Erinnern für die Zukunft
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Erinnern für die Zukunft
Erinnern für die Zukunft In Erinnerung an die Zwangsarbeiter während des Nationalsozialismus in Leipzig Ein Begleitheft zur Ausstellung Erinnern für die Zukunft 1 Erinnern für die Zukunft In Erinnerung an die Zwangsarbeiter während des Nationalsozialismus in Leipzig Ein Begleitheft zur Ausstellung Ein Projekt der Schüler der Thomasschule zu Leipzig (Deutsche Fassung: Schüler der Henriette-Goldschmidt-Schule Leipzig) Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus – eine bittere Erinnerung für mehr als 7 Millionen Menschen, welche aus mehr als 20 verschiedenen europäischen Ländern zur Rüstungsarbeit verschleppt wurden. Diese Erinnerung ist allen Überlebenden, Opfern und deren Angehörigen gewidmet. Eine Erinnerung, die nie vergessen werden darf. Möge diese Ausstellung die Besucher bewegen, über das Geschehene nachzudenken. Während des Zweiten Weltkrieges war Leipzig eines der wichtigsten Rüstungszentren Deutschlands. Im Jahr 1944 leisteten in Leipzig mehr als 100 000 Männer und Frauen - KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene - Zwangsarbeit für deutsche Rüstungsbetriebe. Diese Ausstellung auf dem Gelände eines früheren Konzerns gibt einen Einblick in die Rüstungsproduktion, insbesondere in die unvorstellbaren Lebensbedingungen der Frauen. Rüstungsindustrie Leipzig war einer der wichtigsten Standorte für die Rüstungsproduktion Deutschlands. Wegen der geplanten rapiden Steigerung der Produktion von Kriegswaffen und Munition war die Nachfrage nach Arbeitern größer denn je. Obwohl bereits viele Frauen zur Arbeit verpflichtet worden waren, reichte dies nicht aus, um die für die Fortsetzung des Krieges geforderten Mengen an Rüstungsgütern zu produzieren. Leipzig hatte somit einen Mangel an Arbeitskräften. Die fünf größten Leipziger Rüstungsbetriebe sind nebenstehend hervorgehoben: Die Firma HASAG (Hugo Schneider AG) stellte ihre ursprüngliche Lampenproduktion binnen kürzester Zeit auf Rüstungsmaterial um. Der Konzern war der einzige in Deutschland, der Panzerfäuste 6 herstellte, welche im 2. Weltkrieg eine große Bedeutung erhielten. Aus diesem Grund wurde die HASAG für die deutsche Wehrmacht sehr wichtig. Zweigstellen der HASAG gab es in Tschenstochau (Czestochowa, nordwestlich von Krakau/Krakow) und in Skarzysko Kamienna (Polen). Ein weiterer Rüstungsbetrieb war das ERLA-Maschinen–Werk, ursprünglich im Erzgebirge ansässig, welches im Jahr 1934 auf Anweisung Hermann Görings sein Maschinenbau-Werk in Leipzig errichtete. Die Erla-Werke spezialisierten sich auf die Produktion von Jagdflugzeugen vom Typ Messerschmitt. Die Produktionsanlage in Thekla war sehr günstig gelegen, da sie sich in unmittelbarer Nähe eines Flugplatzes befand, welchen sie Erinnern für die Zukunft für Testflüge nutzen konnte. Bis 1943 waren dort 25.000 Arbeiter beschäftigt, mindestens 18.500 davon waren Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene. Die ERLA-Werke sind historisch besonders bedeutend, da sie der erste Konzern waren, der Gefangene aus Konzentrationslagern zur Arbeit einsetzte. Zwei weitere Produktionsstätten, welche ebenfalls KZ-Häftlinge einsetzten, waren die MIMO (Mitteldeutsche Motoren-Werke) in Taucha und JUNKERS-Flugzeugwerke in Markkleeberg. 1942 begannen die Alliierten die Angriffe auf die Rüstungsbetriebe in Deutschland, um die deutsche Wehrmacht zu schwächen. Die Rüstungsbetriebe in Leipzig wurden ebenfalls bombardiert und dabei auch die Unterkünfte der Zwangsarbeiter getroffen. Rüstungsindustrie Diese Illustration zeigt die Lage der Fabriken, Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager Firmenlogo der Hugo-Schneider AG 1. Betrieb HASAG, Werk I, Leipzig Schönefeld 2. HASAG, Werk II, Taucha 3. Erla-Werke, Leipzig 4. Mitteldeutsche Motorenwerke, Taucha 5. Junkers-Flugzeugwerke, Markkleeberg 6. KZ-Außenlager HASAG, Leipzig 7. KZ-Außenlager, Abtnaundorf und Thekla 8. KZ-Außenlager Taucha 9. KZ-Außenlager Wolfswinkel, Markkleeberg 10. Zwangsarbeiterlager Antonienstraße 11. Zwangsarbeiter-Sammellager Alter Meßplatz Messerschmitt Kampfflugzeug HASAG Werk I, Leipzig Panzerfaustschütze Erinnern für die Zukunft 7 Zwangsarbeit für die Rüstungsproduktion Auf Grund der wachsenden Produktion zur Fortsetzung des Krieges wurden mehr und mehr Arbeiter benötigt; jedoch schrumpfte die Anzahl arbeitsfähiger Personen während des Krieges in Deutschland und neue Arbeitskräfte mussten gefunden werden. Die Folge war die Deportation vieler Menschen aus ihrer Heimat in die Arbeiterlager in Deutschland. Zuerst kamen Arbeiter auch freiwillig nach Deutschland mit dem Wunschgedanken, ihre Lebenssituation zu verbessern. Als sich dies mehr und mehr als Illusion herausstellte, wurden Arbeiter gewaltsam zur Arbeit in Deutschland gezwungen. Viele von ihnen waren Frauen. Auch Kriegsgefangene und KZHäftlinge wurden nun in Arbeitslager gebracht, wo sie 8 unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Die meisten waren Osteuropäer. Unter ihnen waren Sinti und Roma sowie viele Juden. Bis zum Jahre 1943 arbeiteten ungefähr 18.500 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder KZHäftlinge in den ERLA-Werken. In den verschiedenen Tochterfirmen der HASAG-Werke mussten laut statistischen Angaben 11.226 weibliche und 5.097 männliche KZ-Häftlinge für die Nazis arbeiten. Erinnern für die Zukunft Zwangsarbeit für die Rüstungsproduktion Vorderseite der Arbeitserlaubnis für einen ausländischen Arbeiter Rückseite Erinnern für die Zukunft 9 Arbeits- und Lebensbedingungen Die Lebensbedingungen in den Arbeitslagern waren furchtbar. Wegen des Mangels an medizinischer Versorgung, Ernährung, Kleidung und Hygiene lebten Tausende in einem erschreckenden Zustand. Nur diejenigen, die an Tuberkulose oder anderen schweren Krankheiten litten, blieben von der täglich 12-stündigen Arbeit verschont. Neben den miserablen Lebensbedingungen wurden die Arbeiter permanent diskriminiert, was sie zusätzlich seelisch sehr beanspruchte. Arbeiter aus Polen mussten ein „P“ und jene aus der Sowjetunion „OST“ auf ihrer Kleidung tragen, damit man erkennen konnte, woher sie stammten. Die Zwangsarbeiter aus den westeuropäischen Ländern, z.B. aus den Niederlanden, wurden nicht in 10 dieser Weise diskriminiert. Schwangere Frauen litten besonders unter dem barbarischen Regime. Nach 1943 wurden sie, wenn sie schwanger waren, nicht mehr wie zuvor, zurück in ihre Heimatländer geschickt, da ihre Arbeitskraft dringend gebraucht wurde. Viele der Neugeborenen starben an Mangelernährung oder wegen der schlechten hygienischen Bedingungen. „Arisch“ aussehende Babys wurden über die nationalsozialistische Organisation „Lebensborn“ an deutsche Familien vermittelt. Wegen der rauen Bedingungen versuchten Zwangsarbeiter zu fliehen, aber meist scheiterte dies. Die unzureichende Ausstattung der Barackenlager sowie die Gewalt der deutschen Aufseher, Erinnern für die Zukunft der die Zwangsarbeiter hilflos ausgesetzt waren, führten zu einer hohen Sterberate. Tausende von ihnen erhielten nie ein würdevolles Grab. Arbeits- und Lebensbedingungen Einäscherungsanzeige Schuhe eines Zwangsarbeiters Erkennungszeichen eines Polnischen Arbeiters Erinnern für die Zukunft 11 Widerstand Es war verboten, den Zwangsarbeitern zu helfen, denn dies wurde von den Nazis als Untergrabung der Kampfmoral angesehen und war strafbar. Trotzdem versuchte eine Anzahl deutscher Arbeiter, durch liegen gelassene Lebensmittel und warme Kleidung den Gefangenen zu helfen. Anderweitige Unterstützung kam von Gruppen wie dem IAK (Internationales Antifaschistisches Komitee), welches vom sowjetischen Kriegsgefangenen Nikolai Rumjanzew geleitet wurde. Er war bekannt unter dem Pseudonym „Orlow“. Viele Überlebende erinnern sich noch an ihn; seine Gruppe stand mit 20 Lagern in Leipzig in Verbindung. Das Wirken der IAK ist in der HASAG, den ERLA-Werken und vielen anderen Firmen in Leipzig nachweisbar. Im Juli 12 1944 wurden Nikolai Rumjanzew und 50 seiner Helfer entdeckt und von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) gefangen genommen und in Auschwitz ermordet. Das tragische Schicksal der Familie Rumjanzew sollte mit Nikolais Tod nicht enden. Seine Frau Alja gehörte ebenfalls zu den Zwangsarbeiterinnen. Sie überlebte und ging zurück in ihre Heimat. Tragischerweise glaubte sie über 40 Jahre, ihr Sohn sei einer deutschen Familie übergeben worden. Konstantin, der in Leipzig geboren war, starb jedoch, kurz nachdem sein Vater in Auschwitz ermordet wurde. Eine weitere Geschichte ist die von Anna Manochina, die schwanger war, als ihr Ehemann Nikolai Schkola und andere Erinnern für die Zukunft Mitglieder des IAK in Auschwitz ermordet wurden. Sie war eine von wenigen, die das Lager überlebte. Annas Tochter, Anna Nikolajevna Kotschergina, sah ihren Vater zum ersten Mal auf einem Foto in einem Film, den sie bei einem Besuch im Herbst 2000 in Leipzig sah. Widerstand Nikolai Schkola Nikolai und Alja Rumjanzewa Anna Nikolajevna Kotschergina Erinnern für die Zukunft 13 Todesmärsche Am 13. und 14. April 1945 wurden alle Konzentrationslager aufgegeben und die Häftlinge auf sogenannte Evakuierungsmärsche geschickt. Die 5.900 Frauen der HASAGWerke und der Junkers-FlugzeugWerke in Markkleeberg wurden ebenfalls dazu gezwungen. Die Märsche führten in Richtung Wurzen, Oschatz, Riesa und Glaubitz und wurden später als Todesmärsche bezeichnet, da viele Gefangene während der Märsche ums Leben kamen. KZ-Häftlinge, die nicht mehr fähig waren zu laufen oder einen Fluchtversuch unternahmen, wurden erschossen und zurück gelassen. Trotzdem gelang es einigen Frauen zu fliehen. sie einen Brief, den sie von ihrem Sohn erhalten hatte, als er in Buchenwald eingesperrt war. Dieser Brief wurde von einem Leipziger Bürger 35 Jahre später für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt. Die Todesmärsche der HASAGHäftlinge wurden von dem Verantwortlichen des Lagers Leipzig-Schönefeld, SS-Oberscharführer Wolfgang Plaul, angeordnet. Sein Verbleib ist unbekannt; daher kam er für die Verbrechen in Leipzig nie vor Gericht. Unter ihnen war die Polin Adela Edelszein. Bei ihrer Flucht verlor 14 Erinnern für die Zukunft Todesmärsche Brief an Adela Edelszein von ihrem Sohn SS-Oberscharführer Wolfgang Plaul Erinnern für die Zukunft 15 Blutbad in Abtnaundorf Im April 1945 näherten sich die amerikanischen Truppen Leipzig. Auf den Befehl der Leitstelle der Gestapo in Leipzig sollten 307 kranke und gehunfähige Häftlinge, die zu schwach zum Gehen waren, “beseitigt” werden. Am 18. April 1945 wurden sie während des Mittagessens in ihre Baracken eingeschlossen. Diese wurden zugenagelt, mit Petroleum begossen und angezündet. 84 Gefangene verbrannten bei lebendigem Leib. Internierte, die versuchten zu fliehen, wurden mit Gewehren und Maschinenpistolen beschossen. Nur mit Hilfe von Zwangsarbeitern, deren Baracken in der Nähe waren, konnten einige gerettet werden. Am 28. April 1945 fanden die Opfer dieser Grausamkeit ihre letzte Ruhestätte auf dem Südfriedhof in Leipzig. 16 Die Opfer des Blutbades in Abtnaundorf Erinnerungstafel auf dem Südfriedhof Erinnern für die Zukunft Blutbad in Abtnaundorf Gemälde von Pjotr Stefanowitsch Korschunkow Der derzeit einzig namentlich bekannte Überlebende ist Pjotr Stefanowitsch Korschunkow, der seine Erinnerungen an dieses Verbrechen in Skizzen und Gemälden verarbeitete. Erinnern für die Zukunft 17 Leipziger jüdische Zwangsarbeiter Im August 1938 lebten noch 10.800 Juden in Leipzig. Mit der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 gestalteten sich die ohnehin schon komplizierten Lebensumstände der jüdischen Einwohner noch schwieriger. Mit dem 1.September 1941 erlangte die Polizeiverordnung zur Kennzeichnung der Juden Gesetzeskraft und musste innerhalb von 14 Tagen durchgesetzt werden. Alle Juden hatten an ihrer Kleidung deutlich sichtbar einen gelben Stern mit der Aufschrift „Jude“ zu tragen. Neben den Kriegsgefangenen wurden bis Ende 1943 bzw. bis zu deren eigenen Deportation Jüdische Leipziger unter widrigsten Bedingungen zur Zwangsarbeit herangezogen. 18 Bereits seit 1939 gab es die„städtische Pflichtarbeit“ für Juden. Auf der Basis der Zustimmung durch das Arbeitsamt im Ergebnis einer Besprechung zwischen Arbeitsamt und Stadtverwaltung am 18. April 1940 wurde diese Zwangsform der Arbeit immer mehr ausgedehnt. Im Arbeitsamt wurde für den Einsatz Leipziger jüdischer Zwangsarbeiter eine eigene Abteilung eingerichtet. Der Leiter war ein Herr Ulbricht. Gesetzlich festgeschrieben wurden diese Maßnahmen erst 1941 mit der „Verordnung über die Beschäftigung von Juden“. Nachdem alle arbeitsfähigen jüdischen Leipziger vom Arbeitsamt erfasst waren, wurden sie zu den verschiedensten Erinnern für die Zukunft körperlich schweren, nicht selten gesundheitsschädlichen, oft gefährlichen und allgemein abgelehnten Arbeiten herangezogen. Leipziger jüdische Zwangsarbeiter Blick auf die Harkortstraße um 1938, im Hintergrund das Neue Rathaus. In dem Gebäude Harkortstraße 1 hatte ab 1939 auch die sogenannte „Judenstelle“ ihren Sitz, die u.a. den Arbeitszwang für die Leipziger Juden organisierte Erinnern für die Zukunft 19 Leipziger jüdische Zwangsarbeiter Die Leipziger Stadtverwaltung setzte Juden z.B. für das Aussortieren des Mülls, vornehmlich auf dem Scherbelberg ein. Sie arbeiteten im Tiefbau, mussten Luftschutzgräben an der Großmarkthalle ausheben, Planierungs-, Erd- und Gartenarbeiten auf den Städtischen Friedhöfen leisten, waren Totengräber auf eben diesen Friedhöfen oder wurden zu Aufforstungsarbeiten im Städtischen Forst und zu Stadtreinigungsarbeiten verpflichtet. Arbeitsschutzkleidung gab es für Juden keine, ebenso wenig wie Arbeitsschutzbestimmungen für Juden galten. Der Stundenlohn betrug 10 Pfennig. Medizinische Hilfe für die dabei Erkrankten oder Erschöpften gab es kaum. 1941 leisteten noch ca. 800 Leipziger Juden Zwangsarbeit, neben den 20 bereits genannten Bereichen auch in Wäschereien, Kürschnereien, Rauchwarenzurichtereien oder in Be- und Entladekommandos - einschließlich der Kohleversorgung. Zu der körperlich schweren Arbeit kam, dass die jüdischen Zwangsarbeiter ab 1. November 1941 nur noch dann die Straßenbahn benutzen durften, wenn die Arbeitsstelle mehr als 7 km von der Wohnung entfernt war, was für viele der Zwangsarbeiter zusätzlich noch sehr lange Fußmärsche zur „Arbeit“ bedeutete. Erinnern für die Zukunft Leipziger jüdische Zwangsarbeiter Die Zwangsarbeitsverhältnisse wurden am 27. Februar 1943 beendet. Von der so genannten „Fabrikaktion“, die in Berlin zu Verhaftungen in größtem Ausmaß und zu Deportationen nach Auschwitz führte, wurde Leipzig zwar nicht in einem solchen Umfang betroffen, blieb aber davon auch nicht unberührt. 21 Leipziger jüdische Zwangsarbeiter wurden in diesem Zusammenhang nach Theresienstadt, respektive Auschwitz deportiert. Drei überlebten. Südfriedhof Leipzig Erinnern für die Zukunft 21 Nachkriegszeit - Versuch der Analyse dieser Verbrechen 1946 wurden die ERLA-Werke demontiert und anschließend gesprengt. Walter Wendt, Leiter des Lagers für zivile Zwangsarbeiter, wurde am 29.05.1945 verhaftet und in ein amerikanisches Internierungslager gebracht. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Laut der Potsdamer Konferenz vom August 1945 mussten die Verbrechen der Nazis strafrechtlich verfolgt werden. In den Prozessen von 1948/49 in Leipzig wurden 25 Personen für die Verbrechen von Kamienna und Tschenstochau angeklagt. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtete ausführlich über diese Prozesse. Die Aussagen während des Prozesses sollten der deutschen Bevölkerung das Ausmaß der brutalen Verbrechen der Nazis deutlich machen. Die Aufseher behandelten die 22 Inhaftierten in grausamster Weise. Sie schlugen ihnen ins Gesicht, verprügelten sie mit Stöcken, Gummischläuchen, Gürteln, Riemen, Stahlstangen oder Brecheisen. Häftlinge wurden bis zur Bewusstlosigkeit gepeitscht. Anschließend wurden sie mit Wasser begossen und als sie wieder zu sich kamen, wurden die Misshandlungen fortgesetzt, was in vielen Fällen tödlich endete. Auch Frauen und Kinder wurden solchen Misshandlungen ausgesetzt. Wachen hetzten Hunde auf erschöpfte Häftlinge. Kranke oder arbeitsunfähige Häftlinge wurden umgebracht. In einem Massengrab wurden sie einer nach dem anderen erschossen. (LVZ vom 13.11.1948) Am 23.12.1948 wurden die Urteile des Kamienna-Prozesses Erinnern für die Zukunft vor 3.000 Personen verkündet. Vier der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, zwei weitere zu lebenslanger Haft. Andere Angeklagte erhielten langjährige Haftstrafen. Nur einer wurde freigesprochen. Die Täter von Tschenstochau erhielten im Juni 1949 ähnliche Strafen. Der Justizminister sagte: “Das Ziel der Prozesse darf nicht nur sein, Kriminelle zu bestrafen, sondern den Menschen die Augen zu öffnen, dass ein Weg wie dieser wieder in der Vergasung von Millionen von Menschen enden würde.” (LVZ, 24. Juni 1949) Nachkriegszeit - Versuch der Analyse dieser Verbrechen Bilddokument eines Gerichtsprozesses, der in einer Leipziger Firma stattfand Erinnern für die Zukunft 23 Gedenken - Mahnung - Erinnerung Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Heute ist dieses Datum ein Gedenktag für die Opfer, die unter dem nationalsozialistischen Regime verfolgt, verschleppt und ermordet wurden. Dieser Tag dient zur Warnung vor denjenigen, die sich mit der nationalsozialistischen Ideologie identifizieren, rechtsextreme Parolen verbreiten und ausländerfeindliches Verhalten zeigen. unter Mitwirkung der Leipziger Bevölkerung regelmäßig ehemalige Zwangsarbeiter nach Leipzig einlädt. Außerdem finden jedes Jahr am 27. Januar Kranzniederlegungen in Abtnaundorf, am Gedenkstein in der Permoserstraße sowie auf dem Südfriedhof statt. Am 4. Mai 2000 begann die Arbeit am Projekt „Ehemalige Zwangsarbeiter in Leipzig“. Die Stadt sieht sich verantwortlich, an diese dunkle Periode der Stadtgeschichte zu erinnern und somit die Verantwortung anzunehmen. Ein Teil des Projektes ist, dass die Stadt 24 Erinnern für die Zukunft Gedenken - Mahnung - Erinnerung Worte zum Gedenken und zur Ehrung der Toten. Sie werden jährlich an der Gedenkstelle verlesen. Wir denken heute An die Opfer von Gewalt und Krieg, Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene oder Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft leisteten. Und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder ihrem Glauben festhielten. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Opfer sinnloser Gewalt, die bei uns Schutz suchten. Wir trauern mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen, um die Toten. Doch unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt. Gedenkstein in Abtnaundorf Erinnern für die Zukunft 25 Was geblieben ist, ist das Andenken an Tausende Opfer der Zwangsarbeit in Leipzig, aber auch die Erinnerung derer, die diese schreckliche Zeit überlebt haben. Viele von ihnen haben Leipzig bereits wieder gesehen oder den Wunsch geäußert, das neue Leipzig kennen zu lernen. Häufig wurde zum Ausdruck gebracht, dass dieses Wiederkommen nach Leipzig den schmerzhaften Prozess der Beschäftigung mit diesem schmerzhaften Einschnitt in das eigene Leben zum Abschluss gebracht hat. Viele der ehemaligen Zwangsarbeiter fühlten sich danach endlich frei. 26 Erinnern für die Zukunft 1998 - die ersten ehemaligen Zwangsarbeiter kehrten in die früheren HASAG Werke nach Leipzig zurück Eintrag ins Gästebuch der Ausstellung Erinnern für die Zukunft 27 Der zweite Teil dieser Ausstellung bezieht sich hauptsächlich auf die persönlichen Schicksale der Frauen und Kinder, die in den Zwangsarbeitslagern leben mussten. In den 1990er Jahren kehrten erstmals Überlebende nach Leipzig zurück, zu den Plätzen, an denen sie litten und an denen ihre Freunde ermordet wurden. Persönliche Dokumente und Auszüge von Erfahrungsberichten der Frauen zeigen einerseits die schrecklichen Erfahrungen in den Lagern, andererseits bezeugen sie den Optimismus, den unbeugsamen Geist und den Glauben an eine Zeit ohne Faschismus und Krieg. 28 Erinnern für die Zukunft Irene Nenoff fand Sponsoren und war für die Organisation des Projekts verantwortlich. Schüler der 11. Klasse der Thomasschule der Leistungskurse Geschichte und Englisch wählten Dokumente aus und erstellten den englischen Text dieser Broschüre. Die Gestaltung und künstlerische Umsetzung wurde von Wenzel Steinmetz übernommen. Die Schüler wurden von ihren Lehrern, einem Praxis-Lehrer, einem Fremdsprach-Assistenten und einem Interpreter unterstützt. Für alle Beteiligten war das Projekt ein Lern-Erlebnis und eine Herausforderung. Obwohl der Umfang der Informationen der Ausstellung in diesem Heft nicht widergespiegelt werden kann, haben Gäste nun die Gelegenheit, mit Hilfe dieser Broschüre wesentliche Informationen über die Ausstellung zu gewinnen. Dank gilt dem Team der Gedenkstätte, das freundlicherweise die nötigen Dokumente und Fotos zur Vervollständigung des Projekts zur Verfügung stellte. An der Entwicklung haben mitgewirkt: Anna Baldauf, Clemens Behr, Karola Böhmer, Sebastian Carl, Jule Engler, Gabriele Freitag, Romy Geßner, Paul Heller, Romy Holzmann, Felix Hübner, Maria Lötzsch, Justine Michel, Charlotte Näher, Irene Nenoff, Christiane Olschewski, Xenia Poppe, Gregor Praetorius, Kati Prange, Simone Rahn, Odila Schröder, Wenzel Steinmetz, Werner Stephan, Brigitte Viehmann, Creed Weiler, Wolfgang Zabel, Victoria Zorn Erinnern für die Zukunft 29 Die deutsche Ausgabe wurde im Rahmen eines Projektes der Henriette-Goldschmidt-Schule Leipzig realisiert von Carolin Kellner, Jenny Pfeifer, Henrik Zechendorf, Franziska Intrau und Dr. Eberhard Ulm. Besonderer Dank gilt: - Lee Fairbanks (USA) - Project Prometheus der Jugendbank Leipzig - Stiftung Mitarbeit in Bonn - Consulate General of the United States of America - Stiftung Frauenkirche Dresden und Pfarrer Feydt - Thomaskirche Leipzig und Pfarrer Wolff - Thomanerbund e.V. und Professor Haufe Doreen Andriefski, Annette Cotta, Edith Graebert, Jana Becker-König, Rolf Kralovitz, Ingeborg Krieg, Ines Kuperberg (USA), Margaret Bach Lesser (USA), Dr. Freya Luderer, Johanna Ludwig, Dr. Evelyn Matijaschtschuk, Norbert Molkenbur, Elke Musial, Professor Pietro Nenoff, Ute Trinkkeller, Ilona UlbrichSediq, Dr. Jona Trommer, Dr. Eberhard Ulm Förderverein Dr. Margarete Blank e.V., Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Leipzig, Institut für Kommunikation Dr. Gernoth Barth Leipzig, Möbeltischlerei Biermann Leipzig, TRIBÜNE - Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Thomanerbund Leipzig, Stahlwerke Riesa 30 Erinnern für die Zukunft Förderverein Dr. Margarete Blank e.V. Ausstellung „Erinnern für die Zukunft“ in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Permoserstraße 15, 04318 Leipzig, Deutschland Telefon: 0341 - 235 2075 Fax: 0341 - 235 2076 gedenkstaette@zwangsarbeit-in-leipzig.de www.zwangsarbeit-in-leipzig.de Quellen Alle Bilder und Texte wurden der genannten Ausstellung entnommen, abgesehen von: Seiten 18-21: Autoren Dr. Andrea Lorz und Cornelia Zillies Seite 19: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Fotothek Seite 25 : Hauptstaatsarchiv Dresden 11378 Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen Nr. 429, Bl. 175 Impressum 1. Auflage in deutscher Sprache 2010: Herausgeber: Druck: Texte: Layout: 1000 Exemplare Projektgruppe “Verstehen und Verstehen geben” Druckerei Böhlau, Scherlstraße 12, 04103 Leipzig Im Rahmen des Schülerprojektes “Verstehen und Verstehen geben” von Schülern der Thomasschule zu Leipzig in englischer Sprache gestaltet und von Schülern der Henriette-Goldschmidt-Schule ins Deutsche übersetzt. Basierend auf der Grundlage der Ausstellung in der Gedenkstätte für Zwangsarbeiter des Vereins Margarete Blank e.V. Wenzel Steinmetz