Agents im Telesales Abfischer oder
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Agents im Telesales Abfischer oder
führung Agents im Telesales Abfischer oder Kundenversteher? Wer treue Kunden gewinnen will, sollte ihnen zuhören. Telefonverkäufer brauchen deshalb in erster Linie eines: Sozialkompetenz. Doch diese Art des Verkaufens hat sich noch nicht überall durchgesetzt. E mpathie ist seit einiger Zeit ein geflügeltes Wort in Call Centern. Der US-amerikanische Gesprächstherapeut Carl Rodgers definierte sie 1973 als Einfühlungsvermögen, gepaart mit emotionaler Distanz: „Die private Welt des Klienten zu spüren, als ob es die eigene wäre, ohne jemals das als ob zu verlieren – das ist Empathie.“ Helga Schuler, Inhaberin der TOPPERFORM Managementberatung für Wachstum und Performance in Taunusstein, erklärt: „Die Informationsflut führt zu besser aufgeklärten Kunden, andererseits steigt aber auch die Verwirrung im Produktdschungel. Wenn mich dann ein Telefonverkäufer anruft und nur sein Skript herunterbetet, will ich ihn schnell wieder loswerden.“ Deshalb sei es wichtig für Anbieter, ihre Verkaufsstrategie und Verkaufsgespräche auf den Bedürfnissen des Kunden aufzubauen – durch Fragen und Zuhören: „Für einen Verkäufer von Kreuzfahrten ist es zum Beispiel wichtig, die Welt der typischen Luxusliner-Kunden zu kennen und zu respektieren, auch wenn er selbst in einem anderen Umfeld 40 www.callcenterprofi.de lebt. Und im B-to-B-Geschäft sollte der Verkäufer auf die Situation des Käufers eingehen. Welchem Druck durch Vorgesetzte oder Einkauf ist er ausgesetzt? Welche Vorgaben hat er?“ Die Sahnehäubchen-Strategie setzt immer noch eins drauf Michael Stienen ist Geschäftsführer des Call Center-Dienstleisters Atvita GmbH in Kaarst, der Telesales zum Beispiel für große Mobilfunkanbieter und Telemarketing für mittelständische Unternehmen aus den Be- die Kommunikation zwischen Telefonverkäufer und angerufenem Kunden auf ein Niveau zu heben, auf dem der Kunde sich nicht genervt fühlt!“ Dazu erhalten die Atvita-Verkäufer verbales Handwerkszeug in Form von Gesprächsleitfäden, die auf Basis neuester Erkenntnisse der Verkaufspsychologie erstellt wurden, und werden zu den Hintergründen geschult. Ziel der Gesprächsleitfäden: Kompetenz darstellen, Vertrauen beim Gesprächspartner gewinnen und das anzubietende Produkt mit der Wertewelt des „Wie soll ein Verkäufer wissen, was der Kunde unter einer möglichst kurzen Laufzeit versteht? Er muss nachfragen!“ Michael Stienen, Geschäftsführer Atvita GmbH reichen Drucklufttechnik und Energie durchführt. Für ihn steht fest: „Neben allen wirtschaftlichen Interessen liegt unser primäres Ziel bei der Gestaltung unserer Outboundgespräche darin, Gesprächspartners in Einklang bringen. Stienen sagt: „Lassen unsere Auftraggeber es zu, beinhalten unsere Gesprächsleitfäden Fragen zur Konkretisierung von unspezifischen 07/2010 Foto: iStockphoto führung Verben, Adjektiven oder Substantiven, um Klarheit in die Wünsche der Kunden zu bringen. Wie soll etwa ein Verkäufer wissen, was der Kunde mit einer möglichst kurzen Laufzeit meint? Oder mit einem möglichst günstigen Produkt? Unsere Outbound Agents sind angehalten, hier konkret nachzufragen und zu klären, was der Kunde wirklich will und erwarten kann.“ Spekulieren führe hingegen unweigerlich zu Missverständnissen – oder Stornos. Auch Helga Schuler hält Nachfragen und Verstehen für das Wichtigste: „Reklamiert eine Kundin einen Kratzer an einem neu gelieferten Möbelstück, sollte der Agent ermitteln: Ist sie verärgert, weil sie das Möbelstück nicht ihren Freundinnen präsentieren kann, oder will sie eher einen Discount aushandeln? Will ein Autobesitzer Reifen kaufen, sollte der Reifenverkäufer vor dem Verkauf erkunden: Fährt der Kunde lange oder kurze Strecken, eher vorsichtig oder rasant? Wie steht er zu seinem Auto? Durch Fragen erhält der Verkäufer Informationen, die für die Wahl des passenden Produktes wichtig sind und dem Kun07/2010 den zeigen, dass der Verkäufer Interesse an ihm hat.“ Laut Schuler gibt es etliche Zwischenstufen zwischen emotionalem Verkaufen und Hardselling, emotionales Verkaufen sei jedoch das „Sahnehäubchen im Verkauf für diejenigen Unternehmen, die Kundenbindung als Verkaufsstrategie ausgeben“. Auch Michael Stienen von Atvita hat die Erfahrung gemacht, dass „im Verkauf von Mobilfunkleistungen diese Art des Verkaufsgesprächs – selbst bei nicht erfolgtem Verkauf – eine hervorragende Opt-in-Quote für weitere Anrufe nach sich zieht“. Ein Zeichen für gelungene Kundenbindung. Emotionales Verkaufen ist durchaus erlernbar Jeder Mensch hat ein gewisses Maß an Beziehungskompetenz, meint Helga Schuler. Doch nicht jeder Call Center-Mitarbeiter nutzt es optimal: „Da ist einer im Privatleben in seinem Verein der beste Netzwerker, wirkt aber im Verkauf am Telefon hölzern und kühl. Seine Potenziale sollten durch angeleitete Reflexion aufgedeckt werden.“ Das gelinge einem Trainer mit neuer Qualifikation, der Empathie und emotionale Selbststeuerung als neue Lernziele etabliere und den Mitarbeitern zeige, wie man sich auf Kunden einstellt, emotionale Beziehungen knüpft und mit seinen eigenen Gefühlen umgeht. „Die Fähigkeit zur Empathie kann geweckt, gefördert und in speziellen Verhaltenstrainings entwickelt werden, die über ein normales Kommunikationstraining hinausgehen“, erklärt Schuler. „Gefördert werden dabei die individuelle Beziehungskompetenz des Einzelnen und die emotionale Selbstregulierung.“ Laut Michael Stienen von Atvita ist Empathie nicht einmal zwingend erforderlich für ein erfolgreiches Verkaufsgespräch – auch erlerntes Sprachwissen reiche aus, damit ein Outbound Agent seinen Gesprächspartner richtig versteht, richtig reagiert und ein Produkt richtig verkauft: „Der Agent braucht Wissen über das Verhalten von Menschen und verbale Werkzeuge. Denn bestimmte Sprachmuster sind geeignet, Vertrauen zu wecken. Und die sind erlernbar.“ Auch beim Anbieter von Unternehmenssoftwww.callcenterprofi.de 41 führung ware SAP ist Hardselling verpönt. Andreas Wagner, Head of SAP Inside Sales DACH in Walldorf, sagt: „Man muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen und Kenntnisse haben über den Ansprechpartner und die Industrie, in der er tätig ist. Erst dann kann man die richtige Lösung platzieren.“ Diese Aufgabe übernimmt die Inside Sales-Einheit von SAP, die via Telefon und Web Lösungen und Geschäftsfälle geringerer Komplexität vorstellt und verkauft. Potenziale nutzen statt Hardselling Der Call Center-Dienstleister KundenProfi Bamberg, Gesellschaft für Kundenmanagement mbH, betreut Geschäfts- und Privatkunden für Auftraggeber aus den Bereichen Telekommunikation, IT, Finanz- und Bankwesen, Energieversorgung und Handel. Leiter Vertrieb und Key Account Klaus-Reiner Münch sagt: „Seriosität ist das A und O im Telefonverkauf. Nicht immer möchte ein Kunde direkt kaufen. Oft möchte er zuerst überlegen, Informationen lesen und vergleichen, um später zu entscheiden. Deshalb sollte man im Erstkontakt eine positive Grundstimmung schaffen und Vertrauen aufbauen. Danach sind Nachfassaktionen in angemessenem Abstand – durchaus auch im Mix mit anderen Medien – angebracht. Dabei sollte der Kunde nie überfordert werden, um das gewonnene Vertrauen nicht wieder zu zerstören.“ KundenProfi verantwortet zum Beispiel den Kundendialog für einen großen bundesweit agierenden Energieversorger, der großen Wert auf Kundenbindung legt – und kontinuierlich Testsieger in der Kundenzufriedenheit ist, so Münch: „Deshalb ist es leichter, bei passender Gelegenheit Vermarktungs- und Vertriebsstrategien im Kundenkontakt erfolgreich zu integrieren: Wir weisen dann auf neue oder zusätzliche Produkte hin oder führen ‚Kunden werben KundenKampagnen‘ durch.“ Auch Tonio Meier, Customer Service Director beim Mobilfunkanbieter Orange Communications in Renens, Schweiz, hält Cross-Selling nur für sinnvoll, wenn eine vertrauensvolle Basis besteht: „Das Orange Service Center erstellt bei eingehenden Anru42 www.callcenterprofi.de fen Bedarfsanalysen, optimiert Preispläne und schlägt sinnvolle Zusatzprodukte vor. Bei ausgehenden Anrufen kontaktiert das Team bestehende Kunden etwa im Hinblick auf Vertragsverlängerungen oder neue Zusatzprodukte. Dabei ist der wichtigste Aspekt Vertrauen. Kunden entscheiden sich nur für Zusatzprodukte, wenn ihr Grundanliegen verstanden und zu ihrer Zufriedenheit behandelt worden ist!“ Die Orange-Mitarbeiter werden entsprechend geschult und durch das CRM-System unterstützt, das auf Basis des Kundenprofils sinnvolle Zusatzprodukte vorschlägt. Die 3C Dialog GmbH in Köln ist ausschließlich im B-to-B-Sektor tätig, unter anderem für Auftraggeber aus den Bereichen ITK, Medien/Verlage, Energiewirtschaft und Maschinenbau, von der Adressqualifizierung bis hin zur Zufriedenheitsbefragung. Hier ist Hardselling ohnehin nicht angebracht, Schwerpunkt ist Leadgenerierung für hochwertige und beratungsintensive Investitionsgüter, so Ralf Beck, Vertrieb Business Development: „Diese Güter werden nicht am Telefon verkauft. Hier rechnet sich die Leadgenerierung, weil Potenziale telefonisch ermittelt und die Türen für den Ver- sen. Durch Kontakte schafft man freilich interne Referenzen, die im Verkaufsprozess genutzt werden können.“ Zeit zum Zuhören ist immer gut investierte Zeit Viele Führungskräfte fürchten noch immer, Zuhören, Verständnis und Kundenbindung kosteten zu viel Zeit. Das Gegenteil ist der Fall, betont Helga Schuler: „Menschen, die sich verstehen, bewältigen Dinge viel einfacher als solche, deren Beziehung nicht stimmt. Wir haben in Telefonaten nachgewiesen: Fühlt sich der Kunde verstanden, sind die Gespräche eher kürzer!“ Werde ein Kunde zu sachlich behandelt, fühle er sich schneller gestört, es komme zu Missverständnissen, Rechtfertigungen, versteckten Botschaften, sogar zu gegenseitigen Angriffen. „In einer guten Beziehung ist der Verkauf hingegen die logische Folge eines Gesprächs. Die Rendite ist der loyale Kunde, der gerne wieder kauft und das Unternehmen weiterempfiehlt, sowie der zufriedene Mitarbeiter, der ohne Stress verkauft und Freude an der Beziehung zum Kunden hat.“ Auch Anne M. Schüller, Beraterin bei Stures Leitfadenablesen funktioniert im Telesales nicht. Stattdessen sind gutes Hinhören sowie situative Entscheidungsund Handlungskompetenzen gefragt. trieb des Auftraggebers weit geöffnet werden.“ Dabei führe stures Leitfadenablesen nicht zum gewünschten Erfolg, gefragt seien hingegen situative Entscheidungs- und Handlungskompetenz, differenzierte Fragetechniken und konzentriertes Hinhören. Andreas Wagner von SAP geht noch einen Schritt weiter: „Ich halte wenig von gezielten Kampagnen, sondern bin Verfechter eines kontinuierlichen Betreuungsansatzes, sowohl bei Interessenten als auch bei Bestandskunden. Damit bringt man sich proaktiv in Erinnerung, kann aktuelle Themen abfragen und Lösungen anbieten, ohne gezielt Produkte platzieren zu müs- Marketing Consulting München, meint: „Menschen kaufen von Menschen – und nicht von Unternehmen. Die moderne Hirnforschung weiß: Jede Kaufentscheidung ist in Wirklichkeit eine mehr oder weniger emotionale Entscheidung!“ Deshalb seien emotionale Verkaufsgespräche gut investierte Zeit, führen sie doch zu loyalen Kunden: Und die kaufen laut Schüller öfter und mehr, wechseln seltener den Anbieter und sind weniger preissensibel. Damit nicht genug: „Sie haben eine bessere Zahlungsmoral und sind nachsichtiger, wenn Fehler passieren. Sie helfen durch passende Ratschläge, Hinweise und Tipps. Sie 07/2010 führung schen Entscheidungen treffen, als ihren Mitarbeitern Leitfäden aufzuzwingen: „Positiv gestimmte Hirne sind eher zum Ja-Sagen bereit.“ Atvita setzt zum Beispiel externe Trainer ein, die mit Führungskräften und Mitarbeitern die Gesprächsführung optimieren, Führungskräfte erhalten auch gesondert Weiterbildungen. Vertriebsexperte Ralf Beck von der 3C Dialog GmbH ist überzeugt: „Die Führungskraft sollte nicht nur über ausgeprägte Vertriebs-Skills verfügen, sondern auch über ein souveränes Gesamtverständnis. Zugleich ist sie ihre eigene Trainerbank in einer Person – Trainer, Coach, Motivator, Taktiker und Verkäufer.“ Emotionen im Verkauf haben sich noch nicht durchgesetzt erhöhen die Planungssicherheit und helfen, Werbeaufwendungen zu sparen. Denn sie sorgen als Empfehler für gutes Neugeschäft.“ Schüllers Fazit: Wer die Loyalität seiner Kunden gewinnt und bewahrt, steigert Umsätze und reduziert gleichzeitig Kosten. Michael Stienen von Atvita fügt hinzu: „Eine Grundregel für jedes Verkaufsgespräch ist das Gleichgewicht der Gesprächsführung. Das heißt, dass am Ende des Gespräches der Kunde mindestens genauso viel zum Gespräch beitragen konnte wie der Verkäufer. Hierzu bedient man sich klassischerweise der bekannten Fragetechniken.“ Viele Outbound Agents (aber auch Führungskräfte) bewegen sich laut Stienen vorrangig mit geschlossenen oder suggestiven Fragen durch das Gespräch, um nicht mit offenen Fragen zeitraubende Antworten zu provozieren, die das Gespräch in eine falsche Richtung lenken könnten: „Wir wissen aus der Praxis, dass dem nicht so ist, wenn der Agent mit offenen Fragen umzugehen weiß. Wir 07/2010 sind überzeugt, dass einen die Investition in die Vermittlung dieses sprachlichen, didaktischen Know-hows weiterbringt als viele mehrstufige Kampagnen inklusive Social Media, Community Marketing und Co.“ Führungskräfte müssen Menschlichkeit vorleben Die Führungskräfte spielen eine wichtige Rolle bei der SahnehäubchenStrategie, meint Tonio Meier von Orange Communications: „Die Führungskraft muss Menschlichkeit vorleben und durchsetzen.“ Außerdem sollten Führungskräfte laut Helga Schuler mit ihren Mitarbeitern unterschiedliche Kundensegmente gemeinsam definieren und deren Kriterien, Verhaltensweisen und Kaufmuster herausarbeiten und besprechen: „Das ist nicht so einfach, da die Kundenbedürfnisse immer individueller werden.“ Beraterin Anne M. Schüller ist überzeugt, die Führungskraft solle eher Wissen darüber vermitteln, wie Men- Doch die emotionale Form des Verkaufens hat sich im Umfeld des Call Centers noch nicht wirklich durchgesetzt, bedauert Michael Stienen: „Ein Verkaufsgespräch, das ausschließlich auf den neuesten Erkenntnissen der Verkaufspsychologie geführt wird, klingt zunächst eher wie eine lustige Plauderei, weil man sich auf den Kunden einstellt, um am Ende den Abschluss zu erreichen. Für viele klassische Verkäufer ist das ungewohnt. Außerdem können diese Gespräche von unterschiedlicher Dauer sein, während es im Hardselling auf kurze Gesprächszeiten und hohe Nettokontaktquoten ankommt.“ Entscheidend sei, wie der Auftraggeber zu den Methoden stehe: „Wie will er beim potenziellen Kunden wahrgenommen werden? Als Abfischer von Kunden? Oder doch lieber als Kundenversteher, den sein Kunde auch dann noch interessiert, wenn er heute einmal nicht bei ihm kauft?“ Die Orange Communications AG hat sich für die zweite Strategie entschieden, so Customer Service Director Tonio Meier: „Unsere neue Strategie legt den Fokus noch stärker auf die Kundenbindung. Wir sind bestrebt, dass alle Mitarbeitenden den Kunden zu ‚ihrem‘ Kunden machen, und sich die Loyalität des Kunden verdienen. Spürt der Kunde diese Grundhaltung, ist er auch offen dafür, die Geschäftsbeziehung mit uns zu vertiefen und weitere Produkte zu kaufen.“ n Steffanie Gohr www.callcenterprofi.de 43