolle – er kann evolutionär aus heutigen Geschäftsmodellen entstehen. Der Basic Mobility Provider ebenso wie der Mobility Service Provider zeigen zwar in 2020 die größten Zuwachsraten, können allerdings nicht auf einer bestehenden Infrastruktur aufbauen und werden nach unseren Prognosen 2020 zusammen nur knapp ein Viertel des Gesamtmarktes bedienen (vgl. Abbildung 40). Zukunft der Mobilität 2020 Abbildung 40: Verteilung Mobilitäts-Markt nach Geschäftsmodell – Triade Bindung von Produkt und Mobilität Product Focused Manufacturer (PFM) 1% 10% 8% 40% 48% 41% 14% Basic Mobility Provider (BMP) Greenovator Silver Driver Servicetiefe 14% Service Focused Manufacturer (SFM) 13% 14% 35% 11% 1%1% 9% 44% 10% 2% 38% HFC 10% Family Cruiser Mobility Service Provider (MSP) 12% 40% 23% Low-End User Sensation Seeker Global Jet Setter 38% 23% Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” Der PFM spricht vor allem den Greenovator an, welcher allerdings auch mit deutlichen Anteilen als Kunde der BMF und MSP Geschäftsmodelle zu finden ist. Der SFM hingegen ist vor allem für die Kunden interessant, die nach Services und Dienstleistungen suchen, welche Mobilität für sich erleichtern. Hier stellen also der High-frequency Commuter und der Silver Driver die dominanten Gruppen dar. Erwartungsgemäß ist der Low End User vor allem als Kunde des BMF zu finden, allerdings sind kostengünstige Entry-Modelle durchaus auch im Angebot des PFM zu finden. Der MSP adressiert bezogen auf den Gesamtmarkt vor allem das Premiumsegment, die Kundengruppen also, die hohe Ansprüche an die Mobilität und begleitende Services stellen und das aber auch entsprechend monetär wertschätzen. Anders als in den Triade-Märkten ist der SFM in den BRICMärkten von vergleichsweise geringer Relevanz. Dies ist vor allem der Untersättigung der Märkte geschuldet, die zunächst nach Versorgung mit Fahrzeugen dursten, bevor Services zur Erleichterung von Mobilität tatsächlich von sehr großem Interesse sind. Der Basic Mobility Provider bietet interessante Alternativen zum tatsächlichen Besitz eines Fahrzeugs, und wird seinen Markt vor allem in den Megacities und Metropolen der Emerging Markets finden. Der Mobility Service Provider bedient fast ausschließlich die Premium-Kunden der BRICMärkte, zusammen mit weiteren Mobilitäts-Typen, die auf Grund der geringen Relevanz bezogen auf das Gesamtvolumen im Rahmen dieser Studie nicht betrachtet worden sind. 69 Zukunft der Mobilität 2020 6. Die Agenda für die Automobilindustrie Klar ist – die gesamte Automobilindustrie steht vor elementaren Herausforderungen. Der durch die CO2-Diskussion ausgelöste und durch die globale Finanzkrise verstärkte Nachfrageeinbruch hat mittlerweile mehrere Hersteller an den Rand der Existenz gebracht. Allein die durch die Krise forcierten Kooperationen, Insolvenzen oder Übernahmen werden die Struktur der globalen Automobilindustrie nachhaltig verändern. Sicher ist zudem – jede Krise hat ein Ende, aber als Ergebnis unserer Studie lässt sich sagen, dass auch nach der Krise die Herausforderungen für die verbleibenden Automobilhersteller nicht geringer werden. Die Mega-Trends der Zukunft und die sich daraus ergebende Charakteristik der Mobilitäts-Nachfrage weisen darauf hin, dass das Spannungsfeld zwischen sinkenden Margen einerseits und Abschwächung der Absatzsteigerungsraten andererseits zu grundlegenden Veränderungen der Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie führen werden. Sinkende Margen werden u. a. durch langfristig wieder steigende Rohstoffpreise, globale Überproduktion, enorme Zusatzkosten für verbrauchs- bzw. CO2-optimierte Antriebsformen inklusive Elektrifizierung, sinkendes Fahrzeugbudget der Kunden, Downsizing etc. verursacht. Eine Abschwächung der bisher prognostizierten zukünftigen Absatzzahlen ergibt sich unter anderem durch die wachsende Nachfrage nach flexiblen Besitzmodellen und der sinkenden Bedeutung des Fahrzeugs als Statussymbol. Es wird weiterhin erfolgreiche produkt- und technologieorientierte Automobilhersteller geben, aber nur wenige werden das oben beschriebene Spannungsfeld erfolgreich meistern können. Insgesamt erwartet Arthur D. Little eine Ausdifferenzierung der Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie, die sich mehr und mehr zu einer Mobilitäts-Industrie wandeln wird. Für die zukünftige Ausrichtung der Automobilhersteller ergibt sich eine Agenda mit vier Kernelementen, die in den Strategieentwicklungsprozessen der Unternehmen jetzt Berücksichtigung finden sollten (vgl. Abbildung 41): Definition des zukünftigen Geschäftsmodells Im Kapitel 5 wurden vier mögliche idealtypische Geschäftsmodelle aufgezeigt. Auf Basis von genauen Strategie-Reviews müssen die Marktteilnehmer von morgen festlegen, in welchem Bereich innerhalb der Strategiematrix sie zukünftig agieren wollen, und welcher Mobilitäts-Markt sowie welches Zielkundensegment damit adressiert werden soll. Für einen Hersteller, der heute im Premium-Segment positioniert ist, ergeben sich hierbei natürlich grundsätzlich andere Lösungsoptionen als für einen Hersteller im Low-Cost oder Entry Segment. Eine strategische Neuausrichtung darf hierbei die aktuelle Marke nicht verwässern und muss zudem ausreichend Abgrenzungskriterien gegenüber dem Wettbewerb bieten. Anpassung des Leistungsangebots Basierend auf der Wahl des Geschäftsmodells gilt es im Folgenden, das Produkt- und Serviceportfolio entsprechend anzupassen. Ausgehend von heutigen Geschäftsmodellen würde dies für den Product Focussed Manufacturer beispielsweise bedeuten, dass die kontinuierliche Verbesserung des bestehenden Produktportfolios weiter vorangetrieben wird, während kaum Ressourcen für den Ausbau der Services aufgewendet werden. Für den Service Mobility Provider sind jedoch gerade umfangreiche Services für die erfolgreiche Positionierung auf dem Automobilmarkt entscheidend, das Produkt hingegen fungiert in seinem Geschäftsmodell lediglich als Bindeglied und Plattform zur Generierung der Umsatzströme. Entsprechend groß sind die Möglichkeiten zur Verschlankung des Produktportfolios, nicht zuletzt um die Kostenstrukturen nicht durch hohe Investitionen zu belasten. Abbildung 41: Handlungsfelder zur Entwicklung zukünftiger Geschäftsmodelle Definition des zukünftigen Geschäftsmodells Anpassung des Leistungsangebots Produkt Idealtypische Geschäftsmodelle Bindung von Produkt und Mobilität Product Focused Manufacturer Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Servicetiefe Service Focused Manufacturer Basic Mobility Provider Voll integrierte MobilitätsDienstleistungen Fahrzeugbasierte Dienstleistungen Abnehmende Bedeutung eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes) Mobility Service Provider Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020” 70 Anpassung der Wertschöpfungskette Service Aufbau von Kooperationen Zukunft der Mobilität 2020 Anpassung der Wertschöpfungskette Die Wahl des Geschäftsmodells beeinflusst maßgeblich die Ausgestaltung der Wertschöpfungskette. Die Frage nach “Buy the best or make the best?” entscheidet letztlich über die Komplexität und Steuerbarkeit innerhalb des Unternehmens. Dies wird gerade dann von entscheidender Bedeutung sein, wenn das Leistungsportfolio signifikant um komplexe Dienstleistungen und Services erweitert werden soll. Werden die Unternehmensressourcen hier nicht in geeigneter Weise auf die Kernkompetenzen konzentriert, so droht der Verlust von Transparenz und Steuerbarkeit. Bei Erweiterung des Leistungsangebots scheint es deswegen sinnvoller, die Wertschöpfungskette zu verschieben bzw. teilweise auszulagern, statt sie einfach um das neue Angebot zu ergänzen. Aufbau von Kooperationen und Partnernetzwerk Die aufgezeigten Geschäftsmodelle, den Product Focused Manufacturer einmal ausgenommen, sind ohne ein umfassendes Kooperationsnetzwerk kaum denkbar. In Zukunft werden Kompetenzen gefragt sein, die weit außerhalb der originären Kernkompetenzen von Automobilherstellern liegen. Je nach Geschäftsmodell und individueller Situation muss deswegen schon frühzeitig ein geeignetes Netzwerk aus Partnern inner- und außerhalb der Automobilindustrie aufgebaut werden. Zusammenarbeiten mit Konzernen aus dem Logistikbereich, Energiesektor und mit großen Dienstleistern sind hierbei denkbar. Die Studie hat die dringende Notwendigkeit eines Umdenkens in der Automobilindustrie aufgezeigt. Der Kunde kommuniziert sehr deutlich, beispielsweise in Form seiner Kaufzurückhaltung oder durch seine veränderten Produktpräferenzen, welche Ansprüche er an die Mobilität von morgen stellt. Entscheidend ist hierbei immer weniger, was technisch machbar ist, sondern vielmehr was tatsächlich sinnvoll ist und benötigt wird. Arthur D. Little hat in dieser Studie aufgezeigt, dass diese Schlagrichtung zwar sehr wahrscheinlich zu einem Rückgang oder zumindest zu einer Stagnation des Fahrzeugmarktes führen wird, Wachstum und profitable Geschäftsmodelle jedoch weiterhin durch neue Umsatzströme oder durch Konzentration der Unterneh-mensressourcen möglich sein werden. 71 Zukunft der Mobilität 2020 Interviewte Experten Dr. Martin Einhorn Leiter der Marktforschung der Porsche AG Matthias Horx Gründer und Hauptgesellschafter des Zukunftsinstituts Prof. Dr. Andreas Knie Mobilitäts-Experte vom Wissenschaftszentrum in Berlin Dr. Peter Maskus Chef-Entwickler des Stromlinienfahrzeugs Acabion Dr. Kurt Möser Mobilitäts-Forscher an der Universität Karlsruhe Carl-Ernst Müller Inhaber der CSR-Agentur, einer Unternehmensberatung für Corporate Social Responsibility Johannes Reifenrath Leiter Marketing PKW, Portfolio- und Produktstrategie bei Mercedes Benz Cars Dr. Christine Zach Geschäftsführerin der Akademie des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touringclubs (ÖAMTC) N.N. Weitere Auto-Mobilitäts-Experten aus den Bereichen: Strategische Planung, Marktforschung, Produktplanung, Business Development 72 Autoren Kontakt Marc Winterhoff Director, Head of Automotive & Manufacturing Central Europe Deutschland, Schweiz und Zentral-Europa Marc Winterhoff +49 6117148136 winterhoff.marc@adlittle.com Carsten Kahner Principal Automotive & Manufacturing Central Europe Dr. Christopher Ulrich Consultant Automotive & Manufacturing Central Europe Philipp Sayler Consultant Automotive & Manufacturing Central Europe Dr. Eike Wenzel Mitglied der Geschäftsleitung Zukunftsinstitut Zukunft der Mobilität 2020 Die Zukunft der Automobilindustrie ist grün und nachhaltig – doch der Weg dorthin führt über manches Schlagloch und Umwege. Die Automobilindustrie muss bereit sein, traditionelle Strukturen zu hinterfragen und neue Wege bezüglich Kooperationen und Geschäftsmodellen zu gehen, um die Kundenanforderungen von morgen zu erfüllen. Arthur D. Little Arthur D. Little, gegründet 1886, ist führend in der Management Beratung. Wir verbinden Strategie, Innovation und Technologie mit profunder Industrieexpertise. Wir unterstützen unsere Klienten mit nachhaltigen Lösungen für Probleme komplexer Geschäfte und Prozesse. Arthur D. Little hat einen kooperativen Arbeitsstil, außergewöhnliche Mitarbeiter und eine firmenweite Verpflichtung an Qualität und Integrität. Das Unternehmen ist weltweit an über 30 Standorten vertreten. Mit dem Partner Altran Technologies hat Arthur D. Little Zugriff auf ein Netzwerk von über 18.000 Experten. Arthur D. Little ist stolz, viele der Fortune 100 Unternehmen weltweit zu beraten wie auch viele andere führende Firmen und Körperschaften des privaten und öffentlichen Sektors. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte www.adl.com Copyright © Arthur D. Little 2009. Alle Rechte vorbehalten. www.adl.com/mobilitaet-2020-lang