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Quarterly Science Newsletter
ANALYTIK
Analyse-Tool für die obersten Nanometer
VERFAHRENSTECHNIK
Small is beautiful
RESSOURCENEFFIZIENZ
Evonik sagt sauren Gasen den Kampf an
Ausgabe 4|2011
2
Inhalt
6
Titelmotiv
Das Titelfoto zeigt Steve Rienecker beim Probentransfer von
der Ladekammer in die Spektrometerkammer des neuen
Röntgen-Photoelektronenspektrometers der AQura GmbH,
des Analytikdienstleisters von Evonik.
18
NEWS
4 Bau einer Spezialchemieanlage für Elektronikchips
4 Neue Anlage in Argentinien für Katalysatoren zur Biodieselherstellung
5 J oint Venture für die Produktion von Superabsorbern
in Saudi-Arabien gegründet
5 Bau einer Wasserstoffperoxid-Anlage in China
Nominiert für den Evonik-Innovationspreis 2011
Kategorie neue Produkte/neue Systemlösungen
24
6 E
in Frischeriegel für die Wäsche:
Der Bounce® Dryer Bar bietet Textilpflege in Blockform
7 D
ie Sonne auf den Punkt gebracht: Hochpräzise Optik aus PLEXIGLAS®
macht Photovoltaik effizient und preiswert
8 V
ESTAMID® für die Photovoltaik
Kategorie neue oder verbesserte Prozesse
9 Prozessoptimierung: Mehr Isophoron aus weniger Rohstoff
10 Neue Technologieplattform zur Herstellung von Pharmapolymeren:
Qualität von Anfang an
11 D
ie Mischung macht‘s: Neues Verfahren macht Herstellung des
Katalysators TS-1 wirtschaftlicher und umweltfreundlicher
VERFAHRENSTECHNIK
12 Small is beautiful
ANALYTIK
18 Oberflächenspektrometrie: Analyse-Tool für die obersten Nanometer
24
25
27 27
28
28 29
29
Innovationsmanagement
Corporate Foresight: strategischer Blick in das nächste Jahrzehnt
Interview mit Dr. Peter Nagler: „Forschung braucht Leidenschaft“
NEWS
Grundsteine für zwei Innovationszentren in Essen gelegt
Anlage für Produkte für Kleb- und Dichtstoffe geplant
Honorarprofessur für Dr. Stefan Buchholz
I nternationaler Umweltpreis für den Wind Explorer
Nachhaltigkeitspreis der Chemie in Europa für Evonik
F
&E-Center in Schanghai wird erweitert
Coating & Bonding Technologies
30 Dünn, aber oho!
RESSOURCENEFFIZIENZ
34 Evonik sagt sauren Gasen den Kampf an
NEWS
39 E
rweiterung der Kapazitäten für Methylmethacrylat
39 L-Lysin-Kapazität in USA wird verdoppelt
39 Impressum
elements37 Ausgabe 4|2011
E d itorial
3
Vorausdenken, mitdenken, nachdenken
Laut einer Studie sind 28 Prozent der deutschen Bevölkerung „digitale Außenseiter“:
Sie arbeiten nicht oder kaum mit Computern und können mit Begriffen wie Homepage oder E-Mail nichts anfangen. Zu diesem Ergebnis kam im vergangenen Jahr
die Initiative D21, eine Partnerschaft von Politik und Wirtschaft für die Informationsgesellschaft. Die digitalen Außenseiter haben den Anschluss an eine Technologie
verpasst, ohne die der Zugang zu Informationen und Dienstleistungen immer
schwerer wird – weil sie ihnen zu kompliziert war, weil sie ihre Bedeutung unterschätzten oder weil sie ihnen zu teuer war.
Ein Problem, mit dem auch Unternehmen konfrontiert sind. Innovationszyklen
werden immer kürzer, Technologien schreiten rasant voran – die Gefahr, den
Anschluss an wichtige Entwicklungen zu verpassen, steigt. Wer nicht das Nachsehen haben will, muss vorausdenken: Trends beobachten, ihr Potenzial für das
künftige Geschäft bewerten und gegebenenfalls zum richtigen Zeitpunkt einsteigen.
Wir haben dazu vor gut einem Jahr das Corporate-Foresight-Team gegründet, das
sich genau damit beschäftigt: die vielfältigen Herausforderungen in den kommenden
zehn bis 15 Jahren zu verstehen und daraus Lösungsansätze abzuleiten, die ein hohes
Umsatzpotenzial für Evonik versprechen. Aktuell befasst sich das Team mit dem Fokusthema Megacitys, weil Ballungsräume nicht nur sämtliche Zukunftsprobleme auf
engstem Raum offenbaren, sondern auch die wirtschaft­lichen Wachstumszentren
von morgen sind.
Ein Thema, das vor allem auch dazu zwingt, global zu denken. Und das ist dringend nötig, denn die chemische Industrie wird in den nächsten Jahren nicht nur in
Deutschland wachsen, sondern auch in anderen Regionen, in denen es ebenfalls hervorragende Hochschulen und entsprechend hervorragende Wissenschaftler gibt.
Deshalb genügt es nicht mehr, in den jeweiligen Märkten zu produzieren, sondern
wir müssen auch vor Ort mit den Kunden mitdenken, um ihre individuellen Bedürfnisse und Probleme zu verstehen. Nehmen Sie unser Technologiezentrum in Schanghai als Beispiel: Hier gedeihen Partnerschaften mit Kunden und Hochschulen, die
über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern kaum möglich gewesen
wären. Deshalb investieren wir jetzt rund 18 Millionen E in die Erweiterung dieses
Zentrums, weil wir hierzu mehr Labore und Pilotanlagen – aber vor allem auch
schlaue Köpfe – benötigen.
Insgesamt betreiben wir Innovation an 35 Standorten auf der Welt und sind in
den bedeutenden Regionen nahe bei unseren Kunden. International forschen heißt
aber nicht, den Standort Deutschland zu vernachlässigen, denn Deutschland bietet
wegen der engen Vernetzung von Akademia und Industrie nach wie vor hervorragende Voraussetzungen für Innovationen. Darum errichten wir nun in Essen für
rund 31 Millionen E zwei neue F&E-Zentren, um innovative Additive und Spezialbindemittel für Farben und Lacke sowie nachhaltige Produkte für die Kosmetikindus­trie
zu entwickeln. Eine folgerichtige Investition, über die wir nicht lange nachdenken
mussten.
Da war die Entscheidung, wen wir in diesem Jahr für unseren Innovationspreis
nominieren, schon schwieriger. Hier mussten wir lange nachdenken, weil unsere
Forscher sich mit ihren durchweg guten Projekten ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen
geliefert haben. Welche sechs Teams bzw. Projekte es schließlich in die Finalrunde
geschafft haben, erfahren Sie ab Seite 6.
Patrik Wohlhauser
Mitglied des Vorstandes der
Evonik Industries AG
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4
N e ws
Bau einer Spezialchemieanlage für Elektronikchips
Evonik Industries hat im badischen Rhein­fel­
den mit dem Bau einer zweiten Produktions­
anlage für Hexachlordisilan (HCDS) begonnen. Der Produktionsstart ist für die zweite
Jahreshälfte 2012 geplant. Hexachlordisilan
ist ein siliziumhaltiger Rohstoff für die Halb­
leiterindustrie und wird unter anderem für
die effiziente und kostengünstige Herstellung
von Speicherchips mit sehr hoher Speicher­
dichte eingesetzt. Solche sogenannten FlashSpeicher finden sich beispielsweise in Smart­
phones, Digitalkameras, MP3-Playern oder
USB-Sticks. Auch Computer nutzen zunehmend statt der üblichen Festplatten sogenannte Solid State Drives, die aus Flash-Spei­
cherchips bestehen.
„Mit der neuen Anlage wollen wir unsere gute Position als Anbieter von Schlüssel­
rohstoffen für die Elektronikindustrie weiter
stärken“, betonte Dr. Thomas Haeber­le, im
Vor­stand von Evonik zuständig für das
Segment Resource Efficiency. Evonik vertreibt Hexachlordisilan unter dem Marken­
namen Siridion® HCDS. „Wir schätzen die
Marktaussichten für Hexachlordisilan als gut
ein und wollen insbesondere die Halbleiter­
industrie im asiatischen Raum damit beliefern“, ergänzte Thomas Hermann, Leiter des
Geschäftsbereichs Inorganic Materials.
Evonik zählt Produktionsverfahren für
Siliziumverbindungen zu seinen wichtigsten
Technologieplattformen. Das Herstellungs­
ver­fahren besitzt eine Kapazität im zweistelligen 1.000-Kilogramm-Bereich.
Für die Herstellung von Flash-Spei­cher­
chips arbeitet die Halbleiterindustrie in der
Massenproduktion bereits heute mit Struk­
tur­größen von 25 Nanometern. Neue Gene­
rationen mit noch feineren Strukturen sind
aber bereits in der Pipeline der großen Spei­
cherchiphersteller. Die für solche feinen
Struk­turen notwendigen hauchdünnen, funktionellen Schichten lassen sich durch chemische Gasphasenabscheidung von Hexachlo­r­
disilan erzeugen. Die Vorteile von Siridion®
HCDS liegen darin, dass es sich in der Chip­
herstellung bereits bei relativ niedrigen
Temperaturen abscheiden lässt und sehr
homogene funktionelle Filme erzeugt. Auf­
grund des Einsatzes von hochreinen Roh­
stoffen bei der Herstellung von Siridion®
HCDS ist die Konzentration von kritischen
Metallspurenelementen im Produkt außergewöhnlich niedrig. Siridion® HCDS reiht
sich nahtlos in die Siridion-Produktfamilie
ein, unter der Evonik Schlüsselrohstoffe für
die Herstellung von Solarsilizium, optischen
Glas­fasern, Halbleitern und Flachbildschirmen
anbietet.
Neue Anlage in Argentinien für Katalysatoren zur Biodieselherstellung
Evonik Industries baut in Argentinien eine
neue Anlage zur Herstellung von Kata­ly­sa­
toren für die Biodieselproduktion. Nach Fer­
tigstellung der Anlage, die bis spätestens
Ende 2012 vorgesehen ist, wird sie gebrauchs­
fertige Alkoholate als Katalysatoren für die
Produktion von Biodiesel aus nachwachsenden Rohstoffen liefern. Aus der neuen An­
lage sollen künftig vor allem Argentinien und
Brasilien beliefert werden. Die Produktion
wird eine Jahreskapazität von über 60.000
Tonnen haben.
Die Anlage entsteht im Zentrum der
argentinischen Biodieselindustrie in Puerto
General San Martin in der Region Rosario.
Evonik lässt sich am Standort der Terminal 6
S. A. nieder, die dort eine große Biodiesel­
anlage betreibt.
2009 hatte Evonik eine Produktionsanlage
in Mobile (Alabama, USA) angefahren, die
eine Kapazität von 60.000 Jahrestonnen hat.
Aus dieser Anlage, die in nur neun Monaten
Bauzeit errichtet worden ist, bedient Evonik
einen Teil der Nachfrage auf dem wachsenden nordamerikanischen Biodieselmarkt.
Nach dem erfolgreichen Einsatz dieser neuen
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Pro­duk­tionstechnologie in den USA wird
jetzt in Argentinien eine Anlage gleichen Typs
gebaut. Bei dieser Technologie werden die
Alkoholate in einer Direktreaktion von
Alkohol mit Lauge hergestellt.
Bereits heute hat Evonik eine weltweit
führende Position bei den Biodiesel­kata­ly­
satoren inne – auch in Südamerika. „Mit der
geplanten neuen Anlage in Argentinien stärken wir unser Geschäft weltweit und in der
Region“, erklärte Jan Van den Bergh, Leiter
des Evonik-Geschäftsbereichs Advanced
Intermediates. „Wir wollen damit auch am
deutlichen Wachstum des Markts für Bio­
diesel teilhaben, für den Prognosen mittelfristig ein kräftiges Wachstum in Aussicht
stellen.“
Als Weltmarktführer für Spezial­kata­ly­
satoren zur Herstellung von Biodiesel betreibt
Evonik neben der Anlage in Mobile auch eine
Produktion am deutschen Standort Nieder­
kassel-Lülsdorf bei Köln.
Ne ws
Joint Venture für die
Produktion von Super­
absorbern in SaudiArabien gegründet
Evonik Industries hat unter dem Namen Saudi
Acrylic Polymers Company (SAPCo) ein Joint
Venture mit der Saudi Acrylic Acid Company
(SAAC) zur Produktion von Superabsorbern
gegründet. SAAC ist ein Joint Venture zwischen den saudischen Firmen National
Industrialization Company (Tasnee) und
Sahara Petrochemicals. Die Produktions­
anlage mit einer jährlichen Kapazität von
80.000 Tonnen soll Ende 2013 die Produktion
aufnehmen. Die Gesamt­investition wird im
dreistelligen Millionen-Euro-Bereich liegen.
Die SAPCo Superabsorberproduktion ist
Teil eines neuen Acrylsäure- und DerivateKomplexes auf dem Tasnee-Gelände im
Chemiepark Al Jubail in Saudi-Arabien und
profitiert von kostengünstigem Propylen aus
dem benachbarten Cracker, den Tasnee und
Sahara gemeinsam mit Lyondell Basell betreiben. Der EPC-Vertrag soll an die Firma Fluor
vergeben werden.
Patrik Wohlhauser, im Evonik-Vorstand
verantwortlich für das Berichtssegment
Consumer, Health & Nutrition, und Dr.
Moayyed I. Al-Qurtas, Stellvertretender Auf­
sichtsratsvorsitzender und CEO von Tasnee,
unterzeichneten einen entsprechenden JointVenture-Vertrag in Riyadh (Saudi Arabien).
„Das ist ein bedeutender Schritt für unseren
Konzern im Wachstumsmarkt Mittlerer
Os­ten. Unsere führende Stellung bei Super­
absorbern bauen wir damit entscheidend
aus“, sagte Wohl­hauser. Evonik ist weltweit
ein führender Hersteller für Superabsorber,
die wesentliches Basismaterial für die Her­
stellung von Hygieneprodukten wie Windeln
und Binden sind.
Das Joint Venture wird über die modernste Evonik-Superabsorbertechnologie verfügen und von der günstigen Rohstoffver­sor­
5
gung vor Ort profitieren: Die notwendige
Acrylsäure für die Herstellung von Super­
absorbern wird aus einer benachbarten
An­lage von SAMCO bezogen werden.
SAMCO ist ein Joint Venture zwischen SAAC
und Dow Chemicals.
„Dies ist die erste Superabsorber­pro­
duktion in der Region. Wir bringen damit für
unsere Kunden die gewohnt gute und neueste Technologie in den Wachstumsmarkt
Mittlerer Osten. Zusammen mit unseren saudischen Partnern schließen wir dadurch die
Wertschöpfungskette vom Öl bis zur Windel­
produktion in Saudi-Arabien“, sagte Claus
Rettig, Leiter des Evonik-Geschäftsbereichs
Consumer Specialties.
Superabsorber sind ein
wesentliches Basismate­
rial für die Herstellung
von Hygieneprodukten
wie Windeln. Das Foto
zeigt ein anwendungstechnisches Labor von
Evonik in Krefeld
Bau einer Wasserstoffperoxid-Anlage in China
Evonik Industries wird im Nordosten Chinas
in der Provinz Jilin eine neue Produktions­
anlage für Wasserstoffperoxid bauen. Mit der
Investition im unteren dreistelligen MillionenEuro-Bereich geht Evonik einen weiteren
Schritt bei der Erschließung neuer Absatz­
märkte für das umweltfreundliche Oxida­
tions­mittel. Die Anlage, die voraussichtlich
bis Ende 2013 fertiggestellt sein soll, wird
eine Jahreskapazität von 230.000 Tonnen haben. Evonik wird damit seine aktuelle Jahres­
kapazität von rund 600.000 Tonnen für H2O2
um fast 40 Prozent steigern. Der Kon­zern
sieht sich als weltweit zweitgrößter Hersteller
von Wasserstoffperoxid.
Evonik wird das H2O2 aus Jilin über eine
Pipeline direkt in die künftige benachbarte
Propylenoxid-Anlage der Jishen Chemical
Industry Co., Ltd. liefern. Dafür ist ein langfristiger Liefervertrag abgeschlossen worden.
Jishen wird aus dem Wasserstoffperoxid nach
einer innovativen Technologie, dem sogenannten HPPO-Verfahren, Propylenoxid
herstellen. Im Sommer dieses Jahres haben
Evonik und ThyssenKrupp Uhde GmbH
(Dort­mund) mit Jishen Chemical Industry Co.,
Ltd. bereits ein Abkommen zur Lizenzierung
der HPPO-Technologie abgeschlossen. Pro­
pylenoxid wird vor allem für die Herstellung
von Polyurethan-Vorprodukten verwendet.
Aus den Polyurethanen entstehen dann beispielsweise Polster für Autositze oder Möbel.
Das HPPO-Verfahren hat Evonik mit Uhde
entwickelt.
Bislang wurde Wasserstoffperoxid vor
allem als Bleichmittel für die Textil- und
Zellstoffindustrie genutzt. Mit dem innovativen HPPO-Verfahren kann das umweltfreundliche Oxidationsmittel nun auch zur
chemischen Direktsynthese von Propy­len­
oxid verwendet werden. Die Vorteile des
HPPO-Verfahrens liegen in einem deutlich
niedrigeren Investitionsvolumen und in seiner hohen Produktionseffizienz. Das Ver­
fahren ist außerdem äußerst umweltfreundlich.
Die HPPO-Anlage in China nach dem
Evonik-Uhde-Verfahren wird die zweite ihrer
Art sein. Bereits 2008 hatten Evonik, Uhde
und als Lizenznehmer ein koreanisches Che­
mieunternehmen gemeinsam als erste weltweit das HPPO-Verfahren großtechnisch in
Ulsan (Korea) umgesetzt.
„Die weltweite Nachfrage nach der
HPPO-Technologie ist immens“, sagte Jan
Van den Bergh, Leiter des Evonik-Geschäfts­
bereichs Advanced Intermediates, und
ergänzte: „Die Anwendung von Wasser­
stoffperoxid als umweltfreundlichem Oxida­
tionsmittel für die Chemie setzt sich durch.
Wir führen rund um den Globus Gespräche,
mit denen wir unsere Wachstumsstrategie für
Wasserstoffperoxid durch den Einsatz neuer
Technologie weiter vorantreiben.“ Markt­
prog­nosen gehen von einem kontinuierlichen
Wachstum des weltweiten Marktes für
Propylenoxid aus. Mit der Investition in Jilin
beabsichtigt Evonik, an diesem Wachstum zu
partizipieren.
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N omi ni ert für d en E vonik-Inn ovati ons preis 2011
K ategori e neue Produk te/neue S ys temlö sun gen
Der Bounce® Dryer Bar bietet
Textilpflege in Blockform
Ein Frischeriegel
für die Wäsche
David Del Guercio
Dr. Georg Schick
Saji Meledathu
Lee Harrison
Dr. Joachim Venzmer
Geschäftsbereich
Consumer Specialties
Kontakt
Dr. Hans Henning Wenk
Geschäftsbereich
Consumer Specialties
+49 6181 59-2673
henning.wenk@evonik.com
elements37 Ausgabe 4|2011
Angenehm weich und duftig frisch soll Wäsche sein – deshalb greifen viele Ver­braucher zum Weichspüler. Doch während
Europäer diesen bequem in das dafür vorgesehene Fach ihrer
Wasch­ma­schine einfüllen, müssen Amerikaner mehr Aufwand
betreiben: Wasch­maschinen in den USA sind aus historischen
Gründen Top­lader ohne gesondertes Weichspülerfach. Ist der
Waschvorgang beendet, heißt es deshalb, Weichspüler einfüllen
und einen neuen Spülgang starten. Um die Nutzerfreundlichkeit
zu erhöhen, wurden deshalb in den vergangenen 30 Jahren im
nordamerikanischen Markt Weichspüler für die Anwendung im
Wäsche­trockner entwickelt. Dank einer gemeinsamen Neuen­t­
wicklung von Procter & Gamble und Evonik wird diese Form der
Textilpflege nun bedeutend einfacher: Bounce® Dryer Bar heißt
das neue Textilpflege­pro­dukt in Form eines dünnen, flachen
Riegels, das einfach in der Trom­mel des Wäschetrockners be­­
festigt wird und dort den Kleidungs­­stücken angenehme Frische
und Weichheit verleiht und die elektro­statische Aufladung der
Fasern reduziert. Ein Riegel hält bis zu vier Monate lang und kann
dann einfach ersetzt werden. Er wurde jetzt für den Evonik-Inno­
vationspreis 2011 in der Kategorie neue Pro­dukte­/neue Sys­tem­
lösun­gen nominiert und hat es damit mit zwei anderen Entwick­
lungen in die Finalrunde geschafft.
Die Idee, das Weichspülen in den Trockner zu verlagern, ist
nicht neu. So gibt es Duft- und Pflegetücher für den Trockner, die
statt eines Weichspülers verwendet werden können, doch bergen
sie ihre Tücken: Sehr häufig verfangen sie sich in einzelnen Klei­
dungs­stücken und bewegen sich nicht mehr frei in der Trommel.
Das hat zur Folge, dass sich die weichmachenden Wirkstoffe un­­
glei­ch­mäßig im Gewebe verteilen – und der Verbrau­cher ist unzufrieden. Auch Weich­pflegeprodukte in fes­ter Form sind grundsätzlich nichts Neues, sie wurden allerdings bisher nur für industrielle
Anwendungen kon­zipiert.
Procter & Gamble – einer der führenden Konsum­güterhersteller
mit so be­­kannten Marken wie Lenor/Downy, Ariel/Tide und Pam­
pers – und Evonik starteten deshalb eine Kooperation. Ihr Ziel: ein
neues Pro­dukt für den nordamerikanischen Markt zu entwickeln,
das den Arbeitsschritt „Weichspülen“ drastisch vereinfachen sollte,
die hohen Temperaturen im Trockner un­­beschadet übersteht und
biologisch abbaubar ist. Ergeb­nis ist der Bounce® Dryer Bar, ein
Frischeriegel, der im Prinzip aus drei Komponenten besteht: einem
Wäsche­weichmacher, der auch bei hohen Umgebungstempera­
turen stabil bleibt, einem Zusatz, der die Form des Rie­gels auch
unter Trocknerbedingungen gewährleistet, sowie einem Duftstoff.
Evonik liefert die gesamte Pro­duktmischung als Flocken an das
amerikanische Unter­nehmen, das sie dann in die gewünschte Farbe
und Form bringt.
Der Bounce® Dryer Bar ist seit Juli 2009 auf dem Markt und
„übertrifft kontinuierlich die Erwartungen bei Procter & Gamble“,
so Bob McDonald, Vor­standsvorsitzender von Procter & Gamble.
2010 wurde der Bounce® Dryer Bar mit dem silbernen Edison Award,
einem Erfinderpreis, in der Rubrik Haus­halts­artikel gewürdigt.
N om in iert für d en E voni k-Inn ovati onspreis 2011
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K ategor ie neue Produk te/neue S ys temlö sun gen
Hochpräzise Optik aus PLEXIGLAS® macht
Photo­voltaik effizient und preiswert
Die Sonne auf den
Punkt gebracht
Dr. Jochen Ackermann
Andrew Baumler
Bradley Brech
Peter Colburn
Dave DiBona
Grant LaFontaine
Uwe Löffler
Peter Marks
Volker Mende
Mike Pasierb
Steffen Richter
Dieter Rothermel
Wolfgang Scharnke
Dr. Jann Schmidt
Geschäftsbereich
Performance Polymers
Dr. Andreas Hoff
Hans Rausch
Servicebereich Verfahrens­
technik & Engineering
Dr. Thomas Arndt
Servicebereich Analytische
Services/Materialprüfung
Dr. Ralf Düssel
Dr. Sandra Reemers
Geschäftsbereich
Coatings & Additives
Kontakt
Peter Marks
Geschäftsbereich
Performance Polymers
+1 207-490-4371
peter.a.marks@evonik.com
Photovoltaik ist mittlerweile eine wichtige
Säule für eine klima- und umweltverträgliche Energie­
erzeugung im globalen Maßstab. Evonik hat nun ge­­
meinsam mit den Firmen 10X Technology LLC (Liber­
tyville, Illinois, USA) und Amonix Inc. (Seal Beach,
Kali­for­nien, USA), dem weltweit führenden Anbieter
von konzentrierender Photovoltaik (Concen­trating
Photovoltaics, CPV), ein Produkt entwickelt, das die
steigende Nutzung von CPV unterstützt. Es handelt
sich dabei um hochpräzise Fresnel-Linsen aus
PLEXIGLAS® Solar, die das Licht bündeln, auf eine
kleine Fläche konzentrieren und so die Effizienz von
Solarmodulen steigern. Für diese Entwick­lung wurde
das bereichsübergreifende, internationale Entwickler­
team von Evonik nun für den Evonik-Innovationspreis
2011 in der Kategorie neue Produkte/neue System­l­ösungen nominiert.
Um Photovoltaik effizienter zu machen, kann die
Technik an zwei Punkten ansetzen: die Herstellungs­
kosten von Solarmodulen verringern oder deren Aus­
beute erhöhen. Vielversprechend ist dabei insbesondere die konzentrierende Photovoltaik. Diese noch junge
Technologie lockt mit hohen Wirkungsgraden, weil
sie das Sonnenlicht durch sogenannte Primär- und
Sekun­därlinsen bündelt und auf die bei CPV verwendeten hocheffizienten Solarzellen fokussiert. Die Pri­
märlinsen werden vor die Solarzellen geschaltet und
kon­­­zentrieren das Licht auf die Sekundärlinsen, die sich
direkt auf der Zelle befinden. CPV konzentriert nicht
nur das Sonnenlicht, sondern spart dadurch auch sehr
teures Halbleitermaterial.
Das jetzt für den Innovationspreis nominierte Pro­
dukt dient als Primärlinse. Bei seiner Entwicklung mussten die Forscher einige Hürden überwinden: Dazu
gehörte unter anderem die präzise und fehlerfreie
Übertragung der Mikrostruktur auf eine PLEXIGLAS®
Folie, um eine effiziente optische Leistung garantieren
zu können. Weiterhin die Entwicklung eines hoch auto­
matisierten Prozesses, um diese strukturierte Folie auf
Trägerplatten zu laminieren und so perfekte, selbst­
tragende Konzentratoroptiken produzieren zu können.
Außerdem musste eine 25-jährige Garantie entwickelt
werden, damit auch die Vermarktung des Produkts ge­­­­­
stärkt wird.
Hürden, die das Team erfolgreich gemeistert hat.
Nach ersten Produktionsversuchen in einer Pilotanlage
in Weiterstadt wurden größere Testmengen bei 10X
Technology LLC in Chicago und bei Evonik Cyro LLC in
Sanford (Maine, USA) produziert.
Die CPV-Technologie ist mit den Konzentratorlinsen
aus PLEXIGLAS® Solar dem marktüblichen Benchmark
für die Strom­erzeugung, dem LCOE (Levelized Cost of
Electricity), einen großen Schritt näher gekommen.
Aus kommerzieller Sicht ist das Projekt schon jetzt ein
Erfolg, da 2011 bereits erste Deckungs­bei­träge verzeich­
net wurden. Evonik hat sich damit in der kommer­ziellen
Entwicklung der CPV-Technologie deutlich nach vorne
gebracht.
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N omi niert für d en E voni k-Inn ovati onspreis 2011
K ategori e neue Produk te/neue S ys temlö sun gen
VESTAMID® für die
Photovoltaik
Dr. Franz-Erich Baumann
Bernd Beckmann
Claudia Behrens
Michael Beyer
Dr. Harald Häger
Martin Himmelmann
Reinhold Steiner
Dr. Andreas Pawlik
Dr. Martin Wielpütz
Geschäftsbereich
Performance Polymers
Kontakt
Dr. Martin Wielpütz
Geschäftsbereich
Performance Polymers
+49 2365 49-86725
martin.wielpuetz@evonik.com
elements37 Ausgabe 4|2011
Es steckt in Offshore-Ölleitungen und unter der Motorhaube,
in Zahnbürsten und Sportschuhen, in Pumpenrädern und geräusch­
freien Getrieben – und inzwischen auch in Solarmodulen: Einmal
mehr hat Evonik die Vielseitigkeit des Hochleistungspolyamids
VESTAMID® unter Beweis gestellt und die Roh­stoffe für eine
neue, innovative Variante einer Rückseitenabdeckung von Solar­
modu­len entwickelt. Bislang war diese Anwendung einem Folien­
verbund aus Polyvinylfluorid und Polyester vorbehalten. Mit
VESTAMID® bietet Evonik der Solarbranche nun eine fluoridfreie
Lösung an, die nicht nur leichter recycelt werden kann und somit
endlich eine umweltfreundliche Alternative auf dem Weg zu
einer ökologischeren Energiewirtschaft liefert, sondern zudem
auch bessere Eigen­schaften aufweist – eine Entwicklung, die auf
großes Interesse bei den Solarmodulherstellern stößt und nun
für den Evonik-Innova­tionspreis 2011 in der Kategorie neue Pro­
dukte/neue Systemlösungen nominiert wurde.
Die meisten Solarmodule, die derzeit auf Hausdächern zu finden
sind, nutzen Solarzellen aus Silizium, um das Sonnenlicht in Energie
zu verwandeln. Damit aus den Solarzellen ein Modul entsteht,
werden sie miteinander verlötet, in einen Kunststoff eingebettet,
der sie mechanisch schützt, und schließlich ver­kapselt. Während die
Frontseite dieser Kapsel für den Lichteintritt zumeist aus Glas
besteht, wird die Rückseite der Module durch eine Kunststofffolie
isoliert.
Ihre Aufgabe ist es, vor Witterungseinflüssen zu schützen und
das Durch­schlagen der elektrischen Spannung auf der Modul­rück­
seite zu verhindern. Aufgrund der extrem hohen Anforderungen
war ein Kunststofffolienverbund aus Polyester und Polyvinylfluorid
bislang praktisch konkurrenzlos: Die Rück­seitenabdeckung muss
Wind, Wetter und UV-Licht trotzen, elektrisch isolieren und auch
in feuchter Wärme das Schwitzwasser abhalten, weil es die Zellen
korrodieren könnte. Darüber hinaus soll sie das Sonnenlicht reflektieren, um den Wirkungsgrad des Moduls zu erhöhen. Diese Eigen­
schaften müssen zudem über einen Zeitraum von über 20 Jahren
garantiert werden. Angesichts dieses anspruchs­vollen Eigenschafts­
profils nahmen Modulhersteller den hohen Preis des etablierten
Folienverbunds bislang ebenso in Kauf wie die Tatsache, dass der
Fluorgehalt das Recycling ausgesprochen schwierig macht und für
eine um­­weltschonende Technologie eigentlich ein Ausschlusskrite­
rium darstellen sollte.
Hier hat der Geschäftsbereich Performance Polymers von Evonik
angesetzt und das Basismaterial für einen alternativen Folien­ver­
bund aus VESTAMID® entwickelt, der nicht nur eine bessere Tem­
pe­ratur- und Lichtbeständigkeit aufweist als der etablierte Verbund,
sondern auch das Licht besser reflektiert. Wesentlich für den Erfolg
war die enge Zusammenarbeit mit Kunden: Sowohl die Firma Iso­
voltaic AG (Lebring, Österreich), Marktführer bei der Rück­­seiten­
abdeckung von Solarmodulen, als auch die Firma Isosport Verbund­
bauteile GmbH (Eisenstadt, Österreich), der größte Verar­beiter
von Polyamid-12-Folien für den Sportbereich, haben diese Basis­
ma­terialien in einen neuen, revolutionären Folienver­bund umgesetzt. „Der neue Folienverbund wurde 2009 im Markt eingeführt
und die Reaktion war unglaublich“, sagt Dr. Martin Wiel­pütz,
Sprecher des für den Innovationspreis nominierten Teams. „Die
Solarbranche hat regelrecht auf eine Alternative zum etablierten
System gewartet. Mit VESTAMID® bieten wir ein leistungsfähiges
System an, das nicht nur bessere Eigenschaften hat und einfach
recycelt werden kann, sondern zudem preis­werter ist und damit
auch dem wachsenden Preisdruck in dieser Branche gerecht wird.“
N omin i ert für d en E voni k-Inn ovationspre is 2011
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K ategor ie neue od er v er be sserte ProZ e ss e
Prozessoptimierung
Mehr Isophoron aus
weniger Rohstoff
Dr. Gerda Grund
Robert Jansen
Dr. Stephan Kohlstruk
Martin Maier
Dr. Jörg-Joachim Nitz
Dr. Matthias Orschel
Dr. Markus Schwarz
Geschäftsbereich
Coatings & Additives
Dr. Axel Hengstermann
Dr. Rolf Hirsch
Dr. Norbert Richter
Dr. Armin Rix
Dr. Horst-Werner Zanthoff
Servicebereich Verfahrens­technik & Engineering
Kontakt
Dr. Jörg-Joachim Nitz
Geschäftsbereich
Coatings & Additives
+49 2365 49-4882
joerg-joachim.nitz@evonik.com
Wenn Evonik Anfang 2014 die neuen Anlagen
zur Her­stellung von Isophoron und Isophorondiamin in
Schang­hai (China) in Betrieb nimmt, werden diese die
moder­nsten ihrer Art sein. In einem groß angelegten
Projekt hat ein interdisziplinäres Team des Geschäfts­
bereichs Coatings & Additives und des Servicebereichs
Verfah­rens­technik & Engineering die gesamte Prozess­
kette unter die Lupe genommen und optimiert. Das
Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Selektivität des
bereits über Jahre optimierten Verfahrens wird in der
neuen Isopho­ronanlage in China einen neuen Rekord­
wert erreichen. Dafür wurde das Team nun für den
Evonik-Innova­tions­preis 2011 in der Kategorie neue
oder verbesserte Prozesse nominiert.
Isophoron, Isophorondiamin, Isophorondiisocyanat
und Deri­vate kommen zum Einsatz bei der Herstellung
von Industriefuß­böden, Kunstleder oder umweltfreundlichen Lacken und Farben, in Ver­bundwerkstoffen und
in der chemischen Synthese. Nach eigener Einschät­
zung gehört Evonik zu den Markt- und Technologie­
führern in der Isophoronchemie und bei den Folgepro­
dukten und produziert derzeit in Anlagen in Herne und
Mobile (Alabama, USA). Aus­gangsstoff ist Aceton, das
bei hohen Drücken und Temperaturen zu Isophoron
reagiert – eine komplexe Reaktion, bei der es leicht zu
unerwünschten Neben- und Folgereaktionen kommt.
Sie lassen sich unterdrücken, wenn nur ein Teil des eingesetzten Acetons umgesetzt wird.
Die Rohstoffpreise, die generell in den letzten Jah­
ren einen mas­siven, kontinuierlichen Anstieg erfahren
haben, sind auch bei der Isophoron-Produktion ein
wesent­licher Kostentreiber. Um diesem wachsenden
Kosten­druck zu begegnen, sollte die Selektivität des
Verfah­rens zur Herstellung von Isophoron nachhaltig
gesteigert werden, ohne dabei den Energiebedarf der
Anla­gen erheblich zu erhöhen.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, die das Team durch
eine Kombi­na­tion unterschiedlicher, parallel abgearbeiteter Schritte gelöst hat. Einerseits mussten die chemisch-analytischen Methoden geschaffen werden, um
die Mechanismen der Nebenproduktbildung aufzu­­klä­ren. Andererseits wurden aus grundlegenden reak­
tionstechnischen Überlegungen die entscheidenden
Ansätze zur Pro­zessoptimierung abgeleitet. Gleich­zei­
tig wurde die Umsetzung der neuen Erkenntnisse in
innovative Anlagen- und Apparatekonzepte angegangen. Die Selektivität der bestehenden Anlagen konnte
so nachhaltig gesteigert werden, die Nebenprodukt­
bildung wurde dabei weiter reduziert. Die Selektivität
der Anlage in China wird hierdurch einen neuen Höchst­
wert erreichen.
Mit dieser erneuten Leistungssteigerung will Evonik
einmal mehr den Führungsanspruch bei Isophoron und
den Folgeproduk­ten unterstreichen und den Grund­stein
für den weiteren globalen Ausbau der Marktposition
legen. Und, für Evonik ebenso wichtig: Auch die Um­­
welt profitiert davon, da das Verfahren weniger Abfall­
produkte liefert, weniger Energie verbraucht und folglich weniger CO2 emittiert.
elements37 Ausgabe 4|2011
10 N omi niert für d en E voni k-Inn ovati onspreis 2011
K ategori e neue od er v er be ss erte ProZ e ss e
Neue Technologieplattform zur
Herstellung von Pharmapolymeren
Qualität von
Anfang an
Dr. Johannes Vorholz
Andy Weber
Geschäftsbereich
Performance Polymers
Dr. Christian Meier
Dr. Axel Monsees
Geschäftsbereich
Coatings & Additives
Dr. Thomas Süfke
Dr. Sabine Löchner
Dr. Stefan Menzler
Shraddha Bodinge
Geschäftsbereich
Health & Nutrition
Joachim Heid
Dr. Andreas Landgrafe
Standortservices Darmstadt
Kontakt
Dr. Johannes Vorholz
Geschäftsbereich
Performance Polymers
+49 6151 18-4714
johannes.vorholz@evonik.com
elements37 Ausgabe 4|2011
Wenn ein Zulieferer der Pharmaindustrie den Herstellungsprozess
seines Pro­dukts ändert, kann das weitreichende Folgen haben: Verändern
sich dadurch Qualität und Eigenschaften des Produkts auch nur geringfügig,
muss es quasi neu im Markt eingeführt werden – eine zeitraubende und
teure Prozedur.
Diese Klippe hat ein bereichsübergreifendes Team bei der Entwicklung der
neuen Polymerisationsplattform SOLUPOL elegant umschifft: Diese neue
Technologie zur Herstellung der Pharmapolymere EUDRAGIT® RS, RL und E
liefert exakt die gleichen Produkteigenschaften wie das etablierte Verfahren –
und das bei einer höheren Reinheit der Produkte. Darüber hinaus öffnet
SOLUPOL den Zugang zu weiteren Produkten mit neuen Eigenschaften und ist
damit eine echte Technologieplattform, die außerdem die strengen Qualitäts­
vorgaben der von der Pharmaindustrie geforderten Good Manufacturing Prac­
tices (GMP) erfüllt.
SOLUPOL kombiniert eine Lösungspolymerisation mit einer State-of-theArt-Aufarbeitung nach GMP-Kriterien. Der eigentliche Clou bei der Entwick­­l­ung von SOLUPOL: Bereits bei den ersten Versuchen im Labor hatte das Team
ein Auge darauf, wie sich Prozessparameter auf die chemischen und physikalischen Vorgänge im Reaktor und in der Aufarbeitung auswirken und so die
späteren Produkteigenschaften der Pharmapolymere beeinflussen. Dies wurde
durch eine Kombination von Technikumsversuchen, Analytik, Kinetikmessungen
und Simulationsmethoden ermöglicht, die sowohl während der Prozessen­t­
wicklung als auch bei der Scale-up-Prozedur zum Einsatz kam.
„Quality by Design“ heißt diese relativ neue Vorgehensweise, bei der nicht
nur das Ergebnis zählt, sondern auch die Theorie verstanden sein will. Wer
da­­mit arbeitet, will den Produktionsprozess von Anfang an so beherrschen,
dass Qualität und Eigenschaften punktgenau gesteuert werden können. Quali­ty
by Design sorgt für gleichbleibende Qualität – ein wichtiges Kriterium gerade
für die Pharmaindustrie – und ist ein wertvolles Werkzeug, um neue Eigen­
schaf­­ten zu erzeugen.
Merkmale, die auf SOLUPOL zutreffen. Charakteristisch für die neue Tech­
nologie sind genau definierte Prozessbedingungen, die zu einer gleichbleibenden Produktqualität führen. EUDRAGIT®-Polymere kommen in vielfältiger
Weise zur Anwendung – sei es als Tablettenüberzüge oder als Bestandteile von
Matrix- und Pelletformulierungen, in denen die Polymere die Freisetzung von
Wirkstoffen auch über einen längeren Zeitraum exakt steuern.
Das Entwicklerteam hat in umfangreichen Versuchsreihen nachgewiesen,
dass das mit der SOLUPOL-Technologie hergestellte Pharmapolymer mehr als
30 verschiedene Produktspezifikationen erfüllt. Insbesondere bei den anwendungstechnischen Eigenschaften und bei der Wirkstofffreigabe ließ sich kein
Unterschied feststellen zu den Produkten, die nach dem etablierten Verfahren
hergestellt wurden.
Das Verfahren ist mittlerweile zur Anwendungsreife gediehen. Noch in
diesem Jahr wird in Darmstadt eine neue Anlage in Betrieb gehen, die die
SOLUPOL-Technologie zur Herstellung der Pharmapolymere nutzt. Und mehr
noch: Seit über 50 Jahren steuern die EUDRAGIT®-Polymere von Evonik
die Wirkstoffabgabe pharmazeutischer Darreichungsformen. Als Tabletten­
über­­zug, Matrix-Tablette oder Pellet schleusen sie den Wirkstoff entweder
pH-Wert- oder zeitgesteuert sicher zum Resorptionsort im Magen-Darm-Trakt,
kaschieren Geruch und Geschmack eines Arzneimittels und schützen bei
Bedarf nicht nur den Wirkstoff, sondern beispielsweise auch den Magen. Mit
SOLUPOL hat Evonik nun ein weiteres Instrument an der Hand, um dieser
Liste weitere innovative Eigenschaften hinzuzufügen – eine Entwicklung, die
nun mit der Nominierung für den Evonik-Innovationspreis 2011 belohnt wurde.
N omi ni ert für d en E vonik-Inn ovations preis 2011 11
K ategor ie neue od er v er be sserte ProZ e ss e
Neues Verfahren macht Herstellung
des Katalysators TS-1 wirtschaftlicher
und umweltfreundlicher
Die Mischung
macht‘s
Dr. Kai Schumacher
Dr. Christian Schulze Isfort
Dr. Steffen Hasenzahl
Dr. Helmut Mangold
Dr. Andreas Hille
Dr. Martin Mörters
Dr. Wolfgang Lortz
Dr. Reinhard Vormberg
Rainer Loutschni
Friedhelm Collmann
Dr. Stefan Wieland
Dr. Michael Grün
Dr. Jörg Pietsch
Kurt-Alfred Gaudschun
Geschäftsbereich
Inorganic Materials
Dr. Bernd Jäger
Geschäftsbereich
Advanced Intermediates
Kontakt
Dr. Andreas Hille
Geschäftsbereich
Inorganic Materials
+49 7623 91-7262
andreas.hille@evonik.com
Wenn der Kühlschrank energiesparend vor
sich hin schnurrt, das Haus besonders gut wärme­
gedämmt ist und Sitzpolster, Armatu­r­enbrett und
Stoßstange im Auto leichtgewichtig und damit Benzin
sparend sind, liegt das zumeist an einem speziellen
Kunststoff – dem Polyurethanschaum. Und die Wahr­
scheinlichkeit, dass bei seiner Herstellung der Katalysator
Titansilikalit 1 (TS-1) von Evonik einen wesentlichen
Beitrag geleistet hat, steigt: TS-1 kommt beim sogenannten HPPO-Verfahren zum Einsatz, mit dem Pro­py­
lenoxid, ein wichtiger Rohstoff für Polyurethane, hergestellt wird. Forscher des Geschäftsbereichs Inorganic
Materials haben nun ein neues Tor zu TS-1 aufgestoßen,
eine Leistung, für die das Team für den Evonik-Inno­­
vations­preis 2011 in der Kategorie neue oder verbesserte
Pro­zesse nominiert wurde.
Der TS-1-Katalysator besitzt bemerkenswerte
Eigen­schaften für selektive Oxidationen mit Wasser­
stoff­per­oxid. Die Industrie nutzt sie zum Beispiel zur
Produk­tion von Lactamen, wichtigen Nylon­bausteinen.
Die bedeutendste großtechnische Anwendung ist
jedoch die Direktsynthese von Propylenoxid aus Pro­
pen und Was­serstoffperoxid. Das von Evonik und der
Uhde GmbH, Dort­mund, entwickelte Verfahren, HPPO
genannt, markierte einen Meilen­stein bei der Herstel­
lung des Polyurethanrohstoffs Propylenoxid, weil dieser
zum ersten Mal ohne Koppelprodukte produziert
werden konnte. Möglich wurde dieser Durchbruch
durch einen maßgeschneiderten TS-1-Katalysator von
Evonik.
Wegen der hohen wirtschaftlichen Bedeutung von
Propy­len­oxid – 2010 wurden weltweit immerhin mehr
als 6,5 Millionen Tonnen davon produziert, Tendenz
steigend – beschloss das jetzt nominierte Team, das Her­
stellungsverfahren für TS-1 grundlegend zu überarbeiten. Kritikpunkte am bisherigen Verfahren, der sogenannten Ester-Route, waren insbesondere hohe Roh­
stoffkosten sowie Kapazitätsbeschränkungen im ersten
Syntheseschritt.
Die anwendungstechnische Herausforderung nach
einer Opti­mierung der Pulverhandhabung durch die
Forscher des Geschäfts­gebiets Catalysts konnte durch
eine maßgeschneiderte Dispersion gelöst werden, die
die Dispersionsspezialisten des Geschäftsgebiets Silica
entwickelt hatten. Die enge, geschäftsbereichsübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten­
teams erzeugte Syner­gien, die schließlich zu einer perfekt an die Bedürfnisse der TS-1-Entwickler angepassten, gebrauchsfertigen Dispersion führten. Dadurch
konnte die Effizienz der nachfolgenden Hydrothermal­
synthese noch weiter gesteigert werden. Diese als
Mischoxid-Route bezeichnete Synthese ist nicht nur
einfacher und kostengünstiger als die alte Ester-Route,
sondern auch umweltschonender, weil sie geringere
Abfallströme erzeugt. „Die Marktprognosen sagen ein
kontinuierliches Wachstum des weltweiten Markts für
Propylenoxid voraus“, sagt Dr. Andreas Hille, Sprecher
des nominie­rten Teams. „Mit der neuen MischoxidRoute sind wir dafür bestens gerüstet!“
elements37 Ausgabe 4|2011
12 VERFAHREN S TEC HNI K
Flexible und mobile Kleinanlagen minimieren das Investitionsrisiko
und beschleunigen die Markteinführung
Small is beautiful
Chemische Produktion muss nicht immer
in riesigen Anlagen stattfinden. Chemiker und
Verfahrenstechniker bei Evonik entwickeln
flexible Small-Scale-Prozesse, die in einen
Container passen. Denn klein ist lukrativ – nicht
nur für neue Produkte und volatile Märkte,
sondern immer dann, wenn die Zeit bis zur
Marktreife entscheidend ist für den Erfolg.
[ text Dr. Jürgen Lang, Dr. Frank Stenger, Dr. Hannes Richert ]
elements37 Ausgabe 4|2011
VERFAHRENS TEC HN IK 13
Lebenszyklus eines Produkts. Da die spezifische Kurve für ein bestimmtes
Produkt immer erst im Nachhinein erstellt werden kann, besteht die
Kunst darin, jeweils im richtigen Moment die benötigten Kapazitäten zur
Verfü­gung zu stellen, d.h. mit dem Markt zu wachsen und zugleich das
Investitionsrisiko möglichst gering zu halten
Produktpreis
Premiumprodukt
Wachstum
Massenprodukt
Marktdurchdringung
Entwicklung
Marktdurchdringung
Produktpreis
Wer sagt, dass die Großchemie nur Großanlagen
kennt? Wo steht, dass chemische Produktion nur
dann rentabel ist, wenn im Jahr zehn- oder hunderttausende Tonnen eines Stoffes hergestellt werden?
Ein großer Anteil der Wertschöpfung chemischer
Unternehmen steckt in Fein- und Spezialchemika­lien – also in Substanzen, Mischungen und Zubereitungen, die der Markt nur in relativ geringen Mengen benötigt, die aber für das Funktionieren oder die
Qualität von Produkten mitentscheidend sind. Bestimmte organische Zusätze beispielsweise machen
Kunststoffe für das Armaturenbrett im Auto kratzfest. Geringe Anteile an Imprägnierungsmittel in Farben oder Mörtel sorgen dafür, dass wertvolle Bauwerke auf lange Dauer vor Wasser und Feuchtigkeit
geschützt sind.
Natürlich gehören in großen Mengen produzierte
Chemikalien zum Portfolio jedes global agierenden
Chemieunternehmens. Das Problem dabei: Millionenschwere Investitionen in Großanlagen sind ausgesprochen riskant, solange nicht klar ist, wohin sich
die Märkte entwickeln und ob die Nachfrage über
viele Jahre ausreichend groß sein wird. Der Bau von
World-Scale-Anlagen, die einen signifikanten Anteil
der Nachfrage decken, ist also ökonomisch nur dann
sinnvoll, wenn sich Märkte bereits mitten im Wachstum befinden – wenn also das Unternehmensrisiko
minimiert ist. Umgekehrt gilt: Nur wer zuerst kommt,
kann lukrative neue Märkte für sich besetzen und
seine Innovationskraft unter Beweis stellen.
0 Markteinführung
Zeit [Jahre]
Die Time to Market wird immer kürzer. Veränderte Konsumbedürfnisse, wachsende Mobilität und knapper werdende Ressourcen führen dazu, dass neue
oder verbesserte Produkte immer schneller auf den Markt kommen. Flexible
Small-Scale-Anlagen können hierbei helfen und sich rechnen, aber nur, wenn
spezifische Anlagenkosten aus heutiger Sicht stark reduziert werden können
Heute
In Zukunft
Kumulierter Cashflow
Frühe Investitionen in Großanlagen
bergen ein hohes Risiko
Keine einfache Situation. Erschwerend kommt hinzu,
dass Innovationstempo und Innovationsdruck enorm
gestiegen sind. Veränderte Konsumbedürfnisse,
wachsende Mobilität und knapper werdende Ressourcen führen dazu, dass neue oder verbesserte Produkte innerhalb kurzer Zeit verfügbar sein müssen.
Waren früher Innovationszyklen von acht oder zehn
Jahren normal, darf der Zeitraum „Time to Market“
heute in der Regel nicht wesentlich länger als zwei
bis vier Jahre sein.
Nicht zuletzt: Der Kunde will heute frühzeitig
wissen, ob die neue Substanz oder die veränderte
Stoffmischung exakt seine Ansprüche erfüllt. Das
setzt voraus, dass er mit Materialproben beliefert
wird, die in ihren chemischen und physikalischen
Eigenschaften genau dem späteren, im technischen
Maßstab hergestellten Produkt entsprechen. Und da
die Herstellungsparameter oft Eigenschaften und
Qualität eines Stoffes beeinflussen, muss also der Prozess schon im Kleinen der späteren Großproduktion
gleichen.
Auf alle drei Trends – Minimierung des Markt­
risikos, kürzere Innovationszyklen, gestiegene Ansprüche der Kunden – gibt es eine überzeugende
Antwort: Small-Scale-Anlagen. Bei Evonik hat sich
eine kleine Gruppe aus Chemikern und Inge­ 333
Zeit [Jahre]
Spezifische Investitionen
Anlagenkapazität
elements37 Ausgabe 4|2011
14 VERFAHREN S TEC HN IK
333 nieuren gegründet, die sich speziell dieser inno­
vativen Kleinmengen-Chemie und deren Prozessen
widmet.
Aber was heißt eigentlich „small“? Das Konzept
für kompakte Small-Scale-Anlagen befasst sich mit
Mengen von einigen Tonnen bis zu mehreren hundert Tonnen Produkt im Jahr – mit Stoffen, die zwar
hochinnovativ sind, von denen der Markt aber nur
relativ geringe Mengen benötigt. Kompakt bezieht
sich aber vor allem auf die Anlagengröße. Die Expertengruppe bei Evonik entwickelt Chemieanlagen, die
in einen Überseecontainer mit einer Grundfläche von
drei mal sechs bzw. drei mal zwölf Meter passen. Die
Chemie im Container sind im Endausbau Allinclusive-An­lagen – mit Reaktoren, Produktaufarbeitung, Prozessleittechnik, IT-Modulen, Lagerfläche
für die Einsatzstoffe, Elementen für konstruktiven
Brandschutz, Fluchttüren und Auffangwannen nach
dem Wasserhaushaltsgesetz.
elements37 Ausgabe 4|2011
liche Produktion über mehrere Jahre? Ist der kleine
Wärmetauscher aus dem Labor aus einem Material
gebaut, das bei einer echten Produktion eine aus­
reichend lange Standzeit hat?
Auch das Engineering ist alles andere als trivial:
Der Bauraum ist begrenzt und damit kostbar. Die
Ingenieure müssen alle Funktionalitäten eines chemischen Betriebes in einem Raum unterbringen, der
nicht viel größer ist als eine Garage.
Small is beautiful – allerdings nur, wenn zentrale
Herausforderungen gelöst werden können. Da sind
auf der einen Seite spezifische technische Anfor­
derungen an eine Kleinmengenproduktion. Kleine
Volumina bedeuten häufig eine Beschleunigung des
Stofftransports. In der Folge muss die Steuer- und
Regeltechnik viel empfindlicher sein als bei Groß­
anlagen. Auch an die Messtechnik werden durch die
Beschleunigung der Prozessabläufe höhere Anfor­
derungen gestellt. Die kurzen Wege ermöglichen
hingegen eine viel bessere Wärmeintegration.
Chemie im Container erlaubt
Kleinmen­gen­produktion unter
Realbedingungen
Small Scale bringt einen
Paradigmenwechsel
Die Vorteile der kompakten Small-Scale-Anlagen liegen auf der Hand: Die Investitionskosten sind, ver­
glichen mit denen für eine Großanlage, relativ gering
und das Marktrisiko deutlich kleiner. Die Experten
können einen Prozess unabhängig vom Standort der
späteren Produktion entwickeln, das spart wertvolle
Zeit. Die Chemie im Container produziert exakt nach
den Anforderungen des Markts und den Wünschen
des Kunden. Sie ist auch keine klassische Pilotanlage,
sondern dient später, meist ohne große Umbauten,
als „echte“ Produktionsanlage. Small Scale erlaubt
eine schnelle und einfache Kapazitätsanpassung: Entwickelt sich die Nachfrage stärker als erwartet, wird
die Produktion auf mehrere Container ausgeweitet
oder kann sogar ohne neue Prozessentwicklung direkt auf eine Großanlage übertragen werden. Dadurch werden sowohl Investitionskosten als auch -risiken gesplittet – kein unwichtiger Aspekt für ein
Unternehmen.
Vor allem aber verkürzen Small-Scale-Anlagen die
Zeit von der Idee bis zu Marktreife: Laborentwicklung und Basic-Engineering – sonst streng voneinander getrennte Planungsphasen – können simultan
ablaufen. Denn der Container dient der Entwicklung
eines neuen Prozesses und der Planung der Produktion zugleich.
Aus groß mach klein – was sich einfach anhört,
ist für Planer und Entwickler eine echte Herausforderung. Eine Reaktion im Glaskolben mag wunderbar
funktionieren, aber funktioniert sie genauso gut in
einer kontinuierlichen Produktion mit bleistift­
dünnen Reaktionsrohren? Luftblasen, die in einem
dicken Rohr die Strömung nicht beeinflussen, können
in dünnen Leitungen durchaus zu Problemen führen.
Taugt die Pumpe, die im Labor für einige Monate ausreichend Leistung bringt, auch für eine kontinuier-
Auf der anderen Seite wird die Kluft zwischen Labor,
Pilotanlage und echter Produktion aufgelöst. Da die
Chemie im Container als kontinuierlicher Prozess
konzipiert wird, müssen die Ingenieure von Anfang
an mit Bauteilen, Komponenten, Werkstoffen und
Prozessparametern arbeiten, die später auch die reale
Herstellung des Stoffes kennzeichnen.
Beispielsweise braucht man kleine Pumpen, die
zuverlässig kon­t inuierlich über Jahre laufen, und
Werkstoffe mit langer Lebensdauer – was mit standardmäßigen Laborapparaten in der Regel nicht zu
erreichen ist. Wenn eine Reaktionslösung erhitzt
werden muss, geschieht das von Anfang an mit Wärmetauscher oder Wärmeüberträger, nicht mit Bunsenbrenner oder Wasserbad. Wenn ein Stoffgemisch
durch Destillation aufgetrennt werden muss, nutzt
der Verfahrenstechniker bereits im Kleinmaßstab
eine Kolonne und keinen Rotationsverdampfer. Für
Chemiker ist das ein echter Paradigmenwechsel, denn
im Pilotmaßstab wird normalerweise diskontinuierlich produziert, großtechnisch aber in der Regel kontinuierlich.
Eine andere Art von Anlage führt zu ganz neuen
Fragestellungen: Brauche ich für Small Scale die gleiche Logik und Arbeitsteiligkeit im Prozess? Wie weit
lässt sich die Chemie von Small-Scale-Anlagen automatisieren? Da der Platz im Container eng begrenzt
ist, spielt die Multifunktionalität eine große Rolle:
Eine Rohrleitung kann beispielsweise zugleich als
Halterung fungieren oder für Stabilität sorgen. Nicht
zuletzt gibt es bislang wenig Erfahrung mit Kostenschätzungsfaktoren für eine Kompaktanlage.
Eine komplette Chemieanlage auf engstem Raum –
wie geht das eigentlich in der Realität? Das unter­
suchen Experten von Evonik gemeinsam mit anderen
Unternehmen und mehreren Universitäten seit 2009
VERFAHREN S TE C HNI K 15
Minifabrik Evotrainer. Der nur drei mal zwölf Meter
große Container enthält alles, was für die Produktion
benötigt wird – Reaktoren, Prozessleittechnik,
IT-Module, Lagerfläche für die Einsatzstoffe, Elemente
für konstruktiven Brandschutz, Fluchttüren und
Auffangwannen nach dem Wasserhaushaltsgesetz
im EU-Forschungsprojekt Copiride. Evonik ent­wickelt
unter anderem in Kooperation mit den Universitäten
Stuttgart und Eindhoven und dem Institut für Mikrotechnik (IMM) in Mainz im Rahmen des Projekts derzeit einen Container der 3. Generation. Das Besondere daran: Die Infrastruktur soll universell einsetzbar sein. Die Versorgung mit Wasser, Prozessgasen,
Strom, Wärme und Datenleitungen wird so kon­
zipiert, dass theoretisch jede mögliche chemische
Reaktion darin stattfinden kann.
Schlüssel zum Erfolg ist eine
universelle Infrastruktur
Der Charme besteht in der Vielseitigkeit des Konzepts. So kann ein kompletter chemischer Betrieb
integriert werden, aber auch nur ein einzelner Reaktor, beispielsweise für eine spezielle Aufarbeitungsstufe. Für die Beispielreaktion im Rahmen des
Copiride-Projekts sind Hochdrucktechnik, umfassende Sicherheitstechnik sowie die besonders kompakte Bauweise von Bedeutung. Ferner soll demonstriert werden, dass Reaktionen, die besonders kritische Prozesszustände einnehmen können, damit sicher und einfach umgesetzt und betrieben werden
können. Ab 2012, so die Planungen, steht der Allround-Container zur Verfügung. Am Evonik-Standort
in Marl soll damit dann im technischen Maßstab ein
Spezialpolymer hergestellt werden.
In Rahmen eines zweiten EU-Projekts mit dem
Namen Polycat entwickelt Evonik seit 2010 eine Hightech-Infrastruktur für Produktionsprozesse nach dem
Good-Manufacturing-Practices(GMP)-Standard. Da­
runter versteht man Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe bei der Herstellung von
Arzneimitteln, aber auch in der Lebensmittel- und
Futtermittelindustrie. Dieser Infrastrukturtyp wird
daher besondere Schleusen und andere Vorrich­t un­
gen enthalten, um die hohen Sicherheits- und Hy­gie­­
ne­­anforderungen von GMP-Abläufen zu erfüllen.
Unabhängig vom Prozess gilt: Eine wichtige Rolle
bei Small-Scale-Anlagen spielt die Modularisierung.
Ein Modul umfasst einen bestimmten Anlagenbereich
oder eine Komponente, an die sich bestimmte technische Anforderungen richten. Module sind in der
Regel standardisierte und vorgefertigte Bauteile oder
Bauteilgruppen, die Planung und Bau einer Anlage
beschleunigen und den Betrieb kostengünstig machen.
Small Scale und Modularisierung befruchten sich gegenseitig. Ein Modul ist zwar immer subop­timal, weil
man oft Kompromisse bei bestimmten Anfor­de­r un­
gen eingehen muss, es ist aber schnell und kostengünstig verfügbar. Wird der Prozess im Container
modular aufgebaut, können die Prozesse schnell verändert oder ausgetauscht werden. Um­gekehrt wird
die Modularisierung vorangetrieben, weil sich Funktion und Bauweise bei Small-Scale-Anlagen wiederholen.
Prototypisch: der Evotrainer
von Evonik
Die Arbeiten im Rahmen der genannten EU-Projekte
bauen auf einem bestehenden Prototypen auf, dem
sogenannten Evotrainer von Evonik. Mit dem Evotrainer haben die Entwickler bereits ein wesentliches
Thema nahezu aller chemischen Prozesse in den Mittelpunkt gestellt: die Versorgung mit Stoffen, Energie,
Wasser und Datenleitungen. Ohne diese Infrastruktur
sind chemische Prozesse nicht möglich, 333
elements37 Ausgabe 4|2011
16 VERFAHREN S TEC HN IK
Stichwort Fabrik der Zukunft
EU fördert Entwicklung der
künftigen chemischen Fabrik
In der chemischen Industrie sollen Prozesse künftig kostengün­s­
tiger und die kontinuierliche Produktion soll flexibler werden.
Dadurch, so erhofft sich die EU, wird die Wettbewerbsfähigkeit
der europä­ischen Chemieindustrie gestärkt, weil in der künftigen
chemischen Fabrik Kostenrisiken minimiert, Innovationszyklen
beschleunigt und schneller als heute auf Marktänderungen reagiert
werden kann. Große, unflexible Produktionsanlagen werden in
Europa mittelfristig an Bedeutung verlieren, die Flexibilisierung der
chemischen Produktion bietet die Chance, die Bedeutung der chemischen Indus­trie in Europa zu erhalten. Dies ist der Leitgedanke
von Copi­ride, Polycat und F3-Factory (fastflexibel-future), einem weiteren groß
angelegten Forschungsprojekt der EU, in
dem Unternehmen, Univer­sitäten und
Forschungseinrichtungen aus Europa die
Fabrik der Zukunft entwickeln. Die Fabrik
der Zukunft soll ein Konzept und eine
Plattform sein für eine moderne und nachhaltige Produktion von Stoffen aller Art.
Die Fabrik der Zukunft: Bei Copiride sollen je
nach Bedarf unterschiedlichste Container flexibel
miteinander verschaltet werden können
333 gleichzeitig macht sie bei einem herkömmlichen
Chemiebetrieb bis zur Hälfte der Investitionskosten aus.
In den vergangenen Jahren wurden beim Evotrainer mehrere Ausbaustufen realisiert: Immer wieder
wurden neue Bauteile integriert, verbessert und so
für unterschiedliche Prozesse umgesetzt. Erfolgreich
konnte dies nur gemeinsam mit den Geschäftsbereichen geschehen. Am Standort Rheinfelden beispielsweise werden mit einer Kompaktanlage seit 2010 Silanverbindungen (Siridion® HCDS, Hexachlordisilan)
hergestellt, die als Precursoren für die Chipherstellung wichtig sind. Da die Rohstoffe für die Elektronikindustrie eine besonders hohe Reinheit haben
müssen, wurde der Herstellungsprozess so gestaltet,
dass die sonst aufwändige und kostspielige Aufreinigung der Produkte einfach ermöglicht wurde.
Durch den integrierten Planungsprozess und die
gute Zusammenarbeit sowohl mit dem Betrieb, der
Anwendungstechnik, dem Business Development als
auch dem Marketing des Geschäftsbereichs Inorganic
Materials konnte die Entwicklung bis zur laufenden
Produktion in weniger als drei Jahren abgeschlossen
werden. In diesem Zeitraum wurde nicht nur der Prozess optimiert und das notwendige Equipment ausgelegt, sondern auch der Evotrainer für Siridion® HCDS
in Hanau-Wolfgang aufgebaut, in Betrieb genommen
und an den finalen Produktionsstandort Rheinfelden
transportiert. Parallel dazu wurden erste Kunden
früh­zeitig mit Siridion® HCDS aus der späteren Produktionsanlage bemustert. So wurde eine zeitnahe Markteinführung von Siridion® HCDS sichergestellt, die ganz
wesentlich zum Geschäftserfolg beigetragen hat.
Das Expertenteam von Evonik versteht sich nicht
nur als Dienstleister für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche des Konzerns. Das Team stellt mit
der Entwicklung vollwertiger kompakter SmallScale-Anlagen im Containerformat die Basis bereit,
die Zeit von der Produktidee bis zum endgültigen
Herstellungsprozess deutlich zu reduzieren.
„Rent a plant“ als Geschäftsmodell
Die Spezialisten von Evonik entwickeln für die Geschäftsbereiche innerhalb des Konzerns zudem ein
interessantes neues Geschäftsmodell: die gemietete
Produktionsanlage. Idee für Rent-a-Plant® ist, dass
das Expertenteam des Servicebereichs Verfahrenstechnik & Engineering zusammen mit den jeweiligen
F&E-Abteilungen eines Geschäftsgebiets den Prozess
für Kleinmengen entwickelt und aufbaut. Die fertige
Produktionsanlage kann nach den Inbetriebnahmetests dann zum gewünschten Produk­t ionsstandort
transportiert werden – wo auch immer dieser ist. Wird
der Container dort – zum Beispiel aufgrund des notwendigen Baus einer entsprechenden Großanlage –
nicht mehr gebraucht, kann er zurückgeführt und für
den nächsten Prozess erneut bestückt werden.
Die Nachfrage nach einer flexiblen Technik für
die Herstellung chemischer Produkte wird wachsen.
Denn Small-Scale-Anlagen erlauben es, mit einem
elements37 Ausgabe 4|2011
VERFAHREN S TEC HN IK 17
Der Evotrainer in Rheinfelden
neuen Produkt früher in den Markt zu kommen.
Die Entwicklung von Produkt und Prozess wird
beschleunigt, das finanzielle Risiko minimiert. Die
flexiblen und mobilen Kompaktanlagen folgen der
Nachfrage und dem Kunden: Die Kapazität kann mit
dem Markt wachsen und die Anlage erlaubt ein Upscaling ohne Umbauten.
Außerdem ist der Standort nahezu beliebig. Mobile kompakte Small-Scale-Anlagen ermöglichen auch
eine Produktion direkt beim Kunden vor Ort – mit
dem Evotrainer kann dort produziert werden, wo die
ökonomischen Bedingungen am günstigsten sind. Das
Konzept ermöglicht beschleunigte Innovationszyklen. Das ist ein wesentlicher Vorteil insbesondere bei
„grünen“, schnell wachsenden Technologien, da die
Umsetzung technischer Fortschritte weitaus schneller gelingt als mit der klassischen Großchemie.
Die chemische Industrie in Europa hat lange von
Massenchemikalien gelebt. Doch die Zeiten ändern
sich. Nicht nur die Unternehmen der pharmazeu­
tischen Industrie sind darauf angewiesen, stärker als
früher neue, innovative Stoffe bereitzustellen, die
zwar nur in relativ kleinen Mengen benötigt werden,
die aber interessante Eigenschaften haben und bei
denen die Wertschöpfung groß sein kann. Der
Chemiebetrieb im Miniaturformat öffnet die Wege
hin zu einer flexiblen, effizienten und ressourcenschonenden Produktion. Einer Produktion, die den
wachsenden Ansprüchen eines globalisierten Marktes gerecht wird, Innovationen beschleunigt und
zugleich einen vielversprechenden Weg aufzeigt, wie
Großkonzerne flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren können. 777
Dr. Jürgen Lang ist Senior Scientist im Bereich Inno­
vation Management des Servicebereichs Verfahrens­
tech­nik & Engineering. Nach Ausbildung zum Compu­
tertechniker bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm sowie
Studium der Hoch- und Höchstfrequenztechnik am
KIT (Karlsruhe Institute of Technology) promovierte
Lang über plasmakatalytische Effekte bei der Ammo­
niak­synthese am Institut für physikalische Elektronik
des KIT. Nach Anstellung von 1987 bis 2000 beim
Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovations­
forschung (FhG-ISI) wechselte er 2000 zu Evonik in
die Verfahrenstechnik. 2010 übernahm er seine aktuelle Position.
+49 6181 59-2169, juergen.lang@evonik.com
Dr. Frank Stenger leitet im Servicebereich Verfah­rens­
technik & Engineering die Gruppe „Small Scale Pro­
ces­ses”. Nach Studium der Verfahrens­technik an der
Technischen Universität Karls­ruhe und Promo­tion zum
Thema Herstellung und Dispergierung von Nanopar­
tikeln an der Universität Erlangen-Nürnberg startete er
2004 seine berufliche Karriere bei Evonik im Service­
bereich Verfahrens­technik & Engi­neering. Hier arbeitete er als Verfahrenstechniker in der Abtei­lung Par­
tikel­technologie, bis er 2010 in seine aktuelle Position
wechselte.
+49 6181 59-6284, frank.stenger@evonik.com
Dr. Hannes Richert ist Projektmanager im Service­
bereich Verfahrenstechnik & Engineering. Nach Stu­
dium der Verfahrenstechnik und Promotion auf dem
Gebiet des computergestützten Anlagendesigns an
der TU Hamburg-Harburg begann er 1998 seine berufliche Laufbahn im Bereich Ver­fahrens­tech­nik & Engi­­n­eering von Evonik. Hier arbeitet er im Bereich Projek­
tie­rung als Projektmanager und Prozess­ingenieur und
fungiert außerdem als Bindeglied zur IT-Abteilung
für Themen wie moderne Methoden zu Prozess- und
Anla­gendesign.
+49 6181 59-4967, hannes.richert@evonik.com
elements37 Ausgabe 4|2011
18 ANALYTI K
Das neue XPS-Messsystem
der AQura GmbH, des Analytik­
dienstleisters von Evonik
Oberflächenspektrometrie
Analyse-Tool
für die obersten
Nanometer
Mit der Röntgen-Photoelektronen­
spektrometrie lassen sich die obersten
Atomlagen unterschiedlichster Mate­ri­
alien analysieren – qualitativ, semiquantitativ und quan­ti­ta­tiv. Das Verfahren
ist ein wichtiges Werkzeug, das sich von
der Produkt­ent­wick­lung und -charakterisierung über die Qualitätsüberwachung
bis hin zum Patent­schutz einsetzen lässt.
[ text Dr. Peter Albers ]
elements37 Ausgabe 4|2011
Chemische Verfahren und Prozesse sind heute so weit
entwickelt, dass sogar die Oberflächen der beteiligten Materialien einen wesentlichen Einfluss ausüben können: Oftmals
genügen schon Veränderungen in der Morphologie oder in der
chemischen Zusammensetzung der obersten Materialschicht,
um das Gesamtergebnis eines Prozesses zu verändern. Deswegen kommt spektrometrischen Analysemethoden, die Aussagen über Konzentrationen und Bindungszustände in den obersten Atomlagen erlauben, eine große Bedeutung zu. Insbesondere bei feinteiligen Produkten mit großer Oberfläche, wie sie
auch Evonik im Portfolio hat, bestimmen gerade die oberen
Nano- und Mikrometer maßgeblich die Eigenschaften des gesamten Materials.
Integral messende – also die gesamte Probe erfassende –
Verfahren liefern dagegen nur Informationen über die Gesamtzusammensetzung. Damit sind zum Beispiel keine genügend
­exakten Aussagen über die Eigenschaften einer Katalysatorschicht möglich, die die Aktivität und Selektivität des Kataly­sators
vielleicht maßgeblich prägt, aber nur wenige Nanometer dick
ist.
Genau für solche Fragestellungen haben Forschung und
Industrie in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam geeignete
neue Verfahren entwickelt. Eines davon ist die Röntgen-Photoelektronenspektrometrie (XPS), die auch als Elektronenspek­
ANALYTIK 19
trometrie zur chemischen Analyse (ESCA) bekannt ist. Sie macht
zum Beispiel Valenzwechselvorgänge und chemische Veränderungen an der Oberfläche infolge Oxidation, Reduktion, Formierung, Alterung, Vergiftung oder Korrosion sichtbar. Aber
auch Haftung, Benetzbarkeit oder Hydrophobierung lassen sich
damit analysieren – um weitere Beispiele aus einer langen Liste
an Fragestellungen zu nennen, die sich mit der XPS beantworten lassen.
Im Vergleich zur Röntgenmikrobereichsanalyse (RMA) in
der Rasterelektronenmikroskopie (REM) hat die XPS den Vorteil, dass sie auch dann funktioniert, wenn die zu analysierende
Schicht nur wenige Nanometer dünn ist – also in einer Dimension, die um den Faktor 1.000 kleiner ist als bei der typischen
RMA. XPS bietet so eine viel höhere Oberflächenselektivität.
Seit Anfang des Jahres betreibt die AQura GmbH, der Analytikdienstleister von Evonik, ein neues Röntgen-Photoelek­
tronenspektrometer, das seinen 25 Jahre alten Vorgänger ersetzt
hat. Dieser hatte zwar im Laufe der Zeit mehrere Aktualisierungen erfahren, zeigte sich aber den Anforderungen heutiger
Messkampagnen bezüglich Schnelligkeit, Energieauflösung und
Nachweisempfindlichkeit immer weniger gewachsen.
Bei der XPS beschießt eine Röntgenquelle eine Materialoberfläche, die sich im Ultrahochvakuum befindet, mit weichen Röntgenstrahlen. Aufgrund der Photoionisation, auch atomarer oder
molekularer Photoeffekt genannt, lösen die Röntgenstrahlen
gebundene Elektronen aus den Energieniveaus der Probenatome
und aus den Valenzbändern des zu untersuchenden Materials
heraus, die sich nach dem Austritt aus der Probenoberfläche mit
einem Elektronenspektrometer analysieren lassen. Aus der
Bilanz der Anregungsenergie und der gemessenen kinetischen
Energie der Elektronen ist ihre ursprüngliche Bindungsenergie
ermittelbar. Diese gibt direkten Aufschluss über den chemischen
Bindungszustand eines Elements.
Ein XPS-System misst oberflächenspezifisch, weil die mittlere freie Weglänge von Elektronen in Festkörpern ein Minimum
zwischen ungefähr 10 und 1.000 Elektronenvolt aufweist – um
diese Materialeigenschaft und exakt diese Elektronen zu nutzen,
wird weiche Röntgenstrahlung eingesetzt.
Nahezu alle Elemente und auch
Nichtleiter analysierbar
Bis auf Wasserstoff und Helium lassen sich mittels XPS alle
Elemente messen. Die eingesetzte weiche Röntgenstrahlung liefert die passende Energie, um Elektronen freizusetzen – wobei
sie aufgrund der energetischen Verhältnisse in jedem Element
andere Elektronen „anspricht“: in Kohlenstoff zum Beispiel die
s-Elektronen, in Palladium dagegen die d-Elektronen. 333
elements37 Ausgabe 4|2011
20 ANALYTI K
Probenhalter mit einem Solarzellensegment (blau),
einem Stück Reinstsilizium (glänzend) und einem
elektrischen Bauteil vor der geöffneten, mit Inertgas
gefluteten Ladekammer. Die Aufgabe: Prüfung
der Oberflächenchemie und des Reinheitsgrades
auf den Oberflächen, in den Kontaktbereichen und
auf den Sammelschienen der Solarzelle
333 Das neue XPS-System der AQura besitzt drei separate
Probenkammern, sodass die unterschiedlichsten Materialien untersucht werden können: Festkörper aller Art, hochreine Pulver,
korrosive, verunreinigte oder auch feuchte Produkte. Damit lassen sich in kurzer Zeit auch sehr unterschiedliche Materialien
nacheinander vermessen, die ansonsten zeitraubende Evakuierungs- beziehungsweise Reinigungsschritte erforderlich machen
würden. Mithilfe eines Argon-Ionenstrahls lässt sich während
der Messung zudem die Oberfläche einer Probe schichtweise
abtragen, um zum Beispiel vertikale Konzentrationsprofile im
Bereich Nanometer bis Mikrometer bestimmen zu können.
Außerdem kann das Neusystem auch elektrische Nichtleiter
wie AEROSIL®, Polymere, Glas oder Keramiken vermessen. Das
ist keineswegs selbstverständlich: Wenn die Röntgenstrahlung
Bindungselektronen freischlägt, steigt die Zahl der – positiv
geladenen – Löcher in der Probe und damit die Austrittsarbeit;
das heißt, die gemessene kinetische Energie der Elektronen
sinkt. Bei heterogenen Oberflächen würde so das Messergebnis
verfälscht. Elektrisch leitfähige Proben kompensieren diesen
unerwünschten Effekt automatisch: Sie liegen direkt auf Potenzial, sodass die entstehenden positiven Löcher sofort wieder mit
„nachfließenden“ Elektronen gefüllt werden.
Im neuen System sorgt bei elektrisch nichtleitenden Proben
ein sie umgebendes Magnetfeld für die Rückführung von Elek-
elements37 Ausgabe 4|2011
tronen zur Probe, die sich dann wieder mit den Löchern ver­
einigen können. Während der Messung sieht es dadurch so aus,
als ob auch der Nichtleiter auf Spektrometerpotenzial läge. Die
Austrittsarbeit der freigeschlagenen Bindungselektronen wird
also nicht mehr verfälscht.
Einzelne Atome werden
unterscheidbar
Was mit der XPS möglich ist, lässt sich am besten anhand typischer Messungen verdeutlichen, die die AQura-Mitarbeiter für
interne und externe Kunden bereits durchgeführt haben. Polymethylmethacrylat (PMMA) zum Beispiel ist ein Material, das
heutzutage in vielen Anwendungen eine Rolle spielt, wo es auf
die Oberflächeneigenschaften ankommt. Durch Witterungs­
einflüsse etwa kann sich das Abperlverhalten von PMMA verändern. Für den Transport wiederum muss die Oberfläche des
PMMA modifiziert werden, weil Kaschierfolien, die zum Schutz
aufgebracht werden, sich nach der Montage wieder rückstandsfrei entfernen lassen müssen.
Wie sich diese Einflüsse auf die PMMA-Oberfläche aus­
wirken, lässt sich mit der XPS klären, da sie die Feinstruktur der
Kohlenstoff- und Sauerstoffatome des Polymers auflösen kann.
Die einzelnen Atome werden dadurch spektroskopisch anhand
ANALYTI K 21
Abbildung 1.
Kohlenstoff- (links) und
Sauerstoffsignale (rechts)
direkt auf einer gezielt
bewitterten PMMAOberfläche und auf einer
frischen Bruch­fläche
dieser Probe. Direkt auf
der Oberflä­che „sieht“
das Polymer chemisch
anders aus als im Voll­
material: Die relativen
Anteile funktio­neller
Grup­pen wurden ver­
ändert
Intensität [counts per second (cps)]
Intensität [counts per second (cps)]
3.000
3.000
2.000
2.000
1.000
1.000
Oberfläche
Vollmaterial
0
0
292
290
288
286
284
282
539
280
537
Bindungsenergie [eV]
Abbildung 2.
Veränderung der
chemischen Wertig­keit
des Palladiums:
reduzierte Oberfläche
(deep purple), oxidierte
Oberfläche (grau)
Pd 90 %; PdO 10 %
Pd 15 %; PdO 85 %
535
533
531
529
527
Bindungsenergie [eV]
Intensität [cps]
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
345
340
Pd 3d3/2
ihrer funktionellen Gruppen unterscheidbar, was wiederum
Rückschlüsse auf chemische Veränderungen der Oberfläche
erlaubt (Abb. 1).
Ein weites Feld für die XPS-Analyse sind auch Katalysatoren.
Ihre Wirkung und die erforderlichen Mengen hängen maßgeblich
damit zusammen, wie der Katalysator auf dem jeweiligen Träger
verteilt ist und welcher Anteil in der relevanten Reaktion tatsächlich aktiv ist oder für besonders hohe Produktselektivität sorgt.
AQura-Mitarbeiter konnten zum Beispiel ermitteln, warum
ein Palladium-Katalysator auf einem Träger desaktiviert war
(Abb. 2); der Katalysator wurde für die selektive katalytische
Hydrierung von Acetylen zu Ethylen im Rahmen der Vinylchloridproduktion eingesetzt. Es zeigte sich, dass das Palladium infolge einer Betriebsstörung mit Verkokungs- und Polymeri­sa­
tionspro­dukten belegt und zudem der chemische Zustand der
Palladiumober­fläche verändert worden war.
Auch die Oberflächeneigenschaften von Platin-RhodiumKatalysatornetzen, wie sie bei der Ammoniakverbrennung im
Rahmen der Salpetersäureherstellung nach dem Ostwald-Verfahren zum Einsatz kommen, lassen sich mit der XPS detailliert
analysieren. Solche Katalysatornetze werden zudem beim
Andrussow-Verfahren zur Synthese von HCN eingesetzt, das
für die Produktion von PMMA, Methionin, Cyanurchlorid und
vielen organischen Zwischenprodukten benötigt wird.
335
Pd 3d
Pd 3d5/2
330
Bindungsenergie [eV], Mg
Bei ungebrauchten Katalysatornetzen liegen Platin und
Rhodium im metallischen Zustand vor. Die spektroskopische
Signatur eines gebrauchten Netzes unterscheidet sich davon
deutlich im XPS-Profil (Abb. 3): Unterschiede in der Feinstruktur weisen auf veränderte Anteile von metallischem Rhodium
und oxidiertem Rhodium an der Katalysatoroberfläche hin. Ursache für diese Veränderungen, die sich mit der XPS erfassen
lassen, sind wechselnde Betriebsbedingungen im Reaktor. Mit
diesen Informationen lässt sich das Platin-Rhodium-Verhältnis
im Katalysator gezielt für den optimalen Einsatz in der Großanlage anpassen.
Mit XPS-Messungen an Ceroxid wiederum, wie es in Autoabgaskatalysatoren, Sensoren oder beim chemisch-mechanischen
Polieren (CMP) von Wafern zum Einsatz kommt, lassen sich
anhand der Feinstrukturen der Signale die relativen Anteile von
drei- und vierwertigem Cer bestimmen (Abb. 4). Die Signalform
liefert also unmittelbar einen Hinweis auf den chemischen Bindungszustand.
Diese Informationen geben Entwicklern wichtige Hinweise
an die Hand, welche Eigenschaften zum Beispiel die im Auto­
abgaskatalysator eingesetzten Oxide haben müssen, um ihre
Aufgabe optimal zu erfüllen: nämlich schnellstmöglich und
effizient auf den Wechsel zwischen einem mageren Luft-Kraftstoff-Gemisch – also einem mit hohem Sauerstoffanteil – 333
elements37 Ausgabe 4|2011
22 ANALYTI K
Abbildung 3.
Oben: elektronenmikroskopische Aufnahmen eines
frischen und eines gebrauchten Katalysatornetzes.
Aus der glatten Oberfläche eines Pt/Rh-Draht­­ge­webes wurde eine raue, zerklüftete Oberfläche,
unter anderem mit Rhodiumoxidnadeln (dunkel)
und Platinkristalliten (hell). Unten: XPS-Spektren
zeigen die Veränder­ungen der Verhältnisse von
Platin zu Rhodium und zu Rhodium­oxid unter
verschiedenen Betriebs­bedingungen
Intensität [cps]
22.000
18.000
Pt
Intensität [cps]
Pt
Rh Metall
Rh2O3
Rh Metall
13.000
11.000
14.000
9.000
10.000
7.000
Intensität [cps]
Intensität [cps]
16.000
Rh2O3
14.000
Rh Metall
Rh2O3
14.000
Rh Metall
12.000
12.000
10.000
10.000
8.000
8.000
330
320
310
300
290
330
320
Bindungsenergie (eV)
Abbildung 4.
Die Signalstruktur der Ceroxide ist ein empfind­
licher Fingerprint für die Schnelligkeit und das
Ausmaß der Sauerstoffaufnahme und Sauer­stoff­
abgabe im technischen Einsatz
CeOx, x = 1,55
CeOx, x = 1,75
CeOx, x = 1,80
CeOx, x = 1,90
310
300
290
Bindungsenergie (eV)
Intensität [cps]
10.000
9.000
8.000
7.000
6.000
5.000
920
910
900
890
880
Bindungsenergie (eV)
333 und einem fetten Luft-Kraftstoff-Gemisch zu reagieren durch
die Speicherung bzw. Abgabe von Sauerstoff im Abgasstrom des
Verbrennungsmotors. Das wirkt sich direkt auf die Abgasemis­
sionen aus.
Trockenere Babypos durch XPS
Eine dritte Materialgruppe, bei der die XPS bereits zu einem
tieferen Verständnis der Funktion beigetragen hat, sind Superabsorber, die inzwischen zum Beispiel Cellulosefasern aus
modernen Babywindeln weitgehend verdrängt haben. Super­
absorber sind vernetzte Polymere, die sehr viel Flüssigkeit aufnehmen können, diese aber im Gegensatz zu Cellulose unter
Druck nicht wieder freigeben.
Damit das optimal klappt, müssen die Oberflächen der Polymere im Bereich der obersten Nanometer in einem sogenannten
Oberflächennachvernetzungsschritt mit Additiven behandelt
werden. Dies führt zu verbesserten Permeabilitätswerten, was
elements37 Ausgabe 4|2011
wichtig für eine gleichmäßige und gute Flüssigkeitsverteilung
in der Windel ist und „Gel-Blocking“-Effekte verhindert.
Mit dem neuen XPS-System ist es den AQura-Mitarbeitern
möglich, Proben von Superabsorbern per Ionenstrahl schrittweise abzutragen und die jeweilige Oberfläche zu spektroskopieren. Die gemessene Signalintensität ist dabei direkt proportional zur Konzentration des Beschichtungsmaterials, sodass sich
aus den Tiefen-Scans wichtige Informationen ableiten
ließen, um die Superabsorber weiter zu optimieren (Abb. 5).
Diese Beispiele machen deutlich: Die XPS ist ein wichtiges
und vielseitig einsetzbares Werkzeug für die Kunden der AQura,
um Feinststruktur und chemische Zusammensetzung von einer
Vielzahl von Materialien bis in den Sub-Nanometerbereich
hinein zu bestimmen. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg,
den Übergangsbereich zwischen atomaren und molekularen
Dimensionen einerseits und der eigentlichen Nanometerwelt
ander­erseits messtechnisch besser zu erschließen und damit für
die Produktentwicklung nutzbar zu machen. 777
ANALYTIK 23
Abbildung 5.
Oberflächenspektroskopie für die Optimierung von Babywindeln.
XPS-Tiefen­profile am Superabsorber für die Elemente Kohlenstoff,
Sauerstoff, Aluminium und Natrium. Direkt unterhalb der äußeren
Oberfläche wurden gezielt Aluminiumsalze angereichert, die bei
der Flüssigkeitsaufnahme mit in das dreidimensionale Gefüge
des Super­absorbers hinein transportiert werden und dort durch
Kapillar­effekte für eine gleichmäßige Verteilung der Flüssigkeit und
eine optimale Nutzung der inneren Oberflächen sorgen.
Das Ergebnis: Die Oberfläche und damit der Babypo sind trocken!
Auf einen Blick
Das neue XPS-System
der AQura
Intensität
[cps]
C 1s
18
16.000
14
12.000
10
8.000
6
4.000
294
288
282
Al 2p
Intensität
[cps]
2.200
2.000
1.800
1.600
1.400
1.200
1.000
800
600
80 76
72 68
Intensität
[cps]
O 1s
32.000
28
24.000
20
16.000
12
8.000
538
534
530
Na 1s
Intensität
[cps]
80.000
70
60.000
50
40.000
30
20.000
1.075
•Drei Kammern mit massenspektrometrischer Über­
wachung des Vakuums; 10–6 bis 10–7 Millibar in den
Vorkammern, 10–8 bis 10–10 Millibar in der Haupt­
kammer. Mikrofokussierbarer Röntgenspot, sodass
sich der Analyseort exakt positionieren lässt
•Mögliche Messbereiche zwischen 1 mm und 10 µm,
Standardspots bei 200 µm und 900 µm; SmallSpot-Analysen bis hinunter zu 20 µm möglich;
chemisches Element-Mapping zum Teil mit noch
höherer lateraler Auflösung
•Hohe Energieauflösung im Röntgenmono­chro­ma­
tor-Betrieb
•Hohe Empfindlichkeit ermöglicht es, schnelle Über­
sichtsspektren zu erstellen und auch Spuren­unter­
suchungen wirtschaftlich durchzuführen
•Mit verschiedenen Techniken lässt sich eine elek­
trische Aufladung einer Probe kompensieren
•Gasreaktionszelle für kontrollierte Oxidations- bzw.
Reduktionsvorbereitung, zum Beispiel von Kata­ly­
satoren
•Winkelaufgelöste Messungen zur Steigerung der
Oberflächenspezifität für Polymeruntersuchungen
•Flüssigkeitsinjektionssystem mit Cryohalter zum
Schockgefrieren flüchtiger bzw. sehr empfindlicher
Proben unter Inertgas, gefolgt vom Transfer in die
eigentliche Spektrometerkammer
1.069
Dr. Peter Albers leitet das standortübergreifende
Kompetenzzentrum Elektronenmikroskopie und Ober­
flächenanalytik der AQura GmbH in Hanau-Wolfgang
und Marl. Peter Albers studierte Chemie an der West­
fälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach einem
einjährigen Forschungsstipendium an der University of
Birmingham (England) und Forschungsarbeiten in
Frank­reich (Institut Laue-Langevin/ILL, Grenoble) und
England (Atomic Energy Research Establishment/
AERE, Harwell) promovierte er 1985 an der Universität
Münster. Seit 1986 ist er Mitarbeiter im Bereich Analy­
tik von Evonik. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen
die physikalisch-chemische Charakterisierung von Kata­
lysatoren für Großanlagen der industriellen Chemie,
Chemiekatalysatoren, Autoabgas-und Brennstoffzellen­
­katalysatoren, von industriellen Carbon Blacks, pyrogenen und gefällten Silicas sowie die Oberflächen­-­
cha­rakterisierung von Lacken, Polymeren, Gläsern,
Kera­miken und Papier.
+49 6181 59-2934, peter.albers@aqura.de
elements37 Ausgabe 4|2011
24 I NNOVATI ONS MANAGEMENT
Corporate Foresight
Strategischer Blick in das
nächste Jahrzehnt
Welche Trends prägen die Welt mittel- und
langfristig? Welche relevanten Szenarien zeichnen
sich ab? Und was hat das mit Evonik zu tun? Vor
knapp einem Jahr hat Evonik unter der Regie der
Creavis ein fünfköpfiges interdisziplinäres Team –
das sogenannte Corporate-Foresight-Team – etabliert, das sich abseits vom laufenden Geschäft mit
derartigen Fragen beschäftigt. Seine Aufgabe: neue
„zukunftsrobuste“ Geschäftsfelder für Evonik zu
identifizieren.
„Eine Welt ohne Chemie ist nicht mehr vorstellbar“, sagt Teamleiter Dr. Bernhard Schleich. „Deshalb
müssen wir wissen, wohin sich die Welt entwickeln
könnte.“ Es geht jedoch nicht um wissenschaftlichen
Ehrgeiz. „Wir wollen hier keine Grundlagenforschung betreiben“, betont Dr. Peter Nagler, Chief Innovation Officer von Evonik, „sondern wir streben
vielmehr neue Lösungen mit neuen Technologien und
Geschäftsmodellen an.“
Im Fokus: Megacitys
und ihre Probleme
elements37 Ausgabe 4|2011
Für das Jahr 2011 hat das Team Megacitys als Fokusthema definiert. „Der Trend der Verstädterung wird
sich fortsetzen. Megacitys offenbaren sämtliche Zukunftsprobleme der Menschheit auf engstem Raum“,
sagt Schleich. Dieses Fokusthema soll dazu dienen,
keine Weltregion außer Acht zu lassen, da insbesondere die Schwellen- und Entwicklungsländer eine
teils beachtliche Kaufkraftentwicklung aufweisen
und einen potenziell riesigen Markt bieten.
Über Miniszenarien zu drei fiktiven Megastädten
der Zukunft hat das Team versucht, die Herausforderungen der großen Städte besser zu verstehen –
von der Wasserversorgung über wachsenden Fleischkonsum, überlastete Transportwege und Klimaveränderungen bis zu Gesundheitsvorsorge, effizientem
Bauen und Renovieren und einer alternativen Energieversorgung. Interessant für Evonik ist die Frage,
welche Ideen sich daraus hervorbringen lassen – ganz
gleich, ob man über Mobilität, Gesundheit, Ernährung oder Energie nachdenkt. Hier verzahnen sich
soziale, geografische und naturwissenschaftliche Entwicklungen. Schleichs Kernteam deckt darum auch
unterschiedliche Disziplinen ab: Chemie, Physik, Politik-, Wirtschafts- und Materialwissenschaft.
Seit dem Start von Corporate Foresight „haben wir
schon rund 50 neue Ideen entwickelt“, stellt Schleich
INNOVATIONS MANAGEMENT 25
Interview
„Forschung braucht Leidenschaft“
Am 1. Juli 2011 hat Dr. Peter Nagler zusätzlich zu seiner Position als
Leiter Corporate Innovation Strategy & Management die neu geschaffene Funktion des Chief Innovation Officers von Evonik übernommen.
elements sprach mit ihm über Aufgaben, Ziele und Zukunftsszenarien.
Sie sind gerade aus Japan zurückgekommen. Haben Sie die
Reise als Chief Innovation Officer von Evonik unternommen?
Ja, wir haben zum ersten Mal in Japan, genauer in Tokio, unser
bewährtes Wissenschaftsforum Evonik Meets Science abgehalten.
Dabei stand natürlich der Kontakt zur japanischen Akademia im
Mittelpunkt – ein weiterer Baustein, um unser Innovations­netz­werk
in Asien auszubauen.
Wie verstehen Sie überhaupt Ihre neue Rolle?
In einem Spezialchemieunternehmen ist Innovation unerlässlich, und
dafür möchte ich mich einsetzen. Die Frage ist, wie wir diesen In­no­
vationsprozess organisieren. In einem dezentralen Konzern wie
Evonik braucht man für die interne und externe Steuerung des Innovationsprozesses eine Person, die diesen Prozess repräsentiert und
die man ansprechen kann.
heraus. Diese Ideen gilt es zu beobachten, weiterzuentwickeln und zu evaluieren. Dazu gehört auch der
kritische Blick, ob sich die Weiterverfolgung lohnt.
Dieses Monitoring leisten Betreuer in den Geschäftsbereichen, die dann im Zweifelsfall auch aufs Bremspedal treten. „Man muss Schluss machen, bevor man
sich in eine Sackgasse verrennt“, sagt Schleich. „Der
rechtzeitige Stopp kann sogar helfen, die Kompetenzbasis zu verbreitern.“
Mit dem Corporate-Foresight-Team hat Evonik eigene methodische Kompetenz im Bereich Zukunftsforschung aufgebaut – von der Trend- bis hin zur
strategischen Szenarioanalyse. Diese Kompetenz
wird themenspezifisch ergänzt durch das Know-how
der Geschäftsbereiche, des Servicebereichs Verfahrenstechnik & Engineering, der Creavis und externer
Fachleute.
„Unser Ansatz versucht nicht, wie oft üblich,
neues Wachstumspotenzial über eine Technologie zu
erschließen, sondern nähert sich von der anderen
Seite: Es wird danach gefragt, wo welcher Bedarf in
Zukunft entsteht und welche Herausforderungen es
zu lösen gilt“, erklärt Schleich. „Dabei sind bewusst
alle Ideen erlaubt – von neuen Geschäftsmodellen
mit bestehenden Produkten bis hin zur Entwicklung
neuer Technologien.“ 777
Sind Sie damit das Gesicht von Evonik in puncto Forschung und Innovation?
(Zögert.) Ja, theoretisch schon, obwohl ich es so drastisch nicht
ausdrücken würde. Aber wenn es darum geht, konzernweit Innova­­
tions­prozesse und Innovationskultur zu fördern, läuft einiges über
meinen Tisch. Allerdings ist Innovation in einem globalen Konzern
kein Einpersonenstück, sondern die Aufgabe aller Mitarbeiter, und
sie lebt ganz stark vom Teamgedanken.
Gibt es Vorbilder für die Funktion eines Chief Innovation Officers?
Ja, aber die unterscheiden sich erheblich voneinander. Betrachten
Sie allein die chemische Industrie: Manche Unternehmen favorisieren eine zentrale Forschung. Evonik setzt auf eine dezentrale Orga­
nisation, von der auch ich persönlich überzeugt bin, weil sie kundenorientiert, marktnah und schnell ist. Zwischen diesen beiden Polen
zentral – dezentral gibt es zahlreiche Modelle, wie Forschung strukturiert wird.
Welche zusätzlichen Aufgaben kommen als Chief Innovation
Officer überhaupt auf Sie zu?
Evonik will wachsen, und meine Aufgabe ist es, diese Wachstumsstrategie durch eine darauf abgestimmte Innovationsstrategie zu unter­
stützen. Entscheidend ist dabei ein übergreifender Ansatz, denn In­no­
vation ist vielfältig. Sie schließt Technologien und Prozesse ebenso
ein wie Geschäftsmodelle und die Ausbreitung in unterschiedliche
Regionen.
Welche sind denn die wesentlichen Eckpunkte einer Innova­
tions­strategie für Evonik?
Evonik will attraktive Wachstumsmärkte bedienen und richtet sich
an den drei Megatrends Ressourceneffizienz, Gesundheit und 333
elements37 Ausgabe 4|2011
26 I NNOVATION SMANAGEMENT
Interview Dr. Peter Nagler,
Chief Innovation
Officer von Evonik
333 Ernährung sowie Globalisierung von Technologien aus. Daran
orientiert sich natürlich auch die Forschung. Beispielsweise forschen
wir intensiv an der Nutzung von Biotechnologie und dem Einsatz
nachwachsender Rohstoffe. Ein Großteil der Forschung, derzeit rund
85 Prozent, findet in den Geschäftsbereichen statt. Das zentrale
Inno­vation Management bündelt die längerfristigen strategischen
Themen; das passiert in der Creavis. Innovation hat aber noch weitere
Facetten: neue Methoden, neue Partnerschaften, Ausbau unseres
Netzwerkes in globaler Hinsicht, Förderung einer Innovationskultur.
Beginnen wir mit den neuen Methoden. Worauf legen Sie hier
den Schwerpunkt?
Wir beschäftigen uns mit neuen Methoden, um zu neuen Ideen zu
kommen, wobei wir ganz klar vom Marktbedürfnis ausgehen. Aus
den so gewonnenen Ideen gilt es dann, die besten herauszufinden
und sie systematisch voranzutreiben. Beispielsweise haben wir im
Konzern einen Idea-to-Profit-Prozess etabliert, in dem wir ganz
stringent Ideen und Projekte erfassen und mit dem wir Best-PracticeErfahrungen aus anderen Projekten konzernweit nutzen können.
Aber: Die Märkte ändern sich stetig und wir müssen deshalb auch
unsere Methoden und Innovationsprozesse permanent hinterfragen
und anpassen.
Und wir wollen verstehen, welche Anforderungen in einem
10- bis 15-Jahres-Zeitraum an den Märkten entstehen könnten und
welche Möglichkeiten für neue Geschäfte sich daraus ableiten lassen.
Deshalb haben wir innerhalb der Creavis eine Gruppe gegründet,
die sich mit Corporate Foresight, also mit Zukunftsforschung, befasst.
Das heißt, mit Corporate Foresight verfolgt Evonik den Ansatz,
sich von bereits laufenden Themen völlig zu lösen?
Richtig. Bei Corporate Foresight haben wir uns von der Frage leiten
lassen, wie wir zu neuen Themen kommen. Aber auch hier haben
wir bewusst die Geschäftsbereiche eingebunden, um so eine hohe
Akzeptanz für diesen neuen strategischen Ansatz zu erreichen und
einen engen Austausch herzustellen.
Aber doch abgelöst vom Kerngeschäft der Geschäftsbereiche?
Wir haben uns zum Start von Corporate Foresight nicht gefragt: Was
können wir?, sondern: Wie könnte sich die Welt entwickeln, unter
Berücksichtigung aller ökonomischen, sozialen, ökologischen, poli­­ti­schen und technologischen Faktoren, und was bedeutet das für
Evonik? Ganz klar, dabei ging es um Ideen jenseits unserer Geschäfts­
felder. Dabei haben wir einige Gebiete „entdeckt“, in denen wir
heute nicht aktiv sind.
elements37 Ausgabe 4|2011
Aber sein wollen?
Das gilt es jetzt zu bewerten. Aufgabe von Corporate Foresight ist
es, laufend neue Ideen zu kreieren und Entscheidungen vorzube­reiten,
in welche Bereiche wir möglicherweise gehen wollen. Wobei es hier
um die großen Potenziale geht, bildlich gesprochen um die LithiumIonen-Batterie des Jahres 2020. Und da wollen wir dabei sein! Wir
haben aber auch die zarten Pflänzchen im Blick und wollen verstärkt
neue, für uns interessante Ideen aufgreifen, die von jungen Start-upUnternehmen entwickelt werden, und suchen nach Modellen, solche
Unternehmen über Corporate-Venturing-Partnerschaften zu unterstützen.
Wie will Evonik seine globale Ausrichtung im Bereich
Forschung und Entwicklung weiter vorantreiben?
Die chemische Industrie wird in den nächsten Jahren nicht nur in
Deutschland wachsen. Die Märkte entwickeln sich in anderen Regionen, in denen es ebenfalls hervorragende Hochschulen und entsprechend hervorragende Wissenschaftler gibt. Das müssen wir für den
Konzern nutzen. Wir brauchen eine Innovationslandschaft im Konzern, in der wir über gut aufgestellte, aufeinander abgestimmte Kompetenzzentren in strategisch wichtigen Wachstumsregionen verfügen.
Ein Schritt ist der Aufbau des Projekthauses „Light and Electronics“
in Taiwan.
Die gezielte Förderung von Unternehmertum und Innovations­
kultur steht ebenfalls auf Ihrer Agenda. Worauf kommt es
Ihnen dabei an?
Darauf, Ideen mit dem Mut zum Risiko anzupacken. Dazu gehört
eine Fehlerkultur, die diese Risikobereitschaft und den Mut zum
Querdenken fördert. Forschung braucht Freiräume, damit man über
den eigenen Tellerrand schauen kann. Und Forschung braucht Leidenschaft.
Aber irgendwann sollen Ideen auch Umsatz bringen.
Natürlich. Innovation bedeutet ja nicht Elfenbeinturm oder Chaos.
Wir arbeiten nach einem Innovationsmanagementprozess, nach dem
wir, oft in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden, Ideen finden,
bewerten, priorisieren und schließlich abarbeiten, und in dem wir
uns permanent die Fragen stellen: Machen wir es richtig? Sind wir
weitergekommen?
Und machen wir es richtig? Wird Evonik in der Öffentlichkeit
als innovatives Unternehmen wahrgenommen?
Ich glaube, ja. Die Projekthäuser und die Science-to-Business-Center
gelten als Benchmark in der Industrie; wir werden von anderen Unter­­
nehmen oft darauf angesprochen. Vom nordrhein-westfälischen
Wissenschaftsministerium sind die Science-to-Business-Center kürzlich als „Ort des Fortschritts“ ausgezeichnet worden. Die „Areas of
Competence“, in denen wir unterschiedliche Technologien zu einem
Thema bündeln, sind ein unübersehbares Differenzierungsmodell
gegenüber dem Wettbewerb. Aber natürlich können wir immer und
überall noch besser werden.
Zum Beispiel?
Wir haben sicher Nachholbedarf in einigen Regionen, was unsere
Wahrnehmung als innovatives Unternehmen angeht. Dort müssen wir
uns stärker positionieren, damit wir als interessantes Unternehmen
gelten, in dem Forschung einen hohen Stellenwert genießt. 777
N e ws 27
Grundsteine für zwei Innovationszentren in Essen gelegt
Dr. Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender von
Evonik Industries, hat am Standort Essen die
Grundsteine für zwei Forschungs-und-Ent­
wicklungs-Zentren gelegt: eines für neue,
um­weltfreundliche Additive und Spezial­
binde­mittel für die Lack- und Farbenindustrie
und ein zweites für innovative und nachhaltige Produkte für die Kosmetikindustrie. Ins­
ge­­samt wird der Konzern rund 31 Millionen E
in beide Gebäudekomplexe investieren.
Das Innovationszentrum für die Lack- und
Farbenindustrie soll Ende 2012 fertiggestellt
werden, das für die Kosmetikindustrie An­­
fang 2013. Dadurch werden insgesamt mehr
als 180 Mitarbeiter in eine neue, mo­der­ne
Arbeitsumgebung umziehen können.
„Die Lack- und Farbenindustrie sowie die
Kosmetikindustrie sind starke Markt­segmen­
te, die wir hier am Standort Essen mit viel
Erfahrung und Innovationskraft bedienen“,
sagte Engel. „Die beiden Innovationszentren
werden uns nicht nur Spielraum für For­
schung und Entwicklung bieten. Sie sollen
außerdem unsere Wettbewerbsfähigkeit und
Marktposition stärken. Wir wollen damit ein
klares Zeichen für nachhaltiges Wachstum
und kundenorientiertes Handeln setzen.“
Die Lack- und Farbenindustrie ist ein
wichtiger Markt für den Geschäftsbereich
Coatings & Additives. Hier ist Evonik einer
der bedeutenden Hersteller von Bindemitteln,
Pigmenten, Vernetzern, Farbpasten, Mat­tie­
rungsmitteln und Additiven. Auf der Suche
nach neuen Lösungen und Produkten werden
gut 90 Mitarbeiter in dem ersten, rund 5.000
Quadratmeter großen Innovationszentrum
forschen – mit einem besonderen Fokus auf
Umwelt und Ressourceneffizienz. Die
Ge­samt­kosten des Gebäudes liegen bei etwa
14,4 Millionen E .
In dem zweiten Innovationszentrum mit
ebenfalls gut 5.000 Quadratmetern werden
Gewappnet für
neue Herausforderun­gen der Märkte
künftig neue zukunftsorientierte Produkte
für die Kosmetikindustrie entwickelt. Die
Gesamtkosten des Gebäudes liegen bei rund
16,6 Millionen E. Der Geschäftsbereich Con­
sumer Specialties von Evonik stellt unter
ande­rem kosmetische Roh- und Wirkstoffe,
Emulgatoren, kosmetische Öle, Konditio­nier­
mittel oder auch Performance-Additive wie
Verdicker her.
„Evonik ist es wichtig, bei beiden Neu­
bau­ten auf Nachhaltigkeit und ökologische
Verträglichkeit zu achten. Wir sehen uns
da­bei Hand in Hand mit Kunden aus der Kon­
sumgüterindustrie, die sich zunehmend über
den Nachhaltigkeitsgedanken differenzieren“, erklärte Engel.
Bieten auf jeweils 5.000 Quadratmetern Platz für je rund 90 Mitarbeiter: das neue
Innovationszentrum für die Lack- und Farbenindustrie (links), das Ende 2012 in Betrieb geht, und das
Innovationszentrum für die Kosmetikindustrie (rechts), das Anfang 2013 fertiggestellt sein wird
Anlage für Produkte für Kleb- und Dichtstoffe geplant
Evonik Industries wird in Marl eine Anlage
zur Herstellung von funktionalisiertem Poly­
butadien bauen. Dieses flüssige Polybutadien
(HTPB) findet hauptsächlich in Dichtmassen
für Isolierglasfenster sowie in Klebstoffen für
den Fahrzeugbau Verwendung. Mit der
Anlage, die im Herbst 2012 in Betrieb gehen
soll, wird Evonik erstmals auch hydroxylfunkHTPB wird unter
anderem in
Dichtmassen für
Isolierglasfenster
verwendet
tionalisiertes Polybutadien seinen Kunden in
der Kleb- und Dichtstoffindustrie anbieten
können.
Evonik wird HTPB unter dem Marken­
namen POLYVEST® HT vermarkten und er­­
gänzt damit seine Produktpalette der Poly­
butadiene um eine weitere funktionalisierte
Variante. Das Unternehmen ist bereits heute
ein bedeutender Hersteller flüssiger unfunktionalisierter Polybutadiene. Dr. Ulrich Küs­t­
hardt, Leiter des Geschäftsbereichs Coatings
& Additives, sagte: „Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung bei der Produktion von
Polybutadien und unserer Kundennähe im
Kleb- und Dichtstoffmarkt sehen wir gute
Chancen für einen erfolgreichen Eintritt in
den HTPB-Markt.“
Doppel- und Dreifachverglasung im Fens­
­terbau, bei denen hydroxylfunktionalisiertes
Polybutadien für die Dichtmassen genutzt
wird, sorgen für eine verbesserte Isolierung
im Hausbau. In Klebstoffen für den Fahrzeug­
bau, die unterschiedliche Materialien und
Com­posites miteinander verkleben, trägt
HTPB dazu bei, Kunststoffe im Automobilbau
effizient und sicher einsetzen zu können. Die
Gewichtsreduktion der Fahrzeuge durch den
vermehrten Einsatz von Kunststoff führt zu
einem geringeren Kraftstoffverbrauch.
elements37 Ausgabe 4|2011
28 N e ws
Honorarprofessur für Dr. Stefan Buchholz
Dr. Stefan Buchholz, Leiter Innovation Mana­
gement des Geschäftsbereichs Ad­vanced
Intermediates, ist zum Honorar­pro­fessor der
Universität Stuttgart bestellt worden. Vor
sechs Jahren hatte Buchholz auf Einladung
der Hochschule begonnen, regelmäßig Vor­
lesungen an der Universität zu halten. Dieses
ehrenamtliche Engagement ist jetzt mit der
Professur honoriert worden. Buchholz hatte
seine Vorlesungsreihe mit Vorträgen zur industriellen Biotechnologie begonnen und
lehrt seit drei Jahren zum Thema „Industrielle
organische Chemie“.
„Die Vernetzung von Hochschulforschung
mit unserem Unternehmen ist ein wichtiger
Baustein in unserer Forschungs- und Ent­
wicklungsstrategie“, erklärte Prof. Buchholz.
„Wir können damit Beiträge dazu leisten, dass
sich Lehre und Forschung an den Hochschulen
stärker an den Erfordernissen der Industrie
ausrichten. Wir pflegen den Austausch aber
auch, um selbst neue Impulse für unsere
Forschung zu bekommen. Hinzu kommt:
Unsere Hochschulkontakte sind ein wichtiger
Beitrag zum Employer Branding, mit dem wir
Evonik als attraktiven Arbeitgeber für akademischen Nachwuchs positionieren.“
Buchholz trat 1993 in die damalige
De­gussa AG ein, wo er zunächst als Labor­
leiter in der Polymerforschung in HanauWolfgang tätig war. Nach zwei Jahren in der
Produktion am Standort Ant­werpen leitete
er unter anderem die Pro­jekthäuser Bio­tech­
nologie und ProFerm. Seit März 2008 ist er
Leiter Innovation Management des Ge­­­schäfts­
­be­reichs Ad­­vanced Intermediates.
Internationaler Umweltpreis für den Wind Explorer
Das Elektrofahrzeug „Wind Explorer“ hat
den internationalen Umweltpreis ÖkoGlobe
2011 gewonnen. Vor wenigen Monaten hatte das Fahrzeug eine rund 4.900 Kilometer
lange Pionierfahrt durch Australien zurückgelegt – und dabei nur für rund zehn €
Strom aus dem Netz benötigt. Bei der
ÖkoGlobe-Verleihung in Karlsruhe wurde
der Wind Explorer jetzt mit dem 1. Preis in
der Kategorie ökologisches Konzeptfahrzeug
ausgezeichnet.
Der Wind Explorer ist 200 Kilogramm
leicht und fährt mit einer Batterieladung rund
400 Kilometer. Ende Januar 2011 durchquerten die beiden deutschen Extremsportler Dirk
Gion und Stefan Simmerer auf einer 17-tägigen Pionierfahrt Australien mit dem von
Wind und Lithium-Ionen-Batterien angetriebenen Elektrofahrzeug. War die Batterie leer,
konnten die Piloten die Akkus je nach
Windsituation über eine mobile Wind­kraft­
anlage oder über das herkömmliche Strom­
netz aufladen. Windrad und ein sechs Meter
hoher Teleskopmast aus Bambus waren in­­
nerhalb einer halben Stunde aufgestellt.
Evonik hat die Batterietechnologie geliefert,
damit der aus Windkraft erzeugte Strom
gespeichert werden konnte.
Zusätzlich zum Windstrom wurde der
Wind Explorer teilweise mit Kites angetrieben und erreichte so auf der rund 4.900
Kilometer langen Strecke von Albany am
Indischen Ozean nach Sydney eine Höchst­
geschwindigkeit von rund 80 Kilo­metern pro
elements37 Ausgabe 4|2011
Stunde. Nur in Ausnahmefällen wurde auf
Strom aus herkömmlichen Quellen zurückgegriffen.
Beim Bau ihres Elektromobils setzten die
beiden Sportler auf ein bewährtes Leichtbau­
material: eine Sandwichstruktur aus Kohle­
fasergewebe und einem Strukturkern aus
dem Polymethacrylimid(PMI)-Struktur­
schaum ROHACELL® von Evonik. Dieser
Faser­kunststoffverbund wird unter anderem
in Flugzeugen, Hubschraubern, Zügen und
Schiffen eingesetzt. Auch im Automobilbau
ist er auf dem Vormarsch: Konstruktionen mit
ROHACELL® ermöglichen Gewichtsein­spa­
rungen gegenüber klassischen Stahlteilen.
„Jedes Gramm eingespartes Gewicht hilft,
den CO2-Ausstoß bei kraftstoffgetriebenen
Fahrzeugen zu verringern bzw. bei den Elek­
trofahrzeugen der Zukunft die Reich­weite zu
erhöhen“, beschreibt Stefan Plass, verantwortlich für das ROHA­CELL® Geschäft, die
Beweggründe für Entwicklungen für die
Auto­­mobilindustrie.
Eine weitere Möglichkeit, Treibstoff einzusparen, liegt in der Verringerung des Roll­
widerstandes der Reifen. Kautschuk­mischun­
gen sind dabei von besonderer Bedeutung.
Auch hier zählt Know-how aus der Chemie.
So gelingt es, die Mischung der Reifen so zu
verändern, dass der Rollwiderstand und
damit der Energieverbrauch spürbar gesenkt
werden. Auf der Strecke durch Australien hat
das dem Wind Explorer einige Hundert Kilo­
meter mehr gebracht.
Ne ws 29
Nachhaltigkeitspreis der Chemie in Europa für Evonik
Mit Superabsorbern gegen die Dürre – so
lässt sich der Einsatz des Bodenhilfsstoffs
STOCKOSORB® bei der Wiederaufforstung
von Arganbäumen in Marokko beschreiben.
Für diese Idee wurde Evonik nun vom europäischen Chemieverband Cefic mit dem
Responsible Care Award in der Kategorie
große Unternehmen ausgezeichnet. Dr. Klaus
Engel, Vorstandsvorsitzender des Konzerns,
sagte anlässlich der Preisverleihung in
Madrid: „Der Preis zeigt: Nachhaltigkeit
braucht innovative Ideen. Verantwortliches
Handeln, also Responsible Care, ist für uns
eine selbstverständliche Verpflichtung, die
wir gewissenhaft wahrnehmen. Den Heraus­
forderungen der Zukunft wie Klima­wandel
und Ressourcenverknappung werden wir jedoch nur mit Kreativität und ungewöhnlichen
Ideen begegnen können.“
Den Preis haben Annette zur Mühlen,
Evonik-Expertin für innovative Lösungen in
der Landwirtschaft, und Marie-Rose Chal­
houb, zuständig für den Verkauf des Produkts,
während der Tagung des Weltchemie­ver­
bandes in Madrid Ende September entgegengenommen. Zusammen mit dem Institut
Agronomique et Vétérinaire Hassan II in
Agadir (Marokko) und lokalen Partnern hat
Evonik untersucht, wie STOCKOSORB® die
Überlebenschancen junger Arganbäume verbessert.
Die vielfältigen Bäume versorgen die
lokale Bevölkerung im Südwesten des Landes
mit Holz, Viehfutter und Öl. Sie wachsen in
sehr trockenen Regionen, doch der Baum­
bestand ist deutlich geschrumpft. Die Ver­
suche haben gezeigt, dass durch den Einsatz
der superabsorbierenden Polymere die Über­
lebenschancen von Setzlingen deutlich steigen. STOCKOSORB® nimmt ein Vielfaches
des eigenen Gewichts an Wasser auf und gibt
es an die Pflanzen nach Bedarf ab. Je nach
Versuchsaufbau und Umweltbedingungen
verbesserten sich die Überlebenschancen der
Pflanzen um 45 bis 150 Prozent. Weitere
Versuchsreihen in Marokko werden derzeit
vorbereitet.
Der Responsible Care Award ist der
Nachhaltigkeitspreis von Cefic, der Vereini­
gung der chemischen Industrie in Europa.
Gewürdigt werden Projekte, die den Koope­
rationsgedanken hervorheben, sich um Ener­
gieeffizienz und Klimaschutz kümmern, herausragend sind unter den Aspekten Gesund­
heit, Sicherheit und Umwelt sowie den Wert
von Responsible Care fürs Geschäft verdeutlichen. Mit der Initiative Responsible Care,
die auch Evonik unterstützt, bekennt sich die
chemische Industrie zu Grundsätzen einer
nachhaltigen Entwicklung.
Die Mandeln der Arganfrucht liefern das hochwertige Arganöl. Es enthält einen hohen Anteil
ungesättigter Fettsäuren und wird in der Gas­tro­­
nomie und Schönheitspflege angewendet
F&E-Center in Schanghai wird erweitert
Evonik Industries plant, sein F&E-Center in
Schanghai Xinzhuang für rund 18 Millionen €
zu vergrößern. Die Erweiterung beinhaltet
die Errichtung eines viergeschossigen F&EGebäudes mit einer Grundfläche von mehr als
10.000 Quadratmetern. Das neue Gebäude
soll Mitte 2013 eingeweiht werden.
Es ist die dritte Erweiterung des F&ECenters in Schanghai seit seiner Eröffnung
2004. „Der rasch wachsende Bedarf an For­
schungseinrichtungen in Schanghai spiegelt
unseren Fokus auf ‚Innovation in China für
China‘ wider, einen unserer Haupterfolgs­
faktoren für unser Wachstum in Asien und
ins­besondere in der Region Greater China“,
erläuterte Dr. Dahai Yu, Vorstandsmitglied
von Evonik Industries.
Als eines der weltweit führenden Unter­
nehmen in der Spezialchemie legt Evonik
auch in der Region Greater China großen
Wert auf Innovation und Kundennähe. Neben
den anwendungstechnischen Laboratorien an
verschiedenen Standorten spielt das F&ECenter in Schanghai Xinzhuang dabei eine
Schlüsselrolle. „Indem wir die F&E-Kapa­
zitäten vor Ort weiter ausbauen, erweitern
wir auch unsere Aktivitäten. Zusätzlich zum
technischen Service werden wir uns deutlich
intensiver mit Produktentwicklung beschäftigen“, so Dr. Hans-Josef Ritzert, President
Evonik Greater China Region. Nach der
Erweiterung wird das F&E-Center über insgesamt 35.000 Quadratmeter Nutzfläche
verfügen mit modernsten Laboratorien für
Forschung, Entwicklung, Anwendungs­
technik und technischen Service. Von hier aus
wird Evonik Kunden nicht nur in Greater
China, sondern in ganz Asien mit technischem Service unterstützen und für sie neue
Produktanwendungen erschließen.
In dem neuen F&E-Gebäude werden
zahlreiche Produkte von Evonik verbaut werden, unter anderem in den Außenwänden,
der Balustrade, den Bodenbelägen in den
Labors und in der Innendekoration. Das
Gebäude soll damit auch eine Art Aus­stel­
lungsobjekt sein, das Kunden und Besuchern
den Nutzen der Produkte und Lösungen von
Evonik in konkreten Anwendungsbeispielen
zeigt. Darüber hinaus wird das neue F&E-
Gebäude als erstes Gebäude von Evonik
weltweit LEED-zertifiziert sein. LEED –
Leadership in Energy & Environmental
Design – ist ein Konzept für die energie- und
umweltgerechte Planung und Errichtung von
Gebäuden nach spezifizierten Standards, das
negative Einflüsse von Bauwerken auf Nutzer
und Umwelt deutlich reduziert.
Mit der Intensivierung der Forschungs­
aktivitäten in der Region Greater China will
Evonik nicht nur die Innovationstätigkeit vor
Ort stärken, sondern auch die Zusammen­
arbeit mit chinesischen Forschungseinrichtun­
gen und das spezifische regionale Know-how
weiter ausbauen.
Schon heute veranstaltet Evonik in China
einmal im Jahr das Wissen­schaftsforum
„Evonik Meets Science“, um mit chinesischen
Wissenschaftlern über aktuelle Forschungs­
ergebnisse auf einem spezifischen Gebiet zu
diskutieren. Darüber hinaus hat Evonik in
China ein Scientific Advisory Board aufgebaut, das dem Wissensaustausch und der
Kooperation mit führenden chinesischen
Chemie­forschern dient.
elements37 Ausgabe 4|2011
30 coati n g & Bondi n g tec hn ologi e s
In Areas of Competence bündelt Evonik konzernweit Know-how, Erfahrung und Technologie
Dünn, aber oho!
Hightech-Lacke und Beschichtungen sind komplexe Systeme
und sichern Funktion und Langlebigkeit hochwertiger Produkte
des Alltags. In der Area of Competence Coating & Bonding
Technologies von Evonik wird die Entwicklung neuer Beschich­
tungssysteme, die nur durch das Zusammenspiel unterschied­
lichster Kompe­tenzen möglich sind, systematisch gesteuert.
[ text Dr. Jens Busse, Dr. Björn Lazar, Dr. Wilfried Robers ]
Detailwissen und fachspezifische Erfahrung
sind unverzichtbar für die Entwicklung oder Verbes­
serung jedes chemischen Produkts. Gleichzeitig aber
gilt: Wer auf lange Sicht erfolgreich sein will, muss
seine Fähigkeiten kritisch hinterfragen, sich an die
schnell verändernden Marktanforderungen anpassen
und wichtige Trends voraussehen. Genau diese
Absicht verfolgt Evonik mit seinen sogenannten
Areas of Competence.
Insgesamt sechs Areas of Competence (AoC) hat
Evonik konzernweit aufgebaut. Dahinter verbergen
sich Plattformen, auf denen Experten aus unterschiedlichsten Disziplinen und Geschäftsbereichen
Know-how, Erfahrungen und Technologien bündeln
und vernetzen. Dieser Ansatz rückt die im Konzern
vorhandenen Ressourcen in den Mittelpunkt – Equipment, Wissen, Erfahrung, Prozesse, Organisation –
und stellt sie allen Geschäftsbereichen zur Ver­
fügung.
Eine AoC umfasst mehrere Kompetenzcluster, in
denen Evonik besonders viel Know-how gesammelt
elements37 Ausgabe 4|2011
hat und bereichsübergreifend einsetzt, um zusätz­
liche Synergien auszuloten und zu nutzen. Im
Rahmen dieser Cluster treffen sich die jeweiligen
Spezialisten regelmäßig, um Wissen und Erfahrung
auszutauschen und Projekte voranzutreiben. Tech­
no­lo­gische Neuentwicklungen einzelner Bereiche
werden beleuchtet, neue Ideen geboren.
Mehrwert steht im Vordergrund
Hinter Hightech-Entwicklungen stehen oft moderne
Produkte der Chemie – auch wenn das für den Kunden auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. Was er
allerdings wahrnimmt, ist der zusätzliche Nutzen,
den er aus Produkten und Leistungen zieht. Der Weg
hin zu innovativen Produkten, die alle Ansprüche des
Kunden erfüllen, ist kein einfacher Weg: Die Märkte
wandeln sich schnell, die technischen Anforderungen
an Produkte steigen, Umwelt- und Klimaschutz,
Ressourcen- und Energieeffizienz sind heute inhärente Anforderungen an eine nachhaltige Chemie.
coatin g & Bond in g tec hn ologie s 31
Wie fest haftet eine Beschichtung? Die Antwort
gibt der Gitterschnitttest: Die Beschichtung
wird kreuzweise angeritzt, danach ein Klebeband
aufgeklebt und wieder abgezogen. Die Zahl der
abgerissenen Segmente gibt dann Aufschluss
über die Haftfestigkeit
In der AoC Coating & Bonding Technologies vereint
Evonik das Konzern-Know-how über Lack- und
Klebeformulierungen. Beschichtungen müssen heute
umweltfreundlich, hochleistungsfähig und in ähn­
licher Formulierung weltweit verfügbar sein. Der
Charme moderner Dünnschichttechnologie: Aus
wenig Material entsteht ein Produkt mit hoher Wertschöpfung und zusätzlichem oder ganz neuem
Nutzen für den Kunden.
Jeder Lack, jede Beschichtung und auch viele
Klebstoffanwendungen basieren auf Dünnschichttechnologie. Die Chemie stellt heute eine große Vielfalt an Materialien und Schichtsystemen bereit. Bei
Evonik machen Produkte für die Dünnschichttechnik
mittlerweile rund 17 Prozent des Umsatzes aus.
Dünne Schichten sind nicht nur ein Gewinn für
Kunden und Anwender, sie unterstützen auch die
Mega­t rends Ressourcenschonung und Energie­
effizienz, indem sie zu CO2-Minderung sowie Langlebigkeit und Nachhaltigkeit der damit geschützten
Materialien beitragen.
Kaum eine Oberfläche ohne
Beschichtung
Oberflächen moderner Materialien und Produkte
tragen nahezu immer eine Beschichtung. Beispiele
dafür sind Isolierglas, Textilien, Verpackungen, Photovoltaikmodule oder Geräte der Informations- und
Unterhaltungselektronik. Manche Schichten erhöhen
die Lebensdauer eines Produkts, beispielsweise gilt
das für die Antikratzbeschichtung des HandyDisplays. Oberflächen wie das Armaturenbrett im
Pkw erhalten durch Beschichtung eine ansprechende
Haptik. Auf Industriemaschinen oder Bauteilen
hemmt die Schutzschicht die Korrosion. Beschichtungen von Schiffsrümpfen wehren organischen Besatz
ab und senken damit den Treibstoffverbrauch der
Transporte.
Die vielfältigen Anforderungen können nur durch
Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen adressiert
werden. So erfordert die Herstellung von laser­
markierbaren transparenten Polymeren das 333
elements37 Ausgabe 4|2011
32 coati n g & Bond in g te c hn ologi e s
Schema eines thermoelektrischen Generators, mit dem sich unter
anderem aus heißen Autoabgasen, Wärmetauschern oder Heizungsanlagen
Energie gewinnen lässt. Evonik sucht mithilfe der Dünnschichttechnologie
nach neuen Produktionsrouten für derartige Generatoren
Heiße Seite (Wärmezufuhr)
Hüllschicht
+
Thermoelemente
Metallkontakte
Kalte Seite (Wärmeabfuhr)
–
Elektrischer Anschluss
Heiße Seite (Wärmezufuhr)
Wärmestrom
Kalte Seite (Wärmeabfuhr)
Mit dem Smart Coater, der im Rahmen des
Projekts HighTEG genutzt wird, lassen sich Schichten
mit neuen Funktionalitäten erzeugen
333 Know-how für die Modifizierung von Partikel-
strukturen und Partikeloberflächen, gleichzeitig aber
Wissen über eine optimale Dispergierung von Ultrafeinpartikeln in einer Polymermatrix und nicht zuletzt viel Erfahrung bei der Formulierung von Polymercompounds.
Ähnliches gilt für kratzfeste Beschichtungen. Mit
Additiven der AERODISP®-Serie verleihen Lackhersteller ihren Produkten hohe Kratzfestigkeit. Das Geheimnis der Formulierung sind ultrafeine anorganische Partikel, gleichmäßig suspendiert in einer organischen Matrix. Sie schützen Fahrzeugoberflächen,
Displays oder Bauteile zuverlässig vor mechanischen
Einflüssen. Auch hierfür bündelte Evonik die Kompetenz unterschiedlichster Bereiche – die der Geschäftsbereiche Coatings & Additives, Inorganic Materials und Consumer Specialties ebenso wie die des
Servicebereichs Verfahrenstechnik & Engineering –,
die ihr Wissen zur Herstellung submikroskopischer
Partikel, zur Formulierung, Dispersion und Additivierung zusammenführten.
Dieses Wissen hat Evonik mit dem Erwerb der
hanse-chemie gruppe bzw. der Tochtergesellschaft
nanoresins AG weiter verstärkt. Damit verfügt der
Geschäftsbereich Coating & Additives nun auch über
Technologie-Know-how bei flüssigen Nanocompo­
sites auf Basis extrem feinteiliger Kieselsäure. Nanocomposites werden in Lacken und Farben haupt­
sächlich eingesetzt, um deren Oberflächenhärte zu
verbessern und so eine erhöhte Kratzfestigkeit ohne
Transparenzverlust zu erzielen.
Korrosionsschutz ist unverzichtbar
Eine große Bedeutung haben Beschichtungssysteme,
die vor Korrosion schützen. Wenn Brücken, Bohrplattformen, Schiffsrümpfe oder Windkraftanlagen
korrodieren, sind nicht nur ihre Funktion und Sicherheit gefährdet – Korrosion ist vor allem auch teuer.
Der volkswirtschaftliche Schaden liegt allein in
Deutschland bei jährlich schätzungsweise 50 Milliarden E. Daher arbeiten Forscher aus unterschiedlichen
Geschäftsbereichen gemeinsam an der Entwicklung
von Lösungen zum wirksamen Korrosionsschutz.
Beispielsweise wurden neue Bindemittelsysteme mit
hohem Feststoffgehalt entwickelt, die auf SilikonEpoxy-Hybridtechnologie beruhen. Sie zeichnen sich
durch geringe Emissionen, große Hitzestabilität, Witterungsbeständigkeit und optimale Wirkung gegenüber korrosiven Einflüssen aus.
Viele der Kompetenzcluster der AoC Coating &
Bonding haben Berührungspunkte zu anderen Areas
of Competence, bei der Vernetzung zu „Inorganic
Particle Design“, bei den Bindemitteln zu „Designing
elements37 Ausgabe 4|2011
coatin g & Bondi n g tec hn ologi e s 33
with Polymers“, bei den Additiven zu „Interfacial
Technologies“ und bei der Entwicklung neuer Lackrohstoffe zu „Biotechnology“. In einer gemeinsamen
jährlichen Veranstaltung von AoC, dem Service­
bereich Verfahrenstechnik & Engineering und der
Creavis tauschen die Evonik-Experten Erfahrungen
mit externen Fachleuten aus dem akademischen Bereich und der Industrie aus. Dieser Austausch dient
der Netzwerkbildung und fokussiert neue Trends und
Entwicklungen bei Prozessierung und Funktiona­
lisierung dünner Schichten.
Dünnschichttechnologie ermöglicht
neue funktionale Bauteile
Dünne Schichten versprechen nicht nur Schutz, Langlebigkeit, ansprechende Optik und Haptik. Dünnschichttechnologie ist auch ein wesentlicher Schlüssel für die Entwicklung ganz neuer funktionaler
Bauteile. Der Servicebereich Verfahrenstechnik &
Engineering verfügt am Standort Hanau über ein
Technologiezentrum für funktionale Schichten, das
für die Lösung praxisnaher Fragen der Beschichtungstechnologie prädestiniert ist. Ein Expertenteam
untersucht dort erfolgreich zahlreiche Fragestellungen im Konzern, die von der Beschichtungsformulierung bis hin zur Qualitätssicherung der erzeugten
Schichten reichen.
Neuester Bestandteil des Zentrums ist der sogenannte Smart Coater, mit dem Schichten mit neuen
Funktionalitäten erzeugt und optimiert werden
können. Genutzt wird er im Rahmen des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts
HighTEG (FKZ 0327863B), in dem Evonik-Experten
derzeit einen Weg für die Erzeugung neuartiger
thermoelektrischer Generatoren entwickeln.
Thermoelektrische Generatoren werden bei der
Stromerzeugung aus Abwärme eingesetzt, beispielsweise zur Energiegewinnung aus heißen Autoabgasen, Wärmetauschern oder Heizungsanlagen. Ziel
des Projekts ist die Entwicklung eines kostengünstigen Herstellungsprozesses zur Massenproduktion
dünner und flexibler thermoelektrischer Generatoren. Dafür untersuchen Spezialisten der Creavis und
des Servicebereichs Verfahrenstechnik & Engineering verschiedene Produktionsrouten wie z. B. das
Drucken dünner Halbleiterschichten in und auf flexible Trägermaterialien.
Der Smart Coater ist flexibel und kompakt und
kann dank seiner unterschiedlichen Auftragssysteme
und Trocknerzonen, Sinterstrecke und Kaschiereinheit reale Serienproduktion simulieren. Schnell und
flexibel auf neue Aufgabenstellungen reagieren – das
ist nicht nur ein Anspruch, den die Maschinen erfül-
len müssen. Das gilt auch für alle beteiligten Wissenschaftler. Die AoC mit ihrem bereichsübergreifenden
Ansatz machen Entwicklungen schneller und kompetenter und öffnen neue Märkte, die einzelne Geschäftsbereiche allein aus eigener Kraft nur schwer
öffnen können. Nur wer seine Kompetenzen kennt,
pflegt und nutzt, kann sie auf neue Märkte über­
tragen und Kundenwünsche erfüllen. Denn in der
Chemie gilt wie in anderen Branchen auch: Wenn der
Kunde feststellt, dass er für vermeintliche Kompetenz
bezahlt, aber nur Mittelmaß bekommt, sinkt seine
Bereitschaft zu weiterer Zusammenarbeit und der
Geschäftserfolg währt nur kurz. 777
Dr. Jens Busse ist seit 2009 im Science-to-Business
Center Eco² Leiter der Entwicklungslinie dezentrale
Energieerzeugung. Nach dem Studium des Maschi­nen­
baus und der Verfahrenstechnik an der Ruhr-Universität
Bochum und anschließender Promo­tion auf dem Gebiet
der Prozesssynthese startete er 2001 seine berufliche
Laufbahn bei Evonik als Prozess­ingenieur im Service­
bereich Verfahrenstechnik & Engineering mit den
Themenschwerpunkten Trainings­simulation und Ener­
gieoptimierung von Standorten.
+49 2365 49-86509, jens.busse@evonik.com
Dr. Björn Lazar ist seit Anfang 2008 als wissenschaftlicher Angestellter im Servicebereich Verfahrens­tech­
nik & Engineering bei Evonik tätig. Dort beschäftigt er
sich insbesondere mit Beschichtungsfragestellungen
wie der Prozessierung dünner funktionaler Schichten
für den Displaybereich. Sein Chemietechnikstudium
absolvierte er an der Technischen Universität Dort­
mund; die anschließende Promotion auf dem Gebiet
der Nanopartikelsynthese in Mikroemulsionen hat
er am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer
technischer Sys­teme in Magdeburg durchgeführt.
+49 2365 49-19164, bjoern.lazar@evonik.com
Dr. Wilfried Robers organisiert als Sprecher der Area
of Competence (AoC) Coating & Bonding Technolo­
gies von Evonik geschäftsbereichsübergreifend die
Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und die
gemeinsame Marktbearbeitung für den Lack- und den
Klebstoffmarkt. Er ist außerdem Vorsitzender des
Konzernsprecherausschusses der Evonik Industries AG
und Landesgruppenvorsitzender des VAA (Verband
der akademischen Angestellten). Nach dem PhysikDiplom in Münster 1984 promovierte Robers in der
Abteilung Laserchemie am Max-Planck-Institut für
Quantenoptik in Garching. 1989 fing er bei der damaligen Hüls AG in Marl als Laborleiter in der Analytik an.
Es folgten Stationen als Anwendungstechniker, im
Controlling und als Leiter einer Produktlinie zur Her­
stel­lung und Vermarktung von Lackpolyestern, bis er
2005 seine jetzige Aufgabe als AoC-Sprecher übernahm.
+49 2365 49-9537, wilfried.robers@evonik.com
elements37 Ausgabe 4|2011
34 RE S SOURCENEFFI Z I ENZ
Für die Gasreinigung entwickelt Evonik maßgeschneiderte Amine als hocheffiziente Absorbenzien
Evonik sagt sauren
Gasen den Kampf an
elements37 Ausgabe 4|2011
RE S SOURCENEFF I Z IENZ 35
Die Abtrennung störender Inhaltsstoffe aus
großen Gasströmen ist Alltags­geschäft für
Ener­gieerzeuger und Chemieunternehmen.
Spezia­lis­ten bei Evonik haben jetzt amin­ba­­sierte Systemlösungen entwickelt, die eine
Reinigung von Synthese- und Erdgas effi­zienter und kostengünstiger machen.
[ text Dr. Jörn Rolker, Dr. Matthias Seiler ]
Erdgas gewinnt im globalen Energiegeschehen immer mehr
an Gewicht. Denn der flüchtige Brennstoff vereint sowohl ökonomische als auch ökologische Vorzüge. Liberalisierte Energiemärkte erhöhen die Nachfrage nach kleineren und flexibleren
Kraftwerken, die überwiegend mit Gas befeuert werden. Erdgas
ist zudem preiswerter als Öl und kann in komprimierter oder
verflüssigter Form über weite Strecken transportiert und einfach gespeichert werden. Gas gilt im Spektrum der fossilen Energien außerdem als relativ sauberer Vertreter, da bei der Verbrennung von Methan weniger Kohlendioxid entsteht als bei Öl
oder Kohle. Die Internationale Energieagentur schätzt daher,
dass bis 2035 der Gasverbrauch um 50 Prozent steigen und dann
ein Viertel des weltweiten Energiemix ausmachen wird. Auch
in Deutschland spielt Erdgas, beispielsweise als Energieträger
in hocheffizienten Gas-und-Dampf-Kraftwerken, eine immer
wichtigere Rolle.
Ein zweiter – global gesehen – sehr bedeutender Gasstrom
ist Synthesegas. Die Mischung aus den Hauptbestandteilen Wasserstoff und Kohlenmonoxid ist einer der wichtigsten Ausgangsstoffe für die chemische Industrie, die daraus Grundchemikalien
wie Ammoniak, Methanol und Aldehyde herstellt. Evonik
betreibt am Standort Marl eine Anlage zur Erzeugung und Aufbereitung für sogenanntes OXO-Synthesegas. Daraus produziert
das Unternehmen Vorprodukte unter anderem für die Herstellung von Weichmachern für Kunststoffe.
Sowohl für Erdgas wie auch für Synthesegas gilt: Sie enthalten
nach der Förderung bzw. Herstellung nicht nur die gewünschten
Inhaltsstoffe wie Methan oder Wasserstoff, sondern auch eine
Vielzahl anderer Gase und Spurenstoffe. Im Erdgas sind neben
Methan und anderen Kohlenwasserstoffen herkunftsabhängig je
bis zu 30 Volumenprozent Kohlendioxid (CO2) und Schwefelwasserstoff (H2S) enthalten, außerdem geringere Mengen an Schwefel, Helium und Stickstoff. Synthesegas kann bis zu 30 Volumenprozent CO2 und geringere Mengen an H2S enthalten, außerdem
eine Reihe anderer Schwefel- und Stickstoffverbindungen.
Sowohl Kohlendioxid als auch Schwefelwasserstoff reagieren in
Kontakt mit Wasser zu Säuren und sind dann eine Korrosionsgefahr für Pipelines, Pumpen, Verdichter und andere metallische
Bauteile der Infrastruktur. Auch aus dem Synthesegas müssen
CO2 und H2S bis auf Restgehalte von wenigen ppm entfernt werden. Sie führen selbst in geringen Konzentrationen bei nachfolgenden chemischen Prozessen zu unerwünschten Nebenreaktionen oder können die Katalysatoren vergiften.
Mit wachsender Nachfrage wächst der Bedarf an energetisch
effizienten und ressourcenschonenden Technologien zur Aufbereitung. Für die Aufreinigung großer Gasvolumina hat sich in
der Praxis die Gaswäsche etabliert, bei der das Rohgas intensiv
mit geeigneten Lösemitteln vermischt wird und saure Bestandteile gezielt absorbiert werden. Im Prinzip stehen zwei mögliche
Wege offen: die Chemisorption und die physikalische Absorption.
Bei der physikalischen Absorption lösen sich die Sauergase
in einem Lösungsmittel wie beispielsweise Methanol und werden dadurch ausgetragen. Physikalische Methoden kommen vor
allem dann zum Einsatz, wenn die Anteile der Sauergase relativ
hoch liegen. Allerdings kommt es bei der physikalischen Wäsche
zu unerwünschter Co-Absorption von längerkettigen Kohlenwasserstoffen, auch gelingt es in der Regel nicht, unerwünschte
Begleitstoffe bis auf wenige ppm abzureichern.
Die bessere Alternative ist daher meist die Chemisorption,
bei der Absorbenzien saure Inhaltsstoffe selektiv ausschleusen.
Als Mittel der Wahl haben sich schon seit Jahrzehnten verschiedene Amine etabliert. Amine sind günstig, lassen sich in großen
Mengen herstellen, und anders als physikalische Absorbenzien
reagieren sie als basische Moleküle schnell mit sauren Gasen.
Rohgase müssen aufwändig
gereinigt werden – Amine haben
sich als Reinigungsmittel etabliert
In der Praxis werden verschiedene Amintypen eingesetzt. Primäre Amine wie das Monoethanolamin (MEA), sekundäre Amine
wie Diisopropanolamin (DIPA), Diglykolamin (DGA) oder Diethanolamine (DEA), aber auch tertiäre Amine wie etwa das Methyldiethanolamin (MDEA) kommen dabei zum Einsatz. Bei der
Chemisorption reagiert das CO2 je nach Art des eingesetzten
Amins zu Carbamaten oder Carbonaten, bei der Reaktion mit
H2S wird das Absorbens protoniert und es bildet sich ein Hydrogensulfidion. Diese Reaktionen sind reversibel: Wird die Reaktionslösung aufgeheizt, lösen sich CO2 und H2S aus dem Molekülverbund und setzen das Absorbens wieder frei. 333
elements37 Ausgabe 4|2011
36 RE S SOURCENEFFI Z I ENZ
Abbildung 1. Prinzip der chemischen Gaswäsche: Im Absorber werden CO2
und H2S durch Reaktion mit den gelösten Aminen bei 40 bis 60 °C aus dem
Roh­gas entfernt. Im Desorber werden die Gase bei erhöhten Temperaturen
wieder freigesetzt
Gereinigtes Gas
Rückflusskondensator
HochdruckFlash-Gas
Frischwasser
Sauergase
NiederdruckFlash-Gas
Desorbierter
Gasstrom
Kühler
für das
Absorbens
Wärmetauscher
Rohgas
Verdampfer
Absorber
HochdruckFlashVerdampfer
NiederdruckFlashVerdampfer
Desorber
Abbildung 2. Absorptionskapazität für die Abtrennung von H2S.
Die Absorbensformulierung von Evonik absorbiert bei 40 °C deutlich
mehr als Komponenten des Stands der Technik
MDEA (4,28-molar)
Sterisch gehindertes Amin (2,5-molar)
30 Gewichtsprozent Absorbensformulierung von Evonik
Partialdruck H2S (bar)
1
0,1
0,01
0,001
0,0001
0
0,5
1,0
1,5
2,0
Beladung (mol H2S/mol Amin)
Die zyklische Kapazität der neuen Absorbensformulierungen von Evonik
für CO2 ist bis zu 1,5-mal höher als bei etablierten Absorbenzien und erlaubt
es, die sauren Gase deutlich effizienter zu entfernen
Zyklische Kapazität für CO2 zwischen 40 °C und 120 °C
MEA
2,0 mol CO2/kg Lösungsmittel (30 Gew% Amin)
MDEA/Piperazin
2,5 mol CO2/kg Lösungsmittel (50 Gew% Amin)
Absorbensformulierungen
von Evonik
2,9 mol CO2/kg Lösungsmittel (30 Gew% Amin)
elements37 Ausgabe 4|2011
333 Die technische Umsetzung der chemischen Gaswäsche ist
im Prinzip simpel, das Herzstück der Anlagen bilden Absorber
und Desorber (Abb. 1). Im Absorber werden Rohgas und Lösungsmittel im Gegenstrom geführt und dabei durchmischt. Der Absorber enthält bestimmte Füllkörper, Gewebepackungen oder
Böden, die für einen intensiven Kontakt zwischen Gas und Flüssigkeit sorgen und eine große Oberfläche für die chemische Reaktion zur Verfügung stellen. Bei 40 bis 60 °C reagiert die wässrige Absorbenslösung mit CO2 und H2S. Das gereinigte Gas verlässt den Absorber am oberen Ende, während das beladene Lösungsmittel am unteren Ende abgezogen und in den Desorber
geleitet wird. Hier läuft die umgekehrte Reaktion ab: Durch
Aufheizen auf 120 bis 140 °C im Verdampfer des Desorbers setzt
das Amin die sauren Gase wieder frei. Nach Rückführung des
Absorbens zum Absorber beginnt der Kreislauf von vorne.
Amine haben sich als Absorbenzien für Sauergase bewährt.
Allerdings zeigen alle herkömmlichen Varianten bei der Gas­
wäsche spezifische Schwächen. Primäre Amine binden saure Gase
in Form von Carbamaten zwar fest an sich, verbrauchen deshalb
aber auch viel Energie bei der nachfolgenden Desorption und
tendieren zu unerwünschten Nebenreaktionen. Tertiäre Amine
binden schwächer, aber auch langsamer. Außerdem haben die
üblicherweise eingesetzten Amine die unangenehme Begleiterscheinung, dass die saure Prozesslösung zusammen mit temperaturstabilen Salzen aus aminhaltigen Zersetzungsprodukten
korrosive Kräfte entwickelt. Bestimmte Komponenten im Rohgas können nicht zuletzt in Wechselwirkung mit der Absorbenslösung dazu führen, dass sich störende Schäume bilden und den
Trennprozess stören.
Ausschlaggebend für die Wirtschaftlichkeit des Gasreinigungsprozesses sind ein geringer Energieverbrauch bei der
Regeneration des Absorptionsmittels neben einer hohen chemischen Stabilität der Absorbenzien und einer geringen Korro­
sionsneigung (Betriebskosten). Gleichzeitig sollte eine hohe
Anlagenverfügbarkeit bei moderaten Investitionskosten realisiert werden können. Je mehr Absorptionsmittel gepumpt und
erhitzt werden muss, umso ungünstiger ist die Energiebilanz
herkömmlicher Verfahren. Üblicherweise muss dem Verdampfer relativ viel Energie zugeführt werden, damit die chemisch
gebundenen, sauren Gase wieder desor­biert werden. Daher sind
die heute genutzten Prozesse recht kost­spielig. Gelingt es, den
Energiebedarf zu senken oder den Gasdurchsatz bei gleichem
Energieaufwand zu steigern, könnte die Gasreinigung künftig
weit wirtschaftlicher sein.
Anders gesagt: Die Optimierung des Absorbens ist ein ausgesprochen wirkungsvoller Hebel, um den gesamten Prozess der
Gaswäsche effizienter und damit wirtschaftlicher zu gestalten.
Da Anlagen zur Gasaufbereitung hohe Investitionen erfordern,
würden sich schon relativ kleine Optimierungen spürbar auswirken.
Ein ideales Absorbens muss also mehrere Anforderungen
erfüllen können: saure Gasbestandteile möglichst schnell, ausreichend fest und zugleich reversibel an sich binden, die gebun­
denen Sauergase bei relativ niedriger Energiezufuhr möglichst
quantitativ wieder abgeben, außerdem wenig korrosiv und chemisch stabil sein, um die apparative Infrastruktur zu schonen.
Evonik verfügt über umfangreiches Know-how in der Aminsynthese und begann 2004, diese Kompetenz für das neue
RE S SOURCENEFFI Z I ENZ 37
Geschäftsfeld der Sauergasreinigung auszunutzen. Ein Expertenteam des Geschäftsbereichs Advanced Intermediates, des
Servicebereichs Verfahrenstechnik & Engineering und der
Creavis gelang es, neue Hochleistungssystemlösungen für die
absorptive Wäsche von Sauergasen zu entwickeln, die gegenüber dem Stand der Technik eine drastische Reduktion der
Betriebskosten ermöglichen.
Es wurden rund 50 Komponenten auf ihre Eignung getestet.
Beim Screening der Eigenschaften zeigte sich, dass eine kleine
Gruppe besonders günstig abschnitt: Diese Aminvarianten zeichneten sich durch ein erstaunliches, energetisch optimiertes
­Desorptionsverhalten, große zyklische Kapazitäten und eine
überraschend geringe Korrosion mit großen Absorptionsraten
ohne Schaumbildung aus.
Am Ende der Laborphase blieben fünf vielversprechende
Absorbensformulierungen übrig. Sie wurden durch chemische
Modifikation so verändert, dass sie alle wichtigen Anforderungen der Gaswäsche im Vergleich zum Stand der Technik
(zum Beispiel Mischung aus MDEA und Piperazin) mindestens
gleich gut und in vielen Bereichen sogar merklich besser
erfüllen. Im Zentrum der Optimierung stand eine deutliche
Reduzierung der Betriebskosten (> 30 Prozent) der Sauergaswäsche bei ausreichend großen Absorptionsraten und hohen
Zykluskapazitäten.
Abbildung 3. Absorptionsenthalpie bei der Abtrennung von CO2. Aufgrund
der niedrigen Absorptionsenthalpie muss bei der neu entwickelten Absorbens­
Performancevergleich
für weniger
einen Synthesegasstrom
bei jeweils gleicher CO2formulierung
von Evonik wesentlich
Energie für die Desorption
Abtrennrate:
von Evonik können den spezifischen
aufgewendet
werden alsDie
bei Absorbentien
den Standardaminen
Energieverbrauch bei der Regeneration gegenüber den Standardaminen im
20 bis 60 Prozent senken
und helfen damit,
die Betriebskosten
MEABereich von
MDEA/Piperazin
Evonik-Absorbens­
formulierung
drastisch zu verringern. Die Reduzierung des Absorbensmassenstroms um 20
Absorptionsenthalpie [%]
bis 30 Prozent im Vergleich zu den Standardkomponenten ist eine wichtige
100
Voraussetzung für eine mögliche Kapazitätserweiterung der Anlage
80
60
40
20
0
Abbildung 4. Performancevergleich für einen Synthesegasstrom bei jeweils
gleicher CO2-Abtrennrate: Die Absorbensformulierungen von Evonik können den
spezifischen Energieverbrauch bei der Regeneration gegenüber den Stan­dard­
aminen im Bereich von 20 bis 60 Prozent senken und helfen damit, die Betriebs­
kosten drastisch zu verringern. Die Reduzierung des Absorbens­mas­sen­stroms
um 20 bis 30 Prozent im Vergleich zu den Standardkomponenten ist eine
wich­tige Voraussetzung für eine mögliche Kapazitätserweiterung der Anlage
Evonik-Absorbensformulierung B
Evonik-Absorbensformulierung A
40 Gewichtsprozent DIPA/40 Gewichtsprozent Sulfolan
Optimierte Absorbensformulierungen machen
Gasreinigung wirtschaftlicher
Daraufhin haben die Evonik-Experten die gefundenen
Systemlösungen intensiv in einer mehrjährigen Pilotanlagenphase untersucht: In welchem Partialdruckbereich funktioniert
die Reinigung? Wie groß ist die nötige Energiezufuhr für die
Desorption? Welche Mengen an Lösungsmittel sind notwendig?
Dabei hatten die Entwickler bei allen wesentlichen Parametern
eine Optimierung im Sinn: eine Minderung des Energieverbrauchs, einen höheren Gasdurchsatz, eine Reduzierung des
Absorptionsmittelbedarfs, weniger Korrosion und Schaumbildung sowie eine hohe chemische Stabilität der Komponenten
(verminderte Degra­dation im Vergleich zum Stand der Technik).
Am Ende blieben zwei Absorbensformulierungen übrig, die
eine hervorragende Performance in der Sauergasreinigung
gezeigt haben: Bei der Abtrennung von H2S liegt die Absorp­tions­
kapazität bis zu zehnmal so hoch wie bei herkömmlich eingesetztem MDEA (Abb. 2). Beide Absorbensformulierungen erlauben deutlich höhere H2S-Löslichkeiten als herkömmliche Amine
und damit eine exzellente Abreicherung bis auf wenige ppm.
Bei der Abtrennung von CO2 ist die Absorptionsenthalpie –
verglichen mit Standardkomponenten – bis zu einem Faktor drei
kleiner (Abb. 3), das bedeutet, dass für die Regeneration des beladenen Lösungsmittels wesentlich weniger Energie aufgewendet
werden muss (Abb. 4). Deutliche Vorteile versprechen die Ami­ne
auch bei Korrosion und Schaumbildung und der chemischen
Stabi­lität. Hier zeigten die Versuche eine Verbesserung um den
Faktor drei bis fünf bei der Korrosion (Abb. 5), die Schaum- 333
30 Gewichtsprozent MDEA/10 Gewichtsprozent Piperazin
Spezifische Regenerationsenergie [%]
140
120
100
80
60
40
40
50
60
70
80
90
100
Absorbensmassenstrom [%]
Abbildung 5. Auch bei der Korrosionsrate überzeugen die Absorbens­for­mu­lierungen von Evonik. Sie liegt um den Faktor sieben niedriger als
bei MEA, sodass Material- und Wartungskosten sinken
30 Gewichtsprozent MEA
37,2 Gewichtsprozent MDEA/2,8 Gewichtsprozent Piperazin
30 Gewichtsprozent Evonik-Absorbensformulierung
Korrosionsrate [%]
100
80
60
40
20
0
elements37 Ausgabe 4|2011
38 RE S SOURCENEFFI Z I ENZ
Synthesegasanlage von Evonik, die für Feldtests verwendet wird
333 bildung kann sogar auf ein optisch nicht mehr wahrnehm­
bares Minimum reduziert werden.
Der Einsatz der maßgeschneiderten Amine von Evonik wirkt
sich auf mehrere Weisen positiv aus: Der gesamte Prozess der
Gaswäsche wird effizienter und spart Betriebskosten. Da die
verbesserten Komponenten den Lösungsmittelumlauf redu­
zieren, kann beispielsweise durch Einsatz von Hochleistungs­
packungen im Absorber der Gasdurchsatz erhöht werden und
auf diese Weise eine Kapazitätserweiterung bestehender
An­lagen erreicht werden.
Gleichzeitig verbessert sich die CO2-Bilanz, weil weniger
Regenerationsenergie benötigt wird. Durch das optimierte Korrosionsverhalten, die geringe Schaumneigung und eine gesteigerte chemische und thermische Stabilität steigt die Anlagenverfügbarkeit. Von großer Bedeutung ist nicht zuletzt, dass sich
die neuen Produkte als Drop-in-Lösung eignen, sie können also
ohne Umbauten oder technische Anpassung in bestehenden
Anlagen eingesetzt werden.
Der Pilotanlagenphase folgten bzw. folgen umfangreiche
großindustrielle Feldtests. Diese Praxistests werden marktsegmentspezifisch für den Synthesegas- und den Erdgasbereich
realisiert. Unter anderem wird gegenwärtig auch ein großtechnischer Feldtest bei Evonik durchgeführt. Die vorkommerzielle Phase wird bald abgeschlossen sein. Die maß­ge­
schneiderten Systemlösungen kommen ab 2013 auf den Markt,
um die unterschiedlichen Kundenanforderungen durch deutliche Einsparungen im Bereich der Betriebskosten sowie eine
verbesserte Absorptionsmittelperformance adressieren zu
können. 777
elements37 Ausgabe 4|2011
Dr. Jörn Rolker beschäftigt sich im Bereich New Busi­
ness Development des Geschäftsbereichs Advanced
Intermediates mit Absorbenzien zur Sauergaswäsche.
Nach dem Studium der Verfahrens- und Energie­­tech­nik an der TU Berlin und der Promotion auf dem
Gebiet der Thermodynamik/Thermischen Verfahrens­
technik an der Universität Erlangen-Nürnberg begann
er 2007 im Servicebereich Verfahrenstechnik & En­­
gineering von Evonik als Prozessingenieur. 2011 übernahm er seine aktuelle Position.
+49 6181 59-2514, joern.rolker@evonik.com
Dr. Matthias Seiler arbeitet als Director New Business
Development im Geschäftsbereich Advanced Inter­me­
diates von Evonik. Nach Studium der Verfa­h­rens- und
Energietechnik an der TU Berlin und Pro­mo­tion im
Bereich Verfahrenstechnik/Polymer­thermo­dynamik an
der Universität Erlangen-Nürnberg startete er 2004
seine berufliche Karriere im Service­bereich Verfahrens­
technik & Engineering von Evonik. Hier leitete er zu­­
letzt die Abteilung „Bringing Tech­nology to Market“,
bevor er 2010 seine aktuelle Posi­tion übernahm.
Parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit absolvierte er
einen Executive MBA an der ESSEC & Mann­heim
Business School.
+49 6181 59-3049, matthias.seiler@evonik.com
Ne ws 39
Erweiterung der Kapazitäten für Methylmethacrylat
Evonik Industries, einer der führenden
Anbieter von Produkten der Methacrylat­
chemie, baut aufgrund der gestiegenen
Nachfrage die weltweiten Produktions­
kapazitäten für Methylmethacrylat aus. Das
Unternehmen wird dazu in diesem und im
nächsten Jahr in seinen Werken in Europa
(Worms und Wesseling in Deutschland),
Asien (Schanghai in China) und in den USA
(Fortier) Projekte zu Debottlenecking und
Anlagenerweiterung durchführen.
Nach Umsetzung dieser Projekte wird
Evonik eine zusätzliche Menge von voraussichtlich 50.000 Tonnen Methylmethacrylat
zur Ver­fügung stehen. Thomas Müller, Senior
Vice President & General Manager Acrylic
Mono­mers, sagte zu der kurzfristig angekündigten Erweiterung: „Wir reagieren schnell,
um das Wachstum unserer Kunden in den
Märkten zu begleiten.“
Methylmethacrylat wird haup­tsächlich
zur Herstellung von Farben und Lacken sowie
zur Herstellung von Poly­me­thyl­methacrylat
eingesetzt.
L-Lysin-Kapazität in den USA wird verdoppelt
Evonik Industries verdoppelt in Nordamerika
die Kapazität für die Futtermittelaminosäure
L-Lysin. Die zweistufige Erweiterung der
Anlage in Blair (Nebraska) auf 280.000
Tonnen Jahreskapazität wird voraussichtlich
bereits im August 2012 abgeschlossen sein,
ein halbes Jahr früher als ursprünglich erwartet. Evonik produziert auf biotechnologischem Weg für die Tierernährung die essentiellen Aminosäuren L-Lysin, L-Threonin und
L-Tryptophan.
„Mit dieser Investition stärken wir unsere bedeutende Marktposition im Bereich
der Futtermitteladditive weiter“, sagte
Dr. Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender von
Evonik Industries. „Erst kürzlich haben wir
die Erweiterung der DL-Methioninkapazität
mit dem Bau einer neuen Anlage auf
580.000 Tonnen pro Jahr angekündigt. Mit
der Kapazitätsverdopplung bei L-Lysin wollen wir nun auch mit unserer biotechno­
logisch hergestellten Aminosäure L-Lysin
wachsen.“
Das von Evonik unter dem Markennamen
Biolys® vermarktete biotechnologisch hergestellte L-Lysin gilt weltweit als äußerst wirksame Lysinquelle in Tierfutter, mit der sich
die Kosten in der Futtermittelproduktion
Impressum
Herausgeber
Evonik Industries AG
Corporate Innovation
Strategy & Management
Rellinghauser Straße 1–11
45128 Essen
nachhaltig senken lassen. „Wir registrieren
seit einigen Jahren in den USA eine steigende
Nachfrage nach unserem L-Lysin und haben
uns deshalb dazu entschlossen, die Kapa­zi­
täten zu verdoppeln“, so Engel.
Evonik erwartet, die ersten zusätzlichen
Mengen noch 2011 auf den Markt bringen zu
können; dann endet voraussichtlich die erste
Ausbaustufe, in der unter anderem bereits
die Verdampfer­kapa­zitäten für die Produkt­
auf­konzentrierung verdoppelt wurden.
Parallel hierzu ist auch schon die zweite Aus­
baustufe in der Um­­setzung, für die Evonik seit
Juni 2011 alle Genehmigungen vorliegen hat.
Die Missouri-Flut im Juni/Juli 2011 hatte
keine Auswirkungen auf den Zeitplan der
Wissenschaftlicher Beirat
Dr. Norbert Finke
Corporate Innovation
Strategy & Management
norbert.finke@evonik.com
Redaktion
Dr. Karin Aßmann
(verantwortlich)
Evonik Services GmbH
Konzernredaktion
karin.assmann@evonik.com
Projekte, da die Flut durch entsprechende
Schutzmaßnahmen vom Werk ferngehalten
werden konnte. „Dies ist das Verdienst des
Standortbetreibers Cargill“, betonte Dr.
Wal­­ter Pfefferle, Leiter des Geschäftsgebiets
Bioproducts von Evonik. Die Schutzmaß­
nahmen wurden außer von Evonik auch vom
U.S. Army Corps of Engineers unterstützt.
„Die Zusammenarbeit mit Cargill ist hervorragend. Unser Dank gilt auch Gouverneur
Dave Heinemann, der alles in seiner Macht
Stehende tat, um die Flut zu bekämpfen“,
erklärte Pfefferle. Cargill stellt die Infra­
struktur am Standort zur Verfügung und
be­liefert Evonik außerdem über den Zaun mit
vor Ort produzierten Rohstoffen.
Fermentationsanlage
zur Herstellung der
Aminosäure L-Lysin
am Evonik-Standort
Blair in Nebraska (USA)
Redaktionelle Mitarbeiter
Christof Endruweit
Christa Friedl
Michael Vogel
Fotos
Evonik Industries
Karsten Bootmann
Dieter Debo
Frank Preuß
Stefan Wildhirt
Getty Images/Tracy Packer (S. 8)
Fotolia/Achim Baqué (S. 24)
Getty Images/Lonnie Duka (S. 34)
Gestaltung
Michael Stahl, München
Druck
Laupenmühlen Druck
GmbH & Co. KG, Bochum
Nachdruck nur mit
Genehmigung der Redaktion
elements37 Ausgabe 4|2011
Ersparen Sie sich Überraschungen
bei der Partnersuche. Kommen Sie
lieber gleich zu uns.
We love your problems.
Konkretes Problem – konkrete Lösung: Wir sind der richtige
Partner für eine strategische Pharma-Partnerschaft. Denn wir
arbeiten über alle Organisationsgrenzen hinweg eng mit unseren
Kunden zusammen. Durch die partnerschaftliche Verzahnung
aller Abteilungen entsteht ein außergewöhnlich tiefes Verständnis
für die Bedürfnisse unserer Kunden. So können wir gemeinsam
tragfähige Schritt-für-Schritt-Lösungen entwickeln. Noch mehr
gute Gründe für eine langfristige Partnerschaft mit uns finden
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